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Tabu

One Shots für Harry Potter RPGs
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Meine liebe Moony,
zu deinem Geburtstag alles Gute ♥ Ich hoffe, die kleinen Episoden sagen dir zu, auch wenn es nicht viel ist und ich an einigen Stellen sehr unzufrieden bin, ABER es musste raus und es fühlt sich gut an, es dir endlich überreichen zu können :D

Akt I: 12 Jahre / 13 Jahre
Akt 2: 15 Jahre / 16 Jahre
Akt 3: 17 Jahre / 18 Jahre
Akt 4: 20 Jahre / 21 Jahre
Akt 5: - heute - Komplett anzeigen

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Straßenkinder

AKT I

„Du wertloser Bastard! Wieso musstest du genauso werden wie ER?! Deine Augen..! Dein Gesicht..! Du bist widerlich! Niemand wird dich je lieben, NIEMAND! Du bist genauso verkommen wie dein verschissener Bruder!“

Mit bebenden Lippen und Schultern ließ Abel den Ausbruch seiner Mutter über sich ergehen. Ihre kraftlose Statur machte ihm Sorge, doch die Worte trafen so tief, waren so schmerzhaft, dass sie die Sorge um die eigene Mutter zerfraßen.

wertlos – genauso wie er – Augen – Gesicht – widerlich – Niemand wird dich je lieben – verkommener Bruder

Abel ballte die Hände zu Fäusten, biss sich auf die Unterlippe, bis der metallische Geschmack von Blut ihn beruhigte – Schmerz durchzuckte seine Lippe und hektisch blickte er auf, die Tränen in den Augenwinkeln wegblinzelnd. Niemals wieder würde er weinen, das hatte er Cain versprochen.

Er sah die Hand zu spät.

Brennende Qual breitete sich in seinem Brustkorb aus und zerriss das Band zwischen Sohn und Mutter. Erschrocken befühlte er sich die pochende Wange, wich einen Schritt zurück, als der nächste Schlag kommen sollte. Seine Mutter schrie, stolperte, fiel und blieb regungslos liegen.

Sie hatte ihn geschlagen. Sie hatte ihn wirklich geschlagen! Verzweiflung wollte ihm die Kehle zuschnüren, doch er ließ es nicht zu. Stattdessen griff er nach den Schultern seiner Mutter, zog sie auf die Beine, leise „alles wird gut“ auf ihr Wimmern murmelnd und half ihr zum Sofa, bettete sie darauf, zog ihr die Decke bis ans Kinn und küsste sie auf die Stirn.

Sie konnte nichts dafür. War ein Opfer der Gesellschaft geworden, hatte sich der Erlösung hingegeben, die Drogen und Alkohol versprachen und war zu schwach, um sich all den Widerständen entgegen zu stellen. Sie war nicht wie Cain.

Dennoch schmeckten all diese vertrauten Gesten bitter, fühlten sie sich an wie Verrat. Doch Verrat an wem? An was? An sich selbst? Oder an der Frau, die bleich unter der mottenzerfressenen Decke lag?

„Abel?“

Abel wirbelte herum und sah sich seinem großen Bruder gegenüber, der – blaues Auge und aufgeplatzte Lippe – ihn prüfend musterte. „Was ist passiert?“ Eine Frage, die er genauso gut hätte stellen können, nicht wahr? Verrat an wem? – Niemand wird dich je lieben.

Abel atmete tief durch und zauberte von irgendwoher ein schiefes Lächeln auf die pochende Unterlippe. „Etwas, worum du dir keine Gedanken machen musst. Komm. Lass uns eine Runde trainieren.“

Die Skepsis in Cain war erwacht, doch Abel ignorierte den weiteren Blick, schlug ihm im Vorbeigehen auf die Schulter und ging nach draußen in den Vorgarten, wo die Brüder bis spät in die Nacht Schläge übten. Jeder Schlag mehr war eine Befreiung, war eine Antwort auf die Frage nach dem Verrat an wem und eine Erwiderung auf Gift und Zweifel.

Sollte ihn die gesamte Welt auch hassen – seine Augen, sein Gesicht, ihn selbst – so wusste er doch, dass ein Mensch ihm reichte und dass dieser eine Mensch ihn bedingungslos liebte.
 

Akt II

„Schau ihn dir an, Susan, ist er nicht wundervoll?“

Abel bekam eine Gänsehaut und schaute vorsichtig zu seiner Mutter, sein Mund plötzlich ungemein trocken. Nervös drehte er das Wasserglas in seinen Händen und Besorgnis schlich sich Magenschmerzen gleich durch seinen Bauch. Die Whiskeyflasche auf dem Kaffeetisch war mittlerweile leer und der Geruch von Alkohol lag in der Luft zwischen den beiden Frauen.

„Dieses süße Gesicht wird irgendwann einmal irgendwen sehr glücklich machen.“ Seine Mutter griff nach seinem Kinn und seinen ersten Instinkt, den Kopf wegzuziehen, unterdrückte er geradeso. Sein Blick flatterte zu Susan – irgendeine der ständig wechselnden Bekanntschaften seiner Mutter, deren gierige Augen mehr als tausend Worte sagten. Die Besorgnis verwandelte sich in nagende Kälte; was lief hier?

Die spinnenartigen Finger seiner Mutter klammerten sich um seinen Kiefer und sie küsste ihn auf die Wange, mehrfach, ehe sie ihren Kopf vertraut auf seine Schulter legte. Reflexartig legte er einen Arm in ihren Rücken, gab ihr den Halt, die Geborgenheit, nach der sie suchte und hörte ihr wohliges Seufzen. Abermals spannte sich eine Gänsehaut über seinen Rücken und sein Blick wurde leer. Was verdammt lief hier?

