Cod3s von _Myori_ ================================================================================ Gedanken -------- Wenig später saßen wir wieder im Wohnzimmer am Esstisch. Ich hatte noch eine Konservendose mit Suppe aus dem Regen retten können, die Nero sich nun manierlich, aber doch sichtlich begierig einverleibte. Ich saß ihm schweigend gegenüber und beobachtete ihn. Nero… ein wirklich ungewöhnlicher Name. Ich kannte diesen Namen nur aus dem Geschichtsunterricht und hatte sonst noch niemanden getroffen, der so hieß- bis jetzt. Er bemerkte meinen Blick und schaute fragend von seinem Teller auf. „Ist etwas?“ fragte er vorsichtig und deutete schnell auf seine dampfende Suppe. „Möchtest du? Ich esse dir so selbstverständlich etwas vor…“, sagte er leise und man sah ihm an, dass er sich schämte. Prompt lief ich rot an, schüttelte verlegen den Kopf und richtete meinen Blick auf etwas anderes. „Nein, nein, alles in Ordnung. Iss ruhig- ist genug da“, murmelte ich und versuchte zu lächeln. Kurz darauf widmete er sich wieder zögernd seinem Essen. Vorsichtig schielte ich erneut zu ihm. Gott, was war los mit mir? Ich konnte mich einfach nicht an ihm satt sehen… Er war einfach so… so wow. Lange überlegte ich hin und her, was ich jetzt machen sollte, ob ich ihn ansprechen sollte oder nicht und wenn doch, über was ich mit ihm reden sollte, bis er mir die Entscheidung abnahm. „Wie sah dieser Mann eigentlich aus?“ Ich brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, was er genau meinte. „Der, der bei dir war? Nun… viel habe ich nicht erkannt. Er war ziemlich groß und war nicht gerade der Gepflegteste- Drei-Tage Bart, kantiges Gesicht … und kalte Augen.“ Bei diesen Erinnerungen lief es mir eisig den Rücken runter. Nero dachte einige Momente nach und fragte dann irgendwann: „Glaubst du, dass ich… zu ihm gehöre?“ Seine Stimme hatte etwas verachtendes, was ich ihm nicht verübeln konnte. Ich verzog nachdenklich das Gesicht. „Vielleicht… Zumindest hatte er genau den gleichen Mantel an wie du.“, sagte ich und deutete auf Neros, den er immer noch trug. Darunter war er immer noch nackt, doch das schien ihn nicht weiter zu stören- im Gegensatz zu mir, denn es verlangte schon einiges an Beherrschung, nicht die ganze Zeit hinzustarren. Ich schwor mir, dass ich mich um dieses „Problem(chen)“ als nächstes kümmern würde. Gedankenversunken schaute er an sich runter und strich über den Mantel. Ich sah ihm an, dass ihm diese Lösung der Frage nicht erfreute und ich versuchte ihn aufzumuntern. „Aber vielleicht haben sie dich ja auch … entführt oder so und dir einfach irgendwelche Sachen angezogen.“, sagte ich schnell, doch im nächsten Moment schüttelte Nero den Kopf. „Nein.“, widersprach er leise. „ Das ist meiner – ich weiß es.“ Dann schaute er auf und sah mir direkt ins Gesicht. „Ich bin … oder war ein Mitglied von diesem Verein mit den Identitätsnummern – was auch immer dieser tut.“ Ich verzog das Gesicht. „ Na – Verein würde ich das nicht nennen.“ Ich versuchte schnell ein Lächeln, welches zu einer schiefen Grimasse mutierte. „Nichts gegen dich, aber … ich kenne keinen Sportverein, der so unheimlich herumläuft, sich ID- Nummern in den Nacken tätowieren lässt und mit… Schwertern Passanten bedroht.“ Nero murmelte etwas, von dem ich nur „umbringen“ verstand und schaute wieder nachdenklich auf seinen Teller. Ich hatte das Gefühl, dass ich lieber nicht nachfragen sollte. Dann schob er mir den Teller entgegen. „Danke, aber ich habe keinen Hunger mehr.“, nuschelte er. Ich nickte nur und brachte den Teller in meine Küche. Dort verharrte ich kurz und schaute durch die offene Tür zurück ins Wohnzimmer. Von hier aus konnte ich ihn sehen, wie er allein am Tisch saß und sichtlich versuchte, sich an etwas zu erinnern. Eins war mir klar- auch wenn ich es zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau wusste, aber er konnte keine schöne Vergangenheit gehabt haben. Ich stellte das Geschirr in das Waschbecken und schlenderte zurück. Irgendetwas musste es doch geben, was ich tun konnte. Ein Mensch hinterlässt immer eine Spur- das hörte man doch in jedem Krimi! Nero quälte sich mit diesem Unwissen und ich wollte ihn nicht leiden sehen. Kümmere dich um ihn… und das hatte ich auch vor! Ich fasste für mich einen Entschluss und schwor mir, ihn bis zum Ende durchzuführen. Als ich wieder im Wohnzimmer war, schaute Nero nicht einmal auf. Erst als ich ihn ansprach, sprang er regelrecht vom Stuhl und starrte mich verschreckt an. Ich lächelte leicht, um ihn zu beruhigen. „Es ist schon spät. Morgen sehen wir weiter, okay?