Moulin Rouge (für Anfänger) von S_ACD ================================================================================ Kapitel 1: Oneshot ------------------ = „Sorry“, sagte der seltsame Kerl mit der auftätowierten Lesebrille, „Aber hast du da unten zufällig ’ne Hose rumliegen sehen?“ Da er Shanks vor nicht einmal zwei Minuten anstandslos dabei geholfen hatte, sich unter dem Himmelbett mit dem purpurnen Seidenüberwurf hervorzurollen, ohne sich den Kopf an einem der Bettfüße zu stoßen, tat Shanks zumindest so, als würde er eingehend darüber nachdenken. „Nö“, krächzte er dann, „Nich’ wirklich.“ Er betrachtete die goldene Quaste, die nur wenige Zenitmeter über seiner Nasenspitze vom Überwurf baumelte. Vor seinen Augen verschwamm sie zu einem goldenen Fleck. „Oh“, sagte der Typ, „Das ist echt beschissen.“ „Uh-hu“, machte Shanks. Die eigene Hose zu verlieren war keine besonders große Tragödie. Seiner Erfahrung nach war das bei weitem nicht das schlimmste, das einem in einer solchen Nacht passieren konnte. Und das hier war eine solche Nacht, das war ihm mittlerweile klar geworden – eine von jenen Nächten, bei denen man sich hinterher wohl oder übel fragen musste, ob die letzten neun, zehn, elf Stunde noch abgedrehter hätten werden können, wenn man sich einfach hingelegt und sie aus dem Nichts ins eigene Unterbewusstsein geträumt hätte. Der Kerl war offenbar immer noch der Ansicht, dass Shanks ihm a) zuhörte und b) im Augenblick mehr als ein müdes Kopfnicken für dieses spezielle Problem aufbringen konnte, denn er redete einfach weiter. „So kann ich doch nicht rausgehen!“ Kommt drauf an, dachte Shanks. Laut sagte er: „...dann bleib hier.“ „Geht nicht.“ „Willst du meine haben?“ Tätowierter Brillenträger starrte verwirrt auf ihn herab. „Deine was?“ Shanks rollte mit den Augen. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm auf, dass die Bettfüße zu Löwentatzen geschnitzt worden waren. Irgendjemand hatte große Sorgfalt auf all die winzigen Details gelegt. „Meine Hose.“ „Öhm“, sagte der Typ, „Nnnein, nein. Aber... trotzdem. Du weißt schon.“ „Danke“, sagte Shanks, „Schon klar. Keine Ursache.“ Er begann, sich vorsichtig nach einem Mülleimer oder einer Toilette umzusehen. Im Moment war ihm zwar nicht schlecht, aber das konnte jederzeit noch kommen. Sein Magen war schon vor langer Zeit dazu übergegangen, sein Recht auf Übelkeit völlig willkürlich in Anspruch zu nehmen. In seinen schwächsten Stunden war Shanks der festen Ansicht, dass das ein ausgeklügelter Racheplan war, den seine Leber etliche Jahre zuvor in die Wege geleitet hatte. Einmal hatte er versucht, diese Vermutung mit seiner Mannschaft zu teilen, aber mitten in der ausführenden Erklärung war ihm schlecht geworden. Die hauchzarte Ironie hatte schon damals niemand zu würdigen gewusst. Als die Tür aufging und die Frau hereinkam, war sein erster Gedanke auch nicht, wow, scharfes Neglige! sondern verdammt, noch mehr Purpur? Die hochhackigen Stilettos, die neben dem Bett zum Stehen kamen, passten nicht zu den Löwentatzen. Er blinzelte nachdenklich zu ihr hoch, aber sie beachtete ihn nicht. „Beeil dich, Süßer. Du solltest schon vor fünf Minuten hier raus sein.“ „Ich“, sagte der Typ, „Ich, ich kann nicht- meine Hose ist weg!“ „Willst du behaupten“, ihre Stimme war samtweich und absolut vernichtend zur selben Zeit, „...ich hätte dir was geklaut, Süßer?