Tabu von Schneefeuer1117 (One Shots für Harry Potter RPGs) ================================================================================ Kapitel 11: Bemerkenswert ------------------------- Erfolge nehmen alle in Anspruch, Misserfolge werden einem einzigen zugeschrieben Publius Cornelius Tacticus Der lange Gang lag verlassen vor Dorian. Er hörte sein Blut in den Adern rauschen und sein Name hallte tausendfach verstärkt von den Steinmauern zu ihm herüber. Er klang wie eine Anklage – „Dorian McAlistair, bitte melden Sie sich in Raum 503.“ Er atmete tief durch. Dann schritt er durch die großen Flügeltüren in die Vorhalle und weiter in den ausgeschilderten Raum. „Sie wissen, warum Sie heute hier sind?“, fragte ihn die Vorsitzende des Zaubergamots und er nickte. „Ja, Ma’am.“ Dennoch wiederholte sie: „Sie werden beschuldigt, ihre Einheit in einen Hinterhalt geführt zu haben. Ihnen wird die nachlässige Strategie zur Last gelegt. Zusätzlich gehen die Verletzungen der Auroren Waterman und Sthinger zu Ihren Lasten. Ist das soweit korrekt?“ Etwas in Dorian schrie nein, doch er nickte, das Gesicht ernst verzogen. „Ja, Ma’am.“ „Sie übernehmen also die alleinige Verantwortung?“ Abermals ein Nicken und ein „Ja, Ma’am“ als Bestätigung. Die Vorsitzende seufzte und nahm die Brille von der Nasenspitze. „Hören Sie, McAlistair. Ihre Kollegen haben sich sehr positiv für sie ausgesprochen und beteuert, es sei nicht Ihre Schuld gewesen. Also wenn Sie irgendetwas wissen, sollten Sie jetzt mit der Sprache rausrücken.“ Dorian zögerte nicht. „Ich übernehme die volle Verantwortung für mein nachlässiges Handeln, Ma’am, und den daraus resultierenden Verletzungen der Auroren Waterman und Sthinger. Sie sind gute Menschen, weshalb sie mich niemals verraten würden und ich schätze ihre Loyalität hoch, doch es war mein Fehler und ich werde dafür geradestehen.“ Die Vorsitzende schwieg. In den Reihen der fünfzig Zauberer und Hexen brach unbeteiligtes Gemurmel aus und Dorian zwang sich, den Blick weiterhin auf die Vorsitzende zu fixieren. Es half niemanden etwas, wenn er nun aus der Fassung geriet. Dass sein Fall es überhaupt bis vor das Zaubergamot geschafft hatte, war vermutlich nur der Brisanz des Auftrags, den er versaut hatte, zuzuschreiben. „In Ordnung, Mister McAlistair. Wir haben Ihren Fall bereits im Vorfeld beraten“, begann die Vorsitzende und Dorians Augen weiteten sich erstaunt. Also keine faire Verhandlung? Die Anhörung nur eine Farce? Die Vorsitzende hob die Akten hoch, die eindeutig von Dorian bearbeitet worden waren. „Ich bin bereits mit dem Fall seit einigen Tagen betraut worden und werde von einer Suspendierung absehen, sofern Sie zustimmen, mit einem Beobachter zusammenzuarbeiten.“ Dorian traute seinen Ohren nicht und für einen Moment entgleisten ihm die so wohl gezügelten Gesichtszüge. „Einem Beobachter?“, wiederholte er tonlos und die Vorsitzende nickte. „Eine Angestellte des Archivs hat sich bereiterklärt, ihre Fälle zu überprüfen und auf Mängel hin zu untersuchen. Mister McAlistair, Sie verstehen, dass das das Beste ist, was ich für Sie tun konnte?“ Ein leises Raunen ging durch die anwesenden Mitglieder, als Dorian zum Protest ansetzte, dann jedoch geschlagen nickte. „Ich … verstehe, Ma’am. Verzeihen Sie mir die Nachfrage.