Fate von ChiaraAyumi (A next generation story.) ================================================================================ Kapitel 16: Fate reveals his true colors ---------------------------------------- Roxanne wanderte auf einem Scherbenmeer. Jeder Schritt zerschnitt ihre Füße weiter, doch sie konnte nicht aufhören weiter voranzugehen. Sie hatte das Gefühl das Blut in ihren Adern pochen zu hören und ihr war furchtbar schwindelig, doch der Schmerz ließ sie bei Bewusstsein bleiben. Wohin steuerte sie bloß? Vor ihr breiteten sich nur noch mehr Scherben aus und hinter ihr sah es genauso aus mit dem Unterschied, dass diese bereits rot verfärbt waren von ihrem Blut. Sie musste anhalten und hier raus. Obgleich sie sich mit aller Macht zwang stehen zu bleiben, gelang es ihr nicht ihren Körper zu kontrollieren. Ihre Füße waren nur noch eine blutige Masse, aber das Ende war noch lange nicht in Sicht. Der Dunkelhaarigen rannen die Tränen vor Schmerz übers Gesicht. Das hier konnte nur ein Alptraum sein. Es musste einfach ein Alptraum sein. Sie träumte und verarbeitete ihren Schmerz über den Verlust von Lily und Lysander. Sie musste an ihren Bruder denken, den es innerlich zerrissen hatte. Wanderte er im Schlaf auch über Scherben? Spürte er den Schmerz oder blieb er so teilnahmslos wie sie ihn zuletzt gesehen hatte? Hatte ihr Bruder überhaupt noch Träume oder war alles für ihn ins Dunkle getaucht, da er sein Licht verloren hatte? Für Roxanne schien die Tortur endlich ein Ende zu haben, denn das Meer aus Glas endete und sie sank erleichtert auf den Grund. Sie brauchte ihren Zauberstab um die Blutung ihrer Füße zu stoppen, aber sie hatte ihn nicht bei sich, also zerriss sie ihr Kleid und wickelte ihre Füße in behelfsmäßigen Bandagen, die sich augenblicklich voll sogen. Roxanne blieb einfach sitzen, biss die Zähne zusammen und hoffte, dass sie bald aufwachen würde. Sie musterte ihre Umgebung. Das Scherbenmeer war verschwunden und um sie herum war nichts außer Sand. Die Sonne prallte auf ihren Rücken und sie fühlte sich elend. Sie brauchte Wasser um ihre Wunden zu versorgen und um ihren Durst zu löschen. Kaum hatte die Weasley diesen Gedanken gehabt, erschien eine Oase inmitten des Sandes. Roxanne zwang sich noch ein letztes Mal auf die Beine zu kommen, obwohl die Schmerzen unerträglich waren und ihre Füße auf dem heißen Sand brannten. Aber sie würde jetzt nicht klein beigeben. Sie war eine Kämpferin und so biss sie sich verbissen auf die Lippe während sie sich schwankend und beschwerlich auf den Weg in Richtung der Oase machte. Roxanne hatte das Gefühl ohnmächtig werden zu müssen, doch sie schaffte es mit letzter Kraft zur Oase und sank neben dem Wasserloch zu Boden. Schweißperlen liefen ihr über das Gesicht und sie schöpfte mit ihren Händen Wasser um ihren Durst zu löschen. Das Wasser schmeckte seltsam metallisch. Roxanne blickte auf die rote Flüssigkeit zwischen ihren Handflächen und schrie vor Entsetzen auf. Sie robbte mit Schrecken von dem mit Blut gefüllten Loch weg. Dann wurde alles schwarz vor ihren Augen. Das kalte Wasser, das über sie geschüttet wurde, riss Roxanne aus ihren Alptraum. Verwirrt blickte sie sich um und stellte fest, dass ihre Hände über ihrem Kopf gefesselt waren. Ihre Füße waren wie in ihrem Traum nur noch eine blutige Masse und der Schmerz lähmte ihre Sinne. Was war mit ihr passiert? Wo war sie? „Na wie hat dir dein persönlicher Alptraum gefallen?“, ertönte eine Stimme irgendwo hinter ihr. Roxanne kannte diese eindringliche Stimme. Sie versuchte sich nach ihrem Besitzer umzudrehen, doch die Fesseln schnitten ihr bei dieser plötzlichen Bewegung ins Fleisch. Liam trat aus dem Schatten hinter ihr ins Licht und genoss diesen Augenblick sicher sehr. Roxanne verstand nicht wie sie hierher gelangt war. Sie konnte sich an nichts erinnern. Sie wusste nicht wo sie war, aber sie konnte sich denken was passiert war. Sie hatte nicht aufgepasst und war unter die Manipulation des Puppenspielers gefallen. Ihre Wut und ihre Trauer mussten sie angreifbar gemacht haben. Sie stöhnte bei dieser Erkenntnis auf. Liam grinste diabolisch und kam näher. „Wir werden unsere Spaß haben während wir auf den Rest warten nicht wahr? Ein bisschen Folter zum Zeitvertreib.“ Er hielt eine Peitsche in der rechten Hand und bevor Roxanne noch die Chance hatte sich mental auf den kommenden Schmerz vorzubereiten, hatte Liam bereits ausgeholt und der Peitschenhieb traf sie an der linken Schulter. Ihr Schmerzensschrei hallte hundertfach von den Wänden wieder.   ~~~   Scorpius hatte die erstbeste Chance genutzt sich wieder aus dem Anwesen zu stellen. Er hatte sich einige Stunden ausgeruht, aber dann hatte er es nicht mehr drinnen ausgehalten. Die Atmosphäre war von Trauer und Hilflosigkeit getränkt gewesen und er hatte das Gefühl gehabt darin ersticken zu müssen. Seine Mutter hatte ihn bei seiner Rückkehr verzweifelt angefleht unter keinen Umständen mehr Malfoys Manor zu verlassen. Sein Vater hatte die Bewachung des Anwesens verstärkt und doch war Scorpius ungesehen herausgekommen. Er seufzte, wusste er doch, was das bedeutete. Der Puppenspieler schien keine Pause einzulegen und er hatte im Gefühl, dass sich das Ende dieses Wahnsinns langsam näher schlich wie eine meterhohe Welle, die sich über ihm auftürmte und nur noch darauf wartete ihn mit aller Macht fortzuspülen. Er wollte nicht untätig abwarten bis dieser Moment kam. Er musste etwas tun. Er hatte gehört wie die Erwachsenen darüber gesprochen hatten einen gewissen Paul Hyde inhaftiert gehabt zu haben aufgrund des Verdachts, dass er der Puppenspieler sein könnte. Er war nur wenige Stunden später auf unerklärter Weise entkommen. Falls er wirklich der Puppenspieler war, konnte es sein, dass er jemand dazu manipuliert hatte ihm bei seiner Flucht zu helfen. Es war die einzige Spur, die Scorpius bezüglich des Puppenspielers hatte und er hoffte wieder auf Rose zu treffen. Ein letztes Mal würde er es noch versuchen. Er schien bei ihr fast das Ende des Tunnels erreicht zu haben, doch er fürchtete, dass er den Ausgang verschüttet vorfinden würde. Die Gestalt am Ende der Straße tauchte mit einem Plopp auf. Scorpius erkannte den ehemaligen Hausmeister sofort und ballte wütend die Hände zu Fäusten zusammen. Er wollte das verschmitzte Grinsen dieses Kerls aus seinem Gesicht wischen. Er war Schuld an dieser ganzen Situation. Wenn es ihn nicht gegeben hätte, wäre alles anders verlaufen. Seine Erinnerung nahm ihn zurück zu jenem verhängnisvollen Tag.   