Die Schicksalswächter von Holofaye ================================================================================ Kapitel 1: Die Seherin von Eopal -------------------------------- Einige Legionen waren bereits verloren. Die übrigen kämpften noch an der Schlucht von Kaprenn einen hoffnungslosen Kampf - zum Sterben verurteilte Krieger, deren einzige Aufgabe darin bestand, den Feind so lange wie möglich zurück zu halten. Grashya - die Kämpfer des Feindes. Wie Berserker unaufhaltsam stürmten sie die Grenze von Frelim und metzelten sich gnadenlos vorwärts. Ihre Haut besaß die Farbe von dunklem Nebel, weiß und doch grau. Der gesunde, rosige Hautton eines Menschen verblasste durch die Einnahme von Veiskraut, ließ die Grashya wie Geister erscheinen. Mit den dunkel getünchten Augenhöhlen und Zähnen wirkten sie auf die Armee von Frelim wie lebende Tote. Furchteinflößend und unsterblich. Veiskraut - eine verbotene Pflanze, unauffällig wie Gras, dafür aber umso empfindlicher. Die kleinen Knospen erblühten nur einmal im Jahreszyklus, hellgelb und zart. Zu einem Trank verarbeitet, einem geheimen Rezept und Ritual folgend, entfalteten sie ihre beunruhigende Wirkung. Dank der fortschrittlichen Entwicklung des Ackerbaus und Subventionen aus der Kriegskasse konnte das empfindliche Kraut seit kurzem auch in großen Feldern angebaut und verarbeitet werden. Die Menge reichte aus, um tausende von Soldaten damit aus zu statten, davon abhängig zu machen. Nach der Einnahme verblasste die Haut, der Glanz aus den Augen verschwand - aber mit ihm auch Angst und Zweifel. Die Männer fühlten sich stark, unbezwingbar, wütend. So bekamen sie neben ihrem fürchterlichen Erscheinungsbild auch noch eine Ausstrahlung die Frelims Soldaten schlaflose, albtraumreiche Nächte bereitete. Brynn seufzte erschöpft. Seine Männer waren mit den Nerven am Ende - zumindest die, die noch lebten. Er war ihr General, ihr Vorbild. Doch auch ihm verweigerten seine Beine den Dienst, wenn er an den grausigen Anblick dachte. Wie soll ich denn so meine Leute anführen?, dachte er verzweifelt. Der Krieg ist sowieso schon so gut wie verloren. Doch das konnte er unmöglich akzeptieren. Den Krieg zu verlieren bedeutete unter der Herrschaft von König Ralgreim zu leben. Für das Volk von Frelim würde das die Aufgabe von Freiheit und Glauben bedeuten. Brynn würde lieber sterben, als so ein Schicksal für seine geliebte Heimat und seine Familie anzunehmen. Aus diesem Grund schüttelte er seine düsteren Gedanken beiseite, erhob sich und trat aus seinem Zelt. „Yaron, sattel die Pferde!“, befahl er seinem Knecht. „Wir brechen heute noch auf.“ Der Knecht, ein junger, blonder Bursche von vierzehn Jahren, blickte auf. „Nach Eopal?“, fragte er, hätte sich die Frage aber auch sparen können, da er sich deren Antwort bereits gewiss war. Brynn nickte. „Ja.“, antwortete er und schluckte trocken. „Zum schwarzen Turm.“ Eopal – eine Stadt erbaut auf einer Insel mitten im See Palyn. Der Palyn trennte im Westen Frelim von Ralgreims Reich, war neutrales Gebiet. Ebenso war Eopal eine unanhängige Stadt, unterstand weder den Gesetzen Frelims noch Ralgreims. Nie unternahm eines der Königreiche den Versuch Eopal einzunehmen, begründet durch reinen Aberglauben. Die Insel sei verflucht, hieß es. Vor Urzeiten schon sollten dort heidnische Rituale durchgeführt und Opfer an falsche Götter und böse Dämonen erbracht worden sein. Wer Eopal betrat, kehrte nicht mehr als er selbst zurück, hieß es. Natürlich glaubte nicht jeder diesem Gemunkel. Und so mancher erkannter darin sogar einen Vorteil. So kam es, dass einige Gestalten zweifelhafter Gesinnung Eopal zu einem Umschlagplatz für Diebesgut machten. Aufgrund der Lage kam das Gut sowohl von Frelim als auch von Ralgreims Reich und die Gleichgesinnten beider Länder standen sich untereinander näher als ihren eigenen Landsleuten, sahen keinen Grund für mehr als die üblichen, harmlosen Feindseligkeiten. So entwickelte sich Eopal im Laufe der Jahrzehnte zu einer blühenden Stadt, doch war sie nach wie vor unter der offiziellen Herrschaft des Untergrunds. Außerdem erwies sie sich für beide angrenzenden Königreiche als äußerst lukrativ. Das Wissen beider Länder vereinigte sich, nie gesehene Waren konnte man erstehen. Und dann gab es da ja noch die Shalmaren. Brynn lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter, als er aus dem Boot trat das ihn auf die Insel gebracht hatte. Er drückte dem Fährmann eine handvoll Münzen in die Hand, ein Wucherpreis den man hinnehmen musste wollte man Eopal betreten. Hier gab es wahrlich nichts zu billig und erst recht nicht umsonst. Brynn war zum ersten Mal hier. Doch hatte er schon viele Geschichten über diesen Ort gehört, die wenigsten davon nahmen jedoch ein erfreuliches Ende. Aber sie halfen ihm sich auf die Stadt vorzubereiten, ein Bild von ihr zu bekommen, zu wissen an wen er sich wenden musste. Angespannt und mit höchster Aufmerksamkeit ging er durch die engen Gassen, den Blick immer wieder auf den hochragenden schwarzen Turm nahe der Burg gerichtet. Der schwarze Turm war eine kleine Festung. Bedrohlich, düster, mit vergitterten Fenstern glich er manchmal mehr einem Gefängnis - und für manche war er das auch. Hier hausten die Shalmaren. Ein Volk voller Geheimnisse und rätselhafter Herkunft. Sie reisten durch die Lande, boten auf Stadtfesten und Jahrmärkten ihre Zauberkünste dar, jonglierten mit brennenden Fackeln, spuckten Feuer und weissagten auf Wunsch sogar die Zukunft. Sie waren gute Unterhalter, ansonsten aber zu nicht nütze, hieß es. Von anderen Völkern wurden sie in der Regel gemieden. Sie waren ihnen unheimlich und gottlos. Doch Eopal hieß die Shalmaren willkommen, war sich deren Vorteilen bewusst, schätzte gute Unterhalter vorne in den Gaststuben und Wahrsager in den Hinterzimmern. Wahrsager, Hellseher, Visionen, Schicksal... Brynn schnaubte abfällig. Er hatte keinen Sinn für das Übernatürliche und schloss sich der allgemeinen Meinung an die Shalmaren als unheimliche Betrüger zu empfinden. Doch nun war er auf dem Weg zu ihnen. Zu ihr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)