Briefe an Gary von -Fred ================================================================================ Prolog: -------- Vorwort: Hallo mein Lieben! Nach mehr als einem Jahr melde ich mich zurück an der Schreiberfront. Seit dem Tod meiner besten Freundin ging es nur noch bergab, und weil ich mein Leben seit einem Jahr nicht in den Griff gekriegt habe, hat mein krankes Gehirn die Idee für "Briefe an Gary" ausgespuckt. Der Prolog ist etwas kurz, das erste Kapitel allerdings in Arbeit. Eigentlich war die Geschichte nur für mich allein gedacht, aber ich war schlichtweg zu neugierig, was andere davon halten würden :3 Naja, dann will ich nicht weiter vom Lesen abhalten. Kritik ist erwünscht! Fuesch Das wütende Summen eines Hornissenschwarms veranlasste den jungen Mann dazu, die Augen aufzuschlagen. Benommen fasste er sich an die Stirn, stöhnte leise, richtete sich etwas auf und sah sich vorsichtig um. Er lag auf einem Bett, einem einfachen Feldbett, das in einer Reihe aus unzähligen anderen Betten stand. Das Bett zu seiner Rechten war leer. Langsam wandte er den Kopf nach links und sah einen älteren Herrn neben sich. Dessen Kopf war mit Bandagen umwickelt, und er schlief tief und fest. Eine stämmige Frau mit ausgefransten kurzen blonden Haaren trat an das Bett des Mannes, untersuchte ihn fachmännisch und routiniert. Bevor sie ging, blickte sie noch kurz auf und warf dem jungen Mann einen forschen Blick zu, dann verschwand sie mit klackernden Absätzen. Und jetzt sah er auch, dass es keine Hornissen gewesen waren, die ihn geweckt hatten, es waren hunderte, tausende von Stimmen, die durch die stickige, warme Luft trieben und zu einem einzigen Geräusch verschmolzen. Die Besitzer der Stimmen wuselten durcheinander, drängten sich vorbei, prallten fast zusammen, eilten oder schlichen am Fußende der Feldbetten vorüber. Der junge Mann setzte sich etwas auf und ließ den Blick weiter schweifen. Er befand sich in einem riesigen, nein, gigantischen Saal. Ihm gegenüber, nur wenige Meter Abstand als Durchgang lassend, fand er eine zweite Reihe identischer Betten, mit oder ohne Bewohner; durch die Menschenmenge hindurch konnte er auch eine dritte und vierte Reihe ausmachen, und da er die gegenüberliegende Wand nicht ausmachen konnte, schien es nicht bei vier Bettreihen belassen worden zu sein. Sein blick schweifte zur Decke des Saals, die sich höher als erwartet über ihm erstreckte. Blanke Neonröhren waren daran angebracht. „Gary Catrall?“ Gary blickte zum Fußende seines Bettes und traf auf zwei graublaue Augen, die ihn aus einem herzförmigen, leicht zerknitterten Gesicht fragend anschauten. „Eh- ja“, antwortete er und blickte die alte Dame neugierig an. Sie lächelte und ihre von Lachfältchen eingerahmten Augen funkelten im Licht der Neonröhren, was ihr einen leicht verschmitzten Blick gab. „Ich bin Mrs. Johnson, aber nenn mich Sophie“, sagte sie und kam um das Bett herum an seine Seite, bevor sie fortfuhr: „Meine Aufgabe ist es, mich um dich zu kümmern, mein Lieber.“ „Kümmern? Um mich? Aber mir geht es gut, ich-“ Moment. Ihm ging es doch gar nicht gut. Erneut ließ Gary den Blick durch den Saal schweifen. Was genau tat er eigentlich hier? Das hier war nicht sein Zimmer, er war nie hier gewesen. Er war sich nicht mal sicher, ob es in ganz Cockermouth und Umgebung überhaupt eine derart große Halle gab. „Wo bin ich?