Brokkoli zum Frühstück von Lady_Blacklily ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Wie jedes Mal, wenn der Vollmond kurz bevor stand, bekam Simon Angst vor dem was zur selben Zeit mit ihm passierte. Er war eigentlich recht durchschnittlich behaart, aber zu Vollmondzeiten wuchs ein regelrechter Dschungel aus dichten schwarzen Haaren auf seinem Körper. Und der Haarwuchs beschränkte sich nicht nur auf die üblichen Stellen. Nein, er wagte sich auch in Regionen vor, die noch nie zuvor ein Haar bewachsen hatte – zumindest nicht bei ihm. Sein Körperbau veränderte sich, er brauchte auf einmal vier Beine zum Laufen, und da ein normaler Menschenkörper nur zwei dieser Sorte besaß, wandelten sich die Hände ebenfalls zu Beinen. Wobei Beine nicht ganz das passende Wort war. Natürlich waren es Beine, aber nicht die, die man an einem Menschen vermuten würde. Sie waren sehniger und muskulöser, bargen eine ungeheure Kraft in sich und anstatt der Füße mit fünf Zehen endeten sie in riesigen Pranken mit vier Zehen und ebenso riesigen Krallen. Was diese Krallen anzustellen vermochten merkte er nach jeder Verwandlung. Die Wände seiner Wohnung waren hinterher immer reich verziert an tiefen Kratzern, die weder vor Türen noch vor dem teuren Teppich in seinem Wohnzimmer halt machten. Außerdem brauchte er dann nicht mehr schielen um seine Nase sehen zu können. Natürlich war Simon nicht dumm und wusste, in was er sich zu jedem Vollmond verwandelte. Aber bis vor zwei Jahren hätte er nicht geglaubt dass es Fabelwesen wie Werwölfe wirklich gab. Er müsste sich schon selbst verleugnen um weiter an dieser Meinung festzuhalten. Das hätte wahrscheinlich starke psychische Macken hinterlassen, Fachwörter wie „paranoide Schizophrenie“ geisterten dabei durch seinen Kopf. Sein Bewusstsein aber war schlau genug, einfach die Ansicht zu ändern und die Existenz von Werwölfen anzuerkennen. Damit bewahrte es sich selbst vor einem möglichen schwerwiegenden Schaden und konnte sich außerdem hin und wieder etwas Urlaub nehmen, wenn der Vollmond wieder einmal am Himmel stand und sich das werwölfische Bewusstsein an die Oberfläche brüllte. Er wusste was er dann tat und er ekelte sich davor. Die anderen Bewohner der Kleinstadt übrigens auch. Aber im Gegensatz zu ihnen wusste er, wer diese schrecklichen Morde beging, die in unregelmäßigen Abständen, aber jedes Mal zum Vollmond, geschahen. Die Erinnerungen hielten an, wenn er sich zurück verwandelte und blieben auch noch einige Tage recht klar, bis sie hinter dem blassen Schleier des Vergessens verschwanden. Nur ein paar Szenen gab es, an die er sich immer wieder und sehr deutlich erinnerte. Leider waren es meist ziemlich eklige und abscheuliche Dinge wie ein abgerissener Arm oder blutige Kleidungsstücke. Am schlimmsten waren jedoch die meist vor Furcht und Ekel weit aufgerissenen Augen seiner Opfer. Es waren immer ihm Unbekannte, die er sich als Beute auserkor. Oft hatte er sich gewünscht, dass er wenigstens seinen dummen Chef auffressen würde, der ihm ständig mehr Arbeit aufhalste und selbst dafür früher Feierabend machen konnte. Oder seinen Kollegen Dan, der ihm seine letzte Freundin ausgespannt hatte und damit vor allen herumprahlte. Aber nein, nicht nur dass er sich in ein Monster verwandelte – er konnte damit nicht mal etwas anfangen. Die Bestie hatte ihren eigenen Willen und eine Vorliebe für junge brünette Frauen mit vorzugsweise engen Jeans und mindestens einem roten Kleidungsstück und Männern, die Turnschuhe einer bestimmten Marke trugen. „Nun ja, wieso auch nicht“, dachte Simon in seinen selbstironischen Momenten. „Wenn ich auf blonde Frauen Mitte dreißig mit kurzen Röcken stehe, wieso dann nicht auch Rot und Sportschuhe.