Johto no Densetsu von xRajani ================================================================================ Kapitel 4: Akita Kuyoko ----------------------- „Ausweichen!“ Panisch war der durchdringende Schrei des Stahlvogels, als die azurfarbene Aurasphäre auf das Panzaeronweibchen zu raste. Nervös biss sich Kaoru auf die Unterlippe, als er die schwachen Funken sah, die um den Körper seines Pokémons zuckten, wodurch das Auf- und Abschlagen der Flügel nahezu eine Qual war. Durch den letzten Angriff, Sturzflug, war sein Panzaeron noch immer benommen, vor Schmerz gelähmt. Nachdem der enorme Kraftakt diese Erstarrung löste, zog sie die Schwingen eng an den Körper und begab sich in den freien Fall. Knapp vor dem heran rasenden Erdboden öffnete Panzaeron seine Schwingen und stieg kreischend in die Höhe empor. „Beende es mit Wasserdüse, Impoleon!“, befahl seine Gegnerin, ein junges Mädchen, die ihre silberweißen Haare zu einem langen Zopf zusammen gebunden hatte. Schlank war die junge Trainerin, hatte eine zarte, blasse Haut. Äußerlich wirkte sie kühl, gelassen und ging äußerst bedacht vor, und doch ahnte Kaoru, dass er sie in Bedrängnis gebracht hatte. Aber vielleicht hatte er sich mit der Vermutung getäuscht, dass sie keine ernstzunehmende Gegnerin sei? Noch dazu besaß sie Pokémon aus der entfernten Shinou-Region, die er nicht nach ihren Fähigkeiten einschätzen konnte. Panzaerons Niederlage wurde besiegelt, als Impoleon sich niederkniete und sich in den Schutz von glänzendem Wasser begab. Mit einem kämpferischen Aufschrei beschleunigte der Pinguin und prallte auf Panzaeron, welches durch den Zusammenstoß abstürzte. Der Stahlkörper verursachte einen lauten Knall. Leise stieß Kaoru üble Flüche aus, verdammte seine Unachtsamkeit wie so oft in seinem Leben. „Große Klappe und nichts dahinter“, gab Akita süffisant lächelnd von sich. Ihre Finger strichen eine Haarsträhne weg, die ihr ins Gesicht gefallen war. Kaoru bebte innerlich vor Wut, während äußerlich seine Hände zu zittern begannen. Wortlos wandte er sich an sein Tornupto, das ihn aus klugen Augen anstarrte. Der Schwarzhaarige nickte seinem treuen Pokémon zu. „Jetzt liegt es an dir, meine Schöne!“ Stärker als zuvor loderte unerwartet Tornuptos Feuerkragen aus. Schwüle Hitze sammelte sich um den Körper des Flammenigels, während ein entschlossenes Fauchen seine Kehle verließ. „Lucario, Nahkampf!“ Rasch näherte sich Lucario Tornupto und traktierte das Pokémon mit heftigen Schlägen und Tritten. Die Tornuptodame wich zurück, als der letzte Fußtritt sie ins Gesicht traf. Doch mit einem kehligen Knurren wandte sie wieder den Kopf zu Lucario. „Was?“ Kaoru grinste. „Ausweichen und weglaufen ist nicht unsere Art!“, stellte der junge Trainer aus Neuborkia fest. „Wir kämpfen von Angesicht zu Angesicht!“ Tornupto grollte zustimmend, während ihre roten Iriden Lucario fixierten. Die Fremde lächelte amüsiert, ließ sich keinesfalls von Kaorus Unerschrockenheit einschüchtern. „Bedränge es mit Knochenhatz!“, war ihr nächster Befehl. Die Fäuste erhoben begann sich Energie zu bilden, die sich zu einem blauen Knochenstab formte. Hernach sprang Lucario vor, direkt vor Tornupto. „Spring, Honou!“ Tiefe Furchen hinterließen die Krallen des Feuerpokémons, nachdem sich Honou geschwind vom Boden abgestoßen hatte und sich nun über Lucario begab, das erschrocken inne hielt und dem groß gewachsenen Igel nachsah. „Flammenblitz!“ Ein Brüllen drang an die Ohren der Trainer, während grelle Flammen das Tornuptoweibchen eines Käfigs gleich einhüllten. Knapp vor dem Werwolf berührten ihre Pfoten den Boden wieder, und sie stürmte mit gespreizten Krallen auf Lucario zu. Zu spät war es für das Pokémon, um diesen mächtigen Angriff auszuweichen. Brennender Schmerz loderte folglich in seinem Körper auf, entzog ihm jegliche Kraft aus seinen Gliedern. Erschöpft sank es auf die Knie. „Dein Tornupto ist gar nicht mal so schlecht“, lobte Akita, nachdem sie ihr Lucario zurück in den Pokéball beordert hatte. „Leider kann man es nur für seinen Trainer bemitleiden.