Once in a blue moon von -Lelias- (Rechne immer mit dem Unwahrscheinlichsten!) ================================================================================ Kapitel 1: Spongebob ist nicht für Mädchen! ------------------------------------------- Franky POV Manchmal sagt man mir nach, ich sei ganz schön eigen. Manchmal sagt man mir, mein Äußeres erweckt einen falschen Eindruck von mir. Vielleicht liegt es daran, dass ich zu meinem Berner Sennenhund Fenric eine bessere Beziehung habe als zu meinen Eltern, oder daran, dass ich meinen Kopf gerne weit über den Wolken trage – ich denke, es ist besser eigen als mechanisch zu sein. Oder ein Mitläufer... Wie fast jeden Tag sitze ich mit meinem besten Freund zusammen auf einer Parkwiese und beobachte ein paar Jungs beim Skateboard fahren. Von mir nehmen sie vermutlich keine Notiz und wenn doch, habe ich dank den allumfassenden und vorgreifenden Vorurteilen meistens meine Ruhe. Wieso das so ist? Nun, ich sehe aus wie ein Punker. Nicht das wir uns falschverstehen, ich sehe mich auch als einer, nur dass ich im Gegensatz aller Erwartungen in einem unserer ganz coolen Szenenclubs als „Jackenabnehmer“ arbeite und ein festes Dach über den Kopf habe. Ich mag es nicht mich anhand von Klischees zu definieren und ich halte nichts von jenen Menschen, die glauben das Punk eine reine Modebewegung sei und das glitzer Totenköpfe und „Blingbling Kettchen“ mit Anarchiezeichen cool sind. Sind sie es nämlich nicht. Warum ich mich trotzdem als das identifiziere was ich bin? Nennen wir es einfach „das Gefühl“, denn unter uns, Punkrock als Musikstil finde ich zum kotzen. Fenric bellt und ich klopfe dem alten Jungen beruhigend auf den Bauch, murmel ein paar Worte und mit angelegten Ohren wirft er den Skatern einen nervösen Blick zu. Manchmal sagt man mir auch, ich sei zu engstirnig, aber ich vertrete nach wie vor die Meinung, dass die alte Halfpipe schon immer der Treffpunkt der Punks und nicht der, der Emos war. Wo wir früher, was heißt früher, es war letzten Sommer, saßen, tranken und Spaß hatten, skaten nun diese Modeerscheinungen und benutzen die Halfpipe doch tatsächlich für das, wofür sie gemacht wurde. Unglaublich. Müde fahre ich mit der Hand über meinen frischgefärbten, schwarzen Irokesenschnitt und lasse mich zurück auf die die Wiese sinken, schütze mit der selbigen Hand nun meine Augen vor der Sonne. Es ist ein herrlicher Frühlingstag. Nicht so warm das die Parkanlage von dutzenden von kleinen Kindern belagert wird und nicht mehr so kalt, dass man sich Frostbeulen an den edelsten Teilen holt. Also so, wie Fenric und ich es am liebsten haben. Da bellt mein treuer Freund auch schon wieder und ich öffne genervt seufzend die Augen und sehe den Grund warum ich mir gerade diesen Platz für mein Nickerchen ausgesucht habe. Auch hier muss ich zu meiner Verteidigung einwerfen, dass ich vermutlich der letzte Mensch unter der Sonne bin, der jemals auch nur in der Lage ist kitschige Gefühle zu entwickeln, oder anders gesagt, bei diesen Oberschnulzen im Fernsehen gehe ich während der Liebesszenen pissen. Sehr zum Leidwesen meiner Schwester, aber das ist jetzt unwichtig, ich schweife ab. Jedenfalls hat der Grund für meine Neugierde gerade die Gruppe der Emos erreicht, wird auch sogleich von ihnen umringt und begrüßt. Ich beobachte das Geplänkel eine Weile amüsiert und denke daran, dass ich diese überschwänglichen Begrüßungsszenen sonst nur aus der Schule unter den Mädchen kannte. Dann sieht er wie automatisch in meine Richtung, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das nicht nur an dem Gekläffe meines Hundes liegt… Auf jeden Fall habe ich jetzt genügend Freiraum um einmal das Objekt meiner Stalkerbegierde näher zu betrachten. Ich weiß, dass seine Freunde ihn Till nennen, also gehe ich davon aus das dies sein Name ist. Seine Haare sind Dunkelbraun und mittellang, er hat das niedlichste Grinsen