puzzle von Erdnuss91 (where hope grows, miracles blossom) ================================================================================ Kapitel 9: Veränderung ---------------------- Eigentlich habe ich gedacht, dass sich meine Einstellung zu anderen Menschen in diesem Leben nicht mehr ändern wird. Und ich bis zum Tod jeden Menschen von mir weisen werde um diese nicht zu verletzen. Aber dieser Absturz hat mir gezeigt worauf es im Leben wirklich ankommt. Und vor allem hat er mir gezeigt wer wirklich zu mir steht und wer nicht. Und für wen es sich lohnt die Mauer in meinem Herzen zu öffnen und weiterzuleben. Ich habe gelernt, dass auch während einem starken Regenschauer die Sonne scheinen kann. Und egal wie sehr ich mir selbst einrede, dass andere für mich nicht wenig sind, das Gegenteil ist der Fall. Meine Freunde und auch meine Bandkollegen sind mir unglaublich wichtig. Und wenn ich auf einmal nicht mehr Teil ihres Lebens wäre, dann würde es ihnen unglaublich weh tun. Ich kann sie zwar vergraulen, aber das würde den Schmerz nicht lindern. Ich möchte nicht der Grund ihrer Schmerzen sein. Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen um mich machen und jeden meiner Schritte analysieren. Es muss äußerst anstrengend sein jemandem nahe zu sein, der den Wert des Lebens nicht zu schätzen weiß. Wenn man sich nicht sicher sein kann, dass diese Person ohne große Vorwarnung sein eigenes Leben beendet. Denn Selbstmorde werden meistens ohne große Vorwarnung begangen. Denn wenn man sich wirklich sicher ist, dann will man nicht mehr gerettet werden. Und ich weiß jetzt, dass ich gerettet werden will. Ich will von jemandem die Hand nehmen und mich aus dem tosenden Meer meiner Gefühle retten lassen. Ich möchte das Leben lieben lernen und vor allem möchte ich mich wieder selbst lieben. Und vor allem möchte ich mir selbst eine Chance geben. Keiner kann meine Position in der Band einnehmen, dafür unterscheide ich mich zu sehr von anderen Sängern. Nur weil ich an mir selbst zweifle möchte ich den anderen den Traum von einer erfolgreichen Band nicht kaputt machen. Und wenn man es genau nimmt sind wir ja schon längst erfolgreich. Wir spielen oft in ausverkauften Hallen und selbst unsere Konzerte in Europa und auch Amerika sind gut besucht. Also warum schaffe ich es einfach nicht mich genau an dem Erfolg festzuklammern? Warum nur stehe ich mir selbst so im Weg? Seufzend drücke ich die Zigarette im Aschenbecher aus und gehe wieder rein zu Kai. Als es mit der Depression so schlimm wurde, hatte ich gezwungenermaßen aufgehört zu rauchen. Mir fehlte einfach die Kraft für alltägliche Dinge wie einkaufen und deshalb fehlt mir oft einfach die Zigaretten. Und irgendwann hatte ich dann auch nicht mehr genug Kraft um extra dafür rauszugehen. In meiner Wohnung ist striktes Rauchverbot und jedes Mal wenn ich es ignoriere geht der Rauchmelder an. Und jetzt habe ich die alte Gewohnheit wieder aufgenommen, weil sie mir hilft mich zu beruhigen und mich dem tosenden Meer meiner Gefühle zu stellen. Eigentlich schreit alles in mir gerade nach Flucht, aber das geht nicht und das nutzt Kai gerade gnadenlos aus. Wir sitzen zusammen und versuchen die neuen Liedtexte von mir zu sortieren und zu verbessern. Und da ich diese schrieb als es so schlimm war, wühlt es mich innerlich unheimlich auf. Und ich will einfach nicht wie ein kleiner Junge schluchzen und heulen, nur weil mich das alles so mitnimmt. Wenn ich auf der Bühne stehe muss ich das ja auch ohne Tränen hinbekommen und bisher habe ich das auch immer irgendwie geschafft. Bisher konnte ich immer auf irgendeine Weise die Fassung bewahren und mich nicht zu sehr von meinen Gefühlen beherrschen zu lassen. Kai hat mittlerweile eine neue Taschentücherbox auf den Wohnzimmertisch gestellt und mir eine von meinen Tabletten nehmen die Tasse Tee gelegt. Eigentlich macht er mir keine Vorschriften was die Bedarfsmedikation betrifft und er hat mich auch noch nicht gezwungen diese zu nehmen. Gehe ich ihm also gerade mit meiner Heulerei auf den Keks? Oder macht er sich Sorgen, weil ich seit sehr langem wieder rauche? Seufzend stelle ich ihm genau diese Fragen und gucke ihn abwartend an. Missmutig schlucke ich die Tablette und trinke die Tasse komplett aus. Meine Stimme ist ziemlich angeschlagen und wir geben nächste Woche ein Konzert. Folglich habe