Tabu von Schneefeuer1117 (One Shots für Harry Potter RPGs) ================================================================================ Kapitel 5: Ich wache über dich ------------------------------ „Raymond. Komm da runter.“ Der Blonde schnalzte mit der Zunge und hob eine Augenbraue, die Füße neckisch übereinander schlagend. „Warum?“, fragte er und Laurence antwortete prompt: „Weil das Sitzen auf den fahrenden Treppen verboten ist.“ „Immer die gleiche Leier. Fällt dir nichts Neues ein?“ „Regeln werden nun einmal nicht neu erfunden, Raymond.“ Ein tiefer Seufzer entfuhr dem Blonden und er legte den Kopf schief, noch immer das spitzbübische Grinsen auf den Backen. „Doch, das werden sie. Von den Kreativen. Von Leuten wie mir. Du hingegen ...“ Ehe er weitersprechen konnte, unterbrach ihn Laurence ruhig, aber mit steigendem Unwohlsein: „Raymond. Ich bin Schulsprecher. Zur Not werde ich dir Punkte abziehen.“ „Oh? Deinem eigenen Haus?“ „Du weißt, ich gebe nichts auf Häuser.“ „Aber auf Regeln.“ „Ja. Und auf die Einhaltung. Also runter nun.“ „Worum geht es dir hier wirklich, hm, Cousin?“ Raymonds Gesicht wurde ernst und er rutschte von dem Treppengeländer. Die magische Treppe setzte sich ruckartig in Bewegung, als habe sie nur darauf gewartet, dass der ungebetene Gast sich endlich entfernte. Raymond lehnte sich an das Geländer, während er Laurence Gesicht musterte. „Um die Einhaltung der Regeln? Oder um einen Sieg über mich, hm?“ Er sah, wie die Pupillen seines Cousins kleiner wurden, die eisblauen, kalten Augen verengten sich und Raymond sehnte sich nach den eigentlich warmen, braunen Augen – warum nur diese farbigen Kontaktlinsen? Brille stand ihm eh viel besser... „Also? Ich warte...“ Doch anstelle einer Antwort, ging ein Ruck durch die Treppe und Laurence stand eine Weile unschlüssig vor dem Blonden, das Gesicht verzogen zu einer Miene aus Stahl und hob dann eine Hand. „Fünf Punkte Abzug für Ravenclaw, dass du dich den Regeln widersetzt hast, Carrow.“ Und kaum hörbar flüsterte Laurence: „Und fünf Punkte Abzug für Missachtung meiner Gefühle.“ Letzteres würde niemals auf dem Stundenglas erscheinen. Ein kurzer Blick. Blau traf auf Blau. Eis auf Feuer. Liebe auf Hass. Dann war alles vergangen. ~*~ „Wie oft muss ich es noch wiederholen?“ „So oft, bis ich es verstanden habe, schätze ich.“ „Du bist unverbesserlich!“ „Nun, so scheint es wohl. Damit stehe ich dir in nichts nach, wie?“ „Raymond! Nicht in diesem Ton!“ „Sonst was, eh? Noch mal Abzug? Auf der großen Tafel oder auf deiner persönlichen Liste, hm? Du missbrauchst dein Amt echt, Amy, das sieht dir gar nicht ähnlich. Willst du mir nicht erzählen, was los ist?“ „...“ „Gut. Ich bin da, das weißt du.“ „...“ „Amy?“ „Hm?“ „Du hast vergessen, mir die Hausaufgaben zu geben.“ „... Mach sie selber, faules Aas.