“ Die Vorsitzende schaute ihn lange schweigend an, ehe sie seufzte und ihm die Akten zurückgab, als er nach vorne trat. Ihre Stimme war so leise, dass nur er sie verstehen konnte, als sie ihm zuflüsterte: „Ich bin ein großer Fan Ihrer Arbeit, McAlistair, also enttäuschen Sie mich nicht. Ich bin mir sicher, dass wir Sie bald zu erfreulicheren Besprechungen wiedersehen.“ Einen Moment blickte Dorian verdattert zu der älteren Dame auf, dann lächelte er schmal und nahm die Akten entgegen. „Vielen Dank, Ma’am.“ Mit einer angedeuteten Verbeugung verabschiedete er sich von der Vorsitzenden, warf einen langen weitläufigen Blick über die anwesenden Hexen und Zauberer und verließ dann mit wehendem Umhang den Saal. Einen Moment herrschte noch Stille, dann wandte sich der Zauberer zur rechten Hand der Vorsitzenden an eben jene, die Stimme gedämpft: „Sie wissen doch, dass es der Leiter der Aurorenzentrale war, oder?“ Die Vorsitzende seufzte. „Wir haben keine Beweise und bevor ein so loyaler Mann redet, wird wohl Dumbledore von den Toten wieder auferstehen. Also lassen Sie uns hoffen, dass Miss Raynolds etwas erfährt, was uns weiterhilft.“ Er war wütend. Mit Wucht klatschte er die Akten auf den Tisch und zerzauste sich die frisierten braunen Haare. So hatte es nicht laufen sollen. Suspendierung wäre das geringere Übel gewesen – jetzt musste er sich mit jemandem rumschlagen, der seine gesamte Arbeit der letzten vier Jahre über den Haufen werfen würde. Er hatte so hart mit diesem Team gearbeitet, hatte für den Respekt geschuftet, den seine Leute ihm nun entgegenbrachten und für die guten Resultate so gut wie keinen Urlaub gemacht. Und nun? Vier Jahre! Und alles für den Troll?! Entnervt ließ Dorian sich auf den Stuhl hinter dem schweren Schreibtisch fallen und massierte sich die plötzlich pochenden Schläfen. Er hatte schon seit zehn Jahren keine Entzugserscheinungen mehr gehabt, nicht einmal mehr einen Gedanken während der Schwangerschaft seiner Ex-Frau daran verschwendet, einige Tabletten einzuwerfen, um länger wachbleiben zu können. Auch als Leila die ganze Nacht wegen der Grippe durchgeschrien hatte, hatte er nicht einmal daran gedacht, zu seinen alten Mitteln zu greifen. Erst jetzt, wo sein gesamtes Schaffen zu verschwinden drohte, übermannten ihn die alten Gelüste. Wäre es wirklich so schlimm, wenn er einmal zugreifen würde? Es würde ja nicht für immer sein, nur dieses eine Mal … Langsam wanderten die hellen Augen zu der Schublade am Schreibtisch, in der sich einige Packungen Kopfschmerzmittel befanden – dabei streifte sein Blick das Bild seiner Tochter, das gerahmt auf dem Schreibtisch stand. Sein Herz hielt inne und er verfluchte sich selbst. Er war Vater. Er konnte nicht mehr so leichtsinnig mit sich selbst umgehen. Ein tiefes Durchatmen und zwei Tassen Kaffee später ging es ihm besser. Er hatte mit den restlichen Mitgliedern seines Teams – Charlotte Trust und Raymond Weatherburm – gesprochen und ihnen mitgeteilt, dass sie in Zukunft einen Gast haben würden, dem sie bitte den vollen Zugriff auf alle Daten geben würden. Ein Blick zwischen Dorian und seinen beiden Kollegen machte jedoch sehr deutlich, dass das eine Dokument nun schnell vernichtet werden musste. Raymond nickte und machte sich auf den Weg, um eine sichere Methode dafür zu