Jumays Kinder von -Izumi- (Part 1: Kinder der Erde - Land des Anfangs) ================================================================================ Kapitel 36: Schwäche -------------------- Im Gebirge war es wesentlich kälter als am Meer. Das mochte wohl an der Höhe liegen und war nicht weiter verwunderlich, dennoch zehrte es an den Kräften der Männer, die versuchten, in den Kampf gegen die Menschen zu ziehen und das gute Land nun endgültig für sich zu gewinnen. Chigaru beobachtete skeptisch einzelne Schneefelder, an denen sie vorbeizogen. Die meisten nahmen an, der Aufstieg sei längst vorbei, doch ihm entging nicht, dass der Weg noch immer leicht anstieg und sie ganz unbemerkt in immer größere Höhen führte. Und mit letzterem nahm auch die Kälte zu – und die Gefahr der Vereisung des Passes. Er wusste, dass die beiden Brüder aus dem Ekarett-Clan definitiv nicht den ganzen Weg kontrolliert hatten – nur bis dahin, wo sie geglaubt hatten, der Aufstieg sei vorbei – und machte sich auf böse Überraschungen gefasst. Er war sehr gespannt darauf, wie Mahrran dann zu reagieren gedachte. Der Mann war sich sicher, dass sie bestenfalls erfolglos und dezimiert zurückkehren würden. Er war von den Göttern sehr begünstigt und sie hatten in den vergangenen Nächten allerlei Besorgniserregendes erzählt. Shiran schien tatsächlich ausgeschaltet für den Zeitpunkt des Aufeinandertreffens – aber davor war er es nicht gewesen und so war der Feind mindestens gewarnt. Es war ein Fehler, geschwächt von dieser strapaziösen Reise in einem fremden Land gegen vorbereitete, einheimische Jäger anzutreten – Mahrran würde es lernen, er hatte versucht, ihn zu warnen und es war ihm nicht gelungen. Einen Augenblick fragte er sich, ob er das tatsächlich versucht hatte; man sagte ihm oft, dass er nicht deutlich genug wurde, das war er gewohnt. Vielleicht war es im Moment ohnehin ratsamer, sich selbst eine gute Strategie zum Überleben auszudenken... An letzteres dachte auch Irlak. Iavenya hatte vollkommen ruhig gemeint, er müsse sich keine Gedanken machen, es würde gut gehen, doch was wusste die schon? Sie war schließlich keine Seherin und selbst letzteren traute er was das betraf nur ungern. Auch, wenn sie männlich waren (genau genommen hatte es sein Leben lang noch keine Seherin gegeben, aber wer wusste schon). Es besorgte ihn, dass er mit diesem blöden Speer noch immer nicht so richtig umgehen konnte. Er würde sich stark darauf konzentrieren müssen, wenn er ihn einzusetzen versuchte – und nichts war hinderlicher für seinen geliebten Blutrausch als Konzentration. Konzentration brachte einen wachen Geist hervor; der Rausch kam nur, wenn der Geist verschlossen war. Aber er fühlte es jedes Mal wieder intensiv... und es war gut. Mahrrans Sorgen waren anderer Natur. Er zweifelte nicht daran, dass sie es schafften. Sie waren Kalenao, sie hatten mit den Speeren ihren primitiven Gegnern den einzigen Vorteil gestohlen und dieses Mal würde es keinen Shiran geben, der sie verraten konnte – was sollte also schief gehen? Er konnte auf diese Frage nicht wirklich eingehen... seine Gedanken an das, was unweigerlich kommen würde, waren oberflächlich und verborgen hinter einem dunstigen, kalten Schleier. Kalt... das war ein gutes Stichwort. Erschöpft sah der Mann sich unter seinem Gefolge um; ob außer ihm wohl noch einer so fror? Einige hüllten sich tatsächlich ziemlich ein, das beruhigte ihn... Einiges Gebrüll an der Spitze der Gruppe riss seine Aufmerksamkeit auf sich – soweit das möglich war, aus irgendwelchen Gründen war sein Geist etwas abwesend, ohne, dass er es kontrollieren konnte. Und dieser schreckliche Husten... beim Atmen rasselte seine Lunge. So verstand er trotz seines überdurchschnittlich gut ausgeprägten Gehörs nicht, wo das Problem lag, das die komplette Meute inne halten ließ, und irritiert von sich selbst war er dem seltsamen Chigaru mit einem Mal dankbar, als er plötzlich neben ihm erschien und ihm die Antwort gab, die er sich auch gewünscht hatte. Der andere blickte starr geradeaus durch seinen schwarzen Pony und brummte. „Der Pass ist noch vereist.“ Mahrran hob beide Brauen, durch diesen Satz nun wieder etwas wach gerüttelt. Vereist? Das war ja grauenhaft – und definitiv nicht miteingeplant gewesen. Verwirrt blickte er zu dem anderen Mann, der nun bewegungslos und mit verschränkten Armen neben ihm stand und in die Richtung schaute, aus der die Probleme allem Anschein nach kamen. „Wie kann das sein? Ich habe es doch extra kontrollieren lassen!