Kein Zurück von Erdnuss91 (Der Sand der Zeit steht niemals still) ================================================================================ Kapitel 13: Narben ------------------ Zitternd sitze ich auf dem Badezimmerboden. Umschlinge mit beiden Armen meine Beine und verstecke mein Gesicht. Ich will die Dunkelheit nicht sehen, die mich umgibt. Aber noch weniger könnte ich jetzt Licht ertragen, nicht nachdem was passiert ist. Lange ist es her, seitdem ich zuletzt so einen lebhaften Alptraum mit Schlafparalyse hatte. Und schon lange habe ich mich nicht mehr so verdammt ausgeliefert gefühlt gehabt. Die Therapiestunde gestern hat alles noch einmal aufgewühlt. Die ganzen Gefühle und Gedanken, die ich nicht verarbeiten kann. Die ganzen Geschehnisse, die mich zu Boden rissen. Zittrig seufzend versuche ich mein rasendes Herz zu beruhigen. Es ist schon schlimm genug, dass ich mich eben auf meine Bettdecke übergeben habe, dann muss ich es jetzt nicht noch einmal tun, oder? Obwohl mir schon jetzt so schrecklich kalt ist möchte ich nicht aufstehen und runter aufs Sofa gehen. Die Kälte hilft mir in der Realität zu bleiben. Ich möchte mich nicht mit dem Mobbing auseinander setzen. Ich lebe schließlich nicht mehr in der Vergangenheit. Als plötzlich, ganz unerwartet das Licht angeht zucke ich zusammen und halte einen kurzen Moment den Atem an. „Ruki?“, spricht mich Aiko an. Man hört ihr die Unsicherheit an. Ich nicke und versuche mich zu entspannen. Es ist alles okay. Hier will mir niemand etwas böses. Ich höre wie sie näher kommt. „Kannst du aufstehen? Warte ich hol dir einen neuen Schlafanzug, du bist ja ganz verschwitzt. Ist das okay?“, fragt sie nach. Ich nicke nur und bleibe so sitzen. Ich bin einfach nur fertig mit mir und der Welt. Warum nur geht mir das alles immer noch so nah? Wann schaffe ich es endlich von diesem Gedankenkarussel abzuspringen? Wann schaffe ich es endlich die Vergangenheit ruhen zu lassen? Erst als mich Aiko unter den Achseln packt und in die Höhe zieht, fangen die Tränen wieder an zu rollen. Womit habe ich so eine liebenswerte Familie verdient? Liebevoll hilft sie mir in einen Schlafanzug von ihr, da meine alle bei Reita im Zimmer sind. „Möchtest du darüber reden? Am Besten gehen wir runter und du trinkst erst einmal einen Kräutertee, damit du dich nicht erkältest. Du musst nicht darüber reden, aber ich möchte dich nicht alleine lassen gerade“, schlägt sie vor. Nickend folge ich ihr nach unten in die Küche, wo sie mir einen Kräutertee zubereitet. Etwas widerwillig trinke ich diesen, da mein Magen immer noch ziemlich rebelliert und ich eigentlich gerade einfach nur zurück ins Badezimmer will. „Möchtest du es noch einmal mit dem Schlafen probieren oder sollen wir spazieren gehen? Oder möchtest du dich etwas aufs Sofa legen?“, fragt sie nach. „Sofa“, bringe ich mich einer total angeschlagenen Stimme heraus. Habe ich eben wirklich so lange geweint? Wie lange war ich im Badezimmer? Zögerlich frage ich nach: „Kann ich etwas zur Beruhigung haben? Für den Magen?“ Sie nickt nur kurz und verlässt die Küche. Ich habe Angst. Eine unbeschreibliche lähmende Angst. Kann ich diese Therapie wirklich durchziehen? Habe ich die Kraft dazu mich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen? Schon nach relativ kurzer Zeit kommt Aiko wieder und drückt mir ein Glas Wasser in die Hand mit dem Kommentar: „Trink das langsam aus, ja? Und dann legst du dich etwas hin.