“ „Nein, Gelée“, sagte die Brille, „Natürlich nicht-“ Sie warf einen Blick nach unten – ein begeisterter Gesichtausdruck sah definitiv anders aus. Shanks grinste schwach. „Ich war’s ganz bestimmt auch nich’.“ Gelée winkte ungeduldig ab. „Okay“, sagte sie, „Ist mir egal. Ihr müsste verschwinden, wir brauchen das Zimmer. Los, Abmarsch.“ Was Rauswürfe anging, war das durchaus nicht der unfreundlichste, den Shanks in letzter Zeit zu hören bekommen hatte. Wenn man es genau nahm, schaffte er es nicht mal in die Top Ten der vergangenen Woche. „Scheiße“, sagte er zu der Goldquaste über seinem Gesicht, „Mein Leben wird langweilig.“ Die Goldquaste schwieg würdevoll. „Tja“, sagte die tätowierte Brille düster, „Meines nicht. Unten ist ’ne Bar. Komm, ich lade dich auf was ein.“ „Heh“, sagte Shanks und überlegte bereits, wie er bis zur Treppe kommen sollte – Kriechen schien ihm eine recht gute Idee zu sein, „Sehr anständig von dir, wirklich.“ Tatsächlich brauchte er im Endeffekt weitaus weniger Hilfe als erwartet, und als sie im Erdgeschoss angekommen waren, stand er schon wieder halbwegs sicher auf eigenen Beinen. Die Barhocker waren ebenfalls aus purpurner Seide, hatten dafür aber wenigstens goldene Stickereien; und das Sitzen an uns für sich war erstaunlich bequem, trotz des Umstandes, dass es keine Rückenlehne gab. Shanks fühlte sich etwas getröstet. Er bekam eine Flüssigkeit vorgesetzt, in der verschiedene Früchte herumdümpelten und fragte sich sekundenlang, warum es die halbnackte Barkeeperin wohl kümmern sollte, dass er ein paar Vitamine zu sich nahm. Dann hob der Typ mit der tätowierten Brille sein eigenes, weitaus weniger obstverseuchtes Glas und stieß mit ihm an. „Prost“, sagte er, „Jetzt könnte ich ein paar Mandeln vertragen. Willst du Mandeln? Ich liebe Mandeln- warte kurz.“ Er stand auf, mittlerweile anscheinend vollkommen immun gegen die Tatsache, dass jeder seine Unterhose sehen konnte, und marschierte zielstrebig auf das nächstbeste Mandelschälchen zu. Die Leute, die an besagtem Tisch auf der anderen Seite des Raumes saßen – ein fetter Mann mit zwei knapp bekleidete Damen auf dem Schoß – beäugten ihn argwöhnisch. Shanks langte in sein Glas und fischte nach einem Ananasstück, aber es glitt ihm aus den Fingern. Als er wieder aufsah, bemerkte er, dass ihn der Kerl mit der Brille, das Mandelschälchen in der Hand, urplötzlich mit ausdrucksloser Miene im Visier hatte. Die Mienen der Leute am Tisch, die nun unvermittelt perfekte Aussicht auf ein knöchriges Hinterteil in löchriger Unterbekleidung hatten, waren weit weniger ausdruckslos. „Du...“, sagte der Typ mit unendlichem Abscheu in der Stimme, „Du...!“ „Ähm“, sagte Shanks, „Ja? Ich?“ „Das ist meine Hose, die du da anhast, du Scheißkerl!“ Shanks warf einen raschen Blick auf seine Beine. Hmm. Okay, das war... okay. „Verdammter Mist.“ Wie zu Hölle hatte er das denn jetzt wieder zustande gebracht? Beim letzten Mal, als das passiert war, hatte er doch wirklich schon genug Schwierigkeiten gehabt. Dabei wollte er sich einfach nur betrinken, völlig bescheiden und harmlos, und er hatte absolut keine Lust auf Scherereien. Außerdem war es eine schöne Hose. Er würde sie nicht hergeben, bevor er seine eigene wiederhatte. Das war dann auch der einzige Grund, warum er eilig über den Tresen hechtete, als der Kerl mit der Brille die Mandelschale nach