“ Auf ihren Lippen lag ein provozierendes Grinsen, aber Kaoru ermahnte sich, nicht auf diese derartige Kränkung einzugehen. Zu oft hatte er sich zu unvernünftigen Handlungen mitreißen lassen. Stattdessen antwortete sein Tornuptoweibchen für ihn: ein erzürntes Brüllen erwiderte sie und fletschte dabei wütend die Zähne. Solch eine Unverschämtheit ließ sie keineswegs ungesühnt! „Heiz ihnen mit Flammenwurf ein!“ Honous Rachen färbte sich rot, als sich lodernde Funken ihr Maul umschmeichelten, die einen Herzschlag später als Flammenstrahl entfesselt wurden „Mit Aquawelle kontern“, befahl Akita gelassen. So ein Hitzkopf würde sie nicht besiegen! In Impoleons Schnabel blitzte etwas Helles auf, wuchs zu einer pulsierenden Wassermasse heran, die sich als reißende Flutwelle über den Boden ergoss und auf den Flammenwurf traf. Zischend verdampfte das Wasser, zog als dichter Nebel in die Luft, während die Kraft des Feuers geschwächt war. „Sternschauer!“ Funken durchdrangen den nebelartigen Dunst, die binnen weniger Sekunden die Form von Sternen annahmen. Mit einem Grollen schickte Tornupto diese auf ihren Gegner. „Wehre sie mit Wasserdüse und Metallklaue ab.“ In Wasser gehüllt stürmte Impoleon auf Tornupto zu, während die Sterne unter der scharfen Metallklaue zerbarsten. „Halte es mit Dunkelklaue auf!“, rief Kaoru geistesgegenwärtig. Tornupto hielt abwehrend ihre Arme empor, als sich schwarzes Licht um ihre Pfoten sammelte, die die Gestalt einer düsteren Kralle annahmen. Hernach sprang sie vor und streckte ihre Schattenpfoten vor, um die Wucht der durch Metallklaue verstärkten Wasserdüse abzufangen. Doch die Wucht war zu stark, als dass Tornupto Impoleon standhalten konnte. Einige Male überschlug sie sich und bleib dann regungslos liegen. Der lodernde Kragen war erloschen. Der Schwarzhaarige merkte, wie die Ungewissheit an seinen Nerven nagte. War der Kampf schon verloren? „Halte durch!“, weckte Kaorus Stimme sein treues Pokémon aus der Benommenheit. Ihre Arme auf den Boden gestützt richtete sich Tornupto auf und entflammte mit neu gewonnener Entschlossenheit ihren glühenden Feuerkragen. „Greife es aus nächster Nähe mit Metallklaue an!“ Ruhig hatte Akita ihre Arme vor der Brust verschränkt und musterte den Jungen abschätzig. Impoleon verstand, was sie von ihm verlangte und nickte ihr knapp zu. Dann rannte es mit den leuchtenden Schneiden seiner Flossen auf das geschwächte Tornupto zu. „Weich mit Ruckzuckhieb aus!“ Rasch setzte Honou ihre vier Pfoten auf den Boden und beschleunigte binnen weniger Sekunden. Sie täuschte an, sie wolle nicht ausweichen, sondern angreifen, aber im letzten Moment, als die Trainer sich bereits auf einen heftigen Zusammenstoß ihrer Pokémon vorbereitet hatten, sprang Tornupto über Impoleon hinweg und landete hinter ihm, schlitterte jedoch aufgrund der Geschwindigkeit wenige Meter weiter, bis sie vollends zum Halten kam. „Und Dunkelklaue!“ Mit schräg angewinkelten Schattenklauen hastete Tornupto auf Impoleon zu, welches irritiert stehen geblieben war, denn es hatte nicht mit einer derartig raschen Gegenoffensive gerechnet. Verwegen drosch Tornupto auf den schutzlosen Pinguin ein, ohne die geringsten Anzeichen von Rücksicht. Impoleon vermochte bloß die wilde Raserei abblocken, indem es schützend seine Flossen vor das Gesicht hielt. „Aquahaubitze!“ „Halt es davon ab! Kopfnuss!