Lassie von SummoningIsis ================================================================================ Kapitel 2: Verwirrung --------------------- EIn groooßes Dankeschön an ALLE Reviews, die motivieren einen ;) Und natürlich an Mondlilie für diese schnelle Korrektur :) VERWIRRUNG Es war bereits dunkel, als ich meine Straße entlang ging, der beißend kalte Wind mir ins Gesicht peitschend. Der Bus war einfach nicht gekommen, ich hatte die letzten Stationen zu Fuß gehen müssen. Ich war nass, durchgefroren, verwirrt und aufgewühlt. Sauer? Er hatte nichts mehr gesagt. Er hatte mir tief in die Augen geschaut. Minutenlang. Ich wusste, dass er in seinem Innern einen harten Kampf hatte mit sich selbst ausfechten müssen. Und er hatte diesen verloren. „Geh!“, hatte er mich angeschrieen und ich war zu schwach gewesen, um zu reagieren. Zu erschrocken durch seine harte Geste, durch seine Finger, die sich brutal in mein Fleisch gruben und mich regelrecht aus seinem Haus schubsten. Ich konnte den lauten Türknall noch immer in meinem Kopf vernehmen. Sturmklingeln hatte nichts gebracht. Gabriel hatte mich komplett ignoriert. Er hatte mich verstoßen. Mich im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen lassen. Nicht das erste Mal, doch dass ich mich daran gewöhnt haben sollte, konnte ich nicht behaupten. Ich war mir mittlerweile nur einer einzigen Sache bewusst: Ich hatte mich in ihn verliebt. Und deswegen wünschte ich mir, ich wäre niemals auf seine letzte Einladung eingegangen. Dass es diesen intensiven Kontakt nie gegeben hätte. Dass er diese Dinge niemals zu mir gesagt hätte. Dass ich diese dämliche E-Mail einfach niemals gelesen hätte! „Wo warst du denn bitte?!“, herrschte mich mein Vater direkt als Begrüßung an, als ich es noch nicht einmal geschafft hatte, meine Jacke auszuziehen und triefend nass, wie ich war, im Flur stand und ihn ansah. „Weg“, antwortete ich knapp und schlüpfte zunächst aus meinen Schuhen. „Aha…“, murmelte und betrachtete mich noch eine ganze Weile beim Entkleiden. „Ist was?“, zischte ich, ohne ihn anzusehen. Nur aus dem Augenwinkel erhaschte ich sein Kopfschütteln. „Ich hab mir vorhin Spaghetti gemacht“, wechselte er eilig das Thema, so als hätte er erraten, dass es mir momentan wirklich nicht gut ging und eine Konversation sowieso nicht zustande kommen würde. „Ich hab dir was übergelassen, du kannst es dir in der Mikrowelle warm machen.“ Mit diesem Satz verschwand er wieder in Richtung Wohnzimmer und ich schleppte mich nach oben, ließ mich auf’s Bett sinken und lauschte dem hochfahrenden Laptop. Was hatte ich eigentlich erwartet? Dass ich sofort eine weitere E-Mail vorfinden würde, in der Gabriel sich entschuldigte und mich bat, wieder zurück zu kommen? Mein Posteingang war komplett leer und ich musste mich damit abfinden, dass er mir auch nicht mehr schreiben würde, weil er sich scheinbar selbst dazu zwang, mich abzuschreiben. Da war es wieder. Dieser kleine Sprung meines Herzens. Eigentlich begehrte er mich… Das sollte ich nicht vergessen… „Was machst du mit mir…“, hatte er gewispert und selbst die reine Erinnerung an seine samtig weiche Stimme ließ mich wohlig erschaudern. Eine seichte Wärme überkam mich und ich schloss die Augen, zeichnete sein Gesicht in meinem Kopf, malte mir seine stechenden Augen aus, stellte mir vor, wie es wäre, mit meinen Fingern durch sein Haar zu streichen, mich an ihn zu schmiegen… Er hatte sich fantastisch angefühlt. Sein Körper war so warm gewesen. Seine Nähe hatte mir so gut getan. Auch wenn sie nur für wenige Sekunden bestanden hatte. Er hatte mich in meinem Innersten berührt, mit seinen Händen und vor allem seinen Worten, seinen rauen Lippen… Scheiße. Ich hatte tatsächlich mit meinem Geschichtslehrer rumgeknutscht! Diese plötzliche Erkenntnis ließ mich lauthals auflachen. Doch nur für eine kurze Zeit. Denn dieser sich ausbreitende Schmerz in meiner Brust übernahm meine gesamte Gefühlswelt und glich sie der eisigen Landschaft, die unsere Stadt umgab, vollkommen an. Ich wusste nicht mehr, wie ich damit umgehen sollte. Ich musste das alles irgendwie vergessen... Der kommende Schultag war beruhigend. Keine Geschichtsstunde stand auf dem Plan. Auf dem Klo wurde ich zwar von einem Abiturienten, der eher wie ein zum Leben erwachter Muskel aussah und sich vermutlich nur von Eiweißshakes ernährte, als „dumme Schwuchtel“ bezeichnet, als ich ihm aus Versehen den Weg abschnitt, aber damit konnte ich leben. Sowas tangierte mich momentan einfach nicht. Und das Beste war: ich lief Gabriel den gesamten Tag nicht über den Weg. Ich war froh, dass Inga etwas äußerst Wichtiges zu berichten hatte - ein Date mit einem Studenten, den sie am vorigen Tag zufällig in dem Café kennengelernt hatte, in dem sie sich mit ihrer Cousine hatte treffen wollen – und die gesamte Pause von ihm erzählte. Natürlich freute ich mich für sie. Aber ihre Begeisterung, die sie so offen nach Außen trug und diese strahlenden Augen versetzten mir dennoch einen tiefen Stich. Ich wäre auch gern glücklich… Wieder musste ich an diesen intensiven Kuss denken… An Gabriels Augen, seine Hände, seine Lippen, seine Zunge, seine Stimme… „Hallo, hörst du mir überhaupt zu?!“, schreckte Ingas Stimme mich auf und ich sah sie verdutzt an. „Sorry, ich war gerade abgeschweift“, murmelte ich. „Du sagtest?“ Und sie legte erneut los. Als wir zum Matheraum schlenderten, fragte Josh mich plötzlich: „Was ist eigentlich mit dir los?“ Erneut schaute ich verdutzt drein. „Wie, was soll denn mit mir los sein?“, gab ich zurück, mit den Schultern zuckend. Josh schüttelt kurz den Kopf und schmunzelte. „Das frage ich dich ja gerade. Du bist so oft in Gedanken. Willst du nicht endlich ausspucken, was los ist? Oder zwingst du uns, nachzuforschen?“, entgegnete er fest. „Bloß nicht!“, rutschte es mir sofort raus und als ich Josh einen kurzen Seitenblick zu warf, war dessen rechte Augenbraue in Skepsis hochgezogen. „Bloß nicht was?“, hakte er umgehend nach. „Ich werd’s euch schon noch erzählen…“, log ich. „Wenn ich selber weiß, was eigentlich los ist.“ „Okay“, sagte er, als wir den Raum betraten und uns zu unseren Standardplätzen schleppten. „Wenn du darüber reden willst, ich hör dir immer zu.“ Ich lächelte dankbar, auch wenn ich mich schäbig fühlte, dass ich ihn angelogen hatte. Aber es war nun mal nicht möglich, ihm diese Geschichte anzuvertrauen. Schon alleine, weil ich Gabriel gesagt hatte, ich würde niemandem davon erzählen. Gabriel… Ich sagte mir, ich würde stark sein. Ich befahl mir, mich in die nächste Geschichtsstunde zu setzen und alles wie gewohnt durch zu ziehen. Ich war mir sicher, dass ich hart genug sein könnte, um diese mich bezwingenden Gefühle schlagen zu können. Doch als mich dann einige Tage später mit Inga auf dem Weg zur Geschichtsstunde befand, bekam ich weiche Knie. Erneut hatte sie die ganze Zeit von dem Studenten – Stefan – gesprochen, mit dem sie sich wieder treffen wollte, mit dem sie bereits wundervolle Stunden verbracht hatte und sich sicher war, ihn als festen Freund gewinnen zu können. Ich war erfreut und entsetzt zugleich, weil meine Gedanken immerzu zu Gabriel schweiften. Zu Hinrichs. „Alter!“, sagte Inga energisch, als ich ihr mitteilte, ich würde schwänzen. „Weißt du eigentlich wie viele Fehlstunden du schon hast?!?!?! Das kannst du nicht machen!“ Sie packte mich am Arm und zog mich in den Unterricht. Ich hatte verloren, denn Gabriel (oder Hinrichs, wieder einmal war ich mir nicht sicher, wie ich ihn nennen sollte), hatte uns bereits einen kleinen (kalten) Seitenblick zugeworfen. Jetzt konnte ich nicht mehr verschwinden, ohne dass er mich aufhalten und eine Szene machen würde. Widerwillig ließ ich mich auf meinem Stuhl nieder und starrte aus dem Fenster. Inga erzählte gerade ihrer Sitznachbarin von Stefan und ich war froh deswegen. Ich war wirklich nicht in Stimmung, mich zu unterhalten. Nicht jetzt. Nervosität hatte mich gepackt. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. All mein eigenes Einreden, die Sache zu begraben und meine Gefühle zu unterdrücken, erschien nichtexistent. Mein Herz klopfte und vor meinem inneren Auge spielten sich wieder die Szenen aus dem Hausflur ab. Nein, ich konnte ihm heute nicht in die Augen blicken. Wahrscheinlich nie wieder. „Wir fangen an“, ertönte seine strenge Stimme, als er die Tür schloss und sich zu seinem Pult bewegte. Unruhig rutschte ich auf dem Stuhl herum, während er irgendetwas über die Demilitarisierung erzählte. Ich starrte weiterhin aus dem Fenster und versucht nicht, seiner Stimme zu lauschen und mich an die Worte zu erinnern, die er mir gesagt hatte. Diese wundervollen, schönen Worte. „Erzähl uns doch etwas über den Marshall-Plan, Jonas.“ Ich schreckte auf, als ich meinen Namen hörte und noch mehr, als ich aufsah und er mir direkt in die Augen schaute. Er lehnte mit verschränkten Armen gegen sein Pult, die Beine leicht übereinander geschlagen. Sein Blick war hart. Ich schluckte. Marshall-Plan? Kacke, da war doch etwas. Inga fing an, mir etwas von der Seite zuzuflüstern. „Hör auf ihm etwas vorzusagen, oder du darfst gerne eine dreiseitige Ausarbeitung zum Thema Marshall-Plan schreiben“, fuhr Hinrichs sie an und sie zuckte zusammen. „Sorry“, meinte ich sie noch flüstern zu hören. „Hast du Seite 34-35 nicht gelesen?“, fuhr Hinrichs unbeirrt in seinem typischen, mit Vorwürfen gespickten Ton fort und umkreiste nun sein Pult. „Das war Hausaufgabe.