Auf den Spuren von Drachen von abranka (DGxCW) ================================================================================ Kapitel 5: V. Die Pyrenäen -------------------------- Der Blick über das Panorama, das sich unter, vor und neben ihnen erstreckte war absolut atemberaubend. Das waren definitiv die höchsten Berge, die Daphne jemals aus der Nähe gesehen hatte. Gerade beförderte sie ein hölzerner Lastenaufzug dicht an einer Bergwand empor zu der Aussichtsplattform, von der aus sie die Drachen besonders gut beobachten können würden. Angesichts der Haltung der Franzosen gegenüber Drachen und ihres Schutzes war es wenig überraschend, dass sich das Reservat auf der spanischen Seite der Pyrenäen befand und es immer wieder zu diplomatischen Zwischenfällen kam, wenn einer der Drachen einmal die Grenze überquerte. Dummerweise sahen es diese freiheitsliebenden und eigensinnigen Geschöpfe aber so gar nicht ein, sich an von Menschen gezogene Grenzen zu halten. Die Spanier dagegen schienen in den Drachen so etwas wie Seelenverwandte zu sehen und hatten ein eigenes Ministerio de Dragóns de los Pireneos gegründet. Daphne löste den Blick von der gewaltigen Aussicht auf fruchtbare Täler und karg bewachsene, in der Höhe schließlich schneebedeckte Berge unter dem klaren Himmel und richtete ihn auf Charlie. Er unterhielt sich gerade mit Santiago Anémona, dem Leiter des spanischen Drachenreservats. Seine brauen Augen waren konzentriert zusammengekniffen und er strich sich hin und wieder eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn. Diesen stillen Augenblick, in dem alle um sie herum damit beschäftigt waren, den Ausblick zu genießen, nutzte Daphne nur zu gerne, um Charlie einmal in aller Ruhe ansehen und beobachten zu können. Ihr gefiel sein Profil. Es drückte Kraft und Willensstärke aus. Der etwas härtere Eindruck wurde von den Sommersprossen und dem stets auf seinen Lippen zu liegen scheinenden Lächeln gemildert zu werden. Und er besaß eine grundsätzliche Gelassenheit, die Daphne sehr imponiert. Sicher war der Grund dafür seine Familie. Wer mit Fred und George Weasley groß geworden war, musste vermutlich entweder seine innere Ruhe finden oder aber irgendwann durchdrehen und verrückt werden. Es war komisch. Eigentlich war Charlie von seiner ganzen Erscheinung her absolut nicht ihr Typ. In der Schule hatte sie erst auf Harry Potter gestanden, dann später auf Blaise Zabini. Beides eher hochgewachsene, schlanke Typen. Charlie dagegen war nicht viel größer als sie und von der Statur her kräftig und eher stämmig… Das absolute Gegenteil. Sie musste unwillkürlich lächeln. „Hör auf zu schwärmen und schau mal da hinüber“, riss Dean sie wenig freundlich aus ihren Gedanken. „Mhm?“ Sie sah erst ihn an und folgte dann mit den Augen seiner ausgestreckten Hand. Sofort war sie Feuer und Flamme. Zwischen den Gipfeln flog eine Dreiergruppe Pyrenäsen auf sie zu. Die Drachen zogen einen hohen Bogen über den Himmel und man konnte ein Gefühl für ihre schiere Größe und Kraft gewinnen. Das war jetzt die dritte Drachenrasse, die Daphne in Natura sah und nie verlor dieser erste Anblick irgendetwas von seiner Besonderheit und Größe. Als sie schließlich auf der Plattform waren, lauschte Daphne mehr mit halbem Ohr den Ausführungen von Senor Anémona. Stattdessen versuchte sie an den Pyrenäsen Merkmale der verschiedenen Drachenrassen zu erkennen, deren Mischung sie angeblich sein sollten. Zwar hatte sie von den dreien – Gemeiner Walisischer Grünling, Ungarischer Hornschwanz und Ukrainischer Eisenbauch – bisher nur den Grünling in Natur gesehen, jedoch hatte sie sich von den anderen Rassen einige Bilder zu Gemüte geführt und fühlte sich in der Lage, deren herausstechendste Merkmale zu erkennen. Die bläulichen Schuppen unterschieden die Pyrenäsen als erstes einmal von den Grünlingen, Eisenbäuchen und Hornschwänzen. Aber die Farbe wurde ja einem verirrten Schwedeischen Kurzschnäuzler zugeschrieben. Gut, die Flügel ähnelten in ihrer schuppigen, feinen Struktur tatsächlich der der Grünlinge. Dazu kamen ein leichter Kugelbauch, der logischerweise an die Eisenbäuche erinnerte, auch wenn der Pyrenäse mit Sicherheit gerade einmal die Hälfte des Gewichts auf die Waage brachte. Drei Tonnen schienen zwischen den nadelspitzen, engen Gipfeln hier das absolute Maximum zu sein. Und vermutlich waren die spitzen Hörner das, was man als Gemeinsamkeit mit dem Hornschwanz ausgemacht hatte. Stacheln den Schwänzen hatten die Pyrenäsen jedenfalls nicht. Und aggressiv waren sie auch nicht. Aber vielleicht spieen sie ja ihr Feuer ja auch annähernd fünfzehn Meter weit… Daphne schüttelte den Kopf. „Was ist?“, erkundigte sich Dean, der neben ihr stand, die Drachen fotografierte und aus dem Augenwinkel die Bewegung wahrgenommen hatte. „Ach, ich habe so das Gefühl, dass bei den ganzen Theorien nach Scamander absoluter Unsinn über diese Drachen geschrieben wurde. Oder siehst du Ähnlichkeiten mit Grünlingen, Hornschwänzen und Eisenbäuchen?