Kein Zurück von Erdnuss91 (Der Sand der Zeit steht niemals still) ================================================================================ Kapitel 12: Antworten --------------------- Seit mich Aiko heute Mittag von der Schule abgeholt hatte liege ich auf der Couch und gucke irgendwelche Animes. Immer mal wieder war ich zwischendurch eingeschlafen und seit Aiko zur Arbeit gefahren ist mache ich mir noch nicht einmal mehr die Mühe die Augen zu öffnen, wenn ich denn einmal wach bin. Auch als jemand den Fernseher ausstellt lasse ich die Augen geschlossen. Ich bin zur Zeit so lustlos und ständig bin ich total müde. Der Psychologe meinte gestern, dass mein Körper sich wahrscheinlich immer noch von der Infektion und vor allem der Operation erholen muss und ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Auch als jemand direkt vor mir ist und mir über den Kopf streicht lasse ich die Augen geschlossen. „Du bist wach, oder? Es gibt jetzt Abendessen“, erinnert mich Reita an das Elend. Widerwillig setze ich mich hin und reibe mir über die Augen. Die letzten paar Tage hatte ich so gut wie gar kein Essen herunter gewürgt bekommen gehabt und da nur Aiko auf mich aufgepasst hatte, wurde ich auch nicht zum Essen gezwungen. Und solange ich kein Gewicht verliere, möchte sie im Gegensatz zu Fumiko auch nicht zu solchen Mitteln greifen. Seufzend stehe ich auf und folge ihm in die Küche. Er stellt mir nur schweigend eine kleine Schlüssel mit Reis hin und drückt mir ein paar Stäbchen in die Hand. Seine eigene Schüssel ist auch nicht gerade die größte. Da ich immer noch nicht weiß warum er die ganze Woche krank geschrieben war, lasse ich das ganze unkommentiert. Mittlerweile kenne ich ihn gut genug und weiß, wann ich ihn in Ruhe lassen muss. Die Situation mit Uruha ist schon schlimm genug und scheinbar wird er wirklich für einige Wochen da bleiben müssen. Die Stimmung hier im Haus ist schon ein wenig bedrückend und ich frage mich schon die ganze Zeit, warum ausgerechnet jetzt die Zwangseinweisung stattgefunden hatte. Plötzlich fragt mich Reita: „Magst du gleich kurz mit in den Supermarkt gehen? Ich möchte dich nicht alleine lassen.“ Haben sie wirklich immer noch Angst davor, dass ich mir etwas antun könnte? Ich nicke nur und bin ganz froh darüber, dass Reita überhaupt noch mit mir redet. Seufzend esse ich noch den restlichen Reis und das Gemüse, ehe ich meine Schüssel mit samt den Stäbchen in die Spüle stelle. „Ich geh mir kurz etwas anderes anziehen, ja?“, meine ich und verlasse den Raum. Noch ehe ich sein Zimmer betrete kann, umarmt mich Reita ganz unerwartet von hinten. Ob er wirklich wieder okay ist? Aiko hatte gestern nur gemeint, dass Reita besser hätte im Krankenhaus bleiben sollen am Dienstag. „Rei, ist wirklich alles in Ordnung? Bist du dir sicher, dass du jetzt zum Supermarkt willst? Er hat ja noch eine Weile offen, vielleicht sollten wir einfach noch etwas warten“, schlage ich vor. Er vergräbt nur sein Gesicht in meinen Haaren und drückt mich ganz fest an sich. „Aber du sprichst momentan mit irgendwem über das Ganze, oder?“, bohre ich weiter. Scheinbar will er mir nicht antworten. Seufzend lege ich meine gesunde Hand auf seine Arme und kuschel mich ein wenig an ihn. Es ist bestimmt nicht leicht für ihn über das ganze zu reden. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit lässt mich Reita mit einem gemurmelten „Danke“ los und schiebt mich langsam vor sich her in sein Schlafzimmer. „Und jetzt helfe ich dir in bequemere Sachen. Erst kaufen wir uns etwas zum knabbern und dann erzähl ich dir alles, okay? Du gehörst ja schließlich auch zur Familie und es wäre nicht fair dir alles zu verschweigen“, gibt Reita zu bedenken. „Hoffentlich erzählst du mir jetzt nichts schlimmes, wegen so etwas will ich nicht hören“, erwidere ich. Lächelnd antwortet er: „Ich würde es dir nicht erzählen wollen, wenn du mit der Sache emotional nicht fertig werden würdest. Und ich denke einmal schon, dass ich dich mittlerweile sehr gut einschätzen kann in der Richtung.