“ Sophie hatte sich an einem Gerät auf seinem Nachttisch zu schaffen gemacht, von dem Gary bis jetzt keine Notiz genommen hatte. Normalerweise hätte man auf einem solchen Bildschirm den Herzrhythmus des Patienten beobachten können; auf diesem zählte ein Countdown langsam nach unten. Sophie blickte auf. „Ich mache diese Arbeit schon lange, aber das ist bei weitem immer noch der schwerste Teil“, sagte sie und seufzte. Sie ließ den Monitor Monitor sein und legte ihre warmen, sommerbesprossten Hände auf Garys. „Gary, bitte bleib ruhig und versuche zu verstehen. Wir sind hier in einem Wartesaal. All die Menschen auf den Betten“ sie hob die Hand zu einer ausladenden Geste, „hatten einen Unfall, wurden überfallen, sind eingeschlafen oder angegriffen worden, manche waren oder sind krank.“ „Und… was hab ich nun getan, dass ich auch warten muss?“, fragte Gary langsam, sein Kopf arbeitete um sich einen Reim auf all dies zu machen. War er nicht eben noch in seinem Zimmer? Hatte er nicht auf dem Bett gelegen und durch die Glasfront nach draußen geblickt, wie so oft? „Ach mein Lieber, du wusstest doch, dass du krank bist?“ Sophie sah ihn fast mitleidig an. „Jaah, aber das ist weder was Ernstes noch hab ich die Medikamente vergessen einzunehmen!“, antwortete er und lächelte Sophie verständnislos an. Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Es ist weitaus ernster gewesen, als du dachtest, Gary, als ihr alle dachtet. Du hattest einen Anfall. Wunder dich nicht, dass du dich nicht erinnern kannst, das können nur sehr, sehr wenige“ sie wies auf den Monitor „Dieser Countdown auf dem Bildschirm, ist die Zeit, die dir noch bleibt, die Zeit, in der dich jemand finden und dein Leben retten muss. Wenn sie abgelaufen ist, musst du weitergehen.“ Gary sah sie beinahe spöttisch an. „Sie- sie machen doch Witze, das-“, fing er an, doch ihr Blick, die Krankenschwestern, die hinter ihrem Rücken Patienten versorgten und deren Monitore überprüften, und dieser ganze abnorme Saal voller kranker, scheinbar gesunder, schlafender und wacher Menschen, all das ließ ihn doch an der Schlussfolgerung zweifeln, dass Sophie ihn auf den Arm nehmen wollte. „I-ich- ich bin nicht tot, ich, das-“ – „O nein Gary, du bist auch nicht tot.“ Sophie lächelte ihn warm an. Sie warf einen Blick auf den Countdown. Neunundsiebzig, achtundsiebzig, siebenundsiebzig… Gary sah ebenfalls auf den Bildschirm. Etwas Schweres schien ihm im Magen zu liegen, und mit jeder vergangenen Sekunde schien dieses Etwas größer zu werden. Dreiundvierzig, zweiundvierzig… Er konnte doch jetzt nicht sterben. Himmel, er war doch erst achtzehn! Was war mit seinen Eltern? Sein Vater, der so oft Überstunden machte, um sich in den Ferien Urlaub nehmen zu können? Seine Mutter, die trotz der Diagnose nie ihre Fröhlichkeit verloren zu haben schien, die mit einem Lächeln für das Glück ihrer Kinder kämpfte? Was war mit seiner Schwester? Durfte er nie erfahren, wie sie heranwuchs? Einundzwanzig, zwanzig. Neunzehn, achtzehn, siebzehn… Unwillkürlich drückte er Sophies Hand, die er unbewusst ergriffen hatte. Sie erwiderte den Druck leicht und strich mit dem Daumen beruhigend über seinen Handrücken. Sechs, fünf… Bitte, flehte er stumm, sein Blick klebte am Monitor; er merkte nicht, wie er den Atem anhielt. Zwei. Eins. Der Bildschirm wurde schwarz. Gary kniff die Augen zusammen, doch nichts geschah. Er linste durch einen schmalen Lidspalt und sah doch nur Sophie, die ihn beobachtete. Das war’s also. Alles Gute zum Todestag, dachte Gary und konnte sich ein bitteres Lächeln nicht verkneifen. Eine Weile saß er nur da und starrte auf die schwarze Mattscheibe. „Es wird Zeit zu gehen, mein Lieber“, ertönte Sophies Stimme von weit her, riss ihn aus nicht vorhandenen Gedanken. Gary blickte auf. „Und wohin? Zu Petrus, vor die goldenen Pforten? An den Styx? Muss ich vielleicht ein paar Leckerli für dreiköpfige Biester einstecken?