Rewind And Reflect von 4FIVE ([Caleb x Cornelia | canon-sequel | enemies to lovers]) ================================================================================ Kapitel 5: A Hundred Pounds Of Water ------------------------------------ … I keep on losing more people dear to me
 with every mistake I solely made myself … F Ü N F „Wir werden sterben, oh, mein Gott, wir werden elendig verrecken! Und das nicht einmal heroisch in einem epischen Kampf um die Rettung der Welt, sondern an einer abgestürzten Rakete! Das ist nicht der Tod, den ich mir vorgestellt habe!“ Cornelia war nun endgültig in hysterische Schreikrämpfe verfallen, die Will in den Ohren dröhnten. Sie versuchte angestrengt einen Ausweg zu finden, aber die Flammen waren zu hoch, zu heiß und bereits zu weit zu ihnen vorgedrungen. „Wie verblödet müssen wir eigentlich sein? Es ist wahrscheinlich sowieso besser wenn wir von der Erde verschwinden bevor wir Erben mit unserem genetischen Material in die Welt setzen ich meine wie bescheuert kann man sein da sehen wir die brennende Rakete vom Himmel fallen und schauen ihr auch noch seelenruhig zu wie sie auf uns zufliegt lichterloh brennend anstatt dass wir wegrennen oder sonst was tun nein wir sehen ihr zu verdammt noch mal das darf nicht wahr sein!“ „Halt den Mund!“, keifte Will. „Ich möchte meine letzten Sekunden nicht mit deiner penetrant kreischenden Stimme im Ohr verbringen! Denk lieber nach, was wir jetzt machen!“ Aber sie war nicht lange sauer. Ängstlich zitternd rückten sie näher in die Mitte des Kreises. Der Schweiß lief ihnen angesichts der Hitze hinab. „Wieso brennt der Wald überhaupt? Es war doch alles gefroren und eiskalt!“, fragte sich Cornelia. „Ist doch egal, wieso wir draufgehen, wir sollten lieber zusehen, wie wir es nicht tun! Leg dich auf den Boden! Hitze steigt auf, oder?“ „Das hilft doch nichts!“, schrie Cornelia. Ihre Fingernägel gruben sich in Wills Haut und hinterließen blutige Spuren, aber diese bemerkte das überhaupt nicht. Stattdessen kauerte sie sich auf den Boden. „Es ist hier unten wirklich kälter, los, komm!“, rief Will überrascht. Sie wollte Cornelia hinab ziehen, doch sie wehrte sich. „Das liegt nicht am Boden! Hier oben wird es auch kälter!“ Dann, wie auf Knopfdruck, begann es zu regnen, als schüttete jemand einen Kübel Wasser aus. Die dicken Tropfen, die so kalt waren wie Eis, zwangen das lodernde Feuer in die Knie. Unter ihnen wurde es immer kleiner und schwächer, bis das kümmerliche letzte Flämmchen mit Zischen ausgegangen war. Sobald das Rot verloschen war, hörte auch der Regen auf. „Will! Cornelia!“, schallte es durch die Dunkelheit der Nacht. Die beiden kniffen die Augen zusammen, um die schemenhaften Gestalten erkennen zu können. „Hay Lin und…Irma?!“, rief Will ungläubig. „Was machst du denn hier?“ Freudig hievte Will ihre schweren Gliedmaßen hoch und lief auf Irma zu, doch sie wich zurück. „Ah, wehe du umarmst mich! Du bist ganz dreckig und meine Jacke ist aus echtem Leder!“ Sie lachten. Inzwischen war auch Cornelia aufgestanden und humpelte zu den anderen. „Was ist denn mit dir passiert?“ „Gestürzt“, murmelte Cornelia. Hay Lin bot ihr ihre Schulter als Stütze an. „Was machst du überhaupt hier?“ Irma biss sich auf die Lippe. „Das sollten wir nicht hier besprechen. Können wir irgendwo ungestört reden? Vorzugsweise an einem Ort mit gepolsterten Stühlen?“ „Wir könnten zu Cornelia und mir gehen. Geht das mit Eric klar, Hay Lin?“ „Natürlich.