finden, noch ehe der Abend ins Büro brach. Eigentlich konnte Dorian sich glücklich schätzen: nach der Affäre mit der Leiterin der Muggelabwehrzentrale und dem Wechsel der Abteilung in die Aurorenzentrale, hatte er sich schon mit 28 Jahren einen guten Namen gemacht. Er arbeitete mit guten Menschen zusammen, loyalen Menschen und mochte seinen Job. Auch wenn er sich vor drei Jahren hatte scheiden lassen, so war aus seiner Ehe mit der Leiterin der Muggelabwehrzentrale doch wenigstens Leila entstanden, die bei seiner Mutter Lucrezia lebte, wenn er nicht daheim war. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet, dass Leila einmal mehr auf ihren Vater verzichten musste und er trat zum Kamin in dem kleinen Gemeinschaftsbüro, um seine Mutter zu kontaktieren. Es vergingen einige Tage in denen das Team unbehindert und unbeobachtet arbeiten konnte, wenn auch nur an Papierkram. Erst am Freitag nach dem gescheiterten Auftrag ließ sich Dorian dazu herab, das Archiv aufzusuchen. Es war nicht seine Aufgabe, denn die Beobachtung würde erst mit dem Beginn des nächsten Monats anfangen, doch er wollte guten Willen zeigen. Vielleicht wären sie überrascht und dann vielleicht sogar dazu geneigt, ihm eher zu vertrauen und zu glauben, wenn er einen Schritt auf sie zuging. Sobald er Sympathien aufgebaut hatte, würde er seine Abteilung besser schützen können – und darum ging es. Er musste immer im Blick haben, dass er sein Team beschützen musste. Vor was war aktuell unwichtig. Mit einem unbestimmten Gefühl der Vorahnung in der Magengegend betrat Dorian die weitläufigen Archive des Ministeriums – natürlich nicht, ohne sich vorher auszuweisen – und trug sein Anliegen bei einer Dame im Eingangsbereich vor. Sie nickte eifrig und beschwor ihm, ihr zu folgen. Mit schnellen, trippelnden Schritten führte ihn die kleine Dame zu einer roten Tür, auf der Wartezimmer stand und Dorian verzog das Gesicht. Die Bemerkung, er habe es eilig, wurde mit einem freundlichen Lächeln ignoriert und so blieb ihm nichts anderes übrig, als das Wartezimmer mit seinen kleinen Stühlen und Zeitschriften voller Nonsense zu betreten und dort zu warten. Es schien ihm, als vergingen Stunden. Eigentlich hätte er heute frei gehabt. Uneigentlich machte er eh niemals frei und seitdem Waterman und Sthinger im Krankenhaus lagen, mussten drei Leute die Arbeit von Fünf übernehmen. Er konnte sich im Grunde nicht einmal die Pause erlauben. Dass er nun die gesamten Pausen der Woche hier verbrachte…! Gerade als der Gedanke gedacht war, schallte ein freundliches Dorian McAlistair, Sie dürfen nun gerne in Raum 22 gehen durch das Wartezimmer und Dorian folgte der Aufforderung gerne. Raum 22 lag am anderen Ende der Empfangshalle und hatte eine grüne Tür. Neben der Tür war kein Namensschild, also war es vermutlich ein Gemeinschaftsbüro oder einfach ein weiteres Wartezimmer. Dennoch klopfte Dorian und auf ein leises „Herein“ öffnete er die Tür. Er stand in einem heimeligen Büro, dessen Größe von erdrückenden Bücherregalen, die sich bis zur Wand hochzogen, minimiert wurde. Das Gefühl, ohne Fenster in einem solchen Raum eingesperrt zu sein, behagte dem Briten nicht und er zog unruhig die Tür hinter sich ins Schloss. Als er einen zweiten Blick auf die Wände warf bemerkte er, dass es sich bei Raum 22 nicht nur um einen Raum handelte, sondern um ein Großraumbüro, nur getrennt durch die sich unter der schweren Last biegenden Bücherregale. Er zog die Augenbrauen zusammen. „Dorian?