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Higurashi no Naku Koro ni - They always cry...

von

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Mion-Arc - Prolog

Wenn ich in den Spiegel schaue, hab ich das Gefühl, dass mir etwas fehlt... Als wäre ich nur ein Teil eines großen Ganzes... als wäre ich nicht vollständig...
 

Mit diesem Gedanken wachte Mion Sonozaki schweißgebadet auf. Fahrig fuhr sie sich mit der Hand über die Augen und sah sich mit pochendem Herzen um. Wie üblich war sie in ihrem Zimmer, und entgegen des Gefühles, beobachtet zu werden, war sie allein.

  Erneut fuhr sie sich über das Gesicht, um die restlichen Spuren des eben erlebten Traumes abzustreifen, doch selbst jetzt, als sie wach war, fiel es ihr schwer, das eben erlebte als Traum abzustempeln und dorthin zu verbannen, wo es hingehörte: In die Traumwelt.
 

Mion Sonozaki war die zukünftige Erbin des Sonozaki-Clans, welche unter den drei großen Häusern des Dorfes Hinamizawa die wahre Herrschaft hatte. Die Familie Sonozaki hatte nämlich erstens ziemlich drastische Möglichkeiten, ihre Meinung durchzusetzen, und zweitens Kontakt zur Yakuza. Von all dem wusste Mion aber noch nicht sehr viel, da sie erst langsam in die Traditionen und Geheimnisse der Sonozaki-Familie eingeweiht wurde.

  Wie auch all ihre Vorfahren, war auch Mion ein Einzelkind. Weder ihre Mutter, noch ihre Großmutter, hatten Geschwister. Die Sonozakis glaubten nämlich, dass es mit einem fürchterlichen Fluch zusammen stand, mehr als nur ein Kind zu kriegen. Zudem würde ein weiteres Kind nur Probleme bei der Erbreihenfolge bereiten, und so war es ein unausgesprochenes Gesetz, dass jedes Mitglied der Sonozaki-Familie nur ein Kind haben durfte. Einmal hatte sie mit angehört, dass es Gabe war, ein zweites Kind - insbesondere bei Zwillingen - sofort und noch vor dem ersten Bad zu erwürgen. Aber als sie danach fragte, hieß es, dass es sich bei der Geschichte nur um ein Ahnenmärchen hielt. So bestand die Familie momentan nur noch aus ihr, ihren Eltern und Oni-baba - keine Tanten, keine Onkel.

  Als zukünftige Erbin des Sonozaki-Clans stand ihr ein außerordentliches Maß an Respekt und Rechten zu. Sie war zudem als älteste die Klassensprecherin der kleinen Dorfschule von Hinamizawa, welche nur aus einer Klasse von Schülern, die unterschiedlicher Altersklassen angehörten, bestand. Und sie hatte viele Freunde. Neben Rena Ryūgū, welche eine Zeit lang außerhalb von Hinamizawa gelebt hatte, zählten auch Rika Furude - der Furude-Clan gehörte genauso wie die Sonozakis und die Kimoyoshis zu den drei großen Herrschaftshäusern von Hinamizawa -, Satoko Hōjō und der erst kürzlich hierher gezogene Keiichi Maebara dazu.

  Man konnte sagen, dass sie glückliche Tage hatten. Sie alle gehörten zu einem von Mion gegründeten Club, dessen hauptsächliche Aufgabe darin bestand, zusammen Spiele zu spielen und den Verlierer mit dem sogenannten "Batsu Game" zu bestrafen. Es waren glückliche Tage voll mit Spaß und Freude, und eigentlich fehlte es Mion auch sonst an nichts. Und doch...

  Wenn sie in den Spiegel sah, überkam sie das Gefühl, dass etwas nicht richtig war. Es war, als würde ihr etwas fehlen. Manchmal zog es ihr das Herz so schmerzhaft zusammen, dass ihr die Tränen kamen. Und dann gab es Momente, wo sie blauen Flecken am Körper hatte, an denen sie sich nichtmal gestoßen hatte, oder dass es so wehtat, als hätte man ihr in den Finger geschnitten, obwohl sich dort nichtmal im Ansatz eine Wunde befand. In diesem Momenten fühlte sie sich schrecklich entzweit... und einsam.

  Und es geschahen seltsame Dinge in Hinamizawa.

  Jedes Jahr zur selben Zeit, nämlich zur Zeit des Watanagashi-Festes, welches zu Ehren des großen Dorfheiligen Oyashiro-sama abgehalten wurde, geschah ein mysteriöser Mord, während zum selben Zeitpunkt eine andere Person spurlos verschwand. Diese "Morde" werden als "Oyashiro-sama no Tatari", als Fluch des Oyashiro-samas, bezeichnet. Und obwohl es keine Beweise gibt, wird gemunkelt, dass unter anderem die Sonozaki-Familie einige dieser Morde zu verschulden hat. Aber wenn Mion dieses Thema ansprach, bekam sie nie eine Antwort - sie wär angeblich "noch nicht so weit", um alle Geheimnisse des Sonozaki-Clans zu erfahren.
 

"Bereits Juni..." Mion war gerade aufgestanden und war nun dabei, sich fertig zu machen. Wie immer zog sie den langen, leicht verblassten roten Rock, die weiße Bluse mit der hellgrünen Krawatte und die gelbe Überjacke an. Die Haare band sie sich, ebenfalls wie üblich, zu einem Zopf zusammen. Doch gerade, als sie das Zimmer verlassen wollte, fiel ihr Blick auf den Kalender. "Juni..." Bei dem Gedanken an das Watanagashi-Fest zog sich ihr Magen krampfhaft zusammen. Wen wird es wohl dieses Mal treffen? Sie hoffte nur, dass es niemanden von ihren Freunden oder gar sie selbst treffen würde. Vielleicht sollten wir Kei-chan aufklären... - Kei-chan, das war Mions Spitzname für Keiichi, den erst kürzlich hinzugezogenen Schüler, welcher ein Jahr jünger als sie war.

  Sie wollte das Zimmer verlassen, als ihr Blick auf den Spiegel fiel. Sie sah darin ein Mädchen mit langen, grünen Haaren, was sich maskuliner gab, als es in Wirklichkeit war, und welches das zukünftige Oberhaupt des Sonozaki-Clans werden würde. Aber sie sah darin auch auf eine schwer zu erklärende Art und Weise ein Mädchen, welches unvollkommen war - als wäre sie nur eine Seite der Medaille, als wäre sie die andere Hälfte eines zerbrochenen Spiegels.

  Entzweit war das Wort, welches ihr in diesen Momenten immer in den Sinn kam. Aber was bedeutete dieses Wort schon....?

  Hastig schüttelte Mion den Kopf. "Mach dich nicht verrückt, Mion...!", sagte sie zu sich selbst. Dann wandte sie sich ab und verließ das Haus, um sich auf den Weg zur Schule zu machen...

Mion-Arc - 1st Chapter

"Beeil dich mal, Keiichi! Rena-chan wartet bereits auf dich!"

  Keiichi Maebara sah überrascht zur Uhr. "Jetzt schon? Es ist doch noch mehr als... -" Mittem im Satz brach er ab, als ihm einfiel, dass ja heute vereinbart war, schon etwas früher los zu gehen. "Oh verdammt! Das hatte ich ja komplett vergessen!" Ohne etwas zu frühstücken, schnappte sich Keiichi hastig sein Bento und verließ das Haus. "Bis nachher!"

  Vor der Tür wartete wie immer brav Rena auf ihn. "Ohaiyoo~, Keiichi-kun!", rief sie ihm in ihrer typisch fröhlichen Art entgegen.

  "Morgen...", grummelte er, leicht angepisst davon, dass er die Vereinbarung vergessen hatte und aufgrund dessen nicht einmal Zeit zum Frühstücken hatte. "Ich hab dir doch gesagt, dass du mich nicht immer abholen musst, Rena."

  "Haūūū~, aber würde Keiichi-kun es dann rechtzeitig zur Schule schaffen?"

  Breit und selbstbewusst grinste er das Mädchen mit den orangbraunen Haaren an. "Na sicher! Ich bin ja immerhin ein recht passabler Läufer! Und selbst wenn nicht: Ich hab immer noch das Fahrrad."

  "Trotzdem! Mir macht es Spaß, dich abzuholen! Aber würde Keiichi-kun denn auch auf Rena warten, wenn sie sich verspäten würde? Kana? Kana?"

  "Hm? Nöö, wieso sollte ich?" Als sie sich aufregen wollte, grinste Keiichi breit. "Scherz - natürlich würd ich auf dich warten."

  "Oh honto ni?" Im nächsten Moment erblickte sie Mion, welche an einer alten Hütte stand und auf sie wartete. "Ohaiyo, Mii-chan!" Auch Keiichi winkte ihr zu. "Moin, Mion!"

  "Ihr seid spät!", rief ihnen Mion entgegen.

  "Määäh... normalerweise bist du es, auf die wir warten müssen!" Keiichi verschränkte beleidigt die Arme.

  "Hai, Hai! - Lass dich anschauen! Wie lang ist es her, dass wir uns gesehen haben? Zwei Jahre?" Mion verschränkte die Arme lässig hinterm Kopf, während sie ihn angrinste.