“ Eine halbe Stunde später saßen sie auf der weißen Billigcouch in Cornelias und Wills Wohnung im vierten Stock. Eric hatte sie abgesetzt und war dann gleich nach Hause gefahren, ohne weitere Fragen zu stellen. Die beiden Hausherrinnen waren frisch geduscht und ihre Wunden provisorisch versorgt, zwei Pizzas lagen vor ihnen und eine große Kanne voll frischem Kaffee stand am Wohnzimmertisch bereit. „Erst einmal“, begann Will die Fragerunde, „was machst du wieder in Heatherfield? Ich dachte, du würdest in Frankreich bleiben?“ „Ja, das wollte ich auch, aber in letzter Zeit passieren merkwürdige Dinge um mich herum.“ Sie setzte einen unheilvollen Blick auf. „Ihr wisst doch, dass ich mit Stephen ausgewandert bin. Wir sind noch immer glücklich, haben ein kleines Häuschen in L’Isle-d’Abeau nahe Lyon gekauft und uns ein wirklich tolles Leben aufgebaut. Schaut her.“ Sie zeigte ihnen ihren Finger, an dem ein silberner, dünner Ring steckte. „Wow! Ihr seid verlobt!“, freute sich Hay Lin und auch die anderen brachten Glückwünsche hervor. „Um zum Punkt zu kommen, seit einem Monat schon werde ich von einem Typen verfolgt. Anfangs war es ganz nett. Wir trafen uns zufällig beim Einkaufen, in der Videothek, im Fitnesscenter, beim Spazierengehen, im Kino, im Café, im Restaurant, in der Bibliothek-“ „Ich glaube wir haben verstanden“, unterbrach Will sie Augen verdrehend. „Aber mit der Zeit wurde es unheimlich. Zufällige Treffen schön und gut, aber das glaubt ihm doch kein Mensch mehr. Das war nervig. Besorgniserregend wurde es erst, als er Andeutungen über Dinge machte, die er nicht wissen konnte. Er machte dauernd Anspielungen auf Wasser, immer zu Wasser, Wasser, Wasser! Egal was ich sagte, er führte es auf Wasser zurück.“ „Vielleicht hat er eine Obsession oder ausgeprägte Affinität für Wasser?“, meinte Cornelia. „Nein, ich schwöre euch, es wirkte so, als wüsste er etwas“, beharrte Irma. „Aber das ist noch nicht alles.“ Mit düsterem Blick fuhr sie fort. „Vor einer Woche fing er an, über Amulette zu reden. Er zeigte mir ein Bild von einer Kette, die dem Herzen von Kandrakar zum Verwechseln ähnlich sah! Armand, so hieß er, hat mich über dieses ganze Zeug ausgequetscht, als würde er wissen, dass ich mich damit auskenne! Er wollte wissen, ob ich so etwas schon einmal gesehen habe und ob ich an andere Welten glauben würde. Dann hat er gefragt, ob ich mir manchmal wünschen würde, fliegen zu können. Außerdem hat er erzählt, dass solche Kostbarkeiten magische Fähigkeiten haben, und dass sie an geheimen Orten aufbewahrt werden, um sie vor bösen Kräften zu schützen. ‚Du siehst aus wie jemand, dem man ein solches Geheimnis anvertrauen würde’, hat er dann gesagt und mir zugezwinkert.“ „Das muss noch nichts bedeuten“, tat es Cornelia ab. „Der Kerl ist eindeutig ein Freak, der zufällig Sachen daherredet, die du so interpretierst, wie es für dich am logischsten ist.“ „Ich versichere dir, er weiß etwas!“, rief Irma verärgert über Cornelias Versuch, das alles herunterzuspielen. „Das ist auch noch nicht alles. Ich hätte nicht überstürzt meine Sachen gepackt, wenn nicht noch andere Seltsamkeiten passiert wären. Selbst wenn er etwas weiß, das kann mir egal sein, solange er mich ausfragen muss und ich nichts verrate.“ Sie nahm ein Stück Pizza und aß es mit großen Bissen in Windeseile auf. „Sag schon“, forderte Will. „Was für Seltsamkeiten?“ „Liegt das nicht auf der Hand?