“, riss ihn eine überraschte Frauenstimme aus seinen Gedanken und er wandte seinen Blick von den Wänden ab. Vor ihm stand eine junge Brünette mit irgendwie bekannten blassen Zügen, die ein wenig kränklich wirkten. Die dunklen Augen jedoch leuchteten und strahlten Lebenslust und Gesundheit aus, ebenso wie das freudige Lächeln, das sich auf den Zügen der Frau ausbreitete. Oh. „Lillian Raynolds“, wurde es Dorian schlagartig bewusst und auch er musste lächeln. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns doch noch einmal treffen.“ Sie lachte und strich sich verlegen eine Strähne hinters Ohr. Natürlich wusste Dorian, dass sie im Archiv des Ministeriums arbeitete, doch nie hatte die Zeit gereicht, die alte Hauskameradin einmal zu besuchen. Nun, er musste zugeben, dass er nicht einmal aktiv daran gedacht hatte. „Ich arbeite viel“, wandte sie sich heraus und deutete auf eine der Biegungen um das Bücherregal zu ihrer Rechten und Dorian folgte dem Wink, „und ich habe gehört, dass du ebenfalls eine Menge zu tun hast.“ Dorian wandte sich während des Gehens mit fragendem Blick zu ihr um. „Woher…?“ Dann stockte er im Reden und Laufen und Lillian musste ihn umrunden, um nicht gegen ihn zu laufen. Sie ging zu einem kleinen Tisch, auf dem sich allerlei Dinge stapelten, die Dorian in diesem Moment aber reichlich gleichgültig waren. Die anfängliche entspannte Atmosphäre hatte sich in Luft aufgelöst und mit einer bösen Vorahnung verengte er die Augen. Lillian hatte begonnen, nervös Platz auf ihrem Tisch zu schaffen und schien sich sammeln zu müssen, um das Offensichtliche auszusprechen. „Du wirst mich überwachen.“ Es war keine Frage. Es war eine Tatsache. Lillian biss sich auf die Unterlippe und schaute scheu zu Dorian auf, ehe sie noch etwas hektischer die Bücher zu stapeln begann und schließlich seufzend in ihrem hoffnungslosen Versuch, Ordnung in das Chaos zu bringen, innehielt. Ihre Mimik war ungewohnt entschlossen, als sie wieder Augenkontakt suchte. „Ja. Es scheint so, dass du irgendwo weiter oben wirklich jemanden beeindruckt hast.“ Dorian runzelte die Stirn. „Du meinst sie wissen, dass wir Freunde sind?“ Lillian schien über diese Formulierung zu stolpern und wandte den Blick ab, zog einige Akten aus dem Stapel und korrigierte: „Sie wissen, dass wir zusammen Hogwarts besucht haben. Und sie wissen, dass wir in einem Haus waren, ja. Ich wage zu bezweifeln, dass sie wissen, dass wir … nun … einmal mehr Kontakt hatten“, Dorian bemerkte durchaus, dass sie sich um das Wort Freunde drückte und spürte, wie es im Raum gefühlte zehn Grad kälter wurde, „aber es ist ihnen wohl lieber, dass dich jemand überwacht, der dich kennt und der dich mag.