  "Waaas? Ich war nur zwei Tage weg...", grummelte der braunhaarige Junge dazu als Antwort.

  "Oh, stimmt ja - da muss ich wohl was durcheinander gebracht haben... Dennoch, ich hab das Gefühl, dass du ansehnlicher geworden bist!"

  "Was soll denn das heißen?" Lachend machten sie sich auf den Weg zur Schule.

  Keiichi war erst vor kurzem hierher gezogen, aber er hatte sich schon mit fast allen aus der Klasse anfreunden können. Und es war toll, wie gut frische Luft doch tun konnte!

  Ja, seitdem er hier war, führte er ein friedliches, ausgelassenes Leben. Die Schulklasse bestand aus 15 Schülern unterschiedlicher Alters- und Klassengruppen, und jeder half jedem. Das war etwas, was Keiichi gut zusprach. Und am Nachmittag, nach dem Unterricht, gabs Spiele mit dem Club, welcher aus Mion, Rena, Satoko-chan und Rika-chan bestand. Anfangs war er ziemlich schlecht gewesen und wurde deshalb aufgrund seines Verlierens oft beim "Batsu Game" bestraft. Aber mittlerweile hatte er die "Regeln" raus und wusste sich ganz gut zu wehren. Es gab eigentlich immer etwas in Hinamizawa zu entdecken, und sollte es mal so sein, dass die anderen beschäftigt waren, konnte er immer noch in das benachbarte Okinomiya gehen.

  Ja, es waren wirklich wundervolle Tage. Keiichi lachte so viel wie selten zuvor, und die anderen schienen ihn auch so zu mögen und zu akzeptieren, wie er war. Was sollte man sich mehr wünschen?

  Er konnte ja nicht wissen, was noch alles passieren würde... hätte er es ahnen können, hätte er vielleicht versucht zu fliehen - aber selbst das wäre aussichtlos gewesen, denn der Fluch des Oyashiro-sama lässt nicht zu, dass jemand Hinamizawa verlässt.

  Nein... es gab kein Entkommen. Und Keiichi ahnte nicht einmal im Ansatz, was alles auf ihn zukommen würde. Und so nahm alles seinen Lauf...
 

"HEUTE mach ich dich fertig, Mion!"

  Kaum war die Lehrerin aus dem Zimmer draußen, sprang Keiichi auf und grinste siegessicher. "Und ich weiß auch schon, wie ich das anstellen werde - MUHA!"

  Doch Mion lächelte nur entschuldigend, meinte "Ich kann heute leider nicht - ich muss arbeiten! Honto ni gomen nasai!", nahm ihre Tasche und verließ eiligst das Zimmer.

  "Moouh... was war das denn? Eiskalt abgeblitzt..." Keiichi zog einen Fluntsch, während Rena fragend den Kopf schief legte. "Als was Mion wohl arbeitet... - Nani kana? Nani kana?"

  "Was für ein Pech... dabei hatte ich mich schon so darauf gefreut, Keiichi-san heut schön fertig zu machen..." Satoko verschränkte die Arme hinter dem Kopf und warf Keiichi einen funkelnden Blick zu.

  "HA! Niemals wird es dazu kommen, Satoko!" Das artete wie immer in einem Catfight aus, bis Rika meinte: "Dann sollten wir die Club-Aktivitäten vielleicht auf ein andermal verschieben, nano desu?" Rika war an den Tisch getreten und lächelte Keiichi freundlich an.

  "Aaaaah, du bist ja so ein nettes Mädchen, Rika-chan!" Er deutete mit dem Daumen nach oben, ehe er Satoko einen vielsagenden Blick zuwarf. "Im Gegensatz zu anderen hier anwesenden Mädchen!"

  Sie alberten noch etwas rum, dann machten sich alle auf den Heimweg. Währenddessen kam Keiichi der Gedanke, dass er ja nach Okinomiya gehen könnte, um dort eine Kleinigkeit zu essen. "Aaah, allein da hin zu gehen ist ziemlich doof..." Aber er hatte sich bereits von Rena verabschiedet, welche sich wieder auf den Weg zur Müllhalde gemacht hatte, um dort nach Schätzen zu suchen. Und daheim essen kam auch nicht in Frage, da seine Mutter nicht da war und er sich deshalb notgedrungen selbst etwas zu essen machen müsste - wer Keiichi kannte, wusste, dass das einer seiner absoluten Schwachpunkte war!

  Es führte kein Weg daran vorbei: Wollte er gutes und vor allem schmackhaftes Essen zu sich nehmen, würde er sich ein Lokal in Okinomiya suchen müssen!
 

Gedacht, getan...

  Keiichi hatte sich das "Angel Mort" rausgesucht, weil die Bedienungen da angeblich tolle Meido-Outfits trugen. Und das konnte er sich natürlich nicht entgehen lassen!

  Er studierte gerade eingehend die Karte, als eine Maid mit langen, grünen Haaren an den Tisch trat. "Uhm... Was darf ich Ihnen bringen?", fragte sie zörgerlich.

  "Also, ich hätte gern..." Er sah auf, um seine Bestellung abzugeben - und wäre vor Schreck beinahe zurück geprallt! "M...- Mion?!"

  "Hm?" Das Mädchen hielt schüchtern ihr Tablet vor ihren Oberkörper und errötete, während Keiichi sie mit Blicken aufzufressen schien. "Mensch, Mion! Ich hätte nie gedacht, das du als Maid arbeiten würdest! Das ist echt nen Ding! Wenn ich das den anderen erzähl...!"

  "Ähm... S-sie... verwechseln mich..." Doch Keiichi hörte ihr erst gar nicht zu, sondern begaffte sie weiter mit gespielt lüsternem Blick. "Dieses Maid-Outfit steht dir wirklich außerordentlich gut! Was hab ich für ein Glück, heute hierher gekommen zu sein!" Sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter, als ihm ein Gedanke kam. Hey, ich bin der Kunde hier! Das heißt, ich bin im Vorteil. "Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, stehen dir diese Klamotten wirklich mehr als nur gut."

  "E-es ist mir peinlich, wenn Sie mich so anstarren...", meinte daraufhin das grünhaarige Mädchen, welches wohl Mion sein musste, mit einem erröteten Blick zur Seite.

  "Tu nicht so, als wär dir das peinlich." Er machte eine kurze Pause, dann meinte er, einem Lichtblitz folgend: "Das ist eigentlich ne gute Gelegenheit, mich für all deine Fiesheiten zu revanchieren, ne?" Er grinste breit. "Du magst wohl die Aufmerksamkeit der Männer, huh?"

  "E-es ist nicht so, dass ich das tue, weil ich es mag...!"

  "Hmmm? Was würde wohl deine Mutter sagen, wenn sie dich so sehen könnte...? Sie wäre bestimmt traurig, oder?" Bei den Worten popelte er gespielt in der Nase herum, um damit seine gespielte Langeweile auszudrücken, ehe er sich ihr wieder zuwandte.

  "A-aber!" Doch er ließ sie erst gar nicht ausreden, denn im nächsten Moment sprang er auf und legte dabei ein schmiriges Grinsen auf. "Ich liebe diese freizügige Art von Outfit! Das ist eigentlich gegen die Regeln, aber willst du nicht vielleicht...?!" Dabei ließ er die Finger wie ein Perverso zucken und kam ihr näher.

  Mion wandte den Kopf ab. "Neeein!" Doch er ignorierte das und kam ihr weiterhin näher. "Du weißt wohl wirklich nicht, wie man einen Kunden bedient, aber da ich nunmal der Kunde bin, musst du mich bedienen, nee?"

  Sie sah ihn an und hatte dabei diesen unglaublich niedlichen Gesichtsausdruck aufgesetzt: "B-bitte nicht..."

  "Omochikaerī!" Das bedeutete übersetzt so viel wie "Ich will sie mit nach Hause nehmen!" und war ein typischer Rena-Spruch. Er wollte ihr näher kommen, doch in dem Moment schlug sie ihn weg, dass das Blut nur so spritzte: "NIEMALS!" Keiichi taumelte zurück, landete auf seinem Sitz und blieb da erstmal zwei Sekunden K.O. liegen. Danach richtete er sich mit den Worten "Also, für heute lass ich die Sache lieber beruhen..." wieder auf. "Wer hätte gedacht, dass die Sonozaki Mion ein Problem mit Kellnern hätte..."

  "I-ich... glaube, du verwechselst mich. I-ich... ich heiße nicht Mion. Ich bin Shion!"

  "Häääh? Shion? Was besseres fiel dir wohl nicht ein, huh?"

  Doch plötzlich schien der Spaß ein Ende zu haben, denn das Grünhaarige Mädchen, welches angeblich nicht Mion sein sollte, meinte ernst: "H-hören Sie, i-ich kenne Sie nicht, also hören S-sie auf, mich zu belästigen - bitte!"