“ Erneut blitzte eine stetig heran wachsende Kugel in Impoleons Schnabel auf, doch Tornupto packte den Pinguin und ließ den Kopf gegen den des Anderen krachen. Sowohl Impoleon als auch Tornupto strauchelten rückwärts und versuchten das fehlende Gleichgewicht wieder auszubalancieren. Der Flammenigel ließ sich keuchend auf alle Viere sinken. Ihre Beine zitterten unter der Last ihres Gewichtes. Schon lange hatte sie nicht mehr einen solch intensiven Kampf, aber es war eben jene Tatsache, die ihr verbot dieses Gefecht zu verlieren. Daher richtete sich Tornupto langsam auf. Jeder Muskel stöhnte bei der kleinsten Bewegung auf. So kam sie taumelnd auf die Beine und sah Impoleon entgegen, das ebenso erschöpft war wie sie. Der Flammeigel kräuselte die Lefzen. „Lass die Sonne strahlen!“, holte Kaoru selbstbewusst aus. „Sonnentag!“ Hell wie ein Stern am Nachthimmel sonderten sich Lichtfunken von Tornuptos beigefarbenem Fell, während sich eine ungeahnte Hitze um den schlanken Leib sammelte, die den Flammenigel zu einem grell flackernden Glühen brachte. Dann brachen einzelne Sonnenstrahlen unerwartet durch die dichte Wolkendecke, vertrieben die Kälte des heutigen Novembertages. Mit stummen Blicken beobachtete Akita das Naturschauspiel, ihre Lippen verzogen sich höhnisch zu einem Lächeln. „Willst du etwa mit schönem Wetter gewinnen?“ „Du wirst schon sehen, was dein Spott dir bringt“, erwiderte Kaoru, bald gänzlich die Geduld verlierend. Der Trainer wandte sich seinem Pokémon zu, das das Maul geöffnet hatte und gierig um Atem hechelte. „Ich weiß, du bist erschöpft, Honou, aber bündle die Kraft der Sonne für einen Solarstrahl!“ Es war die Liebe zu ihrem Trainer, die das Flammenigelweibchen neue Kraft schenkte. Sie reckte den Kopf, ihr entzündetes Nackenfell loderte stärker, stärker als jemals in diesem Zustand zu erwarten war, während sich ein schillernder Kraft in ihrem Maul konzentrierte. Schnell wie noch nie war die Energie geladen und bahnte sich seinen Weg auf Impoleon zu. „Lichtkanone!“, war der einzige Befehl, den Akita rasch entgegnete. Doch ihr Pinguin vermochte nicht schnell genug die nötige Energie zu sammeln, sondern konnte sich bloß schützen, indem es versuchte den Solarstrahl zu schwächen. Die aufprallenden Energien lieferten sich ein erbittertes Duell, bis sie sich in einem ohrenbetäubenden Knall auflösten, und die folgende Druckwelle sowohl Impoleon als auch Honou hinfort schleuderten. Wabernd verzog sich die Staubwolke, gab preis, dass die Pokémon der Trainer bewegungslos auf dem Boden aufgeschlagen waren. Dann regten sie sich, stemmten ihre Arme in den Sand, um sich mühevoll auf die Beine zu raffen. Jeder Muskel schrie protestierend auf. „Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen, Impoleon“, wandte sich Akita lächelnd an ihr Pokémon, welches angestrengt um Atem rang. Kaorus Blicke wirbelten zu Honou, das sich wankend versuchte auf den Pfoten zu halten. „Alles in Ordnung bei dir, Süße?“ Gedämpft drang ein Knurren aus ihrer Kehle, welches ihren Unmut preisgab. Schließlich wandte sich Honous glühender Blick an Impoleon. Regungslos starrten sich die Pokémon an, während sie leise drohende Zischlaute ausstießen. Dann jedoch geschah jenes Ereignis, welches die Niederlage besiegelte. Unerwartet strauchelte Tornupto unter der Last ihres müden Körpers, stöhnte vor Schmerz auf, bevor sie sie zu Boden fallen drohte. Gleichsam und ebenso erschöpft glitt Impoleon scheppernd zu Boden. Tornupto rang röchelnd um Atem. „Akzeptierst du mich nun?“, ertönte die behutsam klingende Stimme Kaorus, der seinen Blick der silberblonden Trainerin zugewandt hatte. Akita aber schwieg wenige Momente, bevor sie leise lachte: „Es war ein ehrliches Unentschieden.“ Zweifelnd blickte der Trainer aus Neuborkia die Fremde an, dann glitten seine Augen auf sein schlafendes Tornuptoweibchen, welches zusammen gerollt im Gras lag. Er wusste, dass sein Pokémon zuerst gefallen war. Doch er schwieg. „Zweifellos bist du ein guter Trainer, sonst hättest du niemals diese Orden gewonnen, nicht wahr?