“ Sie warf ihm einen undefinierbaren Blick zu und Dorian ahnte, was sie sagen wollte. Etwas wie, dass er in den letzten Jahren nicht unbedingt nur Freunde gesammelt hatte. Dass er sich mit der Affäre zu einer Ranghöheren nicht unbedingt beliebt gemacht hatte. Dass ihn viele beneideten um die Ehe mit ihr und ihn ausgelacht hatten, als sie nach drei Jahren schon wieder vorbei gewesen war. Dass sie wütend waren, weil er dennoch eine so hohe Position innerhalb einer anderen Abteilung bekleidete. Und dass viele ihm gerne eins auswischen würden. Das machte es alles jedoch kein bisschen besser. Lillian schien wild entschlossen, diesen Fakt eben nicht in ihre Beobachtungen mit einfließen zu lassen und nach zehn Jahren, in denen sie keinen Kontakt gehabt hatten, konnte Dorian auch nicht von ihr verlangen, dass sie milde mit ihm umging. Sie musste ihren Job machen. Seine Züge verhärteten sich. „Ich verstehe.“ Er betonte diese beiden Worte und Lillian schien einen Moment zu zögern, dann jedoch nickte sie. Er hatte Recht gehabt. Sie hatte versucht, ihm mehr damit zu sagen und sie schien erleichtert, dass eine Konfrontation ausblieb. Noch. Dorian war ein Kämpfer. Doch verglichen mit all den Jahren, die Lillian gekämpft hatte, erschien er sich selbst lächerlich schwach. Lillian sammelte sich. „Also … was machst du hier eigentlich? Ich bin erst am ersten bei euch in der Abteilung eingesetzt“, erkundigte sie sich freundlich und deutete nun auf die beiden Stühle, die sehr nahe am Bücherregal standen. Mit einem nachlässigen Schwenk ihres Zauberstabs flogen zwei Teetassen herbei und obwohl die Geste höflicher Natur war, empfand Dorian das Klima noch immer als unerträglich. Er hatte Schlimmeres durchgestanden. Dennoch empfand er diese Kälte zwischen ihnen als seltsam, als neu. Sie waren einmal Freunde gewesen, in Hogwarts. Natürlich hatten sie bei weitem nicht so viel miteinander zu tun gehabt wie Dorian mit Hadrian oder Lillian mit den anderen Mädchen aus ihrem Jahrgang, doch sie hatten sich immer gut verstanden. Dass zwischen ihnen nun eine Mauer aus Schweigen stand, erschien ihm falsch. „Ich wollte mich kooperativ zeigen“, antwortete Dorian und nickte zum Dank, die Tasse in die Hände nehmend. Lillian setzte sich neben ihn auf einen der Stühle. „Hm. Ich verstehe.“ Sie betonte diese Worte ähnlich wie er zuvor und Dorian ahnte, dass sie ahnte, dass er ahnte … Ach, das wurde kompliziert. Er würde auf seine Wortwahl achten müssen, jeden Tag, auf seine Handlungen auf seine Befehle. Er würde bei jedem Schritt beobachtet werden und auch, wenn das nichts Neues war, so war es etwas Neues, von einer ehemaligen Freundin beobachtet zu werden. „Aber lass uns jetzt nicht darüber sprechen“, wandte Lillian geschickt ein, „sondern nach so langer Zeit mal über alles andere. Wie geht es deiner Mutter?“ Dorian war nicht überrascht über diesen Themenwechsel, sondern war darauf vorbereitet, dass Lillian versuchen würde, ihrerseits Sympathien aufzubauen, sodass er gewillt war, ihr mehr zu erzählen. „Gut, danke der Nachfrage. Sie hat sich zur Ruhe gesetzt, auch wenn ich nicht gedacht hätte, dass das noch einmal passieren würde“, ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht und spiegelte sich auf Lillians Zügen, „Sie macht sich gut als Hausfrau. Überraschend gut.“ Er verschwieg, dass sie sich auch als Oma überraschend gut machte und fragte stattdessen Lillian nach ihrer Schwester. Ein Schulterzucken folgte seiner Frage, das wohl vertuschen sollte, wie weh ihr diese Frage tat. „Catherine spricht seit fünf Jahren nicht mehr mit mir, aber damit habe ich gerechnet. Seitdem ich diesen Job angenommen habe, haben sich meine Prioritäten ein wenig verschoben.