“ Er konnte sich allerdings nicht daran erinnern, dass es ihm irgendwann einmal gut geschmeckt hatte. Nicht einmal in seiner Gestalt als Werwolf gefiel ihm, was er aß. Er konnte es sich nicht erklären, denn immerhin war das Jagen und Verspeisen seiner Beute doch das absolute Highlight für einen Werwolf in einer mittleren Großstadt. Wie meistens, wenn er in seiner Werwolfsgestalt durch die Straßen schlich, hatte er das Gefühl, Gast dieses Körpers zu sein. Auch wenn er die Bewegungen spürte, jeden großen Sprung nachempfinden konnte, war es doch ein ziemlich dumpfes und schwaches Gefühl. Vergleichbar vielleicht mit einem Konsolenspiel, die mit der Vibration des Gamepads jede Erschütterung der Spielfigur kommentierte. Der Wolf hatte sich wieder ein Opfer auserkoren. Es war ein junger Mann mit – wie konnte es anders sein – Turnschuhen der bevorzugten Marke. Wieder einmal fragte Simon sich, wieso es gerade diese Marke sein musste. Davon abgesehen dass er die Schuhe niemals anrührte, würden sie sowieso nur furchtbar schmecken. Und tragen konnte er sie mit seinen riesigen Pranken auch nicht. Die Schreie des flüchtenden Mannes, rissen ihn aus seinen Überlegungen und zogen seine Aufmerksamkeit auf den Flüchtenden. Er war entweder Koch oder Obsthändler. Seine Schürze zeigte viele bunte Flecken vom Saft aufgeschnittener Früchte, auch seine Hände waren feucht und klebrig. Und es roch nach Tomaten. Simon merkte, wie der Magen des Werwolfes knurrte. Die Jagd dauerte verhältnismäßig lange. Den meisten Opfern ging schon vorher die Puste aus oder sie waren einfach zu langsam und somit langweilig. Keinem Raubtier machte es Spaß, wenn die Beute schon nach kurzer Zeit schlapp machte. Der Wer-Simon roch deutlich den Schweiß des Opfers. Und er glaubte sogar, das Blut in dessen Adern rauschen zu hören. Keins von beidem spornte ihn an. Komischerweise musste er an eine Pizza Margherita denken. Der Koch (oder Obsthändler) wurde langsamer. Er keuchte laut und rang nach Atem. Ein kurzer Blick nach links und rechts zeigte Simon, dass sie einen kleinen Garten erreicht hatten. Vielzählige Gerüche drangen auf seine Nase ein. Tomaten, Salat, Bohnen, die frische Markierung eines Rüden… nun, ein ausgezeichneter Geruch hatte nicht immer Vorteile. Sein Opfer stolperte über eine Wurzel im frisch gepflügten Boden und fiel. Simon war mit einem Satz über ihm, presste mit seinen Pranken, die sicher so groß waren wie der Kopf seines Abendessens, dessen Hände in die Erde. Nun roch er das frische Fleisch, das warme Blut, Angstschweiß, den viel zu penetranten Geruch des dummen Köters!... Simons Bewusstsein wandte angeekelt den Kopf weg von diesem viel zu menschlichen Stück Fleisch. Keine zehn Zentimeter trennten den Hals des Obsthändlers (oder Kochs) von seinen Zähnen. Er wollte gar nicht hinsehen. Sein Ekel schien groß genug zu sein, um auch den werwölfischen Körper die Augen schließen zu lassen. Er durfte nicht nachgeben. Dieser Geruch war so widerlich, so… ihm fiel kein passendes Wort dafür ein, nur ein Geräusch, das an Erbrochenes denken ließ. Aber der Wolf in ihm wollte essen, wollte etwas Leckeres zwischen seinen Zähnen zermalmen. Dieser Hunger musste einfach gestillt werden. Dann schlich sich ein anderer Geruch in seine Nase. Zaghaft klopfte er an die Nerven des tierischen Riechorgans und machte auf sich aufmerksam. In der Hand hielt es ein großes Schild mit der Aufschrift. „Ich bin lecker.“ Nase und Gehirn schienen das ebenfalls zu glauben. Aber da war immer noch dieser Mensch, der nicht lecker war – zumindest für den kleinen Simon-schen Teil im Bewusstsein des Werwolfes. Simon musste stärker sein. Er hatte auch Hunger. Und er wollte jetzt essen. Der Wolf sollte gefälligst warten. Simon drängte sich immer vor wenn es ums Essen ging. Weit riss er das Maul auf. Mit immer noch geschlossenen Augen versuchte er den Ursprung des unwiderstehlichen Geruchs anzupeilen. Dann schlug er seine Zähne hinein, schlang es hinunter, und wühlte nach Neuem. Der Geschmack erinnerte überhaupt nicht an einen Menschen. Erleichtert öffnete Simon die Augen, und erschrocken öffnete auch der Werwolf die Augen. Vor ihm lag ein Korb mit frisch geernteten Brokkoli. Diesen schlang er hinunter und der Wolf konnte sich nicht wehren. Irgendwie schmeckte es ja auch. Aber es war kein Fleisch. Himmelherrgottdudaoben!, seufzte Simons Bewusstsein erleichtert. Ich bin nicht verrückt. Ich bin nur… Vegetarier! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)