“ Vor wenigen Stunden war der Weg doch völlig frei gewesen, wie war das möglich? Chigaru wandte sich ihm nicht zu, als er antwortete. „Der Anstieg war noch nicht zu Ende, den höchsten Punkt haben wir noch nicht erreicht. Ihr spürt sie noch mehr als alle anderen, mein Herr, die Kälte – der komplette Pass liegt unter einer dicken Schicht aus Schnee und Eis begraben.“ „Was tun wir jetzt?“ Mahrran sah selbst verwirrt zu Rato, der von vorne zu ihm geeilt gekommen war und Chigarus Erklärung offenbar mitbekommen hatte, denn er sparte sich einen Lagebericht und starrte das Dorfoberhaupt bloß entsetzt an. Durch die Gruppe ging Murmeln. Schließlich verkündete Mahrran seine Entscheidung schnaubend. „Wir werden den Pass trotzdem zu überqueren versuchen, komme, was wolle! Um uns zu bremsen muss schon mehr geschehen als dass uns die Götter ein wenig gefrorenes Wasser in den Weg legen, nicht wahr?“ Er erhielt seine erhoffte Zustimmung grölend und die Krieger setzten ihren Weg langsam fort. Chigaru schüttelte bloß leicht den Kopf. „Wo sind unsere Feuermagier?“, fragte das Dorfoberhaupt da mit künstlich lauter Stimme und einige meldeten sich, während sie auf den vereisten Teil des Weges zusteuerten. Vermutlich ahnte jeder, was er sich dachte; Chigaru hielt ihn auf. „Wir werden alle Kraft brauchen, wenn wir in die Schlacht ziehen.“ Darauf war es kurz still. Irlak, weiter vorne, legte den Kopf schließlich schief, dann rief er über die Meute hinweg. „Ja, das ist uns klar, na und?“ Mahrran war da augenscheinlich etwas schneller. Er hustete kurz, dann antwortete er an der Stelle des Schwarzhaarigen, der bloß ernst in Richtung des anderen Mannes schaute und scheinbar darüber nachdachte, was der nun nicht verstand. „Körperliche Erschöpfung, die wir durch den beschwerlichen Weg erlangen werden, kuriert sich einfacher aus als die, die aus der Nutzung von Magier resultiert. Also bitte lieber ersteres. Mit anderen Worten – geht weiter und seid vorsichtig.“ Es war wirklich extrem anstrengend und unwegsam. Oft fielen manche hin und teilweise waren die Wege so glatt, dass die Eisschicht doch mittels Feuermagie weggeschmolzen werden musste; dennoch war es irgendwann vorbei und sie dankten den Göttern aufrichtig dafür. Mahrran fragte sich nebenbei, wie lange sie wohl unterwegs gewesen waren, als sie die Stelle am Pass erreichten, von der aus man das Land der Menschen überblicken konnte. Das Eis hatte die Reise deutlich verzögert, wie deutlich, war ihm jedoch nicht klar. Obwohl sie dem Tal nahe waren und die Frühjahrssonne die Welt angenehm erwärmte, fror er wie im tiefsten Winter, während es in seinem Inneren brodelte. Der Anblick des Landes seiner Zukunft weckte weder Freude, noch Aufregung, noch irgendwelche anderen Gefühle – er spürte nichts, nicht einmal die Angst vor dem Scheitern. Ebenso wenig bemerkte er die Gespräche seiner Männer; nicht einmal ihre Stimmen oder überhaupt ihre Anwesenheit. Aus seiner Starre riss ihn schließlich ein Hustenanfall, den er in diesem Ausmaß niemals zuvor erlebt gehabt hatte. Er riss die schlechten Augen so weit auf, wie es nur ging, während er sich verkrampfte und die Seele aus dem Leib hustete, dabei der festen Überzeugung war, er würde in wenigen Augenblicken ersticken... oder seine Lunge erbrechen. Letzteres geschah schließlich nicht ganz. Er wusste nicht, wie er es geschafft hatte, in seiner totalen körperlichen Verkrampfung die Hände vor den Mund zu heben, er wusste letztendlich bloß, dass es eine weniger schleimige Konsistenz hatte, als normalerweise zu erwarten gewesen wäre. Als es dann auf einem Schlag vorbei war und er so da stand, nahezu versteinert und, wie er kurz darauf bemerken sollte, vor Erschöpfung der Ohnmacht nahe, erkannte er den Grund dafür rasch, als er den schlechten Blick auf seine Handflächen schweifen ließ. Und ihre Botschaft war deutlich... der Großteil von dem, was sein Körper da loszuwerden versuchte, war Blut. „Wir sollten zurückkehren.“ Es war Chigarus Stimme, die sprach, und mit einem Mal wurde Mahrran bewusst, dass sich fast sein komplettes Gefolge um ihn herum versammelt hatte. Und ihn so gesehen hatte... Er ignorierte seine noch immer angespannten Muskeln und den grauenhaften Schmerz in seiner Brust und stellte sich wieder aufrecht hin, die Hände mit Wassermagie rein waschend. Dann sah er, mehr instinktiv in die richtige Richtung, zu dem Älteren. „Niemals. Ich bin bloß erkältet... aber hiervon hängt alles ab!