Antihelden von Saboten ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Was auch immer er bisher tat, er war es mit seiner vollsten Überzeugung angegangen. Keine halben Sachen, das war nicht sein Stil. Egal wie unangenehm die Aufgabe war, er gab immer alles. Genau aus diesem Grund lief er voller Hingabe vor Tashigi weg. * Am Ende hatten sie sich verlaufen. Ein Feldweg. Ein paar Mal gelang es ihm sie abzuschütteln, doch nach kurzer Zeit schloss sie wieder zu ihm auf oder stieß aus Versehen mit ihm zusammen. Die letzten paar Meter gingen sie fast schon zusammen, realisierend, dass sie sich nicht mehr zurechtfanden. Es erstaunte Zoro, dass Tashigi all den Weg sein Tempo halten konnte, aber anscheinend saß sie nicht untätig herum. Ein wenig mehr Anerkennung als er zugeben wollte lag in seinem Blick, als er genervt zu ihr herübersah. „Was?“, schnappte sie gereizt. „Das ist alles deine Schuld!“ „Bitte? Wärst du nicht weggelaufen, würden wir hier nicht mitten im Nirgendwo festsitzen.“ „Wenn du mich nicht verfolgt hättest, hätten wir dieses Problem gar nicht erst.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. Ihr Atem ging noch nicht regelmäßig, aber sie wirkte entspannter. Wundersamerweise hatte sie den fast schon traditionellen Ausruf nach einem Duell nicht wiederholt. „Ha! Ich habe nur meine Arbeit gemacht und zufälligerweise warst du der nächste Pirat, der mir unter die Augen kam.“ Zoro bezweifelte, dass sie sich bei irgendeinem anderen Verbrecher so hineinsteigern würde. Ihr Blick strafte ihre Aussage Lügen. Er konnte es ihr nicht verdenken. Zwischen ihnen – es behagte ihm nicht, diesen Ausdruck zu verwenden, denn er implizierte etwas, das nicht existierte - war etwas, das auf die persönliche Ebene hinunterreichte. „Lass uns (ein weiteres Wort, das ihm nicht behagte) eine Bleibe für die Nacht finden.“ * Er war sich selbst nicht sicher, was ihn zu dieser einladenden Geste hinriss. In Anbetracht der Situation war Zoro jegliche Lust auf Machtspielchen vergangen. Nicht alles ließ sich mit Humor oder Schlagfertigkeit überspielen. Unendliche Müdigkeit übermannte ihn, als er sich dabei ertappte, sie mit ihr zu vergleichen, fast schon vorsätzlich nach vertrauten Gesten oder Worten zu suchen. Alt, so unglaublich alt fühlte er sich. Und genauso dumm. * Nach einiger zielloser Wanderung in der Schwüle des Nachmittags erreichten sie eine verlassene Fischerhütte. „Nicht gerade das Grand Hotel“, sagte Tashigi mit abschätzenden Blick, während sie an ihrem Hemd zupfte. Es klebte. „Wenn’s dir nicht passt, such dir was Eigenes. Es wird bald Dunkel und da zieht eine Regenfront auf.“ „Und was ist, wenn der Besitzer zurückkommt? Wir können nicht einfach reinspazieren und uns bedienen!“ „Dann erklärst du ihm die Lage“, entgegnete Zoro genervt. Sie zögerte. „Ich… weiß nicht.“ Zoro ging nicht weiter auf sie ein, sondern verschwand in der Hütte. * Eigentlich, war er der Ansicht, hatte er sich nicht verlaufen. Er wusste, wo er war, nur seine Umgebung kam ihm unbekannt vor. Solange man wusste, wer und wo man selbst war (und er befand sich in dieser stickigen, aufgeheizten Fischerhütte), war alles in bester Ordnung. Nach einer kurzen Prüfung förderte er Reis ans Tageslicht. Der Besitzer favorisierte wohl Fisch als Beilage. Wortlos machte er sich daran, das Abendessen (es gab Reis mit Reis) zuzubereiten, während Tashigi ihn skeptisch beobachtete. * „Ich will nichts“, verkündete sie und schob höflich, aber bestimmt die Schüssel von sich. „Iss.