“ ~*~ Laurence sank in sich zusammen, als die Tür zum Schlafsaal zufiel. Es war niemand da, niemand, der ihn beobachten konnte, niemand, der ihn verurteilen konnte, niemand, der auch nur einen Blick auf das zerrüttete Wesen des Laurence Amycus Carrow werfen konnte. Sein Atem ging schwach, doch stoßweise. Er hatte das Gefühl, kaum richtig Luft zu bekommen, dass seine Lungen sich bei jedem Atemzug zusammenzogen und etwas sich so eng um sie schlang, dass es ihm den Atem nahm. Die Pflicht? Der Hass? Der Zorn? Nein. Nein, es waren die Worte, die Raymond gesagt hatte. Die ihm immer wieder durch den Kopf schossen, ihm Nachts den Schlaf nahmen und Tagsüber nicht zur Ruhe kommen ließen. Die jede Sekunde seiner eh bemessenen Zeit in Anspruch nahmen und ihn zerschmetterten. Ein Sieg über seinen Cousin? Wozu? Warum sollte er das wollen? Er hatte kein Bedürfnis, sich mit Ray zu messen. Nicht, weil er es nicht gekonnt hätte oder weil er Angst vor Konfrontationen hatte, nein, es war die Beziehung, die ihm Sorgen machte. Die Beziehung zu seinem Cousin. Ah. Er liebe ihn aufrichtig. So, wie man einen Bruder lieben würde, würde man einen haben. Ray und er waren zusammen aufgewachsen. Hatten ein Bett geteilt. Laurence lächelte und es sah gequält aus, als er sich im Spiegel betrachtete. Schon damals hatte er stets versucht stark zu sein und war an Rays Stärke zerbrochen. ~*~ „R-Raymond?“ „Heya Amy. Alles gut soweit? Wo sind Mum und Dad?“ „Weg. Eine Versammlung.“ „Aha. Was ist los? Du bist so ruhig.“ „Ich … ich habe Angst, dass … dass sie nicht wiederkommen, Ray.“ „Hey... Warum sollten sie nicht wiederkommen?“ „Die anderen sind auch nicht wiedergekommen.“ „Du meinst Onkel Amycus? Und meine Mum? Das war … etwas anderes. Bleib ruhig so ruhig. Mich stört es nicht.“ „A-Aber … hast du denn gar keine Angst?“ „Warum sollte ich denn? Ich habe doch dich! Solange du da bist, kann mir gar nichts passieren. Ich habe dich. Mehr brauche ich nicht. Du bist mein Bruder. Jedenfalls fast. Und Brüder halten zueinander, egal, was passiert! Mum und Dad kommen schon wieder.“ „Und was, wenn nicht?“ „Dann … dann haben wir immer noch uns, oder nicht? Zählt das gar nicht, Laurence?“ „Doch... Doch, schon!“ „Bist du immer noch nicht beruhigt?“ „... Hm … Nein, aber mir geht es jetzt besser. Danke.“ „Naaa, nicht dafür. Das tun Brüder füreinander!“ „Und was wäre, wenn wir keine Brüder wären? Sind wir im Grunde ja auch nicht, oder?“ „Doch, natürlich sind wir das! Da drin! Im Herzen!“ „Aha.“ „Das verstehst du noch nicht, hm?“ „Doch, schon...“ „Aber wenn wir keine Brüder wären, dann … dann wären wir richtig dicke Freunde! Und ich würde dich immer noch lieb haben und dich beschützen. Immer, Laurence, immer.“ „Ich brauche nicht beschützt werden. Das kann ich selber.“ „Haha, ich weiß! Irgendwann wirst du einmal auf mich aufpassen, nicht wahr?“ „Ja, klar! Irgendwann...“ „Geht es dir jetzt wieder gut?“ „Jah … Du?“ „Hm?“ „Kann ich heute Nacht bei dir schlafen?“ „Hm … Jah. Naja, auch das tun Brüder wohl füreinander...“ ~*~ Was hatte sich verändert? Was war geblieben von der einstigen Vertrautheit? Warum traute ich Raymond nun nicht mehr über den Weg? War es die eigene Unsicherheit? War es der Unwille, sich jemandem anzuvertrauen? Die Unfähigkeit, Freundschaften zu schließen? Das vererbte Misstrauen, die verdammte Einsamkeit und das Erbe unseres Namens? Aber warum war Raymond dann nicht so? Ah, mein Kopf begann zu schmerzen und ich legte mich aufs Bett, die Augen gen Himmel gerichtet. Er war blau. Wolkenfrei. Gab den Blick auf höhere, weitere Sphären frei, welche die Menschen nicht erreichen konnten. Noch