“ Ein schwaches Lächeln schlich sich auf ihre Gesichtszüge, während sie mit einer Kopfbewegung auf die Schatulle deutete, in der Kaoru seine Orden aufzubewahren pflegte. Die körperliche Anspannung des Jungens verflog, als er das Schmunzeln auf ihre Lippen erkannte. „Du bist ebenfalls eine ernstzunehmende Gegnerin“, entgegnete der Schwarzhaarige grinsend, ermunternd durch ihre Worte. Jedoch hüllte sich das Mädchen erneut in Schweigen, das Kaoru beinahe zaghaft wieder brach: „Ich habe dich gar nicht nach deinem Namen gefragt.“ Akita hielt den Blick abgewandt, starrte mit regungsloser Miene auf die stille Wasseroberfläche des schmalen Seewegs, der Johto mit Kanto verband. „Akita“, wisperte sie bloß. „Und du?“ Ein kühler Schauder überkam den Jungen. Er konnte nicht verleugnen, dass er sich in der Gegenwart dieses Mädchens nicht wohl fühlte. „Mein Name ist Kaoru, ich komme aus dieser Stadt.“ Stumm nahm Akita diese Antwort hin, jedoch verstärkte eben jenes Schweigen Kaorus Unwohlsein. Er war kein Junge des tatenlosen Herumsitzens, sondern musste stets Aktivität in seinem Umfeld erleben. Dies schien Akita zu erahnen, denn sie neigte ihm den Blick zu. „Ich komme aus Blizzach“, sprach sie, auch ohne, dass Kaoru nach ihrer Herkunft fragen musste. „Liegt Blizzach nicht in Hoenn?“ Unsicherheit lag in seiner Stimme. Er wusste nicht viel über die Regionen, kannte bloß ihre Existenz. „Shinou“, verbesserte die Trainerin die Kaorus Aussage, der ein leises „Ah“ ausstieß. Er war bloß in Kanto und in seiner Heimat Johto gewesen. Gewiss zog es ihn in fremde Länder, wie Orre oder Hoenn, aber bisher hatte er nie ein solch großes Verlangen verspürt, sich in jene Länder zu begeben. „Warum bist du Trainer geworden?“, wollte Akita unerwartet wissen. Aufmerksam musterte sie den Jungen, der im ersten Moment vollkommen überrascht von jener Frage zu sein schien. Sie war zurückhaltend neugierig die Gründe für sein Trainerdasein zu erfahren, denn aus irgendeinem Grund erschien ihr Kaoru durchaus interessant. Sein grenzloses Selbstbewusstsein und das Vertrauen gegenüber seinen Pokémon fand sie bemerkenswert. „Warum ich Trainer geworden bin?“, wiederholte er grübelnd, so als wolle er sich vergewissern, dass er ihre Worte richtig vernommen hatte. Bestätigend nickte Akita und sah ihn unverwandt an. Kaoru aber streckte sich genüsslich und ließ sich rücklings ins Gras fallen. Lächelnd betrachtete er den trüben Novemberhimmel, der nun wieder wolkenverdichtet war. „Ich weiß nicht“, gab er offen zu und verfiel in ein kurzes Schweigen. „Mich hat diese Freiheit fasziniert und die Pokémon.“ „Verstehe.“ Erneut verfielen die Jugendlichen in Wortlosigkeit und hingen schweigend ihren Gedanken nach. Die Stille der Natur wurde jäh unterbrochen, als ein Schwarm Taubsi in den Himmel stob. Ihr schrilles Gezeter drang noch eine ganze Weile an ihre Ohren. Verträumt sah Kaoru ihnen nach, neigte dann aber seinen Kopf und betrachtete nachdenklich Akitas Profil, über die Gründe nachgrübelnd, die sie in die weite Welt hinausgetrieben hatten, weit entfernt von ihrem Elternhaus. Seufzend setzte sich der junge Trainer auf, noch immer Akita ansehend. „Warum bist du von zu Hause weg gegangen?“, fragte Kaoru vorsichtig, ausnahmsweise darauf bedacht seine Gesellschaft nicht mit seiner offenen Art zu bedrängen. „Ich suche nach jemanden“, äußerte sich Akita rasch, während sie abwesend auf die im Wind leicht gekräuselte Wasseroberfläche starrte. „Was sagen deine Eltern dazu?“ Akita schwieg, hüllte sich in Wortlosigkeit, die Kaoru nicht behagte. „Ich habe sie nicht gefragt“, erwiderte sie schließlich mit erstickter Stimme. Plötzlich beschlich ihn eine Erkenntnis, die Kaoru Furcht einflößte, und veranlasste, dass sich sein Herz krampfhaft zusammen zog. Schimmerte eine Träne auf ihren Wangen? „Leben deine...