Das letzte Treffen der Vertrauensschüler in diesem Schuljahr war gerade zu Ende gegangen und alle waren aus dem Raum herausgestürmt. Es waren nur noch er und Rose Weasley im Raum. Rose war dabei die Fenster zu schließen, die während der Versammlung geöffnet worden waren, damit kühlere Luft in den überhitzten Raum kam. Scorpius hätte gehen können, doch er konnte seine Augen nicht von Rose nehmen, die in ihrem blaugeblümten Kleid heute besonders bezaubernd aussah. Gleich würde sie sich wieder zu ihm umdrehen und feststellen, dass er noch da war und sie unverholt anstarrte. Er konnte schon genau vor Augen sehen wie sie die Augenbraue hochziehen würde und ihn wütend ansehen würde. Dann würde sie laut schnauben, sich ihre Tasche schnappen und den Raum verlassen. Bevor das passieren konnte, nahm er sich ihre Tasche vom Boden. So schlug er mehr Zeit mit Rose alleine in einem Raum heraus. Sie würde nur noch wütender werden und ihn anschreien. Vielleicht würde sie auch versuchen ihn zu verhexen. Dann musste er sich schnellstmöglich aus dem Staub machen, denn sie war nicht umsonst die beste Duellantin im Duellierklub. Rose war am letzten offenen Fenster stehen geblieben und sah verträumt hinaus in Richtung See. Sie hatte scheinbar nicht bemerkt, dass er noch hier war. Er konnte nicht widerstehen und musste sich langsam an sie heranschleichen. Er packte sie von hinten und sie erschrak. Sie drehte sich wütend um und plötzlich waren sie sich so nah. Sein Herz fing an schneller zu schlagen. Ihr stieg die Röte ins Gesicht, als ihr klar wurde wie dicht sein Gesicht ihrem war. Es fehlten nur Zentimeter, die er so schnell überbrücken konnte und sie hier und jetzt küssen konnte. Doch er tat es nicht. „Wer hat eigentlich so einen schlechten Modegeschmack? Ist das das Kleid deiner Großmutter?“ Sie stieß ihn wütend von sich und funkelte ihn an. Der magische Moment war damit vernichtet und alles war wie immer. Rose wollte davon stürmen, bemerkte aber, dass er ihre Tasche hatte. „Gib mir meine Tasche zurück“, befahl sie und er konnte schon sehen wie sie kurz davor stand zu explodieren. Er hätte stoppen können, ihr die Tasche zurückgeben können und sie für heute ziehen lassen können. Doch er konnte nicht aufhören sie zu reizen. „Dann hol sie dir doch wieder zurück, kleine Rosie“, erwiderte er und hielt ihre Tasche hoch. Wie er erwartet hatte, explodiert sie bei der Erwähnung ihres Spitznamens. Doch was kam überraschte ihn. „Du bist so ein verdammter Idiot“, fauchte sie ihn wütend an. „Ein dreimal verfluchter Idiot. Ich kann wirklich nicht verstehen, wie mein Herz schneller schlagen kann, wenn ich dich sehe, denn ich bin definitiv nicht in dich verliebt.“ Rose schnappte erschrocken nach Luft und schlug sich mit der Hand vor den Mund, als könnte sie sich so davon abhalten weiterzureden. Doch es war längst zu spät. Die Worte waren heraus und er starrte sie ungläubig an. Hatte er sie gerade richtig verstanden? Hatte sie ihm gerade gestanden, dass sie sich in ihn verliebt hatte? Roses Gesicht hatte sich knallrot verfärbt. Sie trat schnell auf ihn zu, schnappte sich ihre Tasche und dann rannte sie – als ging es um ihr Leben – aus dem Raum heraus. Er nahm einen tiefen Atemzug und setzte Rose nach. Doch er stolperte und fiel kaum,  dass er aus der Tür herausschoss. Er blickte hoch und sah in das grinsende Gesicht des Hausmeistergehilfen. Ihm wurde klar, dass der Idiot ihm gerade ein Bein gestellt hatte, damit er Rose nicht hinterher rennen konnte. Scorpius schäumte vor Wut über und sprang auf. Er hatte zum Schlag ausgeholt bevor er noch eine weitere Sekunde darüber nachgedacht hatte. Mr. Greaves fing seinen Schlag geschickt ab und wenige Sekunden später drückte er Scorpius zu Boden. Er versuchte sich gegen den Griff zu wehren und strampelte mit aller Kraft, doch er kam nicht frei. Mr. Greaves lachte. „Ich bin überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass du das Mädchen ernsthaft magst. Du warst immer so ein kleines Arschloch zu ihr. Traurig, dass sie sich in einen Kerl wie dich verliebt hat.“ Der Hausmeistergehilfe beugte sich dicht zu ihm herunter. „Was hältst du davon wenn ich sie mir schnappe? Ich bin sicherlich viel netter zu ihr und auch besser für sie.“ Scorpius konnte nicht glauben, was er da hörte. Er versuchte diesen Mistkerl von sich abzuschütteln, doch der lachte nur und hielt ihn weiter am Boden fest. Irgendwann hatte er keine Kraft mehr sich zu wehren und musste seine bittere Niederlage hinnehmen. Rose war schon längst verschwunden und er hatte seine Chance vertan ihr die Wahrheit zu sagen. Mr. Greaves ließ ihn los und war verschwunden bevor Scorpius sich wütend auf ihn stürzen konnte. Stattdessen schlug er aufgebracht mit der Faust auf die nächste Wand ein bis er sich wieder beruhigt hatte. Warum hatte er sie nur nicht geküsst als er die Chance dazu hatte?   „Was willst du hier?!