der ganzen Stadt und außerdem fährt er ein hässliches Mädchenskateboard auf dem sich Patrick und Spongebob umarmen und groß drübersteht „Love is gay“. Warum ich unter allen Menschen dieser Welt ausgerechnet ihn interessant finde weiß ich nicht, vielleicht auch, weil es kein großes Problem für mich ist, dass es ein „er“ ist, aber wie gesagt von Liebe auf den ersten Blick will ich gar nicht anfangen und würde eher behaupten, dass ich ihn nur interessant finde, weil er sich zu einem mit dem hässlichen Skateboard ganz schön von den Anderen absetzt und zum Anderen ein wirklich verdammt guter Skater ist. Naja, jedenfalls schwingt sich dieser wieder auf sein Skateboard, beachtet mich nicht weiter und ich beobachtete wie er sich warmfährt. Warum habe ich eigentlich nie Skateboard fahren gelernt? Vermutlich weil ich nicht lebensmüde bin und anderen lieber beim stürzen zusehe. Manchmal sagt man mir auch ich sei ziemlich gemein… Irgendwann werde ich vom zugucken müde und da die Sonne noch immer so unerbittlich auf meinen aufgewärmten Körper scheint, entschließe ich mich dazu, Fenrics Beispiel zu folgen und halte auf der Wiese ein kleines Nickerchen… --- „Sag mal, wie kommt es eigentlich, dass du immer da bist, wenn ich fahre?“ Völlig aus dem Zusammenhang werde ich aus meinem Traum gerissen und blinzel verwirrt gegen die Abenddämmerung und starre zu der Stimme empor, die mich aus meinem Nachmittagsschläfchen gerissen hat. Einen Moment lang dauert es bis sich mein Blick fokussiert und mir entfährt ein wenig intelligentes: „Du?“ Schnell stütze ich mich auf meine Unterarme und hoffe nicht so lächerlich zu wirken, wie ich mich fühle. Ich blinzele einmal, zweimal. Nein, dies ist kein Traum, Till steht leibhaftig vor mir und starrt mich schweigend an. Mit erhobener, leicht geschwungener Augenbraue mustert er mich weiter und wischt sich mit einer beiläufigen Geste den Pony aus dem Gesicht. Keine Spur von seinem berühmten Lächeln. Während er seine Frage betont langsam wiederholt, fällt mir auf, dass seine Freunde nicht mehr da sind und ebenso fällt mir auf das mein Hund mich nicht vor der potentiellen Gefahr gewarnt hat. „Ein schöner Wachhund bist du.“, murmel ich zu Fenric und Till sieht mich nur verständnislos an und fragt mich gereizt, ob ich ihm eigentlich zuhöre. „Ja sicher, ich bin ja nicht taub.“, gebe ich eine Spur zu schnippisch zurück und überlege fieberhaft, wie ich aus dieser prekären Situation wieder herauskommen soll. Natürlich bestalke ich ihn und es ist ums verrecken kein Zufall, dass ich immer dann auftauche wenn er auch hier ist, aber ich denke mal das es kein guter Anfang wäre ihm direkt stolz mein Notizbuch unter die Nase zu halten, wo ich alle Tage die er hier gefahren ist angemakert habe, um eine Wahrscheinlichkeit aufzustellen wann er das nächste Mal hier erscheinen könnte… Nein, das halte ich für keine gute Idee. „Also?“ „Naja, weißt du, Kleiner… Früher war das der Platz der Punks und heute fahren du und deine Leute auf ihren Mädchen-Skateboards auf unserer Halfpipe und mit Hilfe des städtischen Ordnungsamtes habt ihr uns vertrieben.“ Er starrt mich einen Moment lang böse an und mir wird klar, dass ich den Gedanken über sein Skateboard laut geäußert habe. Doch anstatt sich aufzuregen, zickt er mich nur an: „Spongebob ist nicht für Mädchen!“ Eine Weile schweige ich, schaue auf sein Skateboard, dann wieder auf ihn. Wieder auf das Skateboard, verdammt ich will keinen Spruch reißen… Muss… wiederstehen… „Als ob das einen Unterschied macht!“, etwas lahm aber gut abgewehrt und halt doch gescheitert, ich muss mir auf die Lippe beißen um nicht zu grinsen. Till baut sich vor mir auf und sieht aus, als ob er mir mit selbigem Skateboard eine verpassen will, da erwachen endlich Fenrics Beschützerinstinkte und er knurrt den Jungen drohend an. Ich weiß, ein Berner Sennenhund wirkt nicht sonderlich bösartig, aber Till ist schlau genug, es nicht darauf ankommen zu lassen. „Ist gut, Fenric.