“ „Ich habe doch schon gesagt, dass ich nicht möchte.“ „Iss.“ „Ich esse niemandem sein Essen weg, vielleicht ist das alles, was der arme Mann hat.“ „Lass ihm halt Geld da, davon wirst du nämlich grade nicht satt. Iss.“ „Nein.“ Zoro seufzte. „Schau, wenn du morgen zusammenbrichst, werde ich dich nicht zurück tragen. Ich tue das nicht, weil ich so nett bin. Ich will keinen Klotz am Bein.“ Ihr Magen knurrte. * Anfangs war sie verwirrt von Zoros Freundlichkeit. Immerhin waren sie Feinde. Man verbrüdert sich nicht mit dem Feind (sie hatte sich öfters gefragt, ob dieser Prozess einen speziellen Ritus erfordert und beim Gedanken, sich mit Zoro zu verbrüdern musste sie schlucken, weil sie in eine völlig verkehrte Richtung abdriftete. Kurz darauf stolperte sie.). Warum ließ er sie nicht einfach an Ort und Stelle stehen? Wie sollte sie das Smoker erklären? Wie sollte sie dies überhaupt mit ihrem Gewissen vereinbaren?! Besondere Umstände erfordern angeblich besondere Maßnahmen. Als sie die Reisschüssel von ihm nahm, war sie beschämt, hielt ihren Blick starr auf seine Hand. Lange, kräftige Finger, von den Jahren und Kämpfen schwielig. Von vereinzelten Narben überzogen, feine, weiße Linien auf der gebräunten Haut. Eine Welle der Begierde erfasste sie, wie sehr wollte sie von diesen Händen berührt werden. Er würde sie nie als Frau ansehen. Immer würde sie im Schatten der Anderen (war sie nicht ein Kind?) stehen, ständig in Angst vor Vergleichen leben. Womit hatte sie das verdient? Es fiel ihr schwer, ihn aus dem Kopf zu verdrängen, wo er näher war als jemals zuvor. Auf der Unendlichkeit des Meeres war es leichter gewesen. Wann fingen die Grenzen von Pflicht und Sucht an zu verschwimmen? Tashigi war überfordert. Sie wollte, dass er ungeachtet ihres Geschlechts sie als ernstzunehmenden Gegner ansah, sich nicht zurückhielt. Sie wollte, dass er sie als Frau begehrte. Sie wollte, sie hätte ihn nie getroffen. * Sie aßen schweigend. * Sie verließ den Raum, ging sich im angrenzenden See auffrischen. Zoro atmete unwillkürlich vor Erleichterung auf. Ihre Anwesenheit erschwerte einige Dinge, zum Beispiel sein Denken. Ihre Präsenz füllte sein Bewusstsein aus, er schien ihre Blicke mit jeder Faser seines Körpers zu spüren. Seine Bewegungen wirkten fast befangen. Wie sollte er sich auch normal verhalten können, neben ihr? Er wollte keine Vergleiche ziehen. Der Entschluss, sie sei nicht Kuina, fiel schon vor einiger Zeit. Daran sollte nichts rütteln. Er hatte Beweise. Er hatte sie gesehen. Der Gedanke war so abwegig, dass es lächerlich war. So dumm. Und doch. Sie sollte nicht solch eine Wirkung auf ihn haben. Es gab Tage, an denen er sie vergessen konnte, es gab Tage, an denen er an sie dachte. Manchmal wollte er sie in seiner Nähe haben, sie berühren, manchmal wollte er ihre Existenz verleugnen. Es war so falsch. Jedes Mal verfluchte er sie. * Tashigi zog eine Linie über den staubigen Boden. „Dies ist meine Seite, dort ist deine. Wehe, du überquerst sie.