Liebeslinguistik von Himi_und_Nami (aoianisch*urupäisch + urupäisch*aoianisch) ================================================================================ Kapitel 1: Recherche -------------------- Liebeslinguistik aoianisch - uropäisch / uropäisch - aoianinsch Ein Griff mit Pfiff. Ein Wort von dort. So heiß, so rund Aus diesem Mund. Die Nacht verbracht, Mal hier mal dort An so manch geheimen Ort. Nachgegeben, um zu leben. Gefreit, um befreit zu sein. Von der Lust gewusst. Geahnt, was sich angebahnt. Und doch verneint, was unumgänglich scheint. Verschluckt ganz schnell, das Wort mit L. Und was da noch bliebe, Denn es endet auf ... iebe. ~~~~ In den Proberäumen gab es großes Gewusel. Alles räumte hin und her und wieder einmal wurde wild durcheinander geschnattert. „Das muss rüber in den anderen Raum“, fächelte Keiyuu mit einem Hefter in der Hand. Keiner wusste so Recht, warum der kleine Sänger von Kra mit der samtweichen Stimme plötzlich so viel Autorität genoss. Aber es war schnell erklärt. Die Räumlichkeiten der PSC wurden verlegt. Komplett. Und in dem ganzen Durcheinander konnte nur einer die Macht in Händen halten: Jener, welcher »diesen« Hefter besaß! Denn er hatte als Einziger den anderen ein wichtiges Kriterium voraus: einen Plan! Der Plan was, wie, wohin gehörte ... Und ein weiteres nicht unerhebliches Detail machte Keiyuu als Anführer der Stunde unersätzlich: Er hatte den absoluten Durchblick! „Bitte beschriftet eure Sachen ordnungsgemäß und zählt alles durch, sagt mir Bescheid, wenn ihr durch seid, dann werde ich alles sorgfältig notieren.“ Und damit etablierte Keiyuu sich zusätzlich als kollektives Gedächtnis der PSC und bürokratische Gewalt. Der Kleine war heute einfach unschlagbar. Tora tauchte hinter ihm auf, mit einem großen Karton in der Hand. Darin befanden sich CDs. Die Kiste war voll davon. „Muss ich die auch alle zählen?“, scherzte er. „Natürlich ...“ „Das ist ein Witz, oder?“ „Ach Tiger, Sorgfalt ist die Mutter aller Umzugspläne ...“ Mit einem Lachen klopfte der Kleine dem nicht ganz so Kleinen auf die Rippenbögen, da er an seiner Schulter nicht ankam, woraufhin der alice nine.-Gitarrist fast alles fallen ließ. Keiyuu wanderte weiter zu the GazettE. Die hatten bereits alles zusammengeräumt und gut verstaut. Kai kam gleich auf ihn zu und hatte sich selber alles in Schönschrift notiert, auf das auch ja nichts übersehen, oder vergessen oder unlesbar würde. Was Keiyuu nun in dem fast leeren Raum noch vorfand waren Colaflaschen, Zippos, Kippen und Handys ... Das Übliche, was man so mit sich herumschleppte. Reita fegte - ein seltener Anblick, der unbedingt genossen werden wollte und es war ebenso lustig Ruki bei diesem Genuss zu beobachten. Ein schadenfroheres und selbstgefälligeres Lächeln hatte man selten gesehen. Reita war schon immer auf den Trick mit der Münze hereingefallen ... Wo waren eigentlich Aoi-san und Uruha-san? Keiyuu schaute sich um. Die beiden waren nicht da. „Sind eure Gitaristen schon gegangen?“ „Nein ... hm ...“ Kai konnte nur die Schultern anziehen und den Kopf schütteln. Er hatte bei dem Durcheinander auf dem Flur gar nichts mitbekommen. Keiyuu blinzelte niedlich. „Sowas ...“ ~~~ Aoi lehnte an der Tür und grinste dreckig, als er den Schlüssel im Schloss herumdrehte. Sie war zu. Kurz klappten seine Augenlider zu, er atmete noch einmal durch. Eine Hand griff nach seinem Kragen und zog ihn weg vom Eingang. Ihm wurde jetzt schon heiß. Er musste diese Haut spüren. Jetzt! Sofort! Sonst würde er unrettbar verpuffen. Verlangend und fordernd drängte er Uruha gegen einen Tisch, so dass sich der Größere aufstützen musste. Hungrig haschte er nach Hals und Ohrläppchen des Anderen. Mit einer fließenden Bewegung fiel die Jacke seines Kollegen zu Boden. Aoi wurde sein DIM-Scene-Tourshirt los. Uruha streifte selbst das Schweißband von der Armbeuge herunter, das Aoi neuerdings gerne so trug. Seine Hände wanderten sofort in Aois Taille und zogen ihn so nahe an sich heran, wie es eben ging. Dann wimmerte Uruha. Aoi verstand die Botschaft. Er zog dem Brünetten die Weste aus, dann das kurzärmelige Irgendwas darunter, untermalt von Uruhas Zischen, als er mit den Nägeln seine rechte Brustknospe streifte. Sie war wie ein Knopf, ein Geheimer ON-Schalter, ohne OFF-Funktion. Die war schwerer zu knacken. Doch er wusste schon wie ... Er bemerkte, wie der Leadgitarrist den Kopf in den Nacken legte und sich sinnlich einfach hergab, wie er jede kleine Berührung inhallierte, so tief, dass sein Brustkorb sich heftig hob und wieder senkte. Aber sie durften keine Zeit verlieren. Sicher war es schon aufgefallen, dass sie fehlten. Uruhas Hände rückten den Tisch von hinnen, so dass er fast keinen Halt mehr fand, wenn Aoi nicht gewesen wäre. Diese Welle der Erregung hatte sich einfach durch seine Arme geschlagen und war eins zu eins auf das Möbelstück geprallt. Doch Aoi drückte ihn wieder zurück. Ein weiteres, lautes Geräusch von über den Boden ratschenden Tischbeinen ließ Uruha zusammenfahren, er erbebte, als die Wand den Tisch aufhielt und auch ihm bewusst wurde, dass er Aoi nun nicht mehr entkommen würde, der gerade elegant seine Hose und den Rest abwärts schickte. Er konnte nichts weiter tun als seinen nun freigelegten Po willig ein kleines Stück auf das umleimte Funierholz gleiten zu lassen. Er hob sein Bein, zum Glück fand sein Hacken an einem Schubladengriff Halt. Einen Arm nutzte er, um sich an der Wand hinter sich abzustützen. Er stöhnte bereits jetzt, als er Aois rauen Jeansstoff intim an sich spürte. Jede Bewegung des Dunkelhaarigen wurde so für ihn zu einer bittersüßen Folter. Doch Aoi würde ihn nicht lange warten lassen. Während sein göttlicher Mund sich um seine empfindlichen Mamillen kümmerte, wanderte seine Hand schon zielstrebig seinen Bauch hinab, um zu Uruhas Erlösung zu eilen. Seine Hände waren so angenehm warm, das dem Jüngeren ganz wohlig wurde, als er ihn dort berührte. Doch dieses Gefühl verwandelte sich sofort in ein völlig anderes, als Aoi ihn zu massieren begann. Uruhas Stöhnen wurde zu einem Alarm, der sie beide hätte verraten können. Schnell hielt Aoi ihm, mit der noch freien Hand, den Mund zu. Zur Strafe biss er kräftig in Uruhas Ohr ... Sie wussten beide nicht mehr, wie lange sie dieses verbotene Spiel schon spielten. Aber es machte süchtig. Diese Affäre war ein Duell mit dem Feuer und ein Tanz zweier Eigentlich-Heteromänner auf dem Vulkanrand mit der Aussicht auf einen schnellen Absturz in die wabernde heiße Masse, die sich zügelloser Sex schimpfte. Niemand, absolut niemand sollte von diesem Intimtächtelmächtel erfahren. Sie hatten schließlich beide einen Ruf als Straightloverleins zu verteidigen. Vor den Kollegen, vor der Yellowpress-Fraktion, vor der Welt. Sie liebten sich nicht. Das hatten sie sofort geklärt. Deshalb war dies ein Spiel ohne Streicheln, ein Spiel ohne Zartheit und wildes Geknutsche - ein Spiel ohne Gefühle. ~~~~~ Sie warteten ungeduldig auf Kai und Ruki. Die Beiden waren noch immer mit Rauchen beschäftigt, jedoch war es kalt und nass draußen. Reita und Aoi schüttelten die Köpfe, als auch der Sänger und der Drummer endlich zu ihnen stießen. „Dass ihr immer so trödeln müsst“, tadelte Reita seine Kollegen. „So langsam denk ich echt darüber nach, auch mit dem Rauchen aufzuhören.“ Aoi seufzte tief. „Für Uruha ist das garantiert jedes Mal ein Spaß, wenn wir von draußen halb erfroren reinkommen.“ „Und wenn wir dann noch immer trödeln, habt ihr genug Zeit für ein ausgeprägtes Schäferstündchen!“ Rukis Grinsen war plötzlich unheimlich breit. „Mach nur weiter so!“, patzte Aoi zurück. „Dann erzähl ich demnächst jedem, dass du und Reita fast jeden Tag zu spät kommt. ‚Wir haben verschlafen’, ne? Ja ja, kenn ich schon!“ In jenen Stunden hatte noch niemand etwas von einer Affäre geahnt – nichtmals Aoi und Uruha selbst. Als sie die Tür zum Proberaum öffneten, sahen sie ihren Leadgitarristen erst gar nicht. Doch er war da. Auf der schwarzen Couch in eine der Ecken gekuschelt, die Beine angezogen, saß er da und las aufmerksam in einer Zeitschrift. Mit hochrotem Kopf! „Hm?“ Ruki trat neben ihn, lugte über Uruhas Schulter, wurde nicht bemerkt. „Aha!“, sagte er so laut und deutlich, dass sich neben selbstverständlich Uruha auch die anderen Drei erschraken. Uruhas Augen waren feucht, seine Pupillen geweitet und seine Wangen hochrot. Unter den dunklen Haarsträhnen leuchteten sogar seine Ohren. „Sprachen der Liebe“, las Ruki laut vor und fischte Uruha die Zeitschrift aus den Fingern. „Wie Sie Ihren Partner in Stimmung bringen ...“ Der Text wurde überflogen. „Das ist ne Frauenzeitschrift!“ „Ja, und?“ Er war ja zum Glück Mann genug, um dazu zu stehen. „Mich hat der Artikel halt interessiert!“ „Und?“ „Und was?“ „Und auch errigiert?“ „Mann, Ruki, bist du wieder Siebzehn, oder was?“ Bald war die Farbe in seinem Gesicht nicht mehr zu toppen. „Nein, aber es ist lustig, dass du auf die Tipps anscheinend echt anspringst. Na, was gefällt dir denn? Englisch war ja noch nie dein Ding ...“ „Deins auch nicht“, warf Kai ein, ohne die Richtung des Gesprächs verstanden zu haben. „Aber unser Uru-Pon wird in Französisch wahrscheinlich 1a sein.“ Ruki zwinkerte unverschämt und tänzelte schwingend auf seinen Hocker zu, um dort weiter zu lesen. Uruha schmollte. „Keine weißen Flecken, klar?“ „Hast du dich denn weiterbilden können?“, fragte Reita und grinste dabei frech. „Ich wusste nicht, dass es so viele Sprachen gibt“, gab der Leadgitarrist zu und linste zu seiner Zeitung hinüber. „Und noch dazu so viele merkwürdige Praktiken und ... Vorlieben.“ Aoi sah seinen Gitarrenpartner die Nase rümpfen, doch auch das Leuchten in seinen Augen war ihm nicht entgangen. Das Papier raschelte, die Zeitung kam seinem Besitzer entgegen geflogen. „Pff ... nichts Neues in der Sexwelt.“ „Oh ja ... du bist natürlich unser Sexperte, Ruki-chan.“ Aoi verdrehte die Augen. „Mehr als ihr alle zusammen“, brüstete sich der Bandkleinste, doch Kai lachte laut auf. „Mal abgesehen davon, dass dieses Gespräch total kindisch ist ... Deine Erfahrungen zählen nicht!“ „Warum bitte nicht?“ Der Drummer hob eine geöffnete Hand. „Das ist keine Beziehung!“ „Papperlapapp!