Das Neue Leben von Nightowl (Nach dem Erwachen) ================================================================================ Prolog: ~ Erinnerung ~ ---------------------- Plötzlich wusste er wieder, wer er war. Schon so lange war er auf der Suche nach Antworten gewesen. Antworten, die ihm niemand geben konnte. Doch nun, da Kamijo in den klaren Nachthimmel emporblickte, gebannt von der unendlichen Schönheit der Sterne, überwältigten ihn die alten Erinnerungen an Zeiten, welche dem Gedächtnis der Welt schon längst entschwunden waren. Für einen kurzen Moment traten Tränen in seine Augen, denn es waren schmerzhafte Erinnerungen, sie brachten sein Herz zum Bluten. Der Wald, durch den er ziellos gestreift war, schien ergriffen den Atem angehalten zu haben, doch mit einem Mal rauschte ein Windstoß durch die Bäume und die Blätter und Äste brachen in ein ohrenbetäubendes Geschrei aus. Blitzschnell wandelte sich Kamijos Miene. Das Leuchten seiner schneeweißen Augen durchstach die Nacht wie ein Dolch und ein entschlossenes Lächeln umspielte sein blass schimmerndes Gesicht. Beim nächsten Augenzwinkern war er verschwunden. Nur der Wind flüsterte das Echo seiner leisen und doch klaren Worte: „Die Zeit ist gekommen ...“ ~ ... Kapitel 1: ~ Rückkehr ~ ----------------------- Auf seinem langen Weg über die Hügel und Ebenen des schlafenden Landes bemühte Kamijo sich, seine Gedanken zu ordnen und einen klaren Kopf zu bewahren. Während die Landschaften unter und neben ihm so schnell vorbeizogen, dass die Umgebung zu einem einzigen endlosen dunklen Vorhang verschwamm, dachte er daran, was gerade, und vor allem, was lange Zeit zuvor geschehen war. Die besondere Sternformation, welche nur einmal in tausend oder zweitausend Jahren, so genau wusste er es selbst nicht, am Himmel erschien, hatte die Erinnerungen an die damaligen Geschehnisse zurückgebracht. Sein Ziel hatte er fest vor Augen, er sah es jetzt ganz klar in seinen Gedanken, als hätte sich eine dicke Staubschicht von einem alten Gemälde gehoben. Würden die anderen auch hier sein? Hatten auch sie die Sternformation bemerkt und ihre Erinnerung an jene schicksalhaften Zeiten zurückerlangt? Kamijo wusste, dass er nur eine Antwort auf diese Fragen bekommen würde, wenn er zum Ort des Geschehens zurückkehrte. In Wahrheit hoffte er, dass nur ein einziger kommen würde ... nur der eine von den vieren, deren Schicksale unwiderrufbar miteinander verknüpft waren. Aber er wusste natürlich, dass dies niemals eintreten würde ... sie alle würden kommen. Der Gedanke daran entlockte ihm ein leises, ungewolltes Knurren und ein schweres, ungutes Gefühl machte sich in ihm breit. Angesichts der Ereignisse vergaß er sogar seinen Durst nach Blut. Er hatte lange nicht mehr getrunken, doch dies war im Moment eine seiner kleineren Sorgen., denn er hatte gelernt, den Durst zumindest für eine gewisse Zeit zu unterdrücken. Und das war gut so, wie sich nun herausstellte. Nach einiger Zeit schärften sich seine ohnehin schon wachsamen Sinne angesichts der Spannung, die in der Luft flimmerte, noch mehr. Fast war es, als würden die Bäume ehrfürchtig Platz machen und dem erhabenen Reisenden den Weg freimachen. Oder war es die Furcht, die sie zurückweichen ließ? Vor Kamijos Augen tat sich endlich die Lichtung auf, zu der es ihn so unaufhaltsam zog. Er hielt inne und betrachtete jenen Ort, den er schon so lange vergessen gehabt hatte, und der trotz der langen Zeit, die verstrichen war, nichts von seinem Zauber verloren hatte. Umrankt von altem Efeu und noch viel älteren Bäumen erhob sich hier ein dunkles Schloss aus dem Boden, dessen wahres Ausmaß der Wald rings herum zu verschlingen schien und nicht einmal der blasse Mond konnte dessen wahre Erscheinung preisgeben. Vielmehr verwandelten die Bäume seinen Schein in ein Spiel aus silbrigem Licht und schwarzen Schatten. Steinerne Wasserspeier hockten auf den Dachfirsten und glotzten böse herab auf jeden, der sich diesem unheimlichen Gebäude näherte. Für Kamijo jedoch waren sie der Willkommensgruß, den er schon so lang nicht mehr vernommen hatte. Der Gedanke an damals war so überwältigend, dass erneut Tränen in seine Augen traten. Langsam und bedächtig schritt er heran und versuchte, die Umgebung mit all seinen Sinnen zu erfassen. War er etwa ganz alleine hier? Einige Raben umkreisten die Türme, die über die Wipfel der Bäume hinausragten. Das Tor aus massivem Holz, das seine besten Tage schon lange hinter sich hatte und schutzlos den Pflanzen und der Verwesung ausgesetzt war, war einen kleinen Spalt breit geöffnet. Aber das musste nichts bedeuten. „Hier bist du also, Ort des Schicksals ...“, raunte er in die Nacht hinein. „Noch immer bist du wunderschön ... so wie damals ...“ Wie ein Windhauch huschte er durch das Tor und betrat die riesige Eingangshalle. Wilde Rosen hatten diesen Ort erobert und sich untertan gemacht. Kamijo sah es mit Verwunderung – und gleichzeitig mit verzücktem Stolz, denn es trug nur noch mehr bei zu der Schönheit seines Anwesens. Die Staubschicht, welche die Spiegel und Kronleuchter eingehüllt hatte, schimmerte geisterhaft im hereinwabernden Mondlicht. Ohne den Staub aufzuwirbeln schritt Kamijo die knarrenden Stiegen hinauf. Es kostete ihm große Mühe, die Ruhe zu bewahren, denn seine Anspannung war inzwischen ins Unerträgliche gestiegen. Er wollte ihn wiedersehen ... nach so langer Zeit war seine Sehnsucht jetzt so plötzlich und so stark, dass sie den alten, ansonsten so beherrschten Vampir mühelos unter Kontrolle hatte. Vor ihm lag eine weitere Tür. Er glitt hindurch und blickte sich um. Der große Ballsaal war ebenfalls mit Rosen verwachsen und die Kerzenleuchter, die auf den Tafeln und an den Wänden hingen waren schon ewig nicht mehr entzündet worden. Ein fremder und doch vertrauter Anblick für Kamijo – doch mit einem Mal durchfuhr ihn eine Ahnung, die ihn zusammenzucken ließ. Mit leuchtenden Augen sah er sich um und suchte die Schatten um ihn herum nach einem Zeichen ab, das ihm verraten könnte, dass er nicht allein war. Er sehnte sich nach einem Zeichen. „Seid gegrüßt, Herr!“, durchbrach eine Stimme die Dunkelheit, und obwohl es nicht mehr als ein Murmeln war, schien es Kamijo, als holte ein gellender Glockenschlag das Schloss aus seinem langen Schlaf. Sein Blick huschte zu den langen Fenstern, die knapp unter der Decke waren und das Mondlicht nur sehr zögerlich in den Saal fallen ließen. Dort, auf einem der steinernen Simse, zeichnete sich vor dem bunten Fenstergläsern die schwarze Silhouette eines Mannes ab, der aufrecht und anmutig auf Kamijo hinabblickte. Dieser begann zu lächeln – nicht etwa erleichtert, oder gar freudig, sondern kalt und herablassend – und entblößte seine langen, spitzen Eckzähne, was seinem ohnehin schon makellosen Gesicht noch mehr Schönheit verlieh. „Also ist die Zeit tatsächlich gekommen“, sagte er und konnte nicht ganz seine Enttäuschung verbergen. „Und ich sehe ... mit Freuden ... dass nicht nur ich den Ruf vernommen habe.“ Der Mann stieß sich kraftvoll vom Fenster hinab und landete fast ohne Geräusch auf dem vermoderten Teppich. Dann trat er langsam aus den Schatten auf Kamijo zu und verbeugte sich elegant, ebenfalls mit einem Lächeln im Gesicht, das seine wahre Identität verriet. „Ich grüße dich, Yuki“, sagte Kamijo und wandte sich mit einem leisen Rauschen ab. „Es ist schon verdammt lange her, seit wir diese Mauern betreten haben.“ „Viel zu lange“, stimmte Yuki zu. „Und nun sind wir also endlich hier, Herr. Glaubt Ihr, dass die anderen auch kommen werden?“ Auch wenn Kamijo aus Yukis Worten heraushörte, dass er sich bemühte, die Ruhe und vermeintliche Freundlichkeit zu wahren, die Vergangenheit konnte niemand ungeschehen machen. „Sind sie noch nicht hier?“, fragte er knapp. Lieber hätte er ihn wutentbrannt gefragt, wieso zum Teufel er gekommen war, und ihm gesagt, dass es nicht er war, den er treffen wollte, natürlich wusste er, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte, sie beide bedeuteten sich wenig, beide warteten sehnsüchtig auf jemand anderen. Doch gegen das Schicksal waren selbst sie beide machtlos. „Wären sie gekommen, hätte ich sie sicherlich bemerkt.“ Yukis Blick und Tonfall waren fast unmerklich niedergeschlagen. Kamijo war natürlich klar, warum dies so war. „Verstehe ...“, sagte Kamijo und wandte den Kopf zur Seite. „Natürlich werden sie kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Wer weiß, wo sie sich zuletzt aufgehalten haben.“ Er verdrehte die Augen. In diesem Moment zerbarst die Tür zum Ballsaal, schleuderte krachend gegen die lange Tafel und riss Kerzenhalter und Holzsplitter mit sich. Die zwei Anwesenden fuhren herum und starrten mit glühenden Augen und kampfbereiten Mienen in den Türrahmen. Eine zierliche Gestalt stand dort, die Hand zu einer vermeintlich vornehmen Geste erhoben, ihr prachtvolles Gewand war mit edlen Mustern und Rüschen in den Farben des Eises bestickt – doch es war über und über mit Blut besprenkelt. Ein dünnes rotes Rinnsal zog sich von den Mundwinkeln über den Hals und verschwand in dem Kragen. „Teru!“, donnerte Kamijo wutentbrannt und seine weißen Augen fixierten ihn. „Dies ist nicht dein Schloss! Hör auf, es in Trümmer zu legen!