Sharuk von Maliondarin (im Zeichen des Wolfs) ================================================================================ Kapitel 1: Begegnung -------------------- Der Wind wehte eisig durch seine Haare. Das Holz in seiner Hand knarrte, ließ ihn die Anspannung in seiner Hand noch mehr spüren. Sein Atem war flach, die Brust hobt und senkt sich regelmäßig und erneut ließ ein Windstoß die kleinen Federn an seinem Speer in der Brise flattern. Er konnte seinen Herzschlag hören, wie es heftig pochte und seinen Körper mit der nötigen Energie erfüllte, seine Beute zu erlegen. Langsam schlich er auf dem Boden entlang, das Gras kitzelte seine Brust und auch seine Nase. Leise nieste er und sah noch im selben Augenblick auf. Seine scharfen, zusammengekniffenen Augen sahen es sofort, der Hirsch drehte sich um und sah den dunklen Schatten zwischen den saftig grünen Halmen des Grases. Das Tier setzte sich in Bewegung, seine starken Flanken donnerten über den Erdboden, ließen ihn vibrieren und rannte davon. Sharuk sprang auf, den Speer fest in der rechten Hand, die schwarzen Haare vom Schweiß der Anstrengung klebten auf seinem Rücken, er rannte wie ein Gepard dem flüchtenden Hirsch hinterher. Seine Füße streiften das Gras, sein Atem verschmolz mit dem Wind und sein Körper floss durch den Wald, sein Revier, sein Leben, seine Heimat. Der Hirsch jagte dahin, seine Beine waren kräftig, die Hufe ließen ein rhythmisches Trommeln auf der Erde zurück, stark genug, den Jäger in Aufruhr zu versetzen. Er versuchte, seine Kräfte zu mobilisieren, wob ein Netz aus Energie und fokussierte es in seinem Arm. Mit aller Kraft die Sharuk besaß, schleuderte er den Speer durch die Luft. Das Holzstück, spitz wie die Dornen einer Rose und tödlich wie die Klauen einer Raubkatze, flog zischend durch die Luft. Sein Ziel, das stolze Tier mit dem riesigen Geweih stob davon, doch er war nicht flink genug. Der Speer bohrte sich tief in seinen rechten Schenkel. Ließ ihn sich aufbäumen und ein Laut entfuhr seiner Kehle, der die Vögel des Waldes aufschreckte und vertrieb. Doch der Jäger war bereits zur Stelle. Er zog den Holzspeer aus dem verletzten Tier und hielt ihn drohend über ihn. „Ihr Geister der Natur, gebt mir die Kraft, meine Tat wird nicht ungesühnt bleiben, eines Tages werde ich vor eurem himmlischen Gericht stehen, doch dieser Tag ist nicht Heute!“, das letzte Wort hatte er geschrien und trieb den Speer, mittlerweile triefend vom Blut des erlegten Hirsches, in dessen Herz. Ein letztes Röhren und dann war es still. Sharuk nahm seinen Speer in die Hand und sah sich um. Er fühlte sich beobachtet, wie ein Tier, dass man in die Enge getrieben hatte. War nicht er der Jäger? Derjenige, der gerade noch die Beute erlegt hatte? Zwei glimmende Augen sahen aus dem Dickicht. Sie waren schwarz und jagten dem Jäger eine Angst ein, die er selten in seinem Leben verspürt hatte. Vorsichtig ließ er das tote Tier liegen, schritt auf die Büsche zu und schob die Blätter bei Seite. Dann sah er das wohl erhabenste Tier, dass dieser Wald in seinem tausendjährigen Leben hervorgebracht hatte. Das Fell des Wolfs war silbern, glänze in der Morgensonne und war von schwarzen Mustern durchzogen. Seine Augen blickten Sharuk mit einer derartigen Vorahnung an, dass dem Jäger mulmig wurde. Er hatte Augen wie ein See, sie spiegelten die Welt um ihn und Sharuk hatte für einen Augenblick die Einbildung, in dieser tiefen Finsternis eine andere Welt zu sehen, als Jene, in der er lebte. Langsam ging er näher, konnte jedoch die Ablehnung des Tieres in seinen faszinierenden Augen erkennen. „Was?