“, begann er zögernd, beinahe als verließe ihn der Mut, „Eltern noch?“ Den Blick von Kaoru abgewandt, hielt sie den Kopf gesenkt, die Hände in den Stoff ihrer schwarzen Hose gekrallt. „Ich weiß es nicht“, wisperte das Mädchen leise. „Du weißt es nicht?“, wiederholte Kaoru ungläubig mit erhobener Stimme. Wie konnte ein Kind nicht wissen, ob seine Eltern noch lebten? War sie vielleicht von zu Hause abgehauen und fristet seit diesem Tag ihr Leben als Straßenkind? Akita wies ihn mit einem kühlen Blick zurecht und stieß ein entrüstetes Schnauben aus. Nichtsnutz! Doch kaum hatte Kaoru diese Worte ausgesprochen, bereute er sie auch schon wieder. Sein Gewissen regte sich, als erwachte ein Arbok, welches seine Fangzähne in sein Fleisch bohrte. „Ich bin adoptiert“, sprach sie gleichmütig aus, jedoch vermochte die Trainerin nicht einen bissigen Unterton zu vermeiden. Kaoru schalt sich für seine Neugierde. Er wusste nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte, nachdem sie ihm die Tatsache anvertraut hatte, dass sie adoptiert war und nicht wusste, wer ihre leiblichen Eltern waren. „Oh…Das… Das tut mir Leid“, entschuldigte er sich kleinlaut, beschämt über sein loses Mundwerk. In ein schuldbewusstes Schweigen verfiel der Junge, als hätte seine Mutter ihn getadelt. „Wann hast du erfahren, dass du adoptiert bist?“, wagte Kaoru vorsichtig Akita anzusprechen, die er nach allen Regeln der Kunst gekränkt hatte. Auch wenn er keine Zeichen der unterdrückten Wut erkannte, deutete Kaoru ihr Schweigen als Kränkung. Er hob den Blick, als Akita Luft holte und schließlich die Stille brach: „Es war der Abend, bevor ich aufbrechen sollte… Wir haben gestritten, denn ich konnte nicht begreifen, warum sie mich angelogen haben…“ Obwohl sie den Jungen erst wenige Stunden kannte, fühlte die Trainerin, dass sie ihm vertrauen konnte. „Und dann bin ich weggelaufen. Kaumalat, mein erstes Pokémon, hatte ich ja zu diesem Zeitpunkt schon“, fuhr Akita beinahe tonlos fort. „Hast du denn mit ihnen nach eurem Streit noch einmal darüber gesprochen?“, fragte Kaoru, der die Traurigkeit des Mädchens deutlich spürte. „Mein Ausriss war das Schlimmste, was ich je getan habe… Ich litt unter der Unkenntnis, wer ich bin und wer meine blutsverwandten Eltern waren, aber... aber nach einiger Zeit habe ich begriffen, dass sie, obwohl ich nicht ihre leibliche Tochter bin, trotzdem meine Eltern sind, und habe es ihnen auch gesagt“, erwiderte Akita lächelnd. Erleichtert lächelte Kaoru. „Du sagtest, du suchst jemanden…“, begann er zögernd. „Ich… Ich nehme an, du suchst deine Eltern…?“ Ein knappes Nicken erwiderte Akita. „Ich habe meine Eltern, also meine Adoptiveltern, gefragt, ob sie etwas wissen.“ „Und?“ „Nachdem wir uns ausgesprochen hatten, erzählten mir meine Eltern, dass sie nur wenige Informationen über meine leibliche Mutter haben“, antwortete Akita, verfiel dann jedoch in ein bedrücktes Schweigen, ehe sie fortfuhr: „Aus einem absenderlosen Brief, der von ihr stammen muss, ging hervor, dass sie in ärmlichen Verhältnissen lebte und mich nicht groß ziehen konnte. Meine Eltern haben ihn mir zunächst verschwiegen, um mich zu schützen.“ Der Schwarzhaarige sah das Mädchen still an und empfand so etwas wie Mitleid mit ihr. Ihm war bewusst, dass Akita unter der Ahnungslosigkeit litt, auch wenn sie es dennoch zu verbergen wusste. „Weißt du ihren Namen?“, fragte er sodann, um die Stille zu brechen. „Nein“, antwortete Akita niedergeschlagen. „Ich weiß gar nichts.