“ Teru zeigte sich unbeeindruckt. Seine Miene war die reine Unschuld, doch die Spuren seines letzten Opfers zerstörten dieses Bild erbarmungslos. Es war ein bizarrer, fast verstörender Anblick. „Seltsam, mein Herr, dass Euch das noch kümmert ...“, säuselte er und schritt fast schwebend in den Saal. Kamijos Blick verfinsterte sich noch mehr und seine weißen Augen glitzerten eisig. Ihm war im Moment vollkommen egal, ob sein ehemals so prächtiges Schloss nun eine unversehrte Flügeltür mehr oder weniger hatte. Der wahre Grund für seine Wut, die in ihm loderte, war seine gewaltige Sehnsucht, die allmählich auch eine brennende Trauer mit sich brachte. Wieso nur war er noch nicht hier? All die Hoffnung, die ihn zuvor angetrieben hatte, begann erbarmungslos zu schwinden und ließ stattdessen Verzweiflung zurück. Als er sich mit leerem Blick zu den beiden anderen umwandte, sah er, wie Teru mit einem einzigen kraftvollen Satz auf einen der hochgelegenen Fenstersimse sprang und dann geradewegs durch das berstende Fenster nach draußen in die Nacht verschwand. Leise fielen die bunten Glasscheiben wie ein farbig funkelnder Regen hinab auf den staubüberzogenen Boden. Kamijo musterte Yuki, der mit ihm allein in dem riesigen Ballsaal zurückgeblieben war. Dieser hatte sich abgewandt und schien tief in sich versunken zu sein. Angesichts dieses Anblicks konnte Kamijo nicht umhin, ein kleines bisschen Verständnis für seinen Schicksalsgefährten zu empfinden, so ungern er sich das auch eingestand. Seine Gedanken entfernten sich immer mehr aus dem Schloss und der Gegenwart und schweiften zurück in die Vergangenheit ... als alles noch in Ordnung gewesen war, denn er war bei ihm gewesen und der Rest der Welt war für sie beide zu einer Belanglosigkeit geworden. Und nicht nur Kamijo, sondern auch Yuki wartete sehnsüchtig auf die Ankunft einer einzigen Person, alles andere war den beiden im Moment vollkommen gleich ... ~ ... Kapitel 2: ~ Zwist ~ -------------------- Der darauffolgende Tag war Kamijo im Nachhinein wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen. In den dicken Mauern seines Schlosses verfluchte er die Sonne und ihre Hartnäckigkeit, mit der sie so unerträglich lang am Himmel gestanden hatte. Er konnte einfach nicht seine Wut bändigen und so kam es, dass er allein in einer Halle die alten Rüstungen und Kronleuchter anbrüllte. Tief in seinem Inneren war ihm jedoch klar, dass diese Wut, für die er erstaunlicherweise nicht einmal Yukis und Terus Anwesenheit als ernsthaften Grund nennen konnte, in Wahrheit nur seine Sehnsucht überspielte, die ihn so sehr quälte, dass er es nicht in Worte hätte fassen können. Wo war er nur gerade? Wieso kam er nicht? Das Schicksal konnte jeden Moment zur Tür hereinstürmen und die Dinge ihren Lauf nehmen lassen. Die Zeit saß ihnen allen unbarmherzig im Nacken. Mindestens genauso unbarmherzig war das Gefühl in Kamijos Bauch, das ihn zur Verzweiflung trieb. Als endlich die Nacht hereinbrach und die verhasste Sonne sich hinter die Hügel am Horizont zurückgezogen hatte, hielt es Kamijo keinen Moment länger in den Schlossmauern aus. Er durchschritt von seiner Unruhe getrieben eilig die Eingangshalle – dabei fiel sein Blick auf die Gestalt, die still und einsam auf dem niedrigen Fenstersims kauerte und in die Nacht hinausstarrte. Nach einem Augenblick der Überraschung, in dem Kamijo innehielt und plötzlich alles in ihm zusammenzog, erkannte er zu seiner bitteren Enttäuschung, dass es nur Yuki war. Er atmete schwer und bebend ein, dann musterte er den anderen. Yuki schien ihn nicht bemerkt zu haben, regungslos saß er da im Mondlicht, das sein Haar silbrig schimmern ließ. Einen weiteren kurzen Moment hielt Kamijo inne – dann schritt er geräuschlos weiter, die Treppe empor und durch den leeren Türbogen in den Ballsaal. Mit verschleiertem Blick sah er das zerborstene Fenster, durch das Teru nachts zuvor ins Freie geschnellt war. Ihm entkam ein leises, schwermütiges Seufzen, das von der Größe des Saals verschlungen wurde, dann sprang er anmutig und mit flatterndem Mantel auf den Fenstersims weit oben und verließ die Schlossmauern, indem er der milden, kühlen Nachtluft entgegenrauschte. Er landete auf dem Dach und blickte sich um. Hier oben war ein einziges Labyrinth aus Ästen und Blättern, die sich wie riesige Vorhänge über dem Schloss in der sanften Brise kräuselten. Rings herum sang der Wald ein Lied für ihn. Durch die Zweige bahnten sich einzelne Mondstrahlen ihren Weg und zauberten weiß-schwarze Gemälde auf das Schlossdach. Kamijo hatte nicht geahnt, von welcher Schönheit dies alles war, es war fast, als hätte er durch das Fenster eine andere Welt betreten, die nur hier oben auf dem Dach seines Schlosses existierte. Bei diesem Gedanken machte sich große Trauer in ihm breit ... Trauer darüber, dass er ganz alleine hier war ... dass er nicht zusammen mit der einzigen Person, um die seine Gedanken unaufhörlich kreisten, hier sein konnte ... inmitten dieser wunderschönen Welt ... Als er hinter sich einen verirrten Luftzug spürte, fuhr er erschrocken herum und entblößte seine Fangzähne. Hinter ihm stand Teru, eine in dem Zwielicht eisblau schimmernde Gestalt, und schaute ihn mit großen runden Augen an. Kamijos Hände zitterten verhalten, doch er brachte sie schnell wieder unter Kontrolle. Nachdem er Terus neugierigem, unschuldigem Blick einige Sekunden lang standgehalten hatte, fragte er mit großer Selbstbeherrschung: „Was machst du hier oben?“ In seinen Gedanken fügte er hinzu: Diese Welt gehört mir! Niemand dringt hier unbefugt ein, ich teile sie nur mit ihm allein ... ! „Ich lausche den Erzählungen des nächtlichen Waldes, Herr“, erwiderte Teru mit unveränderter Miene. „Und das solltet Ihr auch tun ... denn die Nachricht, dass wir das Schloss mit unserer Anwesenheit aus seinem Schlaf gerissen haben, verbreitet sich rasch.“ Kamijo hob eine Augenbraue und wusste nicht, was er antworten sollte. Sein Denken drehte sich nur um das eine. Gut, dachte er verbittert, dann wird sie vielleicht auch bis zu ihm getragen, damit er weiß, dass ich hier auf ihn warte. Teru schien genau zu wissen, was seinem Gegenüber durch den Kopf ging. Seine großen, tiefblauen Augen blickten direkt in Kamijos Gedanken. Dieser erschauderte bei der Vorstellung und wandte sich mit einer schnellen Bewegung ab. Er hörte, wie der andere sich ihm mit langsamen Schritten näherte. Doch er bewegte sich nicht. So unheimlich Terus Erscheinung manchmal auch war, Kamijo hatte schon lange vergessen, was es hieß, solche Art von Furcht zu empfinden ... im Moment war in ihm nur Platz für ein einziges Gefühl ... Plötzlich spürte er Terus Atem in seinem Nacken. Ein Beben durchfuhr ihn, doch noch immer rührte er sich nicht. „Euer Schloss hat in all den Jahren nichts von seinem Glanz eingebüßt, Herr“, drang es leise an sein Ohr. Das Atmen fiel Kamijo immer schwerer. Eigentlich hätte er sich umwenden und zurückgehen wollen, doch irgendetwas fesselte ihn und vernebelte seinen Kopf, sodass er nicht einmal zurückweichen konnte. Er fühlte, wie sich Terus Hände von hinten auf seine Schultern legten und langsam auf seine Arme hinunterwanderten und er ihn dann von hinten sanft an sich drückte. Dann legte Teru seinen Kopf sachte von hinten an den von Kamijo und flüsterte: „Vergesst Euren Kummer und genießt diese wunderschöne Nacht ...“. Fast hätte er sich dem hingegeben, fast hätte er Gefallen an dieser scheinbar verhaltenen Zärtlichkeit gefunden, doch da durchzuckte ihn in seiner Taubheit ein jäher, starker Schmerz und holte seinen Verstand zu ihm zurück. Er riss sich von Teru los, schoss von ihm weg und drehte sich kochend vor Wut zu ihm um. „Wie ... kannst ... du ... es ... nur ... wagen?“, brachte er zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor. Und dann brach er in hasserfülltes Geschrei aus: „Wie kannst du nur? Komm mir nicht zu nahe, Unseliger! Wage es nicht, mir noch einmal unter die Augen zu treten!“ Ohne einen Blick zurückzuwerfen sprang er mit einem Rauschen durch das zerbrochene Fenster und verschwand fluchend im Schloss. Mit einem Donnern, das den ganzen Saal erschütterte, landete er auf dem Steinboden und wirbelte den Staub rings herum in die Höhe. Ganz kurz verweilte er in seiner Haltung und fühlte all die Wut, die wie beißende Flammen durch seinen Körper schoss. Er zitterte leicht und sein Atem bebte. Am liebsten würde er Teru zur Hölle wünschen, ihn persönlich auf dem schnellsten Weg dorthin schicken, doch er wusste, dass er dies weder tun konnte, noch tun durfte. Wie konnte er es nur wagen, sich ihm derart zu nähern? Er wusste doch, was dies für Folgen hatte, er sollte es wissen. Sein lautes, plötzliches Knurren hallte durch das ganze Schloss. Mit schnellen, aggressiven Schritten verließ er die Halle und durchstreifte ziellos die verlassenen Gänge, während seine Gedanken noch viel rasender durch seinen Kopf wirbelten. Nun erschauderte er, wenn er an Teru dachte. Er war wütend auf ihn, unsagbar wütend – doch mindestens genauso wütend war er auf sich selbst. Auf seine Schwäche, die er in jenem Moment auf dem Dach gezeigt hatte. Er war stark, sehr stark sogar, dessen war er sich sicher gewesen und dies hatte er auch schon unzählige Male bewiesen. Doch gegen Terus seltsamen Einfluss hatte er sich beim besten Willen nicht wehren können. Und das erschreckte ihn. Gleichzeitig fragte er sich hasserfüllt, wieso um alles in der Welt Teru so etwas tat. Wenn sie