“ Sie lächelte Dorian an und er nickte verständnisvoll. Ihr Gespräch verlor sich in Belanglosigkeiten über Politik und Wetter, über die Unabhängigkeit Irlands vom British Empire und über die Flitterwochen Hadrians. Überrascht hoben sich Lillians Augenbrauen. „Flitterwochen?“, hakte sie ungläubig nach und Dorian musste zugeben, dass er ähnlich überrascht reagiert hatte, als Hadrian ihm erzählt hatte, dass er wohl mit Matt eine Weile verreisen würde. „Matt hat erzählt, es ist alles ganz harmlos. Dieser schamlose Lügner!“, lachte Lillian und setzte die leere Teetasse auf dem Boden auf mangels Tisch. Dorian schmunzelte. „Also hast du noch Kontakt zu Matthew?“ „Hmhm. Wir treffen uns hin und wieder mal. Aber Flitterwochen …“ „Sie sind bisher nur verlobt, also …“ „Aber da macht man doch keine Flitterwochen“, lachte Lillian und es war wirklich befreiend zu sehen, dass sie scheinbar etwas gefunden hatten, womit sie die Stimmung lockern konnten. „Das stimmt. Aber dass Matthew ihn überhaupt dazu gebracht hat mit ihm zu verreisen … Und ihn dazu gebracht hat, einen Ring am Finger zu tragen, der deutlich sagt ‚du gehörst mir‘ … Das will schon einiges heißen. Mich würde es nicht wundern, wenn sie verheiratet zurückkommen.“ „Verrückt“, lächelte Lillian und betrachtete ihre eigenen Finger. Erst jetzt schaute auch Dorian die schönen Hände der Brünetten an und bemerkte eher unterbewusst, dass sie selbst keinen Ring trug. Sie berührte kurz ihren Ringfinger, ehe sie wieder zu Dorian schaute. „Wohin sind sie denn gefahren?“ „Ich glaube, Italien. Aber sicher bin ich mir nicht. Hadrian war nicht wirklich präzise… Wahrscheinlich hatte er Angst, ich würde nachkommen um sicherzugehen, dass er auch wirklich ‚Ja‘ sagt.“ Lillian schmunzelte. „Matt kriegt ihn schon dazu.“ Ihr flüchtiger Blick auf die Uhr erklärte das Gespräch für beendet und Dorian stand ungefragt auf, half ihr beim Verstauen der Tassen und zögerte einen Moment, eher er ihr zur Verabschiedung die Hand reichte. Lillian zögerte ebenfalls, ehe sie die Hand ergriff und „auf gute Zusammenarbeit?“ als Verabschiedung vorschlug, auf die Dorian ernst einging. Das wagte er zu bezweifeln. Er wandte Lillian und ihrem Büro den Rücken zu. Am 01. Des folgenden Monats betrat Lillian Raynolds also das kleine Großraumbüro – ein Paradoxon an sich – das Dorians Abteilung ihr Eigen nannte. Waterman war wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden, war jedoch noch in der Einarbeitungsphase und nur zu wenig zu gebrauchen. Sthinger war zwar außer Lebensgefahr, hatte jedoch mit den Folgen des Fluchs zu kämpfen und Dorian besuchte sie so oft er nur konnte. „Das hier ist Lillian Raynolds“, stellte Dorian seinen drei Kollegen also seine ehemalige Hauskollegin vor. „Sie wird für die nächsten vier Monate unsere stille Beobachterin sein und ich bitte euch, ihr Zugang zu allen Akten zu gewähren und ihr auch sonst zur Seite zu stehen.“ Nur kurz flog Dorians Blick zum erhöhten Büro des Leiters der Aurorenzentrale und bemerkte, wie dieser am Fenster stand. Seine Augenbrauen zuckten nachdenklich zusammen, dann wandte er sich wieder an seine Mitarbeiter. „Wenn Fragen bestehen, klärt diese bitte direkt mit mir.