Runner. von sama (Lauf oder stirb.) ================================================================================ Kapitel 2: Eine Entscheidung ---------------------------- Er beobachtete, wie sich ihr Brustkorb hob und senkte. Er hatte es geschafft. Er hatte es tatsächlich geschafft. Sasuke war bisher noch nicht klar, wie er gestern Nacht sich aus den Fluten reißen konnte, bevor sie den Wasserfall hinunterstürzten und ihm war auch noch nicht ganz klar, wie er es geschafft hatte, angeschossen und nass bis auf die Knochen, das bewusstlose Mädchen und seine Ausbeute in seine Höhle zu schleppen. Er hatte das Mädchen ausgezogen und in einen dicken Pulli von sich gesteckt, nachdem er sich selbst umgezogen hatte und seine Wunde begutachtet hatte. Gott sei Dank war es nur ein Streifschuss. Kurz betaste Sasuke seine angeschossene Seite und zuckte kaum merklich zusammen. Das heißt dann wohl, dass er sich die nächsten Tage ruhig halten musste. Sein Augenmerk richtete sich wieder auf das schlafende Mädchen. Das Wasser hatte ihr den Dreck von der Haut und aus den Haaren gewaschen. Sie hatte rosa Haare. Wahrscheinlich ebenfalls eine Mutationserscheinung, wie bei Kakashi. Ihre helle Haut hob sich von seinem schwarzen Pulli ab. Sie schimmerte leicht wie Elfenbein. Sasuke fand dieses Mädchen faszinierend. Ruckartig schüttelte er den Kopf und vertrieb diese Gedanken. Er schob es darauf, dass auch er nur ein Mann war und bildete sich nicht weiter ein, wie es wäre, wenn er sie küssen und liebkosen würde. Er schnaubte verächtlich, frustriert über sich selbst und aß den letzten Rest von der Erbsensuppe von gestern Vormittag. Seine Augen blieben derweil auf das Mädchen geheftet. Was sollte er nur mit ihr machen? Sie fortjagen und ihr sagen, dass sie alleine zurechtkommen solle, so wie er auch? Sie zu seiner persönlichen ‘Sklavin’ machen? Dann wäre er nicht viel besser, als die Naiza. Und er wollte unter keinen Umständen so werden wie sie. Also blieb Sasuke nur zwei Optionen: Entweder behielt er sei bei sich und zeigte ihr das Leben als Runner oder er schob sie zu dem Uhu ab. Müde schloss Sasuke die Augen und fuhr sich über sein Gesicht. Er brauchte dringend Schlaf. Seit er in seiner Höhle angekommen war, hatte er kein Auge zugetan. Es könnte ja sein, dass dieses Mädchen ihn nur hereinlegte und ihn, wenn er schlief, an die Regierung verpfiff. Er musste auf der Hut sein, bevor er wusste, ob er dem Mädchen trauen konnte oder nicht. Verdammt.. Er hasste so etwas. Genau deshalb hatte er sich nie auf eine Partnerschaft oder dergleichen eingelassen. Sasuke verzog dämlich das Gesicht. Wenn man es so betrachtete, dann war Sasuke sogar noch Jungfrau. Er hatte sich nie mit einem Mädchen eingelassen. Ihn sollte nicht das gleiche Schicksal treffen, wie seinen Freund Shikamaru. Shikamaru war einer der besten Runner gewesen, die Sasuke kannte, aber er hatte sich auf ein Mädchen eingelassen und nun.. Nun war er weg vom Fenster. Festgenommen, weil seine Freundin ihn verpfiffen hatte. Sie war kein Runner gewesen. Sie war eine Sklavin, wie das Mädchen hier vor ihm, gewesen. Deswegen hatte er sich nie auf jemanden eingelassen. Als er Stoff rascheln hörte, sah Sasuke auf. Angst traf auf Unentschlossenheit. Sasuke sah wieder in diese unglaublich grünen Augen, die ihn gestern noch voller Verzweiflung und Angst entgegengeblickt hatten. Die ihn angefleht hatten sie entweder zu verschonen oder zu töten. Heute konnte er nur noch Angst in ihnen lesen. Angst