schon ihr Schicksal teilten, teilen mussten, warum provozierte er solch einen Streit? Und auch Yukis Gewissen war in dieser Beziehung nicht ganz rein. Zu seinen Seiten zogen verstaubte Kerzenhalter, Gemälde, Spiegel und Rosenranken vorbei, doch all dies beachtete Kamijo in seinem Zorn nicht. Sein edler Mantel war voll mit Fäden von Spinnennetzen, die auf dem schwarzen Stoff schimmerten, doch auch das bemerkte er nicht. Er stürzte durch eine große Tür und fand sich auf einmal im Schlossgarten wieder. Hier war der Thronsaal der Rosen, nach oben zum Himmel hin geöffnet, sie blühten rot und schwarz in der königsblauen Nacht. Für einen kurzen Augenblick ließ dieser Anblick Kamijo seinen Zorn vergessen. Aber wirklich nur für einen kurzen Moment. Er schloss die Augen und atmete tief und bebend ein. Der Duft der Rosen gaukelte ihm vor, als befände sich hier eine andere Welt voller Glück und Sorgenlosigkeit, doch als er die Augen wieder öffnete, sah er durch die Ranken auf die Steine der Wege und Mauern und so trotzte er dieser Illusion. Wo sich einst Bäume prachtvoll in der Brise wiegten und Hecken aus Blüten und Blättern von Schmetterlingen umflattert worden waren, regierten jetzt einzig und allein die Rosen. Es war ein Bild, als wäre die Zeit stehen geblieben, als hätten die Rosen die Zeit mit ihren Ranken gefesselt, sodass sie hier nicht mehr verstreichen konnte. Mit finsterem Blick ging Kamijo durch das Irrgartengeflecht der dornigen Ranken und versank in seine Gedanken. Und da war er wieder, der Schmerz, der ihn seit der vergangenen Nacht nicht mehr losließ, ihn mit eisernem Griff erbarmungslos umklammert hielt. Noch wütender, als auf sich oder auf Teru, war er auf die Tatsache, dass die Person, die ihm am meisten bedeutete, die er am allermeisten begehrte, noch immer nicht hier war. Ein Brennen in seinen Augen sagte ihm, dass Tränen darin standen. Er schluckte schwer. Während er sich immer tiefer in dem Garten verlor, schweiften seine Gedanken zurück in die ferne Vergangenheit, wo sich so viele Dinge ereignet hatten ... ~ ... Kapitel 3: ~ Vergangenheit ~ ---------------------------- Damals war die Zeit noch eine andere gewesen. Für Kamijo, Hizaki, Yuki, Jasmine You und Teru hätte sie besser nicht sein können. Sie waren alle von höherem Adel und verbrachten ihre Zeit stets in der entsprechend gehobenen Gesellschaft. In Kamijos Schloss fanden regelmäßig Feste statt, allerdings achtete er darauf, dass es nie zu viele Leute wurden und nicht jeder erhielt Zutritt zu den Festlichkeiten. Wahrlich, Kamijo hatte keinen Grund, sein Leben zu hassen, denn er hatte sein größtes Glück in Hizaki gefunden. Von ihrer ersten Begegnung an hatte Kamijo gefühlt, dass Hizaki etwas besonderes war und dass mit ihm ein Zauber in sein Leben gekommen war, der ihm eine nie zuvor gekannte Geborgenheit bescherte. Allein schon Hizakis Nähe machte ihn glücklich, seine Abwesenheit war unerträglich schrecklich. Und Hizaki erwiderte diese Gefühle, nie wieder wollten sie voneinander getrennt werden. Ganz ähnlich wie Kamijo und Hizaki hatten auch Yuki und Jasmine You zueinander gefunden und auch sie hegten die gleichen Gefühle füreinander. Stets waren es diese vier, die als erste von den Festlichkeiten auf mysteriöse Weise verschwanden und unauffindbar waren, bis zum nächsten Morgen. Teru war ein wenig anders. Er liebte es seit jeher, mit den Empfindungen anderer zu spielen und dies auf seine ganz eigene Art. Aber ganz besonders ruhte sein Blick immer wieder auf den anderen vier, stets suchte er ihre Gesellschaft. Sie ließen sich allerdings nicht sehr stören, sie hatten ohnehin nur Augen füreinander und genossen jeden Moment, den sie teilten. Was sie allerdings alle fünf teilten, war ihr Interesse für das Mystische. Sie beschäftigten sich mit den Bewegungen der Sterne, mit der Alchemie und stellten Nachforschungen an zu allen möglichen rätselhaften Ereignissen, die sich zu dieser Zeit zutrugen und mit der Zeit hatten sie sich ein nicht unbeachtliches Wissen angeeignet. Ganz besonders fasziniert waren sie von den Erzählungen über Vampire, denn Vampire waren unsterbliche Wesen, Untote, die durch einen uralten Fluch von menschlichem Blut auf unerklärliche Weise am Leben erhalten wurden. Aus diesem Interesse erwuchs allmählich in ihren Herzen der Wunsch, von diesem ewigen Leben kosten zu dürfen, denn dann könnten sie bis in die Ewigkeit zusammen sein, es gab nichts, was sie sich mehr wünschten, als bis ans Ende aller Tage jeden Moment miteinander zu teilen, auch, wenn dies bedeutete, dem Fluch und dem Verlangen nach Blut dienen zu müssen. Dieses Opfer waren sie bereit, einzugehen. Zu jener Zeit erzählten sich die Leute viele Geschichten über die gefürchteten Blutsauger, Horrorgeschichten, voller Abneigung und Angst. Diese waren in den Augen Kamijos und der anderen voller Vorurteile, sie handelten nur von schlechten Eigenschaften und sie waren überzeugt, dass die Wahrheit anders aussah, denn das Dasein als Vampire würde ihnen ihr größtes Verlangen erfüllen. Unter anderem vernahm man auch Verdächtigungen, vor allem das Verhalten eines bestimmten Mannes, so munkelte man im Volk, passte auffallend zu dem eines Vampires. Dieser Mann trug den Namen Lucian und war, vielleicht auch Dank dieser Anschuldigungen hinter vorgehaltener Hand, nicht unbekannt. Die Leute mieden ihn tunlichst, und wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigte, so verbreitete seine Anwesenheit stets großes Unbehagen. Kamijo erinnerte sich noch gut an jene schicksalhafte Nacht. Er hatte all die Bilder jetzt wieder deutlich wie nie vor Augen. Vor allem das Gespräch mit Lucian, als die fünf Gefährten ihn in seinem abgelegenen Anwesen aufsuchten, klang hell und klar in seinen Gedanken: Lucian saß an seiner Tafel und vor ihm stand nichts als ein reich verzierter Kelch. Seine Augen glommen in dem dämmrigen Licht der Kerzen, es war mitten in der Nacht, und seine Haut war von einer schimmernden Blässe. Trotz ihrer ansonsten gelassenen Art spürten die fünf, als sie vor ihn traten, nun doch die kalten Finger der Angst, die ihnen mit langen, eisigen Fingern über die Kehle strich. „Ist Euch denn klar, was ihr hier verlangt?“, fragte er mit leiser und doch unüberhörbar deutlicher Stimme. „Ist Euch bewusst, welches Los Ihr wählt, wenn Ihr diesen Weg einschlagt?“ Er hielt kurz inne und beobachtete die Mienen der Anwesenden. Keiner fand den Willen, ihm eine Antwort zu geben, also sprach er weiter: „Es bedeutet, dass Ihr Euch freiwillig dem ewigen Fluch hingebt, Euch zu Sklaven Eurer selbst macht.“ Geräuschlos erhob er sich, griff nach seinem Kelch und schritt langsam durch den kleinen Saal. Seine Gäste blieben wie angewurzelt stehen und bewegten sich nicht. „Ist Euch denn im Klaren, dass ein solch ewiges Leben wahrlich nicht nur Vorteile mit sich bringt?“, fuhr er fort. „Es bedeutet nicht nur, dem Verlangen zu dienen, es bedeutet auch Entbehrung ... Entbehrung des Sonnenlichts ... und des Genusses von Speis und Trank ... dieser Wein ...“, er hob den Kelch an die Lippen und trank ihn leer, „ ... dieser Wein ... gibt mir rein gar nichts an Geschmack oder gar an Genuss ...“. Mit einem markerschütternden Scheppern schleuderte er ihn auf den Tisch, wo er auf der anderen Seite hinabkullerte. Obwohl die Wände des Saales voll riesiger Spiegel waren, die vom Boden bis knapp unter die Decke reichten, konnten die fünf nur sich selbst im Spiegelbild ausmachen, von Lucian fehlte dort jede Spur. Da allerdings niemand etwas sagte, sprach dieser weiter: „Natürlich ... lernt man mit der Zeit, auf solche Dinge zu verzichten. Jedoch gibt es ein Hindernis, das Euch den Weg wohl unüberwindbar versperren wird. Denn ... der Fluch bringt es mit sich, dass man all seine Erinnerungen an sein früheres Leben verliert.“ Erschütterung durchfuhr Kamijos Körper und wich dann langsam der Verzweiflung. Mit dieser Hürde hatte er nicht gerechnet. Keiner von ihnen hatte das. Was nützte ihm ein ewiges Leben, wenn Hizaki dann für immer aus seinem Herzen verschwinden würde? Allein der Gedanke daran schmerzte ihn fürchterlich. Doch bevor er weiterdenken konnte, erhob Lucian erneut seine Stimme: „Wenn Ihr Euch allerdings, wie man hört, tatsächlich mit den Sternen und deren Bewegungen beschäftigt, dann solltet Ihr wissen, dass es eine Sterformation gibt, welche nur alle tausend oder zweitausend Jahre am Himmel erscheint. Dieser Konstellation wohnt eine große Macht inne, sie soll die Herzen aller Verliebten zueinander finden lassen können.