“ „Tut mir leid. Hab ich vergessen…“, murmelte ich und merkte, dass ich etwas heiser klang. „Mit deinen Fehlstunden, sollte dir das auch leid tun“, sagte er streng und blätterte in seinem kleinen, hässlichen roten Lehrerbüchlein, in dem er die Anwesenheit und Noten penibel eintrug. Ich merkte, wie mir einige meiner Schüler hässliche, zum Teil aber auch bemitleidende Blicke zuwarfen. Marie, die eigentliche Streberin, verdrehte die Augen. Auch sie hasste Hinrichs Umgangsweise mit den Schülern. „Können wir einfach im Stoff weitermachen?“, fragte sie ihn genervt und warf mir einen „mach dir nichts draus“-Blick zu. „Würde ich ja gern, aber Jonas verhindert das“, antwortete er ruhig und Marie stockte für eine Sekunde. „Ich weiß aber, was der Marshall-Plan ist“, sagte sie und setzte zu ihrer Antwort an, doch Hinrichs schnitt ihr einfach das Wort ab. „Ich habe dich aber nicht dran genommen“, sagte er kalt und fuhr dann, ohne mich eines Blickes zu würdigen fort: „Jonas, zur nächsten Stunde möchte ich von dir die dreiseitige Ausarbeitung haben.“ Dann sah er sich in der Klasse um und nahm extra die Schüler dran, von denen er einfach wusste, dass sie die Hausaufgaben ebenso nicht gemacht hatten. Insgesamt verteilte er noch zwei Extraausarbeitungen. So ein… Der Gong ertönte. Als ich an seinem Pult vorbeiging, hielt er mich auf. „Ich hab’s mir anders überlegt“, sagte er, ohne von seinen Notizen aufzuschauen. „Ich will, dass du ein Referat über den Marshall-Plan hältst. Nächste Woche Donnerstag, 10 Minuten, OK?“ Ich verließ schweigend den Raum. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen. ER WUSSTE, DASS REFERATE MIR SCHWER FIELEN! „So ein Wichser!“, fluchten wir alle vier, während wir oben im 6. Stock rauchten und aus dem Fenster starrten. Inga schüttelte genervt den Kopf. „Er ist wahrscheinlich auch so ein homophobes Arschloch, das dich extra piesackt, weil er sich dann sicherer fühlt. Wichser!“, fluchte sie und mir wurde bei ihren Worten ganz kalt, aber ich nickte tapfer und nahm einen weiteren Zug meiner Zigarette. „Das schaffst du schon“, sagte Martin. „Du musst echt so tun, als würde es dir leicht fallen. Dann hat er verloren!“ „Referate fallen mir aber nun mal richtig schwer!“, zischte ich wütend. „Ich hasse Referate!!!“ „Ich weiß…“, murmelte Martin und seufzte. Der Tag war scheiße. Einfach nur scheiße. Ich fühlte mich wie ein zu oft getretener Hund, der dann auch noch vor die Haustür gesetzt wurde. Und dazu war ich auch noch wütend. So sauer, dass ich meinte, mein Kopf hätte die Farbe einer überreifen Tomate angenommen. Zudem entdeckte ich auch noch, dass ich meine dämliche, dicke Strickjacke, die ich unter der Winterjacke trug, im ebenso beschissenen Klassenzimmer hatte liegen lassen. Unserem Geschichtsraum. Ich verabschiedete mich von meinen drei Freunden und stampfte den leeren Flur entlang. Entweder waren die anderen Schüler zur siebten Stunde bereits in ihren Klassenräumen eingesperrt worden, oder sie befanden sich längst auf dem Heimweg. Ich Idiot würde meinen Bus verpassen und diese Tatsache machte mich nur noch rasender. Ich stampfte in den Raum und bekam noch gerade die letzten Sätze mit, die Hinrichs mit einem Schüler wechselte, den ich vom Biologiekurs kannte und der noch schüchterner vor der gesamten Klasse war, als ich. „Kein Aber, wenn ich Referat sage, dann meine ich Referat“, schnauzte Hinrichs den Schüler an, der wütend seine Schultasche schnappte und „ist ja gut!“, schon fast zurückbellte. Er rauschte an mir vorbei, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Er war wohl genauso angepisst wie ich und knallte die Tür laut zu. Ich grinste kalt und schüttelte den Kopf. Im selben Moment sah Hinrichs mich an. „Sieh an, auch hier, um mich wegen des Referates anzubetteln?“, sprach er mich kalt an. Ich ignorierte ihn und lief zu meinem Platz, doch die Strickjacke war weg. Na toll. „Suchst du deine Strickjacke?“, fragte er plötzlich und ich wirbelte herum. „Ja“, antwortete ich knapp und hart. „Haben Sie sie gesehen?“, fragte ich ausdruckslos. „Ja, ich habe sie dorthin gehangen“, entgegnete er und deutete auf den Hacken in der vorderen Ecke des Raumes, rechts von der Tafel. „Danke“, sagte ich kurz und marschierte zum Haken. „Deine Fehlzeiten überschreiten das Maximum bereits“, sprach er unberührt weiter, seine Nase in dieses eklige rote Heft vergraben. „Ich denke, das wird ein satter Unterkurs und ich werde eine Konferenz wegen dir einberufen müssen…“ Dies war der Satz, der mir einen kalten Schauer über den Rücken kriechen ließ, der meine Knie weich machte und gleichzeitig das letzte mentale Seil durchtrennte, welches meinen Ärger noch zu zügeln vermochte. „Du weißt ganz genau, warum ich so oft nicht da war, du Arschloch!“, brüllte ich ihn regelrecht an und knallte meine Handfläche aufs Pult, was ihn erschreckte. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er mich an – und erhob sich, baute sich vor mir auf, sein Blick von Zorn gezeichnet und von Überraschung. „Was erlaubst du dir eigentlich?!“, zischte er und ging einen Schritt auf mich zu. „Wieso bist du eigentlich so unfassbar scheiße?“, fragte ich ihn weiter und eine Antwort blieb ihm im Hals stecken. „Wieso verhältst du dich wie das letzte Arschloch und bist so unglaublich unfair und sadistisch zu deinen Schülern?“ Nein, ich dachte nicht nach, alles floss einfach aus mir heraus, so als wäre ein Damm gebrochen und das Wasser würde einen freigelegten Weg entlang rauschen. „Weil…“, sagte er hart, doch erneut führte er seinen Satz nicht zu Ende. Ich war kurz davor zu explodieren, ich zitterte und mein Kopf fühlte sich warm an. „WEIL?!“, schrie ich und es war mir egal, ob uns jemand hören würde. Ich schluckte kurz, als er noch einen weiteren Schritt auf mich zuging, doch ich wollte nicht zurückweichen! Er würde mir keine Angst einjagen, er… ergriff mein Gesicht mit beiden Händen und presste seine Lippen hart auf die meinigen. Im ersten Augenblick wurde mir schwarz vor Augen. Vor Überraschung, Wut, Freude, all diesen Gefühlen, die sich zu einem explosiven Gemisch vermengten, das mich dazu brachte, mich zu verkrampfen. Ich erschrak leicht, als seine Zunge langsam über meine Unterlippe strich. Diese sanfte Bewegung war es, die alles wie ein Orkan hinwegfegte, die mich meine Augen schließen ließ; meine Muskeln entspannten sich und ich öffnete ganz leicht meinen Mund. Ich kann nicht beschreiben, wie es sich anfühlte, als unsere Zungen ein weiteres Mal aufeinander trafen, sich umkreisten, wie bei einem Tanz; als er seine Arme vollends um mich schlang und seine Hände unter meinen Pullover wanderten, das erste Mal meine Haut berührten, sanft über meinen Rücken glitten; als ich gegen ihn lehnte, und unseren Körperkontakt intensivierte, seine Brust an meine gepresst spüren konnte. Als wir den Kuss brachen, blickte er mir tief in die Augen, ohne von mir abzulassen. „Damit so etwas nicht passiert…“, flüsterte er schließlich als Antwort auf meine im Zorn geäußerte Frage und er sah dabei so zerbrechlich aus, ein Anblick, den ich für unmöglich gehalten hatte. Ich musste schlucken und sah mich nicht in der Lage, etwas zu sagen. Minutenlang standen wir aneinandergepresst im leeren Klassenzimmer und gerade, als er etwas sagen wollte, hörten wir sich annähernde Schritte. Wie zwei aufgeschreckte Katzen sprangen wir auf und brachten etwa zwei Meter Freiraum zwischen uns. Eilig schnappte ich mir meine Strickjacke und wir blieben still, unsere Blicke auf die Tür gerichtet. Die Schritte und einige aufgebrachte Jungenstimmen entfernten sich. Erst als es wieder komplett ruhig war, wagten wir es, uns zu bewegen, uns erneut anzusehen. „Was… Was jetzt?“, brachte ich heraus, als ich erkannte, dass Gabriel nichts sagen würde. Langsam ließ er sich auf sein Pult nieder und strich sich mit einer Hand übers Gesicht. Er seufzte schwer und starrte eine Weile den Boden an. Stille umgab uns. Dann richtete er seinen Blick wieder auf mich. „Du weißt, dass das nicht geht“, sagte er ruhig, ohne wirklich zu überzeugend zu klingen. Mein Herz fing an in einem rasanten Tempo zu schlagen. „Ich bin dein Lehrer…“ „Und was wäre, wenn ich nicht dein Schüler wäre?“, fragte ich erneut. „Fangen wir wieder mit diesem Spielchen an?“, hakte er traurig lächelnd nach. Ich nickte. „Dann wärst du mir einfach zu jung…“, fügte er milde hinzu und schaute zu Boden. „Es gibt Krasseres…“, sagte ich, wie schon einige Tage zuvor. Wir schwiegen. Und dann schaute er mir erneut in die Augen. „Ich will dich…“, wisperte er und mein Herz blieb beinahe stehen. „Aber es geht nicht…“ „Natürlich geht es! Ich will es, du willst es, was ist das Problem?!“, gab ich leise zurück. Er lachte traurig. „Jonas, wie oft soll ich es noch sagen, du bist mein Schüler! Ich könnte meinen Job verlieren und es könnte sogar noch viel schlimmer kommen, wenn das rauskommen würde!“ „Wieso zum Teufel küsst du mich dann ein zweites Mal?!“, herrschte ich ihn an. „Wenn du mich verarschst und nur mit mir spielst ist das nicht so schlimm, wie mit mir zusammen zu sein, oder was?!“ „Ich hatte mich nicht unter Kontrolle!“, gab er lauter zurück und erhob sich wieder vom Pult. „Es ist meine Schuld, okay? Ich bin ein furchtbarer Lehrer, okay? Ich hab wieder einen Fehler gemacht, okay? Ich kann mich bei dir einfach nicht zurückhalten, okay?