“, fragte Irma, ohne eine Antwort abzuwarten. „Vor drei Tagen hat die Wassergesellschaft, von der wir unser Trinkwasser beziehen, dem ganzen Ort das Trinkwasser abgestellt, weil sie Wartungsarbeiten an der südlichen Hauptleitung durchführen mussten. Wir haben das Schreiben bekommen und haben für den Tag alle unsere Nachbarn zu uns eingeladen, um die Zeit zu überbrücken, in der wir wasserlos waren. Um die Mittagszeit herum haben wir dann den Wasserhahn aufgedreht, um zu sehen, ob das Wasser wirklich tot war. Und es lief! Und unterbrich mich nicht mit deinen Herabsetzungen, Cornelia, ich bin noch nicht fertig“, mahnte sie im selben Atemzug. Cornelia hob nur abwehrend die Hände. „Jedenfalls haben alle anderen in ihren Häusern ebenfalls versucht, Wasser zu bekommen, aber im ganzen Ort hat es nicht funktioniert. Dann hat Stephen es bei uns versucht und die anderen Nachbarn auch, aber nichts kam. Keine Minute später war ich wieder dran und da lief es wieder! Und bevor Cornelia wieder Einwände hat, wir haben bei der Wassergesellschaft angerufen – sie haben das Wasser auch für unseren Haushalt gekappt. Es gibt auch keine Aufzeichnungen in ihren Systemen, dass ihr Wasser durch unsere Leitungen lief an diesem Tag!“ „Willst du damit sagen, dass du deine Kräfte wieder hast?“, fasste Will zusammen. „Wie hätte ich sonst den Regen heraufbeschwören können?“ „Natürlich!“, fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen. „Ich war noch so geschockt, dass ich es gar nicht durchdacht habe.“ „Es ergibt alles Sinn“, gab Cornelia schließlich zu. Mit einer kleinen Handbewegung ließ sie urplötzlich eine Orchidee auf das Doppelte ihrer ursprünglichen Größe anschwellen. „Ach du grüne Neune…“ „Haha, super Wortwitz“, kommentierte Irma matt. „Das hat etwas zu bedeuten.“ „Aber wieso haben wir es nicht bemerkt?“, fragte sich Will. Irma hatte die Antwort. „Erde und Luft sind nicht gerade auffällige Elemente. Wenn plötzlich aus eurem Fußboden Pflanzen gesprossen wären, dann hättet ihr es auch bemerkt, aber so eine Pflanze ist ein eher unauffälliges Lebewesen. Und Luft sieht man nicht. Hay Lin könnte höchstens bemerkt haben, dass die Luft um sie herum sauberer ist.“ Die Begründung fand Anklang, doch nun stand man vor einem neuen Problem. „Und was machen wir jetzt?“ Hay Lin legte grübelnd den Kopf schief. Cornelia neben ihr schürzte die Lippen. „So viel zu alten Zeiten.“ Sie lachten kurz, doch das Amüsement verflog rasch. „Dass wir unsere Kräfte wieder haben bedeutet, dass wir gebraucht werden. Es gibt also eine neue Bedrohung.“ „Die Frage ist nun, wer, wieso, was und wie“, stimmte Irma zu. Cornelia verschränkte die Arme. „Im Prinzip wissen wir also nichts, bis auf die Tatsache, dass schon wieder etwas unser Leben versaut.“ „Wieso so missmutig?“, fragte Irma schelmisch. „Sie hat heute Abend geglaubt, Caleb zu sehen“, klärte Will trocken auf. Ihre Gedanken waren so tief bei dem vermeintlichen neuen Feind, dass sie jedwedes Feingefühl außen vor ließ und sich nicht daran störte, von Cornelia eine Beleidigung an den Kopf geworfen zu bekommen. „Er war da!“, rief sie aufgebracht. „Es mag sein, dass ich nicht allzu gut auf dieses Thema reagiere, aber ich bin mir sicher. Am Vierundzwanzigsten habe ich ihn auch gesehen. Er stand auf meinem Balkon.“ Irma deutete ihr schweigend den Vogel, doch sie ignorierte es. „Ich weiß, was ich gesehen habe, immerhin bin ich nicht geistig behindert. Und wenn ihr mich nun entschuldigt, ich muss morgen früh zur Therapie.“ Nun gab es für Irma kein Halten mehr. Sie prustete mit vorgehaltener Hand los und fand ihre Fassung erst wieder, nachdem Hay Lin sie mit einem dunklen Blick gestraft hatte. „Geht es ihr wirklich so schlecht damit, Will? Es sind doch schon fünf Jahre.