Kein Zurück von Erdnuss91 (Der Sand der Zeit steht niemals still) ================================================================================ Kapitel 6: Faustschlag ins Gesicht ---------------------------------- Vorsichtig gucke ich Reita mit großen Rehaugen an. Ich frage mich, ob das wirklich so eine gute Idee ist. Uruha geht es immer noch nicht gut und er ist wirklich sehr schreckhaft zwischendurch. Aoi teilt sich jede Nacht ein Bett mit ihm, aber Aoi kann schlecht mit auf die Klassenfahrt. Und ohne Aoi kann Uruha scheinbar nicht. Gerade stehen wir an den Bahngleisen, gleich dürfte der Shinkansen(Schnellzug) nach Tokio endlich kommen. Reita hält die ganze Zeit meine Hand. Eben meinte er, er hätte Angst. Angst davor, dass ich mich einfach so vor den Zug werfe. Aber ist diese Angst überhaupt begründet? Bin ich überhaupt noch so suizidgefährdet? Habe ich nicht endlich einmal meine Lektion gelernt? Die Lehrerin guckt immer wieder zu uns herüber, wegen Uruha. Dieser sitzt schon die ganze Zeit geistesabwesend neben seinem Koffer. Die Schwellungen in seinem Gesicht sind mittlerweile alle weg und die blauen Flecken kann man nur noch erahnen. Lediglich die gebrochenen Rippen und die ganzen Prellungen machen ihm noch zu schaffen. Und wahrscheinlich auch der seelische Schmerz. Aber alles in allem scheint es ihm gut zu gehen, auch wenn die letzte Woche an sich eine Tortur war für ihn. Wäre er nicht weglaufen, was wäre dann passiert? Wie lange hätte er überlebt? Hätten sie ihn irgendwann umgebracht? Obwohl er auf Entzug ist, lässt er sich nichts anmerken. Er ist ganz normal mit uns zur Schule gegangen, obwohl es ihm so schlecht ging. Nicht nur einmal ist er aus dem Klassenzimmer gestürmt, weil die Übelkeit ihn nicht in Ruhe lassen wollte. Er nimmt sehr starke Tabletten, die er aber dieses Mal scheinbar besser verträgt. Er braucht zwar für alles etwas länger, aber ansonsten ist er erstaunlich klar, also zurechenbar. Eigentlich sollte er im Krankenhaus bleiben, aber er wollte nicht. Wahrscheinlich wollte er nur nicht alleine sein. Ich wäre an seiner Stelle auch nicht im Krankenhaus geblieben. Zu Hause ist es halt viel schöner. Als der Shinkansen endlich einfährt, gehe ich zusammen mit den anderen und unserem Gepäck rein. Das einzige was ich trage ist mein Rucksack, der Rest ist alles in Reitas Koffer. Durch die frühe Abreise heute bin ich relativ müde und ich bin froh, wenn ich im Zug gleich ein paar Stunden schlafen kann. Zusammen trotten wir in den Shinkansen und lassen uns nahe der anderen nieder. Etwas verunsichert mich es ja, dass sich die Lehrer ganz in der Nähe nieder lassen. Ob sie das wegen Uruha machen? Oder eher wegen mir? Seufzend schließe ich die Augen und versuche mich zu entspannen. Obwohl ich so müde bin, kann ich wegen der Aufregung nicht schlafen. Es kribbelt unter meinen Fingernägeln und ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen. Es sind eindeutig die Tabletten Schuld, dass ich jetzt nicht schlafen kann. Leise knurrend rutsche ich etwas am Sitz runter und verschränke die Arme. Selbst die leisen Geräusche um mich herum wollen mich nicht in den Schlaf wiegen! Das ist doch zum verzweifeln. Erst später hellt sich meine Stimmung wieder merklich auf. Ich bin wieder etwas wacher und der Tag war bis jetzt der schönste seit langem! Unsere Gruppe war den ganzen Tag in der Stadt und unsere Einkaufstüten zeigen deutlich, wie erfolgreich unser Raubzug war. Deshalb meinte