“, rief Ruki aus. „Schon Woody Allen hat gesagt: ‚Nichts gegen Masturbation. Es ist Sex mit Jemandem, den ich sehr liebe!’“ ~~~~~ Aois Hand über seinem Mund ließ Uruha schwer Luft holen, aber die Hand an seiner intimsten Stelle ließ ihn das Atmen vergessen. Er kniff die Augen zusammen und genoss dieses Gefühl für einige Sekunden, ehe er selbst seine Lippen auf die Haut vor sich drückte, an der weichen Haut nippte und die Lider wieder öffnete. Aoi sah ihn an, seine Augen waren schwarz vor Erregung. In Momenten wie diesen wünschte sich Uruha, sie hätten mehr Zeit, um ihre Eskapaden auszukosten. Seine Zunge leckte über Aois Handinnenflächen, schmeckte das Salz und hielt dabei Aois Blick stand. Der Ältere ließ ihn los und machte ein paar Schritte zurück, dass Uruha ihn nicht mehr halten oder berühren konnte, bis er an der Tür stand und den Jüngeren aus der Ferne betrachtete. Aoi ließ seinen Blick über den weißen Körper gleiten, den er so gut wie auswendig kannte. Die drei süßen Leberflecken auf seinem Hüftknochen, die feine Narbe auf seinem Oberschenkel, die feinen Haare, die sich meist vor Erregung aufstellen. „Aoi ...“ Der Sitzende spannte alle Muskeln seines Körpers an, bevor er die Beine ein wenig mehr spreizte, um Aoi dazu aufzufordern, wieder zu ihm zu kommen. Aoi zuckte, bewegte sich aber nicht auf ihn zu. Uruha grollte. Er steckte eine seiner Hände nach ihm aus. „Komm schon ... Wir haben keine Zeit für Spielereien!“ „Du anscheinend schon.“ Aois Grinsen machte ihm ein wenig Angst. „Dein Stöhnen war etwas laut, oder was meinst du? Anscheinend willst du doch, dass man uns erwischt.“ Er drehte den Schlüssel herum und kam zurück zu Uruha, stütze sich neben dessen Körper auf der Tischfläche ab, ignorierte die gespreizten Schenkel vor seinen Lenden. Der Brünette starrte auf die Tür. Sie war offen. Wieso hatte Aoi das …? „Deine Stimme, dein Risiko ...“, flüsterte er neben Uruhas Ohr und deutete einen Stoß an, den der Jüngere mit einem leisen Stöhnen quittierte. „Wenn man dich hört, kommt man bestimmt herein, um nachzusehen, ob du ...“ Seine Hand tauchte in die Hitze hinab, ohne große Vorbereitung drangen zwei Finger in ihn und Uruha fixierte die Tür, Aois Atem im Nacken. Die Finger bewegten sich. Uruhar keuchte. „... Schmerzen hast ... oder so süße Qualen erleidest.“ „Das ... das ist nicht meine ... Fantasie ...“ „Tu nicht so unschuldig!“ Aois Finger strichen bestimmt über Uruhas empfindlichsten Punkt. „Ist der Gedanke nicht erregend? Ich in dir vergraben, während Jemand in deine Augen sieht. Dein Blick ist dabei so wunderbar konfus, wenn ich ...“ „Aoi ...“ Risikobereit nippte Uruha an Aois Hals und öffnete gleichzeitig mit einer Hand seine Hose, um hinein zu greifen. „Dann gib mir jetzt auch endlich einen unumstößlichen Grund zu stöhnen!“ ~~~~~ Uruha hatte die Stiefel ausgezogen und saß in Jeans und Pulli auf der Couch, um bequem seine Zeitung zu lesen. Aoi hielt ihm gegenüber die Gitarre und spielte, warf aber immer wieder einen Blick zu seinem Partner hinüber. Wie er dahockte, die Knie fast an die Brust gezogen, die Schenkel dabei leicht gespreizt. Die zurechtgestutzten Augenbrauen schwebten elegant über den halb zugedrifteten, glänzenden Augen. Die ungestylten, blondierten Haare kitzelten ihn an der Wange, und Aoi vergaß beinahe zu spielen, als sich Uruha selbst die Haare hinters Ohr strich. Er sah dabei irgendwie ... süß aus. Und erregt. Seit Tagen hatte Aoi das Gefühl, er könnte sich nicht noch länger beherrschen. Seit Wochen wollte er Uruha – nackt, schwitzend, keuchend – und er wusste nicht warum. Wie sollte er diese Wunschvorstellung verscheuchen? Wie vernichten? Er war doch schließlich the World’s Hetero-Aoi, da konnte er nicht Nacht für Nacht von Uruha über, unter, in und auf ihm träumen. Er wollte das wirklich nicht! Und je mehr er seinen blonden Kollegen beobachtete, desto mehr spürte er Verlangen und Sehnsucht nach diesem Wesen. Wollte wissen, wie er stöhnte, wie er reagierte, wenn er kam. Wie sich seine Haut rötete, die Augen dunkel würden. Wie er sich wohl anfassen würde. Diese Anziehungskraft war ihm unheimlich und eigentlich wollte er widerstehen ... aber in Momenten wie diesen, wenn Uruha den Mund öffnete, um leise die angestaute Luft auszuatmen, wurde ihm bewusst, dass er nicht mehr nur davon träumen wollte. Aoi legte die Gitarre beiseite. Er und Uruha waren allein, die anderen schon zu Hause. „Und?“, begann er ganz unverbindlich. „Hast du etwas gefunden?“ „Was gefunden?“, fragte Uruha, ohne den Kopf zu heben. „Etwas, das dir gefällt.“ Jetzt trafen sich ihre Blicke. „Es ist einiges Interessantes dabei“, gestand er ihm. „Und wenn ich so darüber nachdenke, hat wahrscheinlich alles seinen eigenen Reiz.“ „Ach ja?“ Aois Kniee zitterten, doch er gab ihnen nicht nach, während er zu Uruha hinüberging. „Und hast du auch etwas über dich herausgefunden?“ Seine Stimme war dunkel und verführerisch, sodass sein Partner vollends aufblickte und etwas in seinem Gegenüber erkannte, dass ihn gleichsam erschreckte und faszinierte. „Ich denke schon.“ Es war nie so gewesen, dass Uruha das gleiche Geschlecht jemals als abstoßend empfunden hätte, doch andererseits hatte er sich nach seiner Jugend nie mehr Gedanken darum gemacht, auf welcher Seite des Liebens er denn nun stand. Mit dieser Band zusammen zu arbeiten hieß immer, auf etwas Unerwartetes gefasst zu sein. Ein nächster unerwarteter Moment war soeben eingetreten. Er sah in Aois Augen, packte die Frauenzeitschrift zur Seite und legte die nun freien Hände mit gespreizten Fingern auf den flachen Bauch vor sich. Seine Finger fühlten die Knopfseite entlang, schoben die Knöpfe aus den Löchern und legten so sanft gebräunte Haut frei. Zitternde Muskeln, ein bebender Brustkorb. Offenstehende Lippen. Glänzende Augen. Seine Stirn lag in Falten, so angestrengt überdachte auch er anscheinend die Situation, in die er sie beide soeben manövriert hatte. Nach einigen Sekunden nahm Uruha ihm die Entscheidung ab. Zielsicher, wenn auch etwas schüchtern, ließ er seine Finger über die Haut tanzen. Er leckte sich über die Lippen, bevor er die Hose öffnete und sie leicht über die Hüften zog. Die Aufregung brannte in seinen Lungen wie Feuer, während er Aois Blick einfing, an den Rand der Couch rutschte und seine Lippen auf die gebräunte Haut knapp unter dem Bauchnabel setzte. Nur einen Augenblick später wanden sich zwei Körper ringend und keuchend auf dem schwarzen Leder, bis sie nicht mehr wussten, ob sie nur aneinander klebten oder schon eins geworden waren. ~~~~~ „Lass mich dich hören, Uruha!“, stöhnte Aoi und nahm Uruhas Hände, um sie auf die Tischplatte zu drücken, damit er sich nicht den Mund zuhalten konnte. „Aoi ...“ Der Jüngere schlang seine Beine um Aois Hüften und versuchte so, dessen Stöße zu kontrollieren. Seine Augen spähten gebannt zur Flurtür, und vor allem dann, wenn er einen Schatten davor erspähte, unterdrückte er alle Laute, die ihm entkommen wollten. Doch schon seit einiger Zeit stand Jemand vor der Tür und lauschte offensichtlich. „Da ist Jemand“, versuchte er zu flüstern, doch Aois Stöße ließen ihn kaum Atem holen und laut aufseufzen. „Dann lass ihn doch herein“, schlug Aoi verrucht vor. „Vielleicht will er ja mitspielen ...“ Prompt wurde die Tür geöffnet. Keiyuu stand dort, einen Hefter in der Hand. Starrte sie geschockt an. Lange genug, bis Uruha von seinem Schamgefühl übermannt wurde und die Augen zusammenkniff, seinen ganzen Körper verkrampfte. „Autsch“, stieß Aoi aus und hielt inne, weil er sich nicht mehr bewegen konnte. „Was ist ...“ „Hinter dir“, flüsterte Uruha. Der Rhythmusgitarrist schüttelte den Kopf, um wach zu werden, warf einen Blick über die Schulter und versuchte ein süßes Grinsen. „Keiyuu-san? Brauchst du die Abstellkammer?“ Keiyuu wartete ein paar Minuten vor der Tür und versuchte das Bild zu verarbeiten, das sich in sein Gedächtnis eingebrannt hatte. Uruha-sans bestiefelte Beine auf Aoi-sans Po gekreuzt, der halb freigelegt war. Uruha-sans Augen ganz dunkel vor offensichtlicher Erregung und dann seine Wangen vor Schamesröte gefärbt. Wieso taten sie das? Hatten die Beiden eine Beziehung miteinander? Wieso wusste niemand davon ... Es war Aoi, der als Erster den Raum verließ, wieder vollständig bekleidet, nur die Haare etwas verwirrt und rot im Gesicht. Ihm folgte ein noch recht wackeliger Uruha. „Keiyuu-san“, begann Uruha und holte tief Luft. „Könntest du das bitte für dich behalten? Es darf niemand davon erfahren.“ „Was ist das zwischen euch?“ Keiyuu ignorierte Uruhas Bitte geflissentlich. „Wir ...“ Uruha suchte nach Worten und erschrak, als er Aois Hand beruhigend in seiner Taille spürte. „Wir schlafen miteinander, das hast du doch gesehen. Viel Spaß noch beim Koordinieren. Fehlt bei uns noch was?“ „Eure persönlichen Sachen ...“ „Richtig, Keiyuu-san“, schnitt Uruha ihm das Wort ab. „Persönliche Sachen sind unsere Sachen.“ Damit zog er an Aois Handgelenk und wanderte Richtung Proberaum. „So geht das nicht“, fauchte er leise und riss in mit um die Ecke. „Wenn ständig irgendwo einer rumläuft, kann ich nicht konzentriert proben!“ „Heute Abend?“, fragte Aoi und grinste ob der Szene, die Uruha ihren Freunden bot. „Nach Feierabend“, wünschte sich der Jüngere und trank aus einer Wasserflasche, die er danach Aoi zuwarf. „Du musst auch trinken!