“ Damit entließ er sie mit einem Handwinken und zeigte Lillian noch kurz Sthingers Schreibtisch, an dem sie sich häuslich einrichten konnte. Es war nicht zu sehen, dass sie in den nächsten vier Monaten wieder würde arbeiten können. Die ersten Tage zogen sich zäh dahin. Noch immer im Innendienst eingestellt und dazu verdonnert, die Schreibarbeit der gesamten Aurorenzentrale – zumindest kam es ihnen so vor – zu erledigen, war es für alle ein nervenaufreibender Einstieg. Dorian war einige Male bei Smith um eine Erlaubnis zu beantragen, wieder in den Einsatz zu dürfen, doch dieser bestand darauf, dass noch einen weiteren Monat Gras über die Sache wachsen sollte. Sein Team wurde immer missmutiger und auch Dorian bemerkte, wie ihm die ständig wachsamen Augen der Raynolds und die ständige Arbeit mit den Akten begann an die Substanz zu gehen. Deshalb lud er sein Team – und Lillian um guten Willen zu zeigen – am Freitagabend der zweiten Beobachtungswoche zum Essen ein. Sie gingen in ein Zaubererrestaurant ganz in der Nähe des Ministeriums, in dem vorzugsweise italienische Küche serviert wurde. Der Abend flog dahin und sein Team war endlich einmal wieder nach Wochen der Entbehrung einigermaßen locker. Mit einem Lächeln beobachtete er, wie sie auftauten und auch Lillian mit in die Gruppe integrierten. Er runzelte die Stirn. Einerseits w o l l t e er sie integrieren. Er hatte Lillian schon immer gemocht und gerade nach dem Abschlussball des siebten Jahrgangs, auf dem sie lange miteinander getanzt hatten – aber auf dem Dorian schlussendlich seine ehemalige Kräuterkundelehrerin geküsst hatte, tja – hatte er das Gefühl gehabt, in ihr eine gute Freundin gefunden zu haben. Er freute sich für sie. Freute sich, dass sie mit Raymond scherzte und mit Carla anzubändeln begann und auch Jeremy schien sich langsam an die Anwesenheit der Archivarin zu gewöhnen. Andrerseits war da der Argwohn. Er konnte sich nicht sicher sein, wie ihr Bericht ausfallen würde, was sie finden würde. Wie viel von dem, was sie fand, sie gegen ihn verwenden würde. Es mochte stimmen, sie waren einst Freunde gewesen und ganz sicher sah Dorian sie noch immer als Freundin an, doch sie musste ihren Job machen. Sie musste ihn gut machen. Wer sagte ihm also, dass sie nun nicht nur mitgekommen war, um Neues in Erfahrung zu bringen? Darin war sie schon immer gut gewesen. Seine drei Kollegen verließen nach und nach das Restaurant. Die meisten von ihnen hatten ebenfalls Familie und auch wenn Dorian liebend gerne nun bei Leila gewesen wäre, so wusste seine Tochter, dass morgen ein Tag nur mit Daddy bevorstand und auch der Sonntag ganz alleine ihnen beiden gehören würde, also war sie nur ein klitzekleinesbisschen traurig, dass Daddy nicht schon heute Abend Zeit für sie hatte. Sie war ein Engel. Dorian verabschiedete Jeremy und klopfte ihm auf die Schulter, ehe er sich wieder zu Lillian an den Tisch setzte. Sie hatten beide noch ein wenig Wein übrig und tranken ihn nun eine Weile schweigend. „Du hast tolle Kollegen“, fing Lillian leise an ohne aufzuschauen. Dorian nickte. „Ja.“ Da war nichts hinzuzufügen. Worauf wollte sie hinaus? „Ich arbeite jetzt schon fünf Jahre im Archiv und habe noch niemanden dort gefunden, den ich so sehr mag, wie du dein Team.