“ Er war ein Götterkind, seine Worte waren Gesetz und letztendlich beugte sich jeder ihnen. Rato seinerseits fragte sich letztendlich, ob sie sich den ganzen Winter so extrem auf diesen Tag vorbereitet hatten, bloß um sich genauso wie beim ersten Versuch die Hänge hinab in die Savanne zu den Menschen zu stürzen, bloß weil ihr Anführer spontan seine Strategie vergessen hatte. Das einzige, was anders war als zuvor, waren die seltsamen Speere, mit denen sie nun ankamen; sie hatten es nicht geschafft, wirkliche Wurfspeere zu erschaffen, das, was sie da mit sich trugen, waren mehr Stichwaffen als alles andere. Was im Nahkampf vielleicht sogar ganz nützlich sein konnte, aber aus irgendwelchen Gründen hatte Rato das Gefühl, dass er nicht der einzige war, dessen Arme von der schweren Last nach kurzer Zeit taub und nach längerer Zeit beinahe unbrauchbar wurden. Sie besaßen keine körperliche Kraft – wenn sie nicht gerade im Blutrausch waren, waren sie nicht einmal in der Lage, ihre einzigen angeborenen physischen Waffen – ihre Nägel und ihr scharfes Gebiss – zu benutzen. Zumindest nicht in diesem Ausmaß... der Mann spürte, wie die Angst in ihm aufstieg und versuchte, sie zu verdrängen. Die Feigheit war ein Mörder. Die Menschen erwarteten sie im Hinterhalt; hinter einzelnen Bäumen und zwischen Gebüsch, das nur in dieser Jahreszeit Laub trug, manche auch erst einen Hügel weiter. Sie waren gewarnt gewesen, Shiran war jedoch tatsächlich nicht mit dabei. In Mahrrans Kopf zischten Götter und Windgeister gleichermaßen, als er das Zeichen zum Angriff gab und selbst im vorderen Mittelfeld unverzüglich mitzog. Er war etwas krank... das war eine Tatsache. Aber er war ein erwachsener Mann, davon würde er sich nicht aufhalten lassen! Es wurde langsam wirklich problematisch für sein Volk, die Nahrung war knapp, die Witterung oftmals zu schlecht für die meist altertümlichen kleinen Häuser, die der Seewind regelmäßig in die Knie zwang. Es war nicht unvernünftig... er wusste sehr wohl, wie ihm geschah. Er spürte ihn, den grauenhaften Schmerz in seinem Brustkorb, und er hustete sein eigenes Blut aus – etwas war nicht in Ordnung mit ihm. Aber was war sein eigenes Leben im Vergleich zu den ganzen Leben der Dorfbewohner; es mussten sicher einige hundert sein, die auf seinen Erfolg zählten. Und er würde sie nicht enttäuschen... er war ein Tankana. Und so zwang er sich selbst, wieder klar zu sein. Er befahl seinem Körper, zu rennen, den schweren Speer mit nur einer Hand zu heben und gleichzeitig in der anderen einen gewaltigen Wasserzauber entstehen zu lassen. Das Bild der menschlichen Männer, die ihnen entgegen stürmten, ihrerseits genau so gut oder schlecht ausgestattet wie beim letzten Mal, ging mit dem rasselnden Geräusch seiner nahezu erfolglosen Atemversuche einher und vermischte sich mit der Kälte der Welt und der Hitze in seinem Inneren. Wie in einem Traum hob er den Speer und schlitze damit einem der Menschen die Seite auf, worauf dieser sich ihm schreiend und in seiner eigenen Sprache wüst schimpfend zuwandte und ihn mit seinem eigenen, viel besseren und dynamischeren Speer anzugreifen versuchte – im nächsten Moment hatte ein Wasserzauber den Fremden zerfetzt. Ein geisterhaftes Lächeln schlich sich in Mahrrans Gesicht, als die Götter ihm seinen eigenen Tod prophezeiten. Es sah gut aus für sie... sie stellten sich mit ihren Speeren doch gar nicht so dämlich an, wie einst angenommen. Bis auf Irlak, der sich seiner mäßig guten Waffe längst entledigt hatte und sich nun in seinem Blutrausch wieder wahllos auf die nächstbesten Opfer stürzte. Sanan war entsetzt. Shiran hatte ein leichtes Spiel für sie vorhergesagt – warum ließ ihn dann das Gefühl nicht los, dass hier irgendetwas schwer aus der Bahn zu laufen drohte? Angewidert blickte er auf die Verletzten beider Seiten, die vereinzelt im Gras lagen und sicherlich Raubtiere anlocken würden... zu gern hätte er Shiran gefragt, was das nun sollte, aber aus irgendwelchen Gründen war er am Morgen plötzlich sehr krank gewesen und hatte nun nicht mit auf das Feld gekonnt. Kurzzeitig versuchten böse Windgeister ihm einzureden, der Seher sei Schuld, er habe das eingefädelt – dann verwarf er den Gedanken jedoch wieder. Er kannte seinen Bruder... irgendwie. Er mochte ihn, obwohl es ihn etwas störte... er wollte doch ein Mensch sein! Dabei erkannte er sich in dem Haufen an kleinen, schmächtigen Angreifern viel mehr selbst als er es in irgendeinem Menschen seines Stammes jemals getan hatte. Er zuckte zusammen, als einer von ihnen versuchte, sich auf ihn zu stürzen. Sanan hob bereits seinen eigenen Speer zur Verteidigung, als der andere abrupt stoppte, ihn kurz blöd anguckte und dann in seiner eigenen Sprache, die der junge Mann bekanntlich ungewollt verstand, zu ihm sprach; und was er sagte passte erstaunlich gut zu seinen Gedanken von zuvor. „Äh... gehörst du zu uns?