“ Das Lächeln war klar und lieblich, wie es jeder kannte, eher er sich zu Reita umdrehte und ihm eine Packung Plektren fast an den Kopf warf. Nicht küssen, dachte Aoi plötzlich und erinnerte sich an ihr erstes Mal, hier im Proberaum. Nachdem sie es ohne viel Geduld, Wissen oder gar Liebe miteinander getrieben hatten, hatte er sich selbst über Uruha gebeugt und versucht, an seinen Lippen zu nippen, um ihn zu liebkosen und zu entspannen, wie er es immer – bei Frauen – getan hatte. Doch der Jüngere hatte ihn mit der Begründung abgewiesen, dass er Jemanden nur dann küsste, wenn er ihn liebte. Und da sie ja offensichtlich nur miteinander geschlafen hatten, wollte er keine Küsse dieser Art mit ihm teilen. Wenn Aoi jetzt diese Öffnung der Flasche mit seinen Lippen berührte, war dies dann nicht eine Verbindung ihrer Münder? Was soll’s!, dachte Aoi und trank. Nur drei Minuten später rief er Keiyuu auf seinem Handy an und bat ihn um einen Gefallen. Kapitel 2: Lautverschiebung --------------------------- Uruha wurde kribbelig. Keiyuu war gewiss keine Plaudertasche, aber er war ebenso wenig gut darin, ein Geheimnis, das so brisant und unterhaltsam für dir PSC-Musiker werden könnte, für sich zu behalten. Außerdem brauchte es nie einen Psychologen, um ihm anzusehen, dass er etwas für sich behalten musste. Nichtmal bei der Überraschungsparty für Ruki hatte er dicht halten können. Aber zugegeben Ruki hatte auch immer seine ‚Methoden’, um alles aus jemandem herauszuquetschen. Fest stand: Er müsste etwas unternehmen! Er brauchte ein Druckmittel! Etwas, das Keiyuu dazu brachte, immer wenn der drauf und drann war, etwas zu erzählen, inne zu halten und sich zu zwingen, den Mund zu halten! Aber wo ließ sich so etwas finden? Wo, wenn nicht in seinem direkten Umfeld ... In einer kleinen Pause schlich der Leadgitarrist sich zum Probenraum von Kra. Er wusste, dass sich die Band immer nachmittags traf, um mit ihrem Manager wichtige Dinge zu besprechen. Das war seine Chance! Gerade als er um die Ecke biegen wollte, um die Tür zum Raum zu öffnen oder zumindest daran zu lauschen, ob er leer war, knackte das Schloss und Mai trat in den Flur. Uruha fuhr zurück hinter die Ecke. Der Gitarrist zog sich seine Jacke an. Das heißt, er wollte entweder raus oder zum Konferenzraum im anderen Flügel, also wahrscheinlich über den Innenhof, um den Weg abzukürzen ... (oder sich nicht zu verlaufen ...) Hah! Die Auffassungsgabe von Kamikaze-Kaito-Uruha war unübertroffen! Aber halt! Mai würde bestimmt die Tür hinter sich ranziehen! Nein! Er ging in die Knie und lugte um die Ecke. Der andere suchte nach etwas in seiner Tasche und hatte es gerade gefunden. Was nun? Uruha zog eine Kippenschachtel hervor und schoss sie mit einem Schwung aus der Hand über den glatten Boden. Sie blieb unerwartet aber perfekt vor der Türzarge liegen. Wow.... KKU war besser als gedacht! Mai gab der Tür nur wie gewohnt einen Schups, sodass die selber ins Schloss fiel und sich damit abschloss. Aber eh er das dumpfe Geräusch, statt des üblichen Türgeräusches wahrnehmen konnte, war Mai schon im Treppenhaus verschwunden. Strike!, dachte Uruha ... Die Tür blieb offen. Noch einmal drehte er sich um. Die Überwachungskamera hatte ihn noch nicht auf dem Schirm. Mehr oder minder elegant warf er seine Weste darüber. Dann konnte es losgehen! Uruha lugte vorsichtig ins Zimmer und schaute sich erstmal um. Unglaublich ... wie leer hier alles war ... offensichtlich hatten sie schon alles umgeräumt, was ihre Belange anging. Mist! Hier war nichts mehr zu holen ... Doch dann: Keiyuus Tasche ... Bingo ... Uruha kramte flux darin rum. Er durchstöberte sein Handy, aber außer, dass er seine Mutter als ‚Home-Chu-Mama’ eingespeichert hatte, war nichts Peinliches zu finden ... Da: Seine Schlüssel ... Es klapperte auf dem Flur. Uruha bekam jetzt schon fast einen Herzstillstand. Doch die Schritte führten am Raum vorbei. Uff ... Er schaute auf die Uhr ... Kurz vor fünfzehn ... verdammt. Sie würden bald zurück sein! Uruha überlegte eine Sekunde ... den Haustürschlüssel abmachen ...? Nein, dann würde Keiyuu sofort bemerken, das jemand an seiner Tasche war ... Lieber den ganzen Schlüsselbund mitnehmen und den Kleinen glauben lassen, er hätte ihn verlegt! Er musste jetzt endlich raus hier. Das tat er dann auch. Im Vorbeigehen zog er die Weste von der Kamera und verschwand geschmeidig hinter der Ecke. Die Tür fiel wieder ins Schloss, als wäre niemand da gewesen ... ~~~ Kurze Zeit später saß er in der U-Bahn. Er hatte sich nur kurz bei Kai abgemeldet. Er wolle noch in die Stadt. So war er also mit dem Auto in eine andere Richtung vorgefahren und hatte dort auf einem Parkplatz ein Ticket gezogen. Das war sein Alibi. Mit der Kapuze über dem Kopf und der Sonnenbrille erkannte ihn niemand. Er hasste es, U-Bahn zu fahren. Aber nun blieb ihm keine andere Wahl ... Er konnte ja schließlich nicht mit seinem eigenden Auto vor Keiyuus Wohnblock vorfahren. Das wäre zu verdächtig gewesen. Und KKU war schließlich ein gefährlicher Halbprofi ... Er nahm den Hintereingang. Und achtete beim Raufgehen genau darauf, ob ihn jemand sah. Mit kurzen Schritten auf dem Boden sorgte er dafür, dass man ihn, wenn man ihn hörte, im besten Fall für eine leichtfüßige Frau halten würde. Selbst wenn, er hatte seine Schuhsohlen mit Reinigungstüchern abgebunden, die er aus einem PSC-Klo hatte mitgehen lassen. Niemand würde die Tücher im Papierkorb nachzählen ... Und er würde so nichts als undefinierbare Schlürfspuren hinterlassen. Nebenbei zog er die Kapuze eng zusammen. Doof auszusehen, war besser als am Tatort Haare zu verlieren ... Am Tatort ... wie das schon klang ... Gut, dass er so eine verdammte Frostbeule war ... Er hatte sich Handschuhe eingepackt. Im Winter war das ja auch nichts Ungewöhnliches. Er schloss vorsichtig die Tür auf und achtete akribisch genau darauf, mit den Handschuhen nirgendwo hängen zu bleiben. Nun stand er im Flur ... Er hatte es getan! Er war in Keiyuus Wohnung eingebrochen ... Wow, wie aufgeräumt und sauber hier alles war. Und trotzdem gemütlich. Allmählich kamen dem Leadgitarristen Zweifel, ob er hier tatsächlich etwas finden könnte ... Schade eigentlich ... Aber wenn er schon mal hier war. Er öffnete alle Schubladen, durchwühlte aber nichts. Das war ihm dann doch zu heiß. Auch im Bad konnte er nichts finden. Mist ... das war nicht sein Tag. Das Schlafzimmer ... da hatte er noch nicht nachgesehen. Er schaute erst in die Schränke. Nichts. Nichts als blütenreine Wäsche ... Das Bett. Jeder Mann, der etwas auf sich hielt hatte irgendwo eine ... Bingo ... Eine geheime Toyschachtel, Toytüte, oder ähnlich Brisantes unter seinem Bett. Meist waren es ein paar Handsportmagazine ... Keiyuu hatte eine kleine Holzkiste. Eine, wie man sie in jedem Geschenkeladen kaufen konnte. Was da wohl drin war? Uruha grinste ... Klack, das Ding war auf und vorsichtig schob Uruha die Nase vor, um hineinzuluken. Seine Augen weiteten sich einen Moment. Da war zu oberst ein Pamphlet ... Von einer Band, die er gut kannte, besser von dem Sänger derer. Und dann noch ein Bild von ihm, ein zufällig geschossenes Foto und dann war da noch ... oh Mann ... das hatte Uruha wirklich nicht erwartet ... Aber das letzte Teil, das er zwischen die Finger bekam, war genau das, was er gesucht hatte. Ein Klingeln scheuchte ihn auf. „Wah!“, machte er kurz vor Schreck. Er kramte sein Handy aus der Tasche. Eine SMS ... Aoi ... »Hey, wo bleibst du, Süßer ...?« Nach dem ersten Schreck stand Uruha auf. Er lächelte warm und sanft. Aoi war einfach umwerfend, wenn er ungeduldig wurde ... Eine leichte Röte schlich sich in sein Gesicht. Er schaute auf die Uhr, halb sechs ... klar, dass Aoi auf ihn wartete. Er grinste vor sich hin, hatte gefunden, was er wollte ... Und er sah Keiyuu nun in einem gaaaaanz anderen Licht ... Besonders, als er sich umdrehte und besagter plötzlich vor ihm stand! „Keiyuu!“ „Ich wusste es!“ So laut und aggro hatte er den anderen noch nie reden hören. „Du hast meine Schlüssel geklaut!“ „Aber woher...?“ „Da!“ Der Kleine warf ihm eine bedruckte Schachtel zu. „Die hast du im Proberaum vergessen ... Catwomen ... Keiner von uns benutzt Zigarette-Artpacks als Aufbewahrung für Nikotinkaugummi, du Baka!“ Eben doch nur Halbprofi ... Uruha wurde rot, er war zweimal, dreimal ertappt. Dumm gelaufen ... „Und noch was, ICH VERLEGE NIEMALS MEINE SCHLÜSSEL!!!“ „Schon gut, schon gut ...“, versuchte Uruha den gerade mutierten Kampfzwerg zu beschwichtigen. „Nichts ist gut!!! Was willst du hier?? Bist du völlig übergeschnappt?!“ Während der Sänger so auf ihn zukam, erschien er Uruha plötzlich gar nicht mehr wie einen Meter dreiundfünfzig. Doch als hätte ihn ein Sicherheitsgurt abgefangen, blieb er plötzlich stehen, als er sah, was der Größere da in Händen hielt. „Gib das sofort wieder her!!“, fauchte er und lief an wie eine Tomate. Uruha hob es in die Luft, sodass der andere nicht mehr heran kam, schließlich war er über einen Kopf größer. „U-RU-HA-SAN!!!!“ Er sprang immer wieder hoch, um das Stück Stoff zu erhaschen, zog dabei Uruhas Kapuze wieder runter. „Ich warne dich ... Ich verrate jedem dein kleines Tächtelmächtel mit Aoi-san!“ „Oh nein!!“, sagte Uruha überlegen und wand sich geschickter als er es sebst geglaubt hatte hinter den Anderen, um ihm die Arme an den Handgelenken zusammenzuhalten. „ICH stelle hier die Forderungen, klar?! Ich weiß, dass du dir schnell ein Geheimnis aus den Wangen ziehen lässt ... Und deshalb behalte ich dieses kleine peinliche Ding als Andenken. Damit du immer weißt, dass du Aois und mein kleines Geheimnis für dich behalten sollst, egal wie sehr man dich auch drängt.“ Er beugte sich ein bisschen zu Keiyuu runter, bis seine Lippen fast dessen Ohr berührten. Fahrig strich er mit dem Stoff in seiner Hand ein wenig seinen dünnen Hals entlang ... Der Kra-Sänger kniff die Augen zusammen und glühte, sein Herz überschlug sich fast. „Schließlich willst du doch nicht, dass ich es ihm zukommen lasse, oder ... Keiyuu-san ...?“ Besagter riss die Augen wieder auf. Was?! Der Größere pustete ihm ins Ohr und kicherte wieder niedlich uruhahaft. Während Keiyuu vollends zusammenzuckte. Uruha ging rückwärts an die Tür, durch die Tür. „Das ist gemein! Uruha-san!“ Keiyuu hechtete ihm nach, doch Uruha war wie im Nichts verschwunden. Keine Schritte im Treppenhaus, kein Klappen der Tür ... nichts hatte er hören können. „Verdammt ...“, zischte der Kleine und fuhr sich mit der Hand über den Hals, der an der Stelle, an der ihn der Stoff berührt hatte, erwärmt durch Uruhas Hand, empfindlich prickelte, was ihn wieder mehr erröten ließ. Diese Wärme ließ ihn ganz wirr werden ... Er fühlte sich wie ein kleiner Junge ... Er ging wieder in die Wohnung, um nachzuschauen, ob Uruha noch etwas anderes mitgenommen hatte. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, rappelte es im Besenschrank an der Wand übereck. Die Flügeltüren sprangen auf und ein akrobatisch verwinkelter Uruha kam zum Vorschein. Das eine Knie fast ans Ohr gezogen, das andere Bein in einem Aufwischeimer war das Einzige was ihn hielt, den einen Arm an der Decke, den anderen um den Bauch geschlagen, hatte er den Atem angehalten, damit Keiyuu ihn nicht hörte. Den Besenstiel im rechten Nasenloch. Er war sich wahrscheinlich selber nicht bewusst, wie dumm er gerade aussehen musste. Wie eine Skulptur im Sinne von Pablo Picasso ... nur schlimmer! Aber wie hätte er sonst in einen Schrank mit den Maßen 150 x 40 x 20 cm gepasst? Wie Schaumgummi floppte er wieder aus dem Holzgefängnis.Verschloss es ordentlich und schlich zur Treppe. Dann legte er die Kapuze wieder auf, schob die Sonnenbrille zurecht und rutschte auf dem Geländer in einem Zug drei Stockwerke hinunter. Und schon war er wieder draußen ... geschmeidig, aber auch ein wenig tapsig, wie eine kleine Babykatze. Er hastete durch die Parkanlage, um zur U-Bahnanlage zu geraten. Nebenbei schrieb er mit Aoi SMS. »Bin auf dem Weg zu dir. Wo bist du?« Antwort: »Zu Hause, warte schon ne Weile auf dich! Komm, sonst fang ich ohne dich an ^.^~ « »Nein, bin gleich da.ó_ò beeile mich auch! Bis gleich! Ich freu mich auf dich!!!!« Antwort: »*gg*« Und Uruha peste mit einem Affenzahn durch die Vorstadt zu Aois Apartment. Aufgeregt sprang er aus dem Auto, lief zum Eingang der Anlage und hielt dann inne, rannte zurück zum Auto und schaute in den rechten Seitenspiegel, ob er auch gut aussah. Er kämmte mit den Fingern seine Haare und strich sie zurecht. Dabei wusste er ganz genau, dass Aoi sie eh wieder zerwühlen würde ... Innerlich musste er über sich lachen, aber anscheinend wollte er für Aoi einfach gut aussehen. Aber dann konnte er es nicht mehr erwarten. Er nahm immer zwei, manchmal auch drei Stufen rauf zu seiner Wohnung. Der Concierge wunderte sich aber trotzdem nur mäßig über ihn. Diese Stars ... der war einiges gewöhnt ... Uruha war schon oft hier gewesen ... aber noch nie deswegen ... Sein Herz pochte schnell und laut, als er an die Tür klopfte und ihm geöffnet wurde. „Ein Wunder, du hast es endlich hergesch ...“, weiter kam Aoi nicht mehr. Der Größere schmiss die Sonnenbrille von sich, packte ihn am Kragen und zog ihn unsanft hinter sich her. „Ruha? Alles okay?“ „Hai, und wie!“ Eh er sich versah, lag Aoi auch schon mit dem Rücken auf dem Bett. Uruha krabbelte hastig auf seinen Schoß und zog seine lederne Jacke aus, die Weste mit der Kapuze dran flog als nächstes von dannen. Dann knabberte er hastig an Aois Hals und ein paar Knöpfe von Aois Hemd flogen wie kleine Geschosse quer über das Bett! „Was ... ah ...“ Schon wurde sich auch über seinen Hosenknopf hergemacht, während seine Brust weiter von einer weichen Zunge verwöhnt wurde. „Uruh ...hah ...?“ Der Biss in seine Brustknospe schnitt ihm wiederum einen Moment lang die Worte ab. „Was ist denn plötzlich mit dir ... hmmmh ...“ Er drückte den Rücken durch, Uruha hatte ihn aufs Äußerste gereizt. „... los?“ Uruha hielt inne, er schaute Aoi an, den sein Blick wie einen Blitz durchzuckte. Seine rehbraunen Augen waren schwarz. Die Pupillen geweitet vor Erregung, die Lippen sinnlicher als die Verführung persönlich, seine Haare so wild wie eine Löwenmähne, die verruchte Strähne auf der Nase ... „Aoi?“ „H-hai ...?“ „Ich hab einen Adrenalinschub!“ Schon verschwand seine Hand in Aois Hose, was diesen aufstöhnen ließ. „Ich bin high!“ „Wo ... wovon denn? Hmmmh.“ Ein Grinsen schlich sich auf Aois geschwungene Lippen, diese Art von Massage gefiel ihm sehr. Seine Hände schlichen sich unter Uruhas T-Shirt und schoben es hoch. Er wusste, dass der andere es liebte, so gestreichelt zu werden. Uruha kicherte. „Ich hab grad was Verbotenes gemacht ...“, flüsterte er Aoi dunkel ins Ohr, den eine Gänsehaut überkam, weil er wusste, dass er in diesem Spielchen nicht die Oberhand besaß, so wie bisher. Uruha war immer devot gewesen, aber heute benahm er sich wie ein Vamp. Gierig und ungehalten! „Schieß los ... wo warst du ...?“, lächelte Aoi und biss ihm ins Ohr. „Au!“ Ein Glucksen folgte. „Ich brauchte ein Druckmittel! Gegen Keiyuu-san. Er soll dicht halten, was uns angeht.“ „Raus damit, was hast du gemacht?“ „Ich bin bei ihm eingebrochen, naja eingestiegen, aufgeschlossen und reingegangen, um genau zu sein.“ Aoi stoppte und schaute Uruha prompt an. „Du hast was???“ „Ja und er hat mich erwischt ... aber ich habe, was ich wollte!“ „Bist du wahnsinnig???“ „Ja, wenn es um das hier geht schon! Wir wollen doch, dass es geheim bleibt ...“ „Hai, schon, aber Keiyuu-san hätte doch auch so nichts gesagt ...“ „Doch, er ist gaaaanz schlecht darin, Sachen für sich zu behalten, ich sag nur Rukis Party ... Man sieht ihm ein Geheimnis an und dann fragt man solange bis er nachgibt ... Also habe ich etwas von ihm genommen, das ihn jedes Mal daran erinnert, dass ich ihn in der Hand habe, mit einer ziemlich peinlichen Angelegenheit ... Und das wird ihn jedes Mal vor dem Gespräch fliehen lassen, wenn jemand versucht ihn zu überreden.“ Aoi pustete sich erstmal entrüstet eine Strähne aus dem Gesicht. „Du bist irre ...“ Er erntete nichts als ein strahlendes, breites Grinsen vom Leadgitarristen. „Hai, irre verrückt nach dir ... Und jetzt sei still und lass dich brav durchvögeln ...!“ Im nächsten Moment griff Uruha entschlossen nach der Schlafzimmerleuchte und riss das Kabel aus der Steckdose an der Wand! Funken sprühten auf den Boden. „Was ...?“ Aoi konnte wieder nichtmals reagieren, als seine Arme nach oben gedrückt wurden, gegen die Stangen seines Bettes aus Gußeisen. Dann schlang Uruha das Kabel der Leuchte um seine Handgelenke und schnürte ihn am Gestänge fest. Aoi konnte nur einen Moment verwirrt schauen, seine Wangen glühten. Die Hose wurde ihm in einem Zug von den Beinen gezogen, Uruha knöpfte sich ebenfalls auf, er stellte Aois Beine an und machte sich über diese her. Er ertastete mit dem Mund seine weicheste Haut an den Schenkelinnenseiten, seine Hand umfasste fest den Oberschenkel und drückte intensiv zu. Heute würde Aoi ihm gehören ... „Erinnerst du dich an das, was Ruki gesagt hat?“ Der Jüngere kicherte und setzte seine Lippen wieder an die zarte Haut, wanderte weiter hinauf zu Aois heißer Mitte. „Dass Französisch wahrscheinlich zu meinen Stärken gehören soll ...“ Ein heißer Atemzug ließ Aoi schaudern und ein sanfter Kuss auf seine Erregung laut aufstöhnen. „Das lass ich dich allerdings ein anderes Mal herausfinden ...“ War es heute wirlich soweit? Sollte er, Aoi, unten liegen und sich Uruhas Kraft ergeben? Es wäre dumm gewesen, zu leugnen, dass er niemals davon geträumt hätte – er hatte es schließlich getan – aber die Gewissheit, dass es heute passieren sollte, dass er seine Beine für Uruha öffnen sollte, schnürte ihm die Luft ab. Gleichsam kam er nicht umhin, die zarten Berührungen zu spüren. Die Finger, die sich in seine Haut gruben, die vorwitzigen Spitzen, die seinen Po ertasteten und seine Spalte entlangfuhren. „Uruha ...“ „Was denn?“ Uruha setzte sich auf, noch immer die Hand an Aois Gesäß, doch seine Augen fixierten das gerötete Gesicht. Er grinste schelmisch und tätschelte die straffe Haut. „Du solltest etwas tun ...“ „Sonst was?“, fragte der Brünette drohend und einer seiner Finger strich bestimmt über den Schließmuskel, drückte etwas dagegen, dass Aoi die Augen zusammenkniff und zu wimmern begann. „Soll ich es tun, ja? Soll ich mich unbarmherzig und stark in dir versenken, so wie du es bei unserem ersten Mal getan hast?“ Seine Stimme wurde dunkel, er wirkte bei dieser Erinnerung fast ein wenig auf Rache sinnend. „Ich habe geschrien, weißt du noch, Aoi? Aber du hast weitergemacht und mich genommen wie ein Rammler sein Weibchen ...“ Der Dunkelhaarige befürchtete schlimmste Rache. Und ja, er hätte sie verdient. Vielleicht war er an die Sache zu schnell und zu wild herangegangen. Aber, Teufel noch eins, Uruha war es gewesen, der ihn ausgezogen und ihn mit diesen Augen angesehen hatte! „Ich bin Niemandes Weibchen“, grollte die sonst so sanfte Stimme. „Und heute werde ich es dir ein für alle Mal klar machen, Aoi ...“ Der Jeansstoff raschelte, als er von diesen verboten langen Beinen gezogen wurde, und erneut lag eine Hand an Aois Po, die dessen Besitzer schneller atmen ließ. Kurz darauf umfasste sie seine Erregung und massierte sie, doch Aoi traute sich nicht, die Augen zu öffnen – Uruha hätte dort Angst sehen können und das wollte er nicht riskieren. Und dann plötzlich war es da. Das Gefühl, das ihn erschreckte, wenn er genau darüber nachdachte, doch jetzt in diesem Moment erschien ihm seine Situation wie der Himmel auf Erden! Er hörte Uruha lachen und leise keuchen, während dessen Enge Aoi verschlang. Erst nach einigen Sekunden, die sein Hirn gebraucht hatte, um zu begreifen, dass er nicht genommen wurde, sondern nehmen durfte – gewohnt wie gehabt – schlug er die Augen auf und erblickte vor sich Uruhas gespreizte Beine, die weißen Schenkel, die er so gerne mit Knutschflecken übersähte. Der jüngere Gitarrist ritt ihn und lächelte auf ihn mit leichtem Hohn herab, unterbrochen durch den Augenblick, in dem er sich des T-Shirts entledigte, es zur Seite warf und sich genießend zurücklehnte. Er stöhnte und Aoi stimmte mit ein, weil ihn diese Kontraktionen so beflügelten. Sein Oberkörper beugte sich wieder vor, über Aoi, so dass sich ihre Gesichter zum Küssen nah waren, doch keiner wagte, diese Distanz zu überwinden. „Ich habe hierauf ... den ganzen Tag gewartet ...“, gestand Uruha leise und begann sein Becken leicht zu kreisen. Eine Melodie entstand in Aois Gedanken, eine Melodie aus Stößen und Atemzügen, aus kreisenden Becken, dem Geräusch von schwitzenden, sich aneinander reibenden Körpern. Doch bald darauf begann er zu begreifen, dass er doch ... genommen wurde. Uruha ritt ihn so hemmungslos und mit vor Gier geschlossenen Augen, dass er keine andere Wahl hatte als sich diesem Rhythmus zu fügen. Uruhas Hände schlugen ins Kissen, krallten sich in den Stoff neben Aois Kopf und fanden so den Halt für diesen unkontrolliertem Ritt. Zu jener Melodie kam eine neue Tonart mit hinzu. Uruhas Stöhnen war ungewohnt laut, dennoch nicht weniger erregend. Aoi zerrte an der Kabelschnur und versuchte sich zu befreien, doch Uruhas Knoten war zu fest. Er wollte ihn anfassen, ihn berühren … ihn auf seiner Ekstase umarmen und in ihm verharren, als könnten sie sich gar nicht mehr voneinander lösen. „Uruha … bitte … mach – mich – los!