“, beruhige ich den Hund und Till nimmt erstaunt das Skateboard herunter, sieht mich fragend an. „Wie heißt der Hund?“ „Fenric.“, antworte ich nicht ohne eine gewisse Note von Stolz zurück. „Was ist das für ein besch… ich meine seltsamer Name?“ Ich werfe ihm einen bösen Blick zu, bei meinem Hund werde ich intolerant, Stalkeropfer hin oder her. „Kennst du die Legende über den Fenriswolf?“ Er zieht die Stirn kraus, was ich nur anhand seiner Mimik erahnen kann und schüttelt den Kopf, dann lässt er sich neben mich auf die Wiese fallen und sieht mich auffordernd an. „Nein, erzähl.“, irgendwie ist er ja doch ganz niedlich und mit seinen großen, braunen Augen erinnert er mich an Fenric, wenn es um die letzten Stücke Putenwurst geht. „Also“, räuspere ich mich und fange an mein Wissen zu teilen, „einer nordischen Mythologie zur Folge war der Fenriswolf ein Kind Lokis und wegen seiner Größe und Kraft überall gefürchtet. Man legte ihn in Ketten um damit die Götterwelt zu retten und dies hat dem Guten Tyr auch gleichmal die Hand gekostet… Naja, es heißt jedoch, das sich der Fenriswolf zu Ragnarök befreien und anschließend die Sonne verspeisen wird.“ Ich bin mir nicht sicher, ob der Blick den mir Till zuwirfst bewundernd oder zweifelnd ist. „Und woher weißt du sowas?“ „Mein Großvater hat sich sehr für die nordische Mythologie interessiert und mir den Hund geschenkt, Fenric ist eine Ableitung zu Fenris.“ „Wie ein Wolf sieht er aber nicht gerade aus.“ Kennt ihr diese Momente, in denen ihr für den Bruchteil einer Sekunde wisst, DIES ist der Moment der ein Teil deines Lebens verändern wird? Oder um es nicht ganz so dramatisch klingen zu lassen, kann ich sagen, das in dem Moment, wo mir Till zum ersten Mal sein berüchtigtes Lächeln zeigt und sich die kleinen Lachfältchen um seine Augen verdichten, da weiß ich das sich etwas zwischen uns eigentlich Fremden verändert hat. So kommt es auch, dass Till noch eine ganze Weile bei uns sitzen bleibt und mich die verschiedensten Dinge über die nordischen Mythologien ausfragt. Erst am Abend, als die Sonne schon längst untergegangen ist und wir uns so langsam aber sicher den Hintern abfrieren, fragt er mich nach meinem Namen. „Du kannst mich Franky nennen.“, gebe ich ihm grinsend zur Antwort und er nickt nur und erwidert: „Okay, ich heiße Till.“ „Ich weiß.“, lache ich leise und wir brechen auf, jeder seinen Weg nach Hause einschlagend. Unterwegs summe ich eine unmelodische Musik und bilde mir ein, ein Krieger zu sein, der nach einer langen und erfolgreichen Schlacht nach Hause zurückkehrt. Natürlich bin ich nur so zufrieden, anders kann man es nicht nennen, weil ich nicht nur mit Till in Kontakt getreten bin, sondern ebenso, weil er sich scheinbar für meine Geschichten interessiert. Ernsthaft, das ist cool und er auch ein bisschen, auch wenn er ein Mädchenskateboard fährt… --- Als ich am nächsten Morgen aufwache, es war schreckliche Nacht in der ich dank Fenric, der den Mond anheulen musste, kein Auge zugetan habe, sehe ich dass es regnet. Und wie das regnet! Ich mache mir ein bisschen Sorgen um das alte Haus in dem ich zusammen mit meinen Großeltern lebe. Wie gesagt, ich verstehe mich mit meinem Hund besser, als mit meinen Eltern und meine Schwester ist sowieso schon lange ausgezogen. Während ich auf dem Fensterbrett der kleinen Einbauküche sitze und Fenric gedankenverloren ein paar Stücke von meinem Toast zuwerfe, denke ich darüber nach, ob ich heute überhaupt noch das Haus verlassen kann. Schön wäre es ja… Ich erwarte nicht wirklich eine Wendung, doch wie das Leben so spielt klären sich die Wolken am späten Nachmittag auf und aus Fenrics Wimmern entnehme ich seinen Wunsch, dass er dringend mal raus müsste. Ich auch, ich bin eben niemand den man in die eigenen Wände einsperren kann. Manchmal sagt man mir nach, dass ich seltsame poetische