“ Er musterte verwirrt die unbekannten Fellklamotten und Sanan lächelte bestürzt. „Vielleicht...“ Dann wendete er den Speer und schlug den Mann bewusstlos. Er wusste, dass es seine Chance gewesen wäre, eine Bestie zu töten... aber er brachte das einfach nicht über sich. Unweit entfernt hörte er einige andere Bestien wütend schreien... sie hatten versucht, um das ganze Geschehen herum zu schleichen und das Lager selbst von der anderen Seite anzugreifen – und damit alle Frauen und Kinder zu töten. Wie heimtückisch... Und er erschauderte, als er erkannte, dass es nur die Zwillinge waren, die jenen Versuch bemerkt hatten und nun zu vereiteln versuchten. Sie waren kräftig und stark... aber erst zwölf Jahre alt. Und zu zweit gegen drei erwachsene Kalenao. Verzweifelt ließ er seinen Blick über die Schlacht schweifen, bloß um mit Gram festzustellen, dass er der einzige war, der die Gefahr bemerkt hatte. Dann musste er eben selbst eingreifen... als er sich umdrehte, wich er damit versehentlich einem nach ihm geworfenen Feuerzauber aus. Als er sich der Gruppe näherte, wandten die Angreifer ihm den Rücken zu; Novaya und Semliya bemerkten ihn. Letzterer schenkte ihm einen Blick, der ihn erschaudern ließ – und noch ein weiteres Mal, als die Götter ihm die Botschaft, die darin gesteckt hatte, mitteilten. Greife sie von hinten an. Sie rechnen nicht damit! Verblüfft von dem vermutlich sehr starken Geist des Jüngeren hob er im Rennen seinen Speer und zwang sich, sich für sein eigenes Volk – den Schlangenstamm – zu überwinden. Die Götter zischten in seinem Kopf, sagten Dinge, die er nicht verstand und ihre Anwesenheit war stärker als jemals zuvor in seinem Leben. Dennoch waren sie nicht mit ihm, denn noch ehe er den Speer tief in den Rücken des – für Kalenao-Verhältnisse – kräftigsten Angreifers hatte rammen können, drehte der sich zu ihm um und der Schaft brach ungewöhnlich leicht ab. Er hatte nicht mehr die Gelegenheit, sich darüber zu wundern, warum das Holz plötzlich so brüchig war, da packte der etwas Größere ihn bereits unsanft am Hals, diabolisch seine Zähne fletschend. „Was willst du denn? Du bist ja das mit Abstand... schlechteste Exemplar Mensch, das mir jemals untergekommen ist!“ Zur Irritation des Mannes grinste Sanan darauf. Vielleicht war es Zeit, für Klarheit zu sorgen. „Ich bin besser als jeder Mensch – und jede Bestie.“ Verblüfft von seinen Sprachkenntnissen ließ der Fremde ihn sofort los, als er ihm mit aller Macht in den Bauch trat, zurücksprang und den übriggebliebenen Schaft wieder aufhob. Er hatte gelernt, auch ohne die Spitze konnte es ganz schön schmerzhaft sein, von so einem Ding getroffen zu werden... Er zuckte auf das wilde Kampfgeschrei der Zwillinge hin zusammen; natürlich, die waren auch noch da. Die jungen Männer hatten ihre Strategie offenbar geändert, sie stürzten sich zu zweit auf einen der übrigen Angreifer, der daraufhin auch tatsächlich Mühe hatte, sie abzublocken, dabei den letzten jedoch völlig außer acht lassend. Das war ein Fehler, den er den beiden nicht unbedingt zugetraut hätte – aber verdammt, sie waren zwölf Jahre alt! Andere Jungen in ihrem Alter saßen nun bei ihren Müttern im Lager! „Novaya, Semliya, passt auf den...“ Er kam nicht dazu, ihnen zur Hilfe zu eilen, denn plötzlich stand der Mann mit der Speerspitze im Rücken wieder neben ihm und packte ihn abermals am Hals. Natürlich, so schnell war der nicht tot zu kriegen... Er ließ in seiner freien Hand einen Wasserwirbel entstehen und Sanan schnappte empört nach Luft, als er bemerkte, dass er es nicht sofort schaffte, sich zu befreien. Die Götter in seinem Kopf zischten lauter und trieben ihn dazu, seinen Blick von dem tödlichen Zauber unmittelbar vor seinem Gesicht abzuwenden und zu den Zwillingen zu blicken, die sich einem der Magier mit leidenschaftlicher Brutalität widmeten, den anderen jedoch überhaupt nicht mehr bemerkten. Diese Männer waren nicht dumm... der eine ließ sich absichtlich so drangsalieren, damit sein Kumpane ungestört angreifen und die lästigen Jungen vernichten konnte. Diese hinterlistigen... er spürte, wie ihm vor Wut heiß wurde; dann bemerkte er plötzlich ein Krachen und sein Gegenüber ließ ihn los, der Wasserwirbel