“ Das brünette Haar wurde aufgeschüttelt, während der Mann über ihm verneinte, die Augen öffneten sich und ein Schauer rann Aois Wirbelsäule entlang, der direkt zwischen seinen Beinen endete. Mit diesem Blick, der dort auf ihn niederging, musste er erkennen, dass Uruha ihre Affäre viel bedeutete. Sonst hätte er nicht das Risiko eines Einbruchs auf sich genommen. Doch gleichzeitig könnte es auch sein, dass er davor zurückschreckte, ihr Verhältnis in die Öffentlichkeit zu bringen. Wie sehr hoffte er, diese Sache könnte Uruha mehr bedeuten als nur etwas Freizügigkeit auszuleben … Eine Welle aus Sternen brach über ihnen zusammen. Er spürte Uruhas Finger auf seiner freigelegten Brust. Dort ruhend, wo sein Herz wie wild schlug. ~~~~~ „Komm schon, Aoi …~“ Uruha lachte und drehte sich auf den Bauch, nah an Aois inzwischen völlig nackten Körper heran. Er stützte seinen Kopf auf seine verschränkten Arme und betrachtete das Gesicht seines Liebhabers. „So schlimm kann es gar nicht gewesen sein!“ „Ich habe dich nie gefesselt!“ „Du hast auch nie gesagt, dass du es tun willst.“ „Und wenn ich das jetzt nicht gewollt hätte?“, versuchte Aoi sich zu brüskieren, aber sein jüngerer Kollege grinste nur und legte den Kopf schräg. „Aber du hast es gewollt.“ Aoi wurde rot. „Darum geht es doch gar nicht! Wir haben uns nicht abgesprochen, deshalb wusste ich nicht, was als Nächstes kommen würde.“ „Du hast wirklich gedacht, dein Arsch wäre heute dran, oder?“ Uruha stützte sich auf und setzte sich ungeniert in den Schneidersitz vor seinen Lover. Er kam näher und hauchte ihm einen geradezu zärtlichen Kuss – auf die Wange. „Wenn du möchtest, können wir es beim nächsten Mal ausprobieren … ich war heute nur … so hungrig nach dir. Vergiss nicht! Wir sind Dank Keiyuu nicht zum Ende gekommen. Ich habe die ganze Zeit während der Proben in den Knien so gezittert, weil ich dich … in mir spüren wollte, aber noch nicht bekommen konnte.“ Trotzig rieb sich Aoi die Handgelenke, die durch das Plastikmaterial des Stromkabels etwas aufgerieben waren. „Hätte es dir nicht genügt, meine Hände festzuhalten?“ „Nein“, antwortete sein Gefährte prompt, woraufhin der Ältere die Schultern sinken ließ. Doch Uruha nahm seine beiden Hände und begann die leicht brennende Haut zu lecken und zu küssen. „Aber es tut mir Leid, dass es dir wehgetan hat“, fuhr er leise und mit treuem Blick fort. Wo sollte diese Sache nur hinführen? Sex und Sex, wilder und heißer und verbotener, jeden Tag aufs Neue begaben sie sich an den Rand des Abgrunds, ohne zu wissen, dass sie dem Absturz schon so nah waren. Aoi beobachtete Uruhas Zunge und seine Lippen, die ihn liebkosten und streichelten. Er merkte bald, wie ihm erneut warm wurde. Diese Sehnsucht in ihm hatte noch nicht gestillt werden können. Ein einziges Mal hatte ihm nicht gereicht. Und auch ihre unzähligen Eskapaden während der Arbeitszeit oder in den Nächten wollten nicht genügen. Was hatte das nur zu bedeuten? „Uruha?“ „Hm?“ Der Jüngere sah auf, die Zungenspitze ragte noch aus seinen feuchten Lippen, wie bei einer Katze, die beim Putzen gestört wurde. „Lass uns zusammentragen, was wir noch tun können. Wolltest du nicht ein paar Sprachen lernen?“ ~~~~~ Am nächsten Morgen spielte Keiyuu verlegen mit seinen Fingern, während er im Foyer auf Uruha-san und Aoi-san wartete. Wie hatte der Leadgitarrist nur so risikobereit und eine Straftat begehend handeln können? Es war Keiyuu selbstverständlich erschienen, niemandem etwas von ihren Aktivitäten zu erzählen, doch jetzt erschien es ihm wie eine Qual. Wie sollte er auch wissen, dass Uruha-san sein Wort hielt und jener Person, vor allen Dingen nicht jener Person von diesem Gegenstand und den damit verbundenen Gefühlen zu erzählen? Er konnte nicht sicher sein. Deshalb wollte er heute einen Angriff wagen und sein Eigentum zurückfordern. „Keiyuu-san?“ Er schreckte auf und wurde prompt rot, als er in das grinsende Gesicht seines Musiker-Kollegen blickte. „Takeru-san, was gibt es denn?“ Der SuG-Sänger lächelte. „Du siehst aus, als wolltest du deiner Herzensdame deine Liebe gestehen!“ „Das stimmt gar nicht! Ich wollte nicht, dass ...“ Keiyuu schluckte und bemerkte, wie er kurz davor gewesen war, sein eigenes Geheimnis zu verraten! „Ich muss nur mit den Gazetto-Gitarristen reden.“ „Warum das denn?“, fragte der Jüngere gespannt und blinzelte wie ein kleiner Junge, der um Eis bettelte. „Eine Privatangelegenheit.“ „Hm? Eine Überraschung?“ Keiyuu nahm sich ganz fest vor zu lügen. „Ja, so etwas in der Art.“ „Für wen denn?“ „Das darf ich nicht verraten ...“ „Ich erzähl’s auch Niemandem!“, quengelte Takeru. „Nein, das kann ich nicht“, erwiderte Keiyuu kindisch, ehe er erstarrte, als ein weiterer seiner Musikerkollegen das Foyée betrat. Der Sänger winkte und lächelte, Keiyuu versuchte dieses Lächeln mühelos zu erwidern. Doch dies wollte ihm nicht ganz so einfach gelingen – stattdessen strahlte er über beide Ohren und das verging auch nur schwer, nachdem der andere Sänger längst verschwunden war. Takerus Blick wechselte von Keiyuu zum Fahrstuhl und wieder zurück. „Es ist -“ „Guten Morgen, Takeru-san, Keiyuu-san.“ Aoi hatte kaum einen Fuß auf den steinernen Boden gesetzt, war er schon bei ihnen. „Guten Morgen, Aoi-san“, lächelte Takeru und guckte sich um. „Wo hast du Uruha-san gelassen?“, fragte er und hatte anscheinend bemerkt, dass die beiden Gitarristen morgens oft gemeinsam kamen ... „Ach, der ist ein bisschen unbeholfen auf die Beine gekommen.“ Der Ältere grinste und nahm seine Schnee- beziehungsweise umfunktionierte Sonnenbrille ab. „Er ist unterwegs, aber die Stufen fallen ihm heute schwer.“ Keiyuu errötete, weil er sich vorstellen konnte, warum Uruha das Laufen unbequem war. „So alt ist Uruha-san doch gar nicht!“, platzte Takeru aus sich heraus und beäugte den brünetten Gitarristen, der soeben die letzte Stufe vor den Drehtüren erklommen hatte und sich den Po rieb. „Allerdings – wenn ich ihn so sehe ...“ „Er hat gestern zu viele unerlaubte Bewegungen gemacht“, erklärte Aoi und zwinkerte in Keiyuus Richtung. „Es tut mir Leid, dass er dir Schwierigkeiten gemacht hat. Ich hatte keine Ahnung, dass er so etwas plant, aber ich werde es wieder gut machen, versprochen.“ „Anou ... danke für die Entschuldigung, Aoi-san.“ Keiyuu sah Uruhas knautschiges Gesicht. Der Leadgitarrist sah aus, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. „Morgen“, murrte der Halbwache und war innerlich versucht, sich an Aois Wärme zu nähren, weil sein Kreislauf im Keller und ihm so recht kalt war. „Was hat denn Uruha-sans Aktion mit der Überraschung für -“ Zum wiederholten Mal wurde der SuG-Sänger unterbrochen. Uruhas Aufjaulen füllte die halbe Halle. Saga hatte ihm einen Klaps auf den Po gegeben. „Du bist aber auch manchmal empfindlich, Kouyou“, sagte Tora daraufhin und grinste frech. „Wie’n Mädchen.“ „Ich geb dir gleich Mädchen“, flüsterte Uruha böse und mit Krokodilstränen in den Augenwinkeln. „Wenn du das noch mal machst, Saga, schwöre ich dir, dass du die nächsten zwei Wochen nicht sitzen kannst!“ „Oh oh oh!“ Der Bassist grinste diabolisch. „Du behauptest also, mich flachlegen zu können? Vorher verlange ich eine Gegenleistung ...“ Saga setzte seinen verführerischsten Blick auf, doch Aoi kam ihm zuvor und ließ seine Hand sanft über Uruhas Po gleiten, als könnte er so den Schmerz wegstreicheln. „Sein Arsch gehört mir“, betonte er süffisant und Uruha wurde tatsächlich rot. „Wenn du an ihn ranwillst, musst du erst mal an mir vorbei.“ Aoi spielte den Zuschauern äußerst gekonnt vor, dass er dies nicht oft tat, denn er suchte an Uruhas Hals einen passenden Ort, an dem er sich festsaugen konnte, obwohl er jede seiner Schwachstellen kannte. „Aoi“, quengelte der Jüngere nun und lachte, um den Anderen zu vermitteln, dass Aois Berührungen kitzelten. „Du kannst aufhören ... sonst glauben sie dir noch!“ Uruhas Blick fing Keiyuus ein, der errötete, als der Brünette zwinkerte und sich auf die Unterlippe biss, wie er es zum Fan-Service machen würde. „Ihr Beide in der Kiste?“ Sagas Grinsen nahm unheimliche Züge an und er wippte mit den Augenbrauen. „Das gäbe bestimmt ein heißes Bild.“ „Oh bitte“, verwarf Tora diesen Gedanken und tat so, als müsste er Sagas Gedankenblase wegschieben. „Darüber will ich gar nicht erst nachdenken – dafür kenn ich Uruha schon viel zu lang. Die Vorstellung kann nicht gut ausgehen ...“ „Dann gebe ich dir was noch Besseres ...“ Aoi löste sich von Uruhas Hals, ging zu Tora und rieb seine Nase an dessen Ohrmuschel entlang. „Stell dir vor, Reita würde mit Uruha rummachen. Nackt aneinander gedrängt, verschwitzt ... und sie tun es wie die Kaninchen. Ist es nicht so besser als würde ein vermeintlich Fremder wie ich in ihn eindringen?“ „Aoi!“, stieß Tora empört aus und hatte rote Ohren bekommen, doch feststellen, ob sie durch Verlegenheit oder Wut hervorgerufen worden waren, konnte niemand so recht. „Hey!“ Und noch ein Gazetto betrat die Runde. Kai strahlte für die Anderen übers ganz Gesicht, doch seine engsten Freunde merkten, dass etwas nicht stimmte. „Morgen zusammen. Gibt’s was Besonderes?“ „Kai-san, soweit ich weiß, habt ihr doch etwas ... für ihn geplant“, versuchte Takeru sich an das Thema heranzutasten, doch Keiyuu winkte ab. „Kai-san weiß nichts davon! Das ist eine Sache zwischen Aoi-san, Uruha-san und mir ... Du hältst bitte den Schnabel, Takeru-kun!“ Der kleine Sänger wurde tomatenrot, als sich Uruha warnend über die Hüften strich, was für ihn wie ei Wink mit dem Zaunpfahl war. „Das ist ... wir-wirklich ein Geheimnis ... bitte, niemand darf davon wissen.“ Kai blinzelte nur verwirrt hin und her und blickte fragend zu Aoi und Uruha, woraufhin der Leadgitarrist lächelte und seinen Mund sprichwörtlich mit einem Reißverschluss verschloss. „Von mir erfährst du nichts ... und Aoi kennt nicht alle schmutzigen Details, also vergiss es lieber.“ Und just in diesem Moment wurde the GazettE wieder vollzählig. Es war zehn Minuten vor acht. Ruki und Reita traten auf die Gruppe zu. „Na, habt ihr wieder verschlafen?“, stichelte Aoi und schlug mit Reita ein, der nur müde schmunzeln konnte. „Ob du’s glaubst oder nicht : Wir haben die Nacht tatsächlich miteinander verbracht.“ „Oha“, platzte es aus Takeru, der vom alice nine.