“ Die Angesprochene seufzte resignierend. „Sie hat jede Nacht Alpträume und in letzter Zeit sind sie schlimmer geworden. Sie redet dauernd davon, dass die Träume sich komisch anfühlen und irgendwie abwegiger sind, als die anderen. In letzter Zeit weint und wimmert sie sehr viel im Schlaf. Aber sonst geht es ihr mit Abstand am besten, wenn man die letzten fünf Jahre als Maßstab nimmt.“ „Hatte sie einen Freund in letzter Zeit?“, hakte Hay Lin nach. „Nein. Nicht einmal annähernd. Am Donnerstag trifft sie sich mit einem Typen, den sie am Weihnachtsmarkt kennen gelernt hat, aber das wird vermutlich nichts, nun, da sie glaubt, Caleb überall zu sehen.“ Irma nahm das ganze nicht so eng wie die anderen und konnte nur schwer ernst bleiben. „Dann hoffen wir, dass diese Therapie Wunder vollbringt. Wenn wir wieder nach Meridian müssen, werden sie sich unweigerlich über den Weg laufen. Wäre eher uncool, wenn sie einen Weinkrampf bekommt, sobald wir kämpfen müssen.“ Will gebot ihr Einhalt. „Noch ist nicht sicher, ob es zu einem Kampf kommen wird. Es ist nicht einmal sicher, ob es überhaupt eine neue Gefahr gibt. Und ich bitte dich in aller Freundschaft, nicht so abfällig über Cornelias Gefühle zu sprechen. Du hast sie im den letzten Jahr nicht erlebt.“ Hay Lin stimmte ihr zu. „Ich glaube noch immer, dass sie füreinander bestimmt sind. Immerhin hatte sie schon Träume, bevor sie ihn überhaupt kannte. Wenn ihr mich fragt, hat das etwas zu bedeuten.“ „Klar“, sagte Irma sarkastisch. „Darum hat er auch Schluss gemacht, weil sie zu jung war. Es ist ja auch nur sie älter geworden. Nun ist der Altersunterschied nicht mehr genauso groß. Wieso heult sie ihm überhaupt noch nach? Sie war doch mit Peter glücklich.“ Will ließ sich nach hinten fallen und massierte sich die Schläfen. Auch sie war müde und abgespannt. „Das mit Peter ist ja recht schnell und schmerzlos vorüber gegangen, falls du dich erinnerst. Das hat sie gar nicht mitgenommen. Wir alle dachten, sie sei damit auch über Caleb hinweg. Aber seit Peter und sie auseinander sind, geht alles drunter und drüber. Angefangen hat es mit einem ziemlich heftigen Traum – die Szene, in der er sie verlassen hat und das auch noch detailgetreu. Das hat sie ziemlich verstört. Sie sagte, es war alles so abnormal real. Und seit dem Tag hat sie immer wieder diese furchtbaren Träume. Ich denke, es ist, weil sie eben doch nicht über ihn hinweg ist. Es war scheinbar eine zu starke Liebe oder sie sind wirklich füreinander bestimmt, so wie Hay Lin meint.“ „Du könntest ruhig etwas überzeugter klingen“, beschwerte diese sich. „Ehrlich gesagt, ich vermute, sie hat alles einfach verdrängt. Peter war eine Ablenkung, aber er konnte ihr nicht das geben, was Caleb ihr geben konnte. Und nach ihm kam alles wieder hervor.“ „Seit die Träume wieder angefangen haben ist sie immer deprimierter und stiller geworden“, setzte Will fort. „Ich kann das völlig verstehen, ich wäre auch nicht gerade glücklich, wenn ich jede Nacht sehen würde, wie Matt in den Flieger nach New York steigt, um mit seiner Band berühmt zu werden. Insofern ist es natürlich, dass sie so reagiert. Was allerdings nicht natürlich ist, ist, dass die Träume wieder angefangen haben. Anfangs dachten wir, Caleb wäre in unserer Welt oder wir würden ihn bald wiedersehen unter irgendwelchen Umständen, denn als sie vor fünf Jahren von ihm geträumt hat, war es dasselbe. Aber nichts, nada.“ „Stattdessen“, übernahm Hay Lin, „hat sie immer wieder denselben Traum, bis vor ein paar Tagen. Seit die bei diesem Dr. Blight ist, wirkt sie wieder äußerst fröhlich. Ich denke, sie kommt demnächst über ihn hinweg und diese Odyssee ist bald vorbei. Aber irgendwann werden sie doch noch zusammenkommen.“ „Wisst ihr, was ich mich frage?