Vertrauen und Verrat von Seira-sempai ================================================================================ Prolog: Verrat -------------- Der Vollmond schien auf die Straße und beleuchtete meine Umgebung an dem Abend meines zehnten Geburtstages. Ich stand da, mit dem Rücken an die Mauer des Hauses meiner Eltern gepresst und am ganzen Körper zitternd, vor Angst. Vor mir lag meine Mutter auf dem Boden, tot, angefallen von einem Raubtier, einem Wolf, der größer war als ich. Das Tier stand über ihr, blickte in meine Richtung. Ich hatte Angst, regelrecht Panik, dass das Tier mich auch töten würde. Am liebsten wäre ich weggerannt, doch ich konnte meine Beine keinen Millimeter von der Stelle bewegen. Der Wolf ließ den toten Körper meiner Mutter einfach liegen und kam langsam auf mich zu. Ich presste meinen Körper an die Wand, wollte weglaufen, wünschte, das sei alles nur ein schlimmer Albtraum. Ich wollte aufwachen und feststellen, dass alles noch in Ordnung war. doch ich wachte nicht auf, denn das hier war kein Traum. Es war die Realität. Der Wolf kam auf mich zu. Sein schwarzes Fell ließ ihn noch bedrohlicher erscheinen, als er ohnehin schon war. In seinen Augen blitzte die Mordlust. Er knurrte mich gefährlich an. Das Zittern wurde immer stärker und mir lief eine Träne über das Gesicht, ohne dass ein Schluchzen meiner Kehle entrann. Sie war wie zugeschnürt. Der einen Träne folgten weitere. Ich wollte weglaufen, doch konnte ich meine Beine noch immer nicht bewegen. Ich wollte schreien, doch kein Laut verließ meinen Mund. Lautlos liefen mir immer mehr Tränen über das Gesicht. Meine Knie gaben nach und ich rutschte an der Wand hinunter. Der Wolf beobachtete das, doch zeigte sich in seinem Gesicht keine Reaktion. Sein großer Kopf kam mir immer näher. Ich konnte seine bedrohlichen Reißzähne sehen, voller Blut, dem Blut meiner Mutter. Direkt vor meiner Kehle stoppte das Tier seine Bewegung. Ich konnte seinen Atem spüren, nahm seinen Geruch war, sah die Narbe über einem seiner Augen, welches aber trotzdem noch geöffnet war und mich musterte. Ich hatte Angst. Ich wollte nicht sterben. Der Wolf öffnete sein Maul, doch im selben Augenblick sprang er plötzlich zurück. Er blickte mich noch einmal bedrohlich aus seinen leuchtend gelben Augen an, bevor er sich von mir abwandte und weglief, in den nahe liegenden Wald hinein. Ich weiß nicht, wie lange ich noch dort saß, zusammengekauert, die Arme um die Knie geschlungen und mit einem verheulten Gesicht, aber es müssen mindestens zwei Stunden gewesen sein, bis mein Vater von der Arbeit kam und mich so vorfand. Zuerst hörte ich nur Schritte, dann schrie er verzweifelt den Namen meiner Mutter. Danach war es wieder still. Ich wollte aufstehen und zu ihm gehen, doch fürchtete ich mich vor seiner Reaktion. Immer wenn er von der Arbeit kam, hatte er schlechte Laune und schrie meine Mutter oder mich grundlos an. „Alec!“, rief mein Vater meinen Namen und ich zuckte zusammen. Doch diesmal schien er nicht wütend zu sein. Er klang besorgt. Trotzdem sah ich nicht auf. Erst als ich hörte, dass er sich vor mich kniete, schaffte ich es, meinen blick zu heben. „Bist du in Ordnung?“, fragte mein Vater, „Bist du verletzt?“ Stumm schüttelte ich meinen Kopf. Mein Vater nahm mich in den Arm, woraufhin ich erneut begann, zu weinen. Erst nachdem er mich in das Haus gebracht und auf das Sofa gesetzt hatte, rief er die Polizei. Es dauerte nicht lange, bevor er wieder zu mir zurückkam und die erste Frage, die er stellte, war: „Was ist passiert?“ Ich schüttelte wieder meinen Kopf und fing nur noch stärker an zu weinen. Aber auf seine Frage antwortete ich nicht, dazu war ich nicht mehr in der Lage. Mein Vater wandte sein Gesicht ab und ballte seine Hände zu Fäusten, bevor er mir ein Glas Wasser und eine Tablette reichte. Gehorsam nahm ich diese und trank das Glas aus. Wenig später fühlte ich mich auf einmal unglaublich müde und schlief auf dem Sofa ein. Als ich am nächsten Morgen durch ein klopfendes Geräusch aufwachte, war es schon Nachmittag. Komischerweise konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, was passiert war, bevor ich eingeschlafen war. Die gesamten Ereignisse des vergangenen Nachmittags und Abends waren wie aus meinem Gedächtnis gelöscht. Verwundert schaute ich mich um und suchte nach dem Grund für dieses Geräusch. Ich entdeckte Kian, meinen besten Freund, auf dem Obstbaum vor meinem Zimmerfenster. Er klopfte dagegen. Verwirrt öffnete ich es und trat zur Seite, woraufhin Kian sofort in mein Zimmer sprang. „Hallo Alec!“, grüßte er fröhlich und schaute mich aus goldbraunen Augen heraus an, während sein dunkelbraunes Haar im Wind wehte. Ich mochte ihn und seine lustige Art, die mich immer aufmunterte. Wir kannten uns schon ewig, seit der ersten Klasse, als wir beide gerade mal sechs Jahre alt waren. „Ich muss dir etwas sagen.“, begann er und auf einmal war von seiner sonst so fröhlichen Art nichts mehr zu sehen, „Kommst du ganz kurz mit raus?“ Verwundert folgte ich meinem besten Freund in den Garten, wo er mich auch gleich am Arm packte und in den Wald zog. Auf einer einsamen Lichtung hielten wir an. „Alec.“, setzte Kian an, „Das hier ist ein Abschied. Meine Familie zieht von hier weg.“ Zuerst glaubte ich, mich verhört zu haben, doch nach und nach begriff ich die Bedeutung von dem, was ich gerade gehört hatte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und schüttelte meinen Kopf. „Kian, warum sagst du mir das erst jetzt? Und warum ist das ein Abschied? Ich will nicht, dass du das sagst. Du bist mein bester Freund. Auch, wenn du wo anderes wohnst, können wir doch Briefe schreiben und uns anrufen, wenn nicht sogar ab und zu besuchen!“ Doch Kian schüttelte einfach nur seinen Kopf. „Das ist das letzte Mal, dass wir uns sehen.“ „Warum?“, fragte ich schwach und spürte, wie mir Tränen über das Gesicht liefen, aber Kian ging es nicht anders. Er weinte ebenfalls. „Versprich mir vorher etwas, bevor ich es dir sage.“, verlangte er Sofort nickte ich, obwohl ich wusste, dass er unmögliche Sachen verlangen würde. „Die Kette, die ich dir vor vier Jahren geschenkt habe, versprich mir, dass du sie immer trägst und nie abnimmst, auch nicht zum schlafen oder baden! Und versprich mir, dass du niemandem etwas davon erzählen wirst!“ Wieder nickte ich, obwohl ich mit diesen Forderungen nicht besonders viel anfangen konnte. Kian entfernte sich einige Schritte von mir und sah mich fragend an, wie als wartete er auf ein Zeichen, weshalb ich noch ein weiteres Mal nickte. Er lächelte kurz, bevor sein Körper anfing, die Form zu verlieren und eine andere anzunehmen, die Form eines Wolfes mit braunem Fell, das die gleiche Farbe hatte wie sein Haar. Plötzlich sah ich es wieder vor mir, was gestern Abend passiert war. Der Körper meiner Mutter, blutüberströmt am Boden. Der schwarze Wolf. Die leuchtend gelben Augen. Gleichzeitig fielen mir aber auch die Unterschiede zwischen Kian und dem anderen Wolf auf. Kians Fell hatte eine andere Farbe und er war ein ganzes Stück kleiner, doch das minderte meine Angst vor ihm kein Bisschen. Im Gegenteil: Sie wurde von Sekunde zu Sekunde größer. Ich stolperte einige Schritte rückwärts, bis ich an einen Baum stieß. Kian kam langsam auf mich zu und schaute mich an. Obwohl ich wusste, dass er es war, konnte ich mich nicht dazu bewegen, keine Angst vor ihm zu haben. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich zitterte am ganzen Körper, als ich es endlich schaffte, meinen Mund zu öffnen und etwas zu sagen. „Nein... Komm nicht näher...“ Kian hielt an und winselte. Ich konnte Trauer und Besorgnis in seinen Augen erkennen, aber auch das minderte meine Angst kein bisschen. Als ich spürte, dass ich meine Beide noch bewegen konnte, rannte ich weg. Ich rannte, als ob es um mein Leben ginge, obwohl ich wusste, dass Kian mir nicht folgte. Er war einsam auf der Lichtung im Wald sitzen geblieben und sah mir mit einem traurigen und schmerzerfüllten Blick hinterher. Ich habe Kian nie wieder gesehen, seit diesem Tag, dem Tag an dem ich meinen besten Freund verlor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)