-Bassisten ein Kichern zu hören bekam. „Nicht, was ihr schon wieder denkt. Meine Nachbarin hat meine Wohnung unter Wasser gesetzt.“ „Was hat deine Nachbarin in deiner Wohnung zu suchen?“, fragte Saga, der schon wieder einen Skandal vermutete. „Nicht in meine Wohnung. Sie hat sich die Badewanne mit Wasser eingelassen, ihre Freundin rief an und sie gingen ins Kino.“ Tor schlug sich die Hand vor den Mund. „Nein.“ „Doch, das Wasser lief ... und lief ... und lief ...“ „Und wir haben ja gestern bis um sechs Uhr abends geprobt. Es lief also ne ganze Menge Wasser“, fügte Ruki hinzu. „Deine Bassgitarren?“, flüsterte Tora, wissend, dass Reita auch eine beträchtliche Sammlung zu Hause hatte. „Alle an der Wand.“ Allgemeines Aufatmen. „Ich kenn das ja schon von ihr“, seufzte Reita. „Nur bisher hat sie es immer rechtzeitig bemerkt oder sie hat nur ihre eigene Wohnung unter Wasser gesetzt. Keine Ahnung, wo ihr zur Zeit der Kopf steht.“ „Vielleicht denkt sie ja an Jemanden“, äußerte sich Keiyuu kleinlaut. „Das hab ich ihm ja auch schon gesagt“, sagte Ruki stolz, „aber auf mich hört ja keiner.“ „Weil du – was Frauen angeht – schon so oft Unwissen bewiesen hast“, rechtfertigte Kai Reita und die Gazetto-Gittaristen nickten eifrig. „Ihr habt euch alle gegen mich verschworen“, behauptete der GazettE-Vocal und verschränkte trotzig die Arme ineinander. „Ja, stimmt“, pflichtete Uruha ihm bei und schubste seine Band samt Leader-sama in Richtung Fahrstühle. „Deswegen beschließen wir jetzt ohne dich, dass wir hochgehen, um zu arbeiten.“ Er zwinkerte Richtung alice nine.-Teile, Takeru und Keiyuu und winkte zum Abschied. „Wir sehen uns – vielleicht – in der Mittagspause!“ Als sich die Fahrstuhltüren geschlossen hatten, umarmte Aoi Kai mit aller Wärme, die er hatte. „Ist schon gut“, flüsterte er leise. „Mit uns kannst du doch reden.“ „Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, log Kai, dennoch klammerte er sich an Aoi und begann zu schluchzen. Auf ihrem Stockwerk überprüften die anderen Drei, ob niemand Fremdes im Flur stand und Kai so sehen könnte. Im Proberaum holten sie sofort etwas Schokolade und Limonade aus ihren Geheimverstecken, die Keiyuu noch nicht entdeckt und somit auch noch nicht der Umzugsaktion zum Opfer gefallen waren. In letzter Zeit war ihr Drummer des Öfteren zusammengebrochen, Zucker half ihm, seinen Kreislauf oben zu halten. „Du hast wohl allein geschlafen.“ Uruhas leichtes Schmunzeln war voller Mitgefühl. Kai nickte, nicht wissend, was er damit auslösen könnte. „Hatte er wieder keine Zeit?“ Kai nickte wieder, bevor er sich der Worte bewusst wurde. „Ich ... sie hatte keine Zeit! Sie!“ Ruki schüttelte den Kopf. „Wir sind nicht blind, Yutaka.“ Aoi und Uruha warfen sich kurze, fragende Blicke zu. Wovon sprach ihr Sänger? „Dass du seit über einem halben Jahr mit ihm zusammen bist, hätten sogar die Fans herausfinden können.“ „Die meisten Affären sind öffentlicher als gedacht“, pflichtete Reita ihm bei und sah dabei kurz zu Uruha, der sich irgendwie ertappt fühlte. „Wo-wovon redet ihr?“, fragte er mit plötzlich trockenem Mund. „Kai hat eine Affäre“, erklärte Reita. Und ihr auch, sagte sein Tonfall und das ängstigte den jüngeren Gitarristen ein wenig. „Mit einem Mann. Hab keine Angst, ich nenne keine Namen.“ Kai war puterrot angelaufen – vor Wut! Seinem Kreislauf ging es jedenfalls wieder gut. „Es ist keine Affäre! Wir lieben uns!“ Aoi war überrascht. Er hatte Vieles erwartet, über Kai Vieles gedacht und Vieles gewusst, aber eine Affäre wäre für ihren Sonnenschein früher nie infrage gekommen, so war diese Erkenntnis wie ein Schlag gegen die Schläfe. „Er ist verheiratet“, warf Reita ein. „Er hat nicht aufgepasst!“ „Lass das, Kai.“ Ruki saß jetzt auf seinem geliebten Barhocker, wo er immer den Überblick hatte. „Ich weiß zwar nicht, um wen es geht, aber bist du sicher, dass er dich liebt?“ „Seit Jahren“, antwortete Kai trotzig und hob überheblich die Nase. „Aber er war nicht bei dir?“ „Er hatte zu tun.“ „Also ein beschäftigter Mann, ja? Dass das bei unserem Terminplan überhaupt klappt mit euch Zweien. Ein Doppelleben wär mir ja zu anstrengend – also ein Dreifachleben.“ Ruki überlegte und zog die Stirn kraus. „Das Bett- beziehungsweise Affären-Ich, das Bühnen-Ich, das Normale Ich ...“ „Was daran schon normal ist“, gluckste Reita. „Lenk nicht vom Thema ab“, blaffte Ruki und fixierte Kai, der mit hochrotem Gesicht vor der Tür stand – genau richtig, um zu fliehen. „Also?“ „Ich komm damit klar. Er weiß, wie ich bin und ... liebt mich.“ „Aber wir dürfen nicht wissen, wer er ist?“ Ruki schmollte, ohne dabei süß auszusehen. „Woher weißt du eigentlich davon?“, wollte Uruha von Reita wissen. „Erinnerst du dich an den Skandal damals in meiner Schule? Da hab ich’s auch als Erster gewusst.“ Uruha verzog grimmig die Lippen und nickte, obwohl er mit der Antwort nicht zufrieden war. „Es geht uns nichts an, Kai ...“, begann Aoi leise und sah seinem Jugendfreund in die Augen. „Wir wollen nur nicht, dass es dir schlecht geht.“ Kai gab endlich seine Angriffsposition auf. „Ich weiß.“ Uruha suchte nach etwas in Reitas Blick, einen kleinen Hinweis über sein Wissen, doch der Bassist war so und undurchschaubar wie eh und je. ~~~~~ In der Mittagspause suchte Keiyuu fieberhaft nach den Gazettos, viel mehr – nach deren Gitarristen, aber irgendwie wollte keiner von ihnen auftauchen. Nichtmals auf ihrem Flur trieben sie sich herum. „Suchst du Jemanden?“ Keiyuu erschrak und trat Uruha vor Schreck auf den Fuß. „Ich glaube ja, er schnüffelt mir zu viel“, grinste der Brünette düster und sah zu dem Mann hinüber, der Keiyuu angesprochen hatte. „Aoi-san, Uruha-san ... bitte!“ Mit flehendem Blick sah er zu Uruha hinauf. „Ich verrate Niemandem etwas, bitte, bitte gib sie mir zurück!“ „Nein. Womit soll ich dich sonst erpressen? Ich wär ja schön blöd, wenn ich dir dein heißgeliebtes Stück Stoff wiedergeben würde. Das lassen wir mal schön bleiben.“ Aoi verdrehte die Augen. „Der Fiesling steht dir nicht, Uruha ... Überhaupt bin ich nur mitgekommen, um Keiyuu-san ein wenig zu ärgern, nicht, um ihm Angst einzujagen.“ „Hast du etwa Angst? Das war nicht meine Absicht“, sagte Uruha und wuschelte dem Sänger durch die Haare. „Aber es war eine Erinnerung daran, was für dich auf dem Spiel steht.“ Die Beiden verschwanden wieder im Proberaum. Keiyuu seufzte tief. Und plötzlich waren da Schritte hinter ihm. „Was sollst du nicht verraten?“, erkundigte sich Takeru ernst. Kapitel 3: Oxymoron - Schöne Scheiße ------------------------------------ „Aoi ...“ Uruha fühlte sich unwohl, wenn er nichts sah. Aoi hatte ihm eine Augenbinde angelegt, nachdem sie ins Auto gestiegen waren und bevor sie die Tiefgarage verlassen hatten. Seit mindestens einer halben Stunde fuhren sie schon durch die Gegend und er hatte komplett die Orientierung verloren. „Hm?“ Endlich reagierte er auf seinen Namen. „Wo sind wir?“ „Du wirst es gleich erfahren. Hast du eine Idee?“ „In deiner Wohnung?“ „Iie.“ „Meine Wohnung?“ „Iie.“ Uruha überlegte. Ihm kam ein Gedanke, er zögerte. „Na?“ „Bei Reita.“ „Das ist ja gar keine Frage.“ „War das nicht deine Idee? Dass ich mich von Reita durchnehmen lasse? Deswegen wusste er doch auch von uns.“ Einen Moment lang war es still. „Du meinst, er weiß wirklich Bescheid?“ „Also hast du ihn nicht um ein Sex-Date gebeten?“ „Nein, wieso sollte ich? Außerdem weiß ich doch gar nicht, ob dir das gefallen würde.“ „Sex mit Reita? Keine Ahnung. Abgesehen von dem Bild, das du Tora in den Kopf gemalt hast, hab ich nie darüber nachgedacht.“ „War ich doch so laut und deutlich?“ Aoi kicherte. „Alle, die da waren, wissen es jetzt.“ Uruha machte eine Pause. „Würde es dich anturnen, uns dabei zuzusehen?“ „Zusehen allein macht doch keinen Spaß – aber fürs Erste wärs, glaube ich, ganz aufregend.“ „Du willst mit Reita schlafen.“ „Hm ... nicht direkt.“ „Wie denn dann?“ „Verrätst du mir noch etwas, bevor wir da sind?“ Er lenkt ab, dachte Uruha mürrisch, ließ Aoi aber noch mal entkommen. „Was denn?“ „Was meinte Reita mit dem Skandal an seiner Schule?“ Der Leadgitarrist seufzte. „Eine seiner Lehrerinnen hatte ne Affäre mit einem ihrer Schüler. Reita war schrecklich. Drei Monate lang nur eklig zu Frauen, sogar zu meiner Mutter und meinen Schwestern.“ „Was war passiert?“ Ein Schulterzucken. „Er war verknallt und total scharf auf sie.“ „Die Lehrerin?“ Uruha nickte. „Er war gerade erst sechzehn geworden und hielt sich für alt genug, um ne Beziehung mit einer reifen Frau anzufangen. Sie war allerdings anderer Meinung. Zwei Wochen nach seinem Geständnis hat er erzählt, sie würde mit einem Schüler schlafen. Das war seine Rache.“ „Er hat also gelogen?“ „Nein. Der Typ war fünfzehn. Sie sollte nie wieder erzählen, für Liebe könnte man zu jung sein.“ Aoi zuckte zusammen, ohne dass er es beeinflussen konnte. Dieses eine Wort erschreckte ihn, wenn es aus Uruhas Mund hörte. Hoffentlich hatte dieser nicht bemerkt. Natürlich nicht, er sah ja nichts. „Bist du jetzt zufrieden?“ „Hm, womit?“ „Mit Reita. Hast du genug Infos?“ Er dachte also immer noch, er wolle Reita als Dritten in ihre Runde holen. „Ja, aber wir fahren trotzdem nicht zu ihm. Wir brauchen erst Verstärkung, wenn uns langweilig wird – Das wird noch lange nicht passieren!“ Eine seiner Hände verließ das Lenkrad und streichelte Uruhas Oberschenkel. Der Brünette lächelte irgendwie erleichtert. „Sind wir jetzt bald da?“ „Ja, noch zwei Mal abbiegen, dann ist alles in Ordnung.“ Sie bogen noch zwei Mal ab und Uruha hatte das Gefühl, Aoi parkte auf einem relativ großen Parkplatz ein. Er hörte sein Aufseufzen. „Ich nehm dir jetzt die Augenbinde ab. Das ist für mich selbst gerade etwas aufregend.“ „So soll es doch sein“, warf Uruha ein. „Aber ich weiß nicht, was du hierzu sagst ...“ Uruha hielt die Luft an, als er es tat, und mit geöffneten Augen beobachtete er ihre Umgebung. Dieses Mal war es an Aoi, die Luft anzuhalten. Der Parkplatz war etwas kleiner als erwartet, die Nummernschilder der Autos waren abgehängt. „Aoi ... das ...“ „Ja?“ Der ältere Gitarrist leckte sich die Lippen vor Aufregung. „Ist es das, was ich denke, das es ist?“ Aoi lenkte Uruhas Blick in Richtung eines kleinen leuchtenden Schildes. „Ein Love-Hotel?