Kryptonit von Ur (Jeder Held hat eine Schwäche) ================================================================================ Kapitel 15: Umzug ----------------- Wisst ihr eigentlich, dass ihr mir bald einen Herzinfarkt bescheren werdet? 32 Kommentare auf ein Kapitel! Ihr seid echt unglaublich, vielen, vielen Dank! Dieses Kapitel ist für und . Noch mal extra dicken Dank für eure Kommentare! Ich wünsch euch viel Spaß mit Anjo und einen schönen Abend, liebe Grüße, ____________________________ »Erzähl doch mal«, sagt Wiebke gespannt und beugt sich ein wenig nach vorne. Ihre Augen glitzern gespannt und auch die anderen drei Mädchen, mit denen Lilli und ich hier sitzen und Melone essen, sehen ausgesprochen interessiert aus. »Hast du jemanden?« Ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird. Mädchen scheinen ausgesprochen interessiert daran zu sein, wenn ein Junge in ihrem Umfeld schwul ist. Wiebke, Krissie und Pia jedenfalls haben es geschafft, sich zwei Stunden – und das heißt immerhin einen Film und eine ganze Melone lang – zurück zu halten, aber nun scheinen sie es nicht mehr zu ertragen. Wir hocken zu fünft auf der Terrasse vor Pias Haus und ihre Mutter hat uns gerade einen riesigen, neuen Berg Melone rausgebracht. Lilli grinst stumm vor sich hin, während sie mit ihrer Gabel ein Stück Melone aufpiekt und es sich in den Mund schiebt. »Äh… nicht… nicht direkt«, stammele ich nervös. Lilli klopft mir auf die Schulter. »Er heißt Christian«, sagt sie dann mit verschwörerischer Stimme und Krissie beginnt prompt zu kichern. Ich hüstele verlegen. »Wie ist er so? Seid ihr zusammen? Oder steht er nicht auf Männer?« Ich nehme mir zur Beruhigung noch ein Stück Melone. »Also… ja, er steht auch auf… Männer. Aber er ist in einen anderen verknallt und… äh… wir sind also nicht zusammen«, sage ich kleinlaut. Lilli streicht sich eine Strähne ihres pinken Haares aus der Stirn und schmunzelt mir verschwörerisch zu. »Er ist groß und macht Kickboxen und er mag Tiere und so ziemlich jede Frau wird ohnmächtig, wenn er sie anlächelt«, erklärt sie dann. Die drei anderen geraten völlig aus dem Häuschen und Pia wirft beinahe ihr Glas mit Wasser um, als sie aufgeregt herumwedelt. Das mit dem Lächeln trifft auf mich übrigens auch zu. Soviel steht fest. Aber wenn ich den dreien das erzähle, dann fallen sie womöglich noch vom Stuhl. Als sie mich auch weiterhin löchern, erzähle ich ihnen, wie wir uns kennen gelernt haben, und spätestens bei der Szene mit dem Pullover, den Chris mir umgehängt hat, sind sie völlig fertig mit den Nerven und kommen aus dem Wedeln und Quietschen gar nicht mehr heraus. Lilli findet das alles sehr witzig und isst ungerührt weiter ihre Melone. »Das ist besser als in jedem Film«, erklärt Wiebke. »Hast du ein Foto?« Wer hätte je gedacht, dass sich mal so viele Leute für mein Leben interessieren würden. Wenn ich mir überlege, was mein Vater dazu gesagt hat, dass ich schwul bin… der Vergleich deprimiert ein wenig. Für meinen Vater ist Homosexualität so etwas wie eine unheilbare Krankheit, die wohl oder übel irgendwann zum Tod führen muss. Vielleicht schaut er mich deswegen immer so resigniert an. Nachdem Wiebke, Pia und Krissie endlich genug von Chris und mir gehört haben, fangen wir an, über das Kunstprojekt zu reden. Wir sollen über die Ferien ein Bild anfertigen. Und das Thema kann wirklich nur von unserer Kunstlehrerin kommen. »Wie soll man bei so einem Thema schon großartig kreativ werden? Verbotene Liebe…«, beklagt sich Wiebke und nimmt noch ein Stück Melone. »Schade, dass du dich nicht selbst zeichnen kannst«, sagt Pia spitzbübisch zu mir. Ich blinzele. »Wieso?