Abseits des Weges von Flordelis (Erinnerungen sind wie Fragmente) ================================================================================ Die Sorgen eines Vaters ----------------------- „Die Tests sind alle negativ – außer der hier, der ist positiv.“ Richard seufzte schwer, während er noch einmal die Ergebnisse durchging und sie dann nacheinander Kieran reichte, der ihm gegenübersaß und wie üblich seinen Tee trank. Wenn Richard so darüber nachdachte, hatte er seinen besten Freund noch nie Alkohol trinken sehen – obwohl Aydeen behauptete, dass er zu Hause nur noch trank –, nicht einmal in einer Taverne wie jener, in der sie sich an diesem Tag befanden. Stattdessen trank er immer diesen Tee, noch dazu mit äußerst seltsamen Kräutern, die Richard nicht im Ansatz kannte und deren Geruch ihm Übelkeit bereitete und er ließ nie jemanden davon probieren. Wenn er so darüber nachdachte, wusste er ziemlich wenig über seinen besten Freund, selbst die Gründe, warum er entlassen worden war, blieben ihm nach wie vor ein Rätsel. Aber im Moment war er mit anderen Dingen beschäftigt, weswegen er sich keine Gedanken darum machen konnte. Kieran betrachtete die Blätter eingehend, ehe er nickte. „Sieht aus als wäre dein Sohn vollkommen gesund – und in der Lage zu sprechen. Das sollte dich freuen.“ Richard nickte bedächtig. „Das tut es auch. Aber es macht mir Sorgen, dass er dennoch nicht spricht und auch kaum auf irgendwas reagiert. Er hat noch nicht einmal gelächelt. Yuina meinte, er könnte irgendeine... psychische Erkrankung haben.“ Deswegen hatte er Landis doch allen möglichen Tests unterziehen lassen, ihn sogar zu einem Arzt in New Kinging gebracht und für einen kurzen Moment mit dem Gedanken gespielt, seine Verachtung hinunterzuschlucken, so bitter sie auch sein mochte und Albert, der immerhin Wissenschaftler im medizinischen und magischen Bereich war, um eine Untersuchung zu bitten. Doch stattdessen hatte er sich auf die von Yuina empfohlenen Experten beschränkt, Landis zu jedem einzelnen gebracht und an diesem Tag hatte er die zusammengefassten Ergebnisse für alles bekommen. Dennoch fühlte er sich nicht sonderlich erleichtert. Er stieß ein schweres Seufzen aus, aber das Gewicht, das auf seine Brust drückte, wurde einfach nicht leichter. Früher hatte er nicht einmal gedacht, dass er überhaupt Vater werden wollte und hier saß er nun und machte sich Sorgen darüber, dass sein Sohn krank sein könnte. „Hat er denn noch nie etwas gesagt?“, fragte Kieran. „Nicht ein Wort. Und wie gesagt, er lächelt nie und manchmal habe ich das Gefühl, dass er nicht einmal weiß, dass es noch jemanden außer ihm gibt.“ Sein Blick ging geradewegs ins Leere, während er wieder nachzudenken begann. Er erinnerte sich an die zahlreichen Gelegenheiten, zu denen er versucht hatte, Landis in ein Spiel zu verwickeln, ihm etwas vorzulesen oder auch nur mit ihm zu schimpfen, aber kein einziges Mal war eine Reaktion gekommen, was ihm ziemlich zu schaffen machte und ihn ratlos zurückließ. Zu seiner Verwirrung trug auch seine Frau Asterea bei, die das alles nicht im Mindesten zu kümmern schien, nein, es kam ihm sogar so vor als ob sie ganz froh darüber wäre, dass Landis sich so absolut nicht am Leben der Personen um ihn herum beteiligte. Einmal hatte Richard sie darauf angesprochen, in der Hoffnung, seine Sorge mit jemandem teilen zu können, aber sie hatte ihn unwirsch darauf hingewiesen, dass Kinder manchmal eben seltsam waren und er sich schon wieder einkriegen würde, deswegen wäre es unnötig von ihm, einen solchen Terz zu veranstalten, danach war sie geradezu beleidigt aus dem Haus gerauscht und war bis zum nächsten Tag nicht zurückgekehrt. Danach hatte er sie nicht mehr darauf angesprochen, denn er spürte, auch ohne dass sie es aussprach, dass etwas sie schwer belastete. Schon seit der Geburt von Landis war sie vollkommen verändert, aber damals war es noch möglich gewesen, das auf postnatale Depressionen zurückzuführen, wie Yuina ihm erklärt hatte. Aber das war inzwischen fünf Jahre her und dürfte nicht mehr zutreffen. Kierans Stimme riss ihn plötzlich aus den Gedanken, erst in diesem Moment fiel ihm auf, dass er unbewusst angefangen hatte, auf seinen Fingernägeln zu kauen. Hastig senkte er die Hand und widmete seine Aufmerksamkeit wieder Kieran. „Wirklich ungewöhnlich für ein Kind“, bemerkte sein Freund. „Aber ich denke wirklich, dass du dir keine Sorgen machen musst und du dir deswegen keine Gedanken machen solltest.