“, fluchte er, mit seinen Armen gestikulierend. „Dann halt dich nicht zurück…“, wisperte ich und sah aus dem Fenster. Es tat weh. Es schmerzte fürchterlich als „Fehler“ bezeichnet zu werden. So kurz vor dem Ziel zu sein und sich doch in einer so aussichtslosen und fatalen Situation zu befinden, in der es keine Regeln gab. Oder besser gesagt: Die ein Verstoß gegen die Regeln war. Gabriel seufzte ein weiteres Mal und strich sich fahrig durchs eigene Gesicht, als würde er all seine Frustration damit loswerden oder auf irgendeine Lösung kommen können. „Und wie stellst du dir das vor?“, wandte er sich plötzlich wieder an mich. Ich konnte seine Laune anhand seiner Augen nicht ablesen. „Sagen wir mal, wir fangen diese Beziehung an. Wie stellst du dir das vor? Wir würden uns heimlich treffen müssen, du dürftest niemandem davon erzählen. Wir würden nicht hier in der Stadt spazieren gehen können. In der Schule müsstest du absolut so tun, als würdest du mich weiterhin hassen. Wenn all deine Freunde irgendwo hingehen werden mit ihren festen Freundinnen oder Freunden, wirst du allein sein müssen. Es würde keine Videoabende mit Freunden geben, du müsstest alle belügen, auch deine eigene Familie. Verstehst du das Jonas?“, redete er energisch auf mich ein. „Und glaub mir, es ist schon schwer genug, meine Sexualität an der Schule geheim zu halten und wann immer ich einen festen Freund hatte, war es schwer, sich bedeckt zu halten. Aber mit dir… Das wäre… noch schlimmer für mich.“ Ich hatte es nicht bemerkt, doch jetzt, da diese heißen Tränen über meine Wangen liefen, spürte ich dieses Brennen hinter meinen Augenliedern und ebenso in meiner Brust, meinem Hals. Ich biss auf meine Unterlippe, um mich vom Weinen abzuhalten. Ich wollte ihn so sehr! Doch alles, was er sagte, war wahr. Alles was er sagte schmerzte mich, es traf mich wie ein spitzer Pfeil. Und dennoch konnte dieser Angriff meine bereits blühenden Gefühle für ihn nicht unterdrücken. Vielleicht nannte man so etwas ja auch Naivität oder auch Beharrlichkeit. „Aber du weißt doch gar nicht…“, setzte ich stotternd ein und musste erstmal meine Tränen wegwischen und mich räuspern, um überhaupt weiter zu sprechen. Gabriel schaute mich mit einer traurigen Miene an. „Du weißt doch gar nicht, wie es sich anfühlen wird mit mir… Wir… haben’s ja noch nicht mal versucht!“ „Aber du hasst mich doch!“, antwortete er umgehend, seine Stimme bebend. „Ach, der dumme Hinrichs, dieser Wichser!“, imitierte er mich. „Denkst du, so etwas bleibt einem als Lehrer verborgen?“ Ich schluckte. Wir schauten uns an. Brachen den Augenkontakt nicht ab. Ich holte Luft. „Ja, ich hasse Hinrichs“, sagte ich schließlich und sah ihm direkt in die Augen. „Weil er ein unfairer, schlecht gelaunter Lehrer ist und immer auf allen rumhackt und ungerecht ist.“ Meine Stimme zitterte, doch ich fuhr fort. „Aber Gabriel, oder Rob, je nachdem wie man das sehen will… ist anders. Er ist… toll…“ Stille umgab uns und Gabriels Mund stand halb offen, sein Blick verwundert, verletzt? Er verdeckte sein Gesicht mit beiden Händen und seufzte laut. Dann schüttelte er den Kopf und sah mich wieder an. Erneut schien er einen inneren Kampf auszufechten. Und dieses Mal… gewann er. „Sag mir einfach, dass du es ernst meinst und nicht einfach geil auf nen Lehrer-Schüler-Fick bist“, murmelte er, während er mir direkt in die Augen sah. „Ich meine es ernst!“, gab ich fest kund und er seufzte erneut. „Scheiße…“, murmelte er, wie zu sich selbst, und ließ seine Schultern leicht hängen, schloss die Augen. Ich war nicht imstande mich zu bewegen, geschweige denn meine Augen von ihm zu reißen. Ich wartete. Ich zitterte. Ich betete zu einem namenlosen Gott. Als er seine Augen erneut auf mich richtete, zuckte ich unmerklich zusammen. Abermals entwich ein Seufzen seinem Mund und ein angedeutetes, mattes Lächeln formte sich auf seinen Lippen. „Wir sollten uns auf dem Schulgelände nicht küssen… Das ist einfach zu riskant. Okay?“, richtete er seine Worte an mich und ich brauchte zunächst einige Sekunden, um zu realisieren, was Gabriel da eben gesagt hatte und was sein Satz bedeutete. „Heißt das…?“, sagte ich, da stand er schon bei mir. „Setz dich in den Bus und komm zu mir. Ich kann dich nicht mit dem Auto mitnehmen, das ganze Lehrerzimmer ist noch voll, alles klar? Ich werde auf dich warten, okay?“, fragte er mich und ich nickte einfach nur. „Okay… Dann… Bis später“, waren seine letzten Worte, nach denen er sich schnell seine Tasche schnappte War ich in Trance? Mir war so, als würde mich den gesamten Weg eine Art Nebel umgeben. Vermutlich hatte ich sogar Angst, ich würde aus diesem Traum erwachen und der bitteren Realität ins Auge blicken. Aber die Realität war zur Zeit gar nicht bitter. Nein, sie war das Gegenteil. Sie war süß. Zuckersüß, so wie auch der Duft war, der mir entgegenwehte, als Gabriel die Tür öffnete und mich eilig hineinwinkte. „Wir müssen auch wegen der Nachbarn aufpassen und uns etwas ausdenken“, sagte er, als er durch den Türspalt hinausspähte und die Tür dann schloss und seinen Blick auf mich richtete. Ich schluckte. Wir standen in dem Flur, in dem wir uns das letzte Mal geküsst hatten. Kurz bevor er mich rausgeworfen hatte. Und nun wusste ich abermals nicht, wie ich mich zu verhalten hatte, nun, da wir mehr oder weniger „offiziell“ zusammen waren… Oh, mein Gott. Erst hier in seinem Flur, mit seinem Blick auf mich gerichtet, erfasste mich diese Realisation. Wie in Zeitlupe spielten sich die folgenden Szenen ab, in denen Gabriel an mich herantrat und mir zunächst einen kleinen Kuss auf die Wange hauchte; in denen wir einander anschauten und uns anlächelten und die Arme auf die Hüften des jeweils anderen legten; Szenen, in denen wir uns abermals innig küssten und umarmten. Und dieser süße Duft war immer noch präsent. „Ich hab uns Pfannkuchen gemacht…“, erklärte Gabriel mir plötzlich, so als hätte er meine Gedanken gelesen. „Die mag ich total…“, antwortete ich und immer noch ließen wir nicht voneinander ab. Er fühlte sich perfekt an, es war so wunderschön von jemandem festgehalten zu werden, von Gabriel festgehalten zu werden. Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, bis wir uns endlich in die Küche bewegten, die leckeren Pfannkuchen aßen, die Gabriel zubereitet hatte und er mir endlich den Rest seines Hauses zeigte. Mir wurde bei der Betrachtung des im dunkelrot gehaltenen Schlafzimmers etwas kribbelig, vor allem als meine Augen an dem gemütlich aussehendem Doppelbett hängen blieben und sich in meinem Kopf automatisch zig Fantasien abspielten… Und dann saßen wir den Rest des Tages auf dem Sofa, schauten uns „High Noon“ und noch einen weiteren Western an, auch wenn ich nicht wirklich viel von den Klassikern mitbekam, da ich Gabriel als weit interessanter befand und meine Augen ständig zu ihm wanderten, meine Sinne sich auf seine Finger konzentrierten, die unablässig über meine Hand strichen, die ich frech auf seinem Oberschenkel platziert hatte. Nach einer Weile hatte er sogar seinen Arm um mich gelegt und mir einige zarte Küsse auf die Stirn gehaucht. Als der zweite Film zu Ende war, knipste er den Fernseher aus und dafür die Anlage wieder an. Irgendein Oldie-Radiosender lief. Gabriel lächelte und rutschte wieder zu mir aufs Sofa. Wir küssten uns erneut, leidenschaftlich, tief, atemberaubend. Und dann klingelte mein Handy. Es war mein Vater. „Sag mal, wo bleibst du bitte?!?!“, ertönte seine gereizte und durch die Leitung ganz leicht verzerrte Stimme. Oh, Scheiße! Den hatte ich völlig vergessen. Ich versuchte ihn zu beruhigen und entschuldigte mich, tischte ihm die Lüge auf, ich sei noch mit Martin in die Stadt gegangen und wir hätten einfach die Zeit vergessen. Er beruhigte sich ein wenig und ich sagte ihm, ich würde in den kommenden Stunden zuhause eintrudeln. Als ich mein Handy ausschaltete, hörte ich Gabriel weich seufzen. „Darüber müssen wir wohl auch noch reden, was?“, wendete ich mich leicht grinsend an ihn. „Wir müssen noch über vieles reden“, entgegnete er schließlich, als ich mich wieder zu ihm setzte und er seinen Arm nur langsam um meine Schultern legte. Ich schmiegte mich an ihn und nahm meinen Mut zusammen, bewegte meinen Kopf noch weiter in seine Richtung und ließ meine Lippen auf die seinigen sinken. Er kam mir mit seinen entgegen, erwiderte meinen zaghaften Kuss und ließ seine Finger sachte durch mein Haar streicheln. Er lächelte traurig, als wir den Kuss lösten. Und dann sprachen wir noch lange miteinander. „Ich hätte niemals gedacht, dass… dass es so weit kommen würde“, sagte er zum tausendsten Male lachend und sah mich dabei an. „Ich hatte mir wirklich vorgenommen, niemals etwas mit einem Schüler anzufangen. Ehrlich gesagt, hatte ich auch nie dran geglaubt, dass ich mich in einen meiner Schüler vergucken würde und dieser meine Gefühle erwidern würde…“ „Jetzt kannst du aber auch nichts daran ändern“, feixte ich. „Ja, das geht wohl jetzt nicht mehr“, gab er in seinen Gedanken verloren zurück. Wir sprachen darüber, dass wir seinen Nachbarn, sollten sie fragen, erzählen würden, ich sei sein Nachhilfeschüler, da sein Gehalt als Oberstufenlehrer einfach nicht ausreichte; meinen Freunden würde ich heftigere Lügen auftischen müssen, wenn es um Treffen ging, aber darüber wollte ich mir noch keine Gedanken machen. Nein, ich wollte es mir nicht versauen, diese Momente hier in seinen Armen, auch wenn Gabriel mir beharrlich und mit ernster Stimme einzutrichtern versuchte, dass ich mir ständig im Klaren über „unsere Situation“ sein müsste und mich kein einziges Mal vergessen dürfte. Aber nein... Ich wollte noch nicht darüber nachdenken. Obwohl mir schon klar war, dass es hart werden würde. War es auch. Als ich zusammen mit Inga, die nun tatsächlich mit Stefan zusammen war und fast gar nichts mehr um sich herum mitbekam, den Flur entlang ging, pochte mein Herz bei jedem Schritt, mit dem ich mich näher zu Gabriel bewegte. Als wir den Raum betraten war es so, als würde ich zum aller ersten Mal eine für mich völlig fremde Welt betreten, obwohl alles so war wie immer. Der Lärm der sich annähernden Schüler, das Quietschen der Tische und Stühle, die eingenommen wurden, der Wirrwarr der Stimmen, die gequälten Gesichter, die jetzt alles andere lieber gemacht hätten als hier mit ihrem Lehrer die Geschichtsstunde zu bestreiten. Mit Gabriel. Mit Hinrichs. Er saß bereits am Pult, las irgendein Magazin, ohne den Kopf auch nur einmal zu heben. Es blieben noch exakt drei Minuten bis zum Beginn der Stunde. Ich fühlte mich wie ein Sportler, vor einem wichtigen Wettkampf, der sich die gesamte Zeit seiner Vorbereitung durch den Kopf gehen ließ, auf das Getane zurückblickte, seine Sinne schärfte und seinen Körper auf die zu erbringende Leistung vorbereitete. Ich schreckte auf, als ich ihn die Tür schließen hörte und seine Stimme wie aus dem Off zu mir drang: „Die Stunde geht los.