“ Wortlos nahm Kaoru die Erwiderung hin, wandte sich ab, um nachdenklich in die Ferne zu starren. Er versuchte sich die Tatsache, nicht zu wissen, wer seine Eltern waren, vorzustellen, aber Kaoru konnte es nicht. Die fehlende Vertrautheit und Zuneigung, die er durch seine Familie erfahren hatte, erschreckte ihn. „Es muss hart für dich gewesen sein“, stieß Kaoru bedrückt. „Nicht zu wissen, wer man ist… Wo man seine Wurzeln hat…“ Akita lächelte ihn an. „Die ersten Monate war es wirklich eine Qual“, entgegnete das Mädchen. „Aber nachdem ich begriffen habe, welches Glück ich hatte, als ich adoptiert wurde, wusste ich, dass ich falsch lag.“ „Und du willst wirklich deine leiblichen Eltern suchen, obwohl du noch nicht Mal weißt, ob sie noch leben?“ Ungläubig blickte er Akita an. Gewiss verstand er, dass sie erfahren wollte, wer sie war, aber wollte sie wirklich die Gefahr eingehen, keine Hinweise zu finden und enttäuscht zu werden? „Meine Adoptiveltern unterstützen mich, und ich habe sogar einen Hinweis“, erwiderte Akita, erneut mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Sie schob ihre Hände im Nacken unter ihren Haaren, dann streckte sie den rechten Arm aus. In ihrer geöffneten Handfläche lag eine feine aus Silber gefertigte Kette. Ein strahlend blauer Saphir war in dem kleinen Anhänger eingefasst. Fasziniert starrte Kaoru das Schmuckstück an, streckte seine Finger aus, um den kühlen Edelstein zu berühren. „Es muss sehr kostbar sein für dich“, sprach er ehrfürchtig aus, während Akita die Kette wieder um ihren Hals legte und ihren Blick gen Himmel richtete, der sich allmählich flammendrot färbte. Sie nickte, wirkte jedoch abwesend, als wäre ihr Geist nicht in der Gegenwart. „Es ist spät geworden“, sprach das Mädchen unerwartet und erhob sich von ihrem Platz. Akita wandte sich dem Jungen lächelnd zu, der ihr nach dem Kampf noch Gesellschaft geleistet hatte und ihre Geschichte erfahren hatte, obwohl sie nicht wusste, aus welchem Grund sie ihm von ihrem Leben erzählt hatte. „Ich werde mir für die Nacht wohl eine Herberge suchen müssen.“ Nicht wissend, ob er Akita anbieten sollte, dass sie bei ihm übernachten konnte, schwieg Kaoru, bloß hinter ihr her starrend. Honou, welches sich nach dem Kampf erschöpft im Gras niedergelassen hatte, hob grollend den Kopf und sah ihren Trainer aus rötlichen Iriden funkelnd an, als wollte ihr Blick sagen, welch ein toller Gentleman er doch war! Nachdem Kaoru die Mimik seines Pokémons verstanden hatte, wandelte sich der Gesichtsausdruck der Tornuptodame in ein selbstgefälliges Grinsen. Geht doch! „Warte!“ Akita, die bereits hundert Meter vorwärts geschritten war, drehte sich zu dem Schwarzhaarigen um. „Was ist?“ Rasch war Kaoru zu ihr gelaufen und wechselte nervös von einem Bein zum Anderen. „Ähm… Du kannst mit mir schlafen!“, erwiderte der Junge hastig. Er wusste einfach nicht, wie er mit ihr umgehen sollte. Stets verspürte er ein mitleidiges Gefühl. Doch nun schoss das Blut in seine Wangen. „Äh… Bei mir“, korrigierte er sich rasch. „Im Gästezimmer kannst du natürlich übernachten!“ Akitas Mundwinkel zuckten, ihre Hände ballten sich zu Fäusten, aber sie entspannte sich sogleich wieder, obwohl sie nicht wusste, was sie von dieser Verlegenheit halten sollte. War es das Verhalten eines Tollpatsches, der noch an die Liebe auf den ersten Blick glaubte oder war es Ratlosigkeit, wie er mit ihr umgehen sollte? „Gerne“, sagte Akita schließlich. Ihre Lippen verzogen sich zu einem kühlen Grinsen. „Ich bevorzuge aber das Gästezimmer. Wenn es dir nichts ausmacht.“ Noch immer glaubte Kaoru seine Wangen stünden in Flammen. Dem hinzu kam auch noch das leise Kichern seiner Tornuptodame, die sich aufgerafft hatte und nun hinter ihn getreten war. „Honou!