Momente hätte… Was soll‘s? Schnell habe ich mir meine Jacke geschnappt, stecke die Schlüssel in meine Hosentasche und jogge mit Fenric in den Park. Wie soll ich das erklären? Es ist nicht nur so, das mich Fenric mit seiner nervtötenden Macke um den Schlaf gebracht hat, außerdem musste sich die ganze Zeit ein gewisser Emo auf seinem Mädchenskateboard seine Zeit in meinem Kopf vertreiben… Es ist mir unbekannt, das mein Kopf diese Richtung einschlägt… Sicher, der Kopf ist rund, damit die Gedanken die Richtung ändern können, aber ich fühle mich als ob man mir den Boden unter den Füßen weggezogen hätte. Ich meine, ich beobachte Till jetzt schon eine ganze Weile, so lang, dass ich beinahe vergesse, warum ich damit überhaupt angefangen habe. Weil er ein toller Skater ist? Oder weil er das niedlichste Lächeln der ganzen Stadt hat? Vielleicht auch nur, weil ich ihn als ersten Emo an MEINER Halfpipe identifiziert hatte. Jetzt ist es unwichtig, die unüberwindbare Wand ist weg und er hat mich angesprochen, da sollte man doch davon ausgehen, dass man sich freut anstatt sich das Kleinhirn zu zermartern. Ich vermute mal, das muss so ein hormonelles Ding sein, denn das ich schwul bin, ist weder ein Geheimnis noch ein Grund für mich nicht auf meine Hormone, nenn es meinetwegen auch Gefühle, zu hören. Mit meinen stolzen einundzwanzig Jahren vielleicht nicht die intelligenteste Einstellung, aber ich bin ja auch bislang gut durch das Leben gekommen. Ob es allerdings auch so sehr für mich spricht, dass es immerhin ein gutes Jahr gebraucht hat das wir überhaupt ins Gespräch gekommen sind wage ich zu bezweifeln, dennoch, ein Anfang ist gelegt und ich verliere meinen Enthusiasmus nicht. Vorwärts Franky! Voller Vorfreude jogge ich weiter den schlammigen Pfad, der den Park mit meinem Zuhause verbindet, entlang. Man muss wissen, dass das Haus meiner Großeltern am Waldrand liegt und wir jährlich mehrfach absaufen, aber man lernt ja angeblich aus Erfahrungen und uns kann so weit nichts mehr schocken. Jedenfalls bin ich gerade ziemlich froh festes Schuhwerk zu besitzen und Fenric scheint sich auch darauf zu freuen, später alles verdrecken zu dürfen… Was erwarte ich jetzt eigentlich? Das sich Till trotz des schlammigen Wetters nach draußen getraut hat, um mich vielleicht zu sehen? Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich, aber ein Fünkchen Hoffnung steckt wohl in jedem Trottel. Umso größer ist die Enttäuschung, als ich endlich den normalen, gepflasterten Weg des Parks betrete und weit und breit kein Skater zu sehen ist. Seufzen. So ein Mist aber auch. Aber hey, die Halfpipe ist frei und was will ich mehr? Immerhin rege ich mich seit einem Jahr darüber auf, dass die Emo-Kiddies den Platz hier belagern und jetzt hätte ich endlich den ziemlich dreckigen und nassen Platz für mich allein. Ein Anfang, so beschließe ich und wäge gerade ab, ob ich meine Kumpels anrufen soll, da begreife ich meine eigene Endtäuschung darüber, dass Till nicht da ist. Sicher, ich bin nicht blöd, ich habe auch vorher gemerkt, dass ich nicht gerade begeistert war, aber jetzt, wo ich die Chance habe ein bisschen die Atmosphäre von früher aufleben zu lassen, da fällt mir niemand ein den ich anrufen könnte, wahrscheinlich habe ich nicht mal mein Handy dabei. Spüre ich da etwa den Zynismus in mir aufwallen? Fenric guckt mich von unten herauf an, so als ob er wüsste, woran ich denke und als ob er mir sagen wollte, das ich mich nicht so anstellen solle, schließlich bin ich weder ein Kind, noch ein verliebter Teenager. Ich bin ein Punk und ein Mann, verdammt! Diese konfusen und überflüssigen Gedanken abschüttelnd, klettere ich schließlich die Rampe der Halfpipe hoch und setze mich auf die Plattform, lasse meine Beine baumeln und beobachte belustigt wie mein Hund versucht mir zu folgen. Nachdem ich ihn eine Weile ausgelacht habe, bellt er unzufrieden und kurz bevor ich abwiege, ob ich ihn vielleicht irgendwie hochziehen soll, da spitzt er die Ohren und läuft bellend und schwanzwedelnd weg. „Fenric!