kyoosha - learning by doing von ivy-company (AoixKanon) ================================================================================ Kapitel 22: Wie man sich verliebt --------------------------------- _ Kanon konnte sich nicht daran erinnern, wann er den Himmel zuletzt betrachtet und dabei ein so unbeschreiblich gutes Gefühl gehabt hatte. Er spürte, wie Aoi neben ihm ebenfalls nach oben sah, und lächelte anschließend. Es war schön hier zu sein. Es war schön, die Sterne betrachten zu können und währenddessen eingekuschelt in eine Decke Aoi neben sich sitzen zu haben. Ja, er war wirklich froh darüber, hier rauf gekommen zu sein. Aus den Augenwinkeln warf er dem Älteren einen Blick zu und wurde schlagartig rot, als er bemerkte, dass ihn dieser genau so verstohlen ansah. „Ähm… Ich…“, stotterte Kanon los. Verdammt, schon wieder ertappt! Er schloss den Mund allerdings, als er bemerkte, dass Aoi ebenso peinlich berührt zu sein schien. Das war… niedlich! „Hier.“ Er löste die Decke von einer Schulter und hielt sie dem anderen vor die Nase. Dass sie in der Breite nicht reichen würde, bedachte Kanon nicht wirklich. Erst als sie Aoi nach kurzem Zögern annahm und dieser näher an ihn heranrutschte, ging dem Bassisten ein Licht auf und ohne zu Überlegen lachte er kurz über sich selbst. Er hatte es tatsächlich unbewusst geschafft, dass Aoi näher zu ihm gerutscht war. Ihm noch mehr Wärme schenkte. „Warum lachst du?“, fragte der Ältere ein wenig verwirrt, während er sich die Decke um die Schulter legte. Ja, mist. Warum? Sein Lachen verschwand schlagartig. Alkohol machte unvorsichtig. Eindeutig. Weil ihm keine anständige Antwort einfiel und er Aoi ganz sicher nicht die Wahrheit sagen würde, schüttelte er nur zögernd den Kopf. Der andere sah ihn einen Augenblick fragend an, begann dann aber zweideutig zu grinsen und lachte schließlich, während er Kanon spielerisch an sich drückte. „Du verschlagener Kerl!“ Der Jüngere wurde sofort rot, schwieg aber. Was sollte er denn bitte groß sagen, wenn es schließlich die Wahrheit war? „So ist es eben gemütlicher“, rechtfertigte er sich leise, während er sich noch ein klein wenig mehr an Aoi schmiegte. Er war sich selbst nicht sicher, woher plötzlich dieser Mut kam. Vielleicht vom Alkohol. Vielleicht war er noch leicht benebelt vom Schlafen. Vielleicht vom wunderschönen Nachthimmel. Vielleicht kam dieser Mut aber auch daher, dass das Gefühl in Aois Nähe zu sein zu schön war, um es einfach wieder ziehen zu lassen. Außerdem schien es dem Älteren nichts auszumachen, so wie dieser vor sich hin grinste. „Es ist schön hier“, meinte Kanon, nachdem sie eine Weile lang einfach still gewesen waren. „Ja, das find ich auch. Ich komm gerne hier her, um mich einfach mal für eine Weile von der Realität auszuklinken. So eine Art Geheimversteck.“ „Kommt außer dir niemand hier her?“ Aoi räusperte sich verlegen. „Ich glaube außer uns weiß niemand der Hausbewohner, dass man aufs Dach kann.“ Kanon wollte gerade nachhaken, wieso das denn keiner wusste, ließ es dann aber doch sein. Er war auch noch nie auf so einem Dach gewesen. Und wenn er an die krächzende Treppe dachte, konnte er sich auch nicht vorstellen, dass dieses Dach wirklich frei zugänglich war. „Aoi? Haben du und Reita etwa mal die Tür aufgebrochen?“ Wäre er mit Reita hier, wäre er wohl schon lange auf diese Schlussfolgerung gekommen. Er vergaß gerne, dass auch Aoi eine andere Seite hatte. Dieser schien auch nicht unbedingt zu wollen, dass Kanon diese Seite kannte, denn der Ältere rutschte jetzt unruhig auf seinem Platz herum. „Es war keine Absicht! Der Fernsehempfang war so schlecht und ich glaubte, dass es vielleicht an der Satellitenschüssel liegt und wollte dann auf’s Dach nachsehen. Ich dachte, dass die Tür nur klemmt und hab mich ein bisschen stärker dagegen gedrückt. Und dann war sie auch schon auf.“ „Einfach so“, lachte Kanon, nachdem er sich die Geschichte angehört hatte, und nickte nur verstehend. „Ja!“ Aoi sah ihn an und der Bassist bekam fast schon Mitleid. So wie der Ältere ihm gerade diesen bittenden Blick zuwarf, dass er ihm doch glauben sollte. „Schon gut.