Cod3s von _Myori_ ================================================================================ Neue Verbündete, größere Gefahr ------------------------------- Es vergingen weitere Sekunden, bevor sich irgendjemand rührte. Plötzlich ließ Ares sein Schwert sinken und griff nach der Sektflasche, welche die Frau in den Händen hielt. „Pfeif gefälligst deinen Köter zurück…“ Ich konnte ein Lächeln in ihrem Gesicht erahnen. „Danke, aber ich glaube, dass ist nicht mehr nötig…“, sagte sie im lockeren Tonfall zu ihrem Begleiter. Sofort löste sich der Griff des Riesen um Ares’ Hals und der Hüne trat stumm wieder zurück in den Schatten, aus dem er gekommen war. Mürrisch drehte sich Ares um, marschierte ins Zimmer und ließ sich erneut aufs Bett fallen. Die Frau und der Mann folgten ihm nur Sekunden später in das Licht der Nachttischlampe, sodass Fin und ich zum ersten Mal mehr als nur Umrisse von ihnen sehen konnten: Der Mann trug genau wie Ares einen schwarzen langen Mantel, das typische Erkennungszeichen für Olymp. Er war vielleicht Anfang 30 und sehr kräftig gebaut. Sein Gesicht war verwittert, sein Blick ähnelte dem eines antiken Gladiators und soweit wie ich das erkennen konnte, zog sich über seinen gesamten Hals eine blasse Narbe. Die zierliche Frau dagegen, stellte ein Lächeln zur Schau, das süßer nicht sein konnte… Im Gegensatz zu ihrem Begleiter, trug sie keinen Mantel, sondern nur eine kurze schwarze Jacke. Sie sah sehr jugendlich aus, was aber wohl nur daran lag, dass sie ziemlich jugendlich gekleidet war; kurzer Rock, eng anliegende Bluse und hohe Stiefel, was ihrem Aussehen etwas verruchtes gab. Ihre kurzen dunklen Haare fielen ihr wild in die Stirn. Ich schätzte, dass sie so alt wie Ares war, vermutlich jünger. Ares hatte inzwischen den Sekt geöffnet und trank ihn direkt aus der Flasche. Belustigt schaute sich die Frau im Zimmer um, bis ihre dunklen Augen mich sahen. Ihr Blick verweilte auf mir, schien mich von oben bis unten zu betrachten und etwas blitzte in ihren Augen auf. Hinter den zwei Pupillen, die nun wie dunkle Perlen glänzten, verbarg sich etwas, das mir tief in die Seele sah und meine geheimsten Gedanken wild durchforstete und jede Erinnerung offen darlegte. Ich fühlte mich plötzlich nackt und schutzlos… Mir wurde kalt und ich begann leicht zu zittern. Endlich drehte sie sich zu Ares um und fing an zu lachen. „Unter welchen LKW bist du denn geraten?“ Nun blitze es in Ares’ Augen böse auf. Ruckartig stand er wieder auf und marschierte auf die Frau zu. „Das habe ich dir zu verdanken, Miststück! Wenn du schon meinst, helfen zu müssen, dann tu es rechtzeitig, klar?! Was mischt du dich hier eigentlich ein?“ „Weil du schon wieder völlig überstürzt gehandelt hast! Und im Übrigen: sei froh, dass ich mich eingemischt habe- sonst würdet ihr alle schon längst tot sein.“ „Red’ keinen Scheiß! Ich wäre auch ohne dich zurecht gekommen…“, entgegnete Ares wütend. Die Frau wurde auf einmal todernst. „Nein, wärst du nicht… Er will, dass ihr die Sache beendet und das schnell… deshalb hat er mich geschickt und-“ „Er soll sich daraus halten!“, entgegnete Ares aufgebracht. Nun trat Fin, die die ganze Zeit über stumm an meiner Seite verweilt war, in die Mitte des Raumes und schrie fast genauso laut wie Ares: „Hey! Schluss jetzt!!“ Alle drehten sich zu ihr um. „Könntet ihr vielleicht mal erklären, was jetzt auf einmal los ist? Und wer zum Teufel sind die?“, fügte sie wütend hinzu und deutete auf die Frau und den hünenhaften Mann. Die Frau blinzelte nur und wandte sich wieder an Ares. „Wer ist das Gör, Ares?