“ Natürlich waren sie in alten Büchern und Schriften bereits auf Erwähnungen dieses Sternbildes gestoßen. Dies also war der Schlüssel zu ihrem größten Traum. Auch wenn niemand sagen konnte, wann es wieder am Himmel erscheinen würde, kommen würde es eines Tages, das war gewiss. Und bis zu diesem Tag würden sich ihre Herzen gedulden müssen. Wenn der Tag kommen würde, würden sie zum Schloss zurückkehren und sich wieder in die Arme schließen können. Und so schlossen sie einen Pakt mit Lucian, dem Vampir. Zum Austausch für ihr Blut würde er ihnen ewiges Leben schenken – ein ewiges Leben, stets an der Seite der Person, die sie so unbeschreiblich liebten. Kamijo erinnerte sich noch, wie es sich anfühlte, als Lucian ihn biss. Zuerst durchfuhr ihn ein plötzlicher, unsagbar großer Schmerz, doch gleich danach umhüllte ihn ein Nebel aus sanftem Nichts, und die Welt um ihn herum versank in Dunkelheit. Was sich zuerst wie eine Art hilflose Kraftlosigkeit angefühlt hatte, wandelte sich dann immer mehr zu einer Energie, wie er sie noch nie in sich gespürt hatte. In diesem Moment hatte er bereits seine Erinnerung an sein früheres Leben als Mensch verloren und er wusste nur noch, dass er eine Macht besaß, um die ihn viele beneiden würden ... und dass er Durst hatte, großen Durst nach menschlichem Blut und dass er diesen Durst sofort stillen musste. Als er sich selbst alleine in einem Wald wiederfand, mit nichts als seinen edlen Kleidern am Leib, begann für ihn eine Reise durch Länder und Städte, auf welcher er mit der Zeit seine Kräfte als Vampir zu gebrauchen lernte, gleichzeitig wurde ihm schnell klar, dass er seine außergewöhnliche Wirkung auf die Menschen geschickt nutzen konnte, um an ihr Blut zu kommen. So fristete er endlose Jahre sein Dasein als Kreatur der Nacht, nicht wissend, woher er kam oder was seine Bestimmung war. Bei diesem Gedanken wurde Kamijo schwer ums Herz. So lange schon war er ohne Hizaki und nun, da die Sternformation endlich nach einer schier nicht enden wollenden Zeit der Einsamkeit am Himmel erschienen war und all die Erinnerungen zu ihm zurückgekehrt waren, brannte die Sehnsucht schmerzvoll und ungebändigt in seiner Brust. Leise huschte ein Windhauch durch den Garten und brachte die Rosen um ihn herum zum Raunen. Er blickte mit von Tränen verschleiertem Blick empor und sah durch die sich kräuselnden Äste und Blätter den Sternenhimmel funkeln. Wann nur, fragte er sich immer wieder, würde er ihn endlich wiedersehen? ... ~ ... Kapitel 4: ~ Hunger ~ --------------------- Wie lange er so durch den flüsternden Garten gestreift war, wusste er nicht. Sein Herz, das schon so lange nicht mehr schlug, bereitete ihm derart überwältigende Schmerzen, dass er es fast nicht mehr aushielt. Er hielt sie nur aus, weil ihm der Gedanke an Hizaki die Kraft dazu gab. Die Wege wurden immer verwachsener und dorniger, als wollten die Rosen verhindern, dass jemand zu tief in ihr Königreich eindrang. Doch immerhin hatte es vormals Kamijo gehört und deshalb bahnte er sich ungeachtet dieser Feindseligkeit geschickt seinen Weg durch die Ranken, die sich nicht nur über die steinernen Wege, sondern auch über Mauern, Brunnen und Skulpturen rankten. Mit jedem Schritt fühlte er, dass hier etwas nicht stimmte. Ihm dämmerte, dass er nicht der einzige war, der sich heimlich ins Reich der Rosen geschlichen hatte. Seine Sinne schärften sich und seine Augen durchdrangen mühelos die Dunkelheit. Angestrengt lauschte er in die Stille hinein, geräuschlos glitt er über den Boden. Angst verspürte er keine, jedoch wollte er alleine mit seinen Gedanken sein und durch nichts und niemanden dabei gestört werden. Ein fast unhörbares Geräusch erregte seine Aufmerksamkeit. War es der Flügelschlag einer Fledermaus gewesen? Oder ein verhöhnendes Rascheln der Rosen oder ein Windstoß in den Blättern der Bäume hoch über dem Garten? Nein, Kamijo war sich sicher, dass es etwas anderes gewesen war. Oder vielmehr jemand anders. Langsam schritt er weiter, jede Faser seines Körpers war zum Zerreißen gespannt. Er merkte, wie er sich der Quelle des Geräusches näherte, fühlte die Anweseinheit anderer. Nun hörte es sich so an, als würden sich zwei Stimmen miteinander unterhalten, ganz sachte und gedämpft. Eine Vorahnung beschlich Kamijo und er tastete sich weiter vor, ohne einen Laut von sich zu geben. Vor ihm tauchte ein marmorner Springbrunnen auf, dem natürlich schon seit Ewigkeiten kein frisches Wasser mehr entsprang. Kamijo blieb an dessen Rande stehen und blickte in das Wasser, welches trotz all den Jahren auf wundersame Weise glasklar geblieben war. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. Diejenigen, die er suchte, befanden sich am gegenüberliegenden Rande des Brunnens, das wusste er mittlerweile. Doch dort war niemand zu sehen. Allein die fühlbare Anwesenheit und die verhaltenen Geräusche verrieten jene, die sich dort befanden. Kamijos Verdacht setzte sich immer mehr in ihm fest, langsam setzte er sich in Bewegung und ging den Brunnenrand entlang. Es tauchten zwei Gestalten in der Dunkelheit auf, die er nur zu gut kannte. Yuki saß dort auf dem Steinboden, seine ganze Aufmerksamkeit galt einer Person, die neben ihm kauerte, in einem langen, prachtvollen Kleid, in den Haaren trug sie aufwendigen Schmuck. Die beiden waren sich zugewandt, Yukis Hand strich sanft über das Gesicht von Jasmine You, in seiner anderen Hand hielt er zärtlich die des anderen. Als Kamijo das sah, gefror sein Inneres zu Eis. Er konnte ein Zittern nicht unterdrücken und dieser Moment der Unachtsamkeit verriet ihn. Die beiden blickten erschrocken auf und erkannten den, der vor ihnen stand. Nach einigen endlosen Momenten der Stille sagte Kamijo mit starrem Blick: „Wie ich sehe, bist auch du nun hier, Jasmine You. Zu viert sind wir jetzt also ... nur zu viert ...“. Die letzten Worte galten mehr ihm selbst als den beiden, sie drangen nur leise über seine Lippen. In ihm begann es zu brodeln, seine Gefühle züngelten wie Flammen in ihm empor. „Ich grüße Euch, Herr“, sagte Jasmine You, um die Form zu wahren, so gut es in dieser Situation eben ging. Kamijo ignorierte ihn, er hatte sich selbst fast nicht mehr unter Kontrolle. Was sollte er nur tun, er wollte irgendetwas tun, um seiner Gefühle Herr zu werden, doch er wusste nicht, was. „Ist Hizaki denn noch nicht gekommen?“, fragte Yuki mit einem Unterton in der Stimme, der Kamijo aus der Fassung brachte. Er wollte es nicht darauf ankommen lassen, nicht auf diese Art und Weise. Mit einem Satz erhob er sich in die Luft, rauschte über die Rosen, die Mauern und die Dächer und verschwand in der Nacht, das schweigende Schloss hinter sich zurücklassend. Die Bäume zogen an ihm vorbei, aufgebracht hetzte Kamijo durch den Wald. In seiner Rage riss er einen Hirsch und obwohl das Blut eines Tieres an Abscheulichkeit keine Grenze kannte, trank er es doch in großen Zügen, ohne viel nachzudenken. Er wollte der Szene, die sich ihm eben geboten hatte, entfliehen und schon ging sein nächtlicher Flug durch die Nacht weiter. Seine Gefühle rasten durch seinen Körper, dass er sie gesondert gar nicht wahrnehmen konnte, er spürte nur einen einzigen übelkeiterregenden Wirbel in sich. Obwohl der Wald riesengroß war, erreichte er schnell das Ende und er jagte über eine leere Ebene, über der die Sterne wie Diamanten funkelten. Kamijo wusste, dass er eigentlich im Schloss bleiben sollte, denn dort war ihr ausgemachter Treffpunkt und zur Stunde war Hiazki vielleicht schon dort. Er stieß einen schmerzlichen Schrei aus und änderte doch nicht seine Richtung. Langsam tauchte eine Ortschaft vor ihm auf, er sah die Lichter der angezündeten Laternen in der Ferne deutlich flackern. Durst blitzte in Kamijos Augen auf, er wollte eine richtige Mahlzeit, der scheußliche Geschmack des Hirsches brannte ihm noch immer im Mund. Einen Menschen oder zwei würde er kosten, dann würde wieder in das Schloss zurückkehren, diesen Kompromiss schloss er mit sich selbst. Geräuschlos wie ein Schatten huschte er durch die Straßen und Gassen. Ratten tummelten sich in den dunklen Seitenstraßen, wo sie genau wie Kamijo nach Nahrung suchten. Niemand war unterwegs in der Stadt, gerade so, als ob die Einwohner wüssten, welch hungrige Kreaturen sich durch die Nacht trieben. Alle waren sie wohl in ihren Häusern geblieben, die Kamijo nicht betreten konnte. Denn solange man ihn nicht freiwillig hereinbat, war es ihm nicht möglich, einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Er versuchte, auf das kleinste, leiseste Geräusch zu achten, denn vielleicht trieb sich ja doch noch jemand herum zu so später Stunde. „Sind sie gewarnt worden?“, fragte sich Kamijo und lauschte. „Wissen die Leute, dass Vampire in der Gegend sind? Es sieht fast so aus ...“ Plötzlich vernahm er ein lautes Gejohle ein paar Straßen weiter. Er erhob sich auf die Dächer und erspähte von dort aus die Quelle des Geräusches. Es waren zwei Leute, die aus einem Wirtshaus getorkelt kamen, genauer gesagt, einer der beiden stützte den anderen, der offensichtlich einen oder auch mehrere über den Durst getrunken hatte. Er lallte vor sich hin und tat sich schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. „Mann, musste das wieder so weit kommen, Vlad?“, regte sich der Nüchterne auf und zerrte den Betrunkenen die Straße entlang. „Jetzt muss ich dich auch noch heimbringen. Ich sag dir, lang mach ich das nicht mehr mit.