“ Kanon kuschelte sich mit einem Grinsen wieder an den anderen, der ein Stück von ihm weggerutscht war, um ihn ansehen zu können und somit glaubhafter zu wirken. „Ich bin froh, dass du dachtest, die Tür klemmt.“ Der Bassist war sich nicht sicher, ob er es sich nur eingebildet oder ob er tatsächlich ein „Ich auch“ als Antwort bekommen hatte, aber er wollte nicht nachfragen. Er wollte lieber in dem Glauben leben, dass er es wirklich gehört hatte. Um sich abzulenken, sah er wieder nach oben und betrachtete die Sterne. „Bist du oft hier?“ „Manchmal“, antwortete Aoi nach kurzem Zögern. „Warst du in der Zeit, in der ich bei euch wohne, mal hier oben?“ Kanon erinnerte sich dunkel daran, dass Kai ihm gesagt hatte, der Gitarrist kam hier rauf, wenn er seine Ruhe brauchte oder gestresst war. Wieder ein Zögern. „Einmal.“ „Wann?“ Kanon dachte nicht mehr darüber nach, welche Fragen seinen Mund verließen. Er sprach einfach aus, was ihm im in den Kopf kam. Und irgendwie blieb auch das unangenehme Gefühl aus, das ihn meistens überkam, wenn er bemerkte, was für Sachen er da gerade fragte. „In der ersten Nacht, nachdem du eingezogen bist.“ Aois Stimme war beruhigend. Vielleicht lag es daran, dass Kanon einfach fragte und genau so einfach eine Antwort bekam. Vielleicht lag es an der ganzen Atmosphäre, die ihn irgendwie einlullte und in der er sich geborgen fühlte. Er hatte das Gefühl, dass sie über alles reden konnten ohne über irgendwelche Folgen nachzudenken. „Warum?“ Diesmal zögerte der Ältere länger. Kanon sah ihn an, aber Aoi blickte nur weiter in den Himmel, bevor er leicht lächelte. „Es war ungewohnt, dich plötzlich in der Wohnung zu haben.“ Kanon nickte leicht und fühlte sich durch die Worte des anderen auch nicht gekränkt. Für ihn war es anfangs schließlich auch ungewohnt gewesen. Der Ältere schien seine Aussage aber sogleich wieder zu bereuen. „Nicht, dass ich dich nicht da haben wollte!“, fügte er schnell hinzu. „Ich hab Reita schließlich an sein Versprechen erinnert! Sonst hätte er es sicher schon lange vergessen gehabt. Ich war nur aufgeregt und das war alles so neu…“ Aois Worte verloren sich in der Stille. Kanon wusste gar nicht, was er sagen sollte. Aoi hatte Reita an sein Versprechen erinnert? Also hatte er es eigentlich Aoi zu verdanken, dass Reita ihn jeden Tag aufs Neue quälte und fertig machte? Vor ein paar Tagen wäre er darüber noch sauer geworden oder hätte dem Älteren wenigstens Vorwürfe gemacht. Nun empfand er überhaupt nichts in diese Richtung. Er war sogar froh. Er war froh darüber, dass er bei Aoi wohnen konnte. Sonst hätten sie sich nie so gut kennen gelernt. Er würde den Älteren nicht jeden Tag sehen, mit ihm zusammen essen, mit ihm reden. Aoi hätte ihn nie in das Café eingeladen und sie hätten auch niemals zusammen auf diesem Dach gesessen. Und das waren alles so wichtige Momente für Kanon. Wichtiger als er es sich bis jetzt selbst eingestanden hatte. Verstohlen sah er Aoi von der Seite an. Sah das Lächeln, dass ihm so lieb geworden war. Die Augen, die ihn immer so mitfühlend anschauten und ihm scheinbar alle Sorgen nehmen konnten. Nahm den Geruch wahr, dem er schon nach seinem Einzug in Aois Zimmer verfallen war. Vielleicht war er nicht nur dem verfallen. „Ist irgendetwas?“ Die beruhigende Stimme nah an seinem Ohr. Der warme Atemzug auf seiner Haut spürbar. Die hübschen Lippen zu einem fast spitzbübischen Lächeln verzogen. Kanon schüttelte leicht den Kopf. „Nein, es ist nichts.“ Und er wusste doch, dass es anders war. Von „nichts“ klopft einem das Herz nicht so schnell. „Nichts“ sorgt nicht für ein flaues Gefühl im Magen. Wäre wirklich „nichts“, dann würde er sich hier oben nicht so wohl fühlen, sondern unten in Aois Bett liegen und schon längst schlafen. „Wenn du was hast, kannst dus mir ruhig sagen.“ Wieder diese Stimme. Diese Fürsorge. Aber doch alles andere als aufdringlich. Und weiterhin das so schnell klopfende Herz. Er schüttelte wieder den Kopf. Als könnte er seine Gedanken dadurch loswerden. Wollte er sie denn loswerden? Zu welchem Schluss würde er kommen, wenn er jetzt weiterdachte? Kanon sah aus den Augenwinkeln, wie Aoi nach seiner Bierflasche griff und einen Schluck trank. „Willst du auch? Ich hab leider nur die eine mit hochgenommen. Dachte nicht, dass ich Besuch bekomm.