  Keiichi wollte Mion gerade klar machen, dass alles schauspielern und Lügen der Welt nun nichts mehr nützen würde, doch da trat eine weitere im knappen Meido-Cosplay verkleidete Bedienung zu ihnen heran. "Hören Sie, entweder, Sie lassen Sonozaki-san in Ruhe, oder ich sorge dafür, dass Sie rausfliegen und Hausverbot bekommen." Als sie den Namen "Sonozaki" erwähnte, blitzen Keiichis Augen auf. Und schon hat sie sich verraten, schoß es ihm durch den Kopf. Dass die andere Bedinung jedoch zu Mion meinte "Ich kümmere mich hierrum - Geh du bitte an Tisch 5, Shion-chan", verwirrte ihn etwas, aber fürs Erste beschloss er, das Thema beruhen zu lassen - schon allein, weil sich sein Magen knurrend zu Wort meldete. Daher gab er für den Moment resigniert seine Bestellung auf, aber er schwor sich, dass das Thema damit nicht beendet sein würde; noch lange nicht.
 

Allerdings war das Thema am nächsten Tag schon wieder mehr oder weniger vergessen, denn am nächsten Tag gab es eine andere, neue Sache, von der Keiichi bisher nichts gewusst hatte: "Was? Unsere Rika-chan tanzt auf diesem Wataganashi-Fest?!", rief er überrascht aus.

  Rika nickte. "Hai nano desu!", und Mion erklärte: "Da sie die Tochter des verstorbenen Priesters des Furude-Schreins ist, gibt es niemanden, der besser dafür geeignet wäre."

  "Und daher kann Rika-chan die nächsten Tage nicht an unseren Aktivitäten teilnehmen, huh?"

  Wieder nickte Rika, nur wirkte sie dieses Mal traurig. "Ich muss mich auf den Tanz vorbereiten, nano desu." Das kleine lilablauhaarige Mädchen verbeugte sich höflich, dann verabschiedete sie sich.

  "Du musst wissen, Keiichi, dass diese Sense, die sie bei dem Tanz tragen muss, mehrere Kilo wiegt."

  Verblüfft starrte Keiichi Mion an. "Was, wirklich?" Überrascht über diese Tatsache meinte Keiichi, eher zu sich selbst gewandt: "Scheint, als würde hinter den Leuten oftmals mehr stecken, als sie zu sein scheinen..." Grübelnd warf er Mion einen Blick zu, und dann fiel ihm wieder die Sache aus dem Angel Mort ein. Augenblicklich fing er wieder an, schmierig zu grinsen. "So wie unsere Mion hier, zum Beispiel."

  "Nanu? Was meint Keiichi-kun... - Nani kana? Nani kana?", meinte Rena in ihrer typischen Art, am Ende der Frage ein zweifaches "Kana" (was übersetzt so etwas wie das Fragezeichen war und aus dem Davorstehenden Satz eine Frage machte - anstelle von "Kana" konnte man aber auch ein "Nee?" verwenden, wobei hier die Gefahr bestand, dass es mit dem schwesterlichen "Nee" verwechselt werden kann), oder auch "Nani kana?" (was allein stehend so viel wie "Ich frage mich" bedeutete), zu setzen, überlegend; und auch Mion warf ihm einen fragenden Blick zu. "Yeah, das musst du uns erklären, Kei-chan!"

  "Ach, tu doch nicht so überrascht, Mion. Ich mein, komm schon: Wie viele Mädchen mit dieser Haarlänge- und Farbe und dem selben Nachnamen soll er hier in der Gegend geben? Und du hast doch selbst erzählt, dass du Einzelkind bist, also: Wer sonst außer dir hätte das gestern sein sollen, hm?"

  "Kei-chan, ich weiß nicht, wovon du redest...", sagte Mion noch einmal, dieses Mal schon eine Spur ernster.

  "Um deine Arbeit im Cafe "Angel Mort" als Cosplay-Meido!"

  "Was?" Nicht nur Mion, auch Rena und Satoko riefen überrascht ob dieser Offenbarung aus. Mion war die erste, die die Sprache widerfand. "D-du musst dich irren, Kei-chan! Ich arbeite nicht im Angel Mort!"

  Keiichi ließ aber so schnell nicht locker. "Achja, und wer soll es sonst sein? Sie sah dir nicht nur verdammt ähnlich, sie sah haargenau so aus wie du!"

  Mion schüttelte den Kopf. "Das ist unmöglich, Kei-chan. Du musst dich geirrt haben."

  "Na gut!" Keiichi stand so abrupt auf, dass der Stuhl beinahe umfiel. "Wenn ihr mir nicht glaubt, dann kommt doch einfach mit und überzeugt euch selbst davon, dass ich die Wahrheit sage!"

  "Uhm... würd ich ja gern...", meinte Mion, nun weniger standhaft, ehe sie zörgernd meinte: "... aber ich muss heute arbeiten."

  HA!, dachte Keiichi triumphierend. Doch gerade, als er Rena und Satoko dazu auffordern wollte, dass zumindest sie ihm folgten, wurde seinem innerlichen Siegeszug einen Riegel vorgesetzt: Fast wie aus einem Munde sagten die beiden nämlich "Tut mir echt leid, aber ich kann heute leider nicht!" Rena erklärte: "Ich hab mit meinem Vater ausgemacht, dass wir heute den Tag zusammen verbringen!", und Satoko sagte: "Und ich muss heut in die Klinik... ich... uhm... fühl mich nicht so gut." - Was nach einer glatten Ausrede klang, wenn die sonst so selbstsichere Satoko plötzlich zörgerte.

  Das gibt es doch nicht!, dachte Keiichi ungehalten. Das sie ausgerechnet heute alle keine Zeit haben... ja klar! "Fein! Ich werde euch schon beweisen, dass ich die Wahrheit sage!" Mit diesen Worten schob Keiichi seinen Stuhl an den Tisch, und ohne ein Wort des Abschieds oder einen letzten Blick zurück zu den anderen verließ er wütend das Klassenzimmer.

  Was denken die eigentlich, wer ich bin?! Sie wollten ihm nicht glauben? Na gut! Aber er würde nen Scheiß tun, und sich damit einfach abwimmeln lassen, nein... - er würde ihnen schon beweisen, dass er die Wahrheit sagte, das schwor er sich!

desto eher kam er zu dem Schluss, dass es eigentlich nicht sein konnte, dass Mion all die Zeit lang unbemerkt in diesem Resturant arbeitete. Entweder, sie arbeitet noch nicht sehr lange dort, oder... - Und dieser Gedanke rieselte ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen - ... die anderen wissen schon längst Bescheid!

  Ja... eine andere Antwort gab es eigentlich nicht, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass Mion erst seit kurzem dort arbeitete... Wahrscheinlich wussten Rena und die anderen schon längst um Mions Arbeitstelle und wollten ihn einfach nur etwas an der Nase herum führen - aber nicht mit ihm!
 

"So, wollen wir mal sehen, wer es wagt, mich nochmal als Lügner darzustellen!"

  Ausgerüstet mit Kamera, um Mion bei ihrer verfänglichen Arbeit ablichten zu können, war Keiichi erneut zum Angel Mort aufgebrochen, und wartete nun vor dem Eingang gekauert auf eine Chance, Mion in Flagranti zu erwischen - welche sehr, sehr lange auf sich warten ließ. Aber gerade, als er sich schon schweren Mutes auf den Weg nach Hause machen wollte - Wahrscheinlich musste sie Heut gar nicht arbeiten und hat das nur behauptet, um mich los zu werden, ging es ihm durch den Kopf - bemerkte er aus den Augenwinkeln etwas grünes, und ohne großartig nachzudenken, rieß Keiichi den Fotoapperat in die Höhe und betätigte den Auslöser. Keine Sekunde zu spät, wie er merkte, denn Mion war auch sofort wieder aus dem Blickfeld verschwunden.

  Keiichi wartete ab, bis die altmodische Kamera das Bild gedruckt hatte, um es sich anzusehen, und hätte beinahe vor lauter Enttäuschung aufgeheult: Mion war anstatt von vorne - wie Keiichi es erhofft hatte - nur von der Seite zu sehen. Aber man sah die Hälfte ihres Gesichtes gut, und auch, wenn ein ungewohnt weiblicher Gesichtsausdruck darauf zu sehen war und die offenen Haare diese ungeahnte Weiblichkeit nochmal untermalten, man erkannte doch trotzdem, dass es Mion war: Diese Gesichtszüge, die blaugrünen Augen und vor allem das Grüne Haar machten jede Verwechslung unmöglich. Außerdem sah man einen Teil ihres Rückens (die offenen Haare, welche sie ungewohnterweise mit einem gelben Band zusammen gebunden trug, fielen ihr auf die ungesehene, rechte Seite vornüber hinunter), und damit auch einen guten Teil des Meido-Kostüms - nicht, dass sie behaupten konnte, sie wäre nur als Gast da gewesen!

  "Es ist zwar nicht die beste Aufnahme, und verwackelt ist das ganze auch noch, aber um zu beweisen, dass Mion hier als Meido arbeitet, reicht es!"