“ Vlad nuschelte unverständliche Wortfetzen. Kamijo verfolgte die beiden gestandenen Männer, bis sie zu dem Haus gelangte, in dem Vlad wohnen musste. Er wartete auf einem Dachsims gegenüber, bis der andere wieder hinauskam und sich auf seinen Heimweg machte. Kamijo leckte sich die Lippen. Er spürte, wie der Hunger ihn gierig machte. Das war seine Mahlzeit für heute Nacht, etwas besseres konnte er wohl nicht erwarten, dies war wohl seine einzige Gelegenheit. Als er einige Straßen weit gegangen war, stürzte sich der Vampir auf ihn und tötete den Mann ohne mit der Wimper zu zucken. Er war gerade nicht in der Stimmung, mit seinem Opfer zu spielen und wenn die Einwohner wirklich auf der Hut waren, musste auch er Acht geben. Er trank das Blut in großen Zügen und er spürte eine gewisse Genugtuung, als das rote Lebenselixier seine Kehle hinabrann. Nun war er bereit, ins Schloss zurückzukehren. Lautlos erhob er sich in die Luft und machte sich auf den Weg. Die Nacht war noch nicht gar so alt, Kamijo erreichte das Schloss mit der unvorstellbar großen Hoffnung, dass Hizaki bereits eingetroffen war. Er durchstreifte das Gemäuer, doch er fand niemanden. Enttäuschung und Furcht machten sich in ihm breit. Irgendetwas stimmte nicht, soviel war nun gewiss. „Was soll ich nur tun? Ich halte das nicht mehr aus ... mein Herz verzehrt sich vor Sehnsucht ... wie soll ich nur dahinter kommen, wo er ist? Ist er gefangen? Kann er vielleicht gar nicht zurückkommen? Wer weiß, was ihm gerade angetan wird?“ Solche Gedanken und ähnliche schossen ihm durch den Kopf, seine Befürchtungen schnürten ihm den Hals zu. Er hasste es, so hilf- und tatenlos zu sein, doch er wusste nicht, wo und wie er anfangen sollte, Hizaki zu suchen. Er hatte nicht den kleinsten Hinweis, wo er gerade sein konnte. „Kann ich Euch helfen, Herr?“ Als er gerade durch einen hohen Gang streifte, der mit einem verstaubten roten Teppich ausgelegt war, ließ ihn eine Stimme zusammenzucken. Er hielt inne und erblickte den Urheber. Es war Teru. ~ ... Kapitel 5: ~ Hoffnung ~ ----------------------- ~ Hoffnung ~ Teru stand halb im Schatten verborgen. Kamijos Miene blieb ungerührt. „Ich glaube kaum“, hielt er sich knapp. Teru trat aus der Finsternis und verbeugte sich elegant. Das verärgerte Kamijo, er war ohnehin auf Teru nicht gut zu sprechen. Deshalb verfinsterte sich sein Blick. „Ihr seht besorgt aus, mein Herr“, säuselte Teru und kam langsamen Schrittes näher. „Kann ich ... irgendwas für Euch tun ... ?“ Genervt wandte sich Kamijo ab und wollte davonrauschen, doch Terus Stimme ließ ihn wie machtlos innehalten. „Es sieht so aus, als würdet Ihr Euch nach Gesellschaft sehnen“, Teru stand plötzlich neben ihm und hauchte ihm diese Worte ins Ohr. Kamijo konnte sich nicht rühren. In seinem Kopf hielt er das Bild von Hizaki mit aller Kraft fest, er kniff die Augen zusammen und versuchte, seiner Sinne Herr zu werden. Schon spürte er Terus Hand auf seinem Rücken, wie sie in einer langsamen Bewegung langsam hinabwanderte. Er war wie betäubt, als würden seine Gedanken stillstehen und sich weigern, ihren Fluss wieder aufzunehmen. Die Dunkelheit um ihn schien ihn einzuhüllen und ihm die Sinne zu rauben … Tief in seinem Inneren regte sich ein unsagbar großer Schmerz, er fühlte, wie sein Herz vor Kummer bebte und ihm schmerzhafte Stiche versetzte. An seinen Seiten fühlte er weiche, zarte Hände hinabstreichen … waren dies die Hände desjenigen, nach dem er sich so sehnte? … Kamijo wusste es nicht … er war verloren in einer bleiernen Schwerelosigkeit … Der Schmerz wurde immer heftiger, ließ ihm wahrlich keine Ruhe, im Gegenteil, es verbreitete sich immer mehr in seinem Körper … Und plötzlich – erschien das Bild des Gesichtes eines zierlichen Mannes vor seinen Augen … ein Gefühl von Stärke durchzuckte ihn, welche ihm von diesem begehrlichen Bild eingeflößt wurde und er stieß einen langgezogenen weinerlichen Schrei aus. Zuerst hörte er ihn nur ganz leise und dumpf, doch dann war es, als durchbreche sein Kopf eine Wasseroberfläche und er wurde in die Realität zurückgestoßen. Sein Schrei wallte durch die Halle und brach sich an den Säulen. Teru wich von ihm zurück und blickte ihn entsetzt an. „Hizaki …“, keuchte Kamijo. Tränen standen in seinen Augen. Er funkelte Teru an, seine Wut hätte man nicht in Worte fassen können. „DU!!“, fauchte er, mit einem langen Finger auf ihn deutend, und seine weit aufgerissenen Augen blitzen böse. „Raus aus meinem Schloss, du elender Verräter! Ich will dich hier nie wieder sehen! Hiermit verbanne ich dich von hier!“ Terus Entsetzen schrieb sich tiefer in sein Gesicht. Dann sah er plötzlich verzweifelt aus. Einige bebende Atemzüge blieb er bewegungslos stehen, bis er sich schließlich ohne ein Wort umwandte und mit einem Satz durch ein Fenster verschwand. Auch Kamijo konnte sich eine Zeit lang nicht bewegen. Die Wut in ihm kochte mit einer überwältigenden Intensität, die es fast unmöglich machte, die Herrschaft über seinen bebenden Körper wiederzugewinnen. Nachdem er sich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder gefasst hatte zog er sich für den Rest der Nacht in seine Gemächer zurück, wo er in seinem großen schwarzen Sessel saß und vor sich hinstarrte, während die Zeit um ihn verstrich und er seinen Gedanken nachhing. So konnte es doch nicht weitergehen. Warum nur war er allen um sich herum so feindlich gesinnt? Nun, vielleicht hatten sie sich ihm gegenüber falsch verhalten. Aber er musste sich ehrlich eingestehen, dass er selbst wohl auch nicht ganz unschuldig an der Spannung war, die in der Luft lag. Zumindest war es bei Yuki und Jasmine You so. Teru freilich hatte es verdient, verbannt zu werden. Auch, wenn sich Kamijo sicher war, dass Teru nicht so einfach aufgeben würde, mit Sicherheit war er hier noch irgendwo. Kamijo schnaubte. Das ganze bereitete ihm Sorgen, neben der unvorstellbar großen Sorge um Hizaki natürlich. Früher war Teru nicht so gewesen … er war eher unauffällig und zurückhaltend gewesen … wenn Kanjio zurückdachte, hatte er ihn eigentlich gut in Erinnerung, fast schon als guten Freund … denn er war immer irgendwie da gewesen, wo auch die anderen waren. Was mochte ihn wohl so verändert haben. In Kamijos Kopf ergaben sich immer neue Rätsel. Als der Tag zu dämmern begann, raffte sich der geplagte Vampir hoch und betrat die Katakomben seiner Familie, die unter dem Schloss lagen. Hier unten war es noch kühler, als es im Schloss ohnehin schon war. Das Schweigen der Toten erfüllte sie alten Gänge und unterirdischen Räume, nur hin und wieder huschte eine Maus durch den schweren zusammengetretenen Staub, der hier lag. Hier hing Kamijo seinen Gedanken nach, während er seinen Vorfahren Respekt zollte. „… seltsam … dass ich mich wohl niemals zu ihnen gesellen werde …“, dachte er philosophisch. Doch er war natürlich nicht traurig darüber. Viele Vampire mochten wohl ihrem Leben als sterbliche Menschen nachtrauern und wahnsinnig werden angesichts der bedrohlichen Unendlichkeit, die sie erwartete. Kamijo jedoch gefiel der Gedanke, ewig sein Glück in Hizaki gefunden zu haben. Leider schmerzte ihn dieser Gedanke zur Stunde und der Grund dafür war allen Anwesenden in diesem Schloss bewusst. Kamijo sog die erdfeuchte Luft ein und streifte schwermütig durch das ihm wohlbekannte Labyrinth dieser alten Ruhestätte ... Die Zeit verstrich und eigentlich hätte es ihm gut getan, etwas zu schlafen, doch er wusste, er würde nicht zur Ruhe kommen können. Also blieb er wach und lauschte in die Stille. Diese rauschende, hallende Stille wurde nach einer schier endlosen Zeit der Einsamkeit von Schritten durchbrochen. Menschen hätten diese Schritte natürlich niemals wahrgenommen, doch Kamijos vampirisches Gehör verriet ihm, dass jemand in seine einsame Gegenwart eindrang. Gelassen wandte er sich um und erwartete seine Besucher. Es war nicht schwer zu erraten, wer diese waren. Yuki und Jasmine You traten in die kleine Halle, in welcher Kamijo sich befand. Er wusste nicht, wie er ihnen nun begegnen sollte, lag doch eine gewisse Spannung in der Luft. „Herr“, sagte Yuki und verbeugte sich elegant. Jasmine You machte einen verhaltenen Knicks und sagte vorsichtig: „Mein Herr, Euch ist wohl das Herz im Moment sehr schwer. Ist Hizaki denn noch immer nicht erschienen?“ Ein Stich durchzuckte Kamijos Herz, so musste es sich wohl anfühlen, wenn einem ein Pflock in die Brust gerammt wurde. „Er … ist noch nicht hier …“, flüsterte er und gleichzeitig fragte er sich, was Jasmine You wohl mit seinen Worten bezwecken wollte. Irgendwie war zu spüren, dass etwas Versöhnliches darin lag. Aber das war Kamijo nur Recht … er wollte nach so langer Zeit die Vergangenheit nicht wieder aufwiegeln. „Dann … lasst uns Euch einen Vorschlag machen, Herr“, sprach Jasmine You weiter und wartete seine Reaktion ab. Kamijo seufzte. „Ich bitte darum.“ Noch etwas missmutig beobachtete er die kleinsten Gefühlsregungen der anderen. „Nun …“, begann Yuki zögerlich, „wir dachten, es wäre vielleicht eine gute Idee, Lucian zu suchen … wenn jemand nur ansatzweise wissen könnte, wo Hizaki sich aufhalten könnte, dann ist es er …“. „Wir würden Euch belgeiten“, meinte Jasmine You, sichtlich bemüht, „denn natürlich ist es auch von uns ein Anliegen, Hizaki in unserer Mitte zu wissen.“ Kamijo stutzte. Einige Momente ließ er die Worte auf sich wirken und er sagte zunächst nichts. Er wandte sich ab und schritt durch die Särge und Urnen, welche hier standen. Yuki und Jasmine You schienen still seine Antwort abzuwarten. Natürlich! Wieso war er da nicht selbst darauf gekommen? Wenn es noch Hoffnung gab, dann lag sie in Lucian. Er war ihr aller Schöpfer und bei ihm war es gewesen, wo sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Angesichts dieses Gedankens kam Aufregung in ihm auf, ein völlig neuartiges Gefühl angesichts des Grams, der ihn besetzt gehalten hatte. Hätte sein Herz noch geschlagen, hätte er wohl Herzklopfen bekommen, so jedoch flimmerte es in ihm, sodass es ganz unruhig wurde und sich sofort auf den Weg machen wollte. Kamijo rauschte zurück zu den beiden und verschränkte die Arme hinter seinem Rücken. „Nun, so sei es“, sprach er. „Mögen wir die Dummheiten vergangener Tage ruhen lassen …“. Erstmals lächelten die beiden anderen Vampire, sichtlich erleichtert, wodurch sie erneut in Kamijos Achtung um ein klein wenig aufstiegen. Nach kurzem Zögern sagte er: „Ich danke euch für euer Angebot … vielleicht kann alles so wie früher werden …“. Nun lächelte auch er ein klein wenig. Das Feuer des Tatendrangs loderte in ihm wie eine hohe Flamme. ~ … Kapitel 6: ~ Unruhe ~ --------------------- Hizaki saß in einem großen, weiten Stuhl vor einem noch größeren, den Raum fast bis zur Decke messenden Spiegel und kämmte sein Haar. Beide Möbelstücke waren im gleichen Stil gehalten, sie beide waren von ein und demselben Handwerker angefertigt worden. Dieser verstand wahrlich sein Handwerk, hatte er es doch geschafft, dass die beiden Stücke in ihrer Pracht fast zu einer Einheit verschmolzen. Kunstvoll getischlerte Ornamente aus Holz, welche mit golden schimmernder Farbe lackiert waren, umschlungen den Spiegel und die Armlehnen des Stuhls. Das sich darin reflektierende Licht der Kerzen erweckte den Anschein, als bestünde der Rahmen des Spiegels aus siedender Lava, welche zäh, doch unaufhaltbar den Hang eines Vulkanes hinabfloss. Es war, als hörte Hizaki das Flüstern des Feuerstroms, welches erst ganz dumpf, dann immer wuchtiger in seinen Kopf zu dringen schien, bis es zu einem dröhnenden Grollen und Poltern wurde, bedrohlich und laut. Hizaki atmete jäh und tief ein und öffnete weit seine tiefschwarzen Augen. Nichts war zu hören, das riesige Anwesen um ihn herum war in Schweigen gehüllt. Etwas Bedeutsames ging vor sich, Hizaki fühlte es schon seit geraumer Zeit. Es war wie ein Flimmern, welches die Luft durchzog, von Nacht zu Nacht wuchs seine Gewissheit, dass etwas von unsagbar großer Wichtigkeit im Gange war. Doch so sehr er auch seine Sinne schärfte und dem Geflüster aller Elemente um ihn herum lauschte, konnte er dessen Sinn nicht entschlüsseln. Fast schien es ihm, als würde etwas ... oder jemand ... nach ihm rufen, als sollte er den tuschelnden Stimmen folgen und sehen, wohin sie ihn führten. Die Anspannung in ihm wuchs stetig angesichts dieser seiner Gedanken und doch machte er sich nicht auf, um in den Weiten der Nacht nach der Quelle oder dem Urheber dieser mysteriösen Schwingungen zu suchen, denn weder diese, noch die folgenden Nächte würde er einen Schritt nach draußen setzen. Er hatte es versprochen. Inmitten all des dunklen dichten Rotes, welches der Spiegelrahmen und der Spiegel selbst in den riesigen hohen Raum reflektierten, saß er in dem weichen, mit edlen Stoffen gepolsterten Stuhl und musterte, was ihm das prächtige Schmuckstück vor ihm offenbarte. Einen großen Teil des Raumes beanspruchte ein ausladendes, reich verziertes und geschmücktes Himmelbett für sich, überzogen und verhangen mit dunkel schillernden Tüchern aus Samt in den edelsten Farben. Eine Kommode aus dunklem Holz und ein im Stil dazu passender Schminktisch beherbergten eine Vielzahl an großen und kleinen Laden und Kästchen, und an der Wand gegenüber der Fenster füllte ein mit geschmackvollen Schnitzereien überzogener Kleiderschrank einen beträchtlichen Teil dieser Seite des Raumes. Die Fenster waren mit schweren Stoffen verhangen, welche die eisblauen Strahlen des Mondes davon abhielten, in den dunkelrot glimmernden Raum einzudringen. Hizaki seufzte fast unmerklich. Auch dies war Teil des Versprechens, das er gegeben hatte. Und dann stand da schließlich der Stuhl, in welchem er saß. Nur eine kleine, fast unmerkliche Mulde im Stoff ließ erahnen, dass hier jemand Platz genommen hatte. Der mit funkelnden Edelsteinen besetzte Kamm schwebte wie von Geisterhand einige Handbreit über der Lehne, während Hizaki sich weiter seinem goldblonden Haar widmete und sich immer tiefer in dem Irrgarten seiner eigenen Gedanken verlor ... Ein Poltern, welches von den Wänden des Anwesens zu ihm herangetragen wurde, ließ ihn aufhorchen, denn es verriet ihm, dass sein Herr zurückgekehrt war. Er lächelte, denn nun endlich begann der spannende Teil der Nacht. Er legte den Kamm beiseite und erhob sich aus dem Stuhl. Fast unmerklich verschwand die kleine Mulde im Stoff im Spiegel vor ihm. Sein prächtiges Kleid schien ebenfalls das Glühen des Raumes angenommen zu haben und indem er einen letzten Blick an sich hinab warf vergewisserte er sich, dass er so seinem Herren unter die Augen treten konnte. Mit einer kurzen, fast achtlosen Bewegung seiner Hand erloschen die Kerzen im Raum und das Rot wich einem schier vollkommenen Schwarz. Hizaki verließ das Zimmer und schritt langsam den langen Flur entlang. Eigentlich hätte der Mond seine silbrigen Fluten durch die hohen Fenster zu seiner Linken in den Raum ergießen und ihn auf dem Weg in den Speisesaal geleiten müssen, doch auch hier lag nun nur die Schwärze der dichten Vorhänge, welche jedem noch so zarten Strahl unerbittlich den Zutritt verwehrten. Während Hizaki fast lautlos durch die Finsternis schritt, konnte er nicht umhin, sich erneut zu fragen, was wohl dieses seltsame Gefühl in ihm auslöste. Natürlich freute er sich, dass sein Herr endlich zu ihm kam und er den Rest der Nacht ausschließlich ihm gehörte und doch schafften es diese unergründlichen Schwingungen, die in der Luft lagen, seine Gedanken immer wieder in Bann zu ziehen und immer mehr das Verlangen in ihm zu wecken, dem nachzugehen. Unwillkürlich manifestierte sich in ihm gar immer mehr die Überzeugung, dass er dazu nicht mehr allzu viel Zeit hatte ... Mit einem Mal stand er vor der großen Türe zum Speisesaal ohne dass ihm bewusst gewesen war, dass er den Flur bereits zur Gänze durchschritten hatte. Überrascht hielt er kurz inne und zögerte. Da war aus dem Saal vor ihm die tiefe, kräftige Stimme seines Herren zu hören: „Warum zögerst du, mein Liebster?“ Obwohl es nur ganz leise über die Lippen des Sprechenden am anderen Ende des Saales hinter der geschlossenen Türe drang, vernahm Hizaki die Worte, als stünde er direkt hinter ihm in den Schatten der Vorhänge. Daraufhin hob er rasch seine zarte Hand, deren porzellanernes Weiß selbst in dieser Dunkelheit noch einen fast unmerklichen blassen Schimmer auszustrahlen schienen, und öffnete mit einer leichten Bewegung die schwere Flügeltüre. Seine großen schwarzen Augen erblickten sofort die Gestalt seines Herren, welcher am anderen Ende der Tafel stand, die fast den gesamten Speisesaal durchzog. Zu Lebzeiten mussten hier wahrlich rauschende Feste gefeiert worden sein, und selbst jetzt noch, nach all der langen Zeit, war noch immer eine vage Ahnung der Pracht zu vernehmen, welche einst hier geherrscht hatte. Die Fenster in diesem Raum, welche natürlich ebenfalls verhangen waren, befanden sich hoch oben und hätten normalerweise einen Blick auf den sternenüberfluteten Himmel gewährt. Hätten nicht die vielen Kerzen in den wuchtigen Kronleuchtern über ihnen den Raum in ihr flammendes Flackern getaucht, würde nun auch hier nur die Dunkelheit schwer vor sich hinwabern. Doch dieses Kerzenlicht war anders, nicht träge und fließend wie Magma, wie das zuvor in Hizakis Zimmer, sondern tänzelnd, fast unruhig. Die Wände des Saales waren voll riesiger Spiegel, die vom Boden bis knapp unter die Decke reichten, und welche das Flackern vielfach zurückwarfen. Das Schattenspiel, welches so durch die Rahmen und Ketten der Kronleuchter und den vereinzelten Ritterrüstungen im Saal entstand wirkte fast so, als würden sich dunkle Gestalten eine wilde, unerbittliche Verfolgungsjagd liefern. „Worauf wartest du ...?“, wehte abermals die unwiderstehliche Stimme an Hizakis Ohren. Er lächelte erneut und schwebte zu ihm hinüber. Mit erhobenem Haupt stand sein Herr da und erwartete ihn scheinbar fast teilnahmslos. Als Hizaki vor ihm stand, senkte dieser seinen Blick auf den etwas Kleineren hinab und musterte ihn. Hizaki bemühte sich, dass sein Gegenüber ihm nicht anmerkte, dass ihn zurzeit etwas beschäftigte und machte einen eleganten Knicks. „Wie schön, dass Ihr wieder da seid, Herr“, sprach er und ergriff die Hand, welche ihm der Mann mit ernster Miene reichte, erhob sich und blickte in diese leuchtenden, silbergrauen Augen. Er wusste, dass sein Herr zwar ernst und unnahbar anmutete, doch genau das fand er an ihm so faszinierend. Ein fast unmerkliches Lächeln wurde ihm erwidert: „Ich habe mich beeilt, rasch wieder bei dir zu sein, mein Liebster. Du ... musst schon sehr hungrig sein ...“ „Wie könnte ich nicht hungrig sein, Herr?“, entgegnete Hizaki mit bedeutungsschwerem Unterton und neckischem Blick. Sein Herr zog eine seiner dünnen Augenbrauen in die Höhe und nun konnte er ein weiteres kurzes Lächeln nicht unterdrücken. „Das ist gut ...“ Mit einer kurzen Handbewegung warf er sein weißblondes Haar, welches er in seinem Nacken mit einem schwarzen Seidenband zu einem Zopf gebunden hatte, nach hinten und geleitete Hizaki zur Tafel. „Es wird bereits alles für uns vorbereitet ...“ Er zog einen Stuhl heran, sodass Hizaki darauf Platz nehmen konnte und ließ sich dann mit überkreuzten Beinen ihm gegenüber nieder. Das flackernde Kerzenlicht umspielte seine eleganten Züge, welche die Blicke seines Gefährten mühelos auf sich zogen. Doch war natürlich auch Hizakis Schönheit unwiderstehlich und so vergingen einige Momente der Stille, in denen sie sich gegenseitig betrachteten. Jedoch schon kurz darauf öffnete sich eine Türe am Ende des Saales und ein Mann, in edle Kleider gehüllt, welche so tiefschwarz wie sein Haar waren, das ihm fast beiläufig und doch elegant ins Gesicht fiel, betrat den Saal. Seine Augen glommen in einem dunklen beeindruckenden Rot. In seinen Händen trug er ein silbernes Tablett, auf welchem zwei reich verzierte Kelche standen. „Ich habe mich zurückgehalten“, sagte Hizakis Gegenüber verheißungsvoll und bleckte dabei kurz seine spitzen Zähne, „um es mit dir gemeinsam zu genießen. Das Blut eines Adeligen schmeckt am Süßesten ...“ Der Mann mit dem Tablett trat heran und machte eine kurze Verbeugung zu Hizaki. „Guten Abend, Herr.“ Dieser nickte kurz, doch wanderten seine Augen ob des verführerischen Duftes, den ihr Inhalt verbreitete, zu den Kelchen. Das Gesicht des Mannes jedoch war finster, es zeigte nicht die kleinste Regung. Er stellte die Kelche auf dem Tisch ab. „Ich wünsche eine angenehme Nacht“, sprach er danach und machten Anstalten, sich zu entfernen. „Hab Dank, Masashi ... hast du all das, was ich dir auftrug, erledigt?“, fragte Hizakis Gegenüber mit einem fast unmerklich scharfen Unterton in der Stimme. Masashi hielt kurz inne. Seine steinerne Miene verriet nicht die leiseste Gefühlsregung. „Natürlich ... Herr.“ ~ ... Kapitel 7: ~ Aufbruch ~ ----------------------- Schier unendlich lange waren Kamijo, Yuki und Jasmine You durch die alte Bibliothek des Schlosses gestreift und hatten die alten, staubigen Bücher nach Erwähnungen der Sternenformation durchforstet. Jedoch war es, als hätte sich jede noch so kleinste Information darüber ganz klammheimlich und arglistig an Orten und Stellen versteckt, an denen sie nicht so schnell, wie Kamijo es gehofft hatte, gefunden wurden. Dies war ihm natürlich ein Rätsel, da er sich sicher war, dass er zumindest eines Hand voll Werke über die übernatürlichen Phänomene der Astronomie besaß. Damals, als er erstmals von den magischen Mächten dieser Sternenformation erfahren hatte, welche nunmehr der einzige Weg waren, wieder mit derjenigen Person vereint zu sein, welche ihm alles bis über den Tod hinaus bedeutete, hatte er jedes aufzutreibende Buch darüber erworben, erschien es auch noch so unerschwinglich. Doch Kamijo war entschlossen, nun, da er wieder Mut geschöpft hatte und seine beiden Gefährten ihm ihre Hilfe angeboten hatten, würde er der Verzweiflung, welche tief in ihm an seinem Verstand rüttelte, nicht wieder so schnell nachgeben. Fast so schnell wie die Gedanken in seinem Kopf raste er durch den riesigen Saal und verfluchte die Zeit, die gnadenlos gegen ihn arbeitete, doch solange es Tag war, konnten sie das Schloss nicht verlassen ... Nach Stunden, welche wie es Kamijo erschien im Minutentakt verstrichen waren, begann der Abend zu dämmern und tauchte die Bibliothek mit ihren bis unter die Decke reichenden Bücherregalen und Vitrinen in ein fahles Dunkelrot. Die Fenster befanden sich, wie die meisten in den größeren Sälen des Schlosses, knapp unter der Decke, sodass die wenigen Sonnenstrahlen, welche ab und zu durch die Bäume fielen, zwar ihr unerträglich grelles Licht durch die bunten Glasscheiben werfen, jedoch nicht bis auf den Boden dringen und den Vampiren so, sofern sie bei der Suche in den haushohen Regalen eine hinreichende Vorsicht walten ließen, nichts anhaben konnte. Kamijo hielt kurz inne. Noch immer hatte er nichts gefunden, doch sie durften, dessen war er sich sicher, keine weitere Zeit verlieren. Wenn er nur wüsste, wie lange die Sternenformation noch am Nachthimmel stehen würde ... waren es noch Wochen? ... oder Tage? ... oder Stunden? Bei diesem Gedanken zog sich alles in ihm vor Angst schmerzhaft zusammen, dass er kurz ins Wanken geriet. Schnell war das letzte Rot aus dem Saal verschwunden ein angenehmes, erleichternd kühles Blau vertrieb die letzten Spuren des verhassten Tageslichtes. Kamijo zögerte keine Sekunde und erhob sich mit einem einzigen kraftvollen Satz zu den Fenstern empor. Durch eine kleine Luke huschte er ins Freie und seine schneeweißen Augen wanderten über das hereinbrechende Königsblau des jungen Nachthimmels. Noch immer war die Formation klar zu erkennen. Hizaki ... es ist noch etwas Zeit ... wo immer du auch bist ... ich werde dich finden ... Ob die anderen wohl etwas gefunden hatten? Selbst wenn nicht ... wir haben zumindest einen Anhaltspunkt ... Ohne es zu merken verfinsterte sich sein Blick. Irgendetwas stimmte nicht, das fühlte er immer deutlicher ... Wie besprochen fanden sich die drei Vampire nach ihrer Suche in der Bibliothek in Kamijos Studierzimmer ein, um ihr weiteres Vorgehen zu planen. Als Kamijo den Raum betrat, hockte Yuki bereits mit überschlagenen Beinen auf dem steinernen Fenstersims, welcher sich in diesem Zimmer nur knapp vier Ellen über dem Boden befand, und Jasmine You verweilte in nachdenklicher Pose neben dem großen, ausladenden Schreibtisch. Kamijo selbst nahm hinter dem Schreibtisch Platz, legte die Ellenböge auf die Armlehnen seines mit purpurnen Stoffen gepolsterten Stuhls und legte die Spitzen seiner langen kreideblassen Finger aneinander. Einen Moment lang hielt er inne und spürte, wie die Verzweiflung erneut Ihre Fangkrallen nach ihm ausstreckte, und mit Mühe riss er sich von Ihrem Griff los. Es galt, um jeden Preis einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht von der in ihm laut kreischenden Panik in die Irre führen zu lassen. Endlich hatte er sich gesammelt und öffnete seine stechend weißen Augen. Die beiden anderen wirkten ebenfalls gedankenverloren und so ergriff er das Wort: „Nun denn ... seid ihr fündig geworden?“ Er hatte bereits das alte verstaubte Buch entdeckt, welches Yuki mit sich gebracht hatte und sein Blick galt daher ihm. „Ja, Herr“, Yukis Miene blieb ernst, „es ist das einzige Werk, welches ich auftreiben konnte. Allerdings ... enthält es wohl nicht mehr Wissen, als uns ohnehin bekannt ist.“ Fast unmerklich bebte Kamijos Atem, aber er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Langsam zweifelte er an seinem eigenen Verstand denn derart unauffindbar, so war er sich sicher, hatte er die Werke der Astronomie nicht zurückgelassen. Dennoch nickte er, erhob sich und stand im nächsten Augenblick neben Yuki. Dieser reicht ihm das Buch und Kamijo fand schnell die gesuchte Stelle. Nachdem er diese kurz überflogen hatte, packe er den Wälzer und schleuderte ihn in einer jäh ausbrechenden Wut mit einem Knall, der laut wie ein Kanonenschlag die Mauern des Schlosses erschüttern ließ, gegen die Wand. Yuki und Jasmine You zuckten erschrocken zusammen, bemühten sich jedoch, sich nichts anmerken zu lassen. Kurz verweilte Kamijo mit ausgetrecktem Arm, dann ließ er ihn sinken und pfauchte kurz mit geschlossenen Augen. „Herr, etwas anderes konnten wir leider nicht finden“, sprach Jasmine You und senkte hinter seinen langen Wimpern scheinbar betroffen den Blick. „Es ... ist in Ordnung ...“, sagte Kamijo, obgleich in seiner momentanen Situation natürlich wahrlich absolut nichts in Ordnung war. „Bedauerlicherweise wurde ich nicht fündig ... obwohl ich nicht nur dieses eine Buch über dieses Thema besitze ... es scheint fast, als wären diese Bücher abhanden gekommen.“ Sein ungutes Gefühl, dass etwas nicht stimmte, verstärkte sich bei diesen seinen Worten. „Ein seltsamer Zufall, Herr“, merkte Yuki an und seine Miene wurde nachdenklicher, „doch noch weiter zu suchen würde zu viel Zeit kosten.“ Jasmine You ergriff das Wort: „Was auch immer hier vorgefallen ist während unserer Abwesenheit ... Herr, lasst uns nicht weiter zögern ... wir sollten uns aufmachen.“ Er hatte natürlich recht, sie durften sich keine Sekunde länger aufhalten, also nickte Kamijo und sprach: „Nun denn ... noch ist die Sternenformation ganz deutlich am Firmament zu erkennen. Wo auch immer Hizaki ist, ich glaube nicht, dass er freiwillig dort ist ... warum sonst sollte er in den mittlerweile vergangenen Nächten nicht zumindest ein einziges Mal einen Schritt unter freiem Himmel getan haben ...“. Noch während er dies sagte, zog sich in ihm alles vor Angst zusammen. Diese Ungewissheit nagte gnadenlos in seinem Inneren und versetzte ihm mit jedem einzelnen Biss Schmerzen, die durch Mark und Bein fuhren. Wo auch immer du bist ... ich komme zu dir ... nichts in dieser Welt kann sich zwischen uns stellen ... „Bitte bereitet euch vor ... ich komme gleich nach ...“, sprach Kamijo, wandte sich von den beiden ab und schritt hinüber zum Schreibtisch. „Natürlich, Herr“, Yuki und Jasmine You wirkten angespannt, doch war auch eine Entschlossenheit zu spüren, welche Kamijo zumindest wieder einen Funken Hoffnung in ihm wahrnehmen ließ. Sie wandten sich zur Türe und verließen den Raum. Nun, da Kamijo alleine vor dem wuchtigen Schreibtisch stand, zog er ein Stück Briefpapier aus der Tasche seines edlen Mantels. Es war schon etwas vergilbt, doch in der Eile hatte er natürlich kein anderes auftreiben können. Der Zettel enthielt eine Nachricht, welche er in aller Sorgfalt vorbereitet hatte. Rasch packte er die herumliegenden Bücher und Schriftrollen beiseite und lege das Briefpapier in die Mitte der dunklen Tischplatte, sodass es sofort ins Auge stechen musste, wenn man den Raum betrat. „Nur für den Fall, dass du kommst ...