“, tadelte er sein Pokémon verzweifelt, welches die Lefzen zu einem breiten Grinsen verzerrte. Der junge Trainer starrte das Mädchen einige Momente hinterher und merkte, dass er begann Akita - auf freundschaftlicher Basis, wie er in Gedanken dementierte -, zu mögen. Sie wirkte anders als die weiblichen Bekanntschaften, die er während seiner Reise kennen gelernt hatte. Seine Kindheitsfreundin Soul, die nun Champion der Johto-Region war, ließ Kaoru bewusst außen vor. Soul war einzigartig; freundlich, mutig, ehrgeizig, nach Gerechtigkeit strebend… Niemand konnte sich mit ihr messen. Seit Ewigkeiten hatte er sie nicht mehr gesehen. Wie es seiner Soul wohl ging? Kaoru den Rücken zu kehrend, schritt Akita vorwärts, hielt dann jedoch nach wenigen Metern inne, um ihrem Gastgeber den Blick zu zuwenden. „Was ist? Kommst du nun oder nicht?“ Rasch verdrängte der Schwarzhaarige den Gedanken an den Champion und nickte entschlossen. „Ich bin unterwegs!“ „Gut, will ich hoffen“, erwiderte die Trainerin in einem süffisanten Tonfall, aber Kaoru erkannte das Lächeln auf ihren Gesichtszügen und entspannte sich nun endlich. Mit diesen Worten schritten die Jugendlichen wortlos die beleuchtete Straße entlang. Auf direktem Wege führte dieser Weg nach Neuborkia, das Dorf die flüsternden Winde der Erneuerungen. In jenem Dorf hatte Kaoru, gemeinsam mit Soul, sein erstes Pokémon erhalten. So war es die Tradition dieses Dorfes. Zu dieser Stunde begegneten sie nur wenigen heimkehrenden Menschen, denen Kaoru knapp im Vorbeigehen grüßte. Im Gegensatz zu den großen Städten Johtos war Neuborkia ein kleines und überschaubares Dorf, daher kannten sich die Bewohner mehr oder minder recht gut. Plötzlich raschelten verräterisch die Sträucher, die den Wegesrand säumten, und veranlassten die Jugendlichen inne zu halten, um sich aufmerksam in der Umgebung umzusehen. Tornupto, die neben Kaoru her lief, richtete sich auf und grollte gedämpft, als unerwartet anmutig ein rot gefelltes Pokémon vor Kaoru und Akita auf den gepflasterten Weg sprang. Sogleich aber entspannte sich die Tornuptodame wieder und blickte auf die flammendrote Füchsin herab, die um Kaorus Beine strich. Dieser bückte sich, das rechte Knie auf den Boden stützend, zu dem Pokémon herunter. „Vuuul~“, begrüßte die Fähe den Trainer freudig und stellte sich auf die Hinterbeine, um ihn ungeduldig an die Brust zu stupsen, so als wolle sie „Streichle mich endlich!“ sagen. „Nicht so stürmisch, Ayu“, tadelte er die Füchsin, die ihn aus klugen Augen anschaute und sich nun zärtlich an seine Beine schmiegte. Akita wohnte dieser innigen Begrüßung wortlos bei und beobachtete aufmerksam Mensch und Pokémon. Die Art, wie Kaoru mit dem Pokémon umging, fiel dem Mädchen besonders auf. „Kennst du dieses Vulpix etwa?“, erkundigte sich Akita beinahe neugierig. Kaoru erhob sich wieder, was Vulpix ein empörtes Knurren entlockte, und nickte Akita zu. „Ayu gehört einer guten Freundin von mir, Soul“, erzählte der Trainer, während er das Drängen der Füchsin belächelte. „Sie hat Vulpix vor Wilderern gerettet und ließ sie, damit sie sich von ihren Wunden erholen konnte, bei ihrer Mutter.“ Akita sah auf das Vulpix herab, welches ärgerlich an Kaorus Hose zerrte, ließ sie, als dieser nicht reagierte, wieder los und jaulte enttäuscht, bis sich Kaoru erbarmte, sie erneut zu streicheln. „Vulpix hat anscheinend einen ganz schönen Narren an dir gefressen“, stellte Akita grinsend fest, während sie das ruhelose Betteln, wenn Kaoru aufhörte zu streicheln, beobachtete. „Geschmack hat sie ja“, fügte sie schmunzelnd hinzu. Nachdem Kaoru lachend aufgestanden war, gingen sie weiter die halb erhellten Wege entlang. Ayu folgte ihnen wie ein dunkler Schatten, bis sie vor dem Haus der Familie Shimuras angelangt waren. Dann huschte Vulpix davon und verschwand hinter einer Hausecke. „Es riecht so, als würde meine Mutter gerade kochen“, sagte Kaoru lachend, während er den Hausschlüssel hervor kramte und die Tür aufsperrte. Wie es einem Gentleman gehörte, trat Kaoru zur Seite und vollführte eine einladende Geste. Akita lächelte und ging in das Haus, gefolgt von Kaoru, der die Tür hinter sich wieder ins Schloss fallen ließ. „Bin zu Hause!“, rief der junge Trainer durch das kleine Haus, während er durch die Dielen schritt, um in die Küche zu gelangen. „Na? Wieder zurück?“, sprach eine hübsche, brünette Frau, die sich vom Herd kurz abwandte und ihrem Sohn warmherzig anlächelte. Dabei fiel ihr Blick auf Akita, die zurückhaltend Kaoru stand. „Du hast Besuch mitgebracht?“ Kaoru nickte. „Das ist Akita, sie sucht für heute Nacht eine Bleibe“, er drehte dem Mädchen den Kopf zu. „Und das ist meine Mum. Sie kann herrlich kochen!“ „Schön sie kennen zu lernen“, grüßte Akita höflich lächelnd, während sie den Kopf ein wenig neigte. „Ich hoffe, es macht Ihnen keine Umstände, wenn ich hier übernachte.“ Lachend schüttelte Kaorus Mutter den Kopf. „Nenn mich doch Ayana“, stellte sie sich ihrerseits vor. „und nein, es macht nichts, wenn du hier übernachtest. Mein Sohn schleppt öfters Freunde an,“, bei diesen Worten zwinkerte sie Kaoru und Akita verheißungsvoll zu. „daher bin ich es gewöhnt.“ „Mum, was auch immer du denkst, schlag es dir aus dem Kopf“, brummte der Schwarzhaarige verhalten, die ihn sanft anlächelte. Kaoru aber fühlte sich peinlich berührt durch die Andeutungen seiner Mutter und wollte das Thema so rasch wie möglich wechseln. „Ist Nori oben?“ Ayana nickte. „Er hat sich heute schrecklich gelangweilt, als du nicht da warst.“ Kaum hatte seine Mutter ihm die Antwort auf seine Frage gegeben ertönte ohrenbetäubendes Kindsgeschrei, als ein kleiner, dunkelhaariger Junge die Treppe hinab stürmte. „Kaoru! Kaoru!“ Der Gerufene wandte sich seinem kleinen Bruder zu und lächelte ihn an, aber bevor Kaoru ihn begrüßen konnte, setzte Nori einen Schmollmund auf. „Du bist so blöd, ich mag dich nicht mehr!“, schimpfte er und stampfte wütend mit dem Fuß auf den Boden auf. „Du hast versprochen, heute mit mir zu spielen!“ Besänftigend lächelte Kaoru und kniete sich nieder. Inzwischen wusste er, wie er mit dem Sturkopf seines Bruders umzugehen hatte. „Tut mir Leid, dass ich mein Versprechen gebrochen habe, ich…“ „Und Versprechen soll man halten!“, unterbrach Nori ihn mit schriller Stimme. Erneut lächelte Kaoru, überlegte sich für wenige Herzschläge die richtigen Worte, dann aber eilte ihm Akita unerwartet zu Hilfe: „Deinem Bruder betrifft keine Schuld, ich habe ihn aufgehalten“, sprach sie zu Nori, der das Mädchen nun mit großen Augen anstarrte. „Ich wollte wissen, ob hinter seiner großen Klappe nicht nur leere Worte stecken und haben uns in einem Kampf gemessen.“ Ein freudiges Funkeln glänzte in den Kindsaugen auf, und Nori streckte frech die Zunge heraus. „Ich hoffe, mein Bruder hat dich fertig gemacht!“ „Sei nicht so frech!“, mahnte Kaoru seinen vorlauten Bruder, der trotzig die Arme vor der Brust verschränkte. „Schon gut“, erwiderte Akita lächelnd und blickte hernach auf Nori herab. Ein seltsames, warmes und nie gekanntes Gefühl machte sich in ihrer Brust breit. „Ich muss dich leider enttäuschen“, fügte sie, dieses Mal an Nori gewandt, hinzu. „Wir haben uns gegenseitig fertig gemacht, ein Unentschieden.“ Kaoru wollte gerade aufseufzen, als ein spitzer Schrei seines Bruders seine Hoffnung zunichte machte. „Was?!“, rief Nori enttäuscht auf. „Du hast dich von einem Mädchen besiegen lassen? Wenn ich groß bin, werde ich Kaoru rächen!!“ „Darf ich euch eben unterbrechen?“, schaltete sich nun Ayana in die heiß geführte Unterhaltung ein und veranlasste, dass Kaoru, Akita und Nori ihr besänftigendes Gespräch unterbrachen. „Das Essen ist fertig!“ Dieses Mal entfuhr Nori ein schriller Freudenschrei. Akita, die Kaoru mit einem Blick streifte, lächelte glücklich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)