“, blaffte Scorpius den ehemaligen Hausmeister an, der mit breiten Grinsen auf ihn zugeschlendert gekommen war. Er hob dabei die Hände hoch, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war, doch das war dem Malfoy scheißegal. Dieses Mal würde er dem Kerl eine pfeffern. „Willst du wirklich eine Wiederholung?“, fragte Greaves ihn herausfordernd. „Ich bin nur gekommen um mit dir zu reden. Über Rose.“ Scorpius hielt inne und bewahrte seine Distanz zu dem ehemaligen Hausmeister. Er hatte keinen Grund diesem Kerl auch nur ein Wort zu glauben. Dieser Mistkerl hatte ihn davon abgehalten Rose die Wahrheit zu sagen. Er hatte mit Rose geflirtet und sie mehrfach in sein Büro eingeladen. Er hatte Rose nach der Schlacht mitgenommen, war mit ihr verschwunden und hatte aus ihr eine Mörderin gemacht. Doch noch während er über all das nachdachte, wusste er, dass das nicht stimmte. Auch wenn er diesen Kerl abgrundtief hasste, konnte er nicht leugnen, dass er sich um Rose gekümmert hatte. Sie getröstet hatte, als er sie nur gereizt und verletzt hatte. „Sie erinnert mich an meine kleine Schwester“, sagte Greaves, als ob er den Gedankengang von Scorpius unterstreichen wollen würde. Der Malfoy blickte ihn an, ließ die Hände aber zu Fausten geballt. Er würde sich dennoch zuerst anhören, was Greaves zu sagen hatte. Dann würde er ihm immer noch einen Schlag ins Gesicht verpassen. „Wenn ich damals schon früher in der Großen Halle gewesen, hätte ich sie davon abgehalten ihren Bruder zu töten. Es hat sie völlig zerstört. Ich hab sie also der Manipulation überlassen, damit sie vergessen kann. Ich hätte sie aufhalten können. Sie unterstützen können. Ich hab gedacht sie wäre verloren und nicht mehr zu retten. Doch ich lag falsch“, gab sein Gegenüber zu. „Du hast gestern in ihr wieder die alte Rose zum Vorscheinen gebracht. Sie ist noch nicht verloren. Du kannst sie immer noch retten. Bevor sie sich endgültig im Wahnsinn verliert, weil sie glaubt, dass wäre die einzige Möglichkeit der Schuld zu entkommen.“ Scorpius starrte Greaves an. Er hatte nicht den blassesten Schimmer was der Kerl plante, aber es klang fast, als würde er sich wirklich aufrichtig um Rose sorgen. Er traute Greaves nicht über den Weg. „Ich werde ihr sowieso helfen. Egal was du sagst. Ich werde sie nicht aufgeben, weil ich sie liebe. Und ich hätte es ihr damals gesagt, wenn du mich nicht davon abgehalten hättest ihr hinterher zu rennen.“ „Damals hattest du sie nicht verdient“, erwiderte Greaves kalt. „Warum sprichst du überhaupt mit mir über Rose? Arbeitest du nicht mit dem Puppenspieler zusammen? Was genau planst du?“, brach Scorpius aufgebracht hervor. Greaves grinste verschlagen. „Nicht mehr. Er bevorzugt übrigens Fate als Namen.“ Entgeistert sah Scorpius Greaves an, der scheinbar seine Aussage völlig ernst meinte. Er fühlte sich von hinten bis vorne von diesem Kerl veräppelt. Er stürzte auf Greaves zu, doch dieser fing wieder seinen Schlag, packte seinen Arm und verdrehte ihn auf seinen Rücken, sodass er ihn wieder ohne Probleme zu Boden drücken konnte. „Die Wiederholung hättet du dir wirklich sparen können“, meinte Greaves trocken. Er machte eine kurze Pause bevor er in trauriger Stimme weiter sprach und seine Geschichte erklärte. „Meine Schwester wurde von einem Zauberer ermordet. Ich wollte meine Rache an der Welt der Zauberer und habe mich Fate deshalb angeschlossen. Aber wenn er dafür Mädchen wie meine kleine Schwester zerstört, wird das nicht die Rache sein, die meine Schwester gewollt hätte. Ich bin fertig mit dieser Sache. Es ist jetzt deine Aufgabe Rose zu retten. Du kannst von mir halten was du willst, aber sie braucht dich jetzt. Also lass dich diesmal nicht aufhalten und tu was du schon vor anderthalben Jahren hättest tun wollen.“ Mit diesen Worten nahm Greaves das Gewicht von ihm und disapparierte auf Nimmerwiedersehen. Scorpius rappelte sich wieder auf. Er spürte das Ziehen der Manipulation in seinem Bauch. Es wurde Zeit, dass er endlich Rose nach Hause brachte.   ~~~   Alice hatte entschieden zuerst zu Malfoys Manor zurückzukehren um Lysanders Notizen zu besorgen. Er musste etwas gewusst haben. Er war schließlich Lysander, der immer eine Antwort auf alles hatte. Damit würde sie anfangen. Dann musste sie die schwarzen Schachfiguren aufspüren und sie alle beseitigen, um an den schwarzen König zu gelangen. Ihr Plan war simpel und Alice hatte nicht vor jetzt aufzugeben. Sie betrat das Anwesen, das seltsam still dalag. Die Trauer um die Gefallenen schien jeden Raum ausgefüllt zu haben und machte das Atmen schwer. Die Blonde ließ sich davon nicht ablenken, sondern steuerte zielgerichtet auf die Bibliothek zu. Sie stellte fest, dass sie nicht die einzige war, die den Plan verfolgte Lysanders Notizen auf Hinweise zu durchsuchen. Dominique saß an der gleichen Stelle wie Lysander es immer getan hatte. Es versetzte Alice einen unerwarteten heftigen Stich. Sie würde ihn nie wieder in seinem Gewühl vorfinden. „Nicht anrühren!“, fauchte Dominique, als Alice nach einem Teil der Notizen griff. „Sorry Alice“, entschuldigte sich die Weasley sofort. „Ich hab alles geordnet und kann es jetzt nicht gebrauchen, dass mir jemand meine Ordnung durcheinander bringt.“ Alice zog ihre Hand wieder zurück und versuchte Dominiques Ordnungssystem zu erkennen, doch sie konnte nicht nachvollziehen nach welchem System die Notizen angeordnet waren. Dominique selbst hatte ein Register in der Hand. Squibregister konnte Alice auf dem Buchrücken entziffern. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte sie, denn sie war nicht gekommen um nichts zu tun. Dominique seufzte. „Leider gerade nein. Ich kann keine Ablenkung gebrauchen. Ich hab eine Theorie, die ich überprüfen will. Aber du könntest versuchen mit Louis zu reden. Er weigert sich mit irgendjemanden zu reden und kommt nicht mehr aus seinem Zimmer heraus. Er braucht dich jetzt dringender, also geh zu ihm.