„Weißt du, er hat sehr gute Noten, ist sehr klug und wird sicherlich nach der Schule studieren, oder, Abel?“

„Jah.“

„Und dann verdient er ganz viel Geld als Banker oder Geschäftsführer oder Politiker, oder, Abel?“

„Jah.“

„Und dann, weißt du, Susan, dann haben wir genug Geld für das Haus an der Küste und ich kann mir den Ring kaufen und das Auto und…“

Es ging ewig so weiter. Abel nickte nur apathisch und hörte den Gründen seiner Mutter gar nicht mehr richtig zu. Sie suchte immer wieder nach seiner Hand und er ließ zu, dass sie ihre Finger ineinander verschränkte, sich wieder freikämpfte und erneut nach ihm griff. Es kam ihm symbolisch für ihre Beziehung vor und eine unheimliche Müdigkeit ergriff urplötzlich von ihm Besitz.

„Mum, ich muss los …“

„Was? Jetzt schon? Aber Susan hat dich doch noch gar nicht tanzen sehen!“

Abel spannte sich an und blickte zu seiner Mutter, ein wenig Abstand zwischen sie beide bringend. „… Tanzen?“, echote er tonlos und langsam schaute er zu Susan, die eifrig nickte und deren Blick einem Angst machen konnte. Er öffnete den Mund, schloss ihn jedoch sofort wieder. War es das, was sie ihren Freundinnen erzählte? Dass er eine Tanzschule besuchte und tanzen konnte? Die dunklen Augen flatterten zurück zu seiner Mutter, eine stumme Bitte in ihnen zu sehen.

„Ja, ich habe Susan erzählt, wie wundervoll du tanzen kannst und sie würde dich so gerne mal tanzen sehen. Das geht doch, oder, Abel?“

Nein. Nein, das ging absolut nicht! Er tanzte sehr wohl, aber schon lange nicht mehr so, wie seine Mutter das vielleicht gewollt hätte . . . oder wusste sie davon und nutzte seine Fähigkeiten nun schamlos aus? Er spürte, wie sein Herz bis zum Anschlag klopfte.

„Nein, Mum, das … ich möchte wirklich nicht …“

„Oh, biiiiitteeeeee.“

„Mum, das … hör doch bitte auf …“

„Jetzt sei nicht so undankbar!“, schnappte seine Mutter plötzlich aggressiv und Abel biss die Zähne zusammen. „Ich habe dich fünfzehn Jahre durchgefüttert, da wäre jetzt mal ein bisschen Dankbarkeit angebracht! Und das einzige, was ich von dir will, ist, dass du für Susan tanzt, aber nein, das ist für Mister-ich-werde-bald-studieren-und-dich-in-diesemscheißdreckslochverkommenlassen wohl zu viel verlangt, HÄH?!“

Abel sah die Hände, bevor sie tatsächlich seinen Kragen greifen konnten und wich auf dem Sofa nach hinten aus, in einer einzigen geschmeidigen Bewegung aufstehend. Seine Mutter blickte ihn erschrocken an – für Susan schien das alles eher amüsant, denn bedenklich. Abel blickte zwischen den beiden Frauen hin und her, dann schüttelte er den Kopf.

„Sorry, aber ich komme sonst zu spät zur Schicht“, nuschelte er noch, bevor er Hals über Kopf aus dem Haus rannte.

Den Weg kannte er mittlerweile blind. Selbst die Panik, die ihm die Kehle zugeschnürt hatte – tanz, tanz, tanz, mein Sohn – konnte ihn nicht vom Weg abbringen.
 

Die große heruntergekommene Industriehalle ragte vor ihm auf – sein Atem ging stoßweise. Das Adrenalin pumpte schmerzhaft durch seinen Körper und energisch stieß er die Türen auf, wich den gefährlicheren Menschen instinktiv aus, duckte sich, machte sich klein, unscheinbar. Sein Ziel waren nicht die vielen Jungs und Männer, die tagaus tagein hier boxten, ihre Körper stählten, ihrem Leben versuchten einen Sinn zu geben. Oft waren sie straffällig geworden und der Fightclub war das einzige, was ihnen geblieben war, um nicht wieder in den Bau zu wandern.

Abel hielt auf die Hintertür zu, wartete geduldig ab, nur ein Schatten, von niemandem wirklich wahrgenommen und schlüpfte in einem günstigen Moment hindurch, hinein in die erdigen Tiefen, die sich mehrere Stockwerke in die Tiefe schraubten.

Abels Atem rasselte, als er die vielen Metallstufen herab sauste. Schweißgebadet brach er in Cains Trainingsstunde.

„Abel?“

Überraschung zeichnete die bereits dunkle Stimmfarbe seines Bruders und obwohl er keine Antwort bekam, alarmierte ihn das plötzliche Auftauchen seines kleinen Bruders zutiefst. So sehr, dass er ungefragt die Trainingshandschuhe hinwarf und zu ihm glitt, beide Hände nach ihm ausgestreckt.

Wortlos sank Abel in die Umarmung, lehnte den Kopf für diesen kurzen wertvollen Moment an die breite Brust seines Bruders, ergab sich dem Gefühl der absoluten Hilf- und Machtlosigkeit.

„Nie wieder“, hörte er sich selbst murmeln und eine Hand verkrampfte sich im durchgeschwitzten Oberteil Cains. „Ich will nie wieder so hilflos sein.“ Cains starke Hände, voller Wärme, legten sich unnachgiebig auf Hinterkopf und Rücken und abermals spürte Abel Gänsehaut am ganzen Körper.