nicht. Irgendwann würden sie es können. Irgendwann... Ich hatte mir an meinem 11. Geburtstag geschworen, nie wieder schwach vor Raymond zu sein. Nie wieder Schwäche vor irgendjemandem zu zeigen. Meiner Mutter ein guter Sohn zu sein und meinem Vater ein guter Erbe. Mein Vater... Todesser Amycus Carrow. Gehasst, gefürchtet, verurteilt. Wie lange er wohl noch aushalten würde, in Askaban? Man sagte, selbst die Hölle sei ein gnädigerer Ort als dieser. Oder waren das nur die Märchen, um Kinder zu verschrecken? Amycus Carrow. Ein Bestandteil meines eigenen Namens, der ganze Stolz der Linie. Schon im Ansatz hatte ich versagt. Hatte ich mir stets zu viele Gedanken gemacht, mich stets zu viel gesorgt, mich stets in etwas hineingesteigert, was ich niemals würde erfüllen können: die hohen Ansprüche meiner lieblosen Mutter. Ich hatte versagt. Ich war kein Slytherin geworden wie meine Eltern. Wie der große Todesser Amycus Carrow und seine Frau Abigail. Wann hatten sie wohl geheiratet? Wie hatten sie Zeit für ihre Liebe gefunden? Ob sie sich überhaupt geliebt hatten? Es hieß, mein Vater war ein grausamer, verrückter Mann gewesen, der nur Augen für den Dunklen Lord oder seine eigene Schwester hatte. Alecto Carrow. Ebenso grausam. Ebenso gefürchtet. Und ebenso verdammt in einer nie enden wollenden Hölle zu leben. Die Mutter meines Cousins, meines Freundes Raymond Alecto Carrow. Und auch hier der doppelte Name, der Wunsch, man könne die Linie der Carrows aufrecht erhalten. Der Wille, man würde etwas Großes schaffen. Der Glaube, man könne dem dunklen Lord auch im Tode noch dienen. Doch was brachte uns das, mir und Raymond? Wir kannten weder den dunklen Lord, noch die Umstände, die unsere Eltern dazu brachten, sich ihm zu verschreiben. War es Angst? Hass? Gier? Die Macht? Oder war es Zwang? Meine Mutter war sehr stolz auf ihre Herkunft. Auf ihr reines Blut. Ich hatte nie viel damit anfangen können, mit der Reinblütigkeit. Der Stammbaum ging weit in die Jahrhunderte zurück – das einzig interessante daran. Es wurde von mir verlangt, dem Namen Carrow alle Ehre zu machen. Und ich hatte versagt. Slytherin … nein, das war weit entfernt. Ich war keine Schlange. Mein Haus war das des Adlers, des freien Stürmers, der dem Himmel entgegen strebt. Nach Freiheit, Weisheit und Güte strebend, niemals zurückblickend auf das, was geschehen ist und niemals vorausschauend auf das, was noch geschehen wird. Die Gegenwart, die zählte. Doch wer war ich, dass ich die Tradition brechen durfte? Meine Mutter... Ihre Augen waren kalt, voller Härte und ohne jegliche Emotionen. Onkel James stand neben ihr, Raymond neben mir selbst. Ich hatte ihn an der Hand fassen, mich hinter ihm verstecken wollen und doch hatte ich mich vor ihn gestellt. Hatte meiner Mutter ernst ins Gesicht geblickt und hatte damals gesagt: „Mutter. Es ist keine Schande, ein Adler zu sein. Ich bin stolz darauf. Ich wäre gerne eine Schlange geworden, doch ich bin es nicht. Wirst du mich so akzeptieren und mit vergeben?