Kryptonit von Ur (Jeder Held hat eine Schwäche) ================================================================================ Kapitel 32: Alkohol ------------------- Liebe meine Lisa, alles Liebe und Gute zu deinem Geburtstag! Das Kapitel ist als Ersatz dafür gedacht, dass du diesmal keine Blume kriegst ... damit du sie nicht wieder vergessen kannst ;) Dann ist das Kapitel für meine anderen Schäfchen. & , weil sie sich die Sache mit dem P-Wort gewünscht haben und weil sie ganz hinreißend sind. Und für und , einfach weil Plüsch und Liebe und so. UND dann gibt es noch eine Widmung für , die immer so niedliche Kommentare schreibt, ein Chris/Anjo-Fangirl ist und der ich auf der letzten Party versprochen habe, dass sie eine Widmung bekommt :) Zu diesem Kapitel gibt es später noch einen Oneshot aus Leons Sicht, den ihr dann hier: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/153170/250137/ finden werdet (das wird aber erst am Abend irgendwann sein). Viel Spaß mit diesem riesigen Berg Zucker und danke für all eure Kommentare und Favoriteneinträge! Liebe Grüße und gute Nacht, _______________________ Das Haus von Anjos Mutter und ihrem Freund ist wirklich sehr schön. Es ist eine Schande, dass es mittlerweile abends zu kühl ist, um draußen zu sitzen, sonst hätte man im Garten wunderbar grillen können. Aber so hocken wir in dem geräumigen Wohnzimmer auf dem Boden um einen flachen, runden Tisch und trinken Bier und – in Anjos Fall – Cola. Simone saß am Anfang kurz bei uns und hat sich mit uns unterhalten, während ihr Freund Daniel – ein ziemlicher Riese mit braungebrannter Haut und verschmitzten Grübchen – in der Küche herumgeflucht hat, weil irgendwas mit seinem kleinen Geburtstagskuchen, den er für Anjo backen wollte, schief gegangen ist. Letztendlich kam er ganz betreten mit einem Berg Krümeln auf einem Teller ins Wohnzimmer und hat sich tausend Mal bei Anjo entschuldigt, weil ihm der Kuchen beim Umstülpen kaputt gegangen ist. Anjo hat sich natürlich trotzdem gefreut und die Hälfte der Krümel mit einem Löffel gegessen. Laut seiner Aussage waren die Krümel ausgesprochen lecker und Daniel sah ein wenig beschwichtigt aus. Anjo hat diese Art an sich. Er macht Menschen zufrieden. Ich hab keine Ahnung, wie er das anstellt, aber er ist wirklich hervorragend darin. Selbst Leon, der ja sonst fast immer brummig aussieht, wirkt in Anjos Gegenwart ausgeglichen und gut gelaunt. Nach dem Kuchendesaster und der Unterhaltung mit Anjos Mutter haben die beiden sich verzogen, um bei Freunden Raclette zu machen und wir haben das Haus für uns. Wir haben angefangen, Black Stories zu spielen, was mit sieben Leuten nicht so einfach ist, aber wir haben trotzdem eine Menge Spaß dabei. Felix ist ziemlich gut in diesem Spiel. Nicht, dass es mich überrascht hätte. Im Verschwörungen planen und aufdecken ist er ein Meister. Es ist dunkel draußen und das schummrige Licht einiger Kerzen und einer gedimmten Stehlampe macht die Atmosphäre ziemlich lauschig. Ich hocke neben Anjo an einen Sessel gelehnt, die drei Mädchen sitzen uns gegenüber und Leon und Felix lümmeln auf meiner anderen Seite. Felix sitzt zwischen Leons Beinen und Leon krault ihm den Nacken. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich mich bei diesem Anblick gefühlt hätte, wenn er ein paar Monate zurückläge. Mittlerweile amüsiert es mich nur noch. Und ganz, ganz eventuell stelle ich mir vor, dass es nicht übel wäre, wenn Anjo zwischen meinen Beinen hocken würde. Das steht allerdings auf einem anderen Blatt. »Ich werd mal die Bowle holen«, sagt Felix in diesem Moment und rappelt sich ächzend auf. Dann bückt er sich, drückt Leon einen Kuss auf den Mund und streckt sich, ehe er davon wuselt. »Ich wette zehn Euro, dass da Alkohol drin ist«, sagt Sina breit grinsend. Ich sehe Leons Mundwinkel zucken und bin sicher, dass er daneben stand, als Felix die Bowle zubereitet hat. »Da wettet doch niemand gegen«, entgegnet Lilli amüsiert und nimmt den Stapel mit den Black Stories von Anjo entgegen, der das letzte Rätsel gestellt hat. Ich kannte das Spiel bis heute nicht. Es geht darum, dass einer der Spielenden eine Situation vorliest – die meistens irgendetwas mit einem Verbrechen oder einem Todesfall zu tun hat – und die anderen müssen mit ›Ja/Nein‹-Fragen herausfinden, was passiert ist. Das kann ziemlich witzig sein. Felix stellt liebend gern Fragen, die irgendetwas mit Sex zu tun haben. »Wehe, irgendjemand verschmäht mein Meisterwerk«, ertönt Felix’ Stimme hinter mir und er kommt mit einem riesigen Bottich grüner Flüssigkeit aus der Küche zurück. Sieht aus, als hätte er irgendwas mit Waldmeistersirup gezaubert. Unten schwimmen Kiwis und Äpfel und es sieht ziemlich lecker aus. Und tückisch. Alles in allem so wie Felix. »Da ist ein bisschen Sekt und so drin«, erklärt er mit Unschuldsmiene an Anjo gewandt. Ich hab es ja so was von gewusst. »Aber man schmeckt nichts.« Anjo nimmt bereitwillig einen Becher entgegen und schnuppert daran. Ich finde es irgendwie putzig, dass er an allem riecht, bevor er es probiert. Der Geruch jedenfalls scheint ihn nicht abzuschrecken, denn er probiert. »Oh. Schmeckt tatsächlich«, sagt er und lächelt breit zu Felix empor, der fachmännisch mit einer Kelle da steht und Bowle an alle verteilt. »Sag ich doch. Der größte Alkoholanteil dürfte in den Früchten stecken«, sagt er. Seine funkelnden Augen sagen mir, dass in seinem Kopf irgendetwas Unheilvolles vor sich geht. Die Bowle schmeckt wirklich verdammt süß. Als hätte Felix tonnenweise Zucker reingedonnert, damit man den Alkohol auch ja nicht schmeckt. Seinem Blick nach zu urteilen ist da nicht nur Sekt drin, sondern sicherlich auch irgendwas Hochprozentiges. Aber gut. Man kann das schlimmste ja aufhalten, wenn man sieht, dass Anjo langsam beschwipst wird. Als nächstes besteht Sina auf Twister. Das habe ich schon seit Jahren nicht mehr gespielt, aber ich lasse mich von ihr überreden. Felix ist für so einen Kram auch immer zu haben und selbst Leon hievt sich vom Boden und streckt sich. Netterweise muss ich nicht gleichzeitig mit dem Brummbären aufs Feld. Stattdessen lande ich mit Anjo, Nicci und Felix auf der Plastikplane, die auf dem dunkelroten Teppich ausgebreitet liegt. Sina macht es sich zur Aufgabe, den Zeiger zu drehen. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass Leon uns ganz genau beobachtet, als würde er befürchten, dass ich Felix zu sehr auf die Pelle rücke. Allerdings ist dieses Spiel nicht gerade dazu geeignet, weiten Abstand von einander zu halten. »Chris, den rechten Fuß auf Grün«, sagt Sina verschmitzt. Ich stöhne. Sportlich bin ich ja. Aber von gelenkig war nie die Rede. Nicci hat überhaupt keine Probleme damit, sich zu verbiegen, und auch Felix scheint nur halb so steif zu sein wie ich. Aber ich bin Kampfsportler und wurde seit Jahren darauf trainiert einen festen Stand und eine dementsprechend unbewegliche Hüfte zu haben. Als ich meinen Fuß auf Grün schiebe, wanke ich ziemlich. Ich bin nach hinten gebogen und mir läuft langsam aber sicher das Blut in den Kopf. Dass Nicci und Felix dauernd