Lost von Nifen ================================================================================ Kapitel 1: I ------------ Wir hatten es alle gewusst. Oder zumindest tief in unserem Inneren geahnt. Und mancher wohl auch erhofft. Jedenfalls war kaum jemand überrascht, als drei Jahre nach dem Sieg über Dornkirk und die Zaibacher Hitomi nach Fanelia zurückkehrte. Wenn ich ehrlich war, hatte ich gehofft, dass Van aus der Vergangenheit gelernt hätte und dem Mädchen vom Mond der Illusionen nicht sofort wieder verfallen würde. Dieser närrische Gedanke bekam tatsächlich genau zehn Minuten trügerische Nahrung. Dann hatte Hitomi Van um einen Spaziergang im Schlossgarten gebeten und danach waren sie wieder ein Herz und eine Seele gewesen. Und ich, Merle, war einmal mehr abgemeldet. Nicht, dass ich mir Hoffnungen auf Van gemacht hätte. Nein, über diese Phase war ich hinweg. Nur deshalb wohl hatte Hitomi auch keinerlei Einwände erhoben, als Van mich als seine Trauzeugin bei der Hochzeit, die wohl unvermeidlich auf Hitomis Rückkehr hatte folgen müssen, dabei haben wollte. Drei Monate hatten die Vorbereitungen für dieses Fest gedauert, aber heute war der große Tag. Die Zeremonie hatte, den alten fanelischen Traditionen folgend, bei Sonnenaufgang stattgefunden, sollte doch der anbrechende Tag das nun beginnende, gemeinsame Leben des Brautpaares symbolisieren. Gesegnet von den ersten Sonnenstrahlen, hatten die Priester das Königspaar hochleben lassen und in einem feierlichen Zug von der Heiligen Lichtung in den Palast geführt. Dort hatten sich Van und Hitomi auf dem großen Balkon dem wartenden Volk präsentiert, ehe eine stundenlange Audienz gefolgt war, bei der die Vertreter der Stände, die Abordnungen der Waldvölker und die ausländischen Gesandten ihre Glückwünsche dargebracht hatten. Erst danach hatte es etwas zu Essen gegeben. Gut, das Festbankett war entsprechend reichlich und köstlich gewesen, aber die erste Mahlzeit des Tages erst um vier Uhr nachmittags zu bekommen, war alles andere als katzenfreundlich. Dummerweise jedoch sahen die Hochzeitstraditionen es so vor, dass sowohl die Brautleute als auch die Trauzeugen ab Sonnenuntergang des Vortages fasteten, bis alle Glückwünsche nach der Zeremonie ausgesprochen worden waren, weshalb ich mich diesbezüglich auch nicht mit einem heimlichen Stück Kuchen oder einer kleinen Handvoll Sardinen aus der Verantwortung hatte stehlen können. Das war eben das Los eines königlichen Trauzeugen. Doch mittlerweile war mein Magen von den Kniekehlen wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückgekehrt und die königliche Tafel war aufgehoben worden. Wir hatten uns zum letzten Programmpunkt des Tages vorgearbeitet: dem Ball. Normalerweise sah ich gerne solchen Festen zu und bewunderte die Eleganz und Leichtigkeit, mit der die Tänzer über das Parkett schwebten. Selbst zu tanzen kam für mich nicht in Frage, denn erstens wurde ich als Katzenwesen, trotz aller Toleranz und Gleichberechtigung, die hier in Fanelia hoch gehalten wurde, nicht aufgefordert und zweitens hätte ich mich mit meinen Pfoten zwischen all den glänzenden Stiefeln und hochhackigen Schuhen fehl am Platze gefühlt. Doch heute Abend hatte mich der Anblick von Van und Hitomi beim Eröffnungstanz mit einer Frage konfrontiert, die ich in den vergangenen Wochen erfolgreich verdrängt hatte und die dem Fest für mich einen schalen Beigeschmack gab, weshalb ich mich auf den rückwärtigen Balkon zurückgezogen hatte: Was sollte nun aus mir werden? Bis zu Hitomis Rückkehr war ich Vans engste Vertraute gewesen, hatte all seine Sorgen und Gedanken gekannt und geteilt. Doch dieses Amt stand nun rechtmäßig seiner Gemahlin zu. Königliche Beraterin konnte ich auch nicht werden, denn für diese Aufgabe fehlte mir das nötige politische Geschick, abgesehen davon hatte Van schon genug fähige Menschen um sich, die in dieser Funktion ihr Bestes für Fanelia gaben. Ich war weder Krieger noch Hofdame und beides wollte ich auch nicht sein. Gerade bei dem Gedanken an Letzteres stellten sich mir nicht bloß die Nackenhaare auf, fühlte ich mich doch in den damit verbundenen Roben, so wie der, die ich heute ausnahmsweise trug, herzlich unwohl. Unwirsch zupfte ich an dem lilablassblauen Stoff. Nein, das war wirklich nicht mein Ding. Aber 'beste Freundin des Königs' war keine Aufgabe, nichts, was die Stunden des Tages sinnvoll füllte und einer aktiven Katze wie mir Befriedigung verschaffte. Seufzend lehnte ich mich auf die hölzerne Brüstung des Balkons und sah hinaus in die stille Nacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)