Doch es war die beste aller Gänsehäute. Sie kitzelte nach Versprechen und Geborgenheit.

„Dann lass uns trainieren, Heulsuse.“

„… Ich heule nicht.“

„Dann zeig mir, dass du keine Heulsuse bist! Hier!“ Cain hatte Abstand zwischen sie gebracht und warf Abel die eigenen Trainingshandschuhe zu. Kurzentschlossen zog Abel sie an, ignorierte das Johlen der umstehenden Auserwählten und ganz besonders desjenigen, den er am allerwenigsten leiden konnte und stieg nach Cain in den improvisierten Ring.

„Die üblichen Regeln?“, fragte er tonlos und Cain nickte, ein wildes Grinsen auf den Lippen, das jeden Gegner das Fürchten lehren wusste. Selbst Abel war für einen kurzen Moment verunsichert – nie wieder, nie wieder, nie wieder – ehe er durchatmete und die Arme ausstreckte.

Dann komm doch!

Die Schläge Abels waren unkontrolliert, ungeübt und Cain wich jedem einzelnen problemlos aus oder fing jene ab, die durch die Hektik gefährlich für sie beide geworden wären. Der Gegenangriff des versierten Boxers war hart und unnachgiebig und Abel musste jede Faser seines Tänzerkörpers anspannen und wieder entspannen, um den kraftvollen Schlägen auszuweichen.

Sie trainierten schon Jahre miteinander. Nicht im Fightclub, pschte, dahin zogen Abel für gewöhnlich keine zehn Pferde. Aber im Vorgarten, auf den Straßen, hin und wieder in verlassenen Lagerhallen oder alten Tanzstudios, in den Gärten der Nachbarn, in den Gassen zwischen den Malls . . . Überall in London waren sie zu Hause und übten Springen, Schlagen, Laufen, Treten, Kämpen – jeder auf seine Art und Weise.

Und während dort wo Cain hinschlug kein Gras mehr wuchs und der ältere der beiden Brüder eine unglaubliche Gnadenlosigkeit ausstrahlte, lag Abels Stärke eher in seiner Wendigkeit und den heftigen Tritten, die aus dem Nichts zu kommen schienen.

Aber Cain kannte jeden Trick seines jüngeren Bruders und ging an diese Trainingskämpfe mit einer ganz anderen Mentalität hinein: kämpf, oder es könnte dein letzter Kampf gewesen sein.

Das Knacken von Knochen und Abels Schrei beendeten den Kampf.

„Shit, Sorry.“

Unfassbarer Schmerz zuckte beißend durch Abels linken Arm, doch ein schiefes Grinsen war auf seinem Gesicht festgetackert. „Schon okay …“ Cain zögerte – wäre er ein besserer Zauberer, hätte er nun einfach zaubern können – doch schließlich nickte er und half seinem Bruder wieder auf die Füße und raus aus dem Rampenlicht.

In den Umkleiden brach Abel auf der Bank zusammen und fluchte ungehalten, ohne Sinn und Zweck.

„Abel! Reiß dich zusammen! Komm schon, man, lass mich sehen…“

Doch Abel hielt Cain mit einer einfachen Handbewegung davon ab, näherzukommen. Die ausgestreckte rechte Hand hatte eine seltsame Drehung vollführt und jetzt fühlte es sich für Cain so an, als liefe er gegen eine unsichtbare Mauer an. Langsam hob Abel den Blick und schüttelte den Kopf, Cain fest ins Gesicht blickend.

„Nie wieder, erinnerst du dich? Ich werde nie wieder so fucking hilflos sein.“ Cain runzelte die Stirn, begriff nicht ganz, was sein Auftritt von vor einer Stunde mit der jetzigen Situation zu tun hatte. „Dein Arm ist gebrochen, Alter, jetzt lass mich helfen.“

„Nein.“ Und statt näher zu kommen, wurde Cain von der unsichtbaren Mauer noch ein Stück weiter fortgeschoben. „Ich kann das. Also.lass.mich.das.alleine.machen.“

Cains Herz blieb für einen Moment stehen. Ein seltsames Gefühl breitete sich in seiner Brust aus und obwohl er bereits zur Wiederrede ansetzte – Blödsinn, alleine, er musste hier gar nichts alleine schaffen – ließ er locker und beugte sich, zum ersten Mal seit Merlin scheißen konnte, dem Willen seines kleinen Bruders. Dessen fiebriger Blick hing nicht mehr an ihm und Cain gab es nicht zu, doch er war erleichtert, dass die stechenden Augen sich endlich einem anderen Ziel widmeten.

Mit zitternden Fingern fuhr Abel den Bruch nach und sog scharf die Luft ein – alleine zuschauen tat weh und Cain runzelte die Stirn, bereit, einzugreifen.

Sanftes grünes Licht folgte auf leise gewisperte Worte, die Cain nicht verstand und überrascht hob er die Augenbrauen. Zauberte Abel gerade ohne Zauberstab? Also, vermutlich hatte er das auch schon zuvor getan, wenn er recht über diese komische Mauer nachdachte, die verhindert hatte, dass er sich ihm näherte . . . aber das hier war noch mal ein ganz anderes Level.

Er konnte hören, wie Knochen knirschten und sich bewegten und verzog angeekelt das Gesicht. Ein weiteres scharfes Knacken ertönte und Abel atmete tief aus . . . ehe er zusammenbrach.

