Flashing Thoughts von Saedy ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Mal abgesehen von den ständigen Sticheleien Jasons, lief es für Seiji eigentlich ganz gut in der Schule der SAT. Seine übrigen Klassenkameraden waren nett und er war gut im Unterricht, sowohl bei den Psi-Kräften, als auch was sein Abitur betraf. Sogar das Abschirmen, das ihm die meisten Schwierigkeiten bereitete, lernte er langsam aber sicher. Doch bis er es würde richtig können, war es noch ein weiter Weg. Die Tage vergingen wie im Flug und wenn Seiji nicht lernte, war er bei und Chris und Alex, wobei zwischen den beiden seit dem letzten Vorfall ein seltsames Verhältnis herrschte. Einerseits versuchten sie, sich zu benehmen wie früher, auf der anderen Seite war es ihnen aber doch seltsam peinlich, miteinander umzugehen. So konnte es wirklich nicht weitergehen, befand Seiji, hatte aber keine Zeit, sich näher mit dem Problem zu befassen. Außerdem wusste er auch nicht, was er überhaupt machen konnte, um ihr Verhältnis zu entspannen. Wollte er das überhaupt? Eines Abends wurde Seiji überraschend in Gregory Loranes Büro gerufen. Er fragte sich, was der SAT-Aufseher von ihm wollte. Er hatte ihn schon längere Zeit nicht mehr gesehen, weil dieser natürlich mit sehr vielen Aufträgen beschäftigt war, da es so wenige Aufseher gab. 'Herein', forderte Lorane ihn telepathisch auf, als er ihn vor der Tür bemerkte. Seiji zuckte zusammen. So „angesprochen“ zu werden, daran musste er sich noch gewöhnen. Die Tür glitt mit einem leisen Summen beiseite und er trat ein. Kurz darauf blieb er stehen und sah Lorane hinter seinem Schreibtisch stehen, wo er gerade einige Dinge sortierte. „Immer dieses Chaos“, bemerkte er dabei. „Ich bin so selten hier, dass ich jedes Mal, wenn ich hier raus gehe, alles nur auf einen Haufen schmeiße und mir denke: das zu sortieren, kann ich auch später noch machen, das ist nicht so wichtig. Aber dann komme ich eines Tages hier rein und blicke auf einen Berg von Papieren und Akten und was weiß ich nicht noch alles. Und ich denke mir, ach du meine Güte, wie sieht es denn hier aus? Wie soll ich in diesem Chaos noch etwas finden?“, lächelte er. „Der Idiot, der vor ein paar Jahrzehnten meinte, das Papier würde abgeschafft werden, hat sich jedenfalls gründlich geiirt. Trotz all unserer Computer müssen wir uns immer noch damit herumschlagen.“ Seiji fühlte sich gleich etwas entspannter, auch wenn er immer noch nicht wusste, warum er hier war. „Aber, setz dich doch“, wurde er mit einem Deut auf den Sessel vor dem Schreibtisch aufgefordert. Seiji ließ sich nieder und blickte Lorane neugierig an. „Du bist nicht gerade der Redseligste, was?“, stellte dieser fest. „Tut mir leid, ich...“ „Nein, schon gut. Solange du deine Arbeit gut machst, ist das in Ordnung. Und außerdem spielt sich das Wichtigste bei uns ja sowieso in den Gedanken ab, nicht wahr?“, grinste er. Seiji atmete etwas erleichtert aus. So lange er denken konnte, war es nämlich schon immer so gewesen, dass andere Leute ihn nicht mochten oder missverstanden, weil er so wenig redete. Dabei war es bloß so, dass er einfach nicht so viel zu sagen hatte. „Apropos: hast du dich schon entschieden, welchen Beruf du wählen willst?“, blickte Lorane ihn erwartungsvoll an. „Äh, ehrlich gesagt, weiß ich das noch nicht. Das, was ich eigentlich machen wollte, ist hier ja nicht möglich und bis jetzt konnte ich mich einfach noch nicht für etwas anderes entscheiden.“ „Verstehe. Aber siehst du, genau deswegen wollte ich mal mit dir sprechen“, setzte sich Lorane. „Du weißt sicher, wie wenige SAT-Aufseher es gibt, da es einfach zu wenige Telepathen mit einem HyB-Wert von 25, von höheren gar nicht zu reden, gibt. Fast hat man sich schon überlegt, den Grenzwert für diesen Beruf auf 20 zu senken, bis die beiden Edwards-Geschwister und du aufgetaucht seid. Deshalb wollte ich dir nahelegen, diesen Beruf zu ergreifen. Du wärst einfach... prädestiniert dafür.