“ Dieser winkte nur ab. „Neros neue Spielgefährtin. Sie wird uns leider begleiten müssen…“ „Wie bitte?!“, kam es von Fin und mir gleichzeitig, doch die Frau hob nur die Brauen. Ihr Begleiter stand stumm da und zeigte keine Emotionen. Ares stellte sich neben die Frau. „Ich denke, es herrscht Erklärungsbedarf…“ Fin verschränkte trotzig die Arme und murmelte etwas vor sich hin. „Die zwei hier sind Mitglieder von Olymp, wie ihr vielleicht bereits vermutet. Er heißt Äneas. Das hier ist Kore.“ „Persephone…“, verbesserte die Frau ihn und strafte ihn mit einem bösen Blick. Ares zuckte nur mit den Schultern. Fin neben mir begann gequält zu lachen. „Äneas… Persephone… ich habe mir ja schon vorher gedacht, dass euer Verein nicht alle Tassen beisammen haben kann- bei Ares und Nero habe ich mir noch nicht allzu viele Gedanken gemacht, aber jetzt?! Wer kommt als nächstes? Hermes und Bacchus?“ „Glaub mir, die willst du nicht kennen lernen…“, entgegnete Ares und verzog das Gesicht. Für Sekunden blieb es still, doch dann stöhnte Fin so laut auf und fing an zu schwanken, dass ich schon bereit stand, um sie aufzufangen. Sie raufte sich die Haare und setzte sich auf einen Stuhl. „Das kann doch alles nicht real sein… ich muss träumen…“, murmelte sie. Hilflos stand ich hinter ihr. Was sollte ich denn schon tun? Ich hatte aufgehört, irgendetwas an mir oder meiner Situation unmöglich zu finden. Tröstend rieb ich ihr über die Schulter. Stirnrunzelnd schaute die Frau, die Ares als Persephone vorgestellt hatte, zu uns rüber. „Geht’s dir gut, Kleine?“ Abrupt fuhr Fins Kopf in die Höhe und funkelte sie scharf an. „Ob es mir gut geht?! Ich wurde auf öffentlicher Straße mit einem Schwert bedroht, lebe seit Wochen mit der Angst, dass demnächst die Polizei vor meiner Tür steht, wurde in meinem eigenen Haus als Geisel genommen, mein Mobiliar wurde bei einem… einem Kampf zu Kleinholz verarbeitet, ich habe etliche Verfolgungsszenarien hinter mir, die glatt Filmreif sind und bin nun auf der Flucht und Sie fragen mich, ob es mir gut geht?!“ Fins Stimme überschlug sich beinahe. Niemand sagte etwas, allein Persephone zuckte unschuldig mit den Schultern, als überrasche sie Fins Schilderung keineswegs. Fin dagegen schlug die Hände über dem Kopf zusammen und grummelte etwas Unverständliches vor sich hin. „Schön… ihr seid von Olymp.“, wiederholte ich vorsichtig, um das Thema zu wechseln und traute mich, Persephone direkt anzusehen. Ihr Blick war wieder normal geworden- vermutlich hatte sie das in mir gefunden, was sie finden wollte, denn nun hatte sie ein Lächeln auf den Lippen, das Wärme und Vertrauen ausstrahlte. Trotzdem lief es mir schaudernd den Rücken runter. „Was wollt ihr von uns?“, beendete ich endlich den Satz. Persephone schaute kurz zur Tür, wo dieser merkwürdige Äneas immer noch stand und nickte ihm zu. Stumm drehte Äneas den Schlüssel im Schloss um. „Reine Vorsichtsmaßnahme.“, erklärte sie, schaltete die Lampe aus und setzte sich zu Ares aufs Bett. Dieser guckte immer noch pikiert. Die Nacht war wieder ins Zimmer zurückgekehrt, allein das schmutzige Licht der Laternen, die draußen vor dem Hotel standen, ließ mich mehr als nur Schemen erkennen. „Wir sind hier, um euch zu warnen- und zu helfen.“ Ares gab ein gespielt spöttisches Lachen von sich und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche. Mir viel plötzlich auf, dass Ares in den letzten Stunden sehr viel Alkohol getrunken hatte- und Auto, na ja… „gefahren“ war… Doch ehe ich diesen erschreckenden Gedanken weiterführen konnte, holte mich Fin zurück in die Gegenwart. „Warnen? Vor was?