“ Ich nicke nur und trinke das Glas nach und nach leer. Ich fühle mich so schrecklich schmutzig. Warum behandelt sie mich so gut? Träge stehe ich auf und gehe mit schlurfenden Schritten ins Wohnzimmer, wo ich mich unter die Bettdecke lege. Es fühlt sich wie Jahre an, dabei habe ich zuletzt vor wenigen Stunden zusammen mit Reita hier gelegen und gekuschelt gehabt. Er wollte mir etwas gutes tun, nachdem ich nach der Therapiestunde so schrecklich durch den Wind gewesen war. Es dauert auch nicht lange bis Aiko sich zu mir legt und sie mich an ihren Brustkorb drückt. Erschöpft kuschele ich mich ein wenig an sie und schließe die Augen. „Ist das okay so für dich, Ru-chan? Wenn irgendetwas sein sollte, dann kannst du mich jeder Zeit wecken. Wir reden später über alles, ja? Versuch noch ein wenig zu schlafen“, schlägt sie mir vor. Ich nicke nur und kralle meine Hände in ihr Schlafanzugsoberteil. Ich komme mir selbst ziemlich kindisch vor, aber ich brauche diese Nähe jetzt. Ich möchte mich nicht mehr so schrecklich ausgeliefert fühlen. Hier bin ich sicher und hier will mir auch niemand etwas böses. Fertig mit mir und der Welt versuche ich mich zu entspannen. Und loszulassen. Ansonsten werde ich nie in der Lage sein abschließen zu können. Als ich es nächste Mal wach werde ist es schon hell draußen und ich höre die Vögel zwitschern. Laut der Uhr am Fernseher haben wir auch schon mittlerweile 10Uhr und eigentlich hätte ich gerade japanisch. Seufzend reibe ich mir über die Augen und stehe auf. Mir ist immer noch übel und das liegen macht das Gefühl nicht gerade angenehmer. Mit schlurfenden Schritten gehe ich langsam in die Küche, wo ich erst einmal Fumiko ganz lange umarme. Kann ich nicht einfach weiter schlafen? Ich fühle mich total schlapp und alles andere als gut gerade. Ich lasse sie wieder los und setze mich zu Reita auf die Küchenbank, der mir direkt einen Teil seiner Decke über die Schultern legt. Fröstelnd schlinge ich die Arme um meinen Bauch und lehne mich an ihn. Fumiko stellt mir ohne ein Wort zu sagen eine Tasse Tee hin und streicht mir ganz kurz über den Kopf. Eher zögerlich nehme ich die Tasse und trinke sie ganz langsam aus. Es gibt einfach nichts schlimmeres am Morgen als Ingwertee. Was die beiden wohl miteinander besprochen haben? Wahrscheinlich ging es wieder um Uruha. Fumiko möchte unbedingt am Freitag zusammen mit Aoi hinfahren, damit sich Uruha nicht abgeschoben fühlt. Und sie möchte sich unbedingt ein eigenes Bild von der Sachlage machen, da Aoi nicht wirklich bereit ist mit ihr über das alles zur Zeit zu reden. Aois Eltern machen sich auch unglaubliche Sorgen, da ihn das ganze doch ziemlich belastet. Und ich frage mich immer noch wie sie es geschafft haben ihn dazu zu bringen zu meiner Mama vorübergehend zu ziehen?! Vor wenigen Tagen meinte er nur, dass sie gut kochen kann und er wenigstens dort wieder vernünftig lernen und schlafen kann, da ihn seine Wohnung nur an Uruha erinnert und daran, dass sie ihm gegen seinen Willen eine Therapie aufgezwungen haben. Da Reita immer noch ziemlich krank ist, will Fumiko eigentlich gar nicht wegfahren und sie möchte mich eigentlich zur Zeit am liebsten gar nicht mehr aus den Augen lassen, weil sie sich so schreckliche Sorgen um mich macht. „Ru-chan? Ist es okay, wenn gleich dein Bruder vorbei kommt? Ich muss gleich arbeiten fahren und ich möchte dich nicht alleine lassen nach der