Vertrauen und Verrat von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 7: Größere Probleme --------------------------- Inzwischen lebte Kian seit fast einem Monat bei mir. Ich hatte mir ein Klappbett gekauft, auch welchem ich oder Kian nachts schliefen, die Couch war auf Dauer zu unbequem gewesen. Meinen Freunden hatte ich noch nicht von ihm erzählt. Keiner außer Ryan, der uns regelmäßig besuchen kam, wusste davon, bis jetzt. Aber irgendwann würden sie es sicher herausfinden oder ich würde es ihnen sagen. Manchmal stellte ich mir sogar vor, wie sie dann reagieren würden. Ähnlich geschockt wie Ryan? Das hielt ich für unwahrscheinlich. Immerhin waren Kians Verletzungen fast verheilt und er war nicht mehr an das Bett gefesselt. Das machte die Sache etwas unkomplizierter. Er kam zwar jetzt ohne Hilfe zurecht, so mehr oder weniger. Aber einmal hatte er versucht, ein Mittagessen zu kochen. Obwohl es nur Nudeln waren, hatte er es nicht auf die Reihe bekommen und danach hatte es in meiner Küche ausgesehen, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Daraufhin hatte ich ihm verboten wütend, so etwas noch einmal zu tun, woran er sich bis jetzt hielt. Im Moment saß ich in der Schule und ließ gerade die letzte Unterrichtsstunde dieses Tages über mich ergehen. Seit Kian bei mir eingezogen war, hatten sich meine Zensuren in einigen Fächern verschlechtert, weil mir einfach die Zeit zum Lernen fehlte. Obwohl ich vorher auch nicht besonders viel gelernt hatte. Jetzt schaute ich mir meine Schulsachen nach der Schule überhaupt nicht mehr an. Ich hatte besseres zu tun. Zum Beispielt dafür zu sorgen, dass Kian nicht wieder aus versehen meine Wohnung in ein Schlachtfeld verwandelte. Mit der Ordnung hatte er es auch nicht so. Na ja, was erwartete man von einem Wolf? Die Weile, für die Kian ursprünglich bei mir wohnen wollte, war inzwischen seit zwei Wochen vorbei, aber er ging einfach nicht mehr. Wahrscheinlich wollte er nicht und ich würde ihn nicht dazu zwingen oder ihn einfach vor die Tür setzen. Außerdem gefiel es mir recht gut, wie es gerade war. Es war nicht mehr so langweilig und wir kamen super miteinander aus. Ich hatte mich sogar schon langsam an seine Wolfsgestalt gewöhnt, noch nicht ganz, aber ich machte Fortschritte. Immerhin zitterte ich nicht mehr am ganzen Körper und hatte mich auch so schon sehr gut im Griff, aber ganz war meine Angst noch nicht verschwunden, leider. Ich seufzte, darauf wartend, dass es endlich klingelte. Aber laut meiner Handyuhr würde das noch etwa zwanzig Minuten dauern. Gelangweilt sah ich zu Ryan, meinem Banknachbarn, der den Unterricht aufmerksam verfolgte, und grinste ihn schief an. „Wie kannst du nur bei solchem Müll zuhören. Da stirbst du doch vor Langeweile.“ Er grinste zurück. „Nein, ich finde das interessant. Außerdem brauchen wir das vielleicht für die Abschlussprüfung. Du solltest auch zuhören.“ Ich schnitt eine Grimasse. „Ach komm, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass genau das drankommt? Außerdem mag ich kein Mathe und lineare Funktionen hasse ich!“ Genau, wir hatten gerade Mathe, das langweiligste und blödeste Fach, das es gab. Ryan lachte. „Also ich mag Mathe. Es ist alles logisch, wenn man es ein Mal verstanden hat.“ „Uns unlogisch, wenn man es nicht verstanden hat.“, konterte ich, woraufhin Ryan erneut lachte. „Ja, so kann man es auch sehen…“ Er gab mir also Recht. Ich grinste. Eine Weile schwiegen wir danach und Ryan konzentrierte sich wieder auf den Unterricht, während ich aus dem Fenster schaute. Der Apfelbaum des Nachbarn war um ein Vielfaches interessanter als der Unterricht, weshalb meine ganze Aufmerksamkeit ihm galt. Ich zuckte erschrocken zusammen, als mich mein Banknachbar und guter Freund plötzlich antippte. Fragend schaute ich Ryan an. „Was gibt’s“ „Dean hat eben gesagt, dass er heute Abend eine Party bei sich gibt. Er fragt, ob du kommst.