Sofort war Cain an seiner Seite, fing ihn auf, bevor er zu Boden ging und hob beide Augenbrauen, spöttisch grinsend. „Ach, und das war jetzt so viel besser, als mich einfach machen zu lassen, huh?“

„… Du hättest mir nur noch den anderen Arm gebrochen“, war die schwache Antwort und beide grinsten einander an. Plötzlich wurde Abel jedoch ernst und griff nach Cains Nacken, sein Gesicht nahe an seins ziehend. „Ich will nicht mehr zurück. Nie wieder. Lass uns weglaufen und nicht mehr zurückgehen.“

Verwirrung zeichnete sich auf Cains Gesicht ab – was war heute nur passiert? – doch wer war er, seinem Bruder einen Wunsch auszuschlagen? Sanft legte er auch seine Hand in den Nacken seines Bruders und lächelte leise. „Klar. Aber jetzt schlaf erstmal.“

Und wie auf Befehl sackte der Kopf des Jüngeren zur Seite und er gab sich der Erschöpfung hin.

Alles, was von diesem Tag blieb, war ein gebrochener Arm und das Versprechen seines Bruders, das ihn anzuspornen und in Vertrautheit zu hüllen wusste.
 

Akt III

Cain knurrte genervt und warf sich die schwarze Haarpracht zurück – wenn Blicke töten könnten, wäre der arme Angestellte des Bücherladens gerade tot umgefallen. „Warum musste ich noch gleich mitkommen?“ Abel drehte sich unbekümmert zu seinem Bruder um und hob beide Augenbrauen, sich schließlich aber sofort wieder den Biografien zuwendend.

„Musstest du nicht. Aber ich wollte dich gerne dabeihaben“, erwiderte er ruhig, ignorierte das neuerliche Stöhnen Cains und zog ein weiteres Buch aus dem Regal, interessiert den Einband studierend. „Dann kann ich ja abhauen. Tschöh.“

Ohne hinzusehen schnappte Abel nach dem Kragen seines Bruders und hielt ihn damit davon ab, zu türmen. „Nein. Wir suchen immerhin ein Geschenk für deinen Kumpel, nicht für meinen.“

„Als ob der lesen würde …“

„Schließ nicht immer von dir auf andere.“

„Du kleiner..!“

Abel hielt sich selbst den Zeigefinger vor die verschmitzt grinsenden Lippen. „Pscht, Cain. Du willst doch nicht wieder Ärger machen, oder?“

„Ich geb dir gleich Ärger, du Zecke!“

„Heb dir das wenigstens bis zu Hause auf, okay?“

„Du bist so ein Idiot! Als ob ich das mal eben – klick – und ausstellen könnte!“

„Solltest du aber echt lernen … Hier.“ Und damit drückte Abel seinem Bruder eine Biografie von Mohammed Ali in die Hand. „Wer…?“

„Einer der berühmtesten Boxer der Weltgeschichte. Bei Merlin, Cain.“

„Das meinte ich doch gar nicht!“

„Ach nein?“

„Nein!“

„Ich wette, du meintest es genau so, wie du es gesagt hast: wer? Und damit hast du mal wieder bewiesen, warum du genau hier versackt bist.“

„Alter, manches Mal würde ich echt gerne vergessen, dass du mein Bruder bist und dir einfach den Arsch aufreißen.“

„Versuchs doch.“

Ah, das hätte er nicht sagen sollen – während sie den gesamten Weg zur Kasse, beim Bezahlen und auf dem Weg aus dem Laden gestritten hatten, vernahm Abel nun ein Grollen hinter sich, sobald er die fraglichen Worte ausgesprochen hatte.

„Du willst also wirklich, dass ich dir den Arsch versohle, eh, Abel?“ Die Stimmlage seines Bruders ließ nichts Gutes erahnen und mit der Einkaufstüte in der Hand hob Abel abwehrend die Hände, ein vorsichtiges Lächeln auf den Lippen. „Cain, so war das doch gar nicht ..“

„Lauf.“

Und das ließ der jüngere der beiden Brüder sich sicherlich kein zweites Mal sagen. Schnell wie ein Gepard schoss er los und um die nächste Ecke, schlängelte sich geschickt durch die Menschen hindurch, immer wieder einen panischen Blick über die Schulter werfend.

Cain war ihm dicht auf den Fersen. Obwohl er immer schneller gewesen war als sein großer Bruder, war es der tiefe Ärger, die rauschende Wut, die Cain vorantrieb und zu neuen Höhen auflaufen ließ.

Abels Atem rasselte bereits, als er durch die Schiebetüren der Mall brach.

Geschickt wich er auch hier den Menschen aus, ignorierte die geschockten Blicke und die fragenden Ausrufe und wusste genau wohin er laufen würde. Seine Brust zog bereits unangenehm und als er in den Klamottenladen stolperte, verschmolz er mit den Ständern und Aufstellern, heftig atmend, ehe er – einige Kleidungsstücke über dem Arm – in einer der Kabinen abtauchte.

Heftig atmend kolabierte er auf der Bank. „Scheiße …“

„Jah, scheiße!“

Cain quetschte sich zu ihm in die Kabine, eine Hand bereits an seinem Kragen, doch bevor er sein Versprechen in die Tat umsetzen konnte, donnerte ihm Abel bereits einen Hut auf den Kopf.