“ „Vor wem…“, verbesserte Persephone sie. Ich nickte und hob kurz die Schultern. „Nun… davon wissen wir. Die Regierung sitzt uns im Nacken.“ Ich war erstaunt über das kindliche Lachen, was jetzt aus Persephones Mund zu kommen schien. „Schön wär’s. Nein. Diese Spinner sind nicht das Problem…“ und damit wandte sie sich zu Ares. „Hades weiß, dass Nero wohlauf ist.“, sagte sie nun ernst. Ares verharrte kurz in seiner Bewegung, die Sektflasche zum Mund zu führen und schien sie aus den Augenwinkeln anzuschauen. Dann setzte er die Flasche ab und fuhr sich seufzend über Gesicht und Haare. Es war still im Zimmer geworden, allein die Wanduhr tickte leise im Hintergrund. Ich konnte nicht viel mit Persephones Aussage anfangen, genauso wenig wie Fin, aber Ares schien sie ziemlich mitzunehmen. Irgendwann brummte er: „Weißt du, wer geredet hat?“ „Niemand. Es musste früher oder später rauskommen. Aber wir haben etwas Zeit.“, sagte sie beruhigend, als Ares nun doch schnell aufschaute. „Er sucht dich und Nero Außerlandes. Ich habe dein Handysignal umgeleitet, aber da wir ja heute Abend miteinander telefoniert haben, kann es gut möglich sein, dass er schon davon Wind bekommen hat, dass er reingelegt wurde.“ Fin schüttelte mit dem Kopf. „Ich verstehe gar nichts. Wovon redet ihr?“ Ares seufzte. „Hades ist unser Anführer, Boss- wie auch immer ihr ihn nennen wollt. Ich habe euch doch von ihm erzählt…“ Ich nickte. Hades hatte verordnet, mir mein Gedächtnis zu nehmen… „Er weiß also, dass ich noch den Code zu Judgement besitze.“, erwiderte ich. Persephone holte erschrocken Luft. „Du hast es ihnen erzählt?“, fuhr sie Ares barsch an. „Wir wissen alles.“, mischte sich Fin ein. Ihre Selbstsicherheit war ein Stück zurückgekehrt. „Sie sollten wissen, warum sie Staatsfeinde geworden sind…“, fügte Ares hinzu und schaute zu Persephone auf. Diese seufzte nur. „Nun… dann können wir uns das ja sparen.“ Sie stand auf und ging zu den Fenstern des kleinen Zimmers, zog den Vorhang zur Seite und schaute nach draußen. „Ares, die Situation ist nun heikler, als am Anfang.“, murmelte Persephone ohne den Blick von der Straße zu lenken. Ares nickte. „Er hat es, oder?“ Persephone antwortete nicht- ich vermutete, dass das Ja heißen sollte. „Kurz nachdem das mit Nero passiert war. Es war nur eine Frage der Zeit, Ares…“ Er lachte. „Ja. Die Zeit scheint sich gegen uns gerichtet zu haben.“ „Wir müssen handeln, Ares.“ Persephone hatte sich umgedreht und lehnte sich jetzt gegen die Fensterbank. Ihre Augen funkelten. Ares war bei ihren Worten aufgestanden und schritt nun, die Arme erhoben auf sie zu. „Wir? Es gibt kein Wir, Kore, das habe ich dir schon vorher gesagt! Wir sind raus aus der Sache!“ „Seit wann bist du Neros Vormund? Er kann selber entscheiden!“ „Das wirst du nicht wagen…“, knurrte Ares so düster, dass sich meine Nackenhaare aufstellten. Die Luft um die beiden herum schien sich elektrisch aufzuladen, ich wartete nur drauf, dass die Funken sprühten… „Wovon redet ihr, verdammt noch mal! Hört auf, in Rätseln zu sprechen!“ Bei meinen Worten schloss Ares die Augen, als müsse er sich sehr beherrschen, nicht loszubrüllen. Wütend biss er sich auf die Unterlippe. Anstelle von ihm, antwortete mir Persephone. „Hades hat es geschafft, Judgement zu stehlen. Er besitzt das Programm. Das einzige, was es gibt.“ „Einfach so?“, mischte sich Fin ein. „Ich meine- er hat es einfach so gestohlen?