“ Ich wollte es verhindern, aber ich musste ihn umgehend ansehen, ihn dabei betrachten, wie er sich wieder zum Pult bewegte, in seiner grauen, etwas weiteren Hose und dem dunkelgrünen, engeren Hemd, wie er seine Augen über die erste Reihe wandern ließ und jemanden zum Vorlesen benannte. Speichel sammelte sich in meinem Mund und es passierte genau das, was ich hatte zu verhindern versucht: Bilder unseres Zusammenseins, der innigen Küsse, flossen in mein Gedächtnis; es war ein Film, den ich nicht abschalten konnte und der mein gesamtes Denken einnahm, keinen Platz mehr für die Realität bot. Ich wusste, dass es falsch war, aber ich versucht dennoch nicht einmal, diesen Fluss zu stoppen. Er wurde von jemand anderem gestoppt. Von Gabriel. Von Herr Hinrichs. „Jonas, dein Referat?“, wandte er sich an mich und ich stolperte, als ich mich viel zu eilig von meinem Platz erhob und meine wenigen Karteikarten aufsammelte, die dadurch natürlich auf den Boden gefallen waren. Es gelang mir nicht das Kichern, welches von einigen Ecken des Raumes zu mir zu dringen schien, zu ignorieren und dieses Gefühl der leichten Beschämtheit wegzustecken und mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Gabriels Blick, der auf mich gerichtet war, machte alles nur noch schlimmer. Hinrichs Blick! Ich musste bereits jetzt schon daran anfangen, Gabriel an der Schule als Herr Hinrichs zu sehen; den Lehrer, den ich hasste und nicht den Kerl, mit dem ich zusammen war... Wow, es war immer noch unbeschreiblich diesen Fakt selbst in meinem Kopf zu äußern... Und mit diesem Gedankengang verpasste ich mir selbst eine imaginäre Ohrfeige und zwang mich, nicht in seine Richtung zu sehen, sondern mich vor der Tafel hinzustellen, einen Punkt an der hinteren Wand des Raumes anzuvisieren und mein Kurzreferat einfach herunter zu rattern. Er hatte mir geholfen. Vor zwei Tagen. Ganz offiziell hier an der Schule, im kleinen Raum 101, als mein Lehrer und selbst als ich unterm Tisch meine Hand auf sein Knie gelegt hatte, hatte er sie weggeschlagen und mich kurz daran erinnert, dass wir an der Schule „nur Lehrer und Schüler“ waren. „Und vergiss nicht“, hatte er gesagt. „du hegst immer noch großen Hass auf mich, auch wenn ich dir geholfen habe!“ Und den Hass auf ihn in diesem Moment zu spüren, in dem alle gelangweilten Augen auf mir ruhten und ich leicht ins Stottern abschweifte war gar nicht sooo schwer; Minuten kamen mir wie Stunden hier vorne vor. Und ich hätte auch direkt auf Hinrichs losgehen können, weil er mir am Ende meines erbärmlichen Vortrages auch noch detaillierter Fragen stellte – so wie er es immer tat. Natürlich wusste ich die Antworten teilweise, schließlich hatte ich mich wirklich konzentriert, als wir das Thema zusammen aufgearbeitet hatten, aber es war mir trotz dieser Tatsache unangenehm vor der Klasse zu verweilen. Noch unangenehmer war es, Gabriel, nein, Hinrichs, dabei sporadisch in die Augen blicken zu müssen, mit ihm vor den anderen zu sprechen, mit all diesen neuen Emotionen und Geschehnissen, die wir erst so frisch geteilt hatten. Mir wurde in diesen Augenblicken klar, dass ich wirklich hart an mir arbeiten müsste... So wie er es mir eingebläut hatte. „Gut, du darfst dich setzen“, waren seine letzten Worte, die er an diesem Tag an mich richtete und ich kann nicht beschreiben, was für ein Glücksgefühl mich beflügelte, als ich endlich wieder an meinem Platz saß und mehr oder weniger ungestört aus dem Fenster blicken konnte, auch wenn ich mich nicht davon abhalten konnte, seiner Stimme zu lauschen und mich immer wieder ermahnte, eher auf den von ihm durchgenommenen Stoff zu achten und mir nicht in meiner Fantasie auszumalen, wie er gewisse Dinge in mein Ohr säuselte. Wir sprachen während der nächsten Tage nicht miteinander. Ich lag auf meinem Bett und starrte mein Handy an, scrollte immer wieder zu seiner Nummer und las unentwegt seinen Namen, als wäre diese einzige Bezeichnung ein mich fesselndes Buch mit nie endenden Seiten und aufregenden Abenteuern, die einen aus der Wirklichkeit entführten und in fremde Welten lockten, zum Träumen verleiteten und die Lust der Wiederkehr vollkommen verbannten. So oft war ich an diesen zwei Tagen kurz davor ihn anzurufen, einfach nur, um seine Stimme zu hören oder ihm von den leckeren Nudeln zu erzählen, die ich mir selber gekocht hatte – auch wenn er darüber wahrscheinlich nur lachen würde. Aber ich tat es nicht, weil er mir bei unserem Lerntreffen gesagt hatte, wir würden keinen Kontakt haben bis Samstag. Ja, Samstag... Ich sollte Samstag zu ihm kommen. An nichts anderes konnte ich mehr denken, bereits Freitag war ich schon so nervös, dass ich eine Stunde vor meinem Weckerklingeln erwachte und dennoch beinahe zu spät zur Schule kam, weil ich viel zu lang damit verbrachte Musik zu hören und durch das Haus zu wandern – an ihn zu denken. Erst unvermittelt vor dem Klassenraum überkam mich die Realisation, dass ich meinen Freunden etwas vorheucheln müsste, dass ich so tun müsste, als sei alles beim Alten. Sie durften meine Aufregung auf keinen Fall zu spüren bekommen! Ich begann mir bereits Ausreden für den heutigen Abend bereit zu legen. Doch Josh und Martin waren einfach zu müde, weil sie die gesamte Nacht World of Warcraft gezockt hatten, eine Angewohnheit, die in den letzten Wochen wieder aufgekeimt war, und Inga war eh an diesem Tag mit Stefan verabredet und informierte uns strahlend über den geplanten Kinobesuch. Und sie schwänzte die letzte Stunde, um sich noch schnell ein neues Outfit zu kaufen. Ich ging mit einem zufriedenen Gefühl nach Hause. Ich hatte gar nicht lügen müssen! Ich fragte mich, ob es so weitergehen würde... Ich war so nervös, als ich Gabriels Haus am frühen Samstagnachmittag betrat. „Hi“, begrüßte er mich sanft lächelnd und er war mit Geschichts-Hinrichs alles andere als vergleichbar; Gabriel war wirklich ein vollkommen anderer Mensch. „Was hast du gestern schönes getrieben?“, fragte er mich, während ich mich meiner Jacke entledigte. „Nichts“, gab ich zu, verschwieg ihm jedoch, dass ich die halbe Nacht nicht hatte schlafen können, weil ich so aufgewühlt war bezüglich unseres Treffens. „Und du?“ „Ich habe gestern meinen Unterricht fürs nächste Woche vorbereitet und mich dann noch auf ein Bier mit einigen Kollegen getroffen, im Irish Pub“, erklärte er, während wir schon im Wohnzimmer standen und er die Musik etwas leiser drehte. „Oh, Lehrer haben also doch ein Privatleben!“, witzelte ich und er antwortete grinsend: „Wir sind cooler als du denkst.“ „Ja, aber scheinbar nur außerhalb der Unterrichtsstunden“, kommentierte ich etwas spöttisch und Gabriel betrachtete mich erwartungsvoll. „Die Extrafragen nach dem Referat hätten doch wohl nicht sein müssen. Dass ich vorbereitet war, wusstest du doch schon längst.“ „Ach, das meinst du“, sagt er glucksend. „Ich stelle nach jedem Referat Fragen, wenn einige Aspekte mir zu kurz gekommen sind.“ „Ach, Quatsch!“, schnitt ich ihm frech das Wort ab und warf mich ihn angrinsend auf sein Sofa, die Beine übereinander schlagend. „Du willst genau nachprüfen, ob man sich auch wirklich aufs Referat vorbereitet hat oder, wenn du genau weißt, dass dies nicht der Fall ist, um uns vor der Klasse vorzuführen und uns so richtig in Verlegenheit zu bringen!“, konterte ich selbstsicher. Gabriel verschränkte die Arme vor seiner Brust und schaute etwas blasiert wirkend auf mich herab. Und dann lachte er und seine Haltung entspannte sich wieder. „Vielleicht hast du ja ein wenig recht“, gab er zu, zwar immer noch ein bisschen süffisant, aber in seinem Gesicht spiegelte sich Wärme wider. „Aber zum Meckern hast du doch eh keinen Grund, mein Lieber“, fuhr er fort und schubste meine Beine mit einem leichten Ruck von der Sitzfläche, auf der er sich dann niederließ und seinen Kopf wieder in meine Richtung neigte. „Ich habe gerade deinen Kopf aus der Schlinge gezogen“, erklärte er dann zufrieden und ich setzte mich vollends auf. „Wovon redest du?“, hakte ich nach und das zufriedene Lächeln auf seinem Gesicht wurde noch größer. „Von deinen Fehlstunden…“ „Oh…“ „Es wird keine Konferenz geben. Du musst einfach eine längere Arbeit bei mir abgeben und dann war’s das“, beendete er seinen Satz und ich verschluckte mich beinahe, als seine Worte ihren Weg in meinen Kopf fanden. „Waaaas?