Der Spiegel der Seele von InfernalMirror ================================================================================ Kapitel 1: Ryous Leid und Bakuras Hass -------------------------------------- Es war wieder einer dieser Tage. Die Tage, die sich endlos, trostlos und schmerzvoll durch Ryous Leben zogen wie eine nebelverhangene, mit Reisnägeln bestreute Strasse, die er immerfort beschreiten musste. Alles, was er tat, war für Bakura auf irgendeine Weise falsch, auch wenn es keinen offensichtlichen Grund dafür gab. Und Fehler setzten Hiebe. Doch selbst nachdem er sich abreagiert hatte, war seine schlechte Laune nicht fort, doch dann durfte er sich wenigstens zurückziehen. Das war Ryous Tagesablauf; ein Aneinanderreihung aus Arbeit und Strafe. Früher einmal war das nicht so gewesen. Sein Yami und er waren noch Freunde gewesen, bis sich Bakura dann langsam und unaufhaltbar veränderte. Doch das war Vergangenheit und Ryou wollte sein Leben mit Erinnerungen an alte Zeiten nicht noch trostloser machen, als es ohnehin schon war. Langsam löste er sich wieder aus seiner zusammengerollten Pose am Boden. Er gab eine jämmerliche Gestalt ab. Am ganzen Körper war er von blauen Flecken und Schürfwunden übersäät und an der Schulter hatte er blutige Schnitte. Als er sich aufrichtete, verzog er das Gesicht und biss sich auf die Lippe als die Schnitte wieder zu brennen begannen und sein ganzer Körper pochte. Endlich hatte er eine sitzende Position erreicht. Mit Augen, in denen nichts als Hoffnungslosigkeit lagen, begann er die Scherben des Glases aufzusammeln, das Bakura nach ihm geworfen hatte. Jede einzelne betrachtete er, als würden sie die Geschichte seines Todes erzählen. Langsam kamen die bitteren Tränen seiner Ausweglosigkeit zurück. Die letzte Scherbe betrachtete er wie durch einen Nebelschleier, doch als würde sie den qualvollen Zeitpunkt wiedergeben, in dem sein Leben erlosch, dann drückte er die Hand um sie zusammen. Das scharfe Glas an der Bruchstelle schnitt sich tief in sein Fleisch und liess Blut von seiner Hand zu Boden tropfen, ein krasser Kontrast zu seiner hellen Haut. Ryou begann leise zu schluchzen und liess sich wieder zu Boden sinken. Er war kalt und hart wie das Herz seines Herren es wieder geworden war, Bakura, Grabräuber, Seelenstehler, Dieb. Doch war er ihm so vertraut, dass er ihm Halt gab. So oft schon hatte er sich auf dem Steinboden zusammengekauert und darauf gewartet, dass die Schmerzen vergehen würden. Doch das taten sie nie. Immer schmerzte ihn etwas, als ob die Luft um ihn stets mit kleinen Funken gefüllt sein würde. Er rappelte sich wieder auf, als er sich daran erinnerte, dass Bakura noch mehr Abscheu gegen ihn zu hegen schien, wenn er herausfand, dass er wieder einmal seine Schwäche und Verletzlichkeit gezeigt hatte, wenn er nicht in seinem eigenen Bett lag. Das war es, was ihn am meisten Schmerzte, Bakuras Abscheu. Er sah sie in seinen Augen, wenn er ihn mit kaltem Blick musterte und spürte sie in seinen Hieben, in den Dingen, die er nach ihm Warf. Sogar in den scharfen Scherben in seiner Hand schien sie zu liegen. Bakura bedeutete ihm immer noch so viel. Er hatte sich bei ihm gefühlt, als ob ohne Zweifel alles gut werden würde. Doch dort, wo er das früher gefühlt hatte, war nun nur noch ein dumpfer, doch unendlich kalter und brennender Schmerz, tief und schwarz wie ein Abgrund. „Ku... Kura...“, schluchzte Ryou. Und schloss dann plötzlich den Mund, presste seine Hand darauf. Bakura hasste ihn dafür, dass er ihn so nannte. Das war sein Spitzname von früher. Früher... „Was habe ich... Nur getan...? Weshalb hast du dich... Nur so verändert...“, flüsterte Ryou und klang dabei, als würde er seinen Lebensatem aushauchen. ∽∽∽∽∽∽∽∽∽ Rückblende „He, du! Ryou!“, rief Bakura unbarmherzig. Doch Ryou hatte ihn nicht gehört, denn er lag eingerollt auf der Couch und schien zu schlafen. Bakuras Blick wurde kalt und hart. „Kuraaaa...“, murmelte Ryou leise im Schlaf und lächelte friedlich. Bakuras Körper spannte sich und sein Gesicht wurde wütend. Wie aus Reflex griff er sich ein Wasserglas von einem kleinen Tisch und schleuderte es nach Ryou. Es zersprang an seiner Schulter, und liess ihn hochfahren. Mit geschocktem und paradoxerweise doch schicksalsergebenem Blick sah ihm dieser entgegen, hielt sich mit der einen Hand die verwundete Schulter. „Ba...Bakura?