Erlösung von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: Unerwartete Hilfe ---------------------------- Ein bekanntes Gefühl. Müdigkeit. Lähmende Müdigkeit. Sie war immer da, wenn er die Augen schloss, sie öffnete - das spielte keine Rolle. Dr. Albert erklärte einst, dass massiver Schlafmangel vielerlei emotionale Störungen hervorrufen konnte: Aggressionen, Unkontrollierte Gefühle, Angstzustände... und auch Halluzinationen. Wahrscheinlich war diese elende Müdigkeit daran Schuld, das Jack plötzlich von Monstern gejagt wurde. Es war zugegeben etwas seltsam, die eigene geistige Gesundheit in Frage zu stellen, doch leugnen konnte er es nun auch nicht. Nebenbei fiel ihm auf, dass sich der wütende Regen in eisige, flauschige Flocken verwandelt hatte. Eine beachtliche Menge Schnee säumte die Straßen Silent Hills und ließ die Scheiben von Neely´s Bar beschlagen. Aber solches Wetter Mitte September? Die voranschreitende Klimaerwärmung musste bereits einiges Durcheinander gebracht haben. Doch die Umwelt war Jacks geringeres Problem. Was sollte jetzt getan werden? Den ganzen Weg nach Brahms zu Fuß und verletzt zurückzulegen klang verrückt... es war besser für ihn in der Stadt das nächste Krankenhaus zu besuchen und von dort aus in Ruhe den Plan überdenken. Er hatte Angst, seinen rechten Arm von der Tischkante zu heben - noch zu frisch waren die unangenehmen Erinnerungen an pochenden Schmerz. Auf Hilfe konnte er jedenfalls nicht hoffen. Obwohl Neely´s Bar offensichtlich geöffnet war, stand keine Bedienung hinter der Theke. Auch Kellner, geschweige denn Gäste wurden vergeblich gesucht. Aber Jack entschied sich dafür, diese Details erstmal zu ignorieren. Der zertrümmerte Ellenbogen übte heftigsten Protest aus, als er aus seiner Ruheposition gerissen wurde. Mit zusammengebissenen Zähnen ging er zur verlassenen Theke hinüber und entdeckte ein langes Geschirrhandtuch, dass locker über einer Mikrowelle lag. Vorsichtig griff Jack nach dem Fetzen und versuchte mit beiden Händen vorsichtig eine geräumige Schlinge daraus zu formen. Die Tatsache, Linkshänder zu sein, sparte ihn einige Zeit, als er mit seinem intakten Arm das fest verknotete Tuch um sein Genick legte. Die self-made Verarztung funktionierte erstaunlich gut und legte den in zwei geteilten Knochen still. Als nächstes musste er herausfinden, wo er war. Auf der alten „Silent Hill Touristics“ Karte waren sämtliche Orte sauber verzeichnet, auch Neely´s Bar. Richtig, die Namensgebende Neely Street führte direkt zur kleinen Landstraße, die wiederum der einzige Weg nach Brahms war. Das Brookhaven Hospital lag gute drei Blocks entfernt. Jack faltete die Karte erneut weniger sorgsam zusammen und schubste die Flügeltüren der Bar auseinander. Eisige Kälte kroch sofort unter die Haut. Der weiße Flockenteppich verlieh Silent Hill eine gewisse Unberührtheit... In den zahlreichen Geschäften brannte kein Licht, die rechteckigen „Closed“ Kärtchen hingen bei den meisten gut sichtbar im Schaufenster. Niemand schippte mit der Schaufel die Gehwege frei und es waren auch keine Kinder draußen, um Schneemänner zu bauen. Schleichende Einsamkeit vermischte sich mit der Luft und legte einen nebligen Schleier über die Stadt. „Seltsam...“ Durch die absolute Stille ertönte Jacks Stimme doppelt so laut. In seiner Erinnerung war Silent Hill eine belebte Kleinstadt: Jeder kannte jeden. Er fand immer ein oder zwei Gesprächspartner, wenn er am Wochenende Besorgungen für Judy oder die Arbeit machte. Sicherlich konnte sich eine Stadt in den letzten zwei Jahren verändern, doch dieser Ort war wie ausgestorben. Der Schnee wurde zunehmend von dicken Nebelschwaden überlagert. Amanda liebte neblige Tage... er war sich nie sicher warum, aber sie bestand dann immer darauf, zu solchen Zeiten draußen spielen zu dürfen... mit ihrem Daddy... Für einen Moment lang konnte Jack ihre verblasste Stimme im Ohr hören: „Der Wald steht schwarz und schweiget, und den Wiesen steiget, der weiße Nebel wunderbar“. Judy brachte ihr dieses Gedicht bei. Ehe er sich versah, machten seine Knie Kontakt mit dem Boden - alle Erinnerungen auf einen Schlag verflogen. Offensichtlich brachte ein Stein oder ähnliches den Mann aus dem Gleichgewicht. Mit dem gesunden Arm griff er nach dem im Schnee vergrabenen Gegenstand - und hörte zugleich eine süße Melodie. Es war kein Stein, sondern eine Spieluhr, die trotz der kalten Nässe fröhlich ihr kleines Lied spielte. Jack starrte für einen Moment auf das Holzkästchen, die Musik ließ mit hypnotisierender Qualität alles um sich herum vergessen... eine beruhigende Wirkung. Er schoss erst wieder in die Realität zurück, als Scheinwerfer den Nebel durchbrachen. Ein bläulicher Wagen mit den Lettern „SHDP“ kam neben dem auf den Grund sitzenden Mann zu stehen.Eine blondhaarige Frau stieg aus der Fahrertür. Auf ihrem hellblauen Hemd, dessen Ende in eine knallenge Lederhose gestopft war, prangerten die selben Buchstaben. „Geht es Ihnen gut Sir?