Abseits des Weges von Flordelis (Erinnerungen sind wie Fragmente) ================================================================================ Zugbekanntschaft ---------------- Er bekam nicht viel mit, wenn er unterwegs war. Nein, er gehörte nicht zu jenen Jugendlichen, die laute, dröhnende Musik über ihre Kopfhörer laufen ließen und gleichzeitig alle um sie herum beschallten; er trug kein Musikgerät mit sich. Er las auch nicht, während er lief und ließ sich deswegen immer beinahe von einer Bahn oder einem Bus überfahren, weil der anstehende Plottwist spannender als sein Überleben im öffentlichen Straßenverkehr war; er trug kein Buch mit sich. Stattdessen galt sein Blick immer der Zeitung, die er kurz zuvor am Kiosk erstand. Hochkonzentriert starrte er auf die Kreuzworträtsel und löste diese, jeden Morgen, während er auf dem Weg zum College war. Dabei schaffte er es, ohne aufzublicken, gegen nichts zu stoßen und auch kein einziges Mal seine Station zu verpassen. Allerdings bekam er trotz aller Umsicht nicht mit, dass eine Station nachdem er eingestiegen war, auch stets eine junge blonde Frau einstieg, die sich auffällig in seiner Nähe hielt und ihn immerzu begeistert betrachtete. Oder aber es interessierte ihn nicht weiter, da konnte man sich nicht sicher sein, wenn man ihn nur beobachtete. Doch eines Tages, nach drei Monaten in denen er die Frau beständig ignoriert hatte, beschloss diese, die Initiative zu ergreifen, indem sie ihn einfach ansprach: „Hallo~.“ Es dauerte mehrere Versuche, bis er schließlich den Kopf hob und sie ansah. Er stutzte einen kurzen Moment, als er ihre Augen sah, ließ sich dann aber nicht weiter beirren. „Hallo“, gab er unfreundlich zurück, in der Hoffnung, dass sie ihn in Ruhe lassen würde. Doch sie war nicht gewillt, einfach so aufzugeben. „Ich sehe dich reichlich häufig in dieser Bahn.“ „Ja?“, erwiderte er ohne jede Begeisterung. „Vielleicht sollte ich dann mit einer anderen fahren.“ „Bloß nicht!“, erwiderte sie hitzig, mit vor Panik hochgezogenen Augenbrauen. Die anderen Fahrgäste blickten interessiert zu ihnen herüber, aber keiner von ihnen sah so aus als würde er eingreifen wollen, sollte etwas geschehen. Peinlich berührt, schrumpfte sie ein wenig in sich zusammen und erklärte mit gesenkter Stimme: „Ich habe auch so schon ewig gebraucht, um dich zu finden. Es würde ja noch länger dauern, wenn du jetzt deine Tagesplanung änderst.“ Er runzelte die Stirn, was er nicht oft tat. „Stalkst du mich etwa?“ „So würde ich das nicht nennen. Ich habe dich nur sehr aufmerksam beobachtet und meinen Tagesablauf deinem abgepasst, um in deiner Nähe zu sein.“ Sie schenkte ihm einen verliebten Blick, den er aber nicht wirklich zu schätzen wusste. „Das klingt verrückt...“ „Im Sinne von süß?“, hakte sie hoffnungsvoll nach. „Im Sinne von Ich-besorge-mir-eine-einstweilige-Verfügung“, antwortete er trocken. Ihre Mundwinkel sanken augenblicklich nach unten, ihre Augen füllten sich mit Tränen, was in seinem Inneren ein wenig Mitleid hervorbrachte. Er seufzte schwer. „Okay, das ist eigentlich gegen meine Prinzipien, weil ich weiß, dass es das Stalking nur verschlimmern könnte, aber wir können ja mal zusammen einen Kaffee trinken oder so etwas.“ Schlagartig strahlte sie wieder, wenngleich ihre Augen noch immer feucht waren. „Wirklich?“ „Ja. Aber danach will ich, dass du mich in Ruhe lässt. Ich habe keine Zeit für Freundinnen... und auch keine Lust darauf – besonders wenn sie mich ohnehin nur stalken wollen.“ „Du wirst es nicht bereuen“, versprach sie ihm strahlend. „Versprochen, Richard!“ Er hob eine Augenbraue. „Du kennst sogar meinen Namen? Darf ich dann auch deinen wissen? Das wäre nur fair, oder? Und ich bin immerhin kein so guter Stalker.“ „Natürlich!“, sagte sie rasch. „Ich bin Asterea.“ „Was für ein ungewöhnlicher Name“, kommentierte er. „Aber er passt zu dir.“ Das konnte er bereits nach den wenigen Sätzen sagen, die sie miteinander getauscht hatten. „Ich glaube, ich will gar nicht so genau wissen, was du damit meinst“, erwiderte sie und zog dabei eine kleine Karte hervor, die er als Visitenkarte identifizieren konnte. „Hier. Wenn du mal Zeit für den Kaffee hast, kannst du mich jederzeit erreichen.“ Er nahm ihr die Karte ab und steckte sie ein, während er ihr noch einmal versicherte, dass er sie auf jeden Fall anrufen würde und das schon bald. Sie lächelte. „Ja, ich weiß, dass du das tun wirst.“ Damit fuhr sie herum und verließ die Bahn, dabei war er überzeugt, dass sie an dieser Station sonst nie ausstieg – aber da sie vermutlich ohnehin nirgends hinmusste, kümmerte ihn das vorerst nicht weiter. Er blickte ihr hinterher, während sie aus seinem Blickfeld verschwand und aus irgendeinem Grund glaubte er plötzlich, dass er sie kennen müsste und das nicht nur aus der Bahn. Möglicherweise sollte er sie tatsächlich anrufen, nur um festzustellen, ob dieses Gefühl irgendeine Grundlage besaß, selbst wenn er damit ihr Stalkerdasein bestärken würde. Und vielleicht war sie auch nicht so verrückt, wie er bislang glaubte. Aber das würde er ein andermal herausfinden müssen. Vorerst konzentrierten sich seine Gedanken wieder auf seine bevorstehenden Vorlesungen – aber da ahnte er auch noch nicht, dass er gerade seinem Schicksal begegnet war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)