davor, was nun mit ihr passieren würde. Angst davor, dass er sie genauso grausam behandeln würde, wie sie es wohl vorher erlebt hatte. Aber Sasuke wusste nicht, was er tun sollte. Er sah sie einfach nur an. Sie sah zurück. Stille. Nur das Wasserplätschern und der Vogelgesang vor dem Efeuvorhang durchbrachen diese unangenehme Stille. Es erweckte ein Bild von Harmonie, die durch diese Situation ekelhaft verzerrt wurde. Ein seichter Wind wehte durch die Efeuranken und kitzelte Sasukes nackten Oberkörper. Jegliche Berührung seiner Schusswunde tat weh und Verbandszeug hatte er nicht. Es musste sich wohl oder übel von selbst schließen und verheilen. Gut, dass das durch die radioaktiven Strahlen so schnell ging. Auch sein Immunsystem lief auf Hochtouren. Das leise Räuspern von ihr holte Sasuke wieder zurück aus seiner Gedankenwelt. „Da-.. Danke.” „Keine Ursache.” Stille. Frustriert, müde und angespannt lehnte sich Sasuke zurück und erschauderte kurz, als sein nackter Rücken den kalten Fels hinter sich berührte. „Wie heißt du?” „Sasuke. Ich bin ein Runner. Erzähl mir von dir”, meinte er kurz angebunden. „A-.. Alles?” „Ja. Ich will wissen, wer da in meinem Bett liegt.” Das Mädchen lief leicht rosa an und sah sich dann um. Sasuke musterte ihr Mienenspiel. Es ging von peinlich berührt, über Faszination, bis zum leichten Anflug eines Grinsens. Ihre Angst von vorhin war so gut wie verflogen. Wahrscheinlich dachte sie, er hatte sich nicht auf sie gestürzt, also würde er es auch nicht jetzt tun. „Antwort.” Das Mädchen zuckte kurz zusammen, als sie die harsche Stimme von Sasuke hörte. Sie musterte ihn kurz und sah dann wieder etwas betreten und mit einem rosa Schimmer auf den Wangen, weg. Sasuke hob eine Augenbraue. Es war ihr peinlich ihn oben ohne zu sehen? Interessant. Also war sie schon mal keine Nutte, die sich die Naiza auch gerne mal liefern ließen. Zumindest keine freiwillige. „Ich.. Ich heiße Sakura.” Abwartend sah Sasuke sie an. Sakura verstand die stumme Aufforderung und holte tief Luft, bevor sie wieder zum Sprechen anfing: „Ich.. Ich lebte mit meinem Vater bis vor kurzem noch in einer kleinen, verbotenen Gemeinschaft unweit von der Reichsgrenze. Vor etwa drei Monaten, kurz nach meinem 17. Geburtstag, wurde unser Dorf dann aufgespürt und dem Erdboden gleichgemacht. Die meisten Bewohner wurden gefangengenommen. So auch mein Vater und ich. Wir kamen in ein Gefängnis der Naiza. Sie folterten und vergew.. Es war grausam. Ich.. Ich.. Es war..” Sie brach ab und presste sich weinend die Hände auf die Ohren. Sasuke verstand diese Geste. Als er letztes Jahr auch in Gefangenschaft war und mal nicht gefoltert wurde, konnte er die Schreie der anderen hören. Noch heute hatte er manchmal Albträume. Er tat nichts um sie zu trösten. Bei so etwas musste man alleine durch. Niemand konnte fühlen, wie sich die Person gefühlt haben musste. Und den dämlichen Zuspruch ‘Alles wird gut’ konnte Sasuke noch nie leiden. Von wegen. Sein Motto lautete ‘Lauf oder stirb.’ Etwas anderes existierte in der Welt eines Runner nicht. Das Wimmern und Weinen verklang und Sakura fasste sich langsam wieder. Sie rieb ihre angeschwollenen Augen und zog die Nase hoch. Dann kauerte sie sich etwas weiter zusammen und schlang ihre Arme um ihre angezogenen Beine. Das Kinn stützte sie auf ihre Knie und dann starrte sie ins Leere. Ihre Augen wirkten stumpf und matt. Dem Tode nahe. Stille. Wieder schwiegen sich die beiden an. Sasuke dachte an die Welt, die dort draußen vor den Efeuvorhängen war. Er wusste, dass sie nicht einfach war und ließ Sakura alle Zeit der Welt. Er war schon mehrere Tage ohne Schlaf ausgekommen. Also würde er es auch heute schaffen. Hauptsache, er wusste wer sie war. Sie war keine von Regierung. Das wusste er schon einmal. Diese leeren Augen konnte niemand nachspielen. Diese Wut, diese Angst, die Verzweiflung. All das konnte man nicht nachspielen. Man musste diese grausamen Dinge wie Folter, Vergewaltigung und Prügel selbst erleben, damit man einen solchen Ausdruck in den Augen hatte. Sasuke dachte daran, wie er gefoltert wurde. Man hatte ihn ausgepeitscht, verprügelt, an den Armen aufgehängt, bis ihm die Schultern auskugelten, hatte ihn hungern lassen, bis er fast wahnsinnig wurde. Aber man hatte ihn nie vergewaltigt. Warum wusste er bis heute nicht, aber er wollte es auch nie erfahren. Er war einfach nur dankbar. Nochmehr von diesem Wahnsinn und er hätte sich vielleicht tatsächlich die Kugel gegeben, nachdem ihm die Wächter lachend eine Waffe hingehalten hatten. Er saß tagelang eingesperrt in einem dunklen, schalldichten Raum. Nur er und die Waffe in seiner Hand. Diese erdrückende schwarze Stille war das Grausamste was er bisher erlebt hatte. Diese Art der Folter war die schlimmste. Man sah nichts, man hörte nichts, man roch nur sich selbst und spürte auch nur das schwere Gewicht der Waffe in seiner Hand. Dieses kühle, dunkle Gerät, mit dem er all diese Folter selbst beenden hätte können. Diesem Wahnsinn endlich entkommen konnte. Und Sasuke wollte sich die Kugel geben. Er hatte den Abzug bereits gespannt, den Lauf auf sich gerichtet. Aber er hatte nicht abgedrückt. Der Wahnsinn hatte ihn nicht zerfressen. Die Verzweiflung war nicht groß genug. Das Todesverlangen nicht stark genug. Er wollte Leben. Sasuke wusste nicht, was ihn dazu bewegt hatte auf die schwere Eisentür zu schießen und dann, nachdem die Tür geöffnet wurde, in der Annahme, er sei tot, davongelaufen war. Er konnte sich daran erinnern, dass er dann auf seiner Flucht Naruto und Kakashi getroffen hatte, die ihn nach Hause brachten und ihn wieder aufpäppelten. Das war das Einzige, an das er sich noch richtig erinnern konnte. Der Rest verschwamm in einem Meer von Schwärze und Erinnerungen. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und seinem Wahnsinn waren verschwommen und er konnte Realität nicht von Einbildung unterscheiden. Und Sasuke war auch froh darüber, dass er so vieles nicht mehr wusste. Sich an so vieles nicht mehr erinnern konnte. Er hatte nie erfahren wollen, was sie ihm eigentlich genau alles angetan hatten. Er beließ es bei dieser Schwärze in seinem Kopf. Ihm reichte die Erinnerung an den Wahnsinn. An die Folter. Und selbst das war noch zu viel für ihn. Es war wie eine weitere Folter. Es war grausam gewesen - wobei die Bezeichnung nicht mal annähernd reichte. Ihre gebrochene, zaghafte Stimme ließ ihn aus seinen düsteren Gedanken aufschrecken und er musste sich kurz daran erinnern, weshalb ein Mädchen in seinem Bett saß. „Nach.. Nach.. Nach einiger Zeit im Gefängnis wurden wir alle begutachtet. Die Gefängnisse wurden wieder geleert. Man teilte uns ein. Leben oder Tod. Mehr gab es nicht. Ich wurde für gut empfunden. Ich konnte verkauft werden. Ich hatte einen schönen Körper, hieß es. Ich war sogar für so gut befunden, dass ich Naikuma Zuma verkauft wurde. Mein Vater war zu alt für sie. Sie erschossen ihn vor meinen Augen. Ich schrie. Zumindest glaube ich, dass ich geschrieen