Reita wohl, dass ich nur zwei Tshirts mitnehmen soll. Auch er hatte scheinbar weniger eingepackt, als er seiner Mutter hat glauben lassen. Auf jeden Fall meinte er das eben zu uns. Gerade stehe ich lächelnd Reita gegenüber und zusammen warten wir mit den anderen auf die U-Bahn. Jun trägt Uruha gerade auf dem Rücken und dieser hat auch die Augen geschlossen. Er hat schon seit etwas längerem nichts mehr gesagt und ich denke einmal, dass er einfach nur müde ist. Die Bahn dürfte auch gleich kommen und bald bekommen wir ja auch schon unser Abendessen in der Jugendherberge. Ich freue mich schon richtig darauf! Reita scherzt die ganze Zeit mit den beiden herum und ich wundere mich echt darüber, dass Uruha diese Schaukelei nicht stört. Scheinbar ist er wirklich eingeschlafen. Endlich höre ich das altbekannte Rauschen aus dem U-Bahnschacht und jauchze freudig ich auf. Doch plötzlich ist nichts mehr gewohntes zu hören, von überall höre ich entsetzte Schreie und Reita wird kalkweiß im Gesicht. Man hört die Bremsen der U-Bahn schreien und vor Schmerz halte ich mir die Ohren zu. Die Bremsen verstummen, doch die Schreie hören nicht auf, weit entfernt hört man ein Kind weinen. Das Adrenalin schießt nur so durch meine Adern und ich höre mein Blut in den Ohren rauschen. Einerseits habe ich Angst, aber was soll schon groß passiert sein? Ich spüre, wie sich eine leichte Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitet. Ich will mich umdrehen, doch Reita presst mich an sich und zusammen verlassen wir so schnellen Schrittes die U-Bahnstation. Im Vorbeigehen erhasche ich nur die Worte „Selbstmord“ und „Blut“. Scheinbar ist wohl jemand vor die Bahn gesprungen, was ja nicht so untypisch ist für Tokyo laut manchen Medienberichten. So wirklich treffen tut es mich nicht. Es lässt mich erstaunlicherweise absolut kalt. Wahrscheinlich habe ich einfach schon zu viel erlebt, um irgendwelche Gefühle wie Mitleid für wildfremde Menschen zu empfinden. Ich habe ja noch nicht einmal sein Gesicht gesehen, Warum sollte ich also Mitleid empfinden? Ich merke, wie stark Reita zittert und wie die Kraft aus seinen Armen weicht. Er kippt hoffentlich nicht um...? Ich spüre, wie etwas nasses auf mich tropft und erschrocken hebe ich den Kopf. Er weint, er weint ganz stumm vor sich hin. Ganz vorsichtig lege ich einen Arm um ihn und streiche über seinen Rücken. Zielstrebig steuert Jun eine abseits stehende Bank an und hilft mir Reita auf dieser abzusetzen. Es macht mir Angst. Reita ist so stark, aber warum wirft ihn so etwas aus der Bahn? Ist es wegen meinem letzten Selbstmordversuch, wegen dem ganzen Blut? Ich hatte damals erstaunlich wenig mitbekommen. Ich hatte nur einen Bruchteil von der Blutlache gesehen und diese war ja schon recht groß dank dem Wasser. Der Psychologe meinte nur, dass ich am Schluss immer wieder den Namen von Reita vor mich hingemurmelt habe. Und der Sportlehrer ganz schön Probleme hatte, mich aus der Dusche heraus zutragen. Und Reita war voller Blut, meinem Blut. Zudem Zeitpunkt hatten schon alle gedacht, dass ich es nicht schaffen werde. Die Sanitäter hatten auch gemeint, dass die Chancen einfach zu gering sind. Aber ich habe es überlebt. Und jetzt stehe ich hier. Und ich kann nichts anderes tun, außer hilflos Reita anzugucken. Jun hilft Reita ganz vorsichtig sich hinzulegen. Uruha sitzt mittlerweile neben der Bank auf dem Boden und lehnt sich an Kenji. Er sieht immer noch ziemlich geschafft aus und er hat die Augen geschlossen. Es scheint fast so, als wolle er alles um sich herum ausblenden. Ob er mit den Entzugserscheinungen gerade zu kämpfen hat? Plötzlich durchbricht Jun die Stille: „Am Besten ihr geht schon einmal vor. Ich bleib etwas mit Reita hier und ruf einmal den Sportlehrer an.