  Trotzdem blieb Keiichi noch bis kurz vor Schluss, in der Hoffnung, ein weiteres Foto von Mion erhaschen zu können, aber egal, wo er nicht Aufstellung nahm: Mion tauchte für den Rest des Tages nicht mehr auf. Erst kurz vor Schluss wagte er sich ins Geschäft rein (er wollte Mion die Chance geben, sich nur ihm erkenntlich zu zeigen, bevor er sie womöglich vor ihren gesamten Freunden bloss stellte), und da erkannte er auch, wieso er sie die ganze Zeit nicht gesehen hatte: Sie stand an der Kasse, welche vom Eingang aus nicht zu sehen war. Da hätt ich ja auch ewig und drei Tage warten können..., dachte der braunhaarige Junge missmutig und war froh, dass Mion sich die Blöße gegeben hatte, kurz am Eingang vorbei zu gehen. "Hey, Mion!", rief er ihr zu, doch sie reagierte nicht. Spielt sie auf Stumm, oder hört sie mich nicht? Doch gerade, als er zu ihr wollte, wurde ihm eine Hand auf die Schulter gelegt: "Du bist doch der Kerl von gestern? Entpuppt sich da jemand als Stalker?!"

  Sofort brach Keiichi der kalte Schweiß aus, und im Nu erinnerte er sich an ähnliche Sprüche, nur in einer ganz anderen Gegend, und er erinnerte sich an Dinge, die er hätte vielleicht lieber nicht tun sollte, und...-

  Beklommen schüttelte er den Kopf, und damit auch das Gefühl weg. "N-nein", stammelte er, nicht fähig, mehr als dieses eine Wort zu sagen.

  "Gut. Das will ich auch hoffen." Der großköpfige Mann nahm die Hand von Keiichis Schulter und rief dann zu Mion: "Shion-chan, ist das ein Freund von dir?"

  Shion? Wieso spielen hier alle Mions kleines, gehässiges Spiel mit?!, fuhr es Keiichi wütend durch den Kopf, während Mion aufsah und ihn erblickte - und dabei vollkommend anders reagierte, als erwartet: Statt ertappt zu wirken oder zu beschließen, die Maskerade auffliegen zu lassen, blickte sie ihn nur verwundert an. "Das..." Dann schien sie ihn zu erkennen. "Ah! Du bist der von gestern, richtig!" Und dann... lächelte sie!

  Keiichi dachte, ihm fielen gleich die Augen heraus! Sie grinste nicht - so, wie sie es sonst üblicherweise tat -, nein, sie lächelte, und das auf eine verdammt weibliche Art und Weise!

  Sie kam bei ihm an, doch ehe Keiichi was sagen konnte (nicht, dass er dazu in der Lage gewesen wäre; er war nach wie vor zu sehr erstaunt über die Tatsache, dass Mion so fenimin sein konnte!) nahm sie ihn schon bei der Hand und führte ihn aus dem Geschäft hinaus, zum Hinterhof. Doch kaum waren sie hinten angelangt, erlosch Mions Lächeln. "Was willst du hier?!", zischte sie, schon Mion-typischer, aber trotzdem irgendwie... anders.

  Aber das brachte Keiichi nicht mehr aus dem Ruder. Breit grinsend sagte er: "Dich in Flagantri erwischen, was sonst?!" Damit wedelte er ihr das Bild vor der Nase rum, darauf gefasst, dass sie es ihm jeden Moment aus der Hand reißen würde - was ihr aber nichts bringen würde, denn das Bild ist auf der Fotokamera gespeichert, die er widerrum schon in die sichere Obhut seiner Tasche gesteckt hatte.

  Doch nichts dergleichen passierte. Mion blieb ganz ruhig, ihr brach nichtmal der Schweiß aus, und dem Bild widmete sie auch keinerlei Achtung. "Und was willst du nun damit tun? Es meiner gesamten Familie zeigen? Mach ruhig. Sie wissen sowieso, dass ich hier arbeite, da dieser Laden einem Verwandten gehört. Außerdem...", fügte sie mit fragenden Blick hinzu. "bezweifle ich, dass du meine Familie kennst. Wie auch? Wir kennen uns ja nichtmal."

  Enttäuscht packte Keiichi das Bild weg. So machte das Ganze überhaupt keinen Spaß! "Komm schon... Tu zumindest so, als würdest du mich fürchten! Ansonsten zeig ich es morgen den anderen!"

  "Welchen anderen?" Doch bevor der braunhaarige Junge antworten konnte, schnitt sie ihm herrisch das Wort ab. "Ein für alle Mal: Wir kennen uns nicht! Wen auch immer du mit "Mion" meinst; ich bin es nicht! Und nun verschwinde, bevor ich die Polizei rufe!"

  Keiichi wollte ihr schon an die Nase knallen, dass sie sich das dumme Bluffen nun auch sparen konnte, doch in dem Moment kam ein männlicher Mitarbeiter aus der Hintertür des Resturants. "Shion-chan? Ach hier steckst du. Komm schon, wir müssen noch den Kassensturz vorbereiten."

  "Tzz... damit kommst du mir nicht davon...", murmelte Keiichi eingeschnappt, dann trollte er sich. Er hatte eigentlich vorgehabt, es mit Mion unter sich auszumachen, frei nach dem Motto "Wenn sie sich schon so sehr geniert, dann will ich nicht derjenige sein, der ihr kleines Geheimnis auffliegen lässt!", aber nachdem sie ihn nun so behandelt hatte, konnte es ihm glatt egal sein, was nun aus ihr wurde. ARG! Wenn er nur an ihren ruhigen Gesichtsausdruck dachte, könnte er kotzen, und je länger er darüber nachdachte, umso rasender machte es ihn, dass sie ihm nicht einfach die Wahrheit sagen konnte!

  Keiichi wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass diese Wut, die er nur schwerlich unterdrücken konnte, von den giftigen Gasen her rührte, die der Boden rund um Hinamizawa ausstoß. Das wussten zu dem Zeitpunkt - wie immer - eigentlich nur zwei Personen, und wie immer konnten sie auch dieses Mal nichts tun, um das bleischwäre Schicksal, welches auf diesem niemals endeten Juni des Showa-Jahres 58 lag, aufzuhalten...

Mion-Arc - 2nd Chapter

"Wieso sieht Mii-chan wohl so aus...? - Kana? Nani kana?"

  Doch Keiichi ignorierte die Frage von Rena, auch Satoko und Rika. Er hatte nur Interesse an Mions geschocktem Gesichtsausdruck, ja, er ergötze sich nahezu an ihrer Quahl, die sie beim Erblicken dieses verfänglichen Fotos von ihr im Meido-Cosplay wohl erdulden muss.

  "Naaaa~?", fragte er gehässig. "Glaubt ihr mir nun, dass Mion im Meido-Cafe arbeitet?" Er sah mit an, wie Mion der Schweiß austrat, und hätte beinahe vor lauter Freude angefangen zu jauchzen. Es tat so gut, dieses aufgeblasene Weib mal so richtig fertig zu machen, und...-

  Im nächsten Moment erschrack Keiichi vor seinen eigenen Gedanken. Was... was war das eben?!, fragte er sich panisch. Der Angstschweiß brach ihm aus, denn er erinnerte sich an seine Vergangenheit und die Dinge, die er damals getan hatte.

  Verstohlen fuhr er sich über das Gesicht, danach blickte er Mion an, und plötzlich plagte ihn das schlechte Gewissen, als er sah, wie verwirrt und ängstlich sie drein blickte. Wieso war er so versessen darauf, Mion eins auszuwischen? Sie war doch eine Freundin! Wieso tat er ihr sowas dann an?

  Doch dann stutzte er. Er hatte eigentlich erwartet, an ihr einen ertappten oder gar peinlich berührten Gesichtsausdruck zu finden, doch stattdessen blickte sie ängstlich und furchtsam, ja, sogar fast panisch das Foto an. "M-mion?"

  Plötzlich schrie sie panisch auf. "D-das... Das bin ich nicht!"

  Die gesamte Klasse wandte sich mit einem Ruck ihr zu, und Rena versuchte, sie zu beruhigen, doch Mion schrie immer wieder: "Das bin ich nicht! Das bin ich nicht! Wer ist das?! Das bin nicht ich!!" Das ging so weiter, die ganze Zeit, und selbst, als Chie-sensei herein kam, beruhigte sich Mion nicht. Nachdem Rena kurz und oberflächlig die Lage geschildert hatte, wurde Irie-sensei, der Arzt der Dorf-Klinik, angerufen. Unterdessen schrie Mion immer weiter, selbst, als Rena und Chie-sensei sie mit gemeinsamen Kräften zum Krankenzimmer gebracht hatten.

  Verstört ließ sich Keiichi auf seinen Platz nieder, unfähig, sich weiterhin auf den Beinen zu halten. "A-aber... wieso?", fragte er verständnislos. "I-ich... hab doch nur..." Er verstand das einfach nicht. Wieso gab Mion nicht einfach zu, dass sie es ist, anstatt so ein Theater zu machen?"

  "Weil sie es nicht war, nano desu!", sagte Rika leise neben ihm. Außer ihr war mittlerweile niemand mehr im Klassenzimmer, denn Chie-sensei hatte den Kindern, bevor sie zusammen mit Rena Mion ins Krankenzimmer gebracht hatte, erlaubt, auf dem Hof spielen zu gehen; und Satoko war kurz darauf den dreien nachgeeilt - oder war auch raus zum Spielen gegangen, aber das war eher unwichtig.

  "Was...?", fragte Keiichi nach wie vor verständnislos. Dann merkte er, dass er anscheinend die Frage laut ausgesprochen hatte. Aber das änderte nicht viel an seiner allgemeinen Verwirrung. Er blickte einfach nicht mehr durch, verstand kein Wort mehr. Was war nur in sie gefahren?!