„Halt mal kurz. Hier“, schnappte Abel ihm entgegen und weil die Verwirrung, das Interesse größer war als das Verlangen, seinen kleinen Bruder zu vermöbeln, ließ Cain sich willig eines der übergroßen Shirts über den Kopf ziehen. Die langen Finger Abels, die ganz genau wussten, was sie taten, entfernten das Etikett und die Sicherung ohne große Probleme und er warf seinem Bruder ein schiefes Grinsen zu. „Hab mir schon gedacht, dass dich das beruhigen würde“, neckte er ihn und Cain verengte die Augen, ehe er ihm eine Kopfnuss verpasste. „Autsch.“ Hatte er verdient, wie Abel feststellte, und sich über den schmerzenden Kopf rieb. „Hier. Probier die mal an.“ Und damit reichte er Cain noch eine der Jeanshosen, die er im Vorbeigehen entdeckt hatte – so wahllos war seine Auswahl nicht gewesen und zufrieden begutachtete er sein Werk. Er nickte. „Steht dir.“

„Tche, glaubst du, das macht es wieder besser?“, keifte Cain und Abel schüttelte den Kopf. „Der Juwelier. Was immer du willst.“

„… Deal.“

Die alten Klamotten ließen sie einfach zurück, nachdem Abel seine Magie gewirkt hatte und verließen den Klamottenladen leger durch die Vordertür. Sie schlenderten durch die große Mall, kauften von ihrem Lieblingssmoothiestand zwei Getränke und Abel sorgte dafür, dass das Geld direkt wieder in ihre Tasche schwebte, als die Kasse aufploppte. Ihre Wege führten sie plaudernd zum besagten Juwelier und Cain blieb stehen, die dunklen Augen huschten über die vielen Diamantringe, Goldketten und Ohrringe, ehe sie an einem Anhänger kleben blieben. Bestimmt patschte der Zeigefinger an die Scheibe – „der da“ – und Abel begann sich zu konzentrieren. Sanft spielte er mit den Fingern, drehte sie in die eine, dann in die andere Richtung, wisperte leise Zaubersprüche und die Glasscheibe verschwand. Sie wussten von früheren Raubzügen, dass der Juwelier auf sein Panzerglas vertraute und im Schaufenster nur an bestimmten Orten Alarmanlagen hatte – hier nicht. So war es Abel ein Leichtes, die Feder zum Schweben zu bringen und in seine Hand gleiten zu lassen. Sekundenbruchteile später, war alles wie gehabt.

„Hier. Und jetzt hör auf zu schmollen, Baby“, grinste Abel Cain entgegen und fing sich gleich die nächste Kopfnuss, die jedoch eher guttat, als dass sie wehtat. Sie lachten gemeinsam und gönnte sich auf dem Weg nach Hause noch eine der furchtbar fettigen Pizzen – dieses Mal ließen sie das Geld in der Kasse.
 

AKT IV

„Mmmmmmh. Gut machst du das, Japonica…“

Abel lächelte devot, dankbar vielleicht und lehnte sich weiter vor. „Wenn du dich gut anstellst, können wir das im Privaten weiterführen“, raunte er seinem Gast lasziv entgegen und lockte ihn mit dem Zeigefinger zum Aufstehen. Willig folgte der Mann seiner Geste, stand auf und war Wachs in seinen Bewegungen. Abel vollführte eine verführerische Drehung mit der Hüfte, bemerkte, wie die Augen des Mannes an ihm klebten, wand sich im Kreis, spielte mit den Erwartungen, die Jacke glitt über die Schultern, entblößte die muskulösen Schultern und den entzückenden Rücken. Er hörte das ergebene Raunen, wich den lechzenden Fingern jedoch aus und zwinkerte dem Mann stattdessen zu, ließ die Hüften kreisen und leckte sich über die Lippen.

„Ich sagte doch: wenn du dich gut anstellst…“

Fahrig fingerte der Mann seinen Geldbeutel hervor und Abel nahm den Obolus entgegen, die Fingerspitzen einen Moment länger als nötig auf der großen Hand des Mannes. Entschlossen umfassten die Finger das breite Handgelenk und ohne weiter zu zögern, führte Abel seinen Gast in den privaten Bereich, wo er ihn auf einen der ausladenden Stühle verfrachtete.

„Du hast zwei Möglichkeiten“, offenbarte Abel ihm mit rauer Stimme, die Tür hinter ihnen schließend. „Erstens“, der schlanke Zeigefinger reckte sich zu den Lippen des Mannes empor, doch Abel erlaubte nicht, dass er sie auch berührte, „ich tanze und du guckst zu. Gleicher Preis.“ Der Mittelfinger gesellte sich zum Zeigefinger und mit sanftem Druck legte er sie auf die Lippen des Mannes, sich sanft vorlehnend. „Zweitens: wir tanzen gemeinsam. Doppelter Preis. Deine Entscheidung.“

Der Rest der gebuchten Zeit war nur eine verschwommene Erinnerung an Grunzen und Stöhnen, gespielte Orgasmen und geheuchelte Liebesversprechungen – was immer seinen Gast auch anturnte und den Preis damit in die Höhe trieb. Und nicht nur den Preis…
 

Zufrieden mit sich räkelte Abel sich in den eigenen Laken, nachdem die Nacht wieder ein bisschen länger gewesen war. Er hörte, wie die Tür ins Schloss fiel und schaute um die Ecke.

„Cain?“

„Uh? Noch wach?“

„Mmhm.“

Sein Bruder füllte den Türrahmen beinahe komplett aus und Abel grinste ihm entgegen. „Miete ist gesichert. Du brauchst nicht zu kämpfen nächste Woche.“

Kurz zuckte Ärger über die Züge seines Bruders und der Triumph, den Abel eben noch verspürt hatte, versiegte sofort. Warum freute er sich nicht darüber? Hatte er wirklich so sehr das Gefühl, sie alleine ernähren zu müssen? Oder hatte er einfach Spaß dabei, sich vermöbeln zu lassen? Abel verzog das Gesicht und verschränkte die Arme, im Schneidersitz auf dem Bett sitzend.