“, wechselte Irma das schwere Thema. „Wenn ich unbewusst Wasser beschwören konnte, was hat Taranee dann wohl abgefackelt?“ Vier Meter weiter lag Cornelia still in ihrem Bett und hatte jedes Wort der Unterhaltung durch die dünnen Wände des Neubaus durchgehört. Sie verzog beleidigt das Gesicht. Sollte Irma doch denken, was sie wollte. Wenn sie meinte, Cornelia war ein übersensibles emotionales Weichei, bitte. Sie wusste, dass sie Caleb gesehen hatte und, dass das alles kein Zufall war. Und trotzdem…wieso fiel es ihr seit ein paar Tagen so leicht, nicht an ihn zu denken? Warum hatte sie von beinahe einer Stunde auf die nächste keine Weinkrämpfe mehr, keine Panikattacken und Depressionen? Wieso dachte sie kaum noch an Caleb, außer in Momenten, in denen sie sich dazu zwang? Und wieso schwor sie, ihn zweimal gesehen zu haben, wo sie doch scheinbar über ihn hinweg war? Und was noch wichtiger war – wieso fühlte sie gerade eine zart aufkeimende Abneigung gegen ebenjenen Mann, für den sie noch vor einer Woche gestorben wäre? Fragen über Fragen, aber Antwort erhielt sie nur eine. Blight war ein Genie. Bis auf den Teil mit der Abneigung und dem völligen Vergessen war Cornelia durchaus mit seinen Ergebnissen einverstanden. Womöglich schaffte sie so ihr Ziel wirklich in vier Wochen. Der nächste Tag begann für Cornelia mit einem Frühstück in Dr. Blights Behandlungszimmer. Er hatte Gebäck, Wurst und Tee bereitgestellt und ihr die Finanzierungsmethoden erklärt. Blight arbeitete gerade an einem Buch über soziale Beziehungen und Kognitionen und bat sie um die Einwilligung, ihren Fall als große Ausnahme und Rätsel der Psychologie in einem Extrakapitel unterzubringen – Namensänderungen auf Sophie und Jake inbegriffen. Damit wäre die Sache für ihn erledigt und sie konnten zum psychologischen Teil übergehen. „Ich bat Sie, eine Geschichte auszuwählen, in der sein Name mindestens achtmal vorkommt. Sind Sie dafür bereit?“ „Ja, das bin ich.“ Und das war keine Lüge. Cornelia war überrascht, wie leicht es ihr plötzlich fiel, über das ganze Thema zu reden „Es war an Silvester vor fünf Jahren. Caleb, so hieß er, und ich waren am Oakley Hill verabredet. Wir wollten uns das Feuerwerk zusammen ansehen. Damals waren wir schon lange zusammen. Er kam aus einer…etwas anderen Familie und unsere Gepflogenheiten waren ihm nicht allzu gebräuchlich, nehme ich an. Jedenfalls kam er um eine Stunde zu spät.“ „Vergessen Sie den Namen nicht“, warf Blight ein. „Caleb kam zu spät“, wiederholte sie leichtmütig. „Das Feuerwerk war lange zu Ende, die meisten Leute schon weg und ich stand abgefroren und zitternd in der Kälte. Als er endlich kam, erklärte Caleb mir, dass er…geschäftliche Verpflichtungen gehabt hatte und fragte mich, wieso ich nicht einfach gegangen war. Ich könne mich glücklich schätzen, wenn ich nicht krank werden würde. Meine Antwort war: ‚Weil ich niemals aufgeben werde, auf dich zu warten, solange ich weiß, dass du mich liebst.’ Caleb nannte mich verantwortungslos, weil ich meinem Körper zu viel zugemutet hätte. Als ich am nächsten Tag tatsächlich eine schwere Grippe bekam, wich Caleb tagelang nicht von meiner Seite. Er fühlte sich dafür verantwortlich und wollte mir das Versprechen abnehmen, nie wieder zu warten, aber gerade das konnte ich ihm nicht schwören. Caleb, Caleb, Caleb. Damit wären wir auf acht.“ Blight klatschte anerkennend in die Hände. „Eine wunderbare Geschichte und Sie haben scheinbar genau diejenige ausgewählt, die Ihre Trauer erklärt. Sie haben ihm versprochen, zu warten. Und dieses Versprechen hat sich so tief in Ihr Unbewusstsein eingebrannt, dass Sie noch immer daran festhalten. Doch wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind – lieben Sie ihn noch, oder vermissen Sie nur das Gefühl, geliebt zu werden?