Freie Texte von Jananas (Nonsense) ================================================================================ Kapitel 28: Mimose? ------------------- Ich bin 26 Jahre alt und ich bin die, die am Donnerstag und Freitag dann doch nicht auf der Arbeit war. Ich möchte mich dafür bei euch entschuldigen. Ich weiß, dass ihr die Tage ohne mich genau so gut rumbringt wie mit mir, aber ich fühle mich immer schuldig, wenn ich das Gefühl habe, unnötig zu fehlen. Und dieses Fehlen war unnötig, weil es aus vollkommen egoistischen Gründen passierte. Für die von euch, die es noch nicht wissen (Ich glaube, ich habe es jedem mehr oder weniger gefasst erzählt...oder aber auch total aufgelöst.): Ich habe am Dienstag einen Leberfleck entfernt bekommen. Er saß an der linken Schläfe einen Zentimeter hinter dem Haaransatz und war ringförmig. Aufgrund der Haare war das Screening nicht eindeutig; zwei von drei Mal mit erhöhter Aktivität, das andere Mal mit keiner Aktivität. Frau Doktor meinte daraufhin, dass wir ihn vorsichtshalber entfernen sollten. Dafür müssten um den Leberfleck herum die Haare rasiert werden, die Narbe würde am Haaransatz verlaufen. Kopfwunden heilten sowieso besser, als an anderen Stellen; das wäre also gar kein Problem. Ich habe an diesem Tag nur genickt und Ja gesagt zu Allem. Ich stand unter Schock. Mein erster Leberfleck wurde mir entfernt als ich noch minderjährig war. Damals in der Chirurgie in Heidelberg. Meine Mutter war mit dabei, ich hatte keine Angst, keine Schmerzen, keine Sorgen. Krebs hatte noch keine Bedeutung für mich in diesem beängstigenden Sinn. Ich wusste, dass Krebs eine schlimme Sache war, von der Erwachsenen nur mit besorgten Mienen sprachen. 2009 starb meine Oma nach langem Kampf an Krebs. Ich weiß nicht genau, ob diese finale Krankheit mit einem Rückfall begann oder ob sie zum ersten Mal Hautkrebs hatte. Ich weiß, dass ihr eine Brust fehlte (wegen Brustkrebs, duh!). Sie machte daraus immer einen Spaß für uns Enkelkinder und sagte, dass sie nun immer einen Platz für Taschentücher hätte. Auf jeden Fall waren diese letzten vier Jahre für die gesamte Familie schrecklich. Schrecklich trifft es nicht, aber mir fällt kein anderes Wort für diese furchtbare Zeit ein. Trotz dieser (traumatischen?) Erfahrung war es letztes Jahr für mich kein Schock, als beim alljährlichen Screening an der Wade ein weiterer Leberfleck meinte, er müsste aus der Reihe fallen. Ich habe in der Zeit zwischen der Operation und dem Ergebnis ein bisschen Angst gehabt, mich einmal bei meiner Kollegin ausgeheult, aber die Chancen standen 1 zu 1. Der zweite Fleck innerhalb von fast 10 Jahren? Kein Grund zur Sorge! Dafür war ich ja regelmäßig zur Vorsorge gegangen und tatsächlich war alles in Ordnung. Ich verstehe zwar das Kauderwelsch der Ärzte nicht und bin dann meistens auch zu erleichtert, um nachzufragen, wenn es heißt: Alles ist gut!, aber was würde es mir auch bringen, wenn man mir jedes Fremd- und Fachwort erklären würde. Alles ist gut heißt alles ist gut! Als ich dieses Jahr am 03. März zum Screening kam, hatte ich schwitzige Hände, Herzflattern und schalt mich eine Närrin. Es war doch bis jetzt immer alles glatt gelaufen, was sollte dieses Mal anders sein. Frau Doktor hatte die Flecken ja erst vor einem dreiviertel Jahr unter die Lupe genommen und da war bis auf den Wadenfleck alles gut gewesen. Leider hatte das Screening wie oben beschrieben zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt und deswegen musste der Schläfenfleck weichen und zwar so schnell wie möglich. An diesem Tag kamen wir (mein Schatz geht nach Möglichkeit immer zu allen Arztterminen mit) nach Hause und ich weinte. Ich heulte. Ich verzweifelte. Ich schlief die ganze Nacht nicht. Und dann trat ich mir in den Hintern, brachte den Freitag auf der Arbeit irgendwie hinter mich und ging nach Hause und weinte weiter. Den Samstag brachte ich auch irgendwie rum und am Sonntagabend brach ich wieder zusammen. Die Angst hatte von mir Besitz ergriffen und dieses Mal ließ sie sich nicht so leicht abschütteln oder verdrängen wie zuvor. Sie blickte mir morgens beim Zähneputzen im Spiegel über die Schulter, fraß sich tagsüber durch mein Nervenkostüm, erschütterte mein Innerstes und setzte sich beim Schlafen auf meine Brust, mit einem hämischen Grinsen im Gesicht und er schwerte mir das Atmen bis zu dem Punkt, an dem ich zerbrach. Die Woche vor dem lokalen Eingriff war ich gereizter, missgelaunter, ungeduldiger, ungerechter denn je zu Kindern, Kollegen und Eltern. Ich fühlte mich schlecht deswegen, aber gleichzeitig gab es keinen anderen Ausweg mehr für mich. Ich war wie die Feen in J.M. Barries >Peter Pan<, deren Körper so klein waren, dass immer nur für ein Gefühl Platz war (nur, dass ich keine Flügel, keinen Feenstaub und keine 90-60-90 Figur á la Tinkerbell hatte). Die Operation fand am Dienstagnachmittag statt. Am Mittwoch danach hatte ich Theorieprüfung für den Führerschein. Dieser Termin hatte schon lange vor dem Screening festgestanden und ich konnte und wollte ihn nicht verschieben. Natürlich bedeutete das zusätzlichen Stress. Ich musste lernen, konnte aber nicht lernen, weil ich nur am heulen war, musste aber lernen, weil ich nicht durchfallen wollte. Insgesamt eine richtig tolle Zeit. Die Operation verlief dann - entsprechend meinem Gemütszustand - katastrophal. Ausgestattet mit der Angst und dieser total oberflächlichen Trauer über den Verlust eines Teils meiner Haare, lag ich wie ein Häufchen Elend auf dem Operationstisch und heulte das Kissen nass, das als Kopfstütze bereitlag. Die erste Betäubungsspritze hörte auf zu wirken, als Herr Doktor gerade zum letzten Schnitt ansetzte. Die zweite Betäubungsspritze hörte auf zu wirken, als Herr Doktor gerade die Hälfte der Wunde zugenäht hatte. Als auch die dritte Betäubungsspritze aufhörte zu wirken und ich eine vierte bekam, war das laut Herrn Doktor die höchste Dosis, die sie je einem Patienten in dieser Praxis hatten geben müssen. Nach der Operation bekam ich die üblichen Ratschläge mit auf den Weg: keine sportliche Betätigung, Kopf wenn möglich hochlagern beim Schlafen und beim Bücken nicht mit dem Kopf runter, sondern in die Knie gehen. Als Schmerzmittel wurde mir Paracetamol empfohlen und wir gingen sofort in die Apotheke, die unter der Praxis lag. Auf dem Weg dahin, brach ich in Tränen aus, sobald sich die Tür zur Praxis hinter uns schloss und hörte die nächsten drei Stunden nicht mehr auf zu weinen. Ich hatte Schmerzen, war müde, alles in Allem war ich fix und fertig. Die dritte Schmerztablette zeigte dann langsam Wirkung und mit dem abebbenden Schmerz kam der traumlose Schlaf. Erlösend, aber nicht entlastend. Am Mittwoch vor der Theorieprüfung weinte ich. Ich hatte Angst wegem dem Fleck. Ich hatte Angst wegen der Prüfung. Ich hatte Angst wegen den Erwartungen, die ich nicht enttäuschen wollte. Ich hatte Angst, jemanden im Stich zu lassen. Ich hatte Angst vor mir selbst. Ich hatte Angst vor der Angst. Als der Prüfer mir den Bogen gab und sagte >Null Fehler< glaubte ich ihm nicht und als er es dann noch zwei Mal wiederholt hatte, brach ich in Tränen aus. Das erste Mal in zwei Wochen, dass ich immerhin zum Teil vor Erleichterung weinte. Den Rest des Tages brachte ich gut rum (wow, ich bringe ganz schön viele Tage rum hier) und freute mich, donnerstags wieder arbeiten zu gehen. Es war ja alles besprochen gewesen, alle wussten soweit Bescheid und ich vertraute darauf, dass alles wieder gut werden würde. Aber dieses Vertrauen war zu wenig für das übliche Chaos, mit dem ich ja eigentlich schon vertraut war, mir aber an diesem Morgen nach 10 Minuten schon den Rest gab und mich wieder in das Häufchen Elend verwandelte. Ich habe seit Dienstag jeden Tag mindestens eine Stunde geheult. Eher mehr. Am Freitag ist mir der Reißverschluss von meinen Schuhen morgens beim Müllrausbringen abgebrochen und der Tag war gelaufen. Mein Schatz sagt mir die ganze Zeit, dass alles wieder gut wird. Meine Mutter sagt mir, dass alles wieder gut wird. Überhaupt jeder, der davon weiß, sagt mir, dass alles wieder gut wird. Fakt ist, solange ich den Beweis nicht schwarz-auf-weiß in den Händen halte, glaube ich niemandem. Alles was ihr sagt ist eine Lüge. Eine gutgemeinte Lüge, aber immer noch eine Lüge. Momentan glaube ich nicht an das Gute in den Menschen, an ein Happy End oder an Glück und Zuversicht und Hoffnung. Nichts ergibt einen Sinn, alles ist ungerecht und zu anstrengend und nichts ist es wert, es zu versuchen aus diesem Teufelskreis, aus diesem schwarzen Loch zu entkommen. Das einzige, was noch zu tun wäre, wäre dem allen frühzeitig ein Ende zu setzen, aber dafür habe ich nicht den Mumm. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als jeden Morgen aufzustehen, zu atmen, Dinge zu tun, für die ich eigentlich keine Kraft habe und zu warten (nicht mehr zu hoffen, nur noch zu warten)....auf was, das weiß ich nicht...und vielleicht will ich es auch gar nicht wissen. Ich kann nicht mehr. Ich mag nicht mehr. To be continued...? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)