ihm warf. Die Schale verfehlte ihr Ziel um Haaresbreite und ein wahrer Mandelregen ergoss sich über seinen Kopf. Sie landete klappernd auf dem Boden, die Barkeeperin kreischte auf – mehr empört als erschrocken, aber das war keine Überraschung, die Damen hier waren einiges gewohnt und konnten sehr resolut sein, wenn es darauf ankam – und Shanks flüchtete die Wand entlang zurück ins Treppenhaus. Da er annahm, dass der tätowierte Typ ihm folgen würde, probierte er alle Türen durch, an denen er vorbeikam. Die erste war verschlossen, hinter der zweiten bezeichnete ihn jemand als „perverses Arschloch“, und das dritte Zimmer war ebenfalls besetzt. Einen verwischten Augenblick lang war er sich beinahe sicher, Yasopp gesehen zu haben. Hinter der vierten Tür war es dunkel und der durchdringende Parfumgeruch einigermaßen erträglich – Shanks entschied, dass ihm das gut genug war, vor allem, weil auf der Treppe bereits hastige Schritte zu hören waren. Er stolperte hinein und zog die Tür so leise wie möglich hinter sich zu. Im Vergleich zu dem gedämpften, rauchigen Licht, das ihn irgendwie auch an Obst erinnert hatte, war die pechschwarze Dunkelheit richtig angenehm. Wenigstens so lange, bis ein erschrockenes Flüstern ertönte. „...wer ist da?“ „Uhm“, sagte Shanks und überlegte. Jemand mit ’ner geklauten Hose? Jemand mit Mandelsplittern in den Haaren? Jemand, der seine Obstbrühe eben an der Bar stehengelassen hat? Jemand, der eigentlich nichts bezahlt hat und sich noch dazu nicht erinnern kann, wie er eigentlich in diesem Schuppen gelandet ist? „Ich bin Captain?“, fragte er halbherzig in den Raum hinein. Das brachte ihm bloß ein sarkastisches „Ach ja?“ ein. „Hab ein eigenes Schiff“, fuhr er fort, „Die Red Force. Ist ziemlich beeindruckend.“ Oha. Wenn er bei ihr unter diesen Umständen Eindruck schinden wollte, dann war er anscheinend doch nicht so nüchtern, wie ursprünglich er angenommen hatte. Aus der Finsternis kam ein erleichtertes Seufzen. Eindeutig weiblich, entschied Shanks, bevor zwei Meter weiter weg eine Tischlampe angeknipst wurde. Er stand in einer Art Büro, klein und mit Schreibtisch. Vor dem Schreibtisch kniete eine der Damen des Hauses in ihrer üblichen Arbeitskluft – wenig Stoff, hohe Absätze – und hatte offenbar gerade eine Schublade aufgebrochen. „Dem Himmel sei Dank“, sagte sie und hob einen schweren Gegenstand aus der Lade, den Shanks wenige Sekunden später als Schmuckkassette erkannte, „Dachte schon, du wärst Gelée... wenn die mich hier beim Klauen erwischt, reißt sie mir die Haare aus.“ Shanks verzog zustimmend das Gesicht. Man hatte schon des Öfteren versucht, ihm die Haare auszureißen. Es war keine besonders angenehme Erfahrung. „Da“, sie stöckelte zu ihm herüber und drückte ihm das Ding in die Hand, „Halt mal, ich muss das Schloss wieder hinkriegen.“ Shanks nahm die Kassette in Empfang und wiegte sie nachdenklich hin und her. War das vorhin wirklich Yasopp gewesen...? Wenn sich der im Nebenzimmer aufhielt, erklärte das vielleicht, wie Shanks hier gelandet war. Das Mädchen machte sich fluchend an der Schublade zu schaffen und gerade als Shanks fragen wollte, ob sie ihm wenigstens etwas abgeben würde, wenn er sich schon zum Komplizen machen ließ, passierte etwas mehr oder weniger Vorhersehbares. Die Tür flog auf, und Gelée kam herein, dicht gefolgt von dem Typen mit der auftätowierten Brille. „Äh“, machte Shanks. „Was geht hier vor?!