habe. Es war alles wie durch Watte. Unwirklich. Ich war innerlich leer. Man hatte mir in den folgenden Wochen beigebracht, wie ich einen Mann oder eine Frau befriedigen konnte, sollte, musste. Ich.. Ich habe nicht mal dagegen gewehrt.. Ich wurde einfach benutzt, ich wurde einfach unterrichtet. Sie wollten aus mir eine Bordellnutte machen. Nicht einmal das ließ mich aus meiner Starre erwachen. Ich war einfach tot. Ich sah nur die toten Augen meines Vaters vor mir und das Blut, das zwischen ihnen hervorquoll. Ich war einfach innerlich tot. Erst als sie uns vor einer Woche in die Lieferwägen verfrachteten und uns zum Zoll brachten, wachte ich wieder auf. Es.. Es war wieder einfach nur grausam. Weshalb sind Menschen zu so etwas fähig? Wie? Ich.. Ich kann es nicht begreifen. Man sagte uns, was mit uns passierte, wenn wir uns nicht gefügig machten. Wenn wir uns nicht unterwarfen. Und dann war da wieder diese Verzweiflung.. Dieses Gefühl nichts tun zu können. Dieses Gefühl der inneren Leere. Ich starb innerlich ein weiteres Mal. Ich hatte aufgegeben. Und dann kamst du.. Danke.” Sie endete und sah dann zaghaft zu Sasuke hinüber. Er sah sie immer noch an und schwieg. Er hatte sich nicht getäuscht. Auch sie hatte diesen Wahnsinn erleben müssen. Diese Verzweiflung. Sie war definitiv kein Feind. Sie war mehr oder weniger ein Freund. Aber würde sie das auch bleiben? Sasuke straffte die Schultern und kam auf sie zu. Er sah, wie sie sich verspannte und ein Stück nach hinten rutschte. Er setzte sich im Schneidersitz vor sie und betrachtete sie eingehend. Sein Pulli hing an ihr wie ein Zelt und ihre Wangen waren eingefallen. Wenn er sie bei sich behalten würde und sie zu einem Runner machen würde, würde es sehr viel Arbeit erfordern. „Du musst dich entscheiden. Entweder du bleibst bei mir und ich mache dich zu einem Runner oder ich bringe dich zu unserem Ältesten und bei dem kannst du dann leben. Zurück in Gesellschaft wirst du aber niemals mehr können. Du weißt zu viel. Lauf oder stirb. Du hast nur diese zwei Optionen.” Stille. Sie sahen sich gegenseitig an. Angst traf auf Unentschlossenheit. „Ok.. Dann.. Dann würde ich gerne bei dir bleiben.” Sasuke nickte und ließ sich neben ihr auf die Matratze fallen. Erst jetzt erlaubt er sich ein wenig seiner Gefühle zu zeigen. Er unterdrückte ein Keuchen, als er sich noch einmal kurz seine Wunde besah. „Verdammt..”, zischte er. Sie war wieder aufgegangen. Sakura erschrak, als sie die Wunde sah und nahm Sasukes Hände davon weg, als er gerade draufdrücken wollte, damit die Blutung stoppte. „Nicht hinfassen.. Es könnte noch schlimmer werden. Hast du ein Stück Stoff?” Er reichte ihr ein altes T-Shirt, welches sie auch gleich darauf in Streifen riss und ihm die Wunde damit verband. „Woher kannst du das?”, fragte Sasuke, nachdem sie fertig war. „Mein Vater hat es mir beigebracht.” Er nickte wieder und ließ sich wieder nach hinten fallen. Er rollte sich wie immer zur Seite und schlief sofort ein. Er war hundemüde. Sakura strich ihm kurz durch die Haare und stand dann auf. Neugierig sah sie sich in der Höhle um. Sasuke hatte alles was man zum Überleben brauchte. Etwas zu Essen, Waffen, Wasser und eine Schlafmöglichkeit. Etwas weiter hinten fand sie sogar eine Feuerstelle und eine Art Kleiderschrank. Hinter der Feuerstelle war eine Schnur gespannt worden, auf der sie ihre eigene Kleidung ausmachen konnte. Wieder überzog ein rosa Schimmer ihre Wangen. Stimmt ja.. Als sie aufgewacht war, trug sie