verschwand. Vor seinen Füßen hatte sich eine kleine Spalte aufgetan, in die einer der Füße des Kerls abgerutscht war; vielleicht war der jetzt gebrochen, sein schmerzerfüllter Aufschrei und sein zeitgleich schwindendes Interesse an der Schlacht sprachen immerhin dafür. Fasziniert von seinem kleinen, unwissentlich ausgeführten Zauber bemerkte er den des dritten Angreifers erst, als ihm Staub in die Augen wehte. Als sein Blick wieder klar war, erkannte er, dass jener wohl auch Erdmagier sein musste – und ein wesentlich besserer als er selbst es war. Geschockt starrte er über sich; die ganze Luft war voll von großen und noch größeren Brocken aus Gestein und Erde, die der Mann mit sagenhafter Leichtigkeit und bloß einer einzigen ausgestreckten Hand kontrollieren konnte. Zeitgleich begann auch der, der sich so bereitwillig von den Brüdern niederprügeln ließ in seiner Pein zu lachen; er wusste, was geschehen würde. „Passt auf! Lasst ihn los, lauft! PASST AUF!“ Die Zwillinge sahen verblüfft auf, weiteten synchron die hellblauen Augen und beinahe hätte Sanan geglaubt, er hätte es geschafft, sie rechtzeitig zu warnen, da geschah etwas, womit er nicht gerechnet hätte. Novaya sprang augenblicklich auf und hechtete los, Semliya nicht. Er hob den Kopf nur kurz, sah seinem Zwilling nach, zischte und griff dann wieder nach seinem Speer, um das, was er begonnen hatte, zu beenden. Sanan hätte ihm gern noch etwas zugerufen, als der fremde Erdmagier seinen Zauber losließ und ein Regen aus Gestein auf sie niederging. Mehr instinktiv riss Sanan darauf selbst die Arme in den Himmel, um die Gefahr irgendwie abzuwenden und war überrascht darüber, dass es ihm sogar irgendwie gelang. Semliya nutzte dies dazu aus, den von seiner nicht vorhandenen Furcht überrumpelten Prügelknaben gewissenhaft aufzuspießen. „Jetzt steh endlich auf und mach, dass du wegkommst, du Spinner!“, rief der ewige Freund der Zwillinge ihm darauf erbost zu, als er sich sicherheitshalber vor ihn gestellt hatte und Böses ahnte, als der Magier das Gesicht zunächst vor Gram verzog und dann mit einer Handbewegung neue, größere und gefährlichere Brocken in die Lüfte erhob. Semliya drehte dem ganzen Spektakel den Rücken zu. „Wozu? Du kannst das doch wunderbar. Sobald er aufgehört hat, zu röcheln, bin ich fort, keine Sorge...“ Sanan zischte vor Wut. Wunderbar? Er hatte keine Ahnung, was er tat, wie er es tat, und vor allen Dingen, ob er es bei den gewaltigen Brocken, die da auf sie zukamen, lange weiter würde tun können. „Ich kann dich nicht beschützen, steh auf! Renn weg!“, versuchte er es abermals und bemerkte wie jede Faser seines Körpers unter der Magie, die er plötzlich in einem bisher unbekannten Ausmaß nutzte, zu brennen begann. Es tat weh und machte ihn müde, seine Arme und seine Beine wurden mit jedem Brocken, den er abwehrte schwächer. Er würde es nicht mehr lange schaffen... „Na los doch, lass ihn verrecken, folge endlich Novaya!“ Kleinere Steine schlugen ihm gegen die Schenkel und er schnappte nach Luft, bemerkend, dass er den nächsten Schwall auf keinen Fall würde abhalten können. Was war nur los mit ihm? „Ich bin aber nicht feige! Ich nicht!“ Dafür aber ein ganz furchtbarer Tölpel. Sanan erschauderte beim Anblick der nächsten Ladung... und fällte eine Entscheidung. „Ich werde jetzt gehen!“ Er hatte die Zwillinge auf eine abstruse Art gern und er war auch bereit, ihnen zu helfen – aber für sie sterben wollte er nicht unbedingt, zumindest nicht, wenn sie es sich nicht auch verdienten. Und das tat Semliya im Moment definitiv nicht. „Dann hau doch ab!“ Das ließ er sich nicht ein weiteres Mal sagen, und erschöpft ließ er die Arme sinken, drehte sich um und rannte. Trotz seiner vorangegangenen Reaktion fiel ihm ein Stein vom Herzen, als er die Schritte des Jüngeren unmittelbar hinter sich vernahm... und dann einen Schrei und ein unschönes Knacken. Noch in dem Moment, in dem er herumfuhr, versiegte der Steinregen mit dem unschönen Geräusch eines Speeres, der sich durch Fleisch bohrte. Novaya war zurückgekehrt und hatte den Erdmagier erledigt. Sanans Aufmerksamkeit lag jedoch weniger bei ihm als bei seinem Bruder, der unmittelbar hinter ihm zu Boden gegangen war und nun mit dem Gesicht im Dreck lag, neben ihm ein blutverschmierter Brocken. Mahrran wusste nicht, wie ihm geschehen war und er wusste nicht mehr, was ihn antrieb, doch er erkannte, auf wen er zusteuerte und schließlich auch, dass seine Götter ihn gut führten. Er grinste und war zum ersten Mal in seinem Leben darüber erleichtert, zumindest ein klein wenig Sehfähigkeit zu besitzen... er wollte doch sehen, ob Kili ihrem Bruder ähnelte. Moconi war leicht zu erkennen, er trug den typischen Federschmuck, den man vor dem Dorfoberhaupt schon mehrmals erwähnt hatte. Der Häuptling war ein groß gewachsener Mann, kräftig und im Gegensatz zu seiner Schwester extrem gebräunt, mit Sicherheit dunkler als die meisten anderen Menschen es waren. Seine Augen funkelten in einer feindseligen Verzweiflung, während er sich gleich mit zwei Männern aus dem Ekarett-Clan herumschlug... denen würde Mahrran Abhilfe leisten. „Schert euch fort!