Nacht. Zur Schule sollst du heute und morgen auch nicht, damit du nicht unnötig getriggert wirst. Ich glaube eine Panikattacke würde dich zur Zeit nur noch mehr verunsichern und verängstigen. Magst du vielleicht reden? Mit einem von uns? Oder mit deinem Bruder später? Ich glaube dir würde es ganz gut tun, wenn du nach den Therapiestunden noch einmal mit uns darüber sprichst oder wenigstens das alles nieder schreibst. Letztendlich liegt es ganz an dir, aber ich glaube ansonsten quälen dich wieder die Alpträume täglich und ehrlich gesagt möchte ich dich auch nicht in die Schule schicken, wenn ich genau weiß, dass du auch von Kleinigkeiten jederzeit getriggert werden könntest“, legt mir Fumiko ans Herz. Kopfschüttelnd kuschel ich mich an Reita und schließe die Augen. Ich hasse diese Übelkeit. Und noch mehr hasse ich meine Unfähigkeit mich mit der Vergangenheit auseinandersetzen zu können. Vielleicht sollte ich heute Abend einmal mit ihr reden, damit sie wenigstens weiß wie es mir zur Zeit wirklich geht und was mich so verdammt ins Wanken bringt. Sie bemüht sich so um mich und das einzige was ich mache ist jede Hilfe von ihr aus Angst vor zu viel Nähe abzulehnen. Erschöpft öffne ich die Augen wieder, da mir Fumiko immer wieder über die Wangenknochen streicht. „Versuch etwas von dem Reisbrei zu essen, ja? Wenn es dir nachher besser geht, dann kannst du ja etwas mit deinem Bruder raus gehen“, schlägt sie vor. „Mir ist immer noch speiübel“, beklage ich mich. Ganz zaghaft streicht sie mir kurz über den Kopf und meint: „Ich gebe dir etwas dagegen, okay? Konntest du denn bis eben ruhig schlafen?“ Ich nicke und schließe die Augen, presse mich an Reita. Warum nur wehrt sich mein ganzer Körper gegen mein neues Leben? Ich öffne die Augen erst wieder, als mir Fumiko ein Kältepack in den Nacken legt. Dankbar nehme ich die Tablette und das Glas Wasser entgegen, um direkt die Medizin zu schlucken. Vielleicht wäre es doch besser die Antidepressiva wieder dauerhaft zu nehmen? Auf jeden Fall so lange bis ich wieder um einiges stabiler emotional gesehen bin. Fumiko setzt sich neben mich und nimmt mich in den Arm und streicht mir immer wieder beruhigend über den Kopf. „Wenn wir sonst etwas für dich tun können, dann sagst du es uns, ja? Ich weiß es fällt dir sehr schwer“, fügt sie hinzu. Ich nicke nur und lehne mich an sie. Die Tabletten fangen langsam an zu wirken und dadurch kommt auch das schreckliche Hungergefühl wieder. Mit der linken Hand ziehe ich die Schüssel zu mir und beginne ganz umständlich zu essen. So als einarmiger Bandit ist essen eine ganz nervige Angelegenheit. Fumiko lässt mich lächelnd los und steht wieder auf um die Küche aufzuräumen. „Reirei, ist alles okay?“, erkundige ich mich. „Ich bin nur ziemlich müde, da ich bis eben im Krankenhaus war. Aber ansonsten ist alles okay, wenn man mal von dem krank sein absieht. Der Arzt hat mich zwar noch einmal eine ganze Woche krank geschrieben, aber mir geht es eigentlich wieder viel besser. Ich soll nur noch nicht in die Schule, da ich immer noch so schlapp bin und er Angst davor hat, dass ich mich mit irgendetwas anderem anstecken könnte. Ich hab gestern ziemlich lange mit Uruha telefoniert und ihm geht es dem Umständen entsprechend gut. Er hat wie oft gesagt, dass er uns alle schrecklich vermisst und es ihm außerordentlich Leid tut“, erzählt mir Reita. Aufmerksam schaue ich ihn an und nicke nur als Antwort. Plötzlich