“, fragte er verunsichert. Der Wolf jedoch blieb stumm. Er wedelte nur langsam mit seinem Schwanz und sah ihn weiter durchdringend an. Sharuk hatte den Eindruck, als wollte er ihm etwas sagen, etwas Wichtiges, doch er konnte nicht. Nachdem sie sich so eine ganze, schier unendliche Weile angestarrt hatten, knurrte der Wolf bedrohlich, drehte den Kopf und hetzte davon. Der schwarz haarige Jäger blieb konnte ihn schon nach drei Sekunden nicht mehr stehen, er war, als hätte er sich mit dem Wald vereinigt und wäre in der Luft verpufft, wie eine Wolke, die aufhört zu sein. Sharuk ging zu seinem Hirsch zurück, er fing an, ihn hinter sich her zu schleifen und hinterließ eine blutrote Spur im Gras hinter sich. Wie ein Faden zog sie sich durch den gesamten Wald, bis Sharuk an seinem Ziel angekommen war, seinem Dorf, den kleinen Waldhütten mit den Strohdächern. Er lieferte den Hirsch beim Dorf-ältesten ab. Er erntete dafür nur ein müdes Lächeln und ein Nicken. Der übliche Dank, den Sharuk bekam, wenn er einmal mehr das Dorf vor dem Hunger rettete. Die Jagd der letzten Tage und Wochen war mehr als nur mies gewesen. Jeder wusste das und ein gesunder, kräftiger Hirsch würde die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes die nächsten Wochen sichern. Sharuk schüttelte den Kopf und begann, an sich herunter zu sehen. Sein nackter, muskulöser Oberkörper war mit Blut besudelt, ein Zeugnis der Brutalität, mit der er den Hirsch hatte nieder strecken müssen. Alles was er trug, den Lendenschurz und die Lederbänder um seine Arme und Beine, hatte er, wie durch ein Wunder, vom Blut frei halten können. Sharuk seufzte und drehte sich weg. Sein Weg würde ihn nun erst einmal zum Fluss führen, er musste sich waschen und das Blut loswerden. Auf dem Weg dort hin, traf er Karuf, einen seiner jüngeren Freunde, die noch nicht die Jahre und die Erfahrung hatten, das Dort zu versorgen und vor Eindringlingen zu beschützen. Was er jedoch hatte, er hatte Kraft und ein gutes Auge. Eine nützliche Gabe über die nur wenige im Dorf verfügten. Gerade die Alten mussten sich auf die Augen der Jüngeren verlassen können, sie sahen zum Großteil nichts mehr und konnten sich kaum selber schützen. Karufs Zeit würde kommen, eines Tages. „Wie war die Jagd?“, fragte der Freund neugierig. „Ein Hirsch, groß und gut genährt.“, antwortete der Jäger und sah zu Karuf herunter. Sharuk war einen guten Kopf größer als er und grinste schwach. „Wie du siehst, brauch ich jetzt erst mal ein Bad.“, beide grinsten sich an und Karuf nickte. „Ich schicke dir Lefa.“, seine Augen glitzerten und er zwinkerte dem Älteren zu. Lefa, Sharuk sehnte sich schon seid einem halben Jahr nach der braun haarigen Schönheit, doch sie war die Tochter des Ältesten und somit völlig außerhalb seiner Reichweite. Sharuk seufzte. Er würde sie niemals lieben dürfen, geschweige denn besitzen! Langsam trottete er zum Fluss. Er war allein, das Wasser perlte über seinen Körper und wusch die letzten Rückstände des Hirschblutes von ihm. Da blitzen sie wieder auf. Diese schwarzen, undurchdringlichen Augen. Sharuk riss die Augen auf, starrte in die ewige Finsternis und bewegte sich so schnell er konnte auf die Büsche des Wolfs zu. Die pelzige Gestalt kam geschmeidig auf ihn zugelaufen. Sharuk tastete den Boden ab, doch sein Speer war natürlich nicht in seiner Nähe. Der Wolf konnte Sharuks Angst und Entschlossenheit spüren, mit einem gewaltigen Satz sprang er auf den Jäger zu, warf ihn rückwärts zu Boden und drückte seine scharfen Klauen gegen die Brust des Jägers. Wieder fixierten