“ Sie bewegte sich auf dünnem Eis. Ob es nun der Wein war, der sie redselig gemacht hatte, Dorian bekam das Gefühl, dass es hier nicht um ihn ging. Forschend lagen seine hellen Augen auf ihrem Gesicht und sie befeuchtete sich unbeholfen die Lippen, das Glas zwischen ihren Fingern drehend. „Ich war in den letzten fünf Jahren sehr oft krank“, gab Lillian zu, „und viele haben geglaubt, dass ich simuliere. Ich habe trotzdem immer meine Arbeit geschafft, aber das sehen die meisten nicht. Es macht mir Spaß im Archiv zu arbeiten, ich erfahre so viele neue Dinge!“ Kurz schaute sie auf und ein aufrichtiges Lächeln streifte ihr Gesicht, ehe sie wieder ernst wurde. „Hast du gemerkt, dass ich die letzten zwei Wochen nicht einmal gekränkelt habe?“ Ihre Frage war nur ganz leise gestellt und ein scheuer Blick aus braunen Augen folgte ihr, ganz so, als erwarte sie eine Rüge für diese Frage. Dorian wusste, dass sie nicht gerne darüber sprach und dass sie schon gar nicht gerne sich selbst in den Mittelpunkt stellte, also: was sollte das hier? Wollte sie Mitleid erregen? Verständnis? Wollte sie austesten, wie weit er gehen würde, um sein Team zu beschützen? Was wollte sie damit andeuten? Um den Schein zu wahren deutete er ein schmales Lächeln an und antwortete: „Ja. Das Klima tut dir gut.“ Und damit meinte er natürlich nicht das wechselhafte englische Wetter mitten im Oktober und Lillian wusste das auch, denn sie begann leise zu lachen. „Scheinbar, ja. Es ist schade, dass wir uns unter diesen Umständen wiedergefunden haben.“ Die letzten Worte kamen so schnell hervor, dass Dorian glaubte, dass sie ihm das schon die ganze Zeit hatte sagen wollen und er ließ den Argwohn für einen Moment ruhen und lächelte sanft. Er fing ihren Blick auf und versuchte ihr deutlich zu machen, dass auch er froh war, dass sie hier war und dass sie sich wiedergetroffen hatten. Dass sie es war, die ihn beobachten sollte und dass er sie vermisst hatte. Irgendwo. Tief in seinem Inneren. Sie lächelte und schien zu verstehen. „Das ist es. Aber wir sollten das Beste daraus machen.“ Lillian nickte und kicherte, als sie ihren Wein getrunken hatte. „Du solltest mich jetzt lieber nach Hause bringen, Dorian“, murmelte sie langsam, sichtlich bemüht, die Worte auszusprechen, „ich möchte nicht unseriös wirken.“ Er nickte und hielt ihr die Hand hin, half ihr in die Jacke und spannte den Regenschirm vor der Tür auf, unter den sie beide passten. Ihre Hand suchte ganz automatisch nach seinem Arm und er ließ zu, dass sie sich an ihm festhielt, um nicht zu fallen. Ihr Körper strahlte in diesem Moment eine unheimlich wohltuende Wärme aus und der Geruch nach trockenem Rotwein vermischte sich mit einem ihm unbekannten Duft nach Duschgel, vermutlich ihrem Shampoo. Nur kurz schaute er zu ihr herab und sie schaute nur kurz zu ihm herauf, lachend und er musste zugeben, dass sie an diesem Abend besonders hübsch aussah. „Du bist wirklich bemerkenswert, Lillian“, sprach Dorian schließlich seinen Gedankengang aus, vielleicht auch, weil er ein wenig zu tief ins Weinglas geschaut hatte. Fragend schaute sie zu ihm auf, doch er hatte den Blick schon wieder nach vorne gelenkt und so begnügte sie sich damit, den Kopf an seine Schulter zu lehnen und von ihm bis zum Ministerium begleitet zu werden, in der Wärme seiner Präsenz badend und mit dem Wissen, bemerkenswert zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)