kichern und wackeln ohne umzufallen, hilft nicht gerade. Anjo ist zur Hälfte unter Felix begraben und nur zwei seiner Finger berühren den roten Punkt, der ihm von Sina genannt wurde. Sein Arm streift meinen und ich bemühe mich auch weiter, auf das Spiel konzentriert zu bleiben. Das lässt sich nur zur Hälfte durchsetzen. Vor allem, als Felix in all seinem Gewackel doch zusammenbricht und lachend von der Plane kriecht, um uns das Feld zu überlassen. Nicci ächzt angestrengt und Anjo gibt ein leises Wimmern von sich. »Sina! Ich will meinen Arm da wegnehmen! Der fällt mir sonst gleich ab!«, klagt er halb leidend, halb lachend. Über Kopf sehe ich, wie Sina gut gelaunt den Zeiger dreht. »Tut mir Leid. Den linken Fuß auf Gelb«, gibt Sina zurück. Nicci gibt ein ersticktes Keuchen von sich, als Anjo seinen Fuß unter ihr hindurch schiebt. Dann kippt sie zur Seite um und rollt lachend vom Feld. »Ich sterbe«, informiere ich meine beste Freundin, die glucksend erneut den Zeiger dreht. »Linke Hand auf Blau«, sagt sie. Ich schnaufe, drehe mich halb in der Luft und muss nun über Anjo hinweg greifen, um an den nächsten blauen Punkt zu kommen. Wir sind uns eindeutig zu nah. Anjos Wangen sind gerötet und sein Gesicht schwebt nur Zentimeter von meinem entfernt. Ich habe das deutliche Gefühl, dass Sina sich diesmal besonders viel Zeit beim Drehen lässt. Mein Herz rutscht mir in die Hose und ich schlucke mit trockener Kehle. Anjos Augen leuchten grün zu mir hinauf. Ich spüre sämtliche Blicke auf uns und Anjos Atem geht ein wenig schneller als vorher. »Ich breche gleich zusammen, wenn du nicht drehst«, keucht Anjo angestrengt und ich spüre seine Arme zittern. »Rechte Hand auf Rot«, sagt Sina und ich sehe den Blitz einer Kamera. Na toll. Beweisbilder davon, wie ich mich zusammen reißen muss, den Knirps nicht zu knutschen. »Na toll«, ächzt Anjo, hebt eine Hand und kommt mir so noch ein Stück entgegen. Ich zucke unweigerlich zurück, strauchele ich klappe dann auf Anjos Beinen zusammen. Anjo stößt einen erstickten Schrei aus, ich fluche unterdrückt und stemme mich auf beide Arme, um Anjo nicht halb zu erdrücken. Der Knirps ist aber robuster, als er aussieht, und als er sich aufsetzt, lacht er so sehr, dass ihm Tränen über die Wangen laufen. »Anjo hat gewonnen, würde ich sagen«, höre ich Felix’ amüsierte Stimme und erneut zuckt ein Blitz durchs Wohnzimmer. Ich grinse breit und wische mir die Haare aus der Stirn. Morgen tut mir sicher alles weh. Glucksend krabbele ich auf allen Vieren hinüber zum Tisch und nehme ein neues Bier von Nicci entgegen. »Viel Glück«, sagt Felix zu seinem Freund, als Leon mit Sina und Lilli hinüber zur Plastikfolie geht. Felix schnappt sich die Pappe mit dem Zeiger darauf. »Und geier’ Sina nicht so oft in den Ausschnitt!«, mahnt Felix feixend. Leon grummelt etwas Unverständliches, sieht aber genau wie Sina amüsiert aus. Ich sitze wieder neben Anjo und mein Kopf schwirrt immer noch ein bisschen von der merkwürdigen Nähe während dieses Spiels. Anjo beobachtet amüsiert, wie Leon, Lilli und Sina sich übereinander stapeln und Felix einen Lachanfall bekommt, als Leon sich ehrlich bemüht nicht mit dem Arm gegen Sinas Brüste zu stoßen. Gedankenverloren löffelt er die alkoholisierten Früchte aus seinem Bowlebecher und sieht nicht so aus, als würde ihn der Alkoholgeschmack stören. »Komm, wir exen ein Bier«, sagt Felix zu mir, nachdem er Leon eine neue Anweisung gegeben hat. Er schiebt Anjo den Zeiger zu. Ich hebe die Brauen. »Du willst gegen mich trinken?