“ „Zu öffentlich? Zu abwegig?“ Uruha schüttelte den Kopf und wurde rot. „Ich kenn mich nur nicht damit aus. Ich war noch nie in so einem E-eta ... Etablisse-ment.“ „Hast du was?“, fragte Aoi überrascht und sah sich um. „Iie, ich dachte nur, ich hätte ein bekanntes Auto gesehen, aber das denkt man hier wahrscheinlich bei jedem Zweiten, was?“ Uruha lachte nervös. Aoi schien wie ein kleiner Hund die Ohren anzulegen. „Wenn du nicht willst, fahren wir wieder ...“ „Nein, ich will wirklich – ich bin nur aufgeregt.“ „Ich auch“, gestand Aoi leise und wünschte sich, er dürfte ihn jetzt küssen, damit er der Situation die Anspannung nehmen konnte. „Lass uns reingehen, hai?“ Er schnallte sich ab und stieg aus. Uruha machte es ihm nach, das Auto wurde abgeschlossen. Dankbar, dass der Jüngere wenigstens das zuließ, gingen sie Händchen haltend in das mehrstöckige Gebäude. Dort war der Empfang wie in jedem normalen Hotel. Aoi wickelte die Geschäfte ab, sodass Uruha sich umsehen konnte. Das Gefühl, hier in einem Stundenhotel zu sein, erschien ihm etwas befremdlich, weil er sich nie für diesen Typ Mann gehalten hatte. Die Angestellten dachten sich sicher nichts mehr dabei, aber Menschen verurteilten so leicht ihre Mitmenschen, obwohl sie das Gleiche taten ... Aoi tippte ihm auf die Schulter und lächelte freundlich. Gemeinsam benutzten sie einen verspiegelten Fahrstuhl, an dessen Scheiben Finger- und auch Körperabdrücke zu erkennen waren. „Mir wird ganz schlecht, Aoi ...“ „Bekommt dir das Fahrstuhlfahren nicht mehr?“ „Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist ...“ „Lass uns zumindest kurz reingucken, okay?“ Aoi lächelte aufmunternd und drückte Uruhas Hand. „Wenn es dir zu unangenehm wird, düsen wir wieder ab.“ „Hai ... arigatou, Aoi ...“ Seine Stirn kräuselte sich verdächtig, dass Aoi ihn auf die Wange küssen musste. Uruha kicherte, weil es kitzelte, und gab ihm einen kleinen Schubs gegen die Brust. In diesem Moment glitten die Fahrstuhltüren auseinander und ein langer Flur tat sich vor ihnen auf. Dort stand ein Pärchen an die Wand gelehnt, sich küssend und streichelnd – als gäbe es keine Überwachungskameras. „Die haben es wohl nicht mehr aufs Zimmer geschafft“, flüsterte der Rhythmusgitarrist und grinste. Sie sahen nichts von Gesichtern oder Mündern, doch sie hörten die eindeutigen Schmatzgeräusche, die beim Küssen entstehen. Aoi und Uruha näherten sich dem Pärchen, sie hörten und sahen immer mehr. Die größere Person ließ ihr Knie zwischen die Beine der anderen wandern, sodass diese aufstöhnte und sich in die kurzen Haaren des Partners krallte. Beide stöhnten. Beide männlich. Der Größere ließ von den Lippen ab und vergriff sich am weißen Hals des Anderen, der daraufhin beide Arme um die Schultern schlang und die Augen zusammenkniff. Die beiden Gitarristen waren nicht viel weiter gekommen. Kai. Kai machte mit einem Kerl auf einem Love-Hotel-Flur rum. Aoi zog an Uruhas Hand, denn dummerweise mussten sie weiter, ihr Zimmer lag hinter Kai und seinem Lover. Dicht aneinander gedrängt schienen sie nichts mehr von der Außenwelt mitzubekommen, denn jede weitere Bewegung war fließend und wie einstudiert. Kai zog seinem Partner Mantel und Oberteil vom Leib und Aoi war es, der sich auf die Zunge beißen musste, um nicht laut zu werden. Die Tätowierungen auf dem leicht gebräunten Körper waren unverkennbar. „Miyavi-kun“, flüsterte Uruha schockiert und sah zu Aoi herüber, der die Lippen aufeinander presste und zu knurren begann, woraufhin er den Älteren an sich zog. In der Zwischenzeit hatte wohl auch das fummelnde Pärchen die Gitarristen bemerkt. Kai stellte sich sofort mit wütendem Blick zwischen die Gitarristen seiner Band und den Solokünstler. Jeder von ihnen hatte wohl noch das Bild im Kopf, als Miyavi Knall auf Fall bekannt gegeben hatte, die PSC zu verlassen. Aoi war so ausgerastet, dass ihn Reita und Kai nur zusammen haben zurückhalten können, um nicht auf den anderen Gitarristen loszugehen. »Und vor uns und den Fans spieltest du noch heile Welt! Im Nachhinein hat jeder gesehen, dass du schon zur Peace&Smile Carnival-Toru geplant hattest zu gehen! Du hast uns und die Fans verraten!« Miyavi hatte damals wie heute nicht anders reagiert. Er schämte sich und zog die Schultern ein, als hätte man ihn angeschrieen, obwohl alle stumm waren. „Ihr ...“ Kai grollte. „Ist Ruki auch hier? Wollt ihr alles sofort herausfinden, ja?“ Aoi und Uruha waren sich nicht sicher, worauf ihr Drummer hinauswollte. „Ihr seid uns gefolgt, oder? Jetzt wisst ihr es ja: Takamasa-kun und ich sind zusammen!“ „Darum geht es ihnen gar nicht, Kai-kun“, erhob Miyavi das Wort und benutzte seinen Künstlernamen, weil er keinen Unterschied zwischen Kai und Yutaka Uke kannte. „Sie sind nicht wegen uns hier. Habe ich Recht, Aoi-kun?“ Und es war wie immer: Miyavi kombinierte clever wie nie, durchschaute und erkannte Absichten. „Ihr seid zusammen. Wurde aber auch Zeit!“ „Wir sind nicht zusammen!”, platzte es aus Uruha heraus, ohne dass er darüber nachgedacht hatte, noch Aois Zucken bemerkte, der gerade wie von einem Blitz durchzogen aufschreckte. Der Rhythmusgitarrist konnte das Gefühl gar nicht beschreiben, auch nicht begreifen, dass sich eben wie ein Pfeil in sein Herz gedrängt hatte, als der Jüngere abrupt seine Hand los ließ. „Also seid ihr uns doch nachgekommen?” Kai bebte jetzt noch mehr als gerade eben. „Iie, wir haben ein Geheimnis, ihr habt ein Geheimnis ... Ist doch alles klar, oder?“ Aoi hatte sich arg zusammengerissen und sein Blick schien Miyavi förmlich aufzuschlitzen - Der Dunkelhaarige aus Mie überspielte seine Schwäche. „Du hast dich also immer noch nicht beruhigt ... Aoi-san ...“, ließ Miyavi hören. Er war nachdenklicher geworden, viel mehr als früher. „Du hast dich ja auch noch immer nicht entschuldigt“, bekam er die Retourkutsche, die ihn aber wenig überfahren hatte. „Du kannst froh sein, dass mir Kai so sehr am Herzen liegt ... Ich denke, Melody-san würde das hier bestimmt interessieren ...“ „Aoi, tu das nicht ...“, fing Kai an zu flehen und auch Miyavi starrte ihn entsetzt an. „Wie gesagt, dein Glück bedeutet mir unheimlich viel, deshalb werde ich nichts ausplaudern und hoffen, dass er“, er deutete auf den Solokünstler, „den Schneid besitzt, sich selber an den Galgen zu bringen ... Wenn ich Melody-san wäre, würde ich es auch nicht von einem Ex-Arbeitskollegen meines Mannes hören wollen ...“ Uruha schaute besorgt zu seinem Liebhaber herüber. Er hatte das »Ex« so unsagbar schwer betont, dass ihm ein Schauer übergekommen war. Er wusste nicht einmal, ob Aoi wütend wegen dieser Affäre war, oder wegen Miyavis plötzlichem Ausscheiden aus der PSC ... oder weil er damals schlicht nichts gesagt hatte und einfach gegangen war ... Aber Uruha konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn er wurde zurück zum Aufzug gezogen. „Komm, Ruha, wir fahren wieder ...“ „H-Hai ...“ Der Leadgitarrist warf noch einen mitleidigen Blick zu ihrem Drummer herüber, welcher sagte: Es tut mir Leid. Doch Kais traurige Augen pressten sich wie ein Schraubstock um sein Herz. Die ganze Zeit über im Fahrstuhl und auf dem Weg nach draußen hatte Aoi kein Wort gesagt. Er hatte das Auto aufgemacht und weder Uruha noch irgendjemanden sonst eines Blickes gewürdigt. Die Sonnenbrille auf seinem Gesicht ließ keinen Schluss darüber zu, in welchem Zustand er sich befand. Seelenruhig fuhr er wieder vom schlecht geschobenen, vereisten Parkplatz und schlängelte seinen Weg zurück durch die Stadt. Doch dann bog er ganz unerwartet ab und auf eine viel befahrene Bundesstraße. „Wo willst du hin?“, fragte Uruha sofort aufgeregt. Er bekam keine Antwort. „Aoi?“ Es brachte nichts. Nach anderthalb Stunden war Aoi schließlich auf den Verzögerungsstreifen der Abfahrt gefahren und noch eine ganze Weile weiter, bis sie schließlich in eine schlecht geräumte kleine Zufahrtsstraße zu einem Ort namens Oshinagawa, den beide überhaupt nicht kannten, einbogen. Links und rechts hatte sich der Schnee, der in den letzten Wochen gefallen war, unerbittlich aufgetürmt. „Aoi ... hier ist es zu gefähr-“ Aoi bremste wie von der Tarantel gestochen. Das Auto drehte sich leicht, da es sehr glatt war. Plötzlich standen sie irgendwo im Nirgendwo. „Was ist denn?“, Uruha krallte sich als Schutzreflex an der Armatur des Wagens fest, auch als der blaue Nissan Almera mit Kansai-Kennzeichen schon längst stand. Es klickte, Aoi hatte sich abgeschnallt, während die Bordelektronik ein Signal gab, dass die Zündung ausgeschaltet wurde. Nun war es dunkel. „Aoi ...?“ Uruha hörte, wie der Andere tief seufzte, so dass er mehr als nur ahnen konnte, dass er gleich ausbrechen würde wie ein Vulkan. „Verdammt!!“ Ein dumpfer Schlag gegen die Lüftungsanlage folgte - Uruha hatte Recht behalten. „Dieser Scheißkerl, was denkt er sich dabei!?“ Der Jüngere war unter Aois Lautstärke in seinem Sitz zusammen geschrumpft. Er spürte einen Hauch der Kälte, der nicht nur von dem erbarmungslosen Donnern in der Stimme seines Freundes herrührte. Wind war aufgekommen und das leise Zwitschern auf der Frontscheibe ließ Uruha wissen, dass es auch wieder angefangen hatte zu schneien. Doch er versuchte das jetzt zu ignorieren. „Bitte beruhige dich ...“ „Ich war die ganze Zeit ruhig, verdammt!“ Uruha hatte die Augen zusammengekniffen, als Aoi ihm direkt ins Ohr schrie. „Ich kann das nicht verstehen! Er hat Frau und Kind zu Hause und macht so eine Scheiße ... Was soll das denn ...? Ich dachte, er wäre glücklich!“ Ungehalten trommelte Aoi auf dem Lenkrad. Ein leiser Ton der Hupe war zu hören, als er die Signalanlage beinahe getroffen hätte. Er war außer sich vor Wut. „Was soll das denn? Lass dein liebes Auto heil! Du tust dir noch weh“, versuchte Uruha die Handgelenke des Anderen zu fassen zu kriegen, woraufhin Aoi tatsächlich aufhörte, obwohl es nicht gelungen war. „Warum?? Und warum zieht er Kai da mit rein?“ „Weil er ihn liebt ...“ „Aber er liebt seine Frau doch auch ... und Lovelie-chan ...!“ „Hai ...“ „Ich kann so was nicht ab! Ich hasse sowas ... Wenn wir zusammen wären, dann würde ich dich nie betrügen!