“ „Wieso sagst du das?“, klagte Richard. „Du weißt doch gar nicht, wie das ist, Nolan ist immerhin vollkommen normal.“ Das rechte Auge Kierans zuckte nervös, als er den Namen Nolan erwähnte. „Genau dieser hat mir versichert, dass Landis normal ist.“ Richard hielt in seinem weiteren Klagen inne und neigte verwirrt den Kopf. „Was?“ „Hast du das denn noch gar nicht mitbekommen?“ In Kierans Stimme schwang ein tadelnder Unterton mit, der Richard gar nicht gefallen wollte, aber er konnte sich gerade noch davon abhalten, eine bissige Bemerkung bezüglich ihrer unterschiedlichen Arbeitssituationen von sich zu geben, die erklären würde, weswegen er weniger mitbekam. Einen Streit mit seinem besten Freund und einzigem wirklichen Verbündeten, konnte er sich im Moment aber nicht leisten – aber er war auch ansonsten nicht sonderlich erpicht darauf. „Dein Sohn spielt jeden Tag mit Nolan“, erklärte Kieran mit einem leicht verärgerten Unterton in der Stimme. „Gut, er spricht vielleicht wirklich nicht oder ändert mal seine Mimik, aber er reagiert zumindest auf andere und interagiert sogar mit ihnen. Deswegen denke ich, dass du dir keine Gedanken machen musst.“ Es war ungewohnt für Richard, seinen Freund einmal so... gereizt zu erleben, deswegen wagte er nicht einmal im Mindesten, zu widersprechen. „Ist das wirklich so?“ „Nolan sagt, er fand ihn am Anfang ein wenig unheimlich... aber inzwischen verstehen sie sich wohl sogar ohne Worte recht gut.“ Kieran unterstrich die Worte mit einem Schulterzucken, ehe er die Tasse hob, um etwas zu trinken. Kaum hatte er das getan, schwand das bedrohliche Gefühl wieder, das von ihm ausgegangen war, so dass auch Richard sich wieder entspannen konnte. Er wunderte sich nicht mehr darüber, dafür kannte er seinen Freund und dieses Verhalten bereits lange genug, er vermutete einfach, dass der Tee half, ihn zu entspannen und zu beruhigen, wie auch immer das funktionieren könnte. Richard mochte keinen Tee, Asterea hatte vieles versucht, um ihn diesem schmackhaft zu machen, aber er verzichtete dennoch gerne darauf – und falls er doch einmal Tee trinken wollte, dann auch nur, wenn sich darin Alkohol befand und ihm selbst kalt war und er keine andere Möglichkeit fand, sich aufzuwärmen. Richard senkte den Blick und starrte in sein leeres Glas hinein, auf dessen Boden sich noch ein letzter kläglicher Rest Schaum befand, dennoch spielte er nicht einmal mit dem Gedanken, sich noch ein weiteres Bier zu bestellen, stattdessen sehnte er sich plötzlich danach, nach Hause zu gehen, sich ins Bett zu legen und so lange zu schlafen, bis die Probleme vorbeigezogen waren. Das passte normalerweise nicht zu ihm, aber im Moment fühlte er sich derart hilflos, dass er nicht wusste, was er sonst noch machen sollte. „Glaubst du, er wird irgendwann einmal etwas sagen?“ Kieran schmunzelte leicht. „Vermutlich sogar früher als du denkst, mach dir keine Gedanken mehr.“ Die Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn. Selbst als er zu Hause angekommen war, hörte er sie noch immer so deutlich als würde Kieran neben ihm herlaufen und sie immer aufs Neue wiederholen. Deswegen fiel ihm im ersten Moment auch nicht auf, dass es überraschend ruhig in seinem Haus war. Normalerweise kam ihm Asterea bereits freudestrahlend entgegen und begrüßte ihn herzlich, aber an diesem Tag wartete er vergeblich darauf. Aus dem Wohnzimmer war noch Licht zu sehen, weswegen er dort hineinlugte. Auf dem Tisch war die Laterne zu sehen, die das Licht verbreitete, aber die Person, der es eigentlich zugute kommen sollte, lag auf dem Sofa – und schlief. Asterea ließ sich nicht einmal stören, als Richard neben sie trat, um sicherzugehen, ob sie wirklich schlief oder nur so tat als ob. Sie verzog für einen kurzen Moment das Gesicht wegen des entstandenen