“ Doch meine Mutter hatte nichts erwiderte. Die Ohrfeige brannte auch Jahre danach unbarmherzig ein Loch in mein Herz. Die kalten Augen hatten auch für einen Moment auf Ray gelegen, der unter ihnen erbleichte. Warum? Er war so stark. Er hatte das Herz eines Löwen, den Verstand eines Adlers und den Geist eines Dachses. Er war noch so viel weniger Schlange, als ich selber. Noch so viel liebenswürdiger, begehrenswerter. Onkel James hatte Abigail beruhigt. Er hatte es irgendwie geschafft, dass wir alle an dem Abend zusammen aßen. Niemand sagte ein Wort, ehe Raymond das Zepter in die Hand nahm, und nach seiner Mutter fragte. In dem Moment schien die Welt stillzustehen. Wir, die Cousins aus dem Hause Carrow, wir, die wir verdammt sind, die schwarzen Schafe, die Sünder zu sein, wir wollten um jeden Preis noch immer zu dieser Familie gehören. So kalt und unfamiliär sie auch war, wir liebten sie. Wir lieben sie noch immer. Meine Mutter hatte nichts gesagt und James einen Blick zugeworfen. Trotz der Jahre, in denen sie uns zusammen aufgezogen und uns gute Eltern gewesen waren, waren sie einander niemals näher gekommen. Aus Angst? Aus Respekt? Oder liebten sie ihre inhaftierten Partner wirklich? Mein Onkel hatte seinen Sohn lange angeschaut und gesagt: „Raymond. Deine Mutter ist sehr krank und unglücklich, dort, wo sie jetzt ist. Wir können sie nicht mehr besuchen fahren. Es wird … Sie wird dich nicht mehr erkennen, wenn wir erst dort sind.“ Ich weiß noch, dass ich Raymond in dieser Nacht habe weinen hören. Vielleicht war es der Tag, an dem wir uns unweigerlich von einander trennten? Ich konnte nicht weinen. Ich verspürte nicht den Drang, nicht den Wunsch. Tante Alecto … ich kannte sie nicht, ebenso wenig, wie meinen Vater. Natürlich war ich traurig. Und natürlich hätte ich weinen wollen, doch ich konnte nicht. Etwas war in dieser Nacht in Ray zerbrochen. Ich kann es heute nicht mehr sagen, was es war, doch ich habe es in seinen Augen gesehen. Ab und an sehe ich diesen Schimmer auch heute in seinen unendlichen Augen liegen. Obwohl ich versuche, so zu sein wie er, meine Augen den seinen anzupassen, mich so zu verhalten, wie er – selbstbewusst, stark und meinen eigenen Weg suchen – kann ich nie so sein, wie er. Raymond kann weinen. Er kann toben. Lachen. Schreien. Wüten. Aber er könnte niemals töten. Er ist ein guter Mensch, ein wahres schwarzes Schaf und deshalb … deshalb muss ich ihn beschützen. Das wollte ich schon immer, das musste ich schon immer. Vielleicht habe ich ihn früher dadurch beschützt, dass ich so schwach war? Vielleicht konnte er dadurch stärker werden? Stärker erscheinen, als er wirklich war? Ich sehe es in seinen Augen, immer wieder, er ist zerbrechlich. Die Kämpfe, die wir austragen, die finden nicht so statt, dass andere sie bezeugen könnten. Sie finden in unserem Herzen statt. Ray kämpft damit, seine Mutter nicht zu kennen. Er kämpft mit seinen Emotionen, mit seiner Liebe, mit seiner Wut. Ich dagegen kämpfe um die Anerkennung meiner Mutter, ignoriere meine Emotionen, empfinde keine Liebe oder Wut und mein Vater … ich vermisse ihn. Oft frage ich mich, ob er anders ist, als meine Mutter. Ob er wärmer ist, ob er lieber ist. Ob er ein richtiger Vater ist. Aber immer wieder führe ich mir vor Augen, wer mein Vater ist … oder bestenfalls war: ein Todesser. Ein Schwarzmagier. Ein Anhänger Lord Voldemorts. Ein düsterer, grausamer, brutaler Magier, der vor nichts