“ „Gehst du hin?“, flüsterte ich leide, damit der Lehrer es nicht mitbekam. Ryan nickte. „Klar. Morgen ist doch Feiertag, da kann ich ausschlafen und muss nicht in die Schule.“, erklärte er, als suche er nach einer Rechtfertigung. „Ich werde nicht hingehen.“, sagte ich, „Immerhin kann ich Kian nicht die ganze Zeit allein in der Wohnung lassen, ohne das es zu Katastrophen kommt. Sorry.“ „Bring ihn doch mit.“, meinte Ryan grinsend. Irgendwie klang diese Formulierung, als wäre er ein Hund. Kian hätte sich bestimmt beschwert, hätte er es gehört. Eine Weile überlegte ich. So schlecht war diese Idee gar nicht. Er würde sich sicher nicht danebenbenehmen, wenn ich ihn mitnahm. Nur war ich mir nicht sicher, ob er besonders viel Alkohol vertrug. Aber solange keiner ihm welchen gab, würde es schon nicht schief gehen. „Frag Dean, ob es okay ist, wenn ich einen Freund mitbringe.“ Ryan wandte sich zu meinem blondhaarigen Klassenkameraden, der gemeinsam mit George auf der Bank hinter uns saß, und unterhielt sich kurz mit ihm. Was sie sagten, konnte ich leider nicht verstehen, dazu redeten sie zu leise. Nach etwa einer Minute schaute mein Banknachbar wieder zu mir. „Dean sagt, es geht nicht.“ Ich nickte. „Dann kann ich leider nicht kommen, sag ihm das.“ „Bis ich hier der Postbote?“, kam es beleidigt von Ryan, woraufhin ich einfach nur nickte. Er seufzte und drehte sich wieder zu Dean. Diesmal beobachtete ich dessen Gesichtsausdruck. Zuerst schauten seine blauen Augen eher gelangweilt, dann wandte er sich mit einem leicht wütenden Gesichtsausdruck zu mir. „Wie klären das nach dem Unterricht, ok?“ Ich nickte und widmete meine Aufmerksamkeit wieder dem Apfelbaum. Erst nach dem Klingelzeichen schaute ich wieder zurück in das Zimmer. Ich stopfte meine Schulsachen in den Ranzen, zog mir meine Jacke drüber und verließ das Schulgebäude. Auf dem Schulgelände, es war ziemlich warm für diese Jahreszeit, eigentlich war es im Herbst hier viel kälter, wartete ich dann auf meine Freunde, also Ryan George und Dean, welche auch nach wenigen Sekunden bei mir eintrafen. „Also was genau ist dein Problem?“, fragte mich Dean sofort, „Warum willst du nicht kommen? Hast du keine Lust oder was?“ Ich schüttelte meinen Kopf. „Es geht wirklich nicht. Bei mir ist gerade ein Freund zu Besuch und ich kann ihn nicht einfach die halbe Nacht allein in meiner Wohnung lassen. Das wäre mehr als nur unhöflich. Vielleicht ein andermal.“ Zuerst war es still, doch dann grinste Dean auf einmal. „Dann bring deinen Freund halt mit, aber wenn er nervt oder so, fliegt er wieder raus.“ Ich nickte. Das erste Problem war hiermit gelöst, leider hatte ich jetzt ein noch viel größeres zu bewältigen. Ich musste Kian dazu bekommen, dass er überhaupt mitkam, auf Deans Party. Freiwillig würde er sich das sicher nicht antun, also sollte ich mir besser etwas gutes einfallen lassen. Ob Bestechung half? Wahrscheinlich nicht. Und wenn ich ihn einfach mitnahm und nicht sagte warum und wohin? Das könnte klappen. Jetzt musste ich nur noch das kleine Problemchen mit den Klamotten klären. Gab ich Kian, wie immer eigentlich, welche von mir, fiel das den anderen sicher auf, aber seine konnte er auch nicht anziehen, die waren völlig zerrissen und das Blut hatte sich nicht richtig herauswaschen lassen. Das lag aber sicher daran, dass ich mich nicht besonders gut damit auskannte, Wäsche zu waschen. Eine ordentliche Hausfrau hätte sicherlich keine Probleme damit gehabt, aber ich hatte weder Ahnung, wie man einen Haushalt führte, noch war ich eine Frau. „Um Sieben bei mir und vergiss es nicht!“, sagte Dean zu mir und riss mich aus meinen Gedanken, was eigentlich recht Vorteilhaft war, sonst hätte ich hier noch Stunden gestanden. Ich nickte und verabschiedete mich von meinen Freunden, machte mich auf den Weg nach Hause, hoffend, dass das Haus noch stand und Kian meine Wohnung nicht wieder in ein Schlachtfeld verwandelt hatte. Als ich die Tür öffnete, stand zu meiner Überraschung noch alles dort, wo ich es heute früh liegen lassen hatte. Von Kian war nichts zu sehen. Seufzend warf ich meinen Ranzen und meine Jacke auf die Couch und ging in das Schlafzimmer. Dort fand ich meinen besten Freund dann, schlafend, auf dem Klappbett. Ich lächelte schwach und schlich mich zu meinem Schrank, um passende Klamotten für heute Abend herauszusuchen. Für Kian welche, die ich schon eine Ewigkeit nicht mehr anhatte, damit nicht auffiel, dass er schon länger hier wohnte und nicht einmal Klamotten zum wechseln besaß. Diese warf och dann unachtsam auf mein Bett, bevor ich mich auf selbiges setzte und nach hinten fallen ließ. Kian hatte es gut. Er brauchte nicht in die Schule zu gehen, konnte den ganzen Vormittag schlafen und musste sich auch so um nichts kümmern. Manchmal beneidete ich ihn deswegen. „Du bist schon wieder da?“, hörte ich plötzlich seine Stimme. Er klang noch sehr verschlafen. „Was heißt schon? Es ist vier Uhr nachmittags.“, gab ich ihm zur Antwort. Zuerst zeigte sich in Kians Gesicht keine Reaktion, dann sprang er plötzlich auf und schaute auf die Uhr. „Tatsächlich.“, sagte er überrascht. Ich lachte. „Idiot. Kauf dir endlich einen Wecker!“ Dann setzte ich mich wieder auf. „Hast du heute abends schon etwas vor?“ Kian schüttelte seinen Kopf, er schien verwirrt über meine Frage zu sein. „Warum?“ Ich grinste. „Ein Kumpel von mir gibt eine Party. Wir haben festgelegt, dass du mitkommst.“ Zuerst sah ich auf dem Gesicht meines besten Freundes keine Reaktion, dann entglitten ihm langsam nach und nach die Gesichtszüge, bis er ich am Ende fassungslos anstarrte. „Das ist nicht dein Ernst…“, murmelte er mit geschockter Stimme. „Doch!“, antwortete ich auf seine indirekte Frage und nickte zusätzlich, um ihm zu zeigen, wie ernst ich es meinte, damit er gar nicht erst auf die Idee kam, ich würde irgendwann nachgeben, nervte er nur lange genug. Kian seufzte. „Und es gibt keine Möglichkeit, wie ich mich drücken kann?“ „Nein!“, legte ich fest, „Du gehst mit. Ende der Diskussion.“ Ein letztes Mal schnitt Kian eine Grimasse, bevor er sich seinem Schicksal fügte. Viertel sieben machten wir uns dann fertig, was nicht länger als fünf Minuten dauerte, denn wir zogen nur frische, bequeme Klamotten an. Kaum waren wir damit fertig, klingelte es an der Tür. Ein kleinwenig verwirrt, den ich erwartete keinen Besuch oder ähnliches, öffnete ich diese und war überrascht, als Ryan und sein Vater davor standen. „Hi.“, grüßte ich die beiden, um zu überspielen, dass ich mit ihrem plötzlichen Auftauchen hier nicht besonders viel anfangen konnte. „Seid ihr fertig?“, fragte Ryan mich, „Mein Vater muss auf Arbeit, er hat diese Woche wieder Nachtschicht, und kann uns gleich bei Dean absetzen. Dann müssen wir nicht laufen“ Ich nickte. „Kian kommst du?“, rief ich, obwohl ich wusste, dass er aufgrund seiner guten Ohren jedes Wort verstanden hatte. Er hörte alles, außer den Wecker… Ryans Vater schaute mich verwundert an. „Ich dachte, du wohnst allein…“ „Eigentlich schon.