«, frage ich verschmitzt. Felix schmunzelt scheinheilig. Normalerweise tut er das nicht. Er weiß nämlich genau, dass er keine Chance hat. »Ich bin gut gelaunt. Vielleicht schaff ich es ja doch«, meint er und lässt sich von Nicci zwei Flaschen reichen. Er öffnet beide und ich spüre Anjos Blick auf mir, als Felix und ich die Flaschen an den Mund setzen. »Eins, zwei, drei«, zählt Nicci und bei drei fangen Felix und ich an zu trinken. Felix ist nicht langsam, aber ich hab das viel zu oft gemacht, als dass er mich schlagen könnte. Ich bin nicht besonders stolz drauf, aber gewonnen hab ich trotzdem und stelle die leere Flasche grinsend auf den Tisch. Ein Aufschrei von links veranlasst mich dazu, den Kopf zu drehen und ich erkenne ein Knäuel aus drei Leuten, die nun alle übereinander liegen. Leon lachen zu sehen ist ziemlich ungewöhnlich. Er sieht ja fast nett aus. »Wer ist zuletzt umgefallen? Ich hab überhaupt nichts gesehen vor lauter Armen und Beinen!«, klagt Anjo amüsiert und Lilli robbt aus dem Gliedmaßen-Gewusel hervor. »Ich… wäre nicht umgefallen, wenn Leon mich nicht getackelt hätte!« Leon schnaubt empört und keucht angestrengt, als er sich zwischen Sinas Beinen aufsetzt und sich die Haare aus der Stirn streicht. »Sina hat mich angerempelt!« Sina lacht und boxt ihm gegen den Oberarm. »Verräter!« Also endet diese Runde unentschieden und zur Feier dieses Ausgangs fordert Sina mich zum Wetttrinken heraus. »Du auch?«, frage ich blinzelnd. Sina grinst breit. »Ist schon so lange her. Ich will wissen, ob ich immer noch besser bin als du«, feixt sie und streckt mir die Zunge heraus. Also geht das ganze Spiel von vorne los und ich habe langsam aber sicher das dumpfe Gefühl, dass man hier versucht mich abzufüllen. Sina gewinnt tatsächlich, was Leon zu einem zufriedenen Grinsen verleitet. »Grins du nur! Gegen dich gewinn ich allemal«, erkläre ich ihm mit hochgezogenen Augenbrauen und einem breiten Schmunzeln. Leon schnaubt und greift prompt nach einem Bier. Wenn ich weiter so viel Kohlensäure konsumiere, dann platzt mein Magen wahrscheinlich. »Chris kann sowieso keine Herausforderung ausschlagen«, sagt Sina zu Anjo und ich weiß, dass der Knirps mich beobachtet, als ich das dritte Bier ansetze und darauf warte, dass Lilli bis drei zählt. »Unentschieden«, sagt Felix, als wir absetzen. Ich verkneife mir ein Grummeln. Klar, jemand wie Leon, der macht so was öfter. »Das heißt dann, dass ich gewonnen habe«, zwitschert Sina gut gelaunt und wirft mit einer theatralischen Geste die Haare in den Nacken. »Wenn ihr jetzt fertig seid mit euren primitiven Ritualen«, meint Nicci schmunzelnd und Sina wirft ihr einen gespielt empörten Blick zu, »dann können wir Anjo endlich seine restlichen Geschenke geben.« Die Mischung aus extrem süßer – und hochprozentiger – Bowle und dem Schnelltrinken des Bieres sorgt dafür, dass mir bereits ziemlich warm ist. Ich hätte vielleicht mehr von Sinas Nudelsalat essen sollen. Oder einen Muffin mehr. Es hilft auch nicht, dass Anjo immer noch so nah an mir dran sitzt. Nicci, Lilli und Felix stehen auf, um im Flur in ihren Taschen nach Anjos Geschenken zu suchen. »Was hat er von dir gekriegt?«, fragt Leon mich unvermittelt von der Seite. Ich drehe den Kopf und sehe ihn einen Moment lang verwirrt an, weil Leon normalerweise nicht direkt mit mir redet, wenn es nicht unbedingt sein muss. Ich halte es ja genauso. »Einen Pulli«, gebe ich stumpf zurück. Leon runzelt die Stirn. »Einen… Pulli?«, wiederholt er, als wäre das das Dümmste, was er jemals gehört hat. Sina kichert verdruckst. »Nicht irgendeinen Pulli, du Depp«, erkläre ich ihm und verschränke die Arme vor der Brust. Leons Augenbrauen verschwinden fast unter seinem dunkelblonden Haarschopf. »Der Pulli, wegen dem wir uns näher kennen gelernt haben«, kommt es von Anjo und meine Augen huschen zum Knirps hinüber. Er lächelt. Oh Gott. Er soll bittesehr nicht mit so funkelnden Augen glücklich lächeln. Leons Blick wandert von mir zu Anjo und wieder zurück. Ich sehe seine Mundwinkel zucken und unterdrückte das Bedürfnis ihn zu fragen, was genau daran denn witzig sein soll. Felix und die beiden Mädchen kommen wieder zurück und Felix hockt sich erneut zwischen die Beine seines Brummbären. Lilli reicht Anjo ein flaches Päckchen. »Ist Sinas Geschenk wahrscheinlich nicht unähnlich«, meint sie entschuldigend und Anjo reißt sorgfältig das Papier von dem Päckchen. Es stellt sich als Bilderrahmen heraus, dessen Inhalt selbst gezeichnet ist. Man, das kleine Leuchtfeuer zeichnet genauso gut wie Anjo. Da haben sich zwei Genies gefunden. Das Bild ist mit Kohle gezeichnet und zeigt eine Abbildung des Fotos von Anjo und Lilli, auf dem sie beide mit Pinseln zu sehen sind. »Dein Grinsen hat mich fertig gemacht, kann ich dir sagen«, meint Lilli. Sie ist neben Anjo gerutscht und legt ihr Kinn auf seine Schulter. »Ich zeichne auch nicht gern Zähne«, sagt Anjo und dann strahlt er sie an und umarmt sie. »Vielen Dank!« Wenn ich daran denke, wie krüppelig meine Umarmung war… ein Elend. Lilli und Anjo lassen sich gar nicht mehr los und ich bemerke Sinas Blick auf mir und sehe sie irritiert an. Sie hebt die Brauen und dann grinst sie so breit, dass ich beinahe Angst habe, ihr Gesicht könnte sich in zwei teilen. Felix und Leon schauen mich ganz genau so an. Na gut, Leon grinst nicht ganz so breit. Aber er scheint zufrieden zu sein. Ich finde das alles überhaupt nicht witzig. Es ist, als hätte sich das ganze Universum gegen mich verschworen! Felix und Leon haben für Anjo eine Kiste mit Malkram zusammengekauft und ich bin sicher, dass Lilli oder Sina da als Beraterin fungiert haben, weil Anjo über ein Set von ganz bestimmten Stiften – die sich Copic Marker oder so nennen – beinahe durchdreht. Nicci hat ihm eine CD mit Liedern von Limelight zusammengestellt und die Texte als Booklet zusammen getackert. Anjo freut sich über alles und jeden und strahlt und bedankt sich und seine Wangen sind ganz rot vor lauter Begeisterung und dann trinkt er noch einen Becher Bowle. Und löffelt die Früchte. Mein Körper überfordert mich. Er fühlt sich auf relativ nüchternen Magen, mit Bier voll gepumpt und mit Bowle garniert ziemlich prickelig an. Ganz zu schweigen von Anjo, der so dicht neben mir hockt, dass ich seine nackte Haut auf meinem Arm spüren kann. Hab ich mich schon immer so angestellt, wenn es um Berührungen ging? Eindeutig nicht. Lächerlich, Christian! Arm an Arm und du kriegst einen halben Herzinfarkt? Wo kommen wir da hin, wir haben schon sehr viel mehr nackte Haut an unserer gefühlt! Wir beschließen, noch ein paar Runden Black Stories zu spielen und Felix wird nicht müde, mir und Anjo dauernd Bowle nachzuschenken. Mit extra viel Obst drin, übrigens. In der dritten Runde fangen die Mädchen eine Diskussion an über Dinge, die genauso blöd aussehen, wie sie genannt werden. Sina toppt alles vorher genannte mit dem Wort ›Penis‹, was die drei in einen derart heftigen Kicheranfall stürzt, dass sie den Rest der Runde nicht mehr ansprechbar sind. Die drei hängen aufeinander wie ein Haufen Kichererbsen und Sina haut sich lachend auf den Oberschenkel, während Lilli sich Tränen aus den Augen wischt. Felix sieht amüsiert aus, Leon ignoriert das Gelästere über das männliche Geschlechtsteil gekonnt und Anjo ist so rot im Gesicht, als würden wir gerade versuchen ihn aufzuklären. »Glaubst du, wenn ich noch mehr Bowle trinke, hilft mir das über solche Ausbrüche hinweg zu sehen?