Sharuk diese undurchdringlichen Augen, jene Augen, in denen die Ewigkeit lag, jene Augen, in denen er sich selber und seine Seele gespiegelt sehen konnte. Zitternd war er der Bestie ausgeliefert, unfähig sich zu rühren, geschweige denn sich zu wehren. Ein einsames Knurren entwich dem Wolf. Es ließ den Jäger bis ins Mark erschüttern und Sharuk wusste, wenn sein Lebensfaden nun zertrennt würde, so wäre es doch ein ehrenhaftes Ende. Sein Gefühl sagte ihm, dass der Wolf etwas wie ein Gott sein musste. Nie hatte er so ein sagenhaftes Tier gesehen! Doch der Wald war ihm wohl gut gestimmt, einmal mehr ließ der Wolf von ihm ab und beließ es bei einem einschüchternden Knurren. Die schwarzen Augen blickten ein letztes Mal auf Sharuk herab und dann rannte das stolze Tier davon. Völlig benommen blieb Sharuk liegen. Seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig, er atmete ungleichmäßig, hastig und er hatte Angst, sich an seinem eigenen Speichel zu verschlucken. Sharuk versuchte, seinen angespannten Körper zu beruhigen. Der Wolf hatte ihn leben lassen, es musste einen Grund haben! Kapitel 2: Entscheidung ----------------------- Der Sommer ging dahin, ein kühler Herbst folgte und die bunten Blätter der Bäume fielen langsam zu Boden. Das kleine Jägerdorf lag still im Wald, es rührte sich kaum einer. Ihr größter Jäger hatte sie verlassen, wie ein kleines Kind erwachsen wird und die Kinderstube und seine Eltern verließ, war Sharuk davon gezogen, auf der Suche nach dem Wolf, der seinen Stolz mit sich genommen hatte. Sharuk war nur noch davon beseelt, diesen Wolf zu finden und ihn zu besitzen. Seine letzte Worte waren an Lefa gerichtet gewesen, er würde wiederkommen, als noch größerer Krieger und als noch besserer Jäger. Sie solle auf ihn warten. Lefa hatte genickt, das letzte Zeichen, das der Jäger von seinem Dorf in Erinnerung hatte. Wie der Wind die langen braunen Haare seiner Geliebten dahin geweht hatte und die Sonne ihre Augen hatte glitzern lassen. Sharuks Weg hatte ihn in einen entfernten Teil des Waldes geführt. Seid Wochen lebte er von Wurzeln, Gras und Moos. Bevor er nicht jenen Wolf gefunden hatte, würde er keine Ruhe geben. Doch nicht nur das trieb ihn dazu, sich wie ein Tier zu ernähren und auf die letzten Mittel der Natur zurück zu greifen. Die Jagd verlief schlecht, immer seltener traf er ein wildes Tier in den hiesigen Wäldern und noch seltener verspürte er einen Lufthauch, der ihm verriet, dass sich etwas Lebendiges in seiner Nähe befand. Langsam schweiften Sharuks dunkle Augen über den kleinen Hügel vor dem er stand. Brauner, lehmiger Boden breitete sich bis zum Horizont aus und lieferte den Bäumen Nährstoffe. Sharuk seufzte und schritt weiter. Seid Tagen hungerte er, einmal mehr, seid er in diesen verfluchten Teil des Waldes eingedrungen war. Das Gefühl, dass er beobachtete wurde, war seid dem nie geschwunden und dennoch, nichts rührte sich, er erblickte weder Mensch noch Tier. Als hätte etwas jedes Leben hier vertrieben. Der Wald war saftig und sah aus, wie der perfekte Lebensraum für Hirsche, was hatte sie nur vertrieben? Sharuks Weg führte ihn bis an den Rand des Waldes. Doch das, was er dort erblickte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Weißer Rauch stieg in den Himmel auf, die Häute unzähliger Tiere waren über hölzerne Vorrichtungen gespannt. So viele Hautlappen wie dort hingen, ließen darauf schließen, dass das dazugehörige Fleisch Sharuks Dorf über Monate gesättigt hätte. Er schüttelte entsetzt den Kopf und ließ sich langsam ins Gras sinken. So unauffällig wie er nur konnte, robbte er auf das Dorf zu. Die Häuser dort waren aus grauen Steinen, ihre Dächer hatten nicht von ihren. Alles hier schien so anders zu sein. Sein Dorf verschmolz mit dem Wald, dieses hier schien ihn eher zu vertreiben! Mit jedem Meter den er sich näherte, wurde er entsetzter. Selbst die Menschen lebten auf abnormale Art anders. Sie trugen etwas auf ihrer Haut, dass so aussah wie die Haut der erlegten Tiere. Sie hatten das Holz des Waldes in ihren Hütten, verschwenderisch viel und Sharuk kniff die Augen zusammen. Diese Lebewesen waren einer Verschwendungssucht unterlegen! Völlig gesättigt von den Eindrücken die ihm dieses merkwürdige Dorf gegeben hatte, schlich der Jäger in den Wald zurück. Erst, als er mit den grünen Büschen verschmelzen konnte und unbemerkt davon kam, fühlte er sich wieder frei. Er lehnte sich gegen einen Baum und schloss die Augen. Es war nicht mehr als ein kleiner Luftzug, ein Zeugnis des Lebens, das ihm seid so vielen Monden gefehlt hatte. Sharuk öffnete ruckartig die Augen und sah sie erneut. Diese schwarzen, geheimnisvollen Augen des Wolfs. Er verlor sich darin und sein Atem wurde flach. Er traute es sich kaum, sich zu bewegen, wie versteinert starrte er das silberne Tier vor sich an. Langsam sank er auf die Knie und streckte eine Hand aus. Er würde ihn berühren können, dann hätte er es geschafft, er könnte zurück, in sein Dorf! Doch Sharuk fiel vorn über und musste keuchend den Dreck aus seinem Mund spucken. Der Wolf war in die Büsche gesprungen, der Jäger konnte gerade noch seinen Schwanz zwischen den Blättern verschwinden sehen. "Warte!", rief er ihm gerade noch hinterher. Sofort sprang er auf und folgte dem Wolf. Ein lautes Brüllen wies ihm den Weg und spornte ihn nur noch mehr an. Sharuk störten die Schnitte und Kratzer nicht, die die Büsche und Äste der Bäume auf seiner Haut hinterließen, schlug ihm ein Ast ihn sein Gesicht, schlug er ihn weg, immer mit den Augen nach vorn, darauf fixiert, weder das Geräusch, noch das Rufen des Wolfs zu verlieren. Sharuk lief, bis ihm Blasen an den Füßen bildeten. Er hatte den Waldrand erneut erreicht, doch dieses Mal eine Stelle, an der diese Menschen mit Holzstangen auf die Bäume des Waldes ein droschen. Erschöpft lies er sich ins Gras sinken und besah sich das seltsame Schauspiel. Lautlos erschien der Wolf neben ihm und jaulte leise den Himmel an. Sharuk drehte den Kopf und sah den silbernen Wolf in die Augen. Man konnte deutlich den Schmerz darin erkennen und auf einmal wusste Sharuk, was die Tiere aus dem Wald vertrieb. Warum selbst sein Dorf nicht mehr genug zu Essen hatte und was hier vor sich ging. Entschlossen stand er auf und ging in den Wald zurück. Dies war seine Aufgabe. Der Wolf hatte ihn geholt und ihm nun gezeigt, was er von ihm erwartete. Dieses Tier hätte nicht einmal zu ihm sprechen müssen, seine ausdrucksstarken Augen hatten mehr gesprochen, als jeder Bewohner des kleinen Dorfes es gekonnt hätte. Sharuk suchte sich auf dem Erdboden einen spitzen Stein und streunte zwischen den Bäumen umher. Es dauerte etwas, bis er das richtige Material gefunden hatte. Letzten Endes fällte er sich einen kleinen, aber dennoch starken Baum. Stundenlang saß er da. Der Mond hatte bereits das Himmelszelt erobert und die Sterne spendeten dem Jäger Trost. Er schnitzte seid Stunden und der Wolf war ihm nicht ein einziges weiteres Mal erschienen. Doch Sharuk zweifelte nicht mehr an seiner Entscheidung. Kapitel 3: Angriff ------------------ Die nächsten Tage verbrachte der Jäger damit, den Traditionen seines Stammes zu folgen. Er stampfte Beeren