“. Sie streckte eine Hand nach Jack aus. Dieser erwiderte die hilfreiche Geste. Wieder auf den Beinen musterte er kurz die attraktive junge Frau. Sie war tatsächlich das erste lebendige Wesen, dass ihm in dieser Stadt begegnete. Ein amüsierter Blick traf auf das geblümte Geschirrhandtuch, das Jack zur improvisierten Schlinge umgearbeitet hatte. „...Was ist mit ihrem Arm passiert?“ Er durfte ihr unter keinen Umständen die Wahrheit erzählen... nicht wenn er sie auch noch selbst anzweifelte. „Ich hatte einen Autounfall auf der Landstraße. Ich bin mir nicht sicher was passiert ist... aber meine Windschutzscheibe ist zersprungen und... dann war ich bewusstlos“. Die Polizistin nickte langsam, trotzdem war ein Hauch von Skepsis in ihrem glatten Gesicht erkennbar. „Und jetzt wollten Sie sicher das nächste Krankenhaus aufsuchen. Wir werden am besten gemeinsam zum Brookhaven fahren und wenn die Ärzte den Arm zusammengeflickt haben, nehme ich Ihre Personalien auf“. Dankbar nahm Jack den Platz des Beifahrers ein. Er konnte währenddessen einen Blick auf das Namensschild des Officers erhaschen - Cybil Bennett. Als sich die Reifen des Streifenwagens in Bewegung setzten, füllte sich sein Herz mit neuer Hoffnung. Nach einem so schlechten Start in die eigene Vergangenheit konnte es doch nur besser werden, richtig? Die Fahrt durch Silent Hill war gespenstisch. Da war der Nebel, der Schnee, aber keine Menschenseele. Cybil konnte den verdutzten Ausdruck ihres Beifahrers sehen. „Jüngst ereignete... Vorfälle haben unsere Stadt in das verwandelt, das sie hier sehen. Die meisten Leute zogen einfach weg und der Rest... traut sich nicht mehr aus ihren Häusern“. Jack entschied sich dazu, nicht weiter nachzuhaken, denn Cybils Augen nach zu urteilen, wollte sie es dabei belassen. Sicher würde er noch früh genug erfahren, was seiner alten Heimat widerfahren war. Der SHDP Wagen bog in die Nathan Avenue ein, die langläufigste Schnellstraße der Stadt, die unter anderem zur Nachbarstadt Shepherd´s Glen führte. Jack konnte die Parkplätze des Rosewater Parks an sich vorbei rauschen sehen. Der Park war mit Abstand Judys Lieblingsort gewesen. Dort, am Ufer des Toluca Lakes machte er seiner wunderschönen Muse damals den Heiratsantrag und überreichte ihr eine einzelne weiße Rose... ein wirklich kitschiger Liebesbeweis. Jack musste ein lächeln über die Lippen fahren lassen. Silent Hill barg doch weit mehr als schmerzliche Erinnerungen. In der Carroll Street fand die Reise ein jähes Ende. Das Aschgraue Gebäude des Brookhaven Hospitals strahlte noch die selbe, unheimliche Aura aus. Die Tatsache, das hinter diesen Mauern im 19. Jahrhundert Pest- und Kriegsopfer behandelt wurden, sandte unerklärlicherweise Schauer an Jacks Rücken hinunter. Mit einem freundlichen „Nach Ihnen“, lotste ihn Officer Bennett durch den Eingang. In Brookhaven musste sich seit den 50er Jahren nicht mehr viel geändert haben. Milchige Wände wiesen zahlreiche Altersflecken und dunkle Spritzer von Gott weiß welchen Flüssigkeiten auf. Wartezimmer existierten nie im Brookhaven, die im Frontbereich aufgereihten Klappstühle mussten reichen. Cybil lugte durch die gläserne Trennwand der Rezeption - Jack war nur mäßig überrascht, dass sie von keiner Schwester begrüßt wurde. „Hmm, eigentlich müsste hier jemand Dienst haben... Wissen Sie was? Ich werde Ihnen jemanden suchen. Ruhen Sie sich doch solange im Cafe´aus, links den Flur runter“. Officer Bennett bewies wirklich, dass die Polizei dein Freund und Helfer war. Das hauseigene Krankenhauscafe´für Besucher und Patienten schaute optisch weitaus freundlicher aus, als das restliche Hospital. Gelbe Tapeten, sowie Himmelblaue Sitzreihen gaben immerhin eine halbwegs sonnige Atmosphäre zum Vorschein. Wie erwartet hatte Jack absolut freie Platzwahl und war erleichtert, wieder von den Füßen zu sein. der gebrochene Arm beanspruchte wohl mehr Energie als angenommen. Das erste Mal seit seiner Ankunft konnte er ruhig durchatmen. Die Ärzte würden die Verletzung fachmännisch behandeln und er könne bald endlich das alte Familienhaus besuchen. Das plötzliche Aufheulen einer Sirene trübte die flüchtige Hochstimmung gewaltig. Das eindeutige Warngeräusch dröhnte durch den Raum und versetzte Jack in Aufregung. Probealarm? Ein Hausbrand? Vielleicht wurde das Krankenhaus schon längst evakuiert... Mit klopfenden Herzen stolperte er zum Ausgang, öffnete die Tür und wurde schlagartig kreidebleich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)