“, ich springe auf, beuge mich über das Geländer und schaue nach, was mein Hund treibt. Und dann weiß ich, das bei mir so einiges nicht in Ordnung sein kann, denn als ich statt einen Feind den Fenric in die Flucht schlagen muss, Till sehe breitet sich in meinem Gesicht ungewollt ein glückliches Grinsen aus. „Wenn das nicht unser Lieblingsemo ist!“, rufe ich und winke ihm zu. Überrascht schaut er zu mir nach oben und scheint ziemlich beruhigt zu sein mich zu sehen und entspannt sich merklich, als Fenric ihn endlich in Ruhe lässt und auf mein Rufen hin zu mir zurückgetrottet kommt. „Kaum zu glauben, du bist wirklich immer hier, oder?“, er sieht mich an wie die Leute, die glauben dass ich auf der Straße lebe. „Naja, Fenric braucht ja auch Auslauf.“ „Und darum sitzt du da oben rum?“ „Komm doch hoch.“, fordere ich ihn neckend auf und er schaut sich erst unschlüssig um, lehnt dann sein Board an die Wand und klettert ebenfalls, ziemlich unelegant, die Rampe hoch und ich muss ihn die letzten Zentimeter hochziehen, sonst wäre er gleich wieder heruntergerutscht. „Du siehst nicht so aus als wärst du sportlich eine Niete.“, meine ich nachdenklich und mustere ihn. Till verzieht das Gesicht und beschwert sich errötend, dass die Rampe schließlich auch nass sei. „Was sollte das eigentlich heißen „Lieblingsemo?““ Ertappt spiele ich an meinem Lippenpiercing herum und suche krampfhaft nach einer Ausrede bis er schließlich meint: „Ich bin kein Emo!“ „Nicht?“, jetzt bin ich wirklich verblüfft. „Nein! Also wirklich, ich sage ja auch nicht das du ein Punk…“ „Ich bin aber einer.“, unterbreche ich ihn und er fährt unwirsch fort: „Was ich jedenfalls sagen will ist, dass man die Leute nicht so einfach nach ihrem Aussehen beurteilen sollte.“ „Weise Worte.“, spotte ich, dann erinnere ich mich an meine eigenen Gedanken, in denen ich mich darüber aufgeregt habe, das ich als Punk immer in eine gewisse Schublade gesteckt werde. Etwas besänftigender füge ich hinzu: „Was ist denn so schlimm daran ein Emo zu sein?“ „Ich hasse Emocore, also die Musik“, meint er bierernst und schüttelt sich. Ich starre ihn ein paar Momente sprachlos an, boxe ihm leicht gegen die Schulter und will gerade sagen, dass ich schließlich auch kein Punkrock mag und trotzdem ein Punk bin, da schlägt Fenric erneut an. „Ah! Sascha!“, Till steht auf winkt einem weiteren „Emo“ zu. Wie soll ich ihn und seine Freunde jetzt nennen? Ich beobachtete wie er die Rampe wieder herunter schlittert und den anderen Jungen zur Begrüßung umarmt. Nach einer kurzen Musterung stelle ich fest, dass er gefärbtes dunkelblondes Haar und leicht gebräunte Haut hat und ein eng anliegendes, schwarzes Shirt mit grünem Aufdruck einer Comicfigur zu gebleichten Shorts und ausgetretenen Chucks trägt. Haben wir Hochsommer oder was? Er hat etwas leicht… Schwules an sich… Wie auch immer. Mir will es jedenfalls nicht so recht gefallen, dass Till diesen gar nicht mehr loslässt und rutsche ebenfalls nach unten um mich zu den Beiden zu gesellen. „Hi.“, meine ich wenig begeistert und genannter Sascha dreht sich zu mir um und scheint mich jetzt erst wahrgenommen zu haben. Er zieht kurz eine Augenbraue hoch, mustert mich und meint skeptisch: „Der Punk?“ „Ja, der Punk.“, gebe ich zurück und auf Tills auffordernden Blick hin füge ich hinzu: „Ich heiße Franky.“ „Sascha.“, sagt Sascha und ringt sich ein leicht steifes Lächeln ab. „Hat er dich angesprochen?“, fragt er an Till gerichtet und klingt dabei wie eine besorgte Mutter die ihr kleines Kind fragt, ob der Onkel es immer auf dem Spielplatz anspricht. Till scheint das ebenso zu sehen und erwidert dass er schon groß ist und selbst seine Gesprächspartner aussuchen kann. Sascha öffnet und schließt den Mund wieder, zuckt mit der Schulter und damit scheint das Thema für ihn gegessen zu sein. „Skaten wir dann?