und verarbeitete sie zu einem rotem Brei. Die Tage waren klar und so gar nicht nach Sharuks Geschmack. Er würde weiter warten, bis zum richtigen Augenblick. Sein Speer war spitz und lag perfekt in der Hand. So musste eine Waffe sein, wenn man zum Angriff über ging. Der fünfte Tag, nachdem der Wolf Sharuk seinen Auftrag gezeigt hatte, war regnerisch und die Wolken hingen tief. Kein Sonnenstrahl drang durch die dichte Wolkendecke. Alles um den Jäger herum war schwarz und düster. Selbst die knochigen Bäume wirkten bedrohlich. Doch die wahre Gefahr lauerte erst hinter den Bäumen. Sharuk bemalte seine Haut mit alten Runen seines Dorfes, er war die Waffe des Waldes geworden und diese Gefahr würde den Lebewesen hinter dem Wald nun das Fürchten lehren. Sharuk schritt durch den Wald. Er sammelte seine letzten Kräfte und bereitete sich so auf den Kampf vor. Er würde das Überraschungsmoment zu nutzen wissen. Seinen Speer hielt er aufrecht in der Rechten und sein Blick war ernst und fest. Er konnte die Anspannung in sich fühlen und wusste, entweder würde er Heute sein Leben geben oder diese Unholde von seinem Wald fern halten. Als Sharuk den Waldrand erreicht hatte, lies er sich ins Gras sinken, auch wenn es nicht nötig gewesen wäre, die Finsternis verschlang seinen Körper auch so schon. Langsam robbte er sich zum Dorf vor. Hinter dem ersten steinernen Haus kam er aus seiner Deckung heraus und schlich sich an die Häuserecke. Von dort konnte er das rege Treiben des Dorfes beobachten. Alle Gebäude schienen um ein großes Haus in der Mitte angeordnet zu sein. Dort stand ein seltsam gekleideter Man vor der Tür, er hatte sich das Fell eines Wolfs um die Schultern gelegt und der Wolfskopf lag auf seinen Haaren. An seinem Stock hingen Federn und Haare, sowohl von Tieren, als auch von Menschen. Sharuk kniff die Augen zusammen um ihn besser erkennen zu können. Er schien dieses Dorf zu leiten, er war ihr Ältester. Wenn er ihn tötete, würden diese Menschen davon rennen und sein Wald wäre in Sicherheit. Sharuk spannte seinen Muskeln an und huschte um die Ecke. Eine Frau entdeckte ihn, doch ihr Schrei wurde durch einen guten Stich von Sharuks Speer unterbrochen. Leise lies er sie zu Boden gleiten und rannte weiter. Immer mehr Männer entdeckten ihn und griffen an. Die Frauen und Kinder schützen sich, indem sie in die Häuser rannten. Nur ihr Ältester blieb mit hoch erhobenem Kopf in der Mitte des Dorfes stehen und beobachtete das Schauspiel. Er schien sich ziemlich sicher zu fühlen, als ob von dem Eindringling keinerlei Gefahr aus ging. Sharuk musste sich gegen die komischen Hölzer der Männer wehren, schlug einen nach dem anderen zu Boden und nach kurzer Zeit war sein Körper übersät mit Kratzern und Wunden. Flink hob er eine der Waffen dieses Dorfes auf. Sie hatten lange Steine an den Holzstab gebunden und schlugen damit nach Sharuk. Er wusste diese Waffe besser zu beherrschen und kämpfte sich wie ein Berserker durch die Reihen der Dorfbewohner. Bald schon gellten Schreie durch das Dorf. „Unak Dämonika.“, Sharuk konnte sie nicht verstehen, doch er spürte die aufkeimende Nervosität im Dorf. Er hatte sich mit Präzision und Ausdauer durch das Dorf gearbeitet und war nicht mehr weit von ihrem Ältesten entfernt, sein Speer und die Axt waren von Blut besudelt und Sharuk machte sich bereit, seinen Speer auf den Ältesten zu werfen. Doch er spürte die Gefahr zu spät. Ein Pfeil zerschnitt die Luft um den Jäger und bohrte sich tief in das Fleisch seiner Wade. Sharuk gab einen schmerzverzerrten Laut von sich und musste sich auf seinen Speer