“ „Warum hast du das Bett?“ „Weil ich die-“ Tashigi hielt inne. „Weil es bequemer ist. Und es passt nur einer drauf.“ „Weg von Fenster und Tür, ich bin zwischen dir und Fluchtmöglichkeit. Ja, guter Plan.“ * Das Bett war nicht mehr als ein paar Decken auf dem Boden. Tashigi legte ihr Schwert zwischen sich und die Wand, griffbereit, falls Zoro so verwegen sein sollte, die Linie zu überqueren. Und trotzdem. Sie hasste sich, weil sie nach Gleichberechtigung schrie und sich in seiner Nähe ja doch nur unterlegen fühlte. Er war ein Mann. Sie eine Frau. Daran würde sich nichts ändern, er hätte immer Vorteile, die sich durch nichts ausgleichen ließen. Schneller, stärker. Und dennoch war grade aus diesen Gründen in ihr ein Verlangen. Seine Gegenwart füllte den Raum bis in den letzten Winkel aus, elektrisierte sie. Sie wollte ihn. Sie wollte ihn haben, mit Haut und Haar. Zoro lag eine Armeslänge von ihr entfernt, mit hinter dem Kopf verschränken Armen als improvisiertes Kissen. In einem Anflug von Großzügigkeit überließ sie ihm eine der Decken, die jetzt als Unterlage diente. Die Stille im Raum wurde unerträglich. * Regen setzte ein und prasselte gegen die Scheibe. * Trotz des Wetterumschwungs wurde es in der Hütte nicht kühler. Anspannung vermischte sich mit Hitze, sie lauschte reglos auf seine Bewegungen. Nur ihr Brustkorb hob und senkte sich schwer, als sie die schwüle Luft atmete. Steif hörte sie seinem Atem zu, wagte nicht, sich zu rühren. Sie mochte es nicht, auf engem Raum mit ihm, es war nicht auszuhalten. Tausend Dinge schossen ihr gleichzeitig durch den Kopf und doch lag ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihm. Hinter ihren Augen brannte es. * In der Ferne grollte Donner, Wind fegte über den See, versetzte ihn in Aufruhr. Der Regen wurde stärker. * Er war fast eingeschlafen, als sie anfing. „Ich verstehe euch nicht. Vor allem dich nicht“, flüsterte sie in der Dunkelheit seinem Rücken zu. „Eigentlich solltet ihr doch die Bösen sein. Und was macht ihr? Rettet dauernd die Welt. Wie soll man sich da noch zurechtfinden?“ Ihre Stimme war tränenerstickt, das Sprechen fiel ihr schwer. Die Worte wollten trotzdem hinaus. Sie unterdrückte den Impuls, sich übers Gesicht zu wischen. Tashigi starrte an die Decke, Augen weit aufgerissen. Sie weinte nicht. Nein. Nicht vor ihm, Zoro konnte es eh nicht sehen, aber sie wollte ihm keine Schwäche zeigen. Nein. Seit Alabasta war ihre Welt ins Wanken geraten, sie hatte dies schon beweint. Es gab keinen Grund, sich noch länger daran aufzuhalten. Die Unsicherheit, Zweifel blieben. Es war einfacher, jemand anders die Schuld an allem zu geben. Zoro wartete. Es blieb still. Er wartete etwas länger, mit dem Gefühl, seinen Einsatz verpasst zu haben. Jetzt war es zu spät, es würde alles nach Ausflüchten klingen (Ausflüchten wovor? Warum musste er sich überhaupt vor ihr rechtfertigen?). Das Gefühl wurde unangenehmer, nagte an ihm. Verdammt. Er wollte nicht an ihren Problemen teilhaben, noch weniger wollte er sie trösten müssen. Sein Problem war, dass er seine Ohren vor Problemen anderer nicht verschließen konnte. Wunderbar. Jetzt half er der Person, die er als letztes sehen wollte, aus einer verfrühten Midlife-Crisis. Als ob er nicht schon genug mit seinem eigenen Leben zu tun hätte. „Wenn ihr die Guten seid, wo stehe dann ich?