  "Ich sagte...", sagte Rika da, und plötzlich - so kam es Keiichi zumindest vor (wenn er im Nachhinein an diese Szene dachte, wurde ihm klar, dass er sich das eingebildet haben musste, aber in dem Moment wirkte es zumindest so) - klang Rika nicht mehr wie das kleine, süße Mädchen, sondern wie eine reife, erwachsene Frau. "... dass das da auf dem Bild nicht Mion ist. Das ist Shion, siehst du das denn nicht?"

  Verwirrt blickte Keiichi auf. Shion? Das war doch Mions Scheinname, welchen sie anscheinend im Angel Mort verwendete, um nicht aufzufliegen. Aber woher wusste Rika den Namen? "W-woher... weißt du von diesem Decknamen?" Die einzigste Erklärung dafür war, dass die anderen wirklich wussten, dass Mion in dem Cafe arbeitet, und sie weiterhin decken wollen. Und dieser Gedanke regte ihn auf. "Verdammt nochmal!", schrie er, während er vom Stuhl aufsprang und im nächsten Moment Rika packte. "Wollen mich hier alle für dumm verkaufen?! Wer, wenn nicht Mion, soll das sonst bitte sein? Shion? Gehts denn noch auffälliger, häh?! Das ist wirklich das dümmste, was ich jemals in Sachen Decknamen gehört habe! Mion und Shion! Natürlich! Und dann heißen die beiden auch noch ganz zufällig Sonozaki mit Nachnamen! Weil es solche Zufälle in der Realität an jeder Straßenecke gibt! Wo leben wir? Im Land der unbegrenzen Wunder und Zufälle, häh?" Als Rika keine Anstalt machte, ihn zu antworten, sondern stattdessen nur mit leeren, nichtssagenden Blick ihn ansah, schüttelte er sie noch kräftiger und schrie erneut: "HÄH?!"

  "Keiichi!" Rena, welche gerade das Zimmer betrat, kam zu ihm hingerannt und zerrte ihm solange am Ärmel rum, bis er losließ. Und augenblicklich wurde Keiichi bewusst, was er gerade getan hatte. "T-tut mir leid...", stammelte er hilflos. "Aber... ich... ich versteh das nicht! Wieso decken alle Mion? Es ist doch nicht so schlimm, dass sie dort arbeitet, und...!" Er brach ab - und merkte, wie ihn die wilde Wut wieder zu übernehmen drohte.

  "Mion arbeitet doch im Spielwarengeschäft, Keiichi-kun!", schrie da Rena als Antwort. "Sie kann gar nicht im Cafe arbeiten, wann sollte sie das auch machen?!"

  Und für einen Moment glaubte Keiichi ihr, und seine Wut zog sich in die entlegenste Ecke seines Unterbewusstseins zurück. Bis ihm Renas Worte vom Vortag einfielen. Und sofort war die Wut wieder da, nur dieses Mal noch stärker und brodelner. "Achja? Wie kommt es dann, dass du dich gestern noch gefragt hast, als was Mion arbeitet?!", schrie er mit kaum noch unterdrückbarer Wut.

  Plötzlich stand Rika auf. "Es scheint, als wäre dieses Hinamizawa noch schlimmer, als alle jemals davor da gewesenen." Wie in Trance ging sie zu Tür, schien weder Rena, die sich besorgt nach ihrem Befinden erkundigte, noch Satoko, welche just in diesem Moment das Klassenzimmer betrat und Rika erschrocken auswich, gar nicht wahrzunehmen. "Ich habe genug von diesem Hinamizawa - ich wünschte, wir könnten schon zum nächsten aufbrechen..." Damit verließ sie das Klassenzimmer. Danach herrschte im Klassenzimmer einige Minuten Schweigen, jeder seinen eigenen, brütenden Gedanken hinterher hängend, und allmählich beruhigte sich Keiichi.

  "Ich weiß das auch nur durch Zufall, Keiichi-kun...", sagte da Rena langsam, in beruhigsamen Ton. "Ich war nämlich gestern Abend mit meinem Vater dort, um uns beiden eine Art Gemeinschafts-Spiel zu holen, und da hab ich Mion entdeckt... Es war ihr peinlich, deshalb hat sie es nie gesagt und..."

  Keiichi wollte sie gerade anherrschen, dass er ihr kein Wort glaubte, als die Tür geöffnet wurde. Chie-sensei trat in Verstärkung mit Irie-sensei rein, und dann... kam auch Mion rein.

  "Mii-chan, wie geht es dir?" Rena rannte sofort zu Mion hin, welche unnatürlich blass und ausgelaugt aussah, und auch Satoko schien besorgt. Einzigst Keiichi ließ das kalt. Für ihn war klar, dass sich alle hier Anwesenden gegen ihn verschworen hatten.

  "Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber ihr solltet lieber aufpassen, dass sowas nicht wieder passiert. Es hat zwei Tabletten gebraucht, um Mion wieder beruhigen zu können."

  "Achja? Und wie kommt es, dass Sie so schnell hier waren, und das die Tabletten so schnell gewirkt haben?!" Alles Lügner, elende Lügner, allesamt!

  "Ich war gerade in der Nähe, und die Tabletten haben ganz normal eine halbe Stunde zum Wirken gebraucht..."

  "Eine halbe Stunde? Soviel Zeit ist doch nie und nimmer vergangen, und...-"

  Plötzlich wankte Mion ein paar Schritte in den Raum. "Ich...", sagte sie langsam, es waren ihre erste Worte, seitdem ihr Geschrei aufgehört hatte, "... bin das da nicht auf dem Bild. Ich..." Sie stockte erneut, schien sich nicht sicher, ob sie das, was sie sagen wollte, auch wirklich sagen sollte, doch dann schluckte sie einige Male und schien sich einen Ruck zu geben. "... Ich kann das gar nicht sein..." Und plötzlich, ohne irgendwelche Vorwarnungen und ohne darauf zu achten, was die anderen dazu sagten, begann sich Mion, auszuziehen: Erst die gelbe Überweste, dann die Bluse - aber die Bluse nur so, dass man nur ihren Rücken, nicht aber ihre weibliche Rundungen sehen konnte. Dann nahm sie ihren langen Haarzopf zur Seite, und ein riesiges Tattoo, welches sich über den gesamten Rücken ausbreitete, kam zum Vorschein. "Seht ihr...? Dieses Tattoo wird der Erbfolgerin des Sonozaki-Hauses auf den Rücken tätowiert. Es bedeutet... dass ich den Dämon in mir trage..." Sie sprach langsam, und als Keiichi genauer hinsah, sah er, dass ihr sogar eine Träne runterlief. "Bist du nun zufrieden, Kei-chan?", fragte sie verbittert. "Glaubst du mir nun, dass ich das auf diesem Bild nicht sein kann?"

  Keiichi, immer noch von Wut verblendet, musterte eingehend das Bild, nicht verstehend, wie dieses Tattoo nun beweisen sollte, dass das da auf dem Bild nicht Mion war, doch dann rieselte es ihm wie Schuppen von den Augen. "Der Rücken... ist frei...", stammelte er hilflos. Aber trotz dieser Worte dauerte es nochmal ein paar Sekunden, bis er auch verstand, was das bedeutete: Der Rücken von Mion war komplett ausgefüllt von diesem Tattoo, was wohl einen Onii, einen Dämonen, darstellen sollte, während der Rücken der Grünhaarige auf dem Foto... frei war. "A-aber... wie kann das sein...?" Er wollte zu Mion, ihr Tattoo anfassen, sich davon überzeugen, dass es echt war, doch diese schlug mit einiger Gewalt seine Hand zur Seite. "Fass mich nicht an!", schrie sie, die Tränen nur noch mit Müh und Not unterdrückend. "Das ich das euch zeigen musste... nur, damit du mir glaubst, Kei-chan... - ich dachte, wir wären Freunde!" Mit diesen Worten stürmte sie aus dem Klassenzimmer, gefolgt von Chie-sensei und Irie-sensei.

  Während Keiichi immer noch mit fassungslos aufgerissenen Augen da stand, schüttelte Rena nur beklommen den Kopf. "Hast du eine Ahnung, was du angerichtet hast, Keiichi-kun? Weißt du denn überhaupt, wie viel du Mii-chan bedeutest?!"