“, fragt er und Till nickt, wäre auch zu schön gewesen, wäre er wegen mir hergekommen. „War schön dich mal wieder gesehen zu haben, ich denke wir sehen uns noch öfter.“, dabei zwinkert er mich verschwörerisch zu und wendet sich komplett zu Sascha um. Dieser wirft mir einen feindseligen Blick zu und ich könnte schwören, dass er mir die Zunge herausgestreckt hat, als Till nicht hinsieht. So aber nicht hier! „Was haltet ihr davon, wenn ihr einem völlig unerfahrenen Skater mal zeigt wie das geht?“, werfe ich lauernd mein Angebot in die entstandene Stille. Die Beiden drehen sich um. „Was hast du dabei im Kopf?“, Tills Interesse scheint schon mal geweckt. „Fahrt ein Rennen. Wie wäre es? Einmal durch das gesamte Parkgelände und zurück? Natürlich nur auf den Pflasterwegen.“ Sie sehen sich an. „Spricht nichts dagegen oder?“, Sascha scheint das ganz richtig als Herausforderung aufgefasst zu haben, gut so. Ich suche Tills Blick und als dieser ihn endlich bemerkt, lächelt er fast schüchtern und ich forme mit den Lippen: „Schlag ihn!“ Unmerklich nickt er und die Beiden stellen sich an die Startgrenze, die ich mit einer leeren Flasche kennzeichne, dann klettere ich wieder auf meine Plattform und gebe das Startsignal. „Also Jungs.“, ich warte bis sie mir signalisieren bereit zu sein, „auf die Plätze, fertig, los!“, die Beiden greifen synchron ihr Board und rasen zeitgleich los wie die Angestochenen, kein Wunder, dass Fenric unglücklich jault, weil ich ihn im provisorisch an einem Mülleimer festgebunden habe. Vermutlich würde er ihnen sofort hinterher setzen, aber bis ich ihn abgeleint hätte, wären die Beiden längst aus meinem Sichtfeld. Von meiner Position aus habe ich einen guten Überblick zu einem großen Teil des Parks, wenn auch nicht alles und so ist es mir gerade nicht möglich zu bestimmen, wer von ihnen vorne liegt. Wer hätte das gedacht? Da kommt nochmal richtig Aktion in mein Leben. Manchmal sagt man mir das ich zynisch sei, aber wann ist eigentlich manchmal? Es vergehen gut zehn Minuten in denen ich von den Beiden weder etwas höre, noch sehe und für ein paar Momente frage ich mich, ob sie mich verarscht und einfach das Weite gesucht haben, auf das ich hier verschimmel. Da sehe ich, wie sie aus dem Waldabschnitt preschen, ich kann mir vorstellen dass ihre Boards ziemlich dreckig sind und ich meine erkennen zu können, das Till vorne liegt. Ja! Vorwärts Till! Anstatt ihn lautstark anzufeuern und somit das Risiko einzugehen das ich seine Konzentration störe. grinse ich nur weiter und verfolge fieberhaft jeden Meter den er in bahnbrechender Geschwindigkeit zurücklegt. Den Atem anhaltend beobachte ich wie sie näherkommen, Sascha ist ihm dicht auf dem Fersen und ich kann nur erahnen, wie lange die Beiden schon zusammenfahren müssen. Immer dichter, vielleicht noch fünfzig bis siebzig Meter. Dichter, ich kann kleine Steine sehen, die weggeschleudert werden. Dichter, vielleicht vierzig Meter, mir schießt der Gedanke in den Kopf, dass ich niemals fahren lernen wollte, da mir der Sport einfach zu gefährlich war. Dichter, da sich die Beiden mehr auf sich konzentrieren und Till nur knapp vorne ist, können sie nicht dasselbe sehen wie ich. Dichter, dreißig, zwanzig Meter und es passiert was unter meinem entsetzen Blick passieren musste. Ein kleiner Ast der noch auf dem Weg liegt verfängt sich in Tills Rädern, als dieser unachtsam darüber prescht und es folgt ein hässliches knacken, dann geht alles viel zu schnell. Eines von Tills Rädern bricht ab, er verliert das Gleichgewicht und stürzt überrascht aufschreiend in ein Gebüsch, dass seitlich des Weges gepflanzt ist. So wie es aussieht, ist ihm nicht viel passiert und ich vermute das liegt daran, das Skater angeblich lernen, wie man richtig hinfällt, denn Sascha, der bei Tills Sturz natürlich ebenfalls das Gleichgewicht verloren hat, lässt sich praktisch fallen und ist wenig später wieder auf den Beinen. Bevor er auch nur mit einem Gedanken spielen kann, bin ich schon längst die paar Meter gerannt und hocke vor dem Gebüsch, aus dem sich Till immer noch versucht zu befreien. „Mein Skateboard.