“ Seiji war erst mal sprachlos. Er hatte nicht damit gerechnet, dass man ihm einen solchen Vorschlag einfach aufgrund seines hohen HyB-Wertes machen würde. Herrschte wirklich ein so großer Mangel an starken Telepathen, dass man selbst nach dem letzten Strohhalm griff? Oder hatte einfach noch niemand in dieser Einrichtung bemerkt, dass Seiji viel zu schüchtern war und außerdem keiner Fliege etwas zu leide tun konnte, als dass er sich auch nur ansatzweise als SAT-Aufseher eignen würde? „Danke, das ist sicher sehr großzügig von Ihnen, mir das anzubieten, aber ich denke nicht, dass dieser Beruf etwas für mich ist.“ „Warum denn nicht?“, wunderte sich Lorane. „Dieser Beruf bietet großartige Aufstiegsmöglichkeiten und außerdem ein sehr gutes Gehalt. Mal ganz davon abgesehen, dass du anderen Telepathen damit helfen könntest. Du solltest wirklich noch einmal darüber nachdenken, bevor du ablehnst.“ „Das kling alles... großartig, aber ich denke nicht, dass ich dafür geeignet bin. Abgesehen von meinem HyB-Wert, passt dieser Beruf überhaupt nicht zu mir.“ Lorane schlug mit beiden flachen Händen auf den Tisch. „Wieso glaubst du, nicht geeignet dafür zu sein? Glaub mir, auch wenn du dich jetzt noch nicht bereit dafür fühlst und es sicher auch noch nicht bist, nach deiner Ausbildung wirst du es sein. Dafür werden wir schon sorgen. Und bei deinen Fähigkeiten brauchst du dir keine Sorgen zu machen, denn alles andere kann man lernen, ob du es jetzt glaubst oder nicht“, blickte er ihn intensiv an, wobei seine schwarzen Augen zu funkeln schienen. Seiji schluckte. Fast hätte er allem zugestimmt, nur um dieser erdrückenden Präsenz zu entgehen, aber viel schlimmer war ihm der Gedanke, SAT-Aufseher zu werden. Mal abgesehen davon, dass er nicht dafür geeignet war, würden dann die Leute noch viel mehr Angst vor ihm haben, als jetzt schon. „Es tut mir leid, aber ich kann das wirklich nicht.“ Für einen Augenblick schien es, als wolle Lorane ihn für diese Antwort auffressen, doch dann streifte er seinen Ärger ab, wie einen alten Mantel, entspannte sich und lächelte – zumindest oberflächlich. „Nun ja, du hast ja noch viel Zeit, darüber nachzudenken. Glaub mir, du kannst mehr erreichen, als du dir zutraust. Also dann, ich hoffe, du triffst die richtige Entscheidung“, gab er ihm zum Abschied die Hand. Obwohl er dabei lächelte und seinen Tonfall auch nicht änderte, schaffte er es dennoch, diese Aussage wie eine Drohung klingen zu lassen. Seiji wusste nicht wie er das anstellte, oder konnte er das nur wahrnehmen, weil er trotz Loranes fast perfekter Abschirmung doch eine kleine gedankliche „Reststrahlung“ spürte? Er schluckte und verabschiedete sich höflich. Als er vor der Tür und von der erdrückenden Präsenz Loranes befreit war, atmete er erleichtert aus und merkte erst jetzt wie sehr ihn die Begegnung belastet hatte. Er wusste nicht so recht, was er von Lorane halten sollte, denn einerseits wirkte dieser durchaus sympathisch, doch andererseits hatte er so etwas an sich, das, wenn man sich einmal umwandte und ihm den Rücken zukehrte, unvermittelt zuschlagen könnte. Oder wenn man sich gegen ihn wandte. Jedenfalls wirkte er so auf Seiji, der sich an Mitchells Worte erinnerte. Was ihn wiederum zu der Frage führte, wieso Lorane so nett mit ihm umging, obwohl er doch angeblich so ein Monster sein sollte. War es etwa nur, weil er ihn wegen seines hohen HyB-Wertes überzeugen wollte, SAT-Aufseher zu werden? Oder gab es noch einen anderen Grund? Am nächsten Morgen wollte es das „Schicksal“, oder genauer gesagt, ihr Lehrer, Mr. Lessner, dass Seiji und Jason in einem wichtigen „Block-Test“, bei dem es darum ging, sich so gut und so lange wie möglich abzuschirmen, gegeneinander antreten sollten. Dabei griff einer der Partner den anderen telepathisch an, während der andere abblocken musste und dann wieder umgekehrt. „Was, ich soll gegen DEN antreten?“, verschränkte Jason empört die Arme vor der Brust. „Der spielt doch nicht mal annähernd in meiner Liga. Da kann ich Ihnen gleich sagen, wie das Ergebnis aussehen wird: Er wird platt sein, sobald ich ihn auch nur anstupse.