zurückschreckte, um die Gier nach Macht und Einfluss zu befriedigen. Er kämpfte im großen Krieg, benutzte schutzlose Kinder als Schild und floh, bevor ihn der Tod ereilen konnte. Wie kann man so einen Menschen lieben? Wie kann ich das Kind eines solchen Menschen sein? Es gibt nur eine Erklärung: irgendwo, tief in mir drin, fühle ich genauso wie er. Ich fühle den Drang, etwas Besonderes zu vollbringen. Ich spüre die Anziehungskraft der Macht und des Verbotenen. Ich … ich bin anders, als Raymond. Wir sind absolut gegensätzlich. Er hat sich mit seiner Position als schwarzes Schaf abgefunden, während ich verzweifelt versuche, mich reinzuwaschen. Doch von was? Von meinem wahren Wesen? Ah, der Kopf beginnt zu rotieren. Mir wird schwindelig. Ich höre, wie die Tür aufgeht, doch der Schlaf hält mich in dem Moment gefangen, als ich die Augen schließe. ~*~ Die Stärke eines anderen war stets schwer einzuschätzen. Man wusste nicht genau, worauf man sich einließ, wenn man jemand Größerem gegenüberstand. Gewicht, Masse, Muskeln … das alles spielte eine Rolle. Aber vor allem die Geschwindigkeit. Ich pustete mir eine der goldenen, jetzt ein wenig verklebten Haare aus dem Gesicht und reckte den Mittelfinger empor. „Komm schon!“ Schmerz explodierte in meinem Kopf, knapp unter der Schläfe und die Schwärze griff so bekannt nach mir, dass ich mich fallen ließ. Feigling. Ich bin ein Feigling. Ich beneide Laurence für seine Geradlinigkeit, für seinen Ehrgeiz, für sein Pflichtbewusstsein. Ich könnte das nicht. Ich laufe eher weg, als dass ich mich einer Schwierigkeit stelle. Als dass ich mich dem Unerwarteten wirklich stelle. Wozu auch? Die Vergangenheit hat gezeigt, wie dumm dieses Verhalten ist. Ich bin weder ein Held, noch ein Märtyrer. Und erst recht kein Antiheld. Laurence hat schon recht, wenn er mit mir schimpft. Er hat im Grunde immer Recht, wenn es um Regeln, den Glauben oder die Moral geht. Es gibt nichts, was er nicht kann, er versucht alles, um anderen zu beweisen, wie gut er ist. Und dass er gut ist, das weiß ich. Unglaublich gut. Die Schule … auch, wenn ich nur halb so viel lernen würde wie er, ich würde genauso gute Noten schreiben, weil ich ein Naturtalent bin. Aber ich ruhe mich auf Erfolgen aus. Ich trainiere und lerne nicht, ich bilde mir auf meine Auszeichnung als Naturtalent etwas ein. Ich faulenze lieber, träume, stelle Sachen an, alles, nur um nicht auf dümmere Gedanken zu kommen. Ich beneide ihn. So sehr, dass mich der Neid aufzufressen droht. Seine kühle Arroganz. Ihn scheint nichts zu verletzen. Die stoische Gelassenheit. Man kann ihn angreifen wie man will, er fährt nicht aus der Haut. Und die Augen. Laurence hat Augen, die einen umbringen können. Von innen nach außen. Sie lassen einen erfrieren, so kalt sind sie, und im gleichen Moment trocknen sie einen von innen aus, so warm sind sie. Er ist ein Wechselbad und dennoch gleichbleibend. Er schafft einen Spagat, den ich niemals schaffen würde. Ich bin lieber ich selbst. Bin lieber das Wechselbad, das immer heiß ist. Ich lasse mich lieber provozieren, gehe lieber auf Spiele der anderen ein und das, ja, das ist der Unterschied. Spiele. Ich liebe sie. Ich kann nicht ohne sie, Spiele sind das A und