nicht mehr ihre Kleidung, sondern einen Pulli von ihm. Sie ging auf die Klamotten zu und fühlte, ob sie schon trocken waren. Leider nicht. Nur ihre Unterwäsche.. Sie wurde wieder rot, als sie daran dachte, dass Sasuke sie nackt gesehen hatte und zog sich dann schnell ihren dunkelblauen SpitzenBH und den passenden Tanga dazu an. Es war nicht wirklich ihre Unterwäsche gewesen, aber die Leute im Gefängnis hatten es ihr gegeben. Das lächerliche kleine Kleidchen, das sie darüber tragen sollte, nahm sie dann doch von der Leine. Sie betrachtete den Stofffetzen, der ein Kleid darstellen sollte und zeriss ihn dann mit einem kräftigen Ruck. Nie mehr. Sie hatte Sasuke während der Stille beobachtet. Auch er schien Erfahrung mit Folter gemacht haben. Seine Narben auf seinem Rücken sprachen ebenfalls für sich. Aber sie vertraute ihm. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie bei ihm gut aufgehoben war. Er hatte sie bereits nackt vor sich liegen gehabt, doch er hatte es nicht ausgenutzt. Das wusste sie. Zwar war sie eigentlich bewusstlos gewesen, doch konnte sie sich schemenhaft daran erinnern, was alles passiert war, nachdem er sie mit in den Fluss gezogen hatte. Es war, als hätte sie es von oben herab gesehen. Als hätte sie in diesem Moment nicht mehr zu dieser Welt gehört. Sakura schmiss die zerrissenen Stofffetzen auf einen Haufen, der für sie nach Müll aussah. Leere Dosen und kaputte Waffen. Dann ging sie leise auf den Efeuvorhang zu und spähte vorsichtig hindurch. Kurz sah sie zurück zu Sasuke, der unruhig schlief und fragte sich, ob sie wirklich schon rausgehen sollte. Wieder spähte sie hinaus und befand, dass nichts passieren könne. Es war bereits wieder Nacht und der Mond stand hoch am Himmelszelt. Sie stellte sich vor, dass dort oben noch Milliarden von Sternen funkeln mussten, doch sah sie nur ein paar vereinzelte. Der Dunst vom dritten Weltkrieg lag noch immer über dem Planeten und ließ nur die kräftigen Sonnenstrahlen durch. Der Mond schien ebenfalls hell, doch verschwammen seine Umrisse mit dem Nebel um ihn herum. Sakura betrachtete die Aussicht. Sie war schön, und grässlich zugleich. Grotesk. Sie konnte die Stadt der Naiza sehen, wie sie dort zwischen den ganzen Latexbäumen und den überwucherten Schlachtfeldern lag. Nachdem dritten Weltkrieg hatten sich die Menschen nie mehr damit abgegeben die Schäden und Spuren zu begraben. Sie hatten einfach neue Städte auf den alten gebaut und Schutt und Asche drum herum einfach stehen gelassen. Sie konnte durch den Dunst den hellen Schein der Stadt ausmachen. Er wirkte grünlich. Giftig. Tödlich. Sie hatte die Naiza noch nie gemocht. Nur wenn man reich und fett war, gehörte man dazu. Es war schrecklich. Sakura begriff bis heute noch nicht, wie die Naiza so leben konnten. Sie und ihre Familien sind wegen ihrer Haarfarbe ausgestoßen worden. Waren sie doch Mutanten. Sakura seufzte. Nur weil sie durch die Atombomben und deren radioaktiven Strahlen rosa Haare hatte, wurde sie als Mutation abgestempelt und ausgeschlossen. Zusammen mit ihren Eltern, die ja auch soviel dafür konnten, dass ihr Kind durch einen unsinnigen Krieg geschädigt worden waren, den jemand anderes begonnen hatte. Sakura wusste nicht, wer begonnen hatte. Ihr Vater erzählte ihr das, was ihn seine Eltern schon erzählt hatten. Dass es bereits zwei Weltkriege gegeben hatte, die Menschen danach aber weitergemacht hatten. Sich nicht so sehr verändert hatten, wie nach dem dritten. In diesem Krieg starben