“, sagte Ryou mit dünner Stimme. Bakura biss sich wütend auf die Lippe und seine Augen wurden schmal. „Wie viele Male habe ich dir schon gesagt, dass du auf dein Zimmer gehen sollst, wenn du schlafen willst!“, schrie er schon fast und ging dabei drohend auf Ryou zu. „Wirst- du- das- nie- mehr- tun?“, flüsterte er eindringlich, als er vor ihm stand, auf ihn herabblickend. „J- Ja, Bakura. Verzeih mir...“, sagte Ryou leise und versuchte zu lächeln, so wie er früher gelächelt hatte. „Schau nicht so erbärmlich!“, schrie Bakura und gab ihm eine Ohrfeige. Erschrocken drehte Ryou den Kopf wieder und sah zu Bakura herauf, die braunen Augen geweitet. Bakuras Blick wurde wahnsinnig. „Was habe ich eben gesagt? Hikari?!“ Dann holte er wieder aus, schlug ihn zu Boden. Begann ihn mit Hieben und Tritten zu bedecken. Ryou liess es schicksalsergeben über sich ergehen. Das versetzte Bakura nur noch mehr in Rage. Gnadenlos liess er all seine Wut an seinem kleineren Ebenbild aus. Sie verrauchte nur langsam. Doch irgendwann hörte mitten im Schlag auf und sagte kalt: „Und wehe dir, du stirbst. Es ist ein Leichtes, eine Seele für immer ins Schattenreich zu schicken. Dann wandte er sich ab und verschwand um die Ecke. Doch als er es klirren hörte, als Ryou sich in den Scherben auseinanderrollte, erstarrte er im Gehen. Leise und mit immer noch wütendem Blick presste er sich an die Wand und blickte um die Ecke. Ryous Gesicht war von dem Schmerzen gezeichnet. Er bewegte sich wie durch Wasser, als er begann, die Scherben aufzusammeln. Jede einzelne schien er genau zu betrachten. Als er um die letzte die Hand zusammendrückte und zu weinen begann biss sich Bakura vor Abscheu auf die Lippe, bis sie zu bluten begann. Dann hörte er, wie Ryou unter Tränen seinen Namen murmelte und wie er sich selbst die Schuld an Bakuras scheinbarer Veränderung gab. Früher. Was war früher gewesen? Er wollte sich nicht daran erinnern. Damals hatte sein Hikari noch gelacht und freudig seinen Namen gerufen, wenn er ihn sah. Früher. Bakura schnaubte. Glücklich. Was hatte man schon davon glücklich zu sein? Irgendwann war sowieso alles vorbei. Nichts als sentimentales Geschwafel. Nichts als das. ∽∽∽∽∽∽∽∽∽ Bakura lag im schwindenden Abendlicht auf seinem Bett. Einer der letzten Sonnenstrahlen warf einen Lichtkegel auf seine Hände. Langsam öffnete er die Augen und betrachtete sie. Er fühlte die Bewegung darin, die er gemacht hatte, um auszuholen und zuzuschlagen. Er hatte es schon wieder getan. Jeden Tag mehrere Male musste Ryou leiden. Ein Wunder, dass er noch lebte. Wieso tat er das überhaupt? Er wusste es nicht. Jedes Mal, wenn er Ryou sah, überkam ihn riesige Abscheu. Lag das überhaupt an Ryou? Wenn er darüber nachdachte... Die Abscheu war auch da, wenn er nicht an Ryou dachte. Wenn er einfach nur dalag und die Decke anstarrte. Wenn er die Risse darin zählte und sich die rostige Öllampe daran in allen Einzelheiten einprägte. Sie war immer da. Lag es am Ende gar nicht an seiner Umgebung sondern an ihm selber? „Hn.“, machte Bakura. „Jämmerlich. Ich bin Ryous Yami. Ich kann mit ihm tun, was ich will.“ Ruckartig setzte er sich auf. „Was... Ich will? Wieso gehe ich dann nicht einfach zu ihm und... Nein! Was, wenn... Ich würde ihn wieder... Wie erbärmlich ich bin... Lasse die Wut auf mich selbst an meinem hilflosen Hikari aus....“ Bei den Göttern... Ich bin nicht einmal mehr Herr über meine eigenen Gedanken... Was ist nur aus mir geworden?, dachte Bakura und liess sich aufs Bett zurückfallen. So konnte es nicht weitergehen. Auf keinen Fall. Er musste wieder der werden, der er früher war. Er wollte nicht mehr diese hässliche Ausgeburt der Hilflosigkeit sein, zu der er geworden war. Er war schliesslich immer noch Yami Bakura. ∽∽∽∽∽∽∽∽∽ Den ganzen nächsten Tag liess sich Bakura nicht blicken. Auf die eine Weise erleichterte es Ryou, doch stimmte es ihn auch furchtbar traurig. Vielleicht ist er nun endgültig wahnsinnig geworden..., dachte er voller Sorge. Er verbrachte den Tag damit, in seinem