«, gebe ich verwirrt zurück. Krissie kichert. »Dann könntest du dich und Christian zeichnen«, erklärt Pia mit leuchtenden Augen. Ich räuspere mich verlegen. »Daran ist doch nichts Verbotenes«, meint Lilli. »Ich hab tatsächlich überlegt, Chris zu malen«, gebe ich zu und sofort richten sich vier Augenpaare auf mich. Mein Kopf wird schon wieder heiß wie eine Herdplatte. »Mit Sina zusammen. Die, die bei uns als Aktmodell war. Ich dachte an Aphrodite und Ares. Sie ist ja eigentlich mit seinem Bruder Hephaistos verheiratet und… äh… was guckt ihr denn alle so?« »Du hast schon eine Idee? Ich hab mir stundenlang den Kopf zerbrochen und…« Lilli zuckt ihre Schultern. »Ich wollte Pädophilie thematisieren. Ist nur die Frage, ob das für Frau Pape zu krass ist.« Wenigstens bin ich jetzt nicht mehr der einzige Mensch an diesem Tisch, der mit riesigen Augen angestarrt wird. Wir verfallen in eine ausgiebige Diskussion über das Kunstprojekt und in meinem Kopf steckt der Gedanke, dass ich mich im Leben nicht trauen werde, Chris zu fragen, ob er sich von mir zeichnen lässt. Zugegebenermaßen ist das Bild in meinem Kopf nämlich ausgesprochen leicht bekleidet. Vermutlich sterbe ich an einem Herzinfarkt, bevor ich die erste Skizze angefertigt habe. Als es anfängt zu regnen, verschwinden wir von der Terrasse und Lilli und ich beschließen, langsam nach Hause zu gehen. Sie trifft sich später noch mit zwei ihrer Kumpels und ich will noch ein wenig an meiner Idee fürs Kunstprojekt arbeiten. Wir haben keinen Regenschirm dabei, aber es ist warm und der Regen ist nicht unangenehm. »Sie sind ja lieb und alles… aber dieses dauernde Quietschen macht einen schon ein wenig wahnsinnig«, sagt Lilli und wischt sich ein paar Regentropfen aus dem Gesicht. »Ich versteh gar nicht, was an alledem so aufregend ist, dass man überhaupt so quietschen müsste«, sage ich. Sie lacht leise und klopft mir auf die Schulter. »Männer stehen doch auch drauf, wenn zwei Frauen miteinander rummachen. Ich nehme an, das ist so eine Art Umkehrschluss«, erklärt sie schulterzuckend. Da kann ich nicht mitreden. Mich interessiert es nicht besonders, wenn zwei Frauen miteinander rummachen. Aber ich stehe ja auch nicht auf Frauen. »Wir haben übrigens demnächst Jahrgangsparty. Ich geh nur hin, wenn du auch hingehst. Sonst langweile ich mich da zu Tode«, meint Lilli. Meine Schuhe sind total durchnässt und mein Shirt klebt auf meiner Haut. Wenn ich zu Hause bin, werd ich erstmal duschen gehen. »Ich weiß nicht, ob ich Lust darauf habe… Partys sind nicht so mein Ding«, gebe ich zurück. Lilli lacht erneut. »Aber jetzt, wo Benni dich endlich in Frieden lässt, gibt es doch nichts mehr, was dir eine Feier vermiesen könnte. Du kannst ja auch Chris und die anderen mitbringen, dann wird es auf jeden Fall cool«, gibt sie zu bedenken. Ich werfe ihr einen Blick von der Seite zu. »Wenn ich Chris da mit hinnehme, dann werden sich Wiebke und die anderen auf ihn stürzen und… das wäre ziemlich peinlich«, sage ich ein wenig kläglich. Lilli findet das unglaublich witzig. Wir halten vor meiner Haustür und sie umarmt mich kurz zum Abschied. »Überleg es dir. Wir können ja noch mal telefonieren. Spätestens wenn ich meine Skizze für das Kunstding fertig habe, will ich deine Meinung hören«, sagt sie grinsend. Ich lächele, nicke, und krame nach meinem Schlüssel. »Viel Spaß nachher!