ich also keine Zeit krank zu sein. Obendrein fangen auch die Aufnahmen für unser neues Album an und da ich so lange krank war stapeln sich jetzt die Termine. Die Presse weiß nur, dass ich wegen einer angeblichen Influenza im Krankenhaus war und ich hoffe einfach einmal, dass sie nie die Wahrheit erfahren wird. Kai lässt sich ganz schön Zeit mit seiner Antwort und es macht mich schon ziemlich wütend, dass er mir schweigend seine Kapuzenjacke über die Schulter legt und kurz über meine Haare streicht. Hat er etwa Angst davor, dass ich ausflippen könnte? Leise grummele ich und ordne die Zeilen der Strophe neu. Nachdem ich damit fertig bin lege ich das Blatt Papier vor Kai hin und verschränke die Arme. Warum sagt er nicht einfach was Sache ist? „Hast du Angst davor, dass ich wieder die Nerven verlieren könnte, oder was das sollte das jetzt gerade?“, will ich erbost wissen. Stirnrunzelnd erwidert Kai: „Um ganz ehrlich zu sein habe ich schon eine Menge Angst davor. Es sieht dir einfach nicht ähnlich so dermaßen die Kontrolle zu verlieren. Und du hast jetzt so lange nicht mehr geraucht, also warum hast du dir eben eine angesteckt? Das dich die Liedtexte triggern war mir klar, aber ist es wirklich nur das?“ „Es sind nur die Liedtexte, die mich so mitgenommen haben. Ich hab mich doch für den Vorfall entschuldigt, oder? Also warum spielst du genau darauf jetzt an?“, hake ich verunsichert nach. Vor ein paar Tagen hatten wir die neuen Kostüme anprobiert und da ist Kai der Verband an meinem Unterschenkel aufgefallen. Er wollte natürlich sofort wissen was ich gemacht habe und mir fiel keine Ausrede ein. Am Abend zuvor war ich so aufgewühlt und ich hatte einfach nur Panik vor dieser Anprobe. Die anderen in der Band außer Kai hatten mich schon ewig nicht mehr so gut wie nackt gesehen. Dadurch konnten sie auch gut verdrängen, dass ich immer noch stark untergewichtig bin. Ein Jogginganzug kaschiert halt ziemlich viel und das hatte ich bewusst zu meinem Vorteil genutzt. Ich habe zwar jetzt einen strikten Ernährungsplan, aber um meinen Körper nicht zu sehr zu belasten ist der darauf ausgelegt, dass ich sehr langsam zu nehme. Und genau wegen dieser Panik hatte ich mich selbst verletzt. Eigentlich mache ich es nicht mehr, da es nichts bringt. Jedoch war ich an dem Abend so nah einem Zusammenbruch, dass ich einfach keinen anderen Ausweg mehr sah. Aus dem Grund habe ich jetzt auch die starke Bedarfsmedikation, damit ich in solchen Fällen nicht zum Messer greife. Aber ist es wirklich die Lösung? Die Gesprächstherapie und alles hilft mir zwar mich besser mit meinem Selbsthass auseinander setzen können, aber ist dieser Drang sich selbst Schaden zuzufügen nicht ein sehr schlechtes Zeichen? Vorher habe ich mich durch gezielten Essensentzug bestraft und das hatte mir dann auch gereicht. Und ich habe echt Angst davor, dass ich noch einmal so ausrasten könnte und mir dann ein paar oberflächliche Schnitte nicht mehr reichen werden. Zögerlich setzt sich Kai neben mich und streicht mir über den Rücken. Entschuldigend erwidert er: „Weil es doch gerade genauso wie an dem Abend ist, oder? Ich mache dir deshalb keine Vorwürfe, Ru-chan. Atme ein paar Mal tief durch und lass es für heute gut sein, okay? Und ich bleibe bei Meinung: Du kannst jeder Zeit mit uns über alles reden und wir werden dich nicht dafür verurteilen. Lass dich nicht von der Angst kontrollieren, Ru-chan. Du bist ein toller Mensch und ich bin mir sicher, dass du eigentlich genauso siehst.“ Kai hatte an dem Tag darauf bestanden, dass ich ihm daheim die Wunden zeige. Er wusste auch ohne die Antwort was Sache ist und man hatte den anderen direkt die Erleichterung angemerkt, als Kai ihnen sagt er würde sich darum kümmern. Und das hat er auch. Abends hatte er die Wunden richtig versorgt und ich musste ihm den Grund dafür nennen. Natürlich wollte er direkt wissen, ob ich noch mehr Wunden habe. Aber dem ist nicht so und ich habe ihm auch angemerkt, dass ihm das Gespräch an sich schwer fiel. Was sagt man in so einer Situation? Für mich macht im Grunde nichts das alles erträglicher. Selbst wenn ich mich heimlich auf dem Klo umziehe nimmt es mir nur geringfügig die Angst. Ich will einfach nicht, dass die anderen die falschen Schlüsse ziehen. Ich bin es doch selbst Leid jeden Tag die hervorstehenden Rippen sehen zu müssen. Ich fühle mich immer mehr wie im dichten Nebel und ich habe Schwierigkeiten die Augen offen zu halten. Die Müdigkeit nimmt mich an die Hand und ich schlafe im Sitzen ein. Ich fühle mich wie vom LKW überrollt, als ich wenige Stunden später wieder aufwache. Mein Mund ist staubtrocken und ich habe Schwierigkeiten etwas zu erkennen. Wo ist meine Brille? Gähnend reibe ich mir über die Augen. War ich eben nicht noch im Wohnzimmer? Nachdem ich mich aufgesetzt und mehrere Schlucke Tee zu mir genommen habe, fühle ich mich nur noch ausgelaugter. Schwerfällig stehe ich auf und gehe zu Kai ins Wohnzimmer. Zögerlich setzte ich mich neben ihn auf die Couch und muss ein weiteres Gähnen unterdrücken. „Geht es dir was besser, Ru-chan?“, erkundigt er sich direkt. Ich nicke nur und schnappe mir die Liedtexte und einen Bleistift. Im Grunde will ich es einfach hinter mich bringen, damit Kai das alles morgen mit dem Manager besprechen kann. Er hat mir versprochen sich um alles zu kümmern was eigentlich meine Aufgabe wäre, damit ich mich noch etwas ausruhen kann. Da die Tabletten meine Nerven immer noch ziemlich betäuben, gelingt es mir kaum mich anständig auf all das zu konzentrieren. Und ich habe zudem das Gefühl, als würde ich gerade alles verschlimmbessern. Aber es ist jetzt nur noch der hier und dann ist es wahrscheinlich schon Zeit für das Abendessen. Nachdem ich gefühlt das halbe Blatt mit Pfeilen und Strichen versehen habe, gebe ich für heute auf. Um den Rest kann sich Kai kümmern, immerhin kann jetzt keiner behaupten ich hätte mir keine Mühe gegeben. Leise fragt mich Kai: „Bist du sauer auf mich wegen der Tablette?“ Soll ihm die Wahrheit sagen, oder wirft er mich dann vor die Tür? „Ich mag es nicht bevormundet zu werden und das weißt du ganz genau. Aber ich weiß auch, dass es im Grunde besser so ist. Wahrscheinlich hätte ich mich nur noch mehr in die Angst hineingesteigert und mir dann selbst etwas angetan. Ich muss halt lernen wie ich mich am Besten selbst beruhigen kann. Ich kann ja nicht darauf bauen und hoffen, dass immer jemand da sein wird der mich beruhigen kann. Und die Bedarfsmedikation ist ja auch keine Dauerlösung. Es tut mir Leid, dass ich so viel geheult habe und du mir die Entscheidung mit den Tabletten abnehmen musstest“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Natürlich ist das keine Lösung, Ru-chan. Aber ich bin froh sie zu haben und die Gewissheit zu haben, dass wenigstens die dich beruhigen können. Wir werden schon etwas anderes finden und wenn dir die Zigaretten helfen, dann muss ich das so akzeptieren. Ich bin auf jeden Fall stolz auf dich, dass du dich heute deiner Angst gestellt hast und die Liedtexte bearbeitet hast. Und es braucht auch keiner zu erfahren, wie du das zu Stande gebracht hast. Mach dir nicht so viele Vorwürfe wegen heute“, bittet er mich. Leicht lächelnd schaue ich ihn an und drücke kurz seine Hand. Obwohl er mir mit seiner Art manchmal gehörig auf den Geist geht, kann ich mir mittlerweile keinen besseren Menschen an meiner Seite vorstellen. Es läuft zwar momentan nicht alles rund, aber dank Kai bin ich schon wieder einen weiteren Schritt vorwärts gekommen. Und ich bin mächtig stolz darauf, dass es endlich geklappt hat mit den Liedtexten heute. Seine Hartnäckigkeit hat sich doch ausgezahlt und jetzt kann ich morgen ganz in Ruhe und ohne schlechtes Gewissen mit Ryouga den Tag verbringen. Seit seinem letzten Besuch sind einige Wochen vergangen und ich vermisse ihn einfach unheimlich. Und auch noch jetzt fühlt es sich befremdlich an ihn als Person zu vermissen. Aber es ist ein gutes Zeichen, schließlich schaffe ich es mittlerweile auch solche Gefühle zuzulassen. Ich bin unglaublich sicher, dass es Ryouga schaffen wird mich aus diesem Loch zu befreien. ----- Na was ist denn das? Ein Kapitel nach fast 8 Jahren? Man merkt wahrscheinlich sehr deutlich, dass ich mittlerweile ganz anders schreibe. Leider hatte ich es geschafft mich in eine Ecke zu schreiben und da ich nicht so viel von Kapitel löschen und neuschreiben halte, wollte ich die FF eigentlich abbrechen. Jetzt liegt sie mir jedoch sehr am Herzen, also hatte ich die Idee verworfen. Und aus dem Grund gibt es jetzt dieses Kapitel. Mal schauen wohin das jetzt alles führt und ob es tatsächlich ein Weg raus aus der Ecke war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)