O. Laurence hingegen … er verabscheut Spiele. Wetten. Karten. Brettspiele. Frauen. Selbst als diese Klatschspiele modern waren, vielleicht in der zweiten Klasse, hat er nur abschätzig eine Braue gehoben. Weshalb das wohl so ist? Hat er Angst, seine kühle Maske zu verlieren? Hat er Angst seinem Namen nicht zu entkommen? Er ist in all seiner Intelligenz, in all seiner Klugheit unglaublich dumm. Er glaubt, dass der Name Carrow ihn zu etwas verpflichtet. Dazu, das Erbe eines dunklen Magiers anzutreten. Aber die dunklen Zeiten sind vorüber, er braucht keine Angst zu haben. Wenn ich ihm das sagen würde, würde er es mir glauben? Hmpf. Nein, vermutlich nicht. Er glaubt nur noch das, was er fassen kann. Was er logisch berechnen kann. Was in den geschichtlichen Aufzeichnungen steht. Irgendwie logisch, dass jemand wie er immer für alles eine Erklärung braucht. Aber gerade deshalb liebe ich ihn. So sehr, wie ich einen Bruder nur lieben kann. Es wäre nicht fair, ihn dafür zu verurteilen, anders zu sein als ich. Das ist gut so. Ich bin das schwarze Schaf. Wenn es ihm hilft … Wenn es ihm hilft, würde ich alles tun, damit er mich hasst. Damit er sich von den Freveln reinwaschen kann. Damit er nicht mehr leiden muss. Damit er seinen eigenen Erwartungen gerecht wird. ~*~ „Mensch, Amy... Lass doch gut sein, eh?“ „Das … Du siehst schrecklich aus.“ Raymond lachte unbeholfen, was schließlich in ein Röcheln überging. Sanft fanden seine Finger den Weg auf die Schulter seines Cousins, wo sie warm und ruhig lieben blieb. Wie ein Fels in der Brandung. „Das nenne ich mal … ein charmantes Kompliment.“ Das Grinsen schlich sich auf seine Züge. „Wenn du … so weitermachst, dann liegen dir die Mädels … bald echt zu Füßen!“ „Du solltest nicht so scherzen. Cameron hat dich übel erwischt.“ „Cameron! CAMERON! Du solltest dich mal hören!“ Raymond klang wütender, als er beabsichtigt hatte und er drehte den Kopf so, dass Laurence ihn von seiner Position aus nicht mehr sehen konnte. Das Gesicht war von Schatten verdeckt, als Ray weiterredete: „Nennst diesen Arsch schon beim Vornamen. Der hat dich vorgeführt! Den Namen Carrow beschmutzt.“ Ruckartig drehte sich der Kopf zu Laurence und er konnte sehen, wie seinem Cousin die Bewegung kurzzeitig die Lichter ausschaltete. „Ich sorge dafür, dass dieses Arsch blutet, glaub mir.“ „Das ist das Problem. Ich glaube dir. Du machst nichts, verstanden?“ Ein Grinsen. „Kla. Verstanden.“ „Raymond! Ich meine es ernst.“ „Jah doch. Ich verstehe ja schon … Ich … mache nichts.“ „Hm.“ „...“ „Schlaf jetzt. Ich komme später noch einmal.“ ~*~ Ja. Ich liebe ihn. So abgöttisch, dass es an Dummheit grenzt. Er darf sich alles erlauben, darf mich behandeln, wie er will, mich treten, bestrafen, töten – ich würde ihm alles vergeben. Alles. Vor meinen Augen verschwimmt alles, als ich sie schließe, um ein wenig zu schlafen. Dämlicher Idiot. Er ist zu weich. Zu leicht zu zerbrechen. Er will keinen Streit, keinen Ärger. Aber das steht in Konflikt mit seinen Genen – und mit mir. Laurence. Amy. Jah, mein Amy. Würdest du mich hergeben, wenn das dein Weg in die Ahnenhalle wäre? Würdest du mein Wohl für deines Opfern? Ah, was frage ich so dumm. Niemals. Wir gehören zusammen. Ich habe dich immer beschützt, du hast mich stets beschützt. Wir haben uns die Liebe gegeben, die Mutter und Vater nie für uns übrig hatten. Wir sind wie Brüder. Nur noch viel mehr. Würdest du das, was du am meisten liebst, für den Regen opfern, der dich von allem reinwäscht? Würdest du das, was du am meisten liebst, leichtfertig wegwerfen, um nie wieder dreckig zu werden? Würdest du mich wegwerfen, opfern? Sag, Laurence, würdest du? „Nein.