“ Er wusste, dass Sophie genauso wenig Schuld an der Situation hatte wie er oder irgendein Anderer in diesem Raum, aber es tat gut, sich über ihre Worte lustig zu machen, sie zu verspotten für das, was sie ihm erzählt hatte. Darüber zu lachen war einfacher, als es zu glauben, unendlich leichter als es zu akzeptieren, dass er, Gary Catrall, achtzehn Jahre jung und bis auf seine Osteomyelitis kerngesund, gerade gestorben war. Einfach so. Sophie sah ihn aus unergründlichen Augen an. Sie war es gewohnt, dass frisch Verstorbene die Sache leugneten, zynische Kommentare gaben oder sich den Sarkasmus nicht verkneifen konnten; Andere rasteten aus oder brachen unter Tränen zusammen. Für sie war es nichts Neues. „Weder noch. Du musst zum Meldeamt, du musst einen Pass beantragen und in die Kartei aufgenommen werden“, sagte sie sachlich und zog Gary auf die Beine. Sie wandte sich zum Gehen, doch Gary blieb, wo er war. „Das kann nicht ihr Ernst sein, Sophie.“ Sie drehte sich um. „Was kann nicht mein Ernst sein?“ „Ich brauche einen Pass? Meldeamt? Kartei? Sind wir hier in der Bundesrepublik Jenseits?!“ Einen herrlichen Moment genoss er es, Sophie so anzufahren, dann tat es ihm Leid. Er ließ die Schultern sinken und ging einige Schritte auf sie zu „Das- ach, es war nicht so gemeint, Sophie. Gehen wir.“ Sie drehte sich kommentarlos um und er folgte ihr genauso stumm. Es war nicht leicht, sie im Gewimmel nicht zu verlieren, ein ums andere Mal stieß er sich schmerzhaft an einer aus dem Nichts auftauchenden Bettkante oder rempelte eine der Krankenschwestern an, die er als solche identifizieren konnte, da sie alle das gleiche Fliederfarbene Dress trugen wie Sophie. Nach knapp zehn Minuten, die Gary wie eine Ewigkeit vorkamen, erreichten sie die Stirnseite der Halle. Hier führten unzählige Türen aus dem Wartesaal hinaus, kurze Schlangen hatten sich vor den Pulten vor einer jeden Tür gebildet. Gary und Sophie reihten sich hinter einem hochgewachsenen Krankenpfleger ein (er trug kein lila Dress, doch war auf der linken Brustasche seines hellblauen Hemdes dasselbe Emblem wie auf Sophies). Neben dem Krankenpfleger stand ein stämmiger rothaariger Mann, nicht viel älter als Gary. Er gestikulierte wild und redete auf seinen Pfleger ein. „Sie müssen doch verstehen, ich kann nicht sterben, mein Bruder- mei- meine Familie..! Wir sind Zwillinge, Himmel Herrgott! Ich kann da nicht durch, ich muss zurück, zurück, verstehe sie, ich-“ Der Krankenpfleger blickte zu Gary und Sophie Er tauschte mit ihr einen bedeutenden Blick. Sein Schützling ließ sich davon nicht beirren, er hatte das Gesicht verzogen, rang mit den Händen und redete weiter, wusste sich nicht anders zu helfen in seiner Verzweiflung, weil keiner ihm zuhörte, es keinen zu interessieren schien, wie wichtig es war, dass er zu seinem Zwillingsbruder zurückkam. Währenddessen rückte die Schlange weiter vor. Gary trat einen Schritt nach vorn und verschränkte die Arme, während er weiter lauschte, wie der Rothaarige sich den Mund fusselig redete. Er konnte sich vorstellen, dass es die Pfleger nicht mehr wirklich berührte, aus welchen Gründen die Toten unbedingt zurückwollten, nein, mussten. Doch er selbst fühlte so sehr mit dem sommersprossigen Zwilling mit, er konnte mehr als nur ahnen, wie sehr es ihn zerriss, von seinen Lieben getrennt zu sein. Und plötzlich traf ihn die Erkenntnis und er sog scharf die Luft ein. Er würde nie zurückkehren. Er würde sie nie wieder sehen. Gary merkte nicht, wie er zu Boden ging. Er merkte nicht, wie sich Sophie und der Pfleger des Zwillings neben ihn knieten, wie dieser aufhörte zu reden und ihn anstarrte, er spürte nicht, wie sich seine Finger in sein Haar krallten, die Fingernägel über seine