“ Perplex starre ich ihn an, wieso? Wird es Reita noch länger schlecht gehen? Ihm darf es einfach nicht schlecht gehen! Nur wegen mir geht es ihm wahrscheinlich so. Langsam öffnet Uruha die Augen und guckt sich irritiert um. Er hat scheinbar Orientierungsschwierigkeiten, ob er Tagträume hatte...? Er klaubt ein paar der Tüten zusammen und steht ganz vorsichtig auf. „Ist das okay für dich, Jun? Ansonsten bleibe ich mit hier“, bietet Uruha dem anderen an. Reita liegt zitternd auf der Bank und er weint immer noch ganz stumm vor sich her. Er ist immer noch sehr blass, was mir unglaublich Sorgen bereitet. Hatte Reita damals wirklich so eine große Angst um mich? War er deshalb später mich nicht mehr besuchen, weil er es einfach nicht verkraftet hat? Ich weiß nur, dass er 2 Woche in der Schule gefehlt hatte, weil er psychisch mit der ganzen Sache nicht klar gekommen ist. Mittlerweile geht es ihm zwar wieder halbwegs gut, aber manche Wunden heilen nie komplett. Seufzend streiche ich ihm kurz über die Wangen und nehme mir auch ein paar der Tüten, sodass für Kenji nur noch wenige übrig bleiben. Wenigstens ist die Jugendherberge nicht so weit weg. Entschlossen schaut uns Jun an und meint: „Überlasst es ruhig mir. Ich komm schon mit ihm zurecht.“ „Okay, dann bis später Jun“, verabschiedet sich Kenji und geht Richtung Jugendherberge. Da er recht groß ist, habe ich Schwierigkeiten Schritt zu halten, im Gegensatz zu Uruha. Ich hoffe, dass es Reita bald wieder besser geht. Er soll nicht leiden. Unerwartet wendet sich Kenji an mich: „Zieh nicht so ein Gesicht. Reita geht es spätestens Morgen wieder besser. Du bist doch hier um Spaß zu haben, ne? Uruha hat ja auch Spaß, obwohl es ihm nicht so gut geht.“ Beleidigt plustere ich die Wangen auf. Was ist er? Meine Mutter? Ich mag es nicht wenn mir Fremde solche Ratschläge geben, was wissen die schon von unserem Leben? Leise kichernd piekst mich Uruha in die Wange: „Er hat Recht, Kleiner. Reita ist nicht aus Zucker und du weißt ja, dass er verdammt stark ist. Lass ihn doch einmal schwach sein, schließlich kann man nicht immer stark sein.“ Mit einem lauten und gequälten Seufzer mache ich meinem Unmut Platz. Es ist einleuchtend was sie sagen, aber müssen sie mich immer wie ein Kind behandeln? Bei Reita und Aoi macht mir das nichts aus, aber bei anderen und Uruha schon, warum auch immer. Es dauert nicht lange und schon sind wir in der Jugendherberge angekommen. Direkt verkrümeln wir uns auf unser Zimmer, wo wir schon einmal den Inhalt der Taschen in unseren Koffern verstauen. Die Lehrer sollen schließlich keinen Schock bekommen wegen der Menge. Ich frage mich, ob der Sportlehrer mittlerweile bei Reita angekommen ist? Nachdem ich von uns beiden alles im Koffer verstaut habe, lege ich mich aufs Bett. Bis zum Abendessen haben wir noch eine ganze halbe Stunde. Auch Uruha hat sich mittlerweile ins Bett gelegt, aber im Gegensatz zu mir hat er sich zugedeckt. Ich glaube, er ist eingeschlafen, vielleicht träumt er ja von Aoi...? Ich hätte nie gedacht, dass Uruha wieder so normal wird. Nachdem er einige Tage nur im Drogenrausch war und wie oft vergewaltigt wurden war, war er ja zu