“ Alice musste sich für den Augenblick geschlagen geben. An Louis hatte sie noch gar nicht gedacht, so sehr war sie darauf fixiert gewesen den Puppenspieler zur Strecke zu bringen. Sie sollte kurz nach ihm sehen bevor sie sich um ihren Plan kümmerte. Sie verließ also die Bibliothek und lief den Gang herunter zum Zimmer von Louis und Lysander. Sie zwang sich diesen Gedanken zu korrigieren. Es war nur noch das Zimmer von Louis. Sie klopfte, aber es kam keine Antwort. Sie versuchte die Tür zu öffnen, doch sie war geschlossen. Mit ihrem Zauberstab öffnete sie das Schloss. „Louis?“, fragte sie in das dunkle Zimmer hinein. Es kam keine Antwort, also kam Alice ganz in den Raum hinein. Louis lag nicht in seinem Bett, sondern in dem seines besten Freundes. Er schien zu schlafen und die Blonde entschied schon wieder das Zimmer zu verlassen und ihn schlafen zu lassen, als er aufstöhnte und begann sich zu wälzen. „Bitte töte mich einfach. Bitte tu es einfach!“ Erschrocken über die Worte ihres Freundes schüttelte Alice ihn wach. Louis blinzelte sie überrascht an, doch dann wand er sich mit traurigem Gesicht ab. „Ich will nicht hören, wer wieder verschwunden ist oder getötet wurde. Bitte verschon mich einfach damit. Ich ertrag es nicht mehr.“ Alice erinnert sich an dieses Gefühl. Diese Angst, die sie auffraß, doch jetzt war sie nur schockiert über Louis’ Worte und verpasste ihm eine saftige Ohrfeige. „Wie kannst du sagen, dass du lieber tot wärst?!“, schrie sie ihn an. „Glaubst du Lysander wollte, dass du aufgibst und dich in deinem Zimmer verkriechst? Er hat daran geglaubt, dass wir diese Sache beenden können. Dass wir den Puppenspieler aufhalten und alles zum Guten wenden können. Wir sind verdammt noch mal die Helden dieser Geschichte.“ Louis hielt sich verblüfft die Wange, während Alice ihm die Leviten las. Er sagte nichts, was Alice nur noch mehr aufbrachte. „Ich werde jetzt da raus gehen und diesem Puppenspieler das Handwerk legen. Du kannst gern hier im Dunkeln versauern und bereuen nichts getan zu haben. Ich werde nicht zulassen, dass noch jemand stirbt.“ Damit sprang Alice auf und verließ den Raum. Sie war fast am Ende des Gangs angelangt als Louis sie eingeholt hatte. „Bitte Alice geh nicht“, flehte er sie an.  Sie wollte etwas darauf erwidern, doch auf einmal breitete sich ein Nebel in ihrem Kopf aus und ihr entglitt der Gedanke.   ~~~   Annie versuchte tief durchzuatmen. Die Bilder aus ihren Träumen spuckten ihr auch im Wachzustand durch den Kopf und ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Aber sie konnte jetzt nicht auf halbem Weg schlapp machen. Sie hatte es Lysander versprochen und sie konnte unmöglich den letzten Wunsch ihres verstorbenen Freundes nicht erfüllen. Adam machte sich bestimmt schon schreckliche Sorgen um sie, aber sie hatte ihrem Bruder nicht erzählen können, wo sie hin wollte. Lysander hatte ihr ausdrücklich erklärt, dass sie niemanden von ihrem Vorhaben erzählen konnte. Also war sie ohne Nachricht abgehauen. Sie hoffte, dass die anderen sich nicht auf der Suche nach ihr machten und dabei umkamen. Annie hatte Vertrauen in Lysanders Plan. Trotzdem ließen sie ihre dunklen Vorahnungen nicht los. Sie musste sich beeilen, damit sie verhindern konnte, was sie in ihren Träumen gesehen hatte. Das Blutbad würde heute Nacht seinen Höhepunkt nehmen und der Puppenspieler würde triumphieren. Sie hatte noch mehr ihrer Freunde sterben gesehen und das konnte sie einfach nicht mehr ertragen. Diese Angst erdrückte sie und sie wollte es um jeden Preis verhindern. Dieses eine Mal musste ihre Fähigkeit in Träumen die Zukunft zu sehen zu etwas nütze sein. Lysander war bei ihr aufgetaucht, obwohl sie keinen Besuch empfangen durfte. Ihre Eltern hatten versucht sie vor dem Krieg zu beschützen, doch sie hatte alles in ihren Träumen gesehen und sie hatte nicht einmal mit ihren Freunden sprechen dürfen. Annie war so erleichtert gewesen Lysander lebendig zu sehen. Nur wenigen Minuten zuvor hatte sie gesehen wie er in ihrem Traum vom Todesfluch getroffen wurde und da stand er plötzlich mitten in ihrem Zimmer. „Wir müssen das Schicksal austricksen“, hatte er nur zwinkernd gesagt nachdem sie ihm alles erzählt hatte, was sie in ihren Träumen gesehen hatte. Er hatte geschwiegen und sie hatte ihn in Ruhe nachdenken gelassen. Sie war in ihrem Zimmer auf- und abgegangen wie sie es so oft getan hatte, um selbst über eine Lösung zu grübeln. Sie hatte sich heimlich einen Schlaftrank gebraut, um einen längeren Blick in die Zukunft zu wagen, doch nie hatte sie das Gesicht des Puppenspielers erhaschen können. Nie hatte sie auch nur irgendetwas gesehen, dass ihr hätte helfen können seine Identität aufzudecken. Doch ihr Gefühl sagte ihr, dass Lysander nicht zu ihr gekommen war, um das herauszufinden. Er war gekommen um einen Weg zu finden den Puppenspieler zu stoppen. Um ein Loch in dessen perfekten Plan zu finden. Sie hatte in dieser Nacht nicht gefragt, ob Lysander wirklich die Antwort auf die Frage der Identität kannte, denn er hätte ihr diese Frage nicht beantwortet. Irgendwann durchbrach er das Schweigen und ließ sich von ihr ein weiteres Mal erzählen wie er starb. Er hatte danach einige Minuten geschwiegen und ihr dann sein Plan erklärt. Sie hatte ihn angefleht einen anderen Weg zu finden. Geweint und geschrieen, weil sie ihn nicht auch noch verlieren wollte, doch er war stur geblieben und hatte auf seinen Plan beharrt. Er hatte ihr das Versprechen abgerungen den restlichen Teil seines Planes umzusetzen und sie hatte es ihm unter Tränen versprochen. Ein schneller Blick zum Horizont zeigte Annie, dass die Sonne sich schon beträchtlich in Richtung Horizont gesenkt hatte. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Lysander hatte vergessen einzuplanen, dass sie noch nicht apparieren konnte, als er ihr den Plan wiederholt eingetrichtert hatte. Doch schon bald würde sie ihr Ziel erreichen und alles würde gut werden. Lysander sollte nicht umsonst gestorben sein.   ~~~   James hatte endlich die Kraft gefunden seinen Raum zu verlassen. Seine Mutter war mit seinem Vater beschäftigt und versuchte ihn wieder zur Vernunft zu bringen, während sie selbst mit ihrem Kummer rang und versuchte stark zu bleiben. Er konnte es nicht ertragen den Schmerz seiner Eltern zu sehen. Der Potter ertrug ja nicht einmal seinen eigenen Schmerz, den er krampfhaft versuchte runterzuschlucken, doch es bildete sich ein immer größerer Kloß in seinem Hals und er drohte daran zu ersticken. Er hatte daraufhin nach seinem Bruder gesehen. Claire war bei ihm gewesen und hatte ihn getröstet. Er hatte kurz mit Albus gesprochen und dann den Raum wieder verlassen, weil er nicht gebraucht wurde. Albus hatte Claire, die ihm zur Seite stand und ihm durch die Dunkelheit half. Dann war James verloren durch die Korridore gewandert und hatte vergeblich nach einer Aufgabe gesucht um sich selbst von seinem Kummer abzulenken. Er wollte nicht weiter nachdenken aber er wusste auch nichts mit sich anzufangen. Da war nur große Leere in ihm. Er hatte das Gefühl völlig versagt zu haben. Seine kleine Schwester war tot. Sein kleiner Bruder ein Mörder, dem Askaban drohte. Sein bester Freund ein Wrack. Und so viele Tote. Seine Mission war völlig gescheitert. Er hatte niemanden zurück nach Hause geholt. Er hatte keinen Kampf gewonnen. Es war alles umsonst gewesen. James ließ sich auf dem nächst bestem Sessel nieder, als ihn dieser Gedanke niederrang. Er wusste nicht mal in welchen Raum er bei seinem ziellosen Streifzug gelandet war. Alles war in grün-silbern eingerichtet. Kein Raum für einen Löwen wie ihn. James zwang sich tief durchzuatmen und sich von dem erschreckenden Gedanken zu befreien. Der Puppenspieler wollte, dass er sich genauso fühlte. Nutzlos und besiegt. Er musste stark bleiben. Der Kloß in seinem Hals blieb, als er wieder aufstand und versuchte den Weg zurück zu seinem Zimmer zu finden. Malfoys Manor war viel größer als das Haus der Potters. Scorpius musste sich sehr einsam vorgekommen sein, als er hier als Kind aufgewachsen war. Die Wände schienen einen erdrücken zu wollen. Durch Zufall fand James wieder auf den Hauptflur zurück, als ihm Molly und Adam entgegenkamen. „Kannst du kurz nach Fred sehen?“, fragte ihn Molly hektisch und nervös. „Was ist los?“, fragte er zurück. „Ist wieder jemand verschwunden?“ „Möglicherweise ist Annie verschwunden. Wir wollen zurück zum Haus der Woods und schauen ob sie was zurückgelassen hat, dass uns ein Anhaltspunkt gibt.“ James hielt Molly am Arm fest. Er konnte nicht auch noch sie verlieren, aber er wusste, dass sie ein Sturkopf war und er sie nicht abhalten können würde. „Kommt zurück. Ich schau nach Fred und dann versammele ich alle zu einer Besprechung. Wir dürfen uns jetzt nicht verstreuen.“ Molly nickte und versprach es ihm. Dann waren die beiden auch schon verschwunden und James änderte sein Ziel in Richtung des Raumes in dem Fred saß.   Kurz bevor er die Tür erreichte, stoppte James. Das letzte Mal, dass er seinen besten Freund gesehen hatte, war gewesen, als er blind auf ihn eingeprügelt hatte. Er hatte sich noch gar nicht mit ihm ausgesprochen. James atmete tief durch. Er wusste, dass es nicht Freds Schuld war, dass Lily gestorben war und er hatte all seine Wut an seinem Freund bereits ausgelassen. Er würde sich möglicherweise besser fühlen, wenn er mit Fred sprach. Der Potter öffnete die Tür und fand die zerstörte Hülle seines besten Freundes vor. Fred schaute nicht mal auf. Zeigte überhaupt keine Reaktion. James verharrte im Türrahmen, unsicher was er sagen sollte. Er war schon drauf und dran umzudrehen, da er es nicht ertragen konnte in den vor Kummer und Hoffnungslosigkeit voll gesogenen Raum zu treten und sich mit seinem eigenen Schmerz auseinanderzusetzen. Doch er konnte nicht gehen. Er würde es bereuen, wenn er nicht mit Fred gesprochen hätte. Selbst wenn sein bester Freund ihn nicht hören würde, so musste er es sich einmal von der Seele reden. Schon um sich selbst zu helfen. „Fred, ich…“, begann James und brach wieder ab auf der Suche nach den richtigen Worten. „Es tut mir leid. Alles was ich zu dir gesagt habe. Das Zauberministerium kann sich glücklich schätzen, wenn du für sie arbeitest. Du hättest locker das Zeug dazu Zaubereiminister zu werden. Du warst schon immer besser als ich. Ich tauge wahrscheinlich nur zum Quidditchspieler.“ James lachte traurig auf, denn er konnte sich gar keine Zukunft mehr vorstellen, in der eine Profikarriere als Quidditchspieler für ihn der weitere Weg war. „Ich hatte Angst vor einer Zukunft ohne dich an meiner Seite“, setzte er seine Entschuldigung fort. „Du bist der beste Mensch, den ich kenne. Und ich hoffe, dass du weißt, dass ich immer für dich da sein werde.“ Er wollte noch soviel mehr sagen, aber der Kloß in seinem Hals war mit jedem Wort nur weiter angeschwollen und inzwischen tropfte Tränen auf seine Hände, die er tief in den Sessellehne vergraben hatte, während er darauf gehofft hatte, dass seine Worte irgendetwas in Fred auslösen würde, doch es hatte sich nichts an dem Zustand seines Freundes geändert, der nur körperlich anwesend zu sein schien. James biss sich auf die Lippen und wollte fortsetzen. Ihm sagen, dass er ihn verstand, denn er liebte Lily ebenso sehr und konnte nicht fassen, dass sie fort war. Dass er wusste, dass Fred nicht Schuld an ihrem Tod gewesen war. Doch bevor er auch nur ein Wort hervorbringen konnte, wurde die Tür aufgerissen. Lucy kam panisch herein und in ihm brachen die schmerzhaften Erinnerungen an die Schlacht in der Großen Hallen hervor. Er wusste, was Lucy sagen würde. Er hatte es selbst geahnt. Das Ende war gekommen. „Roxanne ist weg und Alice und Louis sind gerade wie Zombies an mir vorbeigegangen. Ich hab versucht sie aufzuhalten, aber sie haben mich nicht gehört und haben sich nicht stoppen lassen. James was sollen wir tun? James? James!