“ Ich schrecke auf. Mein Kopf pocht, die Gedanken drehen sich. Ich schaue träge zu meiner Seite und sehe in die wärmsten braunen Augen, die Gott je geschaffen hat. Ich lächle. Scheiße, habe ich etwa Zähne verloren? Laurence sitzt neben mir, hat wohl bis eben geschlafen. Er ist ein Morgenmuffel, ich weiß. Man sollte ihn niemals vor der Zeit wecken und dennoch sitzt er hier, auf den ernsten, kühlen Zügen ein ungeahnt sanftes, liebevolles Lächeln. Die warmherzigen Augen drohen mich beinahe zu verschlucken. „Ich würde dich niemals hergeben, Ray, glaub mir.“ Mir steigen die Tränen in die Augen. Warum? Ich habe keinen Grund zu weinen. Oh. Doch. Ich bin glücklich. Ich glaubte, dass ich mich auf ihn verlassen kann, immer. Aber glauben ist etwas vollkommen anderes als wissen. Nun weiß ich es. Nun werde ich nie wieder Zweifel an ihm aufkommen lassen. Haha, naja, solange eben, bis er mir das Gegenteil beweist. „Ich weiß. Eigentlich.“ „Ray. Weißt du noch? In der einen Nacht?“ „Es gab viele Nächte...“ „Dummkopf. Du weißt es.“ „...“ „Ich gab dir damals ein Versprechen.“ „Ja?“ „Ja. Dass ich auf dich aufpassen würde. Irgendwann. Der Tag ist jetzt gekommen. Ich löse dich jetzt ab. Irgendwann musste der ja mal kommen. Du wartest schon viel zu lange.“ „...“ „Und, Ray?“ „Hm?“ „Du bist kein schwarzes Schaf. Du bist nur das Grauste unter den Carrows. Mum und Dad können stolz auf dich sein. Auf deine Stärke.“ „Aber sie sind es nicht.“ „Vielleicht ja doch?“ „Ich glaube nicht. Außerdem bin ich nicht stark. Ich beneide dich für die Stärke, die du beweist, Laurence. Stoisch schaust du über alles hinweg … Warum kannst du das?“ „Weil ich … anders bin als du, Ray.“ „Hm...“ „Ich bin genauso wenig stark, wie du schwach bist, Ray. Wir halten einander für stark, weil wir einander beneiden und lieben. Wir wissen nicht, was nun eigentlich überwiegt: der Neid, über die Stärke oder die Liebe, für die Schwächen des anderen. Ich weiß, wie es dir da geht. Ich bin neidisch auf deine Ignoranz, auf deine Wärme, deine Liebe. Auf deine Geduld, dein Temperament, auf deine Gefühle, auf deine Tränen. Nein, wisch sie nicht weg. Sie stehen dir. Du bist Leidenschaftlich. Emotional. Das bist du, Ray, und ich liebe dich so, wie du bist.“ „Das war … viel Gesülze für einen Tag, oder?“ „Hm. Schlaf jetzt.“ Ein Grinsen. „Kriege ich noch einen Gute-Nacht-Kuss?“ Laurence grinste auch. „Nein. Du bist doch schon ein großer Junge.“ Trotzdem fuhren die Fingerspitzen des Dunkelhaarigen sanft durch die goldfarbenen Haare und hinterließen das Gefühl eines Kusses. Nur sehr viel intimer. Sehr viel … ehrlicher. „Ich hab dich lieb, Bruder“, raunte Raymond und Laurence Stimme klang gewohnt ruhig, gewohnt streng: „Genug jetzt. Schlaf endlich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)