“ Ich nicke nur und beobachte ihn dabei, wie er mir das Hemd aufknöpft und mir beim Anziehen des T-Shirts hilft. Die Hose hatte ich heute Mittag schon gegen eine normale wechseln können, da diese mittlerweile alle mit Gummizug versehen sind, da ich einfach viel zu dürr bin. Und Gürtel sind bei einer eingegipsten Hand nicht gerade von Vorteil. ~ Selbst nachher als wir vom Einkaufen wieder zurück sind und er die Couch ausgezogen hat, lässt er sich kaum etwas anmerken. Aber es fällt mir trotzdem auf, dass es ihm eigentlich gar nicht gut geht und er scheinbar ziemliche Schmerzen hat. Warum tut er sich das bloß an? Seufzend setze ich mich auf die Liegefläche und lege eine Decke über meine Beine. Reita kommt gerade lächelnd mit einer Wärmflasche ins Wohnzimmer und setzt sich ein Stück weit von mir entfernt neben mich. Er schiebt die Schüssel mit dem Knabberzeug lächelnd zu mir und guckt mich entschuldigend an. Scheinbar geht es ihm wirklich nicht gut. Warum quält er sich nur so? „Also du hattest es ja sicherlich mitbekommen, dass Uruha während der Klassenfahrt alles andere als gut dran war seelisch gesehen und auch die Schulwoche danach war absolut kein Zuckerschlecken mit ihm. Ich will dir die ganzen unschönen Details ersparen, da es zu wirklich vielen Zwischenfällen kam. Aoi war auch zwei oder drei Mal mit zum Psychologen gegangen, damit sie beide Uruha in eine bestimmte Richtung lenken konnten. Und sie hatten es auch geschafft, dass Uruha ganz von selbst auf das Thema stationäre Therapie zusprechen kam und er hatte auch schon quasi darum gebeten. Aber selbst das hatte er nur unter vielen, vielen Tränen geschafft und ich glaube immer noch, dass er im Grunde dagegen war. Aoi war sogar die ganze Fahrt dort hin bei ihm, damit Uruha auch ja dort bleibt“, erzählt mir Reita. Seufzend esse ich ganz langsam die Süßigkeiten und frage mich, ob Uruha sich wirklich umgebracht hätte, wenn er weiter hiergeblieben wäre. „Kommt er überhaupt noch einmal wieder....? Oder war es das jetzt?“, frage ich ohne groß nachzudenken. „Das entscheiden sie nächste Woche. Vorerst soll er aber einige Zeit dort bleiben, damit er wenigstens wieder halbwegs stabil ist und nicht mehr zurück in alte Muster verfällt. Und ich glaube es wäre vor allem für meine Mutter und Aoi eine große Entlastung, wenn er halt mal einige Zeit nicht hier ist. Die beiden leiden schon ganz schön unter seinem Verhalten und mir fällt es auch nicht gerade leicht noch nett zu ihm zu sein. Ich bin es nämlich langsam Leid zu hören, dass er Aoi und mich als Grund vorschiebt und er wegen uns nicht sterben kann. Weißt du, in manchen Dingen seit ihr zwei euch so verdammt ähnlich, vor allem was das Thema betrifft. Aber wenigstens lässt du dir eher helfen als Uruha und wehrst dich nicht gegen alles. Und wenigstens brauchen wir bei dir keine Angst davor zu haben, dass du irgendetwas dummes im Drogenrausch anstellen könntest oder wen ernsthaft verletzten könntest“, erläutert mir Reita. Kopfschüttelnd schaltet Reita den Fernseher ein und widmet sich diesem, da mal wieder irgendein Actionfilm läuft. Dieses Wochenende ist Aoi bei Uruhas Großeltern, damit sie zusammen Uruha besuchen gehen können. Die Ärzte meinen, dass ihn das wahrscheinlich etwas aufmuntern würde. Fumiko bleibt bei uns hier, da es Reita immer noch so mies geht. Ich frage mich, ob Reita damit das Gespräch für beendet hält? Da Reita immer noch nichts aus der Schüssel genommen hat, stelle ich sie auf den Wohnzimmertisch und gehe in die Küche, um uns Gläser und eine Flasche Wasser zu holen. Mittlerweile habe ich gelernt mehrere Dinge zu schleppen ohne die Hand dabei zu benutzen und solange ich noch die Gipsschiene habe geht das auch so. Ich glaube nächste Woche bekomme ich eine Metallschiene und wenn alles gut läuft darf ich auch bald wieder mehr mit der Hand machen. Vorsichtig stelle ich alles auf den niedrigen Couchtisch und gucke Reita besorgt an. Er ist scheinbar eingeschlafen