„Die Wetten sind schon gesetzt. Es gibt kein Zurück.“

„Es gibt immer ein Zurück…“

„Pft, ich bin kein Feigling und ich werde kämpfen, ob es dir passt oder nicht, Memme.“

Abel runzelte die Stirn. Memme? Wirklich? Aber er hatte keine Energie mehr übrig um mit Cain zu streiten, also wischte er durch die Luft und brummte nur: „Mach dir Tür hinter dir zu.“
 

AKT V

Angespannt blickte Abel die Stockwerke herab. Das Gebrüll der Meute wehte zu ihm herauf und der Geschmack von Schweiß und Blut schmeckten auf seiner Zunge. Er war seit Jahren nicht mehr hier gewesen und er wollte sich auch nicht mehr an das letzte Mal erinnern. Cain hatte den Boden mit ihm aufgewischt und gleichzeitig war es der Beginn ihrer zweisamen Einsamkeit gewesen. Sanft fuhr er das Tattoo hinter dem rechten Ohr nach, das er sich vor einigen Jahren nach einem ihrer Raubzüge hatte stechen lassen – als Erinnerung daran, dass nichts je unmöglich war und dass er immer einen Weg finden würde, seinen Bruder zufriedenzustellen. Jah, das war sein Gedankengang damals gewesen und auch heute war es eines seiner stärksten Motive; aber Cain würde davon nie etwas erfahren, nicht einmal auf seinem Totenbett! Er wusste es doch eh schon längst.

Eben jene Stelle hinter seinem rechten Ohr hatte nicht aufgehört zu kribbeln – Cain kämpfte wieder. Schon wieder – obwohl er das gar nicht mehr nötig hätte. Es gefiel Abel nicht, hatte es noch nie. Er brachte sich unnötig in Gefahr, brannte einem Teilnehmer doch durchaus hin und wieder eine Sicherung durch. So war es nicht verwunderlich, dass Abel öfter anwesend war, als Cain wusste. Um ihn zusammenzuflicken, sollte es nötig sein. Bislang war nie etwas passiert, was Cain nicht selbst hätte heilen können oder was nicht von allein geheilt wäre…

„Willst du nur hier rumstehen und glotzen, Motherfucker, oder geht’s für dich runter?“, ertönte eine Stimme hinter ihm und Abel schaute zu dem Mann, der sich mit schlechtem Atem und meine-Eier-sind-dicker-als-deine-Manier an ihm vorbeidrängelte. Ein feines Seufzen entfuhr ihm, dann hielt er den Fremden am Ellenbogen auf, einen unschuldigen Blick aufsetzend. „I-Ich habe einfach nur Angst . . . würdest du mich begleiten…?“ Und natürlich sagte der Fremde nicht nein, grunzte nur sowas wie „bin der beste Schutz überhaupt, Babyboy“ und begleitete ihn die Treppen hinab. Abel spielte seine Rolle, doch innerlich machte er sich aufs Schlimmste gefasst – wie immer. Er erwartete jedes Mal, seinen Bruder halbtot aufzufinden … scheiße, verstand Cain denn nicht, wie viel Angst er ihm mit diesen Kämpfen machte?! Natürlich vertraute er ihm blind … und auch seinen Fähigkeiten, das stand vollkommen außer Frage. Viele Gegner waren Cain nicht gewachsen und er machte sie dem Erdboden gleich. Aber nicht jeder spielte fair… Und jemand wie Abel wusste genau das nur allzu gut, spielte er doch selbst nicht immer fair. Mit seinen Fähigkeiten auch einfach nicht möglich.

Unten angekommen bedankte er sich artig mit einer Verbeugung – das erwartete man doch von einem Japaner, oder? – und beeilte sich, seinen Bruder ausfindig zu machen.

Er fand Cain in einer abgelegenen Ecke, umzingelt von Typen, in deren Händen Metall blitzte. Jackson lag bereits auf dem Boden, atmend, aber blutend und nur Cain schien es zu verdanken, dass sie überhaupt noch lebten. Zwei Typen lagen bewusstlos auf dem Boden und Cain fletschte die Zähne, spuckte Blut zwischen ihn und die Angreifer, einen derben Fluch auf den Lippen, der es nicht bis zu Abel schaffte.

Sein Herz blieb stehen. Genau vor einer solchen Situation hatte er ihn immer gewarnt, immer zu beschützen versucht.

Die Typen gingen zum Angriff über und Abel riss die Augen auf. Sein rechter Arm schnellte zur Seite und eine Eisenstange kam schwer und kalt in seiner Hand zum Liegen. „EY! ARSCHLÖCHER!“ Die Typen hielten in der Bewegung inne und drehten sich langsam zu Abel um – nur kurz flackerten die dunklen Augen zu Cain, dann fixierte er die vier Angreifer. Zwei hatten Messer, einer eine seltsame Nagelkeule und der letzte schien einfach nur seine riesigen Hände als Mordwaffe zu benutzen. In einer Hand hielt er das Buch, das Abel vor so vielen Jahren für Jackson zum Geburtstag ausgesucht hatte und milde Wut durchzuckte ihn. Er konnte Jackson nicht leiden und wann immer er ihn mit der Biografie gesehen hatte, hatte ihn Genugtuung durchströmt – immerhin hatte Jackson nicht ahnen können, dass er das Buch ausgesucht hatte, richtig?