  Nein... Keiichi wusste es nicht. Aber was immer es war... Er hatte es mit dieser Aktion zerstört. Fassungslos starrte er seine Hände, dann das Bild, und dann Rena an. "Was... was ist nur... mit mir los...?", fragte er verzweifelt, und ehe er sich versah, liefen ihm schon die Tränen herrab. "Ich... ich war plötzlich so wütend, auf alles und jeden, und hatte meine Wut nicht mehr unter Kontrolle, und..." Er wollte noch etwas sagen, doch plötzlich blitze vor seinem geistigen Auge eine Flut an Bildern auf: Er, wie er normal mit Rena und Mion zusammen nach Hause geht - Tomitake-san, der ihm erzählt, dass es in Hinamizawa eine Reihe seltsamer Morde gab - Sein daraufhin aufkeimendes Misstrauen - Rena und Mion, die ihm die Mordserie von Hinamizawa verschweigen - Ein Gespräch mit Ōishi-san, der ihm erzählt, dass alle Todesfälle in irgendeiner Verbindung zu Rena, Mion und dem Rest seiner Freunde stehen - Rena und Mion, die wussten, dass er sich mit Ōishi getroffen hat, obwohl das eigentlich gar nicht sein kann - die beiden, wie sie ihm Ohagi vorbei brachten, indem er eine Nadel fand - er, wie er anfing, regelmässig mit dem Baseball-Schläger zu üben, um sich im Notfall selbst verteitigen zu können - er, wie er von Rena verfolgt wird, und ihre kranke Lache sogar noch im Schlaf hört - er, wie er von irgendwelche seltsamen Typen niedergeschlagen wird - er, wie er zu sich kommt und Rena und Mion bei ihm sind - er, wie er denkt, Mion will ihm eine Spritze verpassen, obwohl sie doch nur den Pernament-Marker in der Hand hat und ihn als "Batsu Game" anmalen will - er, wie er mit dem Schläger auf Mion einschlägt - Rena, die ihm immer wieder sagt, dass sie ihm vertraut, und dass auch er vertrauen solle - er, wie er auch Rena mit dem Baseball-Schläger niederschlägt - er, wie er, vom eingebildeten Oyashiro-sama verfolgt, um sein Leben rennt - er, wie er Ōishi anruft, um ihm zu erklären, dass Mion und Rena zu dieser Organisation gehören - er, wie er sich mit den Fingernägeln die Halsschlagader aufkratzt - er, wie er...

  "Keiichi-san...?" Rika stand vor ihm (wann war sie zurück gekommen?) und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. "Alles okay, nano desu?"

  Doch Keiichi konnte gar nicht auf die Frage antworten. Sattdessen starrte er erst seine Hände, dann Rika, und dann wieder seine Hände an, und dann fing er an zu stottern. "I-ich... ich habe Mion umgebracht... und Rena... wieso... wieso hab ich das getan...?!" Dies stotterte er immer und immer wieder, und dann wurde er von einem heftigen Heulkrampf durchgeschüttelt, während Satoko und allen vorran Rena ihn nur verständnislos anstarrten. "A-aber... Keiichi-kun, wir leben doch noch!"

  "I-ich... versteh das doch auch nicht... Anscheinend... ist das in einer Art Paraell-Universium passiert, oder in einem früheren Leben..." Verwirrt, am ganzen Körper zitternd, sah er seine Hände an, und es war ihm, als könnte er das Blut daran kleben sehen. "Ich... ich habe Rena und Mion umgebracht...", stammelte er wieder, wieder und wieder, immer wieder, bis es sich nach einer Art Mantra für ihn anthörte, und es schien, als würde das Bild vor seinem inneren Auge, das ihm diese Vision zeigte, allein durch diese Worte von Mal zu Mal realistischer.

  In diesem Augenblick kam Chie-sensei herrein. "Herrje, was ist denn nun wieder los?", fragte sie mit sorgenvoller Miene. Satoko und Rena gingen sofort zu ihr, während Rika bei Keiichi blieb. "Du... du kannst dich Erinnern, Keiichi-kun?", fragte sie leise - und plötzlich klang ihre Stimme nicht mehr wie die eines Kindes.

  Hilflos schüttelte Keiichi den Kopf. "I-ich... was... was hab ich bloss getan...?!", fragte er, zum wiederholten Male.

  Daraufhin seufzte Rika. "Das warst nicht du, Keiichi-kun...", sagte sie leise, mit einfühlsamer Stimme. "Das war ein anderer Keiichi-kun... Aber wenn du nicht aufpasst, wirst du wieder Opfer deiner Wut und deines Misstrauens, und dann... geschieht vielleicht das selbe nochmal... oder etwas anderes..." Als er sie daraufhin mit verwirrtem Blick ansah, meinte sie ernst: "Keiichi-kun... du darfst nicht zulassen, dass deine Hände wieder mit Blut besudelt werden...!"

  "A-aber... was soll ich tun...?"

  "Du musst deine Wut und dein Misstrauen niederkämpfen. Lerne, zu vertrauen!" Und mit diesen Worten machte es irgendwo in seinem Unterbewusstsein "Klick" - Das er selbst das zu Rika gesagt hatte, in einer anderen Zeit, in einem Hinamizawa, wusste er nicht, doch sein Geist, schon endlos oft wieder geboren in diesem niemals endeten Juni des Jahres 1983, auch das Showa Jahr 58 genannt, schien sich an die Worte zu erinnern, und wie ein Ertrinkender klammerte er sich daran, als wär es seine einzigste Hoffnung. "Vertrauen..." Er widerholte das Wort noch ein paar Mal, so oft, bis sich die Bilder in seinem Kopf endlich zurück zogen.

  Nach einer schier endlos erscheinenden Zeitspanne stand er auf und wischte sich die Tränen weg. "Wir... sind einander schon begegnet - in einem früheren Leben. Richtig, Rika-chan?"

  Diese nickte nur leicht, aber sie wirkte dabei... traurig? Und wer wäre es an ihrer Stelle nicht, wenn man immer und immer wieder aufs Neue seine Freunde sterben sehen muss? Doch davon wollte sich Rika nichts anmerken lassen, denn sie hatte sich geschworen, ihre Freunde nicht noch mehr in diese Sache hinein zu ziehen, als sie es eh schon waren (davon, dass sie ihr sowieso nicht glauben würden, mal ganz zu schweigen), und so lächelte sie nur auf ihre Rika-typische Weise und meinte "Ich weiß nicht, wovon Keiichi-kun spricht, Niipaa~h"

  Keiichi sah noch einige Sekunden zu ihr herrab, dann lächelte er. "Sag, was auch immer du willst... - ich weiß es."

  Gerade wollte Rika noch etwas darauf erwidern, da wurde schon die Tür geöffnet, und Rena und Mion kamen ins Klassenzimmer, Mion wieder vollkommend angezogen und anscheinend auch wieder beruhigt, Rena mit nach wie vor sorgenvollem Gesichts. "Gehts wieder, Keiichi-kun?", fragte sie besorgt.

  Aber anstatt zu antworten, ging Keiichi auf Mion zu, sah ihr ein paar Sekunden in die Augen, und dann... - umarmte er sie. "K-kei-chan?!", stammelte Mion auch sofort, blitzartig rotwerdend. "W-was soll das?!"

  "E-es tut mir leid, Mion...", sagte Keiichi langsam. "Nicht nur das eben... auch das, was ich dir und Rena in einem anderen Leben vielleicht angetan habe..."

  "A-aber... Kei-chan..." Mion war nach wie vor rot wie eine Tomate, während Satoko einfach in ne andere Richtung sah und Rena nichtssagend, aber dennoch leicht verwirrt, lächelte.

  So überrumpelt fiel Mion gar nichts anderes ein, als seine Entschuldigung anzunehmen. "S-schon gut, Kei-chan...", sagte sie langsam, und nach weiteren, für sie endlos erscheinende Sekunden, ließ er sie los. Schnell sah sie zur Seite, damit man ihre Röte nicht bemerkte. Teils, um von ihrer Verlegenheit abzulenken, aber auch, weil sie das wirklich sagen wollte, meinte sie: "L-lasst... lasst uns nach der Schule heraus finden, wer das ist..." Damit zeigte sie auf das Bild. Die anderen stimmten zu, und als dann Chie-sensei rein kam, wurde das Thema in stiller Übereinkunft fürs erste ruhen belassen.
 

"Und du bist dir ganz sicher, dass du keine Schwester hast, Mion?", fragte Keiichi, bestimmt schon zum 17. Mal an diesem Tag.

  Mions Antwort fiel demnach auch kaum anders aus als die restlichen 16 Mal. "Nein, bestimmt nicht - ich mein, ich wüsste doch, wenn ich eine Schwester hätte, oder?" Sie hatte beschlossen, Keiichi für die Schmach, die sie wegen seinem Unglauben auf sich nehmen musste, zu vergeben - immerhin hatte er sie in den Arm genommen; eine Geste, die Mion weitmehr bedeutete, als Keiichi wohl ahnen dürfte. Außerdem brachte es nun auch nichts mehr, auf ihn dafür sauer zu sein: Es war nunmal geschehen, und Wut konnte das nun auch nicht mehr rückgängig machen. (Wenn Mion allerdings ehrlich zu sich selbst war, war der Hauptgrund dafür, dass sie Kei-chan nicht sauer sein konnte, schlicht und ergreifend einfach jener, dass er ihr mehr bedeutete, als ihr selbst lieb war...)

  "Dann ist es vielleicht eine Cousine von Mii-chan... vielleicht...", fragte sich Rena, doch auch da schüttelte Mion den Kopf. "Ich wüsste nicht, wie das gehen soll. Die gesamte Familie Sonozaki besteht aus Einzelkindern." Von dem seltsamen Gefühl, welches sie nur allzu oft hatte, sagte sie lieber nichts. Aber das Bild, welches Kei-chan mitgebracht hatte, beunruhigte sie mehr, als sie zugeben wollte. Demnach war sie auch den ganzen Weg über nach Okinomiya für ihre Verhältnisse recht schweigsam.