«, fragt Anjo leise und schaut mich etwas kläglich an. Ich muss schmunzeln. »Wenn man genug getrunken hat, findet man es entweder selber witzig, oder es ist einem total egal«, antworte ich amüsiert. Anjo seufzt resigniert, dann füllt er seinen Becher erneut mit Bowle. Lilli, Sina und Nicci sind zu keiner vernünftigen Unterhaltung mehr fähig, weil eine von ihnen immer wieder ›Penis‹ sagt, woraufhin alle drei in erneutes Gelächter ausbrechen. Mädchen können so albern sein. Aber ich darf mich nicht beklagen, wenn ich daran denke, dass ich mit Felix Telefonstreiche gemacht und so getan habe, als wäre ich der Besitzer eines Sexshops. Anjos Wangen sind mittlerweile dauerhaft gerötet und ich glaube, er ist tatsächlich angetrunken. Wer hätte das gedacht. Ich sehe zu Felix hinüber, der recht zufrieden mit der Welt aussieht. Und dann verstummt das irre Gegiggel der Mädchen fast schlagartig, als Anjo sich ein Stück zur Seite kippen lässt und seinen Kopf auf meiner Schulter platziert. Himmel. Arsch. Und. Zwirn. Und dann seufzt der Knirps auch noch. Ich geh sterben. Sofort. Mein Gesichtsausdruck scheint unbezahlbar zu sein, weil Leon sein Gesicht an Felix’ Schulter vergräbt und ich sehe, wie sein Oberkörper vor unterdrücktem Lachen zuckt. Die Mädchen strahlen zu uns herüber und Felix sieht aus, als hätte er gerade den Friedensnobelpreis erhalten. Anjos Augen sind geschlossen, wie ich nach einem Blick nach unten feststelle. Ein kaum merkliches Lächeln umspielt seine Lippen und ich muss unweigerlich schlucken. Das hier ist noch weniger hilfreich als die Runde Twister vorhin. Ich bin fast sechs Jahre älter als der Knirps und hab schon so viele Kerle gevögelt, dass ich die Ruhe in Person sein sollte. Aber das bin ich überhaupt nicht. Ich fühle mich wie ein pubertärer Teenager. Scheißdreck. »Ihr seid so niedlich!«, sagt Sina lautlos mit den Lippen und ich möchte ihr eigentlich gern den Mittelfinger zeigen, aber wenn ich mich bewege, dann nimmt Anjo vielleicht seinen Kopf weg von meiner Schulter. Felix piekt mich in die Seite und ich schaue ihn hilfesuchend an. Alles, was ich bekomme, ist eine Geste, die mir bedeutet, dass ich den Arm um Anjo legen soll. Ich knurre leise. Und plötzlich tun sie alle so, als wäre alles in bester Ordnung und fangen mit der nächsten Runde an. Ich fasse es nicht. Mein Magen macht einen Salto nach dem anderen und dann gebe ich nach, hebe vorsichtig den Arm und lege ihn um die schmalen Schultern neben mir. Anjos Augenlider flackern, er dreht den Kopf ein Stück und sieht hoch zu mir. Seine grünen Augen sehen glasig aus und er lächelt ziemlich verschwommen. Und dann – verfluchter Mist! – kuschelt er sich an mich und macht die Augen wieder zu. Sina schafft es gerade noch, ein Quietschen zu unterdrücken und Lillis Strahlen ist so riesig, dass ich mich fast ein wenig geblendet fühle. Wieso nimmt hier niemand Rücksicht auf mich? Bleibt mir nur noch Selbstmitleid. Scheißdreck. Was soll ich jetzt machen? Ich bin überfordert. Unweigerlich denke ich daran, was Sina gesagt hat. Worüber Anjo sich am meisten freuen würde. Ja, Herrgott, ich weiß ja, dass der Knirps mich mag. Aber ich bin erstens nicht für so was geeignet und zweitens stecken meine… – oh Gott, Gefühle! – noch in den Kinderschuhen. Natürlich wird davon ein Foto gemacht. Natürlich sind jetzt alle noch besser gelaunt als vorher. Meine Finger kribbeln unter dem Bedürfnis, Anjo durch die Haare zu streicheln. »Ich glaub, ich bin betrunken«, nuschelt Anjo. »Geht’s dir schlecht?