Sakuras Verwandten. Nur sie, ihre Mutter und ihr Vater blieben zurück. Aber daran konnte sie sich nicht mehr richtig erinnern. Sakuras Mutter starb bei ihrer Geburt. Damals war der Krieg seit drei Jahren beendet gewesen, Naikuma Zuma an der Macht und die Reiche bereits eingeteilt. Sie wurde in diese trostlose Zeit hineingeboren. War ein Kind, das Jahre nach dem Krieg noch davon gezeichnet war. War ein Kind, das niemals so werden wollte wie die Naiza. Die Naiza, denen nur ihr eigenes Wohl an erster Stelle stand. Sakura atmete die Nachtluft tief ein und ging dann rüber zum Wasserfall, um einen Schluck zu trinken. Das kühle Nass tat gut. Es ließ sie klar im Kopf denken. Sie ging zurück zu Sasuke und setzte sich neben ihn auf das Bett. Er schlief unruhig. Seine Augen bewegten sich schnell hinter seinen Lidern. Wahrscheinlich ein Albtraum. Sie rutschte etwas näher an ihn ran und legte ihm dann eine Hand auf den Kopf und fuhr ihm beruhigend über den Kopf. Das hatte ihr Vater früher immer mit ihr gemacht. Es half. Sasuke wurde ruhiger. Sakura lächelte leicht. Sie stand ihm in ewiger Schuld. Er hatte sie vor dem Wahnsinn gerettet. Vor dem Grauen, das noch schlimmer war als der Tod. Vor der puren Verzweiflung. Er würde sich ihr sogar annehmen. Zwar würde sie dadurch vogelfrei sein, aber sie war nicht mehr alleine. Sie glaubte daran, dass sie hier so etwas wie einen Freund gefunden hatte. Etwas, für dass es sich zu Leben lohnt. Sie fuhr ihm weiterhin über den Kopf und stockte, als sie seine Tätowierung auf seiner Stirn bemerkte. Ein umgedrehtes Kreuz in Tribalstyle. Bedeutete ein umgedrehtes Kreuz nicht Teufel? Satan? Sakura war sich nicht sicher. Sie fuhr das Muster nach und fand, dass es sehr gut zu ihm passte. Seine Aura und sein Auftreten ließen ihn finster und herrschaftlich wirken. Ihr Vater hatte ihr auch etwas über die Runner erzählt. Sie waren ein eigenes Volk, mit einem Ältesten, aber trotzdem war jeder von ihnen unabhängig. Es gab nur wenige, die sich zusammentaten. Die meisten waren Einzelkämpfer. Und sie würde nun ebenfalls ein Runner werden. Würde sie es bereuen? Sicher nicht.. Sie hatte eine Chance zu leben bekommen.. Eine Chance auf Freiheit.. Die nächsten Wochen trainierte Sasuke Sakura und schonte sich selbst ein wenig, damit die Wunde gut heilen konnte. Er zeigte ihr den Wald und erklärte ihr, wie sie sich im ‘Deep Black’ zurechtfinden konnte. Er trainierte sie im Kampf und ließ sie immer weitere Strecken laufen. Schickte sie raus, damit sie rannte. Natürlich nur so weit, wie er sie noch sehen konnte. Dafür musste sie mehrfach im Kreis laufen. Die Tage verstrichen, Sakura war wieder bei Kräften und Sasuke war wieder voll einsatzfähig. Die Haut war zwar noch leicht gerötet und wund, doch Sakura hatte ihm aus einigen Blättern aus der Umgebung eine Kräutersalbe gemacht, die die Heilung noch zusätzlich unterstützte. Nach und nach lernten sie sich auch gut kennen und sogar ein wenig zu schätzen. Die Monate verstrichen. Mittlerweile war es ‘Winter’. Sasuke zog sich gerade seine Laufsachen an, als Sakura mit den gewaschenen Sachen zurückkam. In den letzten Monaten hatte sie seine Klamotten angezogen. Heute würden sie Kleidung für sie und Vorrat beim Ältesten holen. Er würde Sakura auch die Tätowierung stechen, die sie dann als vollwertigen Runner identifizierten. „Sasuke?” „Hm?” „Glaubst du wirklich ich bin schon so weit?” „Ja.” „Wenn du meinst..” Die meiste Zeit, redeten sie oder trainierten sie zusammen. „Was soll ich mir eigentlich tätowieren lassen?” Sakura rätselte schon die ganze Zeit, was sie sich auf ihrer Stirn vorstellen könnte. Dennoch fiel ihr nichts ein. „Wir müssen das Urteil vom Uhu abwarten. Eigentlich spricht nichts dagegen, dass du ein Runner wirst, aber trotzdem könnte er sich umentscheiden und dich dann doch für sich behalten oder umbringen. Wenn du ein Runner wirst, bekommst du wahrscheinlich das gleiche Tattoo auf die Stirn wie ich. Kommt drauf an, als was er dich sieht.” Sakura nickte. Sie verstand zwar immer noch nicht so richtig die Lebensweise und Hierarchie der Runner, aber sie würde in diesem Punkt Sasuke einfach vertrauen. Sie rannten durch den Wald. Zweige peitschten ihnen ins Gesicht, der Wind pfiff ihnen um die Ohren und ihre Füße fanden den Weg über den Boden. Sakura bewunderte Sasuke für seine Eleganz beim Laufen. Bei ihm wirte es, als hätte er nie etwas anderes getan. Was ja auch stimmte. Trotzdem kam sie sich in Sasukes Nähe wie ein Trampeltier vor, obwohl er ihr gesagt hatte, dass sie schnell lernte und bereits laufen konnte. Wie das klang. Er hatte ihr das Laufen beigebracht. Beinahe wäre sie über eine Wurzel gestolpert, konnte sich aber gerade noch rechzeitig abfangen. „Pass auf, wo du hinläufst”, zischte er ihr zu, ehe er mit einem kräftigen Satz über einen umgestürzten Baumstamm sprang. Dieses Parkour musste sie auch noch mehr trainieren. Umständlich sprang sie ebenfalls über den Baumstamm. Sie rannten und rannten und rannten. Irgendwann kamen sie an einer weiten Ebene an, auf der kein einziger Baum wuchs. Hier muss vor Jahren eine Atombombe hochgegangen sein. Nur Disteln, Löwenzahn und dickes Gras wuchsen hier. Schnell fetzten sie im Schatten über die Ebene und kamen vor einem hohen Felsen zum Stehen. Der Fels sah aus wie ein Dreieck, das mit der Spitze nach oben in den Himmel ragte. Einige Felsplatten und Steinbrocken bildeten eine verschlungene Treppe zu dem Eingang etwas weiter oben, vor dem es eine lange, breite Plattform gab. Sasuke hatte ihr erklärt, dass die Naiza diesen Felsen nie aufsuchten, da sie glaubten, er sei verflucht. Natürlich war er das nicht. Der Uhu hatte sich damals nur einen Scherz erlaubt, der ihm bis heute noch alle ungebetenen Gäste vom Halse hielt. Nachdem der Krieg vor ungefähr zwanzig Jahren geendet hatte, hatte sich der damals 22-jährige Uhu hier niedergelassen und jeden Angreifer, der ihm zu nahe kam umgelegt. Die Überreste hatte er alle mit einem komischen Mal versehen und dann weit weg irgendwo abgelegt. Aus dem Blut der Toten hatte er eben jenes Mal ganz groß auf den Felsen gemalt. Seither galt unter der Naiza, dass sich niemand diesem Felsen nähern durfte. Man ging davon aus, dass dort eine fürchterliche Mutation leben musste. Dass es schlussendlich ‘nur’ der Uhu war, schienen sie nicht zu verstehen. Und so war das Zeichen auf dem Felsen indirekt das Zeichen der Runner geworden. Wurde es auf den Wohnort eines Runner von einem der Leute des Uhus geschmiert, hieß dies, dass es eine Versammlung gab, bei der alle Runner zu erscheinen hatten. Es gab selten solche Versammlungen. Sasuke hatte bisher nur vier miterlebt. Sie erklommen die Felsen und wurden dann von den Wachen des Uhu aufgehalten. Sasuke strich sich die Haare aus der Stirn und sagte: „Ich will mit dem Uhu sprechen.” Die Wachen kannten diese Tätowierung. Sasuke galt als der beste Runner und stand in der Gnade des Uhu. Er hatte ihn sogar zu einer Art Nachfolger gemacht, sollte der Uhu