  "Vielleicht ist es ja Mions Doppurugaenger, also ihr Doppelgänger?", meinte Keiichi scherzend. "Nur wäre es dann nicht besser, wenn die beiden nicht aufeinander treffen?"

  "Hmm? Was meint Keiichi-kun mit "Doppelgänger"?"

  "Na, ihr wisst schon... diese deutsche Sage von wegen, dass jeder Mensch einen Doppelgänger auf dieser Welt hat, und dass das Universium explodiert, wenn man seinem Doppelgänger über den Weg läuft!"

  "Da hast du aber einiges durcheinander gebracht, Kei-chan", antwortete Mion trocken und eine Spur zu ernst. "Erstens passiert sowas nur dann, wenn normale Materie auf Anti-Materie trifft - in meinem Falle also, wenn ich auf mein Anti-Materie-Ich treffen würde -, und zweitens explodiert dann nicht das komplette Universium - das wäre ja echt schrecklich - sondern nur Materie und Anti-Materie - in dem Fall ich und mein Anti-Materie-Ich." Und um den I-Strich den Punkt aufzusetzen fügte sie hinzu: "Was jedoch die Doppelgänger betrifft, so wird überliefert, dass, sollten sich der Mensch und sein Doppelgänger jemals gegenüber stehen, beide sterben müssen."

  "Aaaah, du kennst dich aber echt gut aus, Mion-san - woher weißt du das?", fragte Satoko beeindruckt, doch Mion antwortete nicht - und befand sich mit ihrer Verschwiegenheit damit in bester Gesellschaft, denn nebst Mion war es heut insbesondere Rika, die für ihre Verhältnisse ziemlich verschwiegen war. Doch als Keiichi Rena danach fragte, bekam er nur ein Schulterzucken, und auch Satoko schien nicht mehr über Rikas Ungesprächigkeit zu wissen, während es Mion erst gar nicht mitbekam.

  Und dann war der Moment gekommen: Sie hatten das Angel Mort erreicht. "Daijoubu, Mii-chan?", erkundigte sich Rena besorgt um Mions Zustand, doch diese nickte nur. "Hai - bringen wir es hinter uns!"

  Leader-Typisch übernahm Mion die Vorhut und betrat mit klopfenden Herzen das Cafe. "Herzlich willkommen im Angel Mort!", rief eine leicht bekleidetete Cosplay-Maid. Als sie jedoch Mion gewahr, weiteten sich ihre Augen vor Überraschung. "S-shion-chan?", rief sie ungläubig, "Ich hab gar nicht mitbekommen, dass du weg warst!"

  Gerade, als Mion das Missverständnis auflösen wollte, trat eine weitere Person hinzu, und dann passierte etwas, was in jedem Manga oder Anime nun mit unglaublicher Dramatik in die Länge gezogen werden würde, in der Realität aber nur wenige Sekunden brauchte: Ohne minutenlanges "Sich-nicht-ansehen", wie es in Romanen, Mangas, Animes und dergleichen üblich war, erblickte Mion das Mädchen, welches ihr nicht nur ähnelte, sondern haargenauso aussah wie sie, und eine Sekunde später bemerkte dieses Mädchen auch sie - und ließ vor Schock das Tablett fallen. "W-was?!"

  Hätte man Mion nun einen Spiegel vorgehalten; der Unterschied zwischen dem Gesicht der Grünhaarigen ihr gegenüber und ihres eigenen Gesichtes wäre nicht ersichtbar gewesen, denn das Mädchen ihr gegenüber sah nicht nur genauso aus wie sie, nein; sie reagierte auch genauso geschockt (mit dem kleinen Unterschied, dass Mion im Gegensatz zu ihr nichts in der Hand trug, was sie hätte fallen lassen können.)

  Die Bedinung, welche die Gruppe bestehend aus Mion, Keiichi, Rena, Satoko und Rika empfangen hatte, war die erste, die ihre Stimme wieder fand: "Also... entweder, ich hab unbewusst irgendwelche Drogen zu mir genommen und seh aufgrund dessen nun doppelt, oder... wir haben hier zwei Shions.", bemerkte sie nüchtern, dann lachte sie, als ob sie einen guten Witz gerissen hätte. Als sie jedoch merkte, dass niemand in ihr Lachen miteinstimmte, verstummte sie wieder.

  "W-wie... ist das möglich...?", stammelte Mion - und bemerkte sofort, dass ihr gegenübriges Ebenbild genau das selbe gestammelt hatte!

  "Wieso kennen sie sich in dieser Welt nicht? Sowas hat es noch nie gegeben!"

  Mion sah beklommen in Richtung Rika, welche diese Worte von sich gegeben hatte, doch als Mion sie ansah, machte sie nur ihr typisches "Nipaa~h". Daher wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder der grünhaarigen Meido zu. Um den Kloss in ihrem Hals zu bezwingen, musste sie zwar einige Male schlucken, doch dann traute sie ihrer Stimme genug Festigkeit zu, um einen halbwegs selbstsicheren Satz heraus zu bringen: "M-mein Name ist Sonozaki, Mion. Und wie heißt du?" - Obwohl sie sich die Antwort drauf denken konnte, immerhin hatte sie sie eben bereits gehört. Immerhin schienen sie nicht komplett das selbe zu denken, sonst hätte ihr Ebenbild ja nun die selbe Frage gestellt.

  Das Mädchen sah erschrocken auf. "S-sonozaki, sagst du?", fragte sie stotternd. Als Mion nickte, sagte das andere Mädchen genau das, wovor Mion im Unterbewusstsein am meisten Angst hatte: "M-mein Name ist auch Sonozaki! Sonozaki, Shion!"

  Und obwohl Mion damit gerechnet hatte, hätte ein Schlag ins Gesicht nicht schmerzvoller sein können! "D-du heißt auch S-sonozaki?!", keuchte sie. "W-wie... ist das möglich?!"

  Keiichi fand als erstes seine Stimme wieder: "I-ihr... ihr müsst verwandt sein!"

  Daraufhin antworteten Mion und Shion, wie aus einem Munde "Das kann nicht sein!" - was ihre Worte recht unglaubwürdig erschienen ließ.

  Dann schien Shion einen Einfall zu haben: "W-warte, ich hole meinen Onkel! Er weiß bestimmt was darüber...!" Schnell entfernte sich Shion, während Mion sich erstmal setzen musste. Etwas an Shions letzten Worte irritierte sie. Und dann fiel es ihr auf: "Onkel... - ha!" Auf den fragenden Blick der anderen erklärte Mion: "Sie hat einen Onkel. Damit ist doch alles gesagt. In meiner Familie gibt es - wie vorhin bereits erwähnt - nur Einzelkinder. Was es so oder so unmöglich macht, dass wir auch nur in irgendeiner Form miteinander verwandt sind. Wir können nicht verwandt sein, denn wer hätte sie zur Welt bringen sollen, wenn es in unserer Familie nur Einzelkinder gibt und die Sonozakis momentan nur aus mir, meinen Eltern und Onibaba bestehen?!", setzte sie mit Nachdruck nach, als das nicht reichte, um die anderen zu überzeugen. "Ich frage noch einmal: Wer soll sie zur Welt gebracht haben? Meine Mutter hat keine Geschwister, mein Vater auch nicht, und Onibaba - meine Großmutter - schon gar nicht!"

  Plötzlich spürte Mion, dass sie nicht mehr allein war, und als sie sich herum drehte, sah sie Shion, welche dann, mit langsamer Stimme und nachdenklicher Stirn meinte: "Mein Onkel... ist heute nicht da..."

  Hatte sie das mitangehört? - Und wenn schon. Es war doch eh nur die Wahrheit! "D-deine Eltern - wer sind sie?"

  Doch anstatt mit einer weiteren Tatsache zu antworten, die einfach nicht stimmen konnte, weil sie sonst ihr gesamtes Leben, wie sie es bisher erfahren hatte, auf den Kopf stellen würde, antworte Shion nur mit einem simplen: "Ich weiß es nicht."

  "W-wie?" Mion blinzelte. Damit hatte sie nicht gerechnet!

  "I-ich... bin in einem Internat aufgewachsen. Die einzigsten zwei Menschen, die jemals für mich da waren, waren Kasai-san, welcher mir bei meiner Flucht aus eben genannten Internat geholfen hatte, mich hierher brachte und mir diesen Job einbrachte, und "Onkel" - wobei ich nichtmal weiß, ob wir wirklich Blutsverwandt sind. Ich habe weder Eltern, noch Geschwister... - zumindest nicht, das ich wüsste...", setzte sie dann zörgernd nach, mit einem seltsamen, schwer einzuschätzenden Blick auf Mion.