“, jammert er und wirft das Brett und das Rad an mir vorbei und lässt sich dann von mir herausziehen. „Alter, bist du in Ordnung?“, entfährt es mir als ich sein blutiges Knie sehe. Er folgt meinem Blick und verzieht das Gesicht, ich erahne, dass er wegen des Blutes so angeekelt guckt. „Ja… wird schon…“, murmelt er und Sascha geht endlich zu ihm. „Wirklich? Mensch, dein Board kannst du vergessen…“ Till nickt leidend und ich helfe ihm richtig aufzustehen, allerdings scheint er Probleme zu haben selbstständig zu stehen und Sascha und ich fragen so ziemlich gleichzeitig: „Soll ich dich nach Hause bringen?“ Sofort ruckt Saschas Blick zu mir und er sieht mich noch feindseliger an. „DU? DU kennst ihn überhaupt nicht, du weißt nicht mal, wo er wohnt!“ „Dann nehme ich ihn mit zu mir.“, spreche ich es schneller und trotziger aus, als eigentlich beabsichtig und ich merke das sich beide Blicke in meinen Kopf bohren. „Also ich… ich wohne fünf Minuten von hier entfernt.“, erkläre ich schnell und frage mich dann, warum ich mich rechtfertige, immerhin ist das immer noch Tills Entscheidung und wenn ich mir die Blutung so ansehe, sollte die Verletzung wirklich gesäubert werden. Till wirft Sascha einen kurzen Blick zu und meint entschuldigend: „Sorry Großer, aber ich habe das Gefühl, dass er mich besser wegbringen kann, aber kannst du mein Board mitnehmen?“ Sascha knurrt extrem angepisst eine Antwort, die ähnlich wie „liebend gern“ klingt, hebt das Board auf und wischt sich die dreckigen Finger so gut es geht am Shirt ab. „Melde dich.“, warnt er und ein Blick zu mir bedarf keiner weiteren Warnungen mehr, irgendwie ist der Typ gruselig. Nicht viel später ist Sascha immer noch wütend und noch besorgter abgedampft und ich nehme Till Huckepack, was dieser ohne Proteste über sich ergehen lässt. „Du bist ganz schön stark.“, murmelt er verlegen und ich spüre seine vor Errötung erhitzten Wangen an meinem Rücken. Meine Antwort darauf ist ein leises, überraschend raues Lachen und auf dem Weg nach Hause binde ich Fenric ab, der uns schwanzwedelnd folgt und dann vorausläuft. „Sag mal…“, unterbricht er zögernd die Stille zwischen uns. „Was denn?“ „Wo wohnst du eigentlich?“, wieder lache ich leise und antworte: „In dem Haus meiner Großeltern, also nicht mit ihnen zusammen, sondern mir gehört die obere Wohnung.“ „Echt?“, er kann sein Erstaunen nicht wirklich verbergen, vielleicht versucht er es auch gar nicht erst. Belustigt ergänze ich: „Ich habe auch einen festen, coolen, aber mies bezahlten Beruf…“ „Der Schein trügt wohl doch ganz gerne mal.“ „Wie sagtest du vorhin? Man solle einen Menschen nicht nach seinem Äußeren beurteilen?“ Er schweigt verlegen und ich setze ihn vor der Haustür ab, schließe auf und wir betreten meine Wohnung. Nach einer kurzen, aber gründlichen Säuberung seiner Verletzung stelle ich beruhigt fest, dass es nicht so schlimm ist, wie es aussieht und das lediglich eine Schramme und eine zerrissene Jeans an den Vorfall erinnern werden. Ich habe Till für einen Moment im Bad allein gelassen und erst jetzt, wo ich auf dem Sofa sitze und auf ihn warte, erschlagen mich die Eindrücke. Heute Morgen noch, konnte ich nicht schlafen, weil er ständig durch meinen Kopf spukte, jetzt trug ich ihn schon Huckepack und nun befindet er sich in meinem Badezimmer und somit in meiner Wohnung. Das Ganze nimmt eine rasantere Wendung, als erhofft und ich merke dass mein Herz wie wild schlägt. War das die ganze Zeit so? Man hat mir noch nie nachgesagt, dass ich mich wie ein verliebter Idiot aufführen konnte… Er tritt in den Türrahmen und trägt nichts Weiteres als seine Boxershorts und den Verband um sein Knie. Ich muss schlucken. Sicher, er braucht ja eine Ersatzhose, jetzt wo die Alte völlig hinüber ist… Krampfhaft versuche ich ihn nicht anzustarren, denn scheiße, er sieht toll aus… Sein Lächeln irritiert mich, es wirkt plötzlich tiefer, hintergründiger wie auf sein blasses Gesicht gemalt und seine Augen funkeln übermütig und herausfordernd. „Was…?