“, ihre Stimme klang trotz der eisernen Ruhe so, als könnte sie Stahl zerschneiden, „Cullière?“ Das Mädchen war erschrocken in die Höhe gefahren. „Er...“, eine schmale Hand deutete auf Shanks, „E-er, er hat... m-mich gezwungen-“ Mit wachsendem Unbehagen registrierte Shanks feuchte Augen und eine zitternde Unterlippe – ein todsicheres Zeichen dafür, dass das Gör gleich anfangen würde zu weinen. Na prima, dachte er, und ich hab vorhin nicht mal ausgetrunken. In diesem Moment öffnete sich in der hintersten Ecke des Raumes eine schmale Nische. Durch den Spalt konnte man das Purpurbett des Nebenzimmers erkennen. „Hab ich mich doch nicht getäuscht“, sagte Yasopp erfreut, „Da steckt du also. Wir sollten schön langsam zurück aufs Schiff, sonst- oh.“ Er betrachtete die Situation, die sich vor seinen Augen ausbreitete, stirnrunzelnd. „Uhm“, sagte er, „Boss? Falls du da grade irgendwelche Fantasien auslebst... ich meine, mir kann’s ja egal sein-“ Weiter kam er nicht. Shanks machte die drei Schritte, eben als Gelée mit zornig blitzenden Augen und rasiermesserscharfen Fingernägeln auf ihn zugestürmt kam, und schubste Yasopp zurück in seinen Raum. „Weg hier“, kommandierte er. Flucht war schließlich die einzige Option, die infrage kam. Keiner von ihnen beiden legte sich mit Frauen an, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ und so wenig Gewissensbisse Shanks auch gehabt hätte, den Typ mit der tätowierten Brille schnurgerade durch eine Wand ins nächstbeste Zimmer zu befördern – der Kerl war immerhin aus berechtigten Gründen sauer. Yasopp nahm den Befehl leider etwas zu wörtlich; entweder das, oder er hatte einfach keine Lust, das Bordell auf handelsüblichem Weg zu verlassen, denn er steuerte mit beachtlichem Tempo auf das Fenster zu, das ausnahmsweise einmal nicht von schweren Brokatvorhängen verdeckt wurde. Dann raste er mitten durch. Glas splitterte in alle Richtungen und irgendetwas schnitt Shanks im Vorbeifliegen in die Wange. Die Mandeln, überlegte er missmutig, wären ihm um einiges lieber gewesen. „Toll“, die Glassplitter knirschten unter seiner rechten Fußsohle, als er wie von selbst hinter Yasopp her aufs Fensterbrett sprang, „Ganz, ganz toll.“ Noch während sie wie dämlich durch finstere Gassen rannten, stellte sich heraus, dass Yasopp das Etablissement ursprünglich bloß wegen der Cocktails hatte betreten wollen. „Was hast du denn gedacht?“, empörte er sich auf Shanks’ nächste Fragen, „Mal im Ernst, bezahlen? Hab ich doch wohl nicht nötig!“ Woraufhin Shanks lachen musste, bis er beinahe hinfiel; was wiederum Yasopp etwas zu verärgern schien, und als sie endlich keuchend und schnaufend das Schiff erreicht, mussten sie mit einiger Verblüffung feststellen, dass Shanks die Schmuckkassette immer noch umklammert hielt. Und ganz ehrlich, niemanden überraschte das mehr als ihn selbst. „Klasse!“, rief Yasopp, „Hat sich der ganze Ärger also doch noch gelohnt. Wir haben abkassiert und die Weiber haben keine Ahnung, dass wir Piraten sind oder wo wir-“ „Oh“, sagte Shanks, dem in diesem Moment siedendheiß klar wurde, dass er genau das vorhin verraten hatte, „Oh, verdammt-“ Im Endeffekt ließ sich über die ganze unselige Geschichte eigentlich nur sagen, dass Ben alles andere als begeistert war. =möh= Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)