“ Persephone nickte lachend. „Ja. Obwohl er dafür den ganzen Computer mitnehmen musste…“ Fin schüttelte mit dem Kopf. „Warum hat er das getan? Gut- er hat das Programm, aber was bringt ihm ein solches, wenn er den Code dafür nicht mehr besitzt? Ich hatte es so verstanden, dass er erst seit kurzem von Nero weiß… Warum machte er sich also die Mühe, wenn es sowieso keine Möglichkeit gab, das Programm zu öffnen?“ Persephones Blick wanderte zu Ares. „Du hast ihnen also doch nicht alles erzählt…“ Verwirrt runzelte ich die Stirn. Wie kam sie darauf, plötzlich so was zu behaupten? Auch ich nahm Ares prüfend ins Auge. Dieser zuckte nur mit den Schultern. „Ich habe ihnen nichts Falsches erzählt, wenn du das meinst.“ Mein Blick verfinsterte sich und ich trat einen Schritt auf Persephone zu. „Was ist so besonders an Judgement?“, fragte ich scharf. Diese ganze Geheimnistuerei ging mir langsam auf die Nerven. Worum ging es hier eigentlich?! Persephone kam mir entgegen und ihre Stimme hatte alle Sanftheit verloren. „Es geht hier nicht um irgendein Programm, sondern um das größte und gefährlichste Geheimnis unseres Landes.“, sagte sie ernst. Meine Nackenhaare stellten sich bei diesen Worten auf, aber nicht wegen ihrem Inhalt, sondern eher wegen dem Verrückten und Wahnsinnigen in Persephones Stimme. „Eine Waffe, stärker und verheerender als die Atombombe… das ist Judgement! In diesem Programm ist die ganze Zusammensetzung niedergeschrieben, alle Kopien und Bilder der Baupläne, die man schon vor langer Zeit aus Sicherheitsgründen verbrannt hat. Jedes einzelne Bauteil, jede Chemikalie, jedes verwendete Metall wurde Jahrelang gesammelt und aufgeschrieben- das Verhältnis, die Menge, sogar der Fundort soll in diesem Programm zu finden sein.“ Sie atmete schwer, als sei sie kilometerweit gelaufen. Auch mein Herz schlug schneller. Nach einer kurzen Pause fuhr sie weiter fort. Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. „Die Erfinder von Judgement sind grausame Revolutionäre, wer das Programm besitzt ist eine ernste Bedrohung für jeden… wer Judgement jemals baut…“ Sie brach ab und schüttelte den Kopf. Hilflos schaute ich zu Boden. Ich brauchte einige Sekunden, bis ich ihre Worte verstand. Die Regierung besitzt- besaß- eine so gefährliche Waffe? Stärker als die jetzigen Schrecken, die in den geheimen Lagern einiger Länder versteckt waren? Und ich kannte den Zugangscode dafür… Ich fühlte, wie ich immer wackeliger auf den Beinen wurde und völlig in Gedanken versunken nach einem Stuhl tastete. Etwas flüsternd trat Fin an meine Seite. Ihre Hände zitterten. „Soweit darf es nie kommen…“ Meine Stimme war ungewohnt brüchig geworden. Bilder schossen mir durch den Kopf, von zerstörten Städten, überall tote Menschen und andere, die um sie weinten. Sie waren alle nur schemenhaft, manche nicht mehr als Schatten, mit verschwommenen Umrissen, als glühe die Luft immer noch von den längst erloschenen Flammen. Und mitten unter ihnen stand Fin. Ihr verschmutztes Gesicht schaute sich hilflos um, Tränen quollen aus ihren roten Augen, ihre Kleidung war zerrissen und unter ihr schimmerte ihre zarte weiße Haut hervor, die von unzähligen Verletzungen und Blutergüssen gezeichnet war. Und schaute ich länger auf eine der Leichen, so entdeckte ich auch dort Fins Antlitz… Ihre glasigen Augen starrten ins Leere, all ihr Glanz war verschwunden- nun zeigten sie nur noch Schmerz… Ich merkte nichts mehr um mich herum, ich sah nur noch diese Visionen. „Niemals…“, wiederholte ich noch einmal. „Deswegen sind wir hier…“ Persephones Stimme echote leise nach und klang sehr weit weg, trotzdem hob ich den Kopf. Zuerst entdeckte ich Fins besorgtes Gesicht. Sie hielt meine Hand umschlossen und strich mir sanft über den Handrücken. Ich sah mit Erleichterung, dass ihre Augen ungewöhnlich stark glänzten- vermutlich war sie den Tränen nahe vor Sorge, doch genau dieses Schimmern ließ mich wieder klar denken. Ich suchte Persephone in dem Raum und fand sie mir gegenüber neben Ares sitzen, der ungewöhnlich still und in sich gekehrt war. „Wir müssen uns beeilen, wenn wir das Schlimmste verhindern wollen.“ Sie wartete, bis ich nickte, dann fuhr sie ruhig fort: „Die einzige Möglichkeit, die wir haben, ist das Programm zu vernichten.“ “Das heißt, wir müssen den Computer zerstören, auf dem die Datei gespeichert ist?“ Persephone schüttelte den Kopf. „Nein, das ist zu unsicher… und dafür reicht auch nicht die Zeit. Nein, wir müssen das Programm selber löschen, alle Sicherheitskopien und alle Programme, die diese schützen.“ Ich runzelte die Stirn. „Und das soll schneller gehen?“ Persephone nickte. „Die Erfinder haben sich sehr viel auf ihren Code eingebildet, der anscheinend von niemandem geknackt werden könne… Alles, was mit Judgement zu tun hat, läuft über diesen einen Zugangscode.“ Sie hielt inne. „Verstehst du jetzt Nero, warum du so wichtig für diese Sache bist?“ Ich antwortete nicht. „Du hast’ s selbst gesagt, Kore: der Code gilt als unlösbar…“, sagte Ares irgendwann, den Kopf auf die gefalteten Hände gestützt. „Warum also die ganze Sache?“ Fin neben mir nickte beipflichtend. „Gib der Technik noch ein paar Jahre, dann wird auch dieser Code kein Problem mehr für sie sein…“, antwortete Persephone ihm. Ares brummte etwas, strich sich durch die Haare und schüttelte den Kopf. Aber er schwieg. Ich brauchte etwas Zeit, um alles zu verstehen. „Und das würde… alles beenden?“, fragte ich leise und stellte mir wieder Fin vor, wie sie durch die Ruinen ihres Lebens stolperte. Das durfte nicht geschehen… „Es würde Hades auf jeden Fall das Genick brechen. Olymp ist am Ende und er klammert sich an dieses Programm, wie an ein Rettungsseil, weil er dadurch hofft, wieder in der Unterwelt an Bedeutung und Respekt zu gewinnen.“ „Und was ist mit der Regierung?“ Nun lächelte Persephone leicht. „Glaub mir, die ist jetzt schon nur noch damit beschäftigt, die Sache zu vertuschen und Schadenbegrenzung zu leisten.“ Ich wusste nicht mehr, wie lange ich so stumm dasaß und vor mich hinstarrte, aber irgendwann stand Persephone auf, ging auf mich zu und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Überlege es dir.“ Aus irgendeinem Grund schaute ich in diesem Moment kurz zu Fin, die stumm und genauso in sich gekehrt dasaß, wie ich. Persephone bemerkte das und beugte sich zu mir herunter. Wieder stellten sich meine Nackenhaare auf und mein Herzschlag ging schneller. „Du bist der Schüssel zu ihrem Leben, Nero- zu einem ruhigen Leben…“, flüsterte sie mir ins Ohr, dann ging sie aus dem Zimmer. Äneas folgte ihr sofort. Ares, Fin und ich blieben stumm im Zimmer sitzen. Ich schaute zu Ares. Er saß nur da und schaute mich ebenfalls an. Sekunden reihten sich gnadenlos zu Minuten aneinander, ohne dass jemand etwas sagte. Plötzlich seufzte Ares und erhob sich langsam. Jetzt, da ich saß, sah er noch größer aus und doch schien all seine Macht und körperliche Kraft aus seinem Körper gewichen zu sein. Kurz hob er die hängenden Schultern. „Es ist deine Entscheidung…“, sagte er monoton, dann verließ auch er das wenig beleuchtete Zimmer. Stumm schaute ich zur Tür und mir wurde klar, dass sich mein Leben wieder um 180° zu drehen schien. Ich stand erneut vor einer Entscheidung, die ich nicht treffen wollte. Gerade erst hatte ich meine Vergangenheit, die immer noch für mich im halbdunklen lag, akzeptiert und ruhen gelassen und nun sollte ich mich wieder mit ihr auseinandersetzen? Ich seufzte. Nein, verbesserte ich mich, ich musste es tun… oder? Ich spürte, wie Fin nach meiner Hand tastete. „Willst du das wirklich tun?“ Fin hatte sich vor mich hingekniet und schaute mir tief in die Augen, sodass ich mich selbst in ihnen widerspiegeln sehen konnte- allerdings nicht genau, denn dafür waren es zu flüchtige Momente, die sie mir gewährte. Hilflos zuckte ich mit den Schultern. „Ich fürchte, ich habe keine Wahl, oder?“ Ihre warmen Finger umfassten meine tauben stärker. „Man hat immer eine Wahl, Nero. Du musst das nicht tun, sie können dich nicht zwingen. Und wenn doch: dann fliehen wir!“ Ich war überrascht über ihre plötzliche Entschlossenheit, dass ich verwundert die Brauen hob. Sie nickte eifrig und es blitzte hoffnungsvoll in ihren Augen. „Wir fliegen nach Amerika. Mein Vater wird uns bestimmt aufnehmen, auch wenn es mir sicher kein Vergnügen bereiten wird, ihn wieder zu sehen, aber das nehme ich in Kauf! Und wenn das nicht klappt, dann gehen wir in die Schweiz- ja, genau! Dort wird man uns ganz sicher helfen.“ Ich lächelte müde. „Das klingt beides verlockend, aber deine Idee hat viele Hacken. Ich habe keinen Pass, wie soll ich also legal außer Landes kommen? Und ich möchte nicht, dass du dich wegen mir quälen musst, Fin.“ Sie schüttelte ihren Lockenkopf. „Dann fälschen wir halt einen Pass und um mich brauchst du dir keine Sorgen mach -“ Ich drückte ihre Hand fester und sie verstummte. „Nein, Fin…“, sagte ich ernster, als ich vorgehabt hatte. Sie schaute mich noch einige Sekunden entschlossen an, dann verpuffte der Glanz wieder und sie blickte stumm zu Boden. Der Druck auf meine Hände ließ langsam nach und schließlich zog sie ihre zitternd zurück. Langsam griff ich nach Fins Handgelenken und zog sie auf meinen Schoß. Zuerst schien sie etwas verwirrt über mein Handeln zu sein, doch dann entspannte sie sich und schlang ihre Arme um meinen Hals. Ihr ganzer Körper schien zu beben, als ich sie ebenfalls umarmte. „Wie können sie sich so sicher sein, dass du dich an diesen verdammten Code erinnerst? Was ist, wenn du ihn doch vergessen hast?“ Ich hörte ihr an, dass sie weinte. Ich antwortete nicht sofort, denn ihre Frage war berechtigt und das einzige, was ich antworten konnte, klang selbst in meinen Ohren lächerlich. „Ich fürchte, wir müssen ihnen einfach vertrauen. Glaub mir, Ares ist nicht der Mensch, der etwas tun würde, von dem er weiß, dass es keinen Erfolg bringen wird. Und Persephone- nun ich denke, sie würde mich auch nicht-“ Ich brach den Satz ab, weil ich Fin nicht noch mehr belasten wollte. Sie wusste schon ohnehin, wie gefährlich die ganze Angelegenheit war. Sie lachte. „Du bist wirklich ein naiver Idiot…“, schniefte sie und löste sich aus meiner Umarmung. Ihre Wangen glänzten in dem dämmrigen Licht der Nacht. Vorsichtig wischte ich ihr eine Träne vom Kinn; ich wollte sie nicht weinen sehen. „Ich verspreche dir, dass danach alles vorbei sein wird.“, flüsterte ich. Fin lächelte. Für Sekunden schauten wir uns stumm an, dann legte sie ihre Hand an meine Wange und beugte sich zu mir runter. Ich sah, wie sich ihre Augen langsam schlossen, je näher sie kam. Ich verharrte in meiner Haltung und wartete darauf, dass ihre sanften Lippen mir wieder den Atem nahmen. Zögernd schloss auch ich die Augen. Doch diesmal sollten wir nicht einmal bis zum Kuss kommen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)