“, erklärte ich, „Im Moment ist ein Freund zu Besuch. Wir haben die gleiche Grundschule besucht.“ Das war nicht mal gelogen, nur ein kleinwenig gekürzt. Der Mann mittleren Alters nickte. „Ich habe mich nur gewundert.“ Da Kian immer noch nicht an der Tür erschienen war, obwohl es mich gehört hatte, ging ich zurück in das Schlafzimmer, zog mir meine Jacke drüber, drückte ihm seine in die Hand und zerrte ihn kurzerhand aus dem Zimmer. Sein Protestieren ignorierte ich dabei gekonnt. Vor der Tür, nachdem ich diese abgeschlossen und den Schlüssel eingesteckt hatte, blieb ich stehen und ließ ihn wieder los. „So, es kann los gehen…“ Ryan lachte. „Da sagt mir Kians Gesicht aber etwas anderes.“ Mein bester Freund nickte sofort zu Bestätigung, aber auch das blendete ich ab. Kian würde mitkommen, das war beschlossene Sache und ich würde diesbezüglich nicht nachgeben. Wir verließen das Haus und stiegen in das Auto, ohne wirklich interessante Gespräche zu führen. Die meiste Zeit über schwiegen wir uns an. Irgendwann wandte sich Ryans Vater an Kian und stellte diesem einige Fragen. „Wie war dein Name noch einmal?“ Die erste Frage war recht harmlos, aber ich wusste, dass da noch mehr kommen würde. Hatte der Mann es etwa herausgefunden, was Kian wirklich war? Nein, das war eher unwahrscheinlich, weshalb ich es auf seine Neugier schob. „Kian.“, antwortete mein bester Freund höflich auf die Frage. Ryans Vater nickte. „Und wie alt bist du? Wo wohnst du? Was machen deine Eltern beruflich? Wissen sie, dass du hier bist?“ Ich hörte, wie Kian seufzte. „Sechzehn, genau wie Alec. Ich wohne ziemlich weit weg und besuche ihn nur kurz. Meine Eltern sind seit sechs Jahren tot ich lebe bei meinem Großvater und er weiß, dass ich hier bin, auch wenn es ihm nicht besonders gefällt.“ Zuerst schwieg Ryans Vater auf diese Antwort hin. Es hatte ihm anscheinend die Sprache verschlagen oder ihm fielen keine passenden Fragen mehr ein. Beides war möglich. Auch mir war unwohl geworden bei dieser Antwort und Kians verletzter Unterton war nicht zu überhören gewesen. Ich hatte es schon wieder vergessen. Kians Eltern waren ja… Nach einer halben Ewigkeit, so schien es mir, hielten wir endlich vor Deans Haus und konnten aus dem Auto steigen. Deans Eltern leiteten ein unternehmen und hatten etwas mehr zur Verfügung als andere Leute. Dean hatte einen älteren Bruder, der seit zwei Jahren als Arzt arbeitete, und eine jüngere Schwester, die momentan die neunte Klasse besuchte. Wir klingelten. Etwa eine Minute später wurde die Tür aufgerissen und ein wütender Dean stand vor uns. „Habt ihr keine Uhr? Ihr seid eine halbe Stunde zu zeitig!“ Ryan lachte. „Sorry, mein Vater hat heute Nachtschicht und hat uns mitgenommen.“ Dean grinste. „Na dann, kommt rein.“ Im Augenwinkel sah ich, dass Kian dabei war, sich aus dem Staub zu machen. Ich packte ihn am Oberarm und zog ihn durch das Haus, bis in Deans Zimmer. Dean und Ryan beobachteten das grinsend. Erst als die Tür hinter uns geschlossen war, ließ ich Kian wieder los und sah ihn leicht gereizt an. „Muss ich dich jetzt hier anketten oder bleibst du freiwillig.“ Zur Antwort bekam ich ein beleidigtes Schnauben. „Weder noch.“ Dean trat neben mich und musterte meinen beleidigten Gesprächspartner. „Willst du ihn nicht mal vorstellen? Oder sag wenigstens seinen Namen.“ Seinem Blick sah ich an, dass er nicht ganz damit einverstanden war, dass ich Kian heute mitgebracht hatte und schien ihn auch nicht besonders zu mögen. „Kian.“, antwortete ich, „Er ist mein bester Freund.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)