«, frage ich besorgt und mustere ihn von oben. Er schüttelt kaum merklich den Kopf und sein Lächeln sieht aus, als wäre er eigentlich bekifft. »Eigentlich glaub ich, dass es mir noch nie so gut ging.« Na toll. Der Knirps lallt. »Willst du ins Bett?«, erkundige ich mich. Anjo kichert matt. Oh man. »Ich glaube nicht, dass ich laufen kann«, meint er undeutlich. Ich seufze ergeben. Vorhin hat Anjo uns die Zimmer gezeigt, in denen wir schlafen können. Anjo hat sein eigenes Zimmer und dann gibt es noch ein Gäste- und ein Wäschezimmer. Die Mädchen teilen sich das Wäschezimmer und ich armer Idiot muss mit Felix und meinem Lieblings-Leon in einem Zimmer schlafen. Wenn die beiden nachts anfangen rumzumachen, dann werd ich zum Berserker. »Du kannst ja schlecht hier schlafen«, sage ich. Nicci und Leon reden im Hintergrund über irgendein neues Lied. Sinas Blick haftet auf mir und Anjo. »Dann bring ihn doch rauf«, trällert Sina in diesem Moment. Es ist einer dieser Augenblicke, in denen ich meine beste Freundin erwürgen möchte. Aber schön. Ich löse meinen Arm von Anjos Schultern und stehe auf. Mein Körper ist dank der Bowle und dem ganzen Bier auch nicht mehr nüchtern. Mein Gehirn fühlt sich ein wenig lahm an. Ich fasse Anjo unter die Arme und stelle ihn auf die Füße. Tatsächlich wankt er ziemlich. »Schlaf gut«, sagt Felix bestens gelaunt. »Ich hätte keinen Alkohol trinken sollen«, nuschelt Anjo. »Oh doch. Hättest du«, meint Lilli mit Unschuldsmiene. »Gute Nacht!« Anjo dreht sich um, um das Wohnzimmer zu verlassen, und sein Körper ist ganz klar nicht an den Alkohol gewöhnt, denn er strauchelt prompt. Ich grummele stumm, weil ich mir vorstellen kann, was gleich passiert… wenn ich tue, was sein muss, um Anjo heil ins Bett zu kriegen. »Ok, so kommst du im Leben die Treppe nicht hoch«, sage ich und Anjo sieht ziemlich verloren aus, wie er da so schwankend vor mir steht. Ich schaue nicht zu den anderen, als ich Anjos Oberkörper mit einem Arm umfange, mich bücke und ihn kurzerhand hochhebe. Das Quietschen und Giggeln folgt mir, als ich den Knirps in den Flur trage. »Tut mir Leid«, sagt Anjo peinlich berührt. Sein Kopf ist hochrot und ich seufze nur. »Kein Problem.« Anjo hat früher sicher noch weniger gewogen, aber er ist immer noch ein Fliegengewicht. Für mich zumindest. »Ich fühl mich wie ein Mädchen«, klagt Anjo. Ich muss grinsen. »Tja. Prinzessin Anjo, dann nächstes Mal einfach weniger Bowle trinken, damit du allein die Treppe hochkommst!« Anjo schaut die ganze Zeit hoch zu mir und mein Gemütszustand verbessert sich dadurch nicht gerade. Im Gegenteil. Mir ist immer noch ziemlich warm vom Alkohol und Anjos Körper so nah bei meinem bessert es nicht wirklich. »So, da wären wir«, sage ich. Anjos Zimmer hier ist ziemlich groß und hell. Es ist eigentlich nur dafür da, wenn Anjo mal für eine Woche oder länger zu Besuch kommt, aber trotzdem sieht es sehr viel wohnlicher aus als das, was er bei seinem Vater hatte. Man merkt, dass seine Mutter sich Mühe gemacht hat, als sie die Möbel ausgesucht hat. Das Bett ist breiter als meins und ich setze Anjo darauf ab. Das Licht vom Flur scheint ins Zimmer, ansonsten ist es dunkel und ich sehe nur Anjos Silhouette, die sich nun das T-Shirt über den Kopf zieht. »Tut mir wirklich Leid«, sagt er noch mal. »Macht nichts«, entgegne ich mit einem Lächeln. Dann hebe ich unentschlossen die Hand. »Also dann… schlaf gut«, sage ich und drehe mich um. Aber… »Du kannst nicht gehen!