“ „Wie wäre es mit einem ‚Danke’?“, witzelte er und ich beugte mich noch näher zu ihm, bis unsere Lippen aufeinander trafen. „Danke“, schnurrte ich und verteilte auch noch kleine Küsse auf seiner rauen Wange. Verdammt, dieser Drei-Tage-Bart stand ihm echt! „Dein Outfit am Donnerstag hat mir gefallen“, bemerkte ich, während ich weiter voller Faszination seine Wangenknochen studierte. „Oh, wirklich?“ Er klang etwas erstaunt. „Mhhmm…“, machte ich. „Grün steht dir irgendwie.“ Er lachte leise. „Danke.“ Lassie sprang aufs Sofa, die Pfote mittlerweile geheilt und wir fingen beide an sie zu kraulen. Wir spielten mit ihr, wir kochten zusammen, wir spielten eine Runde Karten und kuschelten wieder. Bis Josh anrief. Und der wollte sich mit mir und Inga treffen. „Wenn du anfängst, deinen Freunden öfter als sonst abzusagen, dann werden die schon merken, dass da etwas faul ist“, erklärte Gabriel beschwichtigend und ernst und ich sagte ihm an diesem frühen Samstagabend schweren Herzens „auf Wiedersehen“ – und dann knutschten wir noch einige Minuten in seinem Flur und ich erschauderte, als er seine Hände unter meinen Pullover wandern ließ und mir unverfroren über meine nackte Brust und meinen Bauch strich; ich lehnte mich noch mehr in den Kuss und seine Zunge erschien mir noch heißer als sonst. Doch nur für wenige Sekunden, denn dann löste er den Körperkontakt komplett. „Du musst gehen, sie warten auf dich“, sagte er leise und ich nickte bedächtig. Ich beeilte mich, um die nächste Straßenbahn zu bekommen, die mich ins Zentrum brachte. Den Rest des Weges rannte ich. Wir waren in einem dieser riesigen Einkaufszentren verabredet, in denen der Winter nur in Form von teuren Mänteln und Wintersportgeräten existierte und in dem das ganze Jahr über Eis serviert wurde. Welches wir auch nun aßen, Inga, Josh und ich. Ich war froh, dass wir nur Smalltalk betrieben und Inga uns danach wieder mit Stefan zuquatschte. Sie wollte ihn uns schon bald vorstellen. Zugegeben. Momentan war es mir egal. Denn meine Gedanken kreisten unentwegt um Gabriel. Um uns. Was ich auch in den kommenden Tagen rein gar nicht veränderte. Es war seltsam ihn in der Schule zu sehen und so tun zu müssen, als wäre er nichtexistent für mich. Als würde ich ihn verabscheuen. Während des Unterrichts warf er mir keinen einzigen Blick zu, der darauf schließen könnte, dass sich so etwas wie Wärme zwischen uns entwickelt hatte, dass wir uns nahe standen. Er war absolut kalt, absolut resistent, der typische, schlecht gelaunte Lehrer. Und wenn ich etwas nicht wusste, keifte er mich wie alle anderen Schüler an. Und wenn ich meine Hausaufgaben nicht gemacht hatte, dann gab er mir Extraaufgaben – bei denen er mir dann, wenn wir uns denn sehen konnten, half; mir den Rücken massierte, während ich schrieb oder recherchierte. Und dann gab es immer einen innigen Belohnungskuss… Es war Dienstag, als Josh und ich zusammen zur Cafeteria schlenderten. „Und?“, setzte er nach einer Weile an. „Weißt du jetzt eigentlich, was mit dir los ist?“ Ich verzog meinen Mund. „Nein, nicht wirklich“, entgegnete ich dann etwas säuerlich und seufzte. Eigentlich wusste ich momentan genau, was los war. Gabriel und ich waren, was… vier oder fünf Wochen bereits zusammen und wir hatten noch keinen einzigen, wirklichen intimen Kontakt gehabt… Alles, was bisher in eine tiefere Richtung gedeutet hätte, waren seine Hände unter meinem Pullover. Die ihren Weg noch nicht mal zu meinem Hosenbund gefunden hatten. Es war an diesem Tag, dass ich einen Entschluss fasste. Die restlichen Tage der Woche waren ruhig. Und ich verhielt mich auch meinem Vater gegenüber fair und zahm wie ein Lamm. Ich machte pflichtbewusst meine Geschichtshausaufgaben und arbeitete in einem Schwung auch noch den Rest der Fächer durch. Vielleicht war Gabriel ja auch wirklich die lebende Motivation für mich. Schließlich war er Lehrer und der Gedanke daran, dass ich ein Schüler mit mittelmäßigen Noten wäre, ließ mich beschämt erröten. Ich musste etwas dagegen tun, damit er stolz auf mich wäre und ich ihm wenigstens ein bisschen als ebenbürtiger Partner gegenübertreten könnte. Natürlich wollte ich meinen Vater diese Woche auch auf eine gewisse Weise beschwichtigen. Es war Freitagabend, als ich diesen kleinen Gang entlang huschte, mein Rucksack über die linke Schulter geworfen. Gabriel öffnete mir die Tür, noch bevor ich klingeln konnte und schloss sie umgehend hinter mir ab. Erst dann ging er einen Schritt auf mich zu und küsste mich sachte. „Hallo…“, begrüßte er mich dann und half mir sogar aus meiner Jacke. „Ich war wirklich positiv von deinem schulischen Eifer diese Woche überrascht“, sagte er dann und ich sah ihn fragend an. „Na, die Geschichtshausaufgaben und dann erzählte mir Frau Raschinki, dass du dich wohl das erste Mal freiwillig im Deutschunterricht gemeldet hast“, erklärte er grinsend. „Du redest mit anderen Lehrern über mich?“, hakte ich belustigt nach und ich musste zugeben, dass mir das in diesem Fall sehr gefiel. Mein Plan war schon in seinen ersten Schritten ein wenig aufgegangen. „Wir Lehrer reden immer über gemeinsame Schüler. Vor allem, wenn sie Problemfälle sind oder besonders begabt“, antwortete er und ich folgte ihm in die Küche, wo er sich ein bisschen Tee eingoss. „Willst du auch?“, fragte er mich und ich nickte. „In meinem Fall bin ich wohl sehr begabt, oder?“, witzelte ich und er drehte sich grinsend zu mir um, um mir den Tee in die Hand zu drücken. „Wenn ich dich im Küssen bewerten sollte – auf jeden Fall!“ Die Tasse in meiner Hand war warm und ich drückte mich mit meinem Körper gegen Gabriel, verschloss seine Lippen mit meinen und ließ ihm ein wenig von meiner „Begabung“ spüren. „Und?“, fragte ich ihn danach frech. „Was für eine Note bekomme ich von dir?“ „Hmmm“, machte er und schaute mich gespielt streng an. „Eine 2+.“ „Nur eine 2+?! Pah!“, entgegnete ich empört und grinste dabei. „Wie lange kannst du heute bleiben?“, fragte er mich dann und ich holte Luft. „Ich bleibe heute über Nacht“, sagte ich dann fest und sah ihm dabei in die Augen. Er erstarrte kurz. Und dann schlich sich leichte Besorgnis in sein Gesicht. „Was hast du deinem Vater erzählt?“, hakte er nach. „Dass ich bei Inga penne.“ „Und was ist, wenn Inga bei dir zuhause anruft?“, warf er umgehend ein, seine Stimme unruhig. „Wird sie nicht. Ich hab ihr erzählt, dass ich meine Mutter besuche und sie mich auf Handy erreichen kann.“ „Und deine anderen Freunde? Was ist, wenn die anrufen?“ „Werden sie auch nicht. Denen habe ich dasselbe erzählt“, versuchte ich ihn zu beruhigen und er blieb für einige Sekunden stumm. „Und dein Vater? Was ist, wenn er einem deiner Freunde über den Weg läuft?“, fragte er dann und ich seufzte lauthals. „Mein Gott, beruhig dich!“, sagte ich müde und setzte mich unzufrieden an den Küchentisch. Mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Ich war sauer. „Der bleibt immer zuhause und er ist meinen Freunden noch nie irgendwo über den Weg gelaufen und ich glaube auch nicht, dass sich das jetzt irgendwie ändern wird.“ Gabriel setzte sich mir gegenüber und sah mich entschuldigend an. „Es tut mir leid“, murmelte er und er ergriff meine Hand, drückte ganz leicht zu und brachte mich somit dazu, ihm wieder in die Augen zu blicken. „Ich weiß, ich bin ein alter Panikmacher, aber… du weißt, wie gefährlich unsere Beziehung ist.“ Bedächtig nickte ich und erwiderte den Druck seiner Finger. Er lächelte. „Freust du dich denn nun wenigstens ein bisschen, dass wir auch die… Nacht für uns haben?“, fragte ich ihn vorsichtig und er nickte. „Natürlich freue ich mich…“, sagte er dann und in seinen Augen konnte ich lesen, dass er es ernst meinte. „Hast du heute Abend Lust auf Pizza?“ „Oh, ja!“ Wir spielten tatsächlich eine Runde Scrabble, schauten uns wieder einmal einen Film an und Gabriel erzählte mir ein bisschen von seinem Studium. „Willst du eigentlich auch studieren?“, fragte er mich dann. „Äh… Ich habe keine Ahnung“, gab ich schulterzuckend zu. „Willst du lieber eine Ausbildung machen?“, hakte er weiter nach. „Keine Ahnung“, gab ich wieder zu und er schwieg. Diese Konversation gefiel mir nicht. Ich hätte es vorgezogen weitere seiner Studiengeschichten zu hören, wie er immerzu in die falsche Vorlesung gelaufen ist, oder als Referendar am Anfang total versagt hatte, weil die Schüler ihn austesten wollten und ihm das Leben zur Hölle machten. „Naja…“, sagte er langgezogen. „Du hast ja noch etwas Zeit. Vor den Sommerferien findet ja die kleine Berufsmesse an unserer Schule statt. Ich denke, das wird dir bei deiner Berufsentscheidung helfen.“ „Ja…“, murmelte ich. „Was ist denn überhaupt dein Lieblingsfach? Also, was machst du am liebsten?“, hakte er weiter nach und trieb mich an den Rand meiner inneren Ruhe. „Können wir bitte über etwas anderes reden?“, forderte ich genervt und drückte mich in das Polster des Sofas. Gabriel schwieg kurz. „Ich wollte dir nur ein bisschen helfen“, sagte er schließlich ruhig. „Ja, danke!“, gab ich patzig zurück, ohne ihm in die Augen zu blicken. „Aber du hörst dich an wie mein Vater!“ Er schnaubte und schmunzelte danach. „Ich bin wahrscheinlich auch fast so alt wie er“, sagte er dann sarkastisch und ich rollte mit den Augen. „Mein Vater ist 48! Okay?!“ „Und ich bin gerade mal 9 Jahre jünger“, gab er ebenso genervt wie ich es war zurück. „Ich könnte auch dein Vater sein!