“ „Ich glaube, du unterschätzt Seiji. Ich habe natürlich bei der Auswahl darauf geachtet, dass ihr alle gegen jemanden mit gleichem HyB-Wert antretet. Da ihr mit HyB 25 aber nur zu dritt seid, wird Seiji morgen, wenn er sich von dem heutigen Test erholt haben wird, gegen deine Schwester antreten, damit sie auch eine gerechte Bewertung bekommt.“ „WAS?“, Jason war von seinem Stuhl aufgesprungen, der nun nach hinten umkippte. Ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf. „DER DA...“, damit zeigte er auf Seiji, „soll einen HyB-Wert von 25 haben? Nie im Leben! Dafür ist er doch viel zu schwach!“ „Setz dich bitte wieder, Jason und beruhige dich. Entweder du führst den Test nach Vorgabe durch und das heißt, auch mit dem Partner, den ich dir zugeteilt habe, oder ich trage dir ein „nicht Bestanden“ ein. Also, du kannst dir aussuchen, was dir lieber ist, ist das klar?“ Jason rang sich widerwillig ein „Ja“ ab, da er keine schlechte Note kassieren wollte. Jason setzte sich also Seiji gegenüber und war fest entschlossen, diesen fertig zu machen, HyB 25 hin oder her. Der konnte eh nicht so gut sein, wie er selbst. Das hatte er ja schon zu Anfang gemerkt. Seiji holte tief Luft und wappnete sich gegen die Attacke, denn Jason sollte als erstes angreifen. Er konzentrierte sich dabei auf das Gedankenbild, das er trainiert hatte: Einen wunderschönen Fluss, mit dem grünen und von Steinen umgebenen Ufer, wie er ihn von zu Hause her kannte. Er hatte seine Konzentration noch gar nicht richtig gefestigt, da schien auch schon etwas, oder besser gesagt, Jason, seinen Verstand herum zu drehen. Dieser ging wirklich mit dem Holzhammer vor und verursachte ihm stechende Kopfschmerzen. 'Das soll deine Abschirmung sein?', höhnte er. 'Ich wusste doch, du bist ein Schwächling!' Wie flüssiges Feuer brannte sich Jasons Präsenz durch Seijis Geist, drohte seine Nervenbahnen zu verbrennen. Sein Gedankenbild war längst verschwunden und er konnte es auch nicht mehr zurückholen. Er erkannte Jasons Geist und das war noch schlimmer, als die Schmerzen. Denn dieser war innerlich so voller Wut und Verachtung. Und er hatte Spaß daran, andere zu quälen. Wie konnte ein Mensch nur so gemein sein? Das würde Seiji nie verstehen. Wieso gab es immer wieder Menschen, die Freude hatten, anderen Schmerzen zuzufügen? Wie konnte man so etwas toll finden? Aber war da nicht hinter der Wut und dem Sadismus noch etwas anderes? Schmerz? Er spürte, dass Jasons Freude noch mehr in Wut umschlug, als dieser merkte, dass Seiji während seiner Attacke gleichzeitig noch seinen Geist „durchdrang“. Natürlich, er konnte nur angreifen, indem er die Gedanken des anderen berührte und durcheinander brachte, aber was ihm nicht gefiel, war, dass er nicht die vollständige Kontrolle hatte und von sich selbst auch etwas preisgeben musste. Das machte ihn so wütend, dass er noch eins drauf setzte und Seiji noch stärkere Kopfschmerzen verursachte. 'Pass auf, gleich gehörst du mir!', verkündete Jason. Er wollte doch tatsächlich die Kontrolle über seinen Geist übernehmen. Aber das war verboten, denn es könnte das Bewusstsein eines anderen für immer zerstören. Doch Jason schien keine Regeln zu kennen. „Hör auf, das reicht jetzt, Jason!“, rief Mr. Lessner, der genau aufgepasst hatte. Doch den Jungen interessierte das gar nicht. Der Lehrer wollte schon eingreifen, als das Duell eine plötzliche Wende nahm. Seiji, der einfach nicht verstehen konnte, wie jemand Spaß daran haben konnte, anderen Schmerzen zuzufügen, fragte sich, wie es wohl wäre, wenn Jason diesen Schmerz selbst spüren würde. Würde er dann anders darüber denken? Seiji versuchte, ihm dieses Gefühl zu vermitteln. Erstaunlicherweise ging das leichter als gedacht und er fühlte sich sogar seltsam befreit. Doch dann geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte - von einer Sekunde auf die andere lag Jason schreiend auf dem Boden und hielt sich verkrampft den Kopf. Seiji war selbst überrascht, was er da angerichtet hatte und blickte erschrocken auf dem sich am Boden windenden Jungen. Dieser hatte zwar inzwischen aufgehört zu schreien, aber wimmerte immer noch vor sich hin. „I-ich wollte das nicht, ich...“ „Für Erklärungen ist später Zeit. Jetzt müssen wir uns erst mal um den Jungen kümmern“, bestimmte Mr. Lessner und half diesem auf die Beine. „Jason, hörst du mich? Wie geht es dir?“ Der Junge zuckte nur zusammen und schien immer noch von Schmerzen erfüllt. „Ich bringe ihn auf die Krankenstation und ihr könnt für heute Schluss machen“, erklärte er an die Klasse gewandt. „Und du, Seiji, triffst mich in einer halben Stunde in meinem Büro.“ Seiji sank das Herz in die Hose. Was hatte er da nur angerichtet? Wie hatte das passieren können? Er hatte sich doch nur verteidigen wollen. Er hatte gar nicht angegriffen! Wie konnte es dann sein, dass Jason trotzdem so starke Schmerzen hatte? Besagte halbe Stunde später stand Seiji ganz nervös und hibbelig vor Mr. Lessners Büro. Dieser verspätete sich offenbar etwas. Ob er ihm glauben würde, dass dieser Angriff keine Absicht gewesen war? Nun ja, zur Not könnte er ihn auch seine Gedanken lesen lassen, dann wüsste er Bescheid, auch wenn das unangenehm wäre. „Na, Seiji? Dann komm mal rein!“, kam ihr Lehrer schließlich um die Ecke. In dessen Büro stützte er sich mit den Händen auf den Schreibtisch und blickte ihn eingehend an. Seiji guckte entschuldigend zurück. „Was hast du da gemacht?“, wollte er wissen. „Ich weiß es ehrlich nicht“, zuckte Seiji hilflos die Schultern. „Ich wollte bloß, dass Jason aufhört – es tat so furchtbar weh und dann, ich weiß nicht, aber irgendetwas in mir hat sich herum gedreht – ich habe das nicht bewusst getan. Aber dann hat sich dieser Schmerz auf Jason übertragen. Ich weiß wirklich nicht, wie das passieren konnte.“ „Hm, merkwürdig“, stellte Mr. Lessner nachdenklich fest. „Das kann eigentlich gar nicht sein. Wenn ein Telepath in den Geist eines anderen erst mal so weit vorgedrungen ist, die Abschirmung durchbrochen wurde und er so viel Kontrolle erlangt hat, wie Jason bei dir, dann kann er sich nicht mehr dagegen wehren. Es sei denn ...“ Der Lehrer schüttelte den Kopf. „Aber das kann nicht sein.“ „W-was meinen Sie?“, wollte Seiji wissen. „Ach, vergiss es einfach. Es ist nicht relevant. Mach dir keine Sorgen deswegen. Ich habe den Vorfall ja beobachtet und mir ist klar, dass du dich nur verteidigen wolltest. Nur solltest du für die Zukunft lernen, deine Kräfte besser zu kontrollieren, bevor du noch jemandem ernsthaften Schaden zufügst.“ „Verstehe“, erwiderte Seiji traurig. „Wird sich Jason denn wieder erholen?“ „Ja, er braucht nur etwas Ruhe. Es werden keine dauerhaften Schäden bleiben. Andernfalls wärst du nicht so glimpflich davon gekommen, auch wenn du ihn nicht absichtlich angegriffen hast. Denn Telepathen, die außer Kontrolle geraten, sind noch gefährlicher als solche, die ihre Attacken gezielt gegen andere anwenden, um ihnen zu schaden. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt?“ „Ja, Mr. Lessner. Danke für Ihre Offenheit.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Seiji von seinem Lehrer. Er wusste wirklich nicht, was eben mit ihm passiert war, dass sich seine Schmerzen plötzlich so stark auf Jason übertragen hatten. Er hatte ihm doch nur zeigen wollen, wie sich das anfühlte, was er ihm antat. Doch es kam ihm auf eine seltsame Art natürlich vor. In seinem Zimmer schien Derik nur auf ihn gewartet zu haben, denn er sprang mit einem: „Hey, super gemacht!“, vom Bett auf und funkelte Seiji begeistert an. „Diesem Bastard hast du' s aber gegeben.“ Der guckte aber nur traurig zurück und meinte: „So glücklich bin ich darüber gar nicht. Auch wenn er nicht nett zu mir war, ich hätte ihm nicht weh tun dürfen. Außerdem hätte es schlimme Folgen haben können.“ „Ach was, der hat dir doch auch weh getan, selbst Schuld, würde ich sagen.“ „Ich bin mir nicht so sicher.“ Seiji musste an Alex denken. Er sehnte sich nach seinem Freund. Und erschrak über dieses Gefühl. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)