Zimmer zu sitzen und beim geringsten Geräusch aus der Richtung von Bakuras Schlafzimmer sofort aufzufahren und zu lauschen. Irgendwo machte er sich die Hoffnung, dass er, wenn er wieder aus durch den massiven Türrahmen würde, wieder der alte Bakura war. Der Bakura, der ihn immer aufgezogen hatte. Der Bakura, der ihn so oft geärgert hatte und danach so sehr gelacht hatte, dass Ryou nicht anders konnte als mitzulachen. Er war so oft so kalt gewesen, doch hatte Ryou immer wieder erlebt, wie liebevoll er zu jenen sein konnte, denen er vertraute. Natürlich hatte er einen furchtbaren Sturkopf. Er hasste es zu verlieren und liebte es, mit den Gefühlen seiner Opfer zu spielen. Er weidete sich an verzweifelten Blicken und ausweglosen Versuchen sich zu retten. Ausserdem war er furchtbar mürrisch, wenn er einmal nicht bekam, was er wollte, obwohl das nicht sehr oft der Fall war. Ryou nahm es ihm übel, wenn er jemandem so etwas antat, doch hatte er ihn wenigstens immer davon abhalten können, jemanden ins Schattenreich zu schicken. In naher und ferner Vergangenheit, als er noch allein gewesen war, hatte er zahlreiche Menschen auf Nimmerwiedersehen dort hin verbannt. Doch Ryou das immer egal gewesen. Es zählte doch, wie der Moment war. Die Vergangenheit spielte keine Rolle. Ryou wusste, dass der Bakura, den er kannte, irgendwo immer noch existierte. Doch seit er sich verändert hatte, schien es ihm immer mehr, als sei der Grabräuber, Seelenstehler und Dieb wieder zu seinem wahren Ich geworden wäre. Doch Ryou wollte nicht aufgeben, er glaubte immer noch daran, dass er irgendwann wieder zurückehren würde. Sein Kura. Ihm musste irgendetwas zugestossen sein, und wenn es ihm dabei half, seinen Frieden zu finden, durfte er ihn so oft schlagen wie er wollte. Wie sehr seine Seele dabei auch zu Schaden kam, wie sehr sein Köper auch darunter litt. Solange er noch weinen durfte, wenn er alleine war, nahm er das alles hin, wenn sein Kura dadurch zurückkehren würde. ∽∽∽∽∽∽∽∽∽ Ryou erwachte am frühen Morgen, als er draussen Schritte hörte. Verschlafen und wie immer mit schmerzenden Gliedern öffnete er die Tür seiner Schlafkammer einen Spalt breit und sah in den schmalen Gang hinaus. Dann verliess er das kleine Zimmer und blickte um die Ecke ins Wohnzimmer und zum Eingang. Bakura stand vor der Türe und streifte sich gerade einen langen schwarzen Mantel mit einem hohen Kragen über die Schultern. Verwundert sagte er mit dünner, ängstlicher Stimme: „Bakura...? Wohin gehst du...?“ „Ryou. Ich habe etwas Wichtiges zu erledigen. Mit mir selber.“, antwortete Bakura so emotionslos wie möglich. „Du... Kommst doch wieder, oder?“, fragte Ryou vorsichtig, nicht richtig realisierend, was gerade geschah. „Vielleicht... Je nach dem.“ Bevor Ryou noch etwas erwidern konnte, war Bakura schon durch die Tür verschwunden. Ein kalter Luftzug wehte herein, der seinen Mantel bauschte und Ryou frösteln liess. Doch er spürte die Kälte nicht. Sprachlos und hilflos stand er dort und sah Bakura nach. Dann nahm er seinen Mut zusammen und rief verzweifelt: „Kura! Komm zurück!“ Doch der Angesprochene hörte das schon nicht mehr. Den Blick in die Richtung seines Ziels gerichtet, ging er entschlossenen Schrittes und in den dämmernden Morgen davon. Ryou sank auf die Knie und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Der kalte Wind draussen wirbelte das trockene Herbstlaub in einer Sturmwolke herum. Bakura schritt mit starrem Blick hindurch. Er hatte sich entschieden, die Wahrheit zu finden und davon würde er sich jetzt nicht mehr abbringen lassen. Das Pfeifen und Rascheln des Mittherbsts schien seine Reise zu besingen, ein kalter Abschiedschor, der ihn in die Einsamkeit der Selbstfindung schickte. Und wohin sie ihn auch treiben mochte, er würde es geschehen lassen, wenn er dadurch nur zu seinem alten Ich finden würde. Das, was er gewesen war, als er noch nicht hilflos, verstört und verabscheuenswert gewesen war. Und als er sich noch nicht selber so sehr dafür gehasst hatte so zu sein, wie er war und Ryou dafür zu leiden gehabt hatte. Er würde wieder Yami Bakura sein. Der wahre Yami Bakura... ∽∽∽∽∽∽∽∽∽ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)