Schläfen kratzen. Er öffnete den Mund zu einem stummen Schrei. Vor seinem geistigen Auge sah er ihre lachenden Gesichter. Mum, Dad, Katie, Grandpa und Grandma, Onkel Theodore… Alice. Er verlor den Halt und schlug unsanft auf dem Steinboden auf, doch er spürte es nicht. Er sah nur ihr Lachen, den Schalk, der so oft in ihren Augen blitzte, fühlte ihre Hand, die ihm das Haar zerstrubbelte. Und er fragte sich, wer gerade wen für immer verlassen hatte, wer mehr trauerte, die Toten oder die Lebenden. Er würde sie nie wieder sehen. „Gary.. Gary..! GARY!“ Klatsch. Der große Pfleger hatte ihm eine Ohrfeige verpasst. Er nahm die Hände von den Schläfen und richtete sich auf. Gary hatte nicht einmal bemerkt, wie er sich auf dem Boden zusammengerollt und leise gewimmert hatte. Der Pfleger zog seine Hand zurück, mit der er ihn hochgezerrt und ihm eine verpasst hatte, doch sein Blick blieb wachsam. Sophie legte eine Hand auf seinen Arm. „O mein Lieber, es ist hart, ich weiß, aber du kannst es nicht ändern. Nun komm, wir-“ Sie verstummte, als Gary ihr seinen Arm entriss und von ihr wegrückte. „Sie.. sie haben keine Ahnung, sie-“ Er würgte und brach ab. Der Schmerz, der eben in seiner Brust aufgelodert hatte, breitete sich langsam und dumpf pochend auf seinen Körper aus wie ein lähmendes Gift, infizierte seine Muskeln, schnürte ihm die Kehle zu. Er schluckte, hustete, bekam keine Luft. Sie war fort. Für immer. Gary spürte, wie sich sein Kiefer anspannte, wie sich sein Gesicht verzerrte im stummen Leid, er hätte schreien mögen doch hätte er keinen Laut hervorgebracht. Eine Hand erschien in seinem Blickfeld, sie gehörte dem Zwilling. Er sah auf und blickte in hellblaue Augen, die seinen Schmerz zu teilen schienen. Er zögerte, ergriff die Hand und ließ sich hochhelfen. Jähe Sympathie für den rothaarigen jungen Mann ergriff ihn. Ja, im Grunde waren sie wie Zwillinge gewesen. Mehr. Das Wort „Freundschaft“ wäre eine Beleidigung für das Band gewesen, dass sie beide verknüpfte, dieses unzerstörbare Band, das so scharlachrot aus all den anderen hervorstach, dass sich gegen das unschuldige Weiß der Freundschaft abhob, das so viel mehr war als eine Seelenverwandschaft. Es war stärker. Es war spürbar. Wenn er allein in seinem Zimmer gesessen hatte, wie an so vielen Abenden, so wusste er, er war allein im Haus, doch nicht einsam, er hätte sie Greifen können, diese seidene Schnur, die sie über Kilometer hinweg verband, er hätte sie nur streifen müssen und er hätte gewusst, sie war da und dachte an ihn. Und er war ihr so unendlich dankbar, und wie eine heiße Woge durchströmte ihn die Dankbarkeit, als er sich ihr Gesicht vor Augen rief, seine innige Zuneigung vertrieb das Gift, ritt auf dem Vertrauen an die Front und bekämpfte die Trauer, den Schmerz. Sie war fort, und doch war sie da, und er griff in die Leere und fühlte doch das Band, er hielt es ganz fest und genoss die wohlige Wärme. Sie war nicht fort. Sie war immer da, wenn er sie brauchte. Nur entfernt merkte Gary, wie etwas an seinem Ärmel zupfte. „Gary, wir sind dran.“ Er öffnete die Augen, er sah Sophies besorgtes Gesicht und sein Ausbruch tat ihm unendlich Leid. Da hatte er Sophie, die gute Sophie, die er seit nicht mal einer Stunde kannte, angefahren und verspottet, nur, weil er tot war und damit nicht klar kam. Sophie, die sich seiner angenommen hatte und ohne die er aufgeschmissen gewesen wäre. Er lächelte zerknirscht und folgte ihr an das große Pult vor den Toren. to be continued... P.S.: Wer errät, welcher doch recht berühmte Zwilling da vor Gary in der Schlange stand, kriegt.. ähm.. einen Flauscher :3 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)