“ Lucys panischer Schrei verhallte ungehört. Der Nebel kam so plötzlich und riss ihn ins Dunkle. Er hatte noch soviel sagen wollen. Doch seine Worte würden unerhört bleiben.   ~~~   Molly kam sich wie ein Eindringling vor. Annies Zimmer war privat und nun stöberte sie in dem so ordentlich aufgeräumten Raum herum, um herauszufinden, wo Annie hingegangen war. Sie konnte an Adams verbitterten und besorgten Gesichtsausdruck sehen, dass er nicht daran glaubte, dass seine Schwester freiwillig ihr Zimmer verlassen hatte. Er hatte nur Angst, dass ihr das gleiche zugestoßen war wie Lily. Und auch Molly trug diese Furcht im Herzen. Trotzdem wollte sie nicht aufgeben. Sie hoffte darauf irgendeinen Hinweis zu finden. Annie musste irgendetwas notiert haben und wenn es nicht über ihr Ziel war dann zumindest etwas über ihre Träume sollte sich finden lassen. Molly hatte sich den Schreibtisch vorgenommen. Die Pinnwand über dem Schreibtisch war mit Fotos bedeckt. Sie hatte gar nicht gewusst, dass Annie eine leidenschaftliche Fotografin war. Da waren verzauberte Fotos, die sich bewegte, aber auch Muggelfotos, die einen Moment für immer fest gehalten hatte. „Sie arbeitet in der Schülerzeitung“, sagte Adam, als er Mollys Blick auf den Fotos verharrend sah. Er stand auf der anderen Seite des Raumes und hatte das Regal am Bett untersucht von dem er jetzt abließ um herüber zu kommen. „Sie hat es immer geliebt einen Augenblick einzufangen. Sie sagte dann, dass sie ihn vor dem was kommen würde schützen könnte. Ich hab erst jetzt verstanden, dass sie die einzelnen Momente so geschätzt hatte, weil sie bereits wusste, was auf uns zu kommen würde.“ Adam klang so unendlich traurig, als würde er sich schon damit abfinden, dass seine Schwester bald der Vergangenheit ankommen würde. Molly strich ihm über den Rücken und er zog sie plötzlich eng an sich. Sie wollte protestieren, doch auch sie sehnte sich nur nach einem Fels in der Brandung, an dem sie sich festhalten konnte. Vor einem Tag hatte sie sich noch gewünscht, dass Adam sie in den Arm nehmen würde und sie ihren Tränen Lauf lassen konnte und genau das tat sie jetzt auch. In Adam hatte sie einen Zufluchtshafen gefunden und so klammerte sie sich an ihn. Für eine Minute wollte sie nicht stark sein. Wollte nicht selbst der Fels in der Brandung sein. Sie wollte trauern und ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Und Adam gestattet ihr diesen Moment. Molly genoss diesen selbstsüchtigen Augenblick bevor sie schniefte und versuchte die Tränen aus ihrem Gesicht zu streichen. Adam ließ sie los und reichte ihr ein Taschentuch vom Schreibtisch. Dann wand er sich verlegen ab. Der Moment zwischen ihnen war irgendwie intim gewesen und Molly selbst war sich nicht ganz sicher, was das zu bedeuten hatte. Sie schnaubte sich kräftig die Nase und warf das Taschentuch in den Mülleimer, als ihr Blick plötzlich an einem unbeweglichen Foto an der unteren Ecke der Pinnwand hängen blieb. Sie nahm es von der Pinnwand und drehte es um. Auf der Rückseite war ein Datum zu erkennen, dass drei Tage zurück lag. „Adam“, flüsterte sie erstaunt. „Bist du sicher, dass Annie niemanden gesehen hat?“ Der Wood drehte sich wieder zu ihr um und schaute sie fragend. „Nein. Niemand war hier.“ „Lysander war hier“, erwiderte sie und zeigte ihm das Foto. Der Scamander saß auf dem Bett in Annies Zimmer. Er lächelte entschuldigend in die Kamera. Es war ein trauriges Lächeln, das Molly sofort ins Herz traf. Er hatte es gewusst. Annie hatte ihm gesagt was passieren würde. Warum war er trotzdem gegangen? Doch sie brauchte nicht lange darüber nachzudenken. Sie kannte Lysander viel zu gut. „Er hatte einen Plan“, weihte Molly Adam in ihren Gedankengang ein. „Er hat Annie davon erzählt. Deswegen ist sie verschwunden. Weil sie dabei ist Lysanders Plan in die Tat umzusetzen.“ Mit jedem Wort gewann sie mehr an Hoffnung zurück, dass sie Recht hatte. Dass es dieses Mal nicht der Puppenspieler war, sondern das Lysander die Schachfiguren aus dem Totenreich noch weiter bewegte, damit sie in die richtige Richtung gelenkt wurden. Adam sah sie zweifelnd an, nickte dann aber, weil es besser war daran zu glauben, dass es einen Plan gab als verzweifelt auf das zu warten, was kommen würde. „Lass uns zurückgehen“, schlug Molly vor und die beiden disapparierten. Nur wenige Sekunden später standen sie schon vor dem eisernen Tor Malfoys Manors. In dem Augenblick als die beide durch das Tor traten, wusste Molly, dass etwas nicht stimmte. Lucy kam ihnen entgegengestürmt. Ihr Gesicht war tränenüberströmt. „Molly! Es ist schrecklich. Der Puppenspieler hat sie alle geholt“, rief Lucy ihr panisch zu. Adam neben ihr erstarrte und auch sie spürte das Entsetzen durch ihren Körper strömen. Das konnte nicht wahr sein. Es konnte einfach nicht wahr sein. Lucy klammerte sich an ihr fest. „Bitte geh nicht auch“, flehte sie. „Bleib hier!“ Doch Molly konnte ihre Freunde nicht im Stich lassen. Sie konnte nicht noch mehr Menschen verlieren. Sie versuchte sich von Lucy loszumachen, die sich dagegen wehrte und standhaft blieb. Dann kam der Nebel und Molly wollte sich verteidigen, doch die Manipulation schien um ein Vielfaches stärker zu sein. Chancenlos zog der Nebel sie fort.   ~~~   „Albus, wach auf!“ Claire schüttelte ihn unsanft an seiner Schulter und er zwang sich die Augen wieder aufzuschlagen, obwohl er gerade erst in das Reich der Träume abgeglitten war. Als seine Sinne wieder erwachten, konnte er es sofort spüren. „Fühlst du das? Diese erdrückende Luft?