und er sieht mittlerweile vollkommen verschwitzt aus. Hoffentlich kommt Fumiko oder Aiko bald wieder, ich will keinen Krankenwagen rufen müssen. Ich stelle etwas den Fernseher leiser und ziehe seine Decke richtig. Würde Uruha wirklich soweit gehen und andere ernsthaft verletzen? Er ist zwar unberechenbar, aber würde er so etwas wagen? Diejenigen zu verletzen, die ihn am Leben halten? Ich könnte das nicht. Ich kann Reita nicht weh tun. Dafür bedeutet er mir zu viel und ich verdanke ihm auch einfach zu viel. Er hat viel mehr für mich getan, als nur mein Leben damals gerettet. Er hilft mir nicht aufzugeben und weiter gegen die Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen. Und dafür bin ich ihm mehr als dankbar. Und gerade geht auch endlich einmal die Haustür, weshalb ich in den Flur gehe und leise die Wohnzimmertür hinter mir schließe. Fumiko guckt mich ganz erstaunt an, scheinbar hat sie nicht damit gerechnet ausgerechnet mich hier zu sehen. „Geht es dir wieder etwas besser, Ru-chan? Hast du schon zu Abend gegessen? Magst du was haben?“, fragt sie mich. „Ich hab eben mit Reita zusammen etwas gegessen und wollte eigentlich nur gucken, ob Aiko schon wieder da ist. Sie wollte für ihn stärkere Tabletten mitbringen, da es ihm wieder schlechter geht“, erkläre ich ihr. „Wir setzen uns kurz in die Küche und ich koch dir einen Tee. Aiko sollte auch bald kommen und in der Zwischenzeit können wir zusammen reden“, erklärt mir Fumiko. Worüber sie wohl reden will? Wahrscheinlich über die letzte Zeit. Und vor allem die letzten Tage. Ich weiß noch nicht einmal warum ich so gereizt war. Wahrscheinlich war ich wirklich einfach nur total übermüdet und hätte die Woche auch noch daheim bleiben sollen, damit sich mein Körper noch etwas von den Strapazen der Operation hätte erholen können. Aber wenn ich daheim geblieben wäre, wäre mir nur die Decke auf den Kopf gefallen. Und ich wäre dem Gedankenstrudel schutzlos ausgeliefert gewesen. Ich möchte endlich aus dieser Spirale namens 'Depression' komplett heraus und je mehr Zeit ich auf einer Stelle verbringe, desto tiefer rutsche ich wieder. Ich bin einfach nicht dafür geschaffen einfach einmal nichts zu tun. Hier in der Familie wird mit mir total geduldig umgegangen und vieles wird einfach toleriert, was man eigentlich nicht machen sollte. Aber wahrscheinlich ist es auch nur so, da ich sonst total hörig bin und im Gegensatz zu Reita oder Uruha freiwillig Hausaufgaben mache und lerne. Und vor allem aufräume. Oder es liegt einfach daran, dass ich immer noch total empfindlich auf schimpfen und alles reagiere und sie mich nicht unnötig triggern wollen. Lächelnd stellt mir Fumiko eine Tasse Kräutertee vor die Nase und setzt sich mir gegenüber. Und beginnt direkt zu reden: „Ich habe eben noch einmal kurz mit Jun, aber auch mit deiner Mutter und mit deinem Bruder geredet gehabt. Von alleine kommst du ja nicht auf uns zu und wir machen uns zur Zeit einfach nur wahnsinnige Sorgen um dich. Auch der Psychologe macht sich ziemlich viele Gedanken um dich, da du momentan ziemlich schlapp bist. Wir hatten eigentlich beschlossen dich nicht mehr einzuengen und zu bevormunden, jedoch halten wir es erst einmal für das Beste dir wieder klare Regeln und Aufgaben zu geben, so dass du es von alleine schaffst wieder aktiver zu werden. Vielleicht hilft es dir dabei dich wieder etwas sicherer zu fühlen und keine Angst mehr vor dir selbst zu haben. Die nächsten Wochen werden garantiert nicht die einfachsten für dich, das ist uns allen vollkommen bewusst. Ich würde nur gerne vorab wissen, ob du dich auf das alles einlassen willst und wir dein vollstes Vertrauen genießen. Es ist okay, wenn du nicht über deine Gefühle mit mir reden möchtest, das verlangt auch keiner. Jedoch möchte ich zu jeder Zeit eine ehrliche Antwort hören, wenn ich mich nach deinem Gesundheitszustand erkundige. Es bringt weder dir noch sonst wem etwas, wenn du dich in der Hinsicht belügst.