«, sagt Anjo und er klingt richtig entrüstet. Ich blinzele und drehe mich zu ihm um. Dafür, dass er Koordinationsschwierigkeiten hat, hat er sich ziemlich schnell bis auf die Boxershorts ausgezogen. »Ach nein?«, gebe ich ein wenig stumpf zurück. Anjo rutscht auf dem Bett zur Seite und klopft neben sich. Wenn es einen Gott gibt, dann hat er einen beschissen perfiden Humor. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sage ich matt. Mein Magen kribbelt. Der Alkohol in meinem Gehirn macht meine Disziplin, die für gewöhnlich wirklich nicht schlecht ist, winzig klein. »Und wenn ich bitte sage?« Oh Himmel… »Also schön… ich… kann ja warten, bis du eingeschlafen bist«, schlage ich vor, schließe die Zimmertür und gehe vorsichtig zum Bett hinüber, wo ich mich auf die Kante setze. Anjo kriecht unter seine Bettdecke und ich sehe, dass er sich auf den Ellbogen stützt, um mich im Dunkel anzusehen. »Chris?« »Hm.« »Wenn du die Klamotten anlässt, wird dir warm unter der Decke.« Entschuldigung? »Anjo… du bist betrunken und morgen hasst du mich, wenn ich mich jetzt zu dir ins Bett haue«, informiere ich ihn. Mein Herz schlägt doppelte Purzelbäume. »Nüchtern trau ich mich halt nicht«, sagt er und klingt beinahe ein wenig trotzig, obwohl er lallt und die Wirkung dadurch weitestgehend verpufft. Also schön. Ich bin auch nur ein Idiot mit einer Ecke im Gehirn, die doch irgendwie mehr will als bloß durch die Weltgeschichte zu vögeln. Wenn ich mich morgen nüchtern an diesen Gedanken erinnere, werde ich mich aus dem Fenster stürzen. Ich ziehe mein langärmliges Shirt über den Kopf und schiebe mir die Jeans von der Hüfte. Und dann liege ich tatsächlich neben Anjo in seinem Bett und er seufzt leise. »Man kann ja noch träumen«, nuschelt er, rutscht ein Stück näher und seine nackte Haut ist plötzlich überall an meiner Seite. Ich will eigentlich irgendetwas Geistreiches erwidern, aber mir fällt nichts ein. Mein Gehirn ist blank und Anjo ist viel zu nah und wie soll ich bitteschön so schlafen? Ich könnte warten, bis er schläft, und dann aufstehen. Aber dann würde ich ihn sicher wecken. Vorsichtig drehe ich mich ein Stück auf die Seite und schaue hinunter in sein Gesicht. Seine Augen sind geschlossen und sein Mund leicht geöffnet. Es sieht aus, als wäre er schon am Einschlafen. Ein paar Minuten liege ich still da und beobachte ihn, dann ist sein Atem gleichmäßig geworden und seine Augen bewegen sich leicht unter den Lidern. Meine Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt und ich kann Anjos Gesicht relativ gut erkennen. Oh, ich werde mich dermaßen dafür hassen, wenn ich morgen früh aufwache. Aber ich kann nicht anders. Es ist ein bisschen so, als wollte mein Körper unbedingt ein Stück Glück für sich. Das sollte ich mir nicht gönnen. Nicht, nachdem ich Anjo mit der Jakob-Sache so wehgetan hab. Aber Herrgott, ich hab getrunken, ich liege in Shorts neben Anjo, der auch nur Shorts anhat, meine Haut kribbelt und mein Herz will, will, will unbedingt. Es ist ja nur dieses eine Mal. Also beuge ich mich ein Stück nach vorne und lege meine Lippen ganz behutsam auf Anjos leicht geöffneten Mund. Er schmeckt nach Waldmeister und seufzt ganz leise. Verfluchte Scheiße, wieso muss sich das so richtig anfühlen? Ich hasse Alkohol. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)