«, wünsche ich ihr noch. Sie winkt und ich verschwinde im Treppenhaus. Als ich die Wohnung oben aufschließe, ist eindeutig irgendwas anders als sonst. Einen Moment lang weiß ich nicht, was genau es ist. Bis ich die Schuhe sehe. Schwarze Schuhe mit hohem Absatz. Verwirrt blinzelnd ziehe ich meine nassen Schuhe aus und stelle sie vor die Tür, dann gehe ich in die Küche, um nachzusehen, ob mein Vater Besuch hat. Und tatsächlich. Er trinkt einen Kaffee mit einer brünetten Frau, die wohl ein wenig jünger ist als er. »Hallo«, sage ich. Wahrscheinlich sehe ich total blöd aus wie ich hier komplett durchnässt stehe und alles volltropfe. Die Besucherin und mein Vater sehen sich zu mir um. »Oh, du bist sicher Anjo«, meint sie freundlich und steht auf, um mir die Hand hinzuhalten. Ich schüttele sie und schaffe ein Lächeln. »Ich bin Carola«, stellt sie sich vor. Ich werfe meinem Vater einen Blick zu. »Wir kommen gleich wieder, ok?«, sagt er an Carola gewandt und schiebt mich aus der Küche und schließt die Tür. »Wir sind seit ein paar Wochen zusammen«, erklärt mein Vater mir knapp ohne lange drum herum zu reden. Das hätte er mir ruhig schon vorher sagen können. Sie scheint sehr nett zu sein. Dunkel frage ich mich, ob ich mich vielleicht ein wenig dazu setzen sollte… »Ich habe ihr noch nichts von deinem… Problem… erzählt. Und ich würde dich bitten, das auch so zu handhaben.« Ich starre ihn an. Mein… Problem? Welches Problem denn? Einen Moment lang ist mein Gehirn vollkommen leer gepustet, dann rastet etwas ein. Natürlich. Er redet von meiner tödlichen Krankheit namens Homosexualität. Ich kann es nicht fassen. Es dauert ein paar Sekunden, bis mein Körper sich rührt. Dann drehe ich mich um und stürme in mein Zimmer, nur um meinen Rucksack zu schnappen, einige Dinge hinein zu stopfen und die Tür wieder aufzureißen. »Und was wird das jetzt?«, fragt mein Vater und klingt entnervt. »Ich zieh aus. Ich hab die Nase voll«, rufe ich ihm zu und hoffe, dass seine Carola in der Küche das hört und sich ganz genau erkundigt, was denn nun genau passiert ist. Ich schlüpfe in meine immer noch nassen Schuhe. »Das ist doch lä–«, höre ich ihn noch sagen, dann schlage ich die Tür hinter mir zu und haste die Treppen hinunter und wieder hinaus in den Regen. Im Moment haben sich alle Gründe, wieso ich damals nicht zu meiner Ma gezogen bin, verflüchtigt. Es wäre besser gewesen, bei ihr zu leben und ab und an mal allein zu Hause zu sein, wenn sie auf Reisen ist, als sich vom eigenen Vater anhören zu dürfen, dass ihm sein Sohn peinlich ist. Ich war ja ohnehin nie der Mustersohn, den er sich vorgestellt hatte, weil ich im Gegensatz zu ihm auf Fußball und Formel 1 pfeife. Aber mein Coming-Out war wohl die Krönung aller Enttäuschungen. Zum ersten Mal seit ich mich erinnern kann, bin ich ein wenig wütend. Hauptsächlich enttäuscht, aber auch ein wenig wütend. Die Wut verpufft allerdings auf dem Weg zu Sina und Chris und schließlich stehe ich total bedröppelt und pitschnass vor ihrer Wohnungstür. Sina öffnet mir. »Du bist nass«, stellt sie als erstes fest, dann sieht sie meinen Gesichtsausdruck. »Alles ok? Komm rein.