“ Ich stand wütend auf und der kleine Wohnzimmertisch verrückte dadurch geräuschvoll. „Wieso machst du meine erste Übernachtung bei dir eigentlich so kaputt?!“, schrie ich und wartete nicht, bis er mir antwortete, sondern stampfte in die Küche, um mir einen Keks aus der Dose zu holen, die ich ihm vor zwei Wochen geschenkt hatte. Es dauerte nicht lang, da schlangen sich von hinten plötzlich zwei Arme um meinen Bauch und er drückte mich mit meinem Rücken an seine Brust. Ich konnte seinen Atem an meinem Ohr spüren. „Es tut mir Leid…“, wisperte er und küsste sanft mein Ohrläppchen. „Wie kann ich das wieder gutmachen?“ „In dem du uns ne Flasche Wein aufmachst und wir oben im Bett „Zurück in die Zukunft“ gucken“, sagte ich fest. Ja, Gabriel hatte auch in seinem Schlafzimmer einen kleinen Fernseher stehen und er hatte mir verraten, dass er gerne mal vorm Schlafengehen oder am Wochenende, einen Film aus dem Bett heraus betrachtete. „Okay, machen wir“, sagte er sanft und drückte mir noch einen Kuss auf meinen Hals. Ich schloss die Augen und zählte ruhig bis fünf. Nein, ich würde meine schlechte Laune jetzt umgehend abschalten und diesen Abend und vor allem diese Nacht genießen! Ich drehte mich zu ihm um und lächelte, trat einen weiteren Schritt auf ihn zu und küsste ihn. Seine Lippen fühlten sich dieses Mal so weich an, wie ein Federkissen, und dennoch waren sie natürlich warm. Er öffnete den Wein und ermahnte mich, bloß nicht auf die Bettwäsche zu kleckern. Ich versprach es ihm hoch und heilig und er musste lachen. Während er den kleinen Fernseher und den dazugehörigen DVD-Player in Gang brachte, betrachtete ich das Bett. Und meine Gedanken rasten durch meinen Kopf, in dem es keine Geschwindigkeitsbegrenzungen gab. All dieser Mut, von dem ich dachte, ich hätte ihn mir endlich zu eigen gemacht, schien wie fortgeblasen. All diese Selbstsicherheit, die ich aufgebaut hatte, war weg. Und ich hatte es mir so einfach vorgestellt…. meinen Lehrer zu verführen. Doch momentan war ich einfach nur ein kleines Häufchen Elend, das nicht wusste, ob es seinen Pullover einfach abstreifen sollte oder ob es zu schnell ging, und ob ich zunächst warten sollte, bis er es vielleicht tat und ob ich auch ein bisschen warten sollte, bis der Film vielleicht vorüber war, um meinen „Angriff“ zu starten, oder ob ich es mittendrin tun sollte, oder… „Jonas?“, schreckte mich Gabriels warme Stimme auf. „Hm?“, wandte ich mich an ihn und er grinste, bereits auf dem Bett liegend. In einem schwarzen T-Shirt, welches er scheinbar unter seinem dunkelbraunen Pullover getragen hatte. Er sah wunderbar aus… In beiden seiner Hände hielt er ein gefülltes Weinglas und er bedeutet mir mit einem kurzen Nicken, zu ihm zu kommen. Und nun zögerte ich nicht, sondern zog auch meinen Pullover aus, unter dem sich ebenfalls ein dunkles T-Shirt befand und rutschte direkt an ihn heran. Wir lehnten gegen das Bettgestell, zwei fluffige Kissen an unseren Rücken. Er reichte mich das Glas und es klirrte ganz leicht, als wir anstießen. „Auf diesen Abend, ja?“, sagte er und ich nickte. Mein Gott, ich war so nervös! Ich wollte unbedingt mit ihm schlafen, aber ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte! Zwar war ich keine Jungfrau mehr, aber nur ein paar Mal Sex mit ein und derselben Person gehabt zu haben, zählte ich nicht unbedingt zur „Erfahrung“… Wir waren mitten im Film und ich trank bereits mein zweites Glas Wein – es schmeckte nicht wirklich gut, aber ich baute auf die Kraft und den Mut, den mir der Alkohol vielleicht spendieren könnte. Immerzu blickte ich Gabriel von der Seite an, studierte seinen Körper mit meinen Augen, malte mir Wege aus, in denen ich ihn einfach an mich zerren könnte, meine Lippen auf seine pressen würde, und uns unserer Kleider entledigen würde. Und immerzu stoppte ich wieder, wenn ich in der Realität kurz davor war, diese Fantasien durchzusetzen. Es war zum Verrücktwerden. Und noch verrückter war, dass absolut nichts an diesem Abend, geschweige denn in der Nacht passierte! Gabriel schaltete den Fernseher aus und wir gingen ins Bad, putzten uns die Zähne. Wir zogen uns nicht einmal gegenseitig aus! Nein, Gabriel schlüpfte, als ich alleine im Bad war, in einen tiefschwarzen Pyjama. Einen PYJAMA! Und selbst als ich vor ihm meine Jeans ablegte und nur in Boxershorts bekleidet zu ihm ins Bett stieg, war seine Hand an meiner Brust bereits der Höhepunkt der Gefühle und Taten. Als er das Licht ausschaltete und mich einen zarten Gute-Nacht-Kuss auf die Lippen hauchte, war ich vollkommen fassungslos. Wir schliefen aneinander gekuschelt ein. Und – das – war’s! Und der Wein hatte nichts außer einem Schwindelgefühl bei mir verursacht! Am kommenden Morgen wusste ich nicht, was zu denken war. Natürlich war es irgendwie schön, neben ihm aufzuwachen. Er zog mich direkt in einen Kuss und er strich mir durchs Haar, ließ seine Hand auf meiner Hüfte ruhen und ich ertappte ihn sogar dabei, wie er meinen halbnackten Körper begutachtete. Doch dann war er bereits auf dem Weg in die Küche und hatte mir vorgeschlagen, zu duschen. Einfach so. Ich betrachtete mein eigens Abbild im Badezimmerspiegel. Sah ich plötzlich scheiße für ihn aus? Fand er meinen Körper nicht trainiert genug? Sorry, auch wenn ich jung war, sich nen Six-Pack anzutrainieren bedurfte mehr als nur der lächerlichen Sportübungen in der Schule und zu mehr konnte ich mich nicht aufraffen. Gabriel besaß doch selber keinen! Dachte er, ich sei noch Jungfrau? Und wenn ja, hätte ihn dieser Gedanke nicht dazu bringen müssen, es gerade als aufregend zu empfinden, mein „Erster“ zu sein? Wieso war es nicht wie in diesen Filmen, oder Literatur, Pornos? Standen da die Alten nicht auf die Jungen, verzehrten sie sich nicht nach ihnen? Welcher schwule Mann in seinem Alter hätte die Chance, nen 18-Jährigen zu vögeln, einfach so an sich vorbei ziehen lassen?! „Sag mal… Ist irgendetwas?“, sprach Gabriel mich direkt an, als ich die Küche betrat und auf die Kaffeemaschine zuschlenderte. Schweigend schüttelte ich den Kopf, so als würde ich versuchen all diese bitteren Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben. Ich biss mir auf die Zunge. „Hm“, machte er und rührte ein bisschen in seiner Tasse rum. „Hast du denn gut geschlafen?“ „Ja, hab ich“, entgegnete ich ruhig und nahm nun auch am Frühstückstisch platz. Mein Magen knurrte schon regelrecht. „Und du?“ „Ja…“, murmelte er etwas versonnen und ich spürte seinen Blick lange auf mir ruhen, was mir sicherlich einen seichten Rotschimmer auf die Wangen zauberte und die Wogen meines Verärgertseins ein wenig glättete. „Ich fand’s sehr schön, dass du über Nacht geblieben bist.“ Ich biss in mein Marmeladenbrot, um mir einen weiteren, leicht bitteren Kommentar zu verkneifen. Ich wollte diese schöne Stimmung, die uns an diesem Morgen umgab, nicht zerstören. Ich ließ meinen Blick über Gabriels Erscheinung wandern. Er trug ein graues Sweatshirt, das wunderbar zu seinen immer noch leicht zerzausten Haaren kontrastierte. Jetzt, am Küchentisch, am Sonntagmorgen, fern von der Schule und dem lärmenden Alltag, wirkte er gar nicht mehr, wie mein strenger Geschichtslehrer. Seine Gesichtszüge waren wieder einmal so weich, zart. Natürlich konnte man ihm seine Reife ansehen, seine bis dato gesammelte Lebenserfahrung war deutlich zu erkennen, auch wenn er mit seinen 39 Jahren für manchen noch als ziemlich jung galt. Wow, wieder hallte es durch meinen Kopf: Ich war mit einem 21 Jahre älteren Mann zusammen. „Woran denkst du?“, fragte Gabriel mich und ich blickte ihm unweigerlich in die Augen. „Ich, äh, an gar nichts eigentlich“, gab ich zurück und versank in seinem Blick. „Was machen wir heute noch?“, lenkte ich schnell auf ein anderes Thema um. „Hmmm“, er streckte sich am Tisch und erschrak ein wenig, als Lassie mit einem Satz auf dem leeren Stuhl neben ihm landete. Ich musste kichern und er grinste, während er mit seinen Fingern durch das helle Fell des Katers fuhr. „Ich weiß nicht…“, wandte er sich wieder mir zu und ich meinte, einen kleinen Splitter seines typischen Lehrerblickes in seinen Pupillen wieder zu erkennen. „Ich hatte gedacht, ich helfe dir ein bisschen bei deiner Arbeit für den Ausgleich deiner Fehlzeiten“, sagte er dann und ich rollte niedergeschlagen mit den Augen. „Aber es ist Sonntag!“, protestierte ich und bereute meine kindische Aussage auf der Stelle. Gabriel grinste leicht. „Gerade deswegen. Du hast heute genügend Zeit, dir Gedanken über ein Thema zu machen“, erklärte er und stand auf. „Hilfst du mir, den Tisch abzuräumen?“ „Klar.“ Ich musste mir innerlich einen Tritt verpassen. Lernen war wichtig. Gabriel hatte mir diese Chance gegeben, es war wie ein Geschenk und ich durfte nicht so ungehobelt damit umgehen. Mein Freund – und ja, es fühlte sich seltsam ihn so bezeichnen zu dürfen – war ein gebildeter Mann und wenn ich mich nicht ranhielt, würde er das Interesse an mir sicherlich schon bald verlieren. Ich hatte mir doch vorgenommen, ihm ein ebenbürtiger Partner zu werden! Kneifen war unangebracht, ich konnte mich nicht länger davor drücken. Und an diese enttäuschende Nacht zu denken, sollte ich auch nicht mehr. „Bekomme ich denn eine schöne Belohnung?“, fragte ich ihn, als wir sein Arbeitszimmer betraten. „Einen innigen Kuss und eine selbstgemacht Lasagne?“, schlug er vor und ich grinste. „Deal, aber bekomme ich schon vorher einen Motivationskuss?