“ Die Frage hing schwer zwischen ihnen, Zoro spürte nahezu das Gewicht, das Tashigi zu erdrücken schien. „Machst du es dir nicht etwas zu einfach?“, warf er der Finsternis entgegen. Es machte die ganze Sache leichter, sie nicht zu sehen. Er drehte sich auf den Rücken, sah hoch. „Die Welt ist nicht Schwarz-weiß. Wenn du keinen Platz für dich siehst, dann mach dir selbst einen. Nicht grade ein Spaziergang, aber es gibt auch keine Reue.“ Er sagte mehr, als er sagen wollte. Er hatte sich diese Frage in langen Nächten oft genug selbst gestellt. Bereuen war das letzte, was er wollte. Es lebte sich sorgenfreier, unbeschwerter. Wie gerne würde er dennoch die Zeit zurückdrehen. Die Antwort war immer die selbe. „Weder gut noch böse“, sagte er. „Nur weil jemand über dich urteilt, musst du dem nicht folgen.“ * Das Gewitter zog näher. * Zögern. „Was ist mit Gerechtigkeit?“ „Wenn ich alle Antworten auf alle Fragen wüsste, wäre ich nicht hier, sondern würde Geld dafür verlangen.“ Er seufzte. Seine Kleidung klebte an ihm, entnervt setzte er sich auf und zog sein Hemd aus. Keine sichtliche Verbesserung. Wenn sich das nicht ändert, würde er draußen schlafen. Dass sie noch wach war, war nicht förderlich. Es weckte… Bedürfnisse. Es war schwer genug sich zu beherrschen, als er sie nur daliegen hörte. Jetzt suchte sie das Gespräch, seine Nähe. Nami oder Robin wären ihm egal, sie waren Mannschaft, waren Nakama. Jede andere hätte ihn kalt gelassen. Er wollte sie trösten, wollte sie festhalten, wollte sie berühren. „Nichts, was man aus einem Buch lernen könnte.“ Wusste sie nicht, was sie ihm antat? * Tashigi hörte auf, sich zu wundern, warum sie ihre Ängste teilte, warum grade er, die Ursache für all die Zweifel und Sorgen, ihr helfen könnte. Sie konnte so nicht weitermachen. Für einen Augenblick wollte sie alles vergessen. Die Pflicht beiseiteschieben und sich dem Moment hingeben. Sie wollte ihn. Die Welt konnte warten. * Sie griff nach seiner Hand. Im Dunkel konnte sie nur raten, hoffte, daneben zu greifen, aber ihr Gehör ließ sie nicht im Stich. Warme Haut traf auf ihre, Schwielen kratzten sanft. Zoro zuckte unmerklich zusammen, die Berührung kam unerwartet. Sie rutschte näher, zog ihn zu sich. Die Welt konnte warten. * Ihre Körper schienen zu wissen, worauf es ankam, arrangierten sich selbst. Ein Moment der Schwäche. Nicht akzeptabel, Schwäche bedeutet Niederlage, bedeutet Tod. Er konnte sich keine Schwäche leisten. Ein Zeichen von Versagen. Trotzdem ließ er es zu. Sie küsste ihn und die Welt stand einen Augenblick still. Morgen wäre alles vergessen, morgen wäre alles vorbei. Die Nacht schützte ihre Geheimnisse. * Regen tröpfelte nur noch, das Gewitter war vorbei. Kühle folgte ihm, vertrieb die letzten Reste der Tageswärme. * Ein Arm lag schwer um sie gelegt, träge ließ sie es zu. Das Gewicht fühlte sich gut an, gab ihr Halt, einen Anker. Genauso die Wärme neben ihr, anders als die Hitze im Zimmer schenkte sie Geborgenheit. Alles andere war egal, die Welt konnte warten. Sie schloss die Augen. „Gerechtigkeit ist Ansichtssache“, flüsterte er ihr zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)