« Ich trete in die Wohnung und tropfe schon wieder alles voll, aber Sina scheint sich nicht daran zu stören. Sie schiebt mich ins Bad und setzt sich auf den Klodeckel, während ich mich aus meinen Klamotten schäle. Ihre Finger hat sie auf die Augen gelegt. »Kann ich vielleicht… ein paar Nächte hier bleiben?«, frage ich leise und greife nach einem Handtuch, um mich abzutrocknen. »Klar. Was ist denn los?« Ich seufze leise und sinke in ein Handtuch gewickelt auf den Rand der Dusche. Und dann erzähle ich Sina von meinem Vater und seiner neuen Freundin und seinem größtem Problem. Sina ist empört und regt sich furchtbar auf, dann geht sie mir einen Tee kochen und beordert mich unter die heiße Dusche. Anschließend sitze ich auf dem blauen Sofa im Wohnzimmer und umklammere eine Tasse Tee. Wahrscheinlich sehe ich aus wie ein Häufchen Elend. Weder Pepper noch Chris scheinen da zu sein. Draußen gießt es immer noch in Strömen und mittlerweile hat es sogar angefangen zu donnern. Sina sitzt neben mir und betrachtet mich ein wenig besorgt von der Seite. »Du kannst hier bleiben so lange du möchtest«, sagt sie. Ich schaffe ein zaghaftes Lächeln. Ich bin Sina dankbar, dass sie das nicht genauer ausdiskutieren wollte. Am liebsten würde ich über was anderes nachdenken. Also wechsele ich das Thema. »Sag mal«, beginne ich zaghaft und drehe ihr mein Gesicht zu. »Ich muss über die Ferien ein Kunstprojekt fertig machen…« Sina wird hellhörig. Sobald es um Kunst geht, ist Sina immer total begeistert. Noch so eine Sache, die ich toll an ihr finde. Ich erzähle ihr vom Thema und von meiner griechischen-Götter-Idee. »Und wie genau hast du dir das vorgestellt?«, fragt sie gespannt. Mir wird heiß und das liegt sicherlich nicht am Tee. »Äh… glaubst du… du und Chris könntet mir… Modell stehen? Als Aphrodite und Ares?« Sina blinzelt verwundert, dann strahlt sie und wirft sich auf mich, um mich zu knuddeln. Ich erwidere die Umarmung zaghaft. »Das letzte Bild, das du von mir gemacht hast, war umwerfend. Wie sollte ich da nein sagen?«, fragt sie begeistert. »Und meinst du, Chris würde das auch machen?«, erkundige ich mich unsicher. Sina winkt ab. »Wenn er nicht will, dann zwingen wir ihn«, sagt sie leichthin. In diesem Moment wird die Tür aufgeschlossen. »Hallo«, ruft Chris’ Stimme durch den Flur und Pepper kommt nass und schwanzwedelnd ins Wohnzimmer gerannt, um mich und Sina zu begrüßen. Ein brauner Haarschopf erscheint in der Tür. »Oh. Hey Kleiner«, sagt er grinsend und streicht sich ein paar nasse Haarsträhnen aus der Stirn. »Ich geh erstmal duschen!« Mit diesen Worten verschwindet er ins Bad und Sina erhebt sich, um Pepper abzutrocknen. Ich schaue den beiden nach und kann es noch gar nicht fassen, dass ich jetzt eine Zeit lang… oder vielleicht sogar länger? Dass ich jetzt nicht mehr zu Hause wohne. Sondern hier. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)