“ „Verstehen Sie mich nicht falsch“, lenkte Cornelia ein. „Ich wurde geliebt. Ein halbes Jahr, nachdem wir uns getrennt hatten, trat Peter in mein Leben. Er blieb ein Jahr lang und wir waren sehr glücklich.“ „Was lief schief?“ „Ich weiß es nicht genau. Irgendwie war die Liebe nach diesem Jahr eben erloschen“, überlegte sie. „Könnte das etwas damit zu tun haben, dass Sie Caleb und Peter miteinander verglichen und die Romanze mit ersterem sich als aufregender und dramatischer herausgestellt hatte?“ „Ich weiß es nicht“, meinte Cornelia schlicht. Blight brach ab. „Viel wichtiger ist ohnehin, wieso Sie nach fünf Jahren noch immer an Caleb hängen. Haben Sie Ideen?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Gibt es denn unbewusst angelegte Indikatoren für die Stärke der Liebe zu ihm? Gedichte? Tagebücher? Träume?“ Cornelia wollte bereits mit der Wahrheit antworten, doch etwas hielt sie davon ab. Sie wusste nicht, wieso, aber obwohl sie Blight vertraute, gab es laut ihrem Gefühl Dinge, die sie ihm nicht erzählen sollte. „Nein. Ich denke aber nicht, dass ich ihn noch liebe. Zumindest nicht so, wie man Liebe definieren würde. Ehrlich gesagt, seit Ihre Therapie begonnen hat, denke ich weniger an ihn, als je zuvor.“ „Sie machen tatsächlich die größten Fortschritte, die ich jemals gesehen habe“, lobte Blight sie. „Doch wenn Sie wirklich ehrlich sind, lieben Sie ihn noch immer. Sie reden sich nur ein, dass er Ihnen nichts mehr bedeutet, um sich selbst zu beweisen, wie stark Sie sind.“ Doch Cornelia konnte ihm nicht zustimmen. Sie versuchte sogar im Geheimen, mit Schmerz an Caleb zu denken, an die schöne Zeit und an sein schönes Gesicht, aber ihre Gedanken wollten einfach nicht bei diesem Thema bleiben. Sie liebte ihn nicht mehr, wollte nichts mehr über ihn wissen und schon gar nicht über ihn reden. Und das innerhalb weniger Tage. Je mehr Blight ihr einzureden versuchte, dass sie ihn noch lieben würde, desto mehr war sie davon überzeugt, dass es nicht stimmte. In dieser Art ging das Gespräch weiter, bis Cornelia nach einer dreiviertel Stunde endlich wieder in ihrem Wohnzimmer saß und von Irma aufgezogen wurde. Sie berichtete Will die Ergebnisse der Sitzung, doch diese stand dem ganzen eher skeptisch gegenüber. Sie glaubte nicht daran, dass es einfach Klick machte und alles war gut. Cornelias gute Laune bereitete ihr Sorgen. Monatelange Heulkrämpfe und Depressionen waren einfach so verschwunden, nur weil so ein Typ ein wenig mit ihr plauderte? Sie konnte das nicht ganz für voll nehmen. Und dennoch war es eine Freude zu sehen, wie Cornelia von Tag zu Tag weiter aufblühte. „Wann denkt ihr, dass Taranee auftauchen wird?“, fragte Hay Lin, während sie versuchte, sich mit Cornelias Glätteisen Locken zu machen. „Sehr bald, vermute ich“, meinte Cornelia, nahm Hay Lin das Stylinggerät aus der Hand und korrigierte gewissenhaft die schiefen schwarzen Kringel auf deren Kopf. „Übrigens, ich hatte gestern schon wieder so einen seltsamen Traum.“ Will forderte sie auf, zu erzählen. „Es wird wirklich gruselig. Ich stand in meinem Pyjama im Park und auf einmal kam Caleb auf mich zu. Ich erkannte ihn nicht. Als ich ihn nicht gegrüßt habe, hat er eine Waffe genommen und wollte mich erschießen.“ „Und du redest darüber, als hättest du vom Wäschewaschen geträumt?