Aoi geflüchtet. Aber durch den Streit der beiden ist er wieder dort hin, wo er nur misshandelt wurde. Von den Vergewaltigungen selbst hat er nicht viel mitbekommen, zu sehr war er in seinem Rausch gefangen. Für ihn war es sogar recht angenehm, wie er meinte. Schließlich hatte er den Schmerz nicht gespürt. Und das ganze hatte ihn von dem abgelehnt, was ihn so sehr belastet. Erst nachdem die Wirkung der ganzen Drogen nachgelassen hatte, hatte er den wahren Ausmaß erkannt. Aber die Peiniger wollten ihn nicht gehen lassen und er bekam die hohen Dosen weiterhin Tag für Tag. Außer die letzten beiden Tage. Sein Körper wollte die Tabletten nicht mehr, absolut gar nicht mehr. Die Peiniger waren erbost, schließlich machte das Spielen so weniger Spaß. Uruha kann verdammt froh sein, dass diese Leute jetzt hinter Gittern sind. Ich frage mich, wie er es schafft so gelassen zu sein. Auf einmal kommt Jun ins Zimmer gestürmt. „Es gibt Abendessen“, trällert er fröhlich vor sich her. Seufzend stehe ich auf, wo ist eigentlich Kenji hin verschwunden? Enthusiastisch rüttelt er an Uruhas Schulter, der daraufhin auch direkt aufsteht. „Wo hast du denn Rei-chan gelassen?“, fragt er direkt verschlafen nach. „Der ist gerade noch etwas beim Sportlehrer. Ihm geht es wieder etwas besser, auch wenn er immer noch leicht wackelig auf den Beinen ist. Aber jetzt gibt es endlich Essen“, meint Jun und verschwindet pfeifend aus dem Raum. Er ist wirklich ein wenig aufgedreht und ich weiß jetzt auch, warum Reita mit ihm befreundet ist. Wahrscheinlich weil er Aoi ähnlich ist und Reita gerne solche Leute um sich herum hat. Deshalb frage ich mich auch, warum Reita so an mir hängt. Immerhin bin ich das genaue Gegenteil von seinen anderen Freunden. Schmunzelnd schnappe ich Uruhas Hand und gehe mit ihm runter in den Speisesaal. Bisher ist noch niemand da außer Kenji und Jun. Ein wenig irritiert lasse ich mich ihnen gegenüber auf einen Stuhl nieder. Ich habe gedacht, dass es jetzt Abendessen gibt...? „Nur noch 10 Minuten“, meint Jun ganz fröhlich. Er ist schon den ganzen Tag hinter Essen her und ich frage mich, wie er das macht. Er ist sehr schlank und isst für mindestens drei Leute. Und ich bin froh, wenn ich es schaffe, für eine Person am Tag zu essen. Die drei führen wieder ein lebendiges Gespräch über Musik. Ich kann da gar nicht mitreden, da ich im Gegensatz zu ihnen nicht auf Konzerte oder irgendetwas in der Art gehe. Ich höre nur meine Musik und das ist auch besser so. Was die Künstler im Privatleben treiben ist mir vollkommen egal. Und auf Konzerte traue ich mich nicht. Nach und nach füllt sich der Saal und etwas verspätet kommt sowohl Reita, als auch der Sportlehrer. Reita ist immer noch total blass und der Sportlehrer muss ihn stützen. Warum will es ihm einfach nicht besser gehen? Hoffentlich geht es ihm nachdem Essen wieder viel besser. Ich möchte ihn nicht schwach sehen. Komm Reita, lass uns gehen. Lass uns vergessen. Lass uns in eine Zukunft gehen, gemeinsam. Du und ich, wir beide. Lass uns vergessen. ----------- Disclaimer: keiner der genannten Charaktere gehört mir und ich verdiene hiermit keine Geld Und ich melde mich wieder ♥ *haha* Das Leben ist momentan ganz schön fies zu mir °\(;_;)/° Aber ich bin zurück. Vielleicht nicht in einem Stück, aber ich lebe *kyaaaah* xD sry. Hoffentlich hat es wem gefallen. Ich frage mich, ob ich das Glück wieder zerstören soll...? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)