“, rief er seinem eigenen Gefolge zu, „Den erledige ich.“ Sie nickten gehorsam und Moconi fuhr augenblicklich zu ihm herum, als die beiden anderen verschwanden. Mahrran hielt wenige Fuß vor ihm inne und zeigte ein diabolisches Grinsen. Er erkannte ihn... er spürte es. „Du bist Mahrran, ihr... Herr.“, stellte er in seiner eigenen Sprache fest und sein Gegenüber nickte, seinen eigenen Speer langsam gegen ihn richtend; er tat es ihm gleich. Er ging davon aus, dass er mit „ihr“ wohl das Volk der Kalenao meinte... Shiran sprach schließlich mit ihm. „Gut erkannt. Und ich... werde dich und dein Volk in die Knie zwingen!“ Er wusste nicht, ob er die richtigen Worte verwendet hatte, es war ihm auch egal, die Götter sagten ihm, dass der andere ihn verstand. „Wenn du das kannst. Aber sag mir zuerst, was du mit meiner Schwester gemacht hast!“ Auf seine beinahe verzweifelt klingende Aufforderung hin musste Mahrran lachen – sein kranker Brustkorb dankte es ihm nicht. „Nichts. Kili geht es wunderbar, keine Sorge. Sie braucht dich nicht... niemand braucht dich!“ Und er stieß zu. Es wunderte ihn nicht, dass er mit seinem Angriff nichts erreichte, Moconi war ein geschickter Jäger und konnte mit nur einer geschmeidigen Bewegung, in der er seinen eigenen Speer umdrehte, ausweichen. Dann drehte er sich halb um und schlug aus einer lockeren Handbewegung heraus nach Mahrran. Es wäre ihm nicht schwer gefallen, auszuweichen, doch noch während er es versuchte, kribbelte der Husten in seinem Hals und alles was er tun konnte, war sich zu ducken und dann den nächsten Schlag in voller Härte abzubekommen. Er verlor das Gleichgewicht und ging hustend zu Boden. Die Atemnot unterband seinen Verstand, alles, was er wollte, war Luft; dass der Häuptling der Menschen ihm die Spitze seines perfekten Speeres an die Halsschlagader hielt oder dass um ihn herum eine Schlacht im Gange war, bekam er plötzlich nicht mehr mit. Um ihn herum wurde es leise. Die Stimmen der Götter waren das Einzige, was er hörte... sie nannten ihn ein törichtes Kind und er fragte sich, ob sie ihn verlassen würden, als alles um ihn herum schwarz wurde. Moconi rechnete nicht damit, dass es nun noch jemand wagen würde, ihn anzugreifen, umso überraschter war er, als mit einem kurzen Aufblitzen ein fremder Krieger der Kalenao vor ihm erschien, mit einer Hand sofort seinen Speer zurück und von Mahrrans Hals fort drückend. Chigaru vermochte nicht, die Sprache der Menschen zu sprechen; er schenkte dem Häuptling bloß einen sehr tiefen, eindringlichen Blick, der ihm zu verstehen geben sollte, dass sie ihre Niederlage anerkannten. Dass er darauf bloß errötend die Brauen hob, war dem Mann dann letztendlich auch egal, er bückte sich zu seinem bewusstlosen Anführer, ihn sich mit etwas Mühe über die Schulter werfend. Der Häuptling hatte unterdessen wohl doch verstanden und eine Hand gehoben, seinen eigenen Männern in seiner Sprache wohl etwas zurufend, was sie dazu anhielt, die Kampfhandlungen einzustellen, worauf alle Blicke auf ihm, Mahrran und Chigaru lagen. Das traf sich gut; Moconi war weder ein dummer, noch ein schlechter Mann. „Wir werden zurückkehren. Sofort.“ Die Magier starrten ihn geschlossen verblüfft an, während die menschlichen Krieger verwirrt zu tuscheln begannen. Der Häuptling musterte ihn aus scharfen Augen, sprach jedoch kein weiteres Wort. „Bist du verrückt?! Wo wir jetzt so nah dran waren?!“ Es überraschte ihn nicht wirklich, dass die ersten Widerworte von Irlak kamen, der nun mit blutverschmierter Visage und wahnsinnigem Blick vor ihm auftauchte. Chigaru rührte sich nicht weiter, verlagerte bloß Mahrrans Gewicht etwas, als er ihm ruhig antwortete. „Wir können nicht ohne unseren Herrn weiterkämpfen. Wir müssen auf der Stelle zurückkehren, ohne Pausen, sonst wird er sterben.