Luftzugs, aber wachte dennoch nicht auf. Lächelnd wandte er sich ab, um das Schlafzimmer aufzusuchen. Nicht, um ins Bett zu gehen und sie dort liegen zu lassen, damit sie am nächsten Tag neben einer Erkältung auch noch Nackenschmerzen bekommen würde, sondern weil er sich erst einmal selbst umziehen wollte, ehe er Asterea ins Bett brachte, so würde er sie am wenigsten in ihrem Schlaf stören. Doch nach wenigen Schritten aus dem Wohnzimmer hinaus, blieb er wieder stehen. Landis stand auf der letzten Treppenstufe von unten, er trug bereits seinen Pyjama, der ihm wie üblich ein wenig zu groß zu sein schien, aber Yuina hatte ihm versichert, dass er noch hineinwachsen würde, wenn Richard ein wenig Geduld zeigte. In der letzten Zeit schien sie doch reichlich genervt von seiner ewigen Sorge zu sein, so dass sie ihm sogar einmal ein Beruhigungsmittel mitgegeben hatte, das sie, nach eigener Aussage, eigentlich nur panischen Müttern gab. Als er Landis so vor sich sah, musste er wieder an die Untersuchungsergebnisse und auch an Kierans Worte denken. Er versuchte, ein wenig optimistisch, statt verzweifelt an die Sache heranzugehen und beugte sich mit einem Lächeln vor. „Kannst du nicht schlafen, Landis?“ Er erwartete keine Antwort, nicht einmal eine richtige Reaktion auf seine Frage, weswegen er am Liebsten fast schon laut gejubelt hätte, als Landis den Kopf ein wenig neigte und dabei ein entschuldigendes Lächeln aufsetzte. Sein Glück schien allerdings geradezu perfekt, als sein Sohn den Mund öffnete und im nächsten Moment tatsächlich etwas sagte: „Ich wollte warten, bis du wieder da bist.“ Richards Kopf war für einen Moment wie leergefegt, Glück durchströmte ihn in einer Intensität, die er nur selten so verspürte, aber gleichzeitig kam auch die Furcht daher, die ihm einflüsterte, dass er sich das eben nur eingebildet hatte, dass Landis nichts gesagt hatte und möglicherweise gerade nicht einmal vor ihm stand. Das galt es zu überprüfen. „Du hast auf mich gewartet?“, hakte er nach. Landis nickte lächelnd. „Es ist komisch, wenn nicht alle da sind.“ Gut, also hatte er sich das Sprechen an sich nicht eingebildet, vielleicht aber Landis' Anwesenheit an sich. Um sicherzugehen trat er deswegen auf ihn zu und schloss ihn in die Arme – und erneut spürte er eine Woge von Glück durch seinen Körper rauschen, als er feststellte, dass Landis tatsächlich hier war und es sich deswegen nicht um eine Einbildung oder einen Wunschtraum handelte. Mein Sohn ist normal... Was auch immer der Grund für sein bisheriges Verhalten gewesen war, Richard hoffte, dass er sich fortan gesund und weniger besorgniserregend entwickelte, damit er sich nie wieder so viele Gedanken um seinen Sohn machen müsste – zu diesem Zeitpunkt konnte er noch nicht einmal ahnen, was Landis ihm in der Zukunft für Kummer bereiten würde oder wie viele graue Haare er noch wegen ihm bekommen sollte. In diesem Moment lag das alles noch in einer fernen Zukunft, um die er sich vorerst keine Gedanken machen müsste, so dass er sich wieder von Landis löste. „Soll ich dich vielleicht zuerst ins Bett bringen?“ Der Junge nickte begeistert über diesen Vorschlag und schlang dann seine Arme um Richards Hals, damit er ihn auf die Arme nahm und in sein Bett brachte. Dort fand Asterea die beiden am nächsten Morgen, nachdem sie mit einem steifen Nacken erwacht und sich verwundert auf die Suche nach ihrem Mann gemacht hatte von dem sie es nicht kannte, einfach auf dem Sofa zurückgelassen zu werden. Sie musste lächeln, als sie Richard und Landis aneinandergeschmiegt, aber nicht zugedeckt, auf dem Bett entdeckte, beide mit einem durchaus zufriedenen Ausdruck auf den Gesichtern als würden sie etwas Schönes träumen. So konnte sie nicht einmal böse darüber sein, dass Richard sie einfach auf dem Sofa liegengelassen hatte und für den Moment war auch ihr Argwohn gegenüber Landis vollkommen verschwunden. Stattdessen fuhr sie herum, um in die Küche zu gehen und dort das Frühstück vorzubereiten, damit die beiden ihr während des Essens erzählen könnten, was in der letzten Nacht nur geschehen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)