“, stellte Will ungläubig fest. „Du machst mir Angst. Vor einer Woche wärst du völlig ausgetickt. Vor allem, wenn er dich erschießt! Mit einer Waffe! Bist du sicher, dass es eine gute Idee ist, diesen Dr. Blight weiterhin aufzusuchen?“ „Natürlich“, konterte Cornelia. „Du siehst doch, dass es hilft. Ich nehme diese kurzen Exkursionen nicht mehr ernst und das ist auch gut so. Dr. Blight hat mir schon sehr geholfen.“ Damit war das Thema für sie beendet und Will schluckte ihre Bedenken hinunter. Wenn Cornelia unbedingt daran glauben mochte, dass alles so einfach funktionierte, sollte sie. Sie würde die bittere Wahrheit sowieso noch schnell genug zu spüren bekommen. Das war alles zu einfach. Aber diese Worte blieben ungesagt. Zwei Stunden später saßen die vier in einem Restaurant und Irma erzählte, wie sie sie so schnell gefunden hatte. „Wir haben noch nie ein Oakley-Hill-Feuerwerk verpasst, also war ich mir sicher, dass ihr dort ward. Nachdem ich Hay Lin gefunden hatte, haben wir nach euch gesucht und dann haben wir von Weitem das Feuer gesehen. Wir dachten schon, Taranee wäre auch hier.“ „Da das nun geklärt wäre“, begann Will und wandte sich Cornelia zu, „ich halt das nicht aus. Du sagst mir jetzt sofort die Wahrheit.“ „Welche Wahrheit denn?“ Sie wich vor der Gabel zurück, mit der Will wild herumfuchtelte. „Was hat Blight mit dir gemacht? Es ist ja vieles normal und möglich in unserer Welt, aber seit fünf Jahren weinst du jeden Tag, bist deprimiert, leidest sogar an Depressionen, Heulkrämpfen und erklärst mir, dass du Caleb noch immer so sehr liebst. Deine Gedanken waren seit fünf Jahren jeden Tag bei ihm – stundenlang! Und nun ist alles vorbei, weil dir der Kerl sagt, du sollst damit aufhören? Ich meine, hast du etwa all die schönen Momente mit Caleb vergessen, die du hattest?“ Plötzlich spürte Cornelia einen Schlag mitten ins Gesicht. „Ja“, antwortete sie matt und von sich selbst überrascht. „Erinnerst du dich an gestern Abend? Ich hab dir erzählt, dass mir die Erinnerungen entgleiten.“ „Soll das heißen, du vergisst ihn wirklich?“, fragte Hay Lin schockiert. Cornelia nickte schwach. „Es reicht“, beschloss Will. „Du gehst ab sofort nicht mehr zu Dr. Blight. Was der Typ mit dir macht, ist wirklich nicht gut.“ „Vielleicht nicht, aber dadurch geht es mir gut!“ Energisch gestikulierte auch Cornelia mit ihrer Gabel. „Egal was er macht, mein Zustand hat sich gebessert. Ich kann wieder klar denken, ich muss nicht dauernd fürchten, in Tränen auszubrechen und, dass es so schnell ging, ist ein zusätzlicher Bonus. Er hat mir geholfen, Caleb endlich als denjenigen zu sehen, der mir das Herz gebrochen hat und ihn dementsprechend zu verachten.“ Erschrocken hielt sie die Luft an. „Hab ich das eben wirklich gesagt?“ Auch die anderen starrten sie irritiert an. „Aus, Ende, sage ich, du gehst nicht mehr dorthin und wenn ich dich mit Gewalt davon abhalten muss“, entschied Will schließlich. Endlich sah Cornelia wieder klar. „Ja. Ja, du hast Recht, ich sollte ihn nicht mehr aufsuchen.“ „Aber seltsam ist das Ganze schon“, stellte Irma fest. „Selbst wenn er der beste Psychiater der Welt ist, wie kann er das alles so schnell bewerkstelligen? Da ist doch was faul.“ „Er ist Psychologe und kein Psychiater, das ist ein grundlegender Unterschied“, verbesserte Cornelia sie. „Außerdem ist da gar nichts faul. Blight ist ein äußerst angesehener Mann, der schon einige Preise gewonnen hat und auch ziemlich bekannt ist.