“ Ich muss erst einmal hart schlucken. Will ich das wirklich? Wieder ein Vogel im goldenen Käfig sein? Kann ich das, oder werde ich mich dann erst recht selbst umbringen wollen? Zittrig greife ich nach der Tasse und nehme einen großen Schluck. Bin ich wirklich dazu bereit wieder einen großen Schritt zurück zu gehen? Lächelnd legt Fumiko eine Hand auf meinen Arm und meint: „Du musst dich nicht sofort entscheiden, okay? Ich möchte es nur die nächsten Tage wissen, damit ich alles mit deiner Mama absprechen kann. Wir wollen dir lediglich klarere Strukturen geben und hoffen, dass du dadurch wieder mehr Halt findest. Ich habe nicht vor dich zu bestrafen, falls du irgendetwas nicht machen willst.“ Wir gucken beide erschrocken zur Tür, als Reita plötzlich zu uns in die Küche kommt. Er ist richtig blass und sieht alles andere als gesund aus. Mit schlurfenden Schritten kommt er langsam zu mir und setzt sich neben mich auf die Bank. Ehe ich reagieren kann nimmt er einen großen Schluck aus meiner Tasse und lehnt sich an mich. Was ist bloß los mit ihm? Fumiko steht nur schweigend auf und holt mir eine neue Tasse Kräutertee. Immer wieder wird Reita richtig gehend durchgeschüttelt und auch sonst zittert er ganz schön. Warum will er nicht ins Krankenhaus? Ich werde ihm schon nicht davon laufen, oder etwa doch? Seufzend lege ich einen Arm um ihn und gucke ihn treudoof an. Warum ist er nur so ein sturer Esel? Kopfschüttelnd fühlt Fumiko seine Temperatur und tätschelt kurz seinen Kopf: „Wenn das nachher immer noch so schlimm ist, dann fahren wir ins Krankenhaus, ja? Ich möchte nicht, dass du dich schon wieder so lange damit herum quälst.“ Ganz zaghaft streiche mit der Hand über seine und hoffe darauf, dass er sich nicht übernimmt. Ich möchte keine Last mehr für ihn sein. Wenig später kommt auch endlich Aiko in die Küche, die Reita eine Packung Tabletten in die Hand drückt mit dem Kommentar: „Dreimal täglich zwei und wenn das bis morgen Abend nicht besser wird, dann sollst du vorbei kommen. Und es nächste Mal macht du vorher den Mund auf, bevor wir dich schon wieder per Krankenwagen direkt auf die Intensiv schicken können. Verstehst du das, Dummkopf?! Du kannst froh darüber sein, dass ich Krankenschwester bin, ansonsten würde ich dich jetzt direkt zum Arzt bringen. Und ihn darum bitten dich zu quälen, damit du endlich einmal dazu lernst!“ Erschrocken gucke ich sie an, so habe ich sie ja noch nie erlebt! Wahrscheinlich hält sie sich bei mir immer zurück, aber so wirklich geschimpft hat sie mit mir noch nie. Lächelnd tätschelt Aiko meinen Kopf und legt einen kleinen Papierbeutel vor mich. „Der Arzt hat mir die Tabletten schon einmal gegeben. Die hätte er dir eh am Montag dann verschrieben, da deine Blutwerte immer noch ziemlich mies sind. Die Tabletten werden zwar nicht direkt wirken, aber hoffentlich bist du dann bald nicht mehr ganz so schlapp. Halt einfach noch ein wenig durch, ja? Und bleib bitte etwas bei Reita, ja? Ich lerne dann morgen mit euch und alles, versprochen“, wendet sich Aiko an mich. Hoffentlich wird wirklich bald alles besser. Wie lange soll ich mich noch mit den Folgen meines Selbstmordversuches herum quälen müssen? Es sind jetzt bald ganze 4 Monate und trotz allem kann ich meinen Arm immer noch nicht bewegen. Ob ich es irgendwann bereuen werde überlebt zu haben? Ich kann den Tag kaum noch erwarten, wo mich nur noch die Narben an den Zwischenfall erinnern werden. Und noch mehr freue ich mich auf den Moment, wo mir das alles nichts mehr ausmachen wird und ich endlich unbeschwert lachen kann. -------- Warum Uruha wirklich in die Klinik ist bleibt weiterhin ein Geheimnis :) Das nächste Kapitel ist auch schon zur Hälfte fertig und wenn es so weiter geht, dann wird das auch bald gepostet ^_^ Hoffentlich gefällt euch der Storyverlauf immer noch und bitte nimmt mir die Wartezeit nicht übel ._. Das letzte Jahr war der Horror was viele Dinge anging und ich hoffe einfach einmal, dass es jetzt ruhiger weiter geht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)