“ Noch immer hatte der Ältere dieses Lächeln auf den Lippen, während er ihm die Flasche entgegenhielt. Was brachte ihn dazu, so zu lächeln? So dauerhaft. Wortlos nahm Kanon die Flasche entgegen und sah sie einen Moment an. „Bist du betrunken?“, sprach er einfach so seine Gedanken aus. Das wäre zumindest eine Erklärung. Vielleicht war er selbst ja auch betrunken, merkte es nur gar nicht. Das würde das flaue Gefühl erklären. Und den schnellen Herzschlag. „Ich denke nicht, nein“, antwortete Aoi nach kurzem Überlegen. „Ist schon ne Weile her, dass wir getrunken haben.“ Und damit hatte er Recht. Kanon konnte all diese Dinge nicht auf den Alkohol schieben, auch wenn er spürte, dass er durch seine Adern floss. Aber sie hatten sich nicht so betrunken wie auf Miyavis Party und außerdem wusste er gar nicht, wie lang er geschlafen hatte. Es konnte nicht am Alkohol liegen. Er setzte die Flasche an die Lippen, aber seine Gedanken schweiften viel zu sehr ab, sodass er gar nicht wirklich trank. „Ich bin froh hier zu sein“, nuschelte er irgendwann gegen das Glas. Dabei wusste er selbst nicht so genau, ob er damit meinte bei Aoi und Reita eingezogen zu sein oder jetzt hier mit dem Gitarristen auf dem Dach zu sitzen. „Ich auch.“ Bei Aois Worten machte sein Herz einen Sprung. Sein Griff um die Flasche verstärkte sich. Das war nicht normal. Die ganze Stimmung. Sein flaues Gefühl. Und dass der Ältere ihn dauerhaft anlächelte. Ohne weiter darüber nachzudenken gab er Aoi die Flasche zurück, welcher sofort die Stirn in Falten zog. „Du hast doch noch gar nichts getrunken.“ Kanon spürte, wie er rot wurde. Wieso verwirrte die Nähe des Älteren ihn so, dass er noch nicht einmal die einfachsten Gedanken ausführen konnte? Vielleicht lag es daran, dass in seinem Kopf gerade genug andere Gedanken herumwirbelte, die alle etwas komplizierter waren. Und die sich alle um den hübschen Gitarristen drehten. Nur leider konnte er das Aoi nicht sagen. Also nahm er diesem die Flasche noch einmal ab, trank einen kleinen Schluck und drückte sie dem Älteren wieder in die Hand. Dieser sah auf die Flasche in seinen Händen, dann auf Kanon und begann zu lachen. Als ihm klar wurde, dass seine Aktion wohl eher für noch mehr Verwirrung gesorgt hatte, begann auch der Bassist über sich selbst zu lachen. Sein Verstand schien nicht mehr beurteilen zu können, was vernünftig war und was nicht. Eigentlich sollte ihm das ja Angst machen. Aber das tat es nicht. In diesem Moment gab es nur Aoi und ihn. Wahrscheinlich war es nur Einbildung, aber der Ältere schien noch ein Stück näher gerutscht zu sein. Aois Lachen bereitete ihm eine wohlige Gänsehaut, die auch blieb, als dieser mit Lachen aufgehört hatte. Stattdessen lächelte er. Das liebevolle Lächeln, das Kanon jedes Mal völlig umwarf. Er konnte nicht anders als selbst zu verstummen und das Lächeln zu erwidern. Er hatte es sich wirklich nicht eingebildet. Sie saßen enger zusammen als davor. Der Andere war ihm so nah, dass einer von ihnen sich nur ein Stück nach vorne beugen müsste, um… Bildete er sich das nur ein oder war Aois Blick wirklich kurz über seinen Mund gehuscht, bevor er Kanon wieder in die Augen sah? Aois Atmung war schneller geworden. War das einzige Geräusch in der sonst so vollkommenen Stille, die sie umgab. Sein ganzer Körper kribbelte und er bemerkte ganz am Rande, wie die Hand des Älteren, dessen Arm immer noch um ihn lag, um ihn zu wärmen, ganz langsam über seine Haut wanderte und eine angenehme Wärme darauf zurückließ. Genauso wie der Atem des anderen, der sanft über sein Gesicht strich. Kanon war sich nicht sicher, ob er je schon einmal so eine Art von Wärme wahrgenommen hatte. Sie waren sich so nah. Sein Kopf verharrte in Stille und war wie leergefegt. Nur sein Herz schlug schmerzhaft schnell in seiner Brust. Nur Aoi, der ihn so intensiv ansah, sodass der Jüngere fast vergaß zu atmen, war wichtig. Es gab nichts sonst in diesem Moment. Keine Kälte, vor der ihn der andere schützte. Keine Sterne, die so wunderschön über ihnen leuchteten. Es gab nur Aoi und ihn. Sie waren sich so nah, dass Kanon gar keine andere Wahl hatte, als die letzten Zentimeter zu überbrücken. _ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)