“ Sie hatte die Stimme erhoben und keiner wagte es, ihr zu widersprechen. Keiner, außer Irma, wie immer. „Wenn du mal genau darüber nachdenkst muss etwas faul daran sein! Ich halte sowieso nichts davon, als Frau einem Kerl nachzuheulen, der mir als Mädchen das Herz gebrochen hat, wahre Liebe ist Schwachsinn, aber nehmen wir an, das ist wirklich alles so schwierig und ernst. Wie kann ein Mann, egal wie viele Preise er gewonnen hat, einer Frau in einer Woche so viel Besserung verschaffen, die es in fünf Jahren nicht geschafft hat, dass sie zumindest nicht mehr weinen muss?“ „Indem, liebe Irma“, sagte Cornelia scharf, „besagter Mann in einer Sitzung das zentrale Problem erkannt hat und genau den Kern der Sache behandelt hat und nicht das Drumherum, so wie andere Psychologen, um abzukassieren.“ „Hört auf jetzt“, unterbrach Will. „Es ist fürs erste egal, ob Blights Methoden einwandfrei sind. Ich jedenfalls vertraue Cornelias Urteil, dass er ein rechtschaffender Mann ist.“ „Es gibt doch zweifelsohne eine neue Bedrohung“, blieb Irma stur. „Wer sagt, dass nicht er es ist?“ „Ein Professor, der seit zwanzig Jahren hier lebt und jetzt erst anfängt zu handeln? Ich denke eher nicht.“ Auch Cornelia stellte auf stur. „Ich gebe zu, das alles kommt auch mir komisch vor, aber selbst wenn etwas in Dr. Blights Praxis vonstatten gehen sollte, dann ist er nicht involviert.“ „Ich bin mir da nicht so sicher“, sagte Irma entschieden. Zwei Tische weiter sah ein junger Mann von der Speisekarte auf und verließ das Restaurant ohne bestellt zu haben durch einen Seitenausgang. Sein Haar war braun. In der Zwischengasse schloss er die Augen und war urplötzlich verschwunden. Derselbe Mann tauchte in derselben Sekunde, in er aus der Seitengasse verschwunden war, ein paar Kilometer weiter im Stadtviertel Surrey wieder auf. Er öffnete den Hintereingang des pompösen Hauses, vor das er sich teleportiert hatte. Vor ihm eröffnete sich ein vertrauter, weitläufiger Raum mit verstaubten Arztinstrumenten und einem großen Röntgenapparat. „Odin?“ Seine tiefe Stimme erklang hallend in dem verfliesten Zimmer. „Ich habe Neuigkeiten.“ „Sprich“, ertönte die rauchige, tiefe Stimme aus dem Hintergrund. Odin trat ins spärliche Licht, das durch die halb offene Türe schien. „Die Wächterinnen sind beinahe wieder vollständig. Das Wasser hat den Trug durchschaut und ist misstrauisch geworden. Das Feuer wird nicht lange auf sich warten lassen, wenn Ophra nicht vorsichtiger ist als Armand. Und selbst wenn, ihre Kräfte sind wieder erwacht. Sie werden bald wieder vereint sein.“ „Nun, dann müssen wir schnell handeln“, beschloss Odin. „Phoebe wird nicht allzu erfreut sein, wenn wir versagen.“ „Ich habe gleich gewusst, dass deine Methode nicht funktionieren wird. Sie geht zu langsam. Hast du irgendetwas erreicht?“ Der Ankömmling klang verärgert. „Noch nicht, Collin“, zischte Odin kalt. „Heute Nacht werde ich den Versuch wagen. Ich hatte ihn zwar erst für nächsten Monat vorgesehen, aber den Umständen entsprechend muss mein Plan wohl beschleunigt werden.“ „Das wäre von Vorteil. Sie beginnen, Dr. Blight zu misstrauen. Die Erde hat beschlossen, ihn nicht mehr aufzusuchen.“ „Ich verstehe, aber das wird nicht zum Problem werden.“ Odin ließ sich neben dem kaputten Röntgenapparat nieder. „Sollte mein erstes Vorhaben nicht gelingen, wird die Ihalla in den Bohnen ihr Nötiges auch alleine tun. Und in ein paar Tagen ist es dann soweit. Wann triffst du dich mit ihr?“ „Morgen Abend.“ „Gut. Du weißt, was dein Auftrag ist. Geh nun.“ Als Collin gegangen war, erhob sich Odin wieder und wanderte überlegend ein paar Schritte durch den Raum. „Mal sehen, mit welchen wunderbaren Bildern ich heute dienen kann, meine liebe Cornelia.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)