“, feixte ich und trat selbstsicher an ihn heran, schlang meine Arme um seine Taille und presste mich gegen ihn. Umgehend fanden seine Hände ihren Weg in meinen Nacken und seine Lippen zu meinem Mund, sachte umkreisten sich unsere Zungen, wenn auch nur für eine kurze Zeit… Gabriels Arbeitszimmer war geräumig. Andere präsentierten ihren Bücherbestand meist im Wohnzimmer, um ihren Besuchern mit der Gewalt des bereits Gelesenen zu imponieren, selbst wenn die Mehrheit der Bücher nur Zierde der scheinbaren Intellektualität der Gastgeber war und nichts anderes. Gabriel jedoch bewahrte seine Bücher genau hier auf, in der Nähe seines riesigen, dunkelbraunen Holztisches, der von einer modernen, goldenen Lampe beleuchtet wurde und auf dessen Oberfläche sich hier und da einige dicke Wälzer stapelten, sowie Papiere und andere Dinge. Und dennoch hatte man immer noch genügend Platz an diesem riesigen Möbelstück, um sich in seine Arbeit zu vertiefen. „Und?“, fragte Gabriel, als er sich lässig auf das Pult setzte und auf mich herabblickte. Ich saß auf seinem persönlichen Thron, dem gut gepolsterten Schreibtischstuhl, der wahrscheinlich schon Jahre in diesem Zimmer erlebt hatte. „Schon eine Idee für ein Thema?“ „Absolut keine Ahnung…“, brummte ich und sah ihm in die Augen. Er grinste leicht. „Was hat dir denn bis jetzt am meisten im Geschichtsunterricht gefallen?“, hakte er nach. „Du?“, witzelte ich frech und er schnaubte amüsiert. „Ich darf dich daran erinnern, dass du mich in meiner Rolle als dein Lehrer nicht gerade magst und dich ständig über mich aufregst.“ „Achja, da war ja was“, murmelte ich lächelnd. „Also?“, forderte er. „Was hat dir am meisten Spaß gemacht?“ „Hmm…“, überlegte ich und ging die letzten Jahre meiner Schullaufbahn durch. „Ich glaube moderne Geschichte ist nicht so mein Ding. Ich steh eher so auf Steinzeit.“ „Was ist denn mit der Antike?“ „Hmm.. Joa, ist auch interessant.“ „Soll heißen?“, versuchte er herauszukitzeln. „Lieber Antike als Weltkriege und so“, sagte ich und er nickte und stand auf, ging zu einer der Bücherwände herüber, ließ seinen Blick herumwandern und knallte mir dann nach und nach irgendwelche Exemplare auf den Tisch. „Okay“, sagte er nach einer ganzen Weile. „Blätter dich durch. Vielleicht findest du ja was, was dich interessieren würde.“ „Okay“, antwortete ich und er schenkte mir noch ein kurzes Lächeln, bevor er den Raum verließ. Einen kurzen Moment starrte ich den kleinen Bücherstapel an, der sich vor meinen Augen gebildet hatte und holte tief Luft. Ich würde das durchziehen und er würde stolz auf mich sein! Ich war erstaunt, als ich mich durch diese geschichtlichen Sammelbände blätterte und gar nicht mehr aufhören konnte, weil ich so versessen war, ein Thema zu finden. Erst als Gabriel wieder das Zimmer betrat und meine Aufmerksamkeit auf sich zog, streifte mein Blick die Uhr. Ich erschrak. Bereits drei Stunden saß ich hier und ich hatte es noch nicht einmal wahr genommen. „Und?“, fragte er mich. „Fündig geworden?“ Ein stolzes Lächelnd legte sich auf meine Lippen. „Ja, ich hätte es selbst nicht für möglich gehalten. Aber ich hab ein echt geiles Thema gefunden, auch wenn’s eigentlich schon Richtung Religion geht.“ „Spuck’s aus“, forderte er zufrieden grinsend. „Nordische Mythologie.“ „Ah!“, rief er begeistert aus und lachte kurz auf. „Ja, das ist wohl äußerst... geil“, sagte er immer noch grinsend und wandte sich umgehend einer anderen Bücherwand zu. „Da habe ich auch ein paar sehr tolle Nachschlagewerke für dich parat.“ Ich stand auf und sah ihm nun aus äußerster Nähe zu, wie er mit seinen Händen über die Bücher fuhr und nach den Titeln suchte, sein Blick von Konzentration geprägt. Wirklich, die Menge der hier gestauten Bücher war imposant. Und nur eine kleine Fraktion davon war Fiktion. „Hat dich Geschichte eigentlich schon immer fasziniert?“, fragte ich ihn, während er eines der Bücher bereits beiseite gelegt hatte. „Na klar“, antwortete er und sah mich kurz an. „Wow“, sagte ich und ließ meinen Blick erneut über die vielen Exemplare wandern. „Ich wusste ja auch schon immer, dass ich Geschichtslehrer werden will“, fügte er ruhig hinzu. „Wirklich?“ „Naja, als Kind wollte ich wohl Polizist werden, aber als ich in deinem Alter war, da war es mir schon klar, dass ich…“, er brach mitten in seinem Satz ab und betrachtete mich still. „Was?“, hakte ich nach und er lächelte kurz. „Nichts“, entgegnete er. „Ah, da haben wir ja schon das Buch, was ich gesucht habe. Am besten blätterst du dich diese Woche schon mal ein bisschen durch, okay?“ „Ja, Herr Hinrichs“, witzelte ich und legte meine Arme auf seine Schultern. Er sah mich etwas verwundert an. Und dann schnaubte er kurz und schüttelte den Kopf. Und ich presste meine Lippen auf seine stoppelige Backe. „Wo bleibt mein Belohnungskuss?“, säuselte ich und er grinste, legte just in diesem Moment seine Hände vorsichtig auf meine Hüften und ließ seine Lippen endlich auf die meinigen sinken. Hauchzart. Aber ich wollte für mein Engagement nicht mit solch einem behutsamen Kuss belohnt werden. Nein. Langsam spreizte ich meinen Mund und leckte ebenso bedächtig über die raue Struktur seiner Lippen, bis er sie ebenfalls öffnete und meiner Zunge Zugang gewährte. Neugierig begann ich, mit dieser seine warme Mundhöhle zu erkunden, bis ich auf seinen warmen Muskel dort traf und anfing, ihn zu umkreisen, über ihn zu streichen. Und waren unsere Bewegungen zu Anfang noch zärtlich, entwickelten sie sich zum Gegensätzlichen mit jedem weiteren Kuss, den wir austauschten, ab und an nach Luft schnappend. Urplötzlich fanden Gabriels Hände den Weg zu meinem Hintern und ich hätte beinahe aufgeseufzt, als seine Finger leicht in meine vom Jeansstoff bedeckten Pobacken griffen. „Endlich!“, dachte ich und drückte mich noch ein wenig enger gegen ihn. Mit einem einzigen Ruck verfrachtete er mich plötzlich auf den Schreibtisch und ich spreizte ohne nachzudenken meinen Beine, zog ihn an seinen Oberarmen direkt gegen mich; ein Kribbeln erfasste mich und stürmte wie ein reißender Bach in meinen Unterleib, eroberte diesen und erfasste ebenso schnell meinen Lendenbereich. Und dieses Mal keuchte ich auf, als Gabriel seinen Körper gegen meine nun nicht mehr zu ignorierende Erregung presste. Unsere Blicke trafen sich. Nein. So wie er mich in diesem Augenblick anblickte, hatte er mich noch nie angesehen, seine Augen von einem beinahe unsichtbaren Schleier bedeckt, sein Mund halboffen. Er küsste mich erneut und seine Finger kneteten sanft meine Oberschenkel. Ich versank in diesen Gefühlen, die mich überkamen und begann, mich an ihm zu reiben, nur um festzustellen, dass er scheinbar genauso hart war wie ich. Ich schluckte und dann wagte ich es zum ersten Mal, meine Hände unter sein Sweatshirt wandern zu lassen. Seine Haut erschien mir heiß, er glühte förmlich und doch fühlte er sich so unsagbar weich an. Er brummte bei meinen Berührungen ganz leicht und unsere Zungen stupsten sich ein weiteres Mal in ihrem feurigen Tanz an. Und dann ertönte plötzlich eine wirklich aufdringliche Melodie wie aus dem Off. Wir hielten beide inne und blickten uns an. Ich konnte die Zerrissenheit, sein Zögern deutlich in seinen Augen lesen. Und dann fluchte er kurz und ließ komplett von mir ab, eilte aus dem Zimmer. Ich hatte begriffen. Es war das dämliche Telefon, welches im Wohnzimmer stand. Ich schloss meine Augen und zählte langsam bis zehn. Hätte das nicht warten können?! Es dauerte einige Minuten, bis Gabriel zurückkehrte. Meine Erregung war vollends abgeklungen. Aber das könnte man ja schnell wieder rückgängig machen… Ich grinste, als er auf mich zutrat, doch anstatt seine vorige Position einzunehmen und weiter mit mir rumzumachen, griff er nach den drei Büchern, die er vorher für mich ausgesucht hatte. „Ich werde gleich mal die Lasagne machen“, verkündete er mit so einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, als wäre vorher absolut nichts gewesen. „Und danach muss ich dich leider nach Hause schicken“, fügte er etwas trauriger hinzu. „Und wieso?“, entwich es mir umgehend. „Frank hat mich gebeten, etwas früher mit ihm essen zu gehen“, entgegnete er. „Wer ist Frank?“, fragte ich direkt nach und es fiel mir sofort selber ein. „Ach, ist das nicht dein Studienfreund?“ Gabriel nickte. „Ja, ich hab dir ja erzählt, dass wir immer zusammen Essen gehen oder Trinken. Je nachdem.“ „Der ist doch auch schwul, oder…?“, dachte ich laut nach und Gabriel schmunzelte. „Keine Sorge, zwischen uns läuft nichts.“ Bisher hatte ich noch gar keine Freunde oder Verwandten von Gabriel kennengelernt. Lediglich von manchen hatte er gesprochen, sie in wenigen Erzählungen erwähnt. Und ich wusste, dass sich das wahrscheinlich nicht ändern würde. Die Lasagne gelang ihm wirklich gut und ich war echt froh, dass er auch Cola in seinem Kühlschrank stehen hatte. Wir hatten uns nicht mehr so innig geküsst. Ich hatte mich von den Fernseher geworfen, um mich beschallen zu lassen, und Gabriel hatte gekocht, sich ein wenig zu mir gesetzt, während das Essen im Ofen war, und nun saßen wir wieder am Esstisch und Lassie strich um unsere Beine. „Schmeckt's?“, erkundigte er sich. „Du bekommst auch eine 2+!“, scherzte ich und er grinste. Es fiel mehr schwer, mich an diesem Sonntag zu verabschieden. „Wann sehen wir uns denn wieder?“, fragte ich ihn, als wir wieder einmal in seinem Flur standen. „Schau erstmal, was deine Freund mit dir vorhaben und dann passen wir uns an, ja?“, gab er ruhig zurück. „Kann ich denn auch mal unter der Woche zu dir kommen?