“ Er nickte und ich legte ihm die Decken, die noch vor dem Kamin lagen, auf das große Sofa. Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt und die schwarz-graue Asche glühte nur noch leicht. Ich warf einen Holzscheitel in die Glut, wünschte Nero eine gute Nacht und wollte selber ins Bett gehen, als ich seine Stimme noch einmal hörte. „Fin?“ Ich blieb im Türrahmen stehen und schaute zurück. Der Sofarücken verbarg ihn. „Ja?“ Er antwortete nicht gleich. „Warum tust du das alles für mich? Ich … ich glaube, ich bin gefährlich.“ Ich seufzte. Ja, irgendwie schon, dachte ich. Aber das war mir egal. „Ich will dir einfach helfen.“ Ich schwieg und wartete ab. Es war nicht gelogen, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass er mir Leid tat oder noch schlimmer- dass ich ihn einfach mal fröhlich sehen wollte, weil ich glaubte, dass er mit einem Lächeln umwerfend aussieht, dass ich ihn nur bei mir haben wollte… Es dauerte, aber dann hörte ich ein gehauchtes „Danke“ und ich drehte mich wieder meinem Zimmer zu, als mich plötzlich Gewissenbisse quälten. Gott, ich war ein verdammter Egoist und er bedankte sich auch noch für mein eigennütziges Vorhaben! Abrupt blieb ich stehen und guckte noch einmal zurück. „Nero?“ Keine Antwort. Verdutzt zog ich die Brauen hoch und wartete. Doch bevor ich erneut nachfragen konnte, hörte ich ein leises Schnarchen. Auf Zehenspitzen schlich ich zurück, lugte vorsichtig über das Sofa und musste grinsen. Nero war eingeschlafen. Das ging aber schnell, staunte ich und legte meinen Kopf auf meinen, auf die Sofalehne gelegten Armen ab. Wieder ertappte ich mich dabei, wie ich ihn verträumt beim Schlafen betrachtete und rief mich in Gedanken wütend zur Ordnung. Kopfschüttelnd ging ich in mein Zimmer, zog mir meine Schlafsachen an (bei dem Gedanken, dass Nero zurzeit so etwas nicht besaß, wurde mir wieder ganz anders…) und kroch unter meine Bettdecke. Ich träumte. Von großen, schwarzen Männern, die mich wegzerrten und einsperren wollten. Doch zum Glück kam mein leicht bekleideter Retter mit einem riesigen Schwert an und befreite mich. Danach gingen wir durch den Regen, es war bitterkalt, doch er drückte mich ganz fest an sich, sodass ich nicht fror. Ich genoss die Wärme in vollen Zügen. Dann küsste er mein Haar und mich durchlief ein Schauer. „Ich bin gefährlich, Fin.“, hauchte er plötzlich ungewöhnlich tief und der Druck seiner Arme nahm schlagartig zu. Entsetzt starrte ich ihm ins Gesicht und erkannte das kantige, viel ältere Gesicht von meinem und seinem Peiniger. Ich wand mich in seinem Griff und rief verzweifelt Neros Namen. Doch nichts half. Die Warnung des Mannes echote durch die Luft- keine Polizei. Ich fing an zu weinen und schrie nur noch heftiger nach Nero. Unsere Umgebung fing Feuer, alles brannte, der Mann zog auf einmal sein Schwert, das nur noch unheimlicher in dem Glanz der Flammen rötlich schimmerte. Er holte aus und dann… Dann schreckte ich auf. Schwer atmend lag ich in meinem Bett, Schweißperlen auf meiner Stirn und die linke Hand in mein Bettlacken verkrallt, während meine Rechte meinen Hals umschloss. Mein Herz zersprang beinahe in meiner Brust und wollte sich nicht beruhigen. Nach Stunden – so kam es mir zumindest vor- hatte ich mich wieder einigermaßen gefasst, sodass ich aufstehen konnte, ohne gleich zusammenzusacken. Ich versuchte an nichts zu denken, nicht an Nero, nicht an den Traum, nicht daran, wie spät oder welcher Tag heute war – an gar nichts, denn ich befürchtete, dass die Bilder wieder zurückkommen würden. Ich hockte reglos auf meiner Bettkante, die Hände um meinen Nacken gelegt, bis ich irgendwann das Zwitschern der Vögel hörte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)