“, fragte Claire ihn. „Die Präsenz des Puppenspielers ist überall. Glaubst du er ist hier?“ „Das finden wir nur heraus, wenn wir nachsehen“, gab Albus zurück und erhob sich aus seinem Bett. Zusammen begaben sie sich auf den Flur, der gespenstisch still da lag, aber die Nacht war ja auch gerade wieder eingebrochen. Vielleicht schliefen alle auch nur. Doch er wusste, dass er sich etwas vor machte. Die ganze Umgebung fühlte sich wieder an, als wären sie zurück bei den schwarzen Schachfiguren. Der Nebel schien aus jedem Spalt zu dringen und nach ihnen zu greifen. Claire griff nach seiner Hand und auch er spürte die Angst, dass die Dunkelheit wieder nach ihm greifen könnte und er sich derer nicht erwehren könnte. Zuerst schauten sie in den einzelnen Zimmer nach, doch alle Räume waren leer. Die Bibliothek war auch verweist. Nur Lysanders Notizen lagen über den Boden verstreut und auf ihnen lag ein Buch, doch Albus kümmerte sich nicht weiter darum. Er wollte nicht wahrhaben was geschehen war bevor er nicht alle Räume überprüft hatte, doch nirgendwo konnten sie auch nur eine Menschenseele vorfinden. Erst draußen vor dem Tor fanden sie die ohnmächtige Lucy, die von einem Schockzauber erwischt worden war. „Enervate.“ Lucy kam wieder zu sich und sah sich sofort panisch um. „Molly?“, schrie sie in die Nacht hinaus. „Molly?!“ Als keine Antwort kam brach Lucy in Tränen aus. „Sie sind alle weg oder?“, fragte sie unter Tränen erstickt. „Der Puppenspieler hat sie alle geholt.“ Albus konnte nur traurig nicken. Er war so wütend auf sich selbst. Er hatte etwas tun müssen. Aber Lysander hatte Recht behalten. Sie waren nicht mehr am Schachspiel beteiligt. Sie konnten nicht wieder eingreifen, aber damit wollte er sich nicht zufrieden geben. „Was sollen wir tun?“, fragte Claire ihn ebenfalls, während sie darum bemüht war Lucy ein wenig Trost zu spenden. Albus hatte eigentlich keine Antwort für diese Frage. Sie wusste nicht wohin die anderen verschwunden waren. Sie hatten keinen Anhaltspunkt. Und selbst wenn sie die anderen finden würden, würde sie nichts ausrichten können. Aber das war Albus nicht gut genug. Er konnte nicht zulassen, dass James das gleiche Schicksal ereilte wie Lily. Er musste etwas unternehmen. „Die Erwachsenen“, entfuhr ihm wie ein Geistesblitz. „Wir müssen meinen Vater informieren. Der Puppenspieler hat bei der Schlacht von Hogwarts alle Erwachsenen geschockt, damit sie nicht eingreifen konnten, aber wenn sie jetzt alle als eine Front antreten müsste es doch möglich sein den Kampf zu stoppen.“ Claire sah ihn zweifelnd an, aber Lucy hob ihren Kopf und nickte unter ihren Tränen. „Wir müssen etwas tun und alleine schaffen wir es nie“, sagte sie zustimmend. „Ich hab solche Angst um meine Schwester.“ Albus packte sie an der Schulter. „Wir alle haben Angst. Doch jetzt müssen wir stark sein und die Dunkelheit besiegen. Dieser Puppenspieler wird sich schon von selbst zeigen, wenn er merkt, dass er die Oberhand verliert. Wir müssen einfach jeden davon überzeugen zurück zu kommen. Claire und ich haben es auch wieder nachhause geschafft. Andere können das auch.“ Lucy nickte und trocknete sich die Tränen ab. Claire half ihr wieder auf die Beine zu kommen und dann packten sie einander bei den Händen, um einander Kraft zu geben bevor sie sich auf den Weg machten die Eltern zu informieren. Hoffentlich konnte sie eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes verhindern. Albus hoffte inständig, dass er die richtige Entscheidung traf und den anderen eine Hilfe sein konnte. Niemand von ihnen sollte alleine in den Kampf ziehen.   ~~~   Rose hatte selbst nicht genau gewusst, was sie angetrieben hatte Nathan zu folgen, als er das Quartier verließ. Sie hatte vielleicht gehofft mit ihm reden zu können. Ihn davon zu überzeugen, dass sie nur einen Fehler gemacht hatte. Von ihm ignoriert zu werden hatte sie verletzt. Bis jetzt war er immer für sie da gewesen. Doch seit er sie gestern zur Schnecke gemacht hatte, hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen. Sie hatte bei ihm im Zimmer gesessen, doch er hatte nur durchs Fenster hinausgestarrt und nichts weiter zu ihr gesagt. Rose hatte aber nicht in ihr einsames Zimmer zurückkehren wollen, das jetzt nur noch sie bewohnte. Albus war fort. Lorcan war fort. Als Nathan zum späten Nachmittag das Quartier verließ und disapparierte, setzte sie einen Aufspürzauber ein, um herauszufinden, wo er hin appariert war und folgte ihm dann. Dass er sich ausgerechnet mit Scorpius treffen würde, hatte sie schockiert. Die Weasley hatte umkehren wollen, doch sie konnte sich diesem bizarren Zufall nicht entziehen. Der Malfoy war seit ihrer letzten Begegnung unentwegt in ihren Gedanken zuhause. Eigentlich hatte er ihre Gedanken nie verlassen, musste sie sich eingestehen. Nur wusste sie inzwischen nicht einmal mehr, wo sie ihn einordnen sollte. Ihre Gefühlswelt war in den letzten Stunden mehrfach über Kopf gegangen und sie wusste nicht mehr wo oben oder unten war. Dementsprechend war Rose nicht auf den Inhalt des Gespräches vorbereitet gewesen. Schon gar nicht auf die Quintessenz. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, als sie Scorpius die Worte sagen hörte, die sie sich damals so sehr herbeigewünscht hatte. Er hatte ihr schon vorher gesagt, dass er sie liebte, doch sie hatte es ihm nie geglaubt. Sie hatte gedacht, dass er es nur gesagt hatte, um sein Leben zu retten. Doch konnte Scorpius nicht wissen, dass sie hier war und was für einen Grund hatte er haben sollen, um Nathan zu belügen? Rose griff sich an die Brust, weil sie das Gefühl hatte ihr Herz würde zerspringen. Doch es schlug nur schneller und flatterte ein wenig. Sie hatte immer noch Gefühle für Scorpius. Und das schmerzte. All diese Hoffnungen, die wieder in ihr aufkeimten. Sie wollte sie nur ersticken. Es gab kein Happyend für sie, denn sie war eine Mörderin. Wie konnte Scorpius sie da noch lieben? Er würde sich vor ihr ekeln. Aber das war ihr egal. Es musste ihr gleichgültig sein. Sie durfte sich keine Hoffnungen machen. Sie musste von hier weg. In den Nebel versinken. Rose disapparierte. Sie konnte den Anblick von Scorpius nicht ertragen. Das Schicksal spielte ein böses Spiel mit ihr, wenn es ihr ausgerechnet jetzt die Wahrheit enthüllte. Sie war wütend auf Nathan, der Scorpius abgehalten hatte ihr zu folgen. Sie war wütend auf Scorpius, der ihr nie gezeigt hatte, dass sie ihm etwas bedeutet. Und ganz besonders wütend war sie auf sich selbst. Dafür, dass sie plötzlich glaubte alles könnte anders sein. Nichts konnte anders sein. Sie war eine Mörderin. Hatte sogar ihren eigenen Bruder getötet. Es gab für sie keine glückliche Heimkehr. Nur Schmerz. Glücklicherweise kam endlich der Nebel. Doch er hatte seine erlösende Wirkung verloren. Rose hatte das Gefühl, dass er schwächer geworden war und sie nicht mehr völlig mit sich zog. Dabei brauchte sie diesen Zustand, in dem sie sich um nichts kümmerte und über nichts nachdachte. Aber er stellte sich nicht ein. Sie behielt ihren viel zu klaren Kopf. Rose folgte einfach dem Ziehen, das sich eingestellte hatte und begann sich zum ersten Mal zu fragen, ob es so klug war einer unsichtbaren Macht ohne Widerstand zu folgen. Doch anhalten oder umdrehen würde sie trotzdem nicht.   ~~~   Er hatte sich den besten Platz für seine letzte Show ausgesucht. Von allen Seiten kamen seine Puppen auf die Bühne für den ultimativen Höhepunkt. Dieses Mal musste er so dicht dran sein wie möglich. Er konnte keine einzige Sekunde von diesem Spektakel verpassen. Die Aufregung hatte ihn gepackt. Auf diesen Augenblick hatte er solange gewartet. Er hatte ihn herbeigesehnt. Von ihm geträumt. Ihn in tausend Farben ausgemalt. Und jetzt war es endlich soweit. Hier an Kings Cross würde es enden. An diesem Bahnhof von dem er nie abgefahren war. Zu einer Schule, die er bereits dem Erdboden gleich gemacht hatte. Kein Kind würde mehr einen Brief von Hogwarts erhalten. Niemand würde mehr vergeblich warten müssen so wie er es getan hatte. Er hatte jeden Gott angefleht, damit der Brief kam und sein Vater aufhörte ihn zu verprügeln. Hatte gebetet, dass sich endlich magische Fähigkeiten bei ihm zeigten, doch jeder Tag war ein verlorener Tag gewesen und sein Vater hatte wieder die Beherrschung verloren, während seine Mutter nur ausdruckslos zugesehen hatte. Sie waren Reinblüter. Todesser. Sie konnten keinen Sohn haben, der nicht zaubern konnte. Ein Squib in der Familie war eine Schande. Er spürte den Zorn in sich aufwallen, wenn er an diese Tage zurückdachte. Er erinnerte sich an jeden Schlag, an jeden Tritt, an jeden Fluch, an jedes verfluchte Mal, als sein Vater ihn kopfüber aus dem Fenster baumeln lassen hatte, um Magie aus ihm herauszuschütteln. Doch alles war umsonst gewesen. Er wurde älter und hatte immer noch kein einziges Mal gezaubert. Der Krieg zog über das Land und seine Eltern versteckten ihn. Schwiegen ihn tot und zogen in die Schlacht aus der sie nicht wiederkehrten. Von da an wartete er auf den Brief aus Hogwarts und auf die Rückkehr seiner Eltern. Doch nichts kam. Niemand erkundigte sich nach ihm oder kümmerte sich um ihn. Er erinnerte sich an das Gefühl verloren zu sein. Zwischen zwei Welten zu stehen. Er gehörte nirgendwo dazu. Doch er klammerte sich mit aller Macht an die magische Welt. Versuchte alles. Bereiste die Welt. Aber nirgendwo gab es ein Mittel, dass ihn zu einem Zauberer machte. Nie würde er den Namen seiner Familie stolz tragen können. Seine Eltern würden nicht zurückkehren und ihn endlich akzeptieren als ihren rechtmäßigen Sohn. Er fand später heraus, dass beide in Askaban in Gefangenschaft verstorben waren. Der Auror, der sie dorthin gebracht hatte, war niemand anderes gewesen als Harry Potter. Der Auserwählte. Es schüttelte ihn nur an diesen Namen zu denken. Der Held, der das goldene Zeitalter brachte. Der sich für alle einsetzte und neue Gesetze unterstütze von denen alle profitierten. Nur eine Gruppe vergaßen der Auserwählte und seine Freunde. Wieder einmal dachte niemand an die Squibs. Man dachte an die Hauselfen. An die Werwölfe. An die Muggel. Nur nicht an die Squibs. Aber zu dieser Zeit war ihm das längst egal geworden. Er hatte alles getan, damit er in der magischen Welt akzeptiert wurde und es war vergeblich gewesen. Stetig war in ihm der Wunsch gewachsen die Magie aus der Welt zu tilgen. Dieses Verlangen war ihm in seine Träume gefolgt, hatte dort an Stärke gewonnen bis es ihn auch am Tag im festen Griff hatte und jeder seiner Gedanken sich nur noch um das eine drehte. Schritt für Schritt hatte sich in seinem Kopf einen Plan geformt, war mit jedem Tag herangereift und er hatte geduldig gewartet bis der Augenblick kam an dem sein Plan perfekt war. Er war bereit gewesen. Hatte jede Sekunde ausgekostet und genossen und sich immer in dem Grauen gebadet, dass er über die Welt brachte. Erst kam seine Rache. Für seine verstorbenen Eltern. Für die vergessenen Squibs. Für die Arroganz der Zauberer. Dann kam die Vernichtung. Sein Blut geriet in Wallung, wenn er daran dachte, dass er so kurz vor dem Ziel war. Er konnte förmlich das Blut schon schmecken, das sich bald über die Pflaster ergießen würde. Sein Moment des Triumphs war gekommen. Die letzte Vorstellung würde atemberaubend werden. Ein würdiges Ende für die Geschichte der Zauberer. Er lehnte sich erwartungsvoll zurück.   Noch ein letzter Paukenschlag bevor die magische Welt in Flammen aufging.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)