stützen um nicht zu Boden zu gehen. Eine der Äxte wurde ihm auf den Rücken geschlagen und der Jäger schaffte es nur mit letzter Kraft, in einer fließenden Drehbewegung den Angreifer zu erschlagen, dann sank er auf ein Knie. Blut tropfte aus seinem Mund und es wurde ein Kreis um ihn gebildet. Sharuk schloss innerlich bereits mit seinem Leben ab. Da klafften die Wolken auf und ein einzelner Sonnenstrahl fiel auf den Waldrand. Etwas silbern Glänzendes, mit schwarzen Augen stand dort zwischen den Bäumen. Der Wolf, Sharuk wusste es, noch bevor seine Augen fähig waren, die Gestalt des Silbernen zu erkennen. Ein lautes, drohendes Brüllen zerschmetterte die Stille die sich in diesem Augenblick über das Dorf gelegt hatte. Leuchtende Augen von unzähligen Wölfen tauchten zwischen den Büschen auf, dutzende von Pfoten donnerten über den Erdboden und ihnen voran der silberne Wolf. Seine Gestalt war größer als die normaler Wölfe, wie Sharuk nun erkennen konnte. Die Tiere fletschten ihre Zähne und immer öfter konnte man ein leises Knurren über die Ebene hinweg hören. Sharuk sammelte seine Kräfte erneut und richtete sich auf. Mit dem Speer in der Waagerechten hielt er sich die Angreifer vom Hals und kämpfte sich frei. Dann hatten die Wölfe das Dorf erreicht, sie zerrissen die Dorfbewohner und auch Sharuk visierte sein Ziel wieder an. Der Älteste schien langsam doch ein wenig Angst bekommen zu haben und das war das Zeichen für den Jäger. Er rannte, so schnell er konnte, auf den Vermummten zu. In seinem Eifer übersah er jedoch den Speer, der wenige Meter vor ihm aus dem Boden ragte. Sharuk stolperte und dann hörte er sie, den jaulenden Schrei eines verwundeten Wolfs, Jubelrufe der Dorfbewohner und Wehklagen weiterer Wölfe. Sharuk drehte sich um und sah den silbernen Wolf, der Speer ragte weit aus seinem Bein heraus und warmes, rotes Blut floss auf den Erdboden. Sharuk schrie, so laut er konnte. Seine Augen loderten auf und Wut ergriff seinen Körper. Das würde man ihm bezahlen! Er griff sich erneut den Speer, den er im Sturz verloren hatte und sein Blick löcherte bereits den Ältesten. Einige Männer warfen sich wiederum in seinen Weg, doch aufzuhalten vermochte ihn keiner. Sharuk spannte die Muskeln seines Armes an, kniff die Augen zusammen und schmiss den Speer, mit all seiner Kraft und geleitet von Wut und Verzweiflung. Das Holz flog surrend durch die Luft und alle Augen waren darauf gerichtet. Schnell wie der Wind flog es dahin und bohrte sich dann tief in die Brust des Alten. Ein Blitz zerriss die Stille und der darauf folgende Donner ließ das Dorf die Luft anhalten. Sharuk stockte, denn der Alte fiel weder um, noch brach er zusammen, hatte er nicht richtig gezielt? Doch dann hörte er den Knall, er war wie das Donnern in einer stillen Nacht. Der Pelz fiel von dem dürren Klappergestell herunter und eine rote Blutlache bildete sich unter seinem Körper. Sharuk wollte sich umdrehen und sehen, ob der Wille des Dorfes gebrochen war, doch in diesem Moment sauste ein ganzer Pfeilhagel auf den Jäger herab. Pfeile bohrten sich in seine Beine, Arme und seinen Rücken und zwangen den Jäger zu Boden zu gehen. Das Letzte was Sharuk sah, waren die undurchdringlichen, mystischen Augen des Wolfs. Sein Kopf war tief über den Sharuks gebeugt. Der Jäger wusste, er hatte das Richtige getan. Dann wurde es Schwarz, tiefe Stille und Finsternis nahm von ihm Besitz. Kapitel 4: Wiedersehen und Abschied ----------------------------------- Zwei kleine Schneeflocken rieselten auf die roten Lippen. Braune Augen öffneten sich unter einer weißen