Doch jetzt zuckte diese milde Wut durch ihn hindurch, zupfte an seiner Abneigung für Monroe Jackson, rüttelte an seiner Sorge um Cain und manifestierte sich in einem wilden Blick, den er für die vier Typen übrighatte. „Die beiden gehören zu mir. Also wehe, ihr fasst sie noch einmal an“, grollte er und legte absichtlich eine tiefere Tonlage an den Tag. Doch die Typen waren entweder high, oder dämlich – oder beides – denn sie schienen die vielen Metallstücke, die um Abel herum zu schweben begonnen hatten, nicht mitzubekommen. Stattdessen brachen einige von ihnen in Gelächter aus – der mit den großen Händen wandte sich wieder Cain zu, der die Situation nicht hatte ausnutzen können, da er sich die blutende Seite hielt.

Abel grollte.

Und als der erste Typ sich bewegte, ruckte seine Schulter nach vorne. Ihr folgten Metallstücke verschiedener Größen, die sich in den Typen mit der Keule hineinbohrten. Brust, Hals, Oberarm – die Arterien hatte Abel verschont. Er war nicht hier um zu töten, sondern um ein Exempel zu statuieren.

Die beiden Messertypen hielten verdutzt inne, als ihr Kumpel kreischend wie ein kleines Mädchen zu Boden ging.

Abel wischte sich das fremde Blut aus dem Gesicht, das bis zu ihm gespritzt war. Langsam blickte er zu den beiden Messertypen, die Eisenstange fest in der Hand. „Ich sagte: wehe, ihr fasst sie noch einmal an!“ Magisch verstärkt klang seine Stimme wie die eines Drachen, doch im Fightclub gab es keine Feiglinge, nur Männer ohne Perspektiven oder Idioten wie Cain und Jackson. Also brüllten die beiden Messertypen laute Beschimpfungen und stürzten auf ihn zu.

Dem ersten wich Abel mühelos aus, versetzte ihm einen Tritt und tänzelte zur Seite, um auch dem zweiten auszuweichen. Die Eisenstange sauste mit einer Geschwindigkeit auf den Größeren der beiden herab, die man dem schmächtigen Abel nicht zugetraut hätte – auch hier half die Magie, die Abels rechte Hand bläulich schimmern ließ.

„Ihr – fasst – meinen – Bruder – nicht – noch – einmal – an!“

Jedes Wort unterstrich er mit einem Schlag mit der Eisenstange und erst, als seine Message klar und deutlich angekommen war, warf er das Metall von sich. Sein Atem rasselte. Er erkannte sich selbst kaum wieder – er wollte diese Typen dafür töten, dass sie Cain verletzt hatten…!

„ABEL!“

Abel wirbelte auf seinen Namen herum und sah Cain, der sich um den Typen mit den großen Händen gekümmert hatte, neben Jackson auf dem Boden hocken – Panik auf den blassen Zügen und alleine der Anblick reichte, um die Angreifer absolut zu vergessen.

Schnell war er an seiner Seite, folgte dem Deuten und hielt den Zeigefinger unter Jacksons Nase. „Er atmet noch…“

„Aber er hat … er ist …“

Abel blickte zu seinem Bruder und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich mach das. Sieh du nur zu, dass sie mich nicht überraschen, okay?“ Er grinste und nickte auf die Typen, die sich langsam wieder aufrappelten. Er hatte gesehen, dass Cain verletzt war, dass auch er viel Blut verloren hatte, doch er kannte seinen Bruder, wusste, wozu er fähig war. Und auch, wenn er nicht eingegriffen hätte, hätte er diesen Typen einen ordentlichen Kampf geliefert . . . vielleicht wäre er dran verreckt, sehr wahrscheinlich sogar, aber er hätte noch einen oder zwei von ihnen mitgenommen, so viel stand fest.

Und während Abels Auftritt wenig Eindruck auf die Angreifer gemacht hatte, so hatte Cain scheinbar einen größeren hinterlassen, denn ein Blick und ein tiefer Schrei seinerseits reichten, dass die bei Bewusstsein befindlichen Kerle einander auf die Füße halfen und die Beine in die Hand nahmen.

Abel wandte sich von dem Spektakel ab, wissend, dass Cain ihm den Rücken freihalten würde.

Er drehte Jackson auf den Rücken, begutachtete leidenschaftslos die Schnittwunden, die mal oberflächlich, mal tiefer am Oberkörper zu sehen waren und entfernte das Oberteil schließlich kurzerhand ganz. „Hm“, staunte er leise und heimlich – das würde er Jackson natürlich niemals unter die Nase reiben! Aber dennoch: beachtlicher Körperbau.

Geschickt fuhren die langen Finger über den geschändeten Körper. Abel flüsterte die leisen Heilworte, sorgte dafür, dass Sehnen und Muskeln sich zusammenfügten, Blutbahnen wieder zusammenfanden und Schnitte sich langsam, aber sicher schlossen. Je länger er fortfuhr, desto schwummeriger wurde ihm – er spürte, wie die Kräfte ihn verließen. Zu viel Zauberei, zu wenig Schlaf, zu viele Sorgen . . . aber Cain verließ sich auf ihn! Also machte er weiter, schloss auch den letzten Schnitt und atmete erleichtert aus, als langsam wieder Farbe in die blassen Wangen Jacksons trat.

„Cain…“

Sein Bruder kam zu ihm und Abel nickte neben sich auf den Boden, zu erschöpft, um seinen Gedanken anders Ausdruck zu verleihen. Ungefragt fanden seine zitternden Finger den Kragen des Oberteils.