“, will ich gerade fragen, da kommt er dichter, stützt sich nicht länger am Türrahmen ab und bleibt vor mir stehen. Die ganze Zeit sagt er kein Wort und ehe ich mich noch mehr wundern kann zieht er ganz langsam, aber fest entschlossen seine Boxershorts aus. Und wie er da so nackt vor mir steht, dichter kommt und mir vorsichtig mit seinen Fingern mein Gesicht entlang streicht, ist es mir auch egal, dass ich aussehen muss wie der letzte Trottel. „Was wird das?“, flüstere ich krächzend und er zwinkert mir wieder so verschwörerisch zu. „Eine Möglichkeit?“ Und ich erwidere das Lächeln und schließe die Augen, als wir uns küssen. … .. . Mittlerweile sind weitere drei Monate vergangen und ich weiß, dass man mir sagt, dass ich immer mit dem Unfassbarsten rechnen soll. Scheinbar soll dies auch bedeuten, dass sogar ich einmal Glück haben soll, auch wenn ich dieses noch nicht so ganz fassen kann. Ich habe meiner Schwester die ganze Geschichte erzählt und sie lachte nur und meinte, dass mein Glück so unfassbar sei wie ein „blue moon“, auf meine Frage hin was das wieder bedeuten solle, beugt sich Till zu mir und drückt mir einen Kuss in den Nacken. „So wird eine Jahreszeit mit vier Vollmonden genannt, also etwas was sehr selten vorkommt und so gut wie unmöglich ist…“, und damit hat er Recht, denn seit jenem Abend vor drei Monaten sind wir ein Paar, also so ein richtig festes Paar mit knutschen, Sex, Händchen haltend und allen drum und dran, ich kann das immer noch nicht so ganz glauben. Und noch weniger wollte ich es glauben, als mir Sascha vor nicht allzu langer Zeit steckte, dass Till die ganze Sache schon von langer Hand an geplant hatte. „Wie meinst du das?“ „Naja…“, er zupft unwohl an seinem Shirt herum, „ ich soll dir da eigentlich gar nicht sagen, aber, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange Till darüber nachgedacht hat, wie er dich ansprechen soll… Meistens ist er nur mit zum skaten gekommen, weil er gehofft hat dich zu treffen… Ob du es glaubst oder nicht! Er hatte sogar einen KALENDER, wo er die Tage eingetragen hat, in denen du da warst, um eine Wahrscheinlichkeit zu erstellen, wann du das nächste Mal herkommen würdest.“ Mir bleibt daraufhin nur der Mund stehen und breche in haltloses Gelächter aus. Verständnislos starrt mich Sascha, der mich seit neustem schon deutlich besser leiden kann und ich ihn, an und scheint darüber nachzudenken, ob ich nun völlig den Verstand verloren habe. Vielleicht habe ich das auch, denn anders kann ich es mir nicht erklären, das ich jetzt Till zu liebe das Skaten lerne, mich selten dumm dabei anstelle und Fenric wegen dieser Sache schlecht auf mich zu sprechen ist, ich vermute er hasst Skateboards ganz einfach. Umso schöner ist es dann, wenn Till seinerseits zu mir auf die Wiese kommt, sich zu mir legt und wir ein bisschen knutschen damit die Schürfungen meiner verpatzten Versuche auch ganz schnell vergessen sind. Manchmal rufen uns Sascha oder einer der anderen Jungen blöde Sprüche zu oder feuern uns johlend an das wir uns ausziehen sollen, aber meistens ist es Till, der ihnen dann ohne sich umzudrehen oder den Kuss zu brechen den Stinkefinger zeigt. Bei Till und mir hat sich jedenfalls das unglaublichste innerhalb einer lächerlich kurzen Zeit ergeben, wir sind nicht nur ein Liebespaar sondern auch Freunde geworden und manchmal schlägt er mich sogar nicht mehr, wenn ich seine Freunde Emos und sein Skateboard als Mädchenboard tituliere… Ja, die Liebe ist schon etwas selten Beklopptes… Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)