“ Darauf verstummten alle Kalenao. Aus Irlaks Blick wich der Wahnsinn nicht – er fiel sehr schnell in einen sehr starken Blutrausch, der auf ihn wie eine den Geist vernebelnde Trance wirkte. Dennoch schien es in seinem Kopf zu arbeiten, seine Augen huschten hin und her, als stünde er unter Rauschmitteln, dann nickte er langsam. „Aber... wir kommen hierher zurück.“, er drehte sich zu Moconi um, um ihm jene Worte ins Gesicht zu schreien, „Wir kehren zurück, hörst du, du Hornochse! Und dann... gibt es ein Festmahl! Für uns! Aber... ihr seid eingeladen...“ Er lachte wahnsinnig und der Häuptling erwiderte irgendetwas beinahe gelangweilt klingendes in seiner eigenen Sprache. Chigaru schenkte ihm einen kurzen, entschuldigenden Blick – der prompt abermals falsch verstanden wurde – und verschwand dann mittels Teleport. Eine kleine Gruppe, bestehend aus den unversehrtesten Männern, ging mit Mahrran vor, die anderen folgten langsamer, denn es gab einige Schwerverletzte – und auch gänzliche Verluste. Chigaru war sich nicht sicher, ob Mahrran es schaffen konnte; er war kein Seher. Aber er wusste, es würde schlecht für das Dorf werden, wenn er verstarb. Nicht unbedingt, weil er als Dorfoberhaupt so absolut fabelhaft gewesen wäre, aber die Zeiten waren schwierig und das Volk brauchte eine feste Hand, die es führte. Da Nadeshda momentan wegen ihrer vermeintlichen Schwangerschaft nicht weiter öffentlich agieren konnte, würde die durch Mahrrans Verlust zunächst verloren gehen... und das konnte unter Umständen gefährlich werden. Es bestand dringender Handlungsbedarf. „Dein Vater wäre stolz auf dich.“ Er blickte neben sich, wo ein bekanntes Gesicht aufgetaucht war. Der ältere Mann aus seiner Straße, der überhaupt dafür verantwortlich war, dass er nun derart das Bedürfnis hatte, sich nach bestem Wissen und Gewissen um diese ganze problematische Sache zu kümmern, war neben ihm aufgetaucht und lächelte ihn nun munter an. Wie schön, wenigstens der war wohlauf. „Ich kann mich nicht sonderlich an ihn erinnern, aber danke.“ Kurz fragte er sich, was er denn wohl besonderes getan hatte, was Stolz gerechtfertigt hätte, da wechselte der Ältere das Thema. „Das mit Mahrran sieht schlecht aus. Er hätte niemals mitgehen dürfen. Eigentlich müsste er dem Häuptling dankbar sein, dass er so viel Gnade hat walten lassen...“ Das war wahr, nachdem Chigaru aufgetaucht war, hatte er sich nicht mehr gerührt, obwohl es ihm ein leichtes gewesen wäre, den Herr der Kalenao in jenem Moment endgültig zu töten. Vielleicht hatte er die Situation aber auch so weit durchschaut, dass ihm klar geworden war, dass sich das wohl bloß als Energieverschwendung herausstellen würde und hatte es deshalb getan, wer wusste es schon. „Man sollte aus dem heute eine Lehre ziehen. Das Land ist weit, es ist nicht nötig, darum zu kämpfen. Es macht die Götter zornig.“ Der alte Mann nickte missmutig. „Wie man an Mahrran sieht.“ Es war ein kühler, dunstiger Morgen, als sie das Dorf an der Küste erreichten. Entweder hatte irgendwer einen lichten Moment gehabt oder jemand von denen, die den Herrn zurückgebracht hatten, hatte zu viel gesprochen, denn alle möglichen Frauen, Kinder und zurückgebliebenen Männer standen auf den Straßen und Wegen und versammelten sich nahezu wortlos mit dem Zug an erschöpften und verletzten Kriegern auf dem Dorfplatz. Doch es war niemand da, der zu ihnen sprechen wollte. „Solltet ihr nicht lieber nach Hause gehen?“, erkundigte sich der alte Mann laut, „Seht euch eure Männer an, sie sind erschöpft, bringt sie heim! Hier ist niemand, der zu euch zu sprechen gedenkt!“ „Aber wir wollen, dass jemand zu uns spricht, Onkel!“ Es war die sehr vollbusige Frau, die sich hervortat, erschöpft, bleich und zitternd. „Mein Mann ist nicht zurückgekehrt. Meine Brüder sind verletzt, wenn ich das jetzt richtig gesehen habe. Sollte das nicht der ultimative... Sieg werden? Was ist geschehen?!“ Der Mann fuhr sich seufzend durch sein helles Haar und Murmeln ging durch die Reihen. Er verstand, dass sie Auskunft wünschten... er wünschte sie sich auch. Aber von wem? „Hör zu, mein Kind, wie du siehst, haben wir nicht gesiegt. Die Götter standen auf der Seite der Menschen, auch wenn es schwer ist, wir müssen das akzeptieren.“ „Akzeptieren?!“, mischte sich eine andere, ältere Frau zischend ein, „Akzeptieren, dass wir hier verhungern müssen in diesem schlechten Land?! Akzeptieren, dass wir... schlechter sind als die Primitiven?! Diese Schande!“ Sie fuhr sich durchs Gesicht und aus einigen Ecken ertönten empörte Rufe. „Mir ist egal, ob Nadeshda sich hat schwängern lassen und nicht heiraten will, sie soll bloß ihren kleinen Hintern hierher bewegen und uns bei allen Göttern sagen, was wir nun zu tun haben!