irgendwann sterben. Die Wachen machten Sasuke und Sakura Platz und ließen sie eintreten. Neugierig sah sich Sakura um. Es war fast so wie in Sasukes Höhle, nur etwas luxuriöser. So luxuriös, wie man es in einer Höhle eben haben konnte. Er führte sie tief in die Höhle hinein und blieb dann irgendwann vor einer mit Feuerschalen erhellten Anhöhe stehen. „Uhu”, sagte er und verbeugte sich tief. Sakura tat es ihm gleich. Verstohlen musterte sie ihn. Er hätte den Beinamen Schlange eher verdient. Sein Gesicht war weiß und seine Augen stachen gelb hervor. Sein schmaler Kopf war von einer schwarzen, glatten Haarpracht umrahmt, die ihm weit ins Gesicht reinhing und die Hälfte somit fast verdeckte. Aber sie sagte nichts. Sasuke hatte ihr erklärt, dass er im Krieg als ‘Die Schlange’ bekannt war, doch nun nur noch als ‘Der Uhu’. Die Naiza witterten so keine Gefahr, dass einer ihrer größten Feinde doch noch lebte. Und Uhu deswegen, weil er einen Bruder namens Kabuto hatte, der von allen nur ‘Uhu’ wegen seiner großen, runden Brille genannt wurde, im Krieg jedoch gefallen war. Zu seinen Ehren hatte er dessen Namen angenommen. Die Runner waren wirklich ein eigenes Völkchen für sich. „Ah.. Sasuke.. Wie schön dich wohlauf zu sehen. Was treibt dich zu mir?” Sasuke erhob sich und sah dem Uhu fest in die Augen. „Sakura ist ein Runner. Ich habe sie ausgebildet. Tätowiere sie.” „Oh.. Ich sehe schon.” Der Uhu grinste ein breites Grinsen und stand auf. Sein wallendes Gewand erinnerte Sakura stark an die Gewänder, die die Priester in ihrem Dorf immer getragen hatten. Er kam die in den Fels gehauene Treppe hinunter und begutachtete Sakura. Er schlich leise um sie herum und kicherte dann und wann. „Sasuke, Sasuke, Sasuke.. Ich muss schon sagen.. Sie ist hübsch. Aber wenn du sie nur trainiert hast, dann hast du keine Ansprüche auf sie, oder? Dann kann ich sie doch auch behalten.” Der Uhu hatte eine helle, fast kindliche Stimme, die nur so vor Belustigung und Sarkasmus triefte. Er war Sakura auf Anhieb unsympathisch. Außerdem behandelte er sie nicht besser als die Naiza. Er behandelte sie wie ein Stück Fleisch. Nicht wie ein Mensch. „Doch.. Sie ist meine Gefährtin.” Ein schrilles Lachen ertönte. „Soso.. Deine Gefährtin. Beweis es.” Der Uhu funkelte Sasuke wütend und amüsiert zugleich an. Sasuke funkelte ebenso zurück, packte Sakura am Kinn und drehte ihren Kopf zu sich, ehe er seine Lippen auf ihre legte und sie küsste. Er forderte mit seiner Zunge Einlass, den Sakura ihm etwas perplex gewährte. Er hatte ihr vorher gesagt, dass sie ihm vertrauen musste, denn der Uhu spielte oft mit unfairen Mitteln. Sasuke beendete den Kuss und sah dann zum Uhu. Dieser klatschte vergnügt in die Hände und beorderte seine Tätowiernadel. „Fein Sasuke. Fein. Wird aber auch mal Zeit, dass du dir ein Mädchen zulegst. Kannst ja nicht als ewiger Jungfer sterben. Sakura, lege dich doch bitte auf den Tisch dort hinten.” Er deutete ihr, wo sie sich hinlegen sollte und führte sie an der Schulter dort hin. Einer seiner Diener kam zu ihm und brachte ihm seine Tätowiernadel und die schwarze Farbe. „Was tätowiertst du ihr?”, fragte Sasuke, nachdem Sakura sich hingelegt hatte und der Uhu die Nadel mit Farbe füllte. „Als deine Gefährtin bekommt sie natürlich das selbe Tattoo wie du. Oder möchtest du mir noch etwas sagen?” Schalkhaft blickte er zu Sasuke hinauf, der ihn emotionslos anstarrte. Und dann setzte der Uhu die Nadel auf. 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