“, flüsternd drangen die Worte über seine Lippen. Einen Moment lang verharrte er und seine Augen flogen ein letztes Mal über die Zeilen, die er mit flehendem Herzen geschrieben hatte. Er hoffte, dass Hizaki diese Zeilen lesen würde, denn das würde bedeuten, dass Kamijos Sorgen unbegründet gewesen wären und er seinen Geliebten endlich wieder in seine Arme schließen konnte. Nach einigen langen Momenten wandte er sich zur Türe. Er war entschlossen. Nichts und niemand würde ihn davon abhalten können, Hizaki zu finden. Mit einem letzen Blick zurück auf den Schreibtisch, auf welchem das einsame Papier im hereinfallenden Mondlicht schimmerte, verließ er geräuschlos das Zimmer. ~ ... Kapitel 8: ~ Maskerade ~ ------------------------ Hizaki lächelte, die Vorfreude auf den ersten Schluck des frischen Blutes brachte ein Leuchten in seine tiefschwarzen Augen. Masashi verbeugte sich ein letztes Mal vor seinen Herren, dann verließ er mit unverändert kalter Miene den Saal. Während er sich scheinbar gleichgültigen Schrittes durch den Flur entfernte, griff Hizakis Gegenüber mit seinen langen Fingern nach seinem Kelch, lächelte ebenfalls zufrieden und erhob ihn feierlich. „Ich trinke auf dich, mein Liebster ...“, sprach er und sein verführerischer Blick hätte Hizaki zweifellos, hätte sein Herz noch geschlagen, Herzklopfen bereitet. „Auf unser Wohl“, säuselte er, hob ebenso kurz den Kelch, doch konnte er sich danach nicht mehr länger zurückhalten und trank das Blut mit einem Zuge leer. Noch bevor er seine Lippen abgesetzt hatte, durchströmte ihn eine überwältigende Welle an Glücksgefühlen, es war eine Mischung aus Lust, Freude und Verlangen, die sich bis in jede Faser seines Körpers ausbreitete und das klare Denken von einem Moment auf den anderen in weite Ferne rücken ließ. Genussvoll schloss er die Augen und schluckte die letzten Tropfen der köstlichen Flüssigkeit, die ihm ob ihrer Begehrtheit den Atem raubte und ihn doch letztendlich am Leben erhielt. Kurz flammte eine beißende Unersättlichkeit in ihm auf, die nach mehr verlangte, als er den Kelch geräuschlos wieder auf den Tisch stellte, doch schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle. Natürlich ließ er sich in all seiner Anmut nichts davon anmerken. „Ich ... danke Euch für den edlen Tropfen, Herr“, sagte er und genoss die Nachwirkungen des Blutes, die wie die Empfindungen nach einem erfreulichen Beischlaf in ihm pochten. Für einen kurzen Augenblick hatte er seine Unruhe und ruhelosen Gedanken angesichts dessen beinahe vergessen, doch schon holten sie ihn wieder ein und so sprach er weiter: „Doch wäre es nicht viel schöner gewesen, wenn wir uns gemeinsam auf die Jagd begeben hätten?“ Gespielt unschuldig blinzelte er seinen Herren mit seinen langen schwarzen Wimpern an. Dieser entgegnete: „Ich muss dich doch hoffentlich nicht an dein Versprechen erinnern, mein Teuerster ...?“ und fast meinte Hizaki, hinter diesem makellosen Gesicht eine kurze Veränderung in dessen Ausdruck wahrnehmen zu können, und er war sich nicht sicher, was dies denn bedeuten mochte. „Oh, keine Sorge, ich habe mich daran gehalten, wie Ihr es wünschtet, Herr. Jedoch ... würde es mich natürlich brennend interessieren, aus welchem Grund ich keinen Fuß nach draußen setzen sollte und die Fenster auch bei Nacht von den Vorhängen verdeckt bleiben. Sie rauben mir doch die Sicht auf nächtlichen Ländereien ...“. Hizaki blinzelte erneut und legte einen schwermütigen Unterton in seine Worte. Er war entschlossen, seinem Herren das Geheimnis, welches er vor ihm hatte, geschickt zu entlocken. „Oder wollt Ihr etwa nicht, dass ich mich am Funkeln des Nachthimmels erfreue ... ?“ Erneut war für einen fast nicht wahrnehmbaren Moment ein Flackern in der Miene seines Herren zu erahnen. Oder täuschte Hizaki sich? „Natürlich weiß ich, wie sehr du die Nacht liebst“, sprach sein Gegenüber und schon setzte er ein ironisches Lächeln auf, „Und wie auch nicht, kenne ich doch niemanden unseres Schlages, welcher dies nicht tut.“ Er lehnte sich vor und strich mit verführerischer Miene sanft über Hizakis Gesicht. „Doch bitte gedulde dich noch etwas ...“. „Und wie lange noch, Herr? Meine Gelüste brennen in mir und immer schwieriger wird es, sie unter Kontrolle zu halten. Sich nächtelang in diesen Mauern aufzuhalten, ohne mit Euch auf die Jagd zu gehen, ohne Vergnügen ... dies kommt fast einer Bestrafung gleich.“ Kurz war er sich nicht sicher, ob er zu weit gegangen war dem Gesagten und hielt daher einen Augenblick inne. „Geduld, Geduld ... zu gegebener Zeit wirst du es erfahren ...“, gab sich sein Herr geheimnisvoll, „es ist nicht mehr von allzu langer Dauer.“ Je weniger er über den Grund seiner Geheimnistuerei preisgab, desto ungehaltener wollte Hizaki mehr erfahren. Vielleich spürte er das und machte sich vielleicht sogar einen Genuss daraus, einfach nicht mehr preiszugeben. Also änderte er seine Taktik. „Nun gut ...“, seufzte er und nun bemühte er sich, einen beleidigten Unterton anklingen zu lassen, „und ich nehme an, dass ich mich auch noch gedulden sollte, den Grund für Eure Verschwiegenheit in Erfahrung zu bringen ...“. Sein Herr zog eine seiner dünnen schwarzen Augenbrauen hoch und legte die Ellenbögen auf den Tisch und die Fingerspitzen aufeinander. Natürlich wusste er, wie unwiderstehlich er durch dieses Gehabe aussah. „Vertrau mir ... es wird sich lohnen ... für uns beide ...“. Erneut streckte er seine große Hand nach Hizaki aus, doch dieser drehte den Kopf zur Seite und seufzte erneut. Er hatte beschlossen, für den Moment nicht weiter nachzufragen, da er ohnehin keinen Erfolg zu haben schien, doch seinen unbefriedigten Gesichtsausdruck behielt er bei. „Ich möchte noch etwas von dem Blut zu trinken ...“, sagte er kühl und deutete auf seinen leeren Kelch. Neben seinem Entschluss, seinem Herren durch vorgespielte Enttäuschung vielleicht doch noch etwas entlocken zu können, gierte es in ihm nach noch mehr, viel mehr Blut, allein der Gedanke daran versetzte seinen Körper in Erregung. Dies bemerkte sein Herr natürlich. Er erhob sich mit einem Lächeln, schritt zu ihm hinüber und legte von hinten seine Hände auf Hizakis Schultern. „Ich spüre wohl dein Verlagen, mein Liebster“, sprach er mit tiefer, verführerischer Stimme, „doch lass mich dir einen Vorschlag machen ...“. Hizaki bemühte sich, ob dieser Annäherung unbeeindruckt zu bleiben, was ihm aber nur schwer gelang und er atmete zu ungehalten ein als er eigentlich wollte. Langsam wanderten die großen kalten Hände seines Herren seine Schultern und Arme hinab. „So wie deine Neugierde halte auch deinen Durst noch etwas in Zaum ... und wenn die Zeit des Abwartens für dich vorüber ist ... wirst du die Jagd und das Bluttrinken noch ungleich mehr genießen können ... nach den Nächten des Zurückhaltens ... es wird dir vorkommen wie ein nie gekannter Überschwall an Lust und Leidenschaft ... welchen wir beide uns gemeinsam hingeben werden ...“. Bei diesen Worten erschauderte Hizaki vor verhaltener Aufregung. Er konnte nicht leugnen, dass allein der Gedanke an eine derartige Extase der Gefühle seinen Körper innerlich zum beben brachte. Dies konnte er auch vor seinem Herren nicht mehr verbergen und so hob er die Hand nach hinten und strich ihm über das blasse Gesicht. „Nun, ich denke, dafür würde es sich in jedem Fall zu warten lohnen ...“, säuselte er, „allerdings ... auch wenn ich nicht glaube, dass einzig dies das ganze Geheimnis ist, seid Ihr mir dann ob dieser auferlegten Enthaltsamkeit trotzdem einen Gefallen schuldig ...“. „Wie aufmüpfig ...“, hauchte ihm sein Herr mit gespielter Entrüstung in den Nacken, seine Stimme verlor jedoch nichts von Ihrer Eindringlichkeit, „aber natürlich hast du vollkommen recht ... ich denke, wir sollten uns nun in die Gemächer begeben ... du sprachst zuerst von Vergnügen ... das soll dir selbstverständlich nicht verwehrt bleiben ... wie schön, dass dabei nicht nur du auf deine Kosten kommst ...“. ... Er trat neben Hizakis Stuhl, legte seine linke Hand elegant auf den Rücken und hielt ihm die rechte mit einer einladenden Geste entgegen. „Darf ich bitten, mein Liebster?“ Mit seinen wohlgewählten Worten hatte er es geschafft, Hizakis Gedanken einzufangen und so griff dieser mit einer nicht minder eleganten Bewegung nach der Hand und erhob sich ebenfalls. Sein Herr zeigte eine vielsagende Miene, bot ihm seinen Arm an und ohne Zögern machten sie sich auf den Weg zurück in die Gemächer. Als sie den Saal verließen, öffnete ihnen Masashi von draußen die schwere Türe, sodass sich der finstere Flur in der Dunkelheit vor ihnen auftat, und verbeugte sich mit unbewegter Miene vor den beiden. Hizaki konnte es kaum erwarten, mit seinem Herren unter sich zu sein, doch dieser hielt kurz inne und sagte mit einer fast beiläufigen Handbewegung, welche Hizaki von ihm gar nicht kannte, er sich jedoch ob der Vorfreude über das auf ihn Zukommenden keine weiteren Gedanken darüber machte: „Masashi ... an meinem Mantel ist noch etwas Blut ... ich wäre sehr unglücklich, wenn dies bei meinem nächtlichen Ausgang unerwünschte Blicke auf mich ziehen würde ...“. Ohne auch nur die kleineste Regung in seinem Ausdruck antwortete Masashi: „Ich werde alles zu Eurer Zufriedenheit erledigen ... Lucian, mein Herr ...“. ~ ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)