habe ich das schreckliche Verlangen mir den Finger in den Hals zu stecken und sowohl die Antidepressiva, als auch das Essen los werden zu wollen. Ich hasse das Gefühl, wenn die Tabletten anfangen die Sinne zu trüben. Aber ansonsten wäre ich wahrscheinlich nicht in der Lage hier zu sitzen, geschweige denn überhaupt was anderes zu machen außer zu weinen und mich irgendwie selbst zu verletzen. Ich hasse diese Alpträume. Und noch mehr hasse ich es, dass sie so viel Macht über mich haben. Oft bin ich nach solchen Träumen für nichts zu gebrauchen und der Selbsthass zerfrisst mich dann innerlich. Ob es wirklich hilft mehr über meine Probleme zu reden? Sich unterschiedliche Meinungen einzuholen? Der Psychologe hat ja schon ein Ozean an Geduld, wenn es um meine Therapiestunden geht. Ich kann halt über sehr vieles immer noch nicht reden, aber er zwingt mich nicht dazu. Auch wenn es momentan etwas schwierig ist, da wir über die Zeit reden wo die Alpträume und die Essstörung am schlimmsten waren. Wahrscheinlich erinnert sich mein Unterbewusstsein genau daran gerade jetzt. Auch später fühle ich mich immer noch ziemlich neben der Spur. Ich liege auf der Küchenbank und habe meinen Kopf auf dem Bein von meinem Bruder liegen. Immer wieder fallen mir die Augen zu, aber schlafen will mein Körper trotz allem nicht. Mein Bruder versucht Reita gerade den Stoff beizubringen, den er die letzte Zeit verpasst hatte. Es ist jetzt nicht sonderlich viel, aber da Reita nach wie vor ziemlich angeschlagen ist dauert es ziemlich lange bis er das alles verstanden hat. Leise seufzend ziehe ich die Decke bis zu meinem Kinn. Mir ist so schrecklich langweilig, aber ich weiß nicht was ich machen soll. Fumiko hat mir verboten etwas für die Schule zu tun und auf irgendwelche Fernsehsendungen könnte ich mich gerade im Moment eh nicht konzentrieren. Was soll ich bloß machen? Selbst fürs Lesen fühle ich mich zu schlapp. Eher widerwillig setze ich mich hin und stehe auf. Direkt mustern die beiden mich besorgt, aber ich schaffe es trotz dem Schwindelgefühl sicheren Schrittes zur Tür und in den Flur. Zögerlich gehe ich in Uruhas Gästezimmer und stelle erstaunt fest, dass jemand die Bettwäsche für mich gewechselt hat. Aber trotz allem haben sie mich nicht drauf angesprochen und ich frage mich wieso? Seufzend nehme ich mein Handy und tippe eine SMS. Hoffentlich hat Aoi überhaupt Lust herzukommen und mich ein wenig zu beschäftigen. Eigentlich will ich ihn nur sehen und mit ihm ein wenig über die letzte Nacht reden. Nachdem ich wieder runter gegangen bin ziehe ich mich um. Ich muss ja nicht gerade Aoi die Tür in einem Mädchenschlafanzug öffnen, oder? Außerdem sollte ich mir abgewöhnen immer nur Schlafanzüge zu tragen, wenn ich den ganzen Tag daheim bin. Oder mich generell so hängen zu lassen. Irgendwie werde ich es schon schaffen wieder gesund zu werden. Aber wenn ich immer nach einem Schritt vorwärts einen Schritt zurück gehe, dann bleibe ich Ewigkeiten auf der selben Stelle stehen und komme nie zu meinem gewünschten Ziel. -------------------- Sorry für die Wartezeit! Hoffentlich gefällt euch das Kapitel trotzdem :) Mit dem ruhiger angehen hat es mein Leben nicht so und aktuell liege ich im Krankenhaus, da ich endlich Abitur habe und Zeit fürs gesund werden habe. So wirklich Zeit zum Schreiben habe ich jedoch nicht, aber ich gebe mir Mühe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)