Schneedecke. Sharuk kämpfte sich aus dem Berg Schnee heraus, der ihn unter sich begraben hatte. Ein wenig von ihm entfernt lag der silberne Wolf. Langsam krabbelte Sharuk in dessen Richtung. Vorsichtig streckte er die Hand aus und versuchte, das Tier zu beruhigen. Er konnte die Augen des Wolfs flackern sehen und sein leises Jaulen schreckte ihn noch ein letztes Mal zurück. Doch dann atmete Sharuk tief durch und berührte das Fell am Bein des Tieres. Nirgendwo war Blut zu sehen. Sharuk wusste doch genau, dass dieser Wolf sich noch vor wenigen Stunden oder Tagen für ihn geopfert hatte, ein Speer hatte sein Bein durchbohrt! Sharuk sah den Wolf zweifelnd an. „Du bist ein Gott, nicht wahr?“, fragte er leise und sah den Wolf ernst an. In diesem Moment sprang der Wolf auf und sah den Jäger durchdringend an. Mit einem lauten Brüllen scheuchte er den Jäger zurück und sprang dann zwischen den Bäumen hindurch in die Ferne. Sharuk schüttelte den Kopf. „Warum bist du nur immer so unnahbar?“, fragte er seufzend in den Wind. Sharuk kam nur langsam voran. Er hatte eine große Wunde an der Schulter und unzählige Schnitte an seinem Bein erschwerten das Vorankommen. Er konnte spüren, dass er mehrere Tage an dieser Stelle gelegen hatte, in diesen Tagen musste der Schnee gefallen sein. Der Wolf hatte ihn wohl aus dem Dorf gezerrt, anders konnte er es sich nicht erklären, wie er in den Wald gekommen war. Es dauerte drei Tage, bis Sharuk sein Dorf wieder sah. Die wohl bekannten Holzhütten, die mit dem Wald verschmolzen. Sharuk atmete tief durch. Er war wieder zu Hause! Ein lauter Ruf schallte durch das Dorf: „Sharuk ist wieder da!“, sofort versammelte sich das ganze Dorf am Fuße des Felsen, auf dem Sharuk gerade stand. Doch Sharuks Augen sahen nur Lefa, seine geliebte Lefa! „Sharuk? Was ist mit dir passiert?“, rief seine Geliebte aufgeregt nach oben. Doch der Jäger wusste nicht, was die Frau meinte. In diesem Augenblick spürte er etwas Weiches, das sein Bein streifte. Als er herunter sah, sah er den silbernen Wolf an seiner Seite. Ein beängstigtes Schweigen ergriff die Dorfbewohner. „Fürchtet euch nicht.“, besänftigte er sie und sprang zu ihnen. Lefa fuhr ergriffen über seine Schulter. „Sharuk?“, stammelte sie. Zum ersten Mal betastete auch er seinen Körper. Er hatte eine riesige Narbe auf seiner Schulter – in Form einer Wolfspranke. Zweifelnd drehte er sich um und sah den stolzen Wolf an. Dies war sein Mahl! Der Wolf sprang vom Felsen und verschwand im Wald. Die Feste hatten viele Tage lang gedauert. Sharuk war zum Vorsitzenden des Dorfes ernannt worden, dutzende Jahre waren ins Land gegangen und doch hatte Sharuk, mit dem Mahl des Wolfs, eben Jenen nie wieder gesehen. Wölfe waren von da an Heilig gesprochen worden und Sharuk hatte gelernt, dass sie und der Wald eins waren. Die Menschen im Wald mussten ihren Lebensraum schützen und der Wald würde sie ernähren und ebenfalls schützen. Nach wenigen Monaten, gleich nachdem der Schnee verschwunden war, waren die Tiere in den Wald zurück gekehrt. Das Dorf hatte nie wieder Hunger leiden müssen und Sharuks und Lefas Kinder wuchsen glücklich heran. Erst an jenem Tag, an dem der Lebensfaden Sharuks zertrennt wurde, zeigte sich der silberne Wolf erneut. Die Nacht war erfüllt vom Wehklagen der Wölfe und Sharuks Seele stieg in jener Nacht, geleitet von ihren Rufen, in den Himmel hinauf. --------------------- Für die Erklärung, der Wolf war tatsächlich ein Gott und hinterließ auf der Schulter des Mannes ein Mahl, als er ihn aus dem Dorf rettete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)