“ Dean blickte sie an. „Daphne, ich kann noch nicht einmal Spatzen von Tauben unterscheiden. Wie soll ich da Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Drachen erkennen können?“ Vermutlich war es Daphnes Lachen, dass Charlie dazu brachte, sich zu ihr und Dean zu gesellen – und sich aus den Klauen Smithsonians zu befreien. Dieser hatte in den letzten Tagen nämlich beschlossen, dass ihr gemeinsames Abenteuer auf den Hebriden sie auf immer und ewig miteinander verband. Er trat von hinten an Daphne heran, die noch immer leise kicherte und fragte dann äußerst nah an ihrem Ohr: „Was belustigt dich denn so?“ Erschrocken quietschte sie und wandte sich dann um. „Charlie! Du hast mich erschreckt!“ Als sie das amüsierte Funkeln in seinen Augen sah, waren die restlichen Vorwürfe, die sie auf den Lippen gehabt hatte, wie weggefegt. Stattdessen hatte sie gute Lust, wie ein kleines Fangirly dahinzuschmelzen. „Oh, Dean hat nur gerade zugegeben, dass er noch nicht einmal zwei verschiedene Vogelarten voneinander unterscheiden kann und sich deshalb nicht zutraut, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen zwei Drachenrassen festzuhalten.“ „Aha.“ Charlie blickte kurz zu Dean hinüber, der demonstrativ die Augen verdrehte und dann sein Objektiv wieder auf die Pyrenäsen richtete. Zwei von den jüngeren Drachen amüsierten sich offenbar gerade in einem Schaukampf und spuckten Feuer, das eindrucksvolle gleißende Bahnen durch die Luft zog. „Ja. Ich habe mir das durch den Kopf gehen lassen, was du gesagt hast. Dass man die Pyrenäsen auf eine Mischung aus Grünlingen, Hornschwänzen und Eisenbäuchen mit einem kleinen Einschlag Kurzschnäuzler zurückführt, aber mir leuchtet das absolut nicht ein. Klar, wenn man will, kann man da Ähnlichkeiten erkennen, weil die Pyrenäsen Hörner haben und andere auch und blau sind und, und, und. Aber das reicht doch einfach nicht!“ „Santiago wird gleich noch im Labor erklären, wie sie die Herkunft der Pyrenäsen zu bestimmen versu…“ Daphne unterbrach ihn. „Ach, Charlie, das glaubst du doch selbst nicht. Scamanders System funktioniert bei den Pyrenäsen nicht und das wissen wir beide. Und du sicher noch besser als ich, weil du mich schließlich von deiner Theorie überzeugt hast.“ „So?“ Das amüsierte Funkeln verschwand aus seinen Augen, jetzt, wo es an sein Herzensthema ging, war Charlie schlagartig ernst. „Das Problem ist nur, dass das nicht allzu vielen Leuten einleuchtet.“ „Woher willst du das wissen? Wie vielen hast du denn bisher deine Theorie dargelegt?“ „Nun ja…“ Charlie druckste einen Augenblick lang herum, was bei diesem erwachsenen und sonst so selbstbewussten Mann ein sehr seltsamer Anblick war, und räumte dann ein: „Außer einigen Arbeitskollegen im Langhorn-Reservat nur dir und Dean.“ „Na siehst du! Wenn du daraus einen Aufsatz und ein Buch machst, wird die ganze Zaubererwelt doch darauf aufmerksam werden!“ „Die ganze muss es nun nicht sein. Mir reichen die Drachenforscher.“ „Und die werden sich dein Buch gar nicht erst entgehen lassen. Charlie, deine Gedanken sind genial und müssen einfach an die Öffentlichkeit.“ Daphne holte tief Luft und setzte noch: „Und wenn du das nicht machst, dann bringe ich das in meinem Artikel unter!“ „Das wagst du nicht!“ Der Ausdruck auf Charlies Gesicht schwankte zwischen Überraschung und Empörung. „Oh doch. Wenn man dich zu deinem Glück zwingen muss, dann werde ich das eben tun.“ Beim Abendessen hatte Daphne ein schlechtes Gewissen. Charlie hatte sie nach ihrem Gespräch abrupt stehenlassen, sich zu Sandra und dem grauenhaften Smithsonian gesellt und sie einfach ignoriert. Offenbar war sie zu weit gegangen. Und während die Familie Ely, besonders deren achtjährige Tochter Iridina, sie mit Beschlag belegt hatte, hatte sie traurig zu ihm hinübergeblickt, dann hatte jedoch eine gewisse Wut gesiegt und sie hatte Charlie ihrerseits ignoriert. Bei Tisch hatte sich Charlie wieder weit genug weg von ihr platziert und lachte gerade mit Sandra über irgendetwas, das sie hier, am anderen Ende der langen Tafel nicht verstehen konnte. Sie schmollte. Sie war wütend und verletzt. Sie meinte es doch schließlich nur gut. Und gleichzeitig hatte sie Angst, dass sie Charlie verletzt hatte, dass er jetzt wütend auf sie war und dass sie zu weit gegangen war. Und sie war eifersüchtig auf Sandra, die sich jetzt zu Charlie hinüberlehnte und ihm irgendetwas ins Ohr raunte. Dean versuchte irgendwie, sie abzulenken, ihre Gedanken auf andere Pfade zu bringen und doch konnte sie nicht anders, als den Rotschopf immer wieder zu fixieren. Am Ende des Abends wusste sie noch nicht einmal mehr, was sie gegessen und was Dean zu ihr gesagt hatte. Sie wusste nur, dass es da etwas in ihrem Bauch und ihrer Brust gab, was verdammt weh tat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)