  "Okay, Mii-chan... ich weiß, du magst es vielleicht nicht hören, aber ich möchte, dass du mir zuhörst, wie ich die Sache verstehe.", begann Rena langsam. "Also... so wie ich die Sache sehe, besteht kein Zweifel daran, dass Mii-chan und Shii-chan" - angesprochene Shion verzog zwar ob dieser ungewohnten Betitelung fragend eine Augenbraue, sagte aber nichts - "nicht nur miteinander verwandt sind, sondern Schwestern, wenn nicht gar Zwillinge sein müssen!" Mion wollte an dieser Stelle aufbegehren, doch Keiichi hielt sie zurück, und so schwieg Mion. "Ich weiß auch nicht, wie das möglich ist oder wieso das Mii-chans Eltern tun sollten, aber es scheint, als haben sie Shii-chan direkt nach ihrer Geburt her gegeben - anders lässt sich der Umstand, dass ihr beide offensichtlich von der anderen bisher nichts wusstet, nicht erklären. Und es würde auch passen: Shii-chan sagte ja, dass sie, ohne ihre wahren Eltern jemals kennen gelernt zu haben, im Internat aufwuchs."

  "Also willst du damit sagen, dass Mion und Shion Zwillinge sind und Mions Eltern Shion direkt nach der Geburt hergaben, ohne Mion jemals davon erzählt zu haben?", fasste Keiichi zusammen, woraufhin Rena nickte. "Genau das denke ich."

  "Aber das ist doch...-" ... völliger Schwachsinn, wollte Mion aufbegehren, doch sie konnte es nicht, wie sie mit Schrecken feststellen musste. Plötzlich fielen ihr die sogenannten Ahnenmärchen ein: Darüber, was man mit unliebsamen Zweitnachwuchs tat, um sich des Problemes, welches ein zweites Kind auf die Erbreihenfolge ausüben würde, zu entledigen. Und sie wurde sich des Gefühls bewusst, welches sie immer empfand, wenn sie in den Spiegel sah: Entzweit.

  Und urplötzlich ergab das alles einen Sinn!

  Abrupt wandte sich Mion der Meido zu: "Wann bist du geboren und wie alt bist du, Shion-san?! Hast du zufällig eine Geburtsurkunde oder sowas?", fragte sie plötzlich.

  "Uhm... Da ich hier arbeite, müsste mein "Onkel" eigentlich eine Personalakte mit den wichtigsten Daten von mir haben... - Moment, ich seh schnell nach." Damit entfernte sich Shion schnell, um eine geraume Zeit später - die sich Rena, Keiichi und Satoko mit wilden Spekulationen vertrieben (einzigst Mion und Rika waren ziemlich verschwiegen) - wieder zu kommen. "Da ist sie."

  Nachdenkend nahm Mion sie entgegen, während ihr Rena und Keiichi über die Schulter sahen. "Sonozaki wird mit den selben Schriftzeichen geschrieben, wie dein Nachname - nee, Mii-chan?" Daraufhin nickte Mion stumm, ehe sie nachdenklich meinte: "Und nicht nur das: Das zweite Zeichen von "Shion" ist das selbe, wie das zweite Zeichen von "Mion". Und als wäre das nicht genug, haben wir den selben Geburtstag und die selbe Blutgruppe. Würde mich nicht wundern, wenn wir sogar die selbe Geburtszeit hätten..."

  "Also doch Zwillinge, hm?", meinte Keiichi überlegend.

  "Kann gut sein... kann sein, dass es nur ein Riesen Zufall ist, aber Sinn ergeben würde es schon...", murmelte Mion leise. Dann stand sie so abrupt auf, dass Rena beinahe erschrocken von ihrem Stuhl gepurzelt werde. "Alles Spekulieren bringt nichts, wenn man keine Gewissheit hat! Daher werde ich Onibaba fragen, was dahinter steckt!" Damit verließ Mion das Geschäft, noch ehe Keiichi, Rena oder gar Shion etwas sagen konnte. Keiichi war der erste, der Fuß fasste und Mion folgte. "M-mion, jetzt warte doch mal...!"

  "Kei-chan... weißt du, was das bedeutet?", fragte sie sofort, als er bei ihr ankam, atemlos. "Wenn ihr beide Recht habt, dann bedeutet das, dass meine Familie mich all die Jahre in einer riesigen Lüge erzogen haben. Sie haben mir meinen Zwilling verheimlichst - das ist nicht etwas, was man so leicht verzeihen kann...!"

  Keiichi wusste nicht recht, was er dazu antworten sollte - was Mion spürte und deshalb abwinkte. "Sag nichts. Es reicht, wenn du mir zuhörst und mich begleitest."

  "Uhm, kein Problem und...-" Plötzlich brach er ab. "Ich soll was!? Dich zu den Sonozakis begleiten?!"

  Daraufhin musste Mion, trotz all dem Ärger, der sich grad in ihr aufbraute, lachen. "Nein... nur bis zum Anwesen. Es würde mich freuen, wenn du... mich jetzt nicht alleine lassen würdest...", gab sie schließlich kleinlaut zu. Nicht nur, weil sie befürchtete, ihren Ärger auf eine Art, die ein böses Nachspiel bedeuten würde, Raum zu lassen, sondern auch, weil es gut tat, mit jemanden zu reden, und zu guter Letzt einfach deshalb, weil er nunmal ihr Kei-chan war. "Nee, Kei-chan... was hälst du von... Shion-san?", fragte sie nach einer Weile vorsichtig.

  "Naja... abgesehen davon, dass sie dir zwar wie aus dem Gesicht geschnitten, aber viel weiblicher ist als du" - schon allein der Satz war wie ein Schlag ins Gesicht für Mion, doch sie ließ sich lieber nichts anmerken - "noch nicht sehr viel. Ich kenn sie ja nicht wirklich..."

  Aus irgendeinem Grund erleichterte das Mion, aber auch das ließ sie sich nicht anmerken. "A-achso...", meinte sie daraufhin nur, ehe wieder eine Zeit lang Schweigen herrschte, welches abermals von Mion durchbrochen wurde. "I-ich... weiß irgendwie... nicht, was ich denken soll...", gestand sie nach einigem Drucksen.

  Aber anders als erwartet zeigte sich Keiichi überraschend mitfühlend. "Verständlich...", murmelte er. "I-ich mein... mir würds wahrscheinlich nicht anders gehen, würd man mir von heut auf morgen plötzlich eröffnen, dass ich nen Bruder, Schwester oder was auch immer habe..." Er machte eine Pause, dann fügte er hinzu: "Für diese Shion muss es aber auch schwer sein, immerhin scheint es, als hatte sie bisher überhaupt keine Familie, und nun taucht ein Mädchen auf, welches haar genauso aussieht wie sie und dessen Freunde behaupten, dass ihr Zwilling seid... was, - wenn es stimmt - klar macht, dass sie zwangsweise auch die ganze Zeit eine Familie hatte, die sich aber nie um sie gekümmert hat... - stell ich mir schon ziemlich krass vor..."

  "Hm, so gesehen hast du Recht, Kei-chan...", meinte Mion leise. Und es stimmte schon: Irgendwo hatte diese Vorstellung etwas unglaublich grausames an sich. Wenn es wirklich so war, dass Shion-san ihre Zwillingsschwester war, dann... - Nein. Den Gedanken wollte Mion nicht zu Ende denken. Und es brachte jetzt auch nichts mehr, sich mehr verrückt zu machen, sie würde ja so oder so nicht darum kommen, mit Onibaba über diese Angelegenheit zu sprechen.

  Und so machte sich Mion in Begleitung von Keiichi auf den Weg zu ihrer Familie, um die Wahrheit heraus zu finden. Sie konnte nicht wissen, dass es manchmal besser war, die Wahrheit nicht zu wissen, und sie konnte auch nicht ahnen, dass dies der Anstoß für eine grausame Geschichte werden würde, sonst hätte sie vielleicht ihre Meinung geändert. Aber da sie es nunmal nicht wissen oder erahnen konnte, machte sie auch nicht kehrt, und so nahm alles seinen Lauf...



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Melanoi
2013-09-10T14:29:46+00:00 10.09.2013 16:29
Tolle Fanfic! *_* Du hast eine tolle Wortwahl. x3
Von:  Ranmaru_Kurosaki
2010-04-28T23:37:58+00:00 29.04.2010 01:37
Ah ich mach jetzt nicht zu jedem Kapitel einzeln nen Kommentar, hab dir ja schon mal gesagt ich mag es nicht Kommentare zu geben aber ouh, ich kann gar nicht anders als mal zu sagen, dass du wirklich gut schreibst. Deine Idee mag ich auch, ouh und deine Wortwahl *_*. Du hast auch die Reaktionen so toll beschrieben. Einzig an die einzelnen japanischen Wörter zwischendrin musst ich mich gewöhnen, hab das nämlich an sich so noch nie irgendwo gelesen XD Ouh und manchmal machst du putzige Fehler... ich kann mich mal dransetzen und sie suchen, sind mir nur beim lesen aufgefallen. Zu dem was an sich passiert kann ich bisher eigentlich gar nichts anderes sagen als toll. Jah ich hab nicht viel zu sagen~ einfach ich mag die FF bisher ziemlich :3 und das ist doch schon mal genug für den Anfang, ne?
Von: abgemeldet
2010-04-28T22:07:19+00:00 29.04.2010 00:07
Arme Shionnn~ daaaaw Q A Q
Ich mag Shion weil sie einen guten Männergeschmack hat, douw~ Ó_q;
besonder gut gefällt mir deine komplexe Wortwahl und die schmückende Adjektive
Total schönes Prolog und ein guter Einstieg in die Geschichte! ;A; Muchos amore send*


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