“, empörte sich ein sehr junger, offenbar am Arm verletzter Mann, der gerade erst zurückgekehrt war und sich nun an einem Mädchen stützte, das ihn bloß betroffen musterte. Der ältere Mann seufzte. Er fühlte sich unwohl unter den ganzen anklagenden Blicken, die mit einem Mal auf ihm lagen, bloß weil er als erstes gesprochen hatte, und schenkte Chigaru einen hilfesuchenden Blick. Er reagierte nicht sichtbar darauf, half ihm jedoch trotzdem. „Ich werde zum Haus der Himmelskinder gehen und klären, wie es nun weiter geht. Geht so lange nach Hause... wenn ihr es wünscht, spreche ich heute Abend zu euch.“ „Natürlich wünschen wir es!“, schnappte die vollbusige Frau, nickte ihm jedoch anerkennend zu. Dann drehte sie sich um und verließ den Platz, worauf sich auch die restliche Versammlung murmelnd auflöste. Chigaru sah ihnen brummend nach. „Das waren gute Worte.“, lobte der Alte ihn erfreut darüber, dass er nun aus dem Schneider war und der Jüngere schüttelte nur den Kopf. „Ich bin kein Redner.“ Aber aus irgendwelchen Gründen hatte er das dringende Bedürfnis, sich um die Zukunft des Dorfes zu kümmern, wenn es denn nötig war – und das war es definitiv, denn er sah jene Zukunft in großer Gefahr. Mabalysca öffnete ihm, als er kurz darauf bei den Tankanas anklopfte. Sie kannte ihn nicht, also musterte sie ihn misstrauisch, obwohl Chigaru sich sicher war, dass ihre Götter ihr sehr genau mitteilten, dass er keine Gefahr war. „Wer bist du und was willst du?“, fragte sie dennoch in einem etwas weniger freundlichen Ton und er neigte höflich den Kopf leicht vor ihr. „Mein Name ist Chigaru Tamassy, junge Herrin. Ich wünsche Eure Schwester zu sprechen; oder Euren Bruder, falls ein Wunder geschehen sein sollte.“ Die junge Frau hob kurz die Brauen, dann verhärtete sich ihr Ausdruck wieder und sie schnaubte säuerlich. „Deinen Namen habe ich noch nie gehört. Mein Bruder ist krank und meine Schwester möchte niemanden sehen, also verschwinde.“ Das hatte er sich gedacht, aber so einfach ging das nicht. Die Tankana-Zwillinge waren zu früh an die Macht gekommen, sie waren fast noch Kinder gewesen und niemand hatte ihnen beigebracht, wie es anständig zu regieren galt. Das machte sich in solchen Situationen sehr deutlich bemerkbar. „Ich vertrete das Volk.“, sprach er so unaufgefordert weiter, „Es verlangt dringend Antworten. Im Dorf herrscht Verzweiflung. Ich möchte Eure Schwester sprechen – gegen welche Heiratsregel auch immer sie gerade verstößt, ist mir dabei im übrigen relativ egal.“ Darauf herrschte kurz Stille. Chigaru fragte sich schließlich, ob er wohl irgendetwas besonderes an sich hatte, als auch Mabalysca leicht errötete und dann den Blick von ihm abwandte. „Ich will sehen, was ich machen kann.“ Dann schloss sich die Tür für eine Weile. Als sie wieder geöffnete wurde, bat man ihn herein. Nadeshda erwartete ihn im Kochzimmer. Tatsächlich zeichnete sich unter ihrem Kleid ein mehr als deutlich gerundeter Schwangerschaftsbauch ab, auf dem ihre zierlichen Hände ruhten, und sie errötete, als er den Raum betrat und sie musterte. Das war nun schon die dritte... „Setze dich zu mir.“, bat sie ihm darauf dann unerwartet höflich an und deutete neben sich auf die Holzbank, auf der auch sie Platz genommen hatte. Der Mann hielt es für ratsamer, ihrem Angebot nachzukommen. Er musste nichts sagen, sie schnitt ihm sofort das Wort ab und wirkte dabei überraschenderweise etwas verlegen. „Ich kann mir denken, warum man dich schickt. Ich spüre die Verzweiflung des Volkes, es... ist doch auch meine Verzweiflung. Und ich will ehrlich sein, ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Sie wandte den Blick ab. „Ich selbst kann kaum etwas tun. Hinzu kommt die Sorge um Mahrran... es geht ihm sehr, sehr schlecht, Alaji wacht immerzu über ihn.“ Als sie schwieg, räusperte er sich verhalten. „Und... was sage ich dem Volk nun?“ Sie sah wieder zu ihm, blickte ihm in die Augen und irgendwie beschlich ihn das Gefühl, dass er für sie kein Fremder war. „Die Götter haben gesprochen.“, erklärte sie dann leise, „Rate ihnen, sich zunächst einmal auszuruhen. Ich sorge für Nahrung... es wird noch etwas reichen, wenn wir nicht verschwenderisch sind. In der Zeit hast du den Auftrag, dir den nächsten Schritt zu überlegen. Man... riet mir, dir zu vertrauen, Fremder.“ ------------------- Armer Semmi ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)