„Vergiss es. Du bist zu fertig.“

„Niemals“, erwiderte Abel ruhig, fixierte die nächste Aufgabe und half Cain umständlich aus dem blutverschmierten Oberteil. Sie mussten langsam und vorsichtig arbeiten – jede Bewegung zu viel führte zu neuerlichem Blutverlust und erschöpfte Abel nur noch mehr. „…Niemals wieder hilflos, weißt du noch?“

„Hm.“ Das zustimmende Brummen Cains war wie eine laue Sommerbriese nach einem viel zu heißen Tag und Abel grinste ihn schief an, während das vertraute grüne Glimmen bereits die ersten Blutungen stoppte. „Scheiße noch eins, Cain, ruf mich das nächste Mal gefälligst früher.“ Die dunklen Augen flatterten zu dem Federanhänger, der vertraut über der Brust seines Bruders lag und wieder kribbelte das Tattoo hinter dem Ohr sanft, wie eine Erinnerung an bessere, leichtere Tage.

„… Mein Fehler. Habs falsch eingeschätzt.“

Überrascht schaute Abel zu Cain und spürte, wie ihm diese Worte die Kehle zuschnürten. Er öffnete den plötzlich trockenen Mund und seine Sicht verschwamm. Nie wieder heulen, nie wieder heulen – ach, scheiß doch der Hund drauf!

Ohne auf seine Erschöpfung oder Cains Wunden zu achten, zog er Cain in eine unbarmherzige Umarmung und versteckte die feuchten Augen an der breiten Schulter, den vertrauten Geruch einatmend. „Du hast es versprochen, Abel, keine Tränen mehr.“

„Dann hör auf, so ein verdammter Idiot zu sein und lass mich dir endlich helfen.“

„… Okay.“

„Versprochen?“

„… … Versprochen.“

Und das war mehr wert als jedes ich liebe dich auf dem gesamten Planeten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: MoonyLupin
2020-08-31T20:56:55+00:00 31.08.2020 22:56
Mutti ist so ne Bitch ;/////; Abel tut mir so leid, beide tun mir so leid!!! Aber es ist auch so verständlich warum sie so geworden sind, wie sie sind >< Ich finde es toll, wie du so diese Entwicklung dargestellt hast (persönlich, aber auch in ihrer Beziehung zu einander) und wie sie so unterschiedlich ist >< Cain eher so der, der sich durchboxt aber gleichzeitig auch irgendwie nach draußen flüchtet und Abel, der sich so "durchwindet" und so lange an Mutti festhält wies geht >< Es ist schön zu sehen, dass sich ihre Beziehung dadurch - trotz ihrer Unterschiede - nur weiter festigt und wie sie auch aneinander festhalten, im wahrsten Sinne des Wortes >< Es fällt zwar kein einziges Mal sowas wie "Ich hab dich lieb, du Arsch", aber es wird so deutlich in ihren Gesten und dem was eben nicht gesagt wird >////<
Und wie gesagt, ich finde es eine unheimlich schöne Idee mit dem Tattoo und der Kette. Ich glaube nicht, dass Cain irgendwem sagen würde, dass er sie von Abel hat, aber dass er sie immer trägt ist ne selbstverständlichkeit <3 <3 <3 hihi~
Ich fands auch unheimlich rührend zu sehen wie sehr sich Abel doch um seinen großen Bruder sorgt >////< (und für Cain sogar seine Abneigung zu Jackson überwindet xD), ich glaube das ist Cain gar nicht so bewusst oder er verdrängt es ganz bewusst so nach dem Motto "Ich bin der große Bruder, es ist mein Job mir Sorgen zu machen, nicht dass der Kackzwerg mich genug interessiert um es wirklich zu tun >>" xD Dieser Konflikt zwischen den beiden, wer jetzt das Geld auf den Tisch bringt finde ich auch total nachvollziehbar >< Ich glaub das stinkt denen beiden was der jeweils andere macht, nicht dass Cain direkt nachgefragt hätte DD: das will er gar nicht wissen und verdrängt es gekonnt, auch wenn er es wohl schon längst weiß >> DD:
Oh Oh! Und diese gemeinsamen Raubzüge durch die Mall finde ich auch total episch xDD kann ich mi eins zu eins so vorstellen! "Okay, was willst du damit du nicht mehr stinkig bist aka damit du mir keine reinhaust? >>" "Iphone XYZ, platin gold" XDD
Und wie du Abel beschrieben hast mit der Magie, dass er eben der Magier von beiden ist und Cains Stärken anderswo liegen finde ich auch total klasse >///< selbst wenn Cain die Magie für sich entdeckt, er kommt eben nicht an das kleine Genie heran, was er auch gar nicht versucht und was ihm sicher früher mal bitter aufgestoßen ist, gerade wenn Mutti ihre creepy phasen hatte (total creepy übrigens mit der Freundin von ihr |D") und ihren Vorzeigesohn präsentiert hat und Cain sich stattdessen in der Gosse rumgetrieben hat, nur die Beleidigungen im Kopf... ;////; Ach, die zwei tun mir einfach leid... es ist gut, dass sie einander haben! >///< aber das zu lesen hat mir halt auch nochmal vor augen geführt warum sie so sind wie sie sind >///< ;////; arme Mäuschen.....
Vielen Dank, Schneechen für den Einblick in unserer Straßenkinder Leben <3 <3 <3 wirklich, das ist ein tolles Geschenk <3 <3 <3
Antwort von: MoonyLupin
31.08.2020 22:58
Edit: ich finds auch toll wie Cain ihn so versucht abzuhärten und ihn dabei auch nicht mit Samthandschuhen anfasst >///< er machts doch nur, damit Abel auch ohne ihn klarkommt, wenn er denn mal muss!


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