“ Mit einem Mal war es wieder still in der Fahrgastzelle ... Uruha wurde ein bisschen rot und Aoi schien erst nach ein paar Sekunden zu begreifen, was eigentlich in ihm los war. Er war wütend. Er war überfordert. Er war unsagbar traurig ... Uruha hatte ihn zurückgewiesen ... Die ganze Zeit über hatte er gehofft, geglaubt und gebetet. Aber was hatte er erwartet?! Uruha hatte ganz klipp und klar gesagt, dass er niemanden küssen würde, in den er nicht verliebt sei. Und er hatte ihn nie geküsst. Nicht in einer einzigen Nacht, in der er ihm näher war, als nie ein Mensch vorher. Uruha gab sich ihm hin, doch er würde niemals ihm gehören ... Sie waren so oft verschmolzen und doch nie eins geworden ... Sie waren ständig zu zweit und trotzdem allein ... - ein Spiel ohne Gefühle, hm? Er presste die Augen auf die ledern behandschuhten Fäuste, die immer noch geballt am Lenkrad lagen. Er musste sich jetzt wieder zusammenreißen, sonst würde Uruha noch was merken ... „Entschuldige“, sagte er dann wieder ruhig und lehnte sich an Uruhas Schulter. „Mein Vater hat nur auch mal so ein Ding gebracht ... Seitdem reagiere ich empfindlich auf so was ...“ „Ist schon gut“, murmelte Uruha und strich dem Anderen kurz über die Wange. Dann legte Aoi den Schlüssel wieder um, das Auto startete und das Licht ging wieder an. Nachdem er sich wieder angeschnallt hatte, versuchte Aoi umständlich umzudrehen und schaffte es geradeso, ohne in den Graben zu rutschen. Er war ein guter Fahrer, aber mit Schnee hatte man in seiner Heimatpräfektur Mie nie etwas am Schaffen gehabt. Die Beiden schafften es mit Tempo dreißig zurück auf die feste Straße und damit nach Hause ... Doch sie sprachen kaum ein Wort miteinander ... ~~~~~ Aoi hatte sich krank schreiben lassen. Seit Tagen war er nicht in der Arbeit gewesen. Uruha hatte er eine dicke Erkältung vorgeheuchelt und ihm dann verboten ihn besuchen zu kommen. Er sollte sich nicht anstecken. Auch Kai sprach herzlich wenig mit ihm, scheinbar hatten sich alle gegen ihn verschworen ... Resignierend saß Uruha auf der Couch im neuen Proberaum, der ihm immer noch seltsam fremd vorkam. Er fragte sich, warum, aber klar ... es roch nicht nach Marlboro und auch nicht nach Aois Parfum ... Besuchsverbot hieß Sexverbot ... Wie konnte ihm der Andere so was antun?! Ihm musste es wirklich schlecht gehen, schließlich wusste Uruha genau, wie sehr Aoi ihre schlüpfrigen Pauseneinheiten genoss. Aber der Leadgitarrist hatte sich so sehr an die entstandenen Sexkapaden gewöhnt, dass er jetzt richtig unruhig wurde ... Er stand seit Tagen unter Strom, denn Aoi fehlte schon fast zwei Wochen. Er murrte wie eine rollige Katze, ihn stach der Hafer ... „Ruha!“, klatschte Ruki ihm einen Beutel mit alten Aufnahmen von hinten gegen die Brust. Er zuckte zusammen, hatte den Sänger nicht kommen hören. „Bring das ins Archiv!“ „Hör ich da noch ein Wort mit Doppel-T?!“, motzte er zurück, Rukis schnippische Laune konnte er jetzt gar nicht gebrauchen. „FloTT!“ „Pff ... Schwachmat ...“ Damit erhob sich Ruha wie eine Diva und stolzierte zur Tür heraus, eh Ruki was erwidern konnte. Ja, Uruha war neuerdings unerträglich, wenn er seinen Entspannungssex nicht bekam. Woher kam das eigentlich? Er war doch früher nicht so gewesen ... Ganz klar. Aois Schuld. Er hatte ihn verdorben, mit seinen heißen Spielen und dem Blick aus Nitro-Glyzerin. Der Mann war einfach pures Dynamit - wenn er nicht gerade mit ein bisschen Schnupfen und Fieber im Sterben lag ... Argh, es war zum Mäuse melken! Je mehr er an Aoi dachte, desto mehr brauchte er es jetzt. Was sollte er machen? Trotzdem zu Aoi fahren und ihm eine Hühnersuppe mit scharfem Beigeschmack bringen? Ach, das würde eh nur dazu führen, dass Aoi die Suppe an der Tür entgegennehmen, sich bedanken und dann Ruha unverrichteter Dinge wieder abziehen lassen würde. Ne, ne ... Dann wäre er nur nich frustrierter ... „Autsch.“ „Oh ... Entschuldigung bitte ...“ Hey ... der neue Mitarbeiter vom Firmenkolleg. Uruha blinzelte. Wow ... was ein Typ ..., dachte er nur. Von dem ließ man sich doch gerne auf dem Flur über den Haufen rennen. „Haben Sie es immer so eilig ...?“ Ups ... Uruha hätte diesen flirtenden Unterton lassen sollen. Wie peinlich ..., dachte er und lachte den größeren Mann im Anzug künstlich verlegen an. Denn zu allem Überfluss stieg der Typ auch noch voll auf die Nummer ein. „Ach, ich kanns auch vorsichtig und langsam ...“ Dieses Grinsen war so rasiermesserscharf, dass Uruha auf der Stelle ganz anders wurde. „Na ... anscheinend ist Ihnen heute nicht danach ...“, kokettierte er zurück. „Stimmt ... scheinbar nicht ...“ Holla ... Er hatte den Kleineren gerade übelst taxiert. -Regelrecht ausgecheckt ... Uruha rann ein wohliger Schauer über den Rücken. Er hatte nicht eine Sekunde gebraucht, um zu registrieren, dass Ameda-san a) zu allem bereit war, b) das auch noch zu jeder Zeit und an jedem Ort und c) dass er unübersehbar heiß an ihm interessiert war ... Und noch etwas war entscheidend für die Kurzschlussreaktion, die Uruha direkt in seine Arme und Ameda zwischen seine Schenkel beförderte: Er hatte unabdingbar Aois Klasse ... Uruha wusste gar nicht, wie ihm geschah. Es war wie damals, als Aoi ihn so von jetzt auf gleich angemacht hatte. Er fühlte sich genauso geschmeichelt. Es prickelte ebenso heiß in seinem Lendenbereich und der Kick ließ ihn willenlos werden. War er tatsächlich so leichte Beute? Scheinbar schon. Er wusste genau, dass Ameda das hier nichts bedeutete, ihm schließlich auch nicht, aber für diese schnelle Nummer in der Mittagspause würden sie sich genügen ... Schon wurde er stürmisch auf den Tisch gehoben und sein Rücken auf das kalte Holz in Amedas Büro gedrückt. Diese definierte Stärke war eine willkommene Abwechslung, die er von Aoi in dieser Form nicht kannte. Seine Berührungen waren fest und dominant. Er ließ Uruha weder Zeit zu überlegen, noch Luft zum Atmen. Jeder Griff saß und ein Schauer folgte dem nächsten. Er war erfahrener als Aoi, das hatte Uruha sofort gemerkt. Nach ein paar Minuten schon verschwand das Gesicht des Fremden in Uruhas Schoß, um ihn für das Kommende vorzubereiten ... Draußen auf der Treppe vor dem Eingang zu seinem Büro, klapperte es auf den Stufen. Ein Stift war herunter gefallen und sein Besitzer beugte sich eilig, um ihm noch zu folgen. Er kniete halb auf den beiden nächsten Stufen nach unten, als er ihn zu fassen bekam. Sein Blick flog kurz herüber zu dem kleinen Fenster über dem Türsturz zu Amedas Büro. Er erstarrte. Er sah Uruha auf dem Tisch liegend, die Beine weit gespreizt und den neuen Personalchef dazwischen ... In seiner Hand wurde ein kleiner Zettel zerknittert ... Schlagartig legte Uruha den Unterarm über seinen Mund. Er war zu laut ... jetzt schon ... Seine geröteten Wangen brannten wie Feuer. Sein Herz überschlug sich fast ... Hatte er immer gedacht Aoi wäre fordernd gewesen, so hatte er doch keine Ahnung. Aoi war immer zärtlich, auch wenn er ihr erstes Mal mit seiner Wildheit versaut hatte, aber er hatte es Tausende Male wieder gut gemacht. Uruha konnte nicht im geringsten mit Ameda mithalten ... Der Mann war doch ein ganz anderes Kaliber als das, was er mochte. Zudem wurde er immer ungehaltener. Von Sekunde zu Sekunde wurde Uruha mulmiger ... aber es gab jetzt kein Zurück mehr. Er hatte es sich selbst zuzuschreiben, er selbst hatte es so gewollt. Aoi ..., dachte er nur immer wieder. Aoi ... »Wenn wir zusammen wären, dann würde ich dich nie betrügen!« Er riss die Augen auf! Was machte er hier? Was? „Nein!“, schrie er und Ameda hielt inne. „Nein ... nein ... ich will das nicht ...!“ Er wurde losgelassen. Sein Herz schmerzte. Uruha ballte die Hand zur Faust vor seiner Brust, er biss sich auf den Finger um sein Hyperventilieren zu verhindern. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Aoi ... Aoi ... Er weinte ungehalten, während Ameda irritiert Abstand suchte ... Es fühlte sich nicht an wie ein gelungener Quickie zur Aufheiterung der Stimmung. Wie bescheuert er gewesen war ... Es fühlte sich an wie ein ... Seitensprung ... Ohne sich wieder richtig anzuziehen stürmte Uruha aus dem Raum. Er rannte einfach den Gang herunter ... weiter und weiter ... Aoi, der auf der Treppe saß und fassungslos auf den Boden starrte, während er den Krankenschein, den er eigentlich bei Ameda hatte abgeben wollen, zerknüllte, hatte er gar nicht bemerkt ... Völlig außer Atem stürmte Uruha in das Herrenklo am Ende des Ganges. Er war allein, niemand war hier. Hastig riss er denn Wasserhahn bis zum Anschlag auf. Seine Hände schaufelten Wasser um Wasser auf seinen Körper, der immer noch halb entblößt war, seine Hose hing gefährlich haltlos auf den schmalen Hüften. Grob schrubbte er mit den Handflächen auf seinen Schenkeln ... Er musste sich diesen Mann abwaschen ... Ihm wurde schlecht. Wie hatte er nur so etwas tun können. Er hätte Aoi beinahe ... Wieder krampfte sein Herz schmerzvoll ... Warum? Warum war ihm erst jetzt bewusst geworden, wie viel ihm Aoi bedeutete? Auch wenn er immer noch nicht ausmachen konnte, was für ein Gefühl gerade diese zerreißende Reue mit unbändiger Macht auf seine Schultern drückte ... Es war alles so schnell gegangen ... es war so einfach gewesen ... Aber das war es doch auch mit Aoi ... Aber er fühlte sich schlecht ... So schlecht ... „Oh Gott, was ist denn passiert ...“ Außer Atem drehte Uruha den Kopf zur Seite. „Was ist denn mit Aoi-kun ...?“ Tora? Was machte er jetzt hier ...? Uruha wusste nicht, was er ihm antworten sollte. Er knöpfte sich hastig wieder zu. „Uruha ...? Was ist passiert? Hat er dir was getan?“ Schon spürte der Leadgitarrist eine starke Hand, die sich schützend auf seinen Rücken legte. Er schüttelte den Kopf. „Aber was ist es dann? Ich hab Aoi-kun doch gerade ganz abwesend auf der Treppe vor dem Personalbüro gesehen ...“ „Was?!“ Uruhas Augen wuchsen zu Teetassen heran, seine Lippen bebten. „Aoi? Was macht er hier ...? Ich dachte, er ist krank ...“ „Hai, schon, aber er wollte seinen Krankenschein nachreichen und sagen, dass er morgen wieder kommt ...“ Tora spürte nur einen Windhauch, der an ihm vorbeizog, als Uruha aus der Nasszelle stürmte. Sein besorgter Blick folgte seinem Schulfreund ... der ihm offenbar nie fremder erschienen war, als in diesem Augenblick. Er hatte ihn gesehen! Mit Sicherheit! Zusammen mit diesem Personalabteilungsarsch! Verