Shadowwalkers II von FaithNova (Kampf und Flucht) ================================================================================ Kapitel 4: Der Sündenbock ------------------------- Es herrschte dicke Luft im Versammlungsraum der Dämonen. Ungewöhnlicherweise war der Lärmpegel mit einem Rockkonzert vergleichbar. Jeder sprach durcheinander mit irgendjemand anderen. Und da man sein Gegenüber bei diesem Lärm kaum verstehen konnte, schaukelte sich die Lautstärke von Sekunde zu Sekunde immer weiter nach oben. Jedes dieser Gespräche hatte auf die eine oder andere Weise immer dasselbe Thema. Der einzige, der von diesem Tumultartigem Zustand vollkommen unberührt blieb, war Charon, der wie ein zusammengesunkenes Häufchen Elend auf seinem Stuhl am runden Tisch saß. Und er war auch der einzige, der an diesen endlosen Diskussionen kein bisschen Interesse hatte. Seit fast zwei Monaten hatte ein einziges Thema jede einzelne Sitzung beherrscht. Und bis jetzt gab es noch keine Aussicht darauf, dass man darauf hoffen konnte, dieses Thema würde sich bald erledigen. Und diese schier endlosen Streitereien hatten sich über den Einflussbereich von Lucas hinweggesetzt und auch andere Erzdämonen interessiert. Warum das so war, konnte er auf jeden Fall nachvollziehen: Lily hatte gegen dermaßen viele Tabus verstoßen und sich dann schließlich abgesetzt. Und sie war immerhin als Erzdämonin ein Vorbild für die niederen Dämonen. Und die Mitglieder im Rat konnten nicht zulassen, dass sie mit ihrem unerhörten Verhalten solche Schande über sie brachte. Interessanterweise war es Lucas irgendwie gelungen, seine „Schuld“ an dieser Sache deutlich runter zu spielen. Die Tatsache, dass er davon wusste, dass Lily Ashley vor ein paar Monaten bei der Ruine das Leben gerettet hatte, war dem Rat irgendwie gänzlich unbekannt gewesen. Stattdessen hatte er einen Sündenbock gesucht und alles diesem auferlegt. Und Charon hatte leider das Pech gehabt, dass er diese Rolle unfreiwillig einnehmen musste. Es war nicht gänzlich überraschend gewesen, dass Lucas das gewagt hatte. Irgendwie hatte Charon es schon geahnt. Und er hatte sich die vielen Predigten des Rates angehört, warum er so etwas zugelassen hatte. Aber Charon ließ das ganze nicht einfach aus purer Loyalität über sich ergehen. Lucas hatte ihm versprochen, dass, sobald diese Sache vorbei war und alles hinter ihnen läge, würde er den Lohn für seine Treue erhalten. Inzwischen war Charon das Ganze jedoch ziemlich leid, die meisten hier im Saal warfen ihm mitleidige Blicke zu und das was er zu sagen hatte, nahm auch keiner mehr ernst. Er war so kurz davor gewesen, sie alle zu überflügeln und dieses verdammte Schattengängerweib hatte ihm mit einem Mal alles zunichte gemacht. Und genau aus diesem Grund brannte er förmlich darauf, sich bei ihr auf die entsprechende Weise dafür zu bedanken. Und genau das wusste auch Lucas. Er hatte deshalb dieses Treffen einberufen. Es sollten die Anweisungen des Rates weiter gegeben werden und es sollte dafür gesorgt werden, dass Lily für ihren Verrat bestraft wurde. Doch Lucas ließ ziemlich auf sich warten. Nicht wenige hatten den Verdacht, dass er schon nicht mehr auftauchen würde. Es sah ihm nicht ähnlich, sich so dermaßen zu verspäten. Weil die meisten Dämonen ohnehin mit anderen Themen beschäftigt waren, merkten deshalb auch nur die wenigsten, als Lucas schließlich tatsächlich einige Minuten später den Raum betrat und sich auf seinem Platz niederließ. Diejenigen, welche ihn bemerkten, nahmen sofort ihre Plätze ein und schwiegen. Andere blieben davon unbeeindruckt und so blieb es auch Lucas. Er saß da und beobachtete seine Untergebenen mit einer ungeahnten Geduld, bis schließlich der Letzte endlich begriffen hatte, was hier vor sich ging. Und dann erhob sich Lucas von seinem Platz. Er hatte einen düsteren Blick, noch düsterer als sonst und selbst für seine Untergebenen machte er einen wesentlich bedrohlicheren Eindruck als sonst. „Schön zu sehen, dass ihr endlich die Zeit gefunden habt, um mir eure Aufmerksamkeit zu schenken.“ meinte er sarkastisch. Interessanterweise war keiner der Anwesenden sich in irgendeiner Weise seiner Schuld bewusst und jeder tat so, als ob definitiv nicht er gemeint war, auch jene, die auf jeden Fall gemeint waren, weil sie sich erst kurz zuvor niedergelassen hatten. „Ich weiß, dass ihr alle schon lange auf Anweisungen wartet, wie wir mit diesem schändlichen Verrat umgehen sollen. Und da es sich hier um ein Ratsmitglied handelt, welches uns so im Stich gelassen hat, ist es Sache des Rates, darüber zu urteilen, was getan werden soll.“ Ein Raunen ging durch den Raum und es war nicht wirklich ein zustimmendes. Lucas hob augenblicklich die Hand, um seine Leute zum Schweigen zu bringen. Diese Geste verfehlte ihre Wirkung nicht, es wurde sofort wieder totenstill. „Die Anweisungen des Rates lauten wie folgt: Wir werden sie suchen, wir werden uns mit allen Dämonen und Unterweltlern zusammenschließen und unsere Möglichkeiten ausweiten. Ihre Ergreifung hat oberste Priorität. Und das heißt, der Rat möchte sie lebend. Sobald also jemand ihrer habhaft werden konnte, wird sie augenblicklich dem Rat selbst übergeben, ist das klar?“ Wieder ging ein Raunen durch den Raum. Dieses Mal beschloss Lucas aber, dem ganzen keine Aufmerksamkeit zu schenken und redete einfach weiter. „Das Selbe gilt auch für die Schattengängerin.“ Nicht wenige waren sichtlich überrascht über diese Äußerung. Schließlich erhob sich eine junge Frau von ihrem Platz. Ihre langen, blonden Haare hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden. Sie sprach sehr klar, doch konnte sie Lucas nicht in die Augen sehen. „Wieso, wäre es denn nicht klüger sie augenblicklich zu vernichten? Die Schattengängerin hat keinen Wert für uns!“ Lucas sah sie fest an, worauf sie wieder in ihren Stuhl zurücksank und sich wünschte, lieber nichts gesagt zu haben. „Wir haben erfahren, dass die Schattengänger sehr erpicht darauf sind, sie wieder zu bekommen und alle möglichen Kräfte darauf einsetzten, sie wieder zu finden. Und das kann nur eines bedeuten. Und das macht sie für uns wertvoll. Wir müssen sie finden, bevor die sie in die Hände bekommen.“ Eine direkte Antwort gab er auf die Frage der Dämonin damit nicht, aber jeder im Raum wusste, was er meinte: Das Manuskript. Er hatte Recht, es war Grund genug, sie erstmal lebendig zu fangen, um Informationen von ihr zu erhalten. Und das bedeutete, dass jeder einzelne umso mehr erpicht darauf war, sie zu finden und jeder einzelne Dämon auf der ganzen Welt würde das auch so sehen. Dem ganzen folgten nun noch endlos unwichtige Diskussionen und Verdächtigungen, wo sich Lily verstecken könnte, doch Charon hatte beschlossen, sich dem ganzen nicht länger auszusetzen. Für ihn war das Thema erledigt. Denn er hatte ja auch nicht wirklich Interesse daran, Ashley lebendig beim Rat abzuliefern. Ganz im Gegenteil. Er stand auf und verließ den Saal. Lucas wandte sich nur kurz um und sah ihm mit einem mitleidigenden Blick nach. Charon achtete gar nicht darauf. Er hatte schon beschlossen, wie er sich aus dieser Lage befreien konnte. Er würde seine „Frau“ finden und dann würde er sie und ihre Geliebte der rechtmäßigen Strafe zukommen lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)