“ Gabriel sah mir in die Augen. „Ja... Für einige Stunden. Aber nur wenn es nicht auffällt. Bist du sonst auch immer nach der Schule unterwegs? Nicht, dass dein Vater oder deine Freunde misstrauisch werden!“ Ich rollte meine Augen leicht genervt. „Denkst du, ich sei so ein heftiger Stubenhocker, oder was?“, versuchte ich zu scherzen, aber meine Stimme war hart. Gabriel lächelte milde. „Das wollte ich damit nicht sagen, Jonas...“ „Ist schon klar“, entgegnete ich weicher und grinste ein bisschen. „Also darf ich mich dies Mal öfter bei dir melden, ja?“ Er runzelte etwas die Stirn. „Am liebsten hätte ich es, wenn wir unsere Kommunikation über SMS und dergleichen bei einem Minimum halten“, sagte er dann etwas langgezogen. „Damit halten wir das Risiko, dass uns etwas nachgewiesen kann, sehr gering. Verstehst du?“ Ich seufzte schwer. Nein, ich hatte schlagartig keine Lust mehr, darüber nachzudenken und ich musste mir eingestehen, dass ich in diesem Augenblick sogar froh war, nach Hause gehen zu müssen. (Ein bisschen jedenfalls.) „Ja, ist schon klar“, murmelte ich deswegen und wollte mich umdrehen, aber Gabriels Arme waren einfach zu schnell für mich, wanden sich binnen einer Sekunde um meinen Körper und zogen mich an ihn heran. Zu protestieren gelang mir nicht. Vermutlich auch, weil ich jede seiner Berührungen genoss und sie nicht verhindern wollte. „Sei mir nicht böse...“, flüsterte er und küsste mich ganz sachte. Ich musste unweigerlich lächeln. „Bin ich nicht.“ „Okay.“ Es war 17 Uhr, als ich die Eingangstür schloss und mein Vater unmittelbar im Flur erschien. „Na?“, begrüßte er mich und leichte Nervosität ergriff mich. „Na...“, gab ich zurück. „Wie war's bei Inga?“, hakte er nach und ich versuchte in seinem Gesicht zu lesen, was sich hinter dieser Nachfrage versteckte. Es war unmöglich, dass er es herausgefunden hatte! „Gut. Wir haben nen Videoabend gemacht. Und sie hat mir einige Bücher für Geschichte ausgeliehen“, entgegnete ich. „Gut. Schön. Das ist, äh, sehr gut“, plapperte er weiter und mein Herz pochte immer schneller. Ebenso schnell stieg meiner Verwirrung. Was hatte er denn plötzlich? „Ist was?“, fragte ich ihn deshalb direkt. „Äh. Nein“, sagte er. „Doch“, widersprach er sich sofort im anderen Moment und musste grinsen. „Alter, jetzt sag schon, was!“ „Sag nicht immer „Alter“ zu mir“, wehrte er sich, aber sein Grinsen konnte ich dennoch nicht von seinem Mund wischen. „Sag's doch einfach!“, presste ich hervor. „Mama und Ulf haben sich getrennt.“ „WAS?!“, entfuhr es mir viel lauter, als ich eigentlich wollte und so etwas wie ein völlig panisches Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. „Wieso? Wie kommt’s?“ „Äh, das weiß ich nicht“, sagte er lachend und verschränkte die Arme vor der Brust. „Angelika hat mich angerufen und mir das schnell erzählt. Sie meinte auch, wenn sie mehr wüsste, würde sie sich umgehend bei mir melden.“ „Typisch Oma, wenn’s ums Tratschen geht, steckt sie plötzlich wieder voller Energie“, kommentierte ich und wir beide grinsten uns an. Mein Vater war sogar so happy, dass er mir einen Drink anbot, den ich dankend annahm. Und zum ersten Mal verbrachten wir beide einen ruhigen Abend zusammen. Ohne uns über meine berufliche Zukunft zu unterhalten, über mein schulisches Engagement zu streiten oder uns wegen anderer Kleinigkeiten an den Haaren zu ziehen. Aus einem Drink wurden mehrere. Und mein Vater ließ sich ungeniert über Ulf aus, den ich auch nicht abkonnte. Es war gegen 22 Uhr, als wir beide völlig betüdelt ins Bett fielen. Und meinte ich noch beim Zähneputzen direkt einschlafen zu können, so lag ich nun wach und starrte die dunkle Decke an. Ich denke, man nannte dieses Gefühl, welches mich überkommen hatte, schlechtes Gewissen. Ich hatte doch tatsächlich das Zerbrechen der Beziehung meiner Mutter mit meinem Vater gefeiert. Andererseits ging es uns wegen ihrem „Verrat“ ziemlich schlecht. Sie war es, die fortgegangen war, die mich allein mit meinem Vater gelassen hatte, die UNS den Rücken gekehrt hatte! Und dabei war ich kurz davor gewesen, ihr zu beichten, dass ich schwul war, endlich reinen Tisch zu schaffen… es mir von der Seele zu reden. Aber nein, sie hatte ja gehen müssen! Ich schloss die Augen. Gott, ich brauchte Schlaf. So viel auf einmal an einem einzigen Wochenende. Doch anstatt endlich in den Schlaf zu driften, wanderten meine Gedanken geradewegs zu Gabriel. Ob er wohl schon schlief? In seinem dunklen Pyjama, in dem weichen, warmen, großen Bett…? (In dem er mich NICHT angefasst hatte…) Ich schnappte mir mein Handy und linste auf die Anzeige. 23.58 Uhr. Verdammt, es war schon fast Mitternacht und mir war unglaublich schwindelig. Dennoch gelang es mir in diesem Zustand eine SMS zu tippen. Ich musste ihm einfach schreiben und ich war mir der Tatsache bewusst, dass ich mich heute nicht zurückhalten konnte. „Ich vermisse dich und denke die ganze Zeit an dich. Hatte ein schönes Wochenende mit dir. Gute Nacht“, schrieb ich ihm. Als ich das nächste Mal auf mein Display grinste, war es bereits 00.43 Uhr und mein Posteingang war leer. Ich zuckte leicht mit den Schultern. Wahrscheinlich schlief er schon. Hoffentlich hatte ich ihn nicht geweckt… Doch auch am kommenden Schultag, den ich nur mit Not und Mühe überlebte, da mein Kopf sich schwer und zerbrechlich zugleich anfühlte, erhielt ich keine Antwort. Auch nicht am Abend. Und ich konnte erneut keine Nacht schlafen. Die kommende Geschichtsstunde glich einer Tortur, die bereits mit dem eigentlich nichtigen Eintritt begann. Er saß am Pult, wo hätte er sich auch sonst befinden sollen, sein Blick auf das aufgeschlagene Buch vor ihm gerichtet. Ich zuckte zusammen, als er einen kurzen Seitenblick zur Tür warf, mit dem er mich erhaschte. In seinem Gesicht jedoch zeigte sich keine Reaktion auf meine Erscheinung. Die Hände zu Fäusten geballt steuerte ich meinen Platz an, Inga war bereits dort und ihre Miene gleich meiner niedergeschmetterten Laune. „Hey, alles klar?“, fragte ich sie und sie lächelte traurig. „Ich bin sauer“, sagte sie dann schließlich, als ich mich gesetzt hatte. „Wieso?“ „Weil Stefan mir gestern spontan abgesagt hat“, murmelte sie und fuhr sich genervt durch die Haare. „Und wieso? Ich meine, hat er gesagt, wieso? Was wolltet ihr überhaupt machen?“ „Wir wollten uns eigentlich nen Film leihen, aber dann meinte er plötzlich, er müsste absagen, weil seine Freunde was mit ihm vorhätten und er schon so oft abgesagt habe.“ „Oh…“ Wie gern hätte ich ihr gesagt, dass ich genau wusste, wie es ihr ging! „Und jetzt können wir uns erst am Samstag sehen“, maulte sie. Ich fuhr ihr spielerisch durchs Haar. „Armes, Häschen“, witzelte ich und sie grinse säuerlich. „Männer!“, fluchte sie dann und im selben Moment schloss Hinrichs die Tür. „Stellt alle das Gerede ein, mein Unterricht geht jetzt los“, sagte er heute scharf und ich bekam weiche Knie, als ich ihn ansah und an seine Hände an meiner Haut denken musste. Und immerzu warf ich Inga Seitenblicke zu und bei jedem einzelnen wurde das Bedürfnis, alles mit ihr zu teilen größer und das Ziehen in meiner Brust unerträglicher. Beinahe unerträglich war auch die Tatsache, dass Hinrichs mich heute zwei Mal dran nahm und ich keines Mal die Antwort wusste; sein Blick dabei war eisig und ich fragte mich: war das wirklich der Mann, mit dem ich zusammen war? Ich hätte ihm gern ein wissendes Lächeln, ein kleines Grinsen, das ihn an unsere gemeinsamen Stunden erinnern sollte, zugeworfen, ganz diskret, mit niemandem sonst im Raum, doch an diesem Tag verließ er den Raum, die Ledertasche unter seinen Arm geklemmt, fast schon fluchtartig und der Wunsch, mich so richtig bei Inga auszukotzen wurde stetig größer. Es war schwer, sich zusammen zu reißen. In den folgenden Tagen blieb die SMS-Nachricht aus und als Josh und Martin mich fragten, ob ich nicht Bock auf eine Wochenend-LAN hätte, sagte ich umgehend zu, weil ich Gabriel mit meiner Nichtanwesenheit strafen wollte! Christian, den Josh über sein WoW-Forum kennengelernt hatte, und den man als typischen Nerd bezeichnen konnte, kam auch noch und Martins Mutter war begeistert, dass sein Sohn endlich mal den umgebauten Partyraum im Keller nutzte. Wir bestellten uns Pizza, tranken viel zu viel Bier und beballerten uns gegenseitig, oder traten als Viererteam im Netz gegen andere völlig betrunkene Spieler aus Japan und China an auf den völlig überfüllten Servern der Spiele. Ich hatte Spaß. Es tat gut einfach mal stumpf zu sein, nicht nachzudenken, nicht auf das Handy zu blicken. Nur gegen 3 Uhr morgens machte ich einen großen Fehler. Ich war auf Toilette in den oberen Etagen des Hauses. Draußen war es dunkel. Es war vollkommen still und ich starrte aus dem Fenster auf die immer noch ziemlich weiße Straße. Und da kamen sie, die schweren Gedanken, die sich um mein Herz legten; die Enttäuschung, Verwirrung und die Wut. Das war der erste Moment, in dem ich auf mein Display an diesem Freitagabend sah – und den Rest konnte man einfach nur als eine dämliche Kurzschlussreaktion bezeichnen. Ich weiß nicht, wie ich es in meinem Zustand seine Nummer wählte. Immer und immer wieder, bis ich endlich seine durch die Leitung leicht verzerrte Stimme hören konnte. „Jonas, was ich denn?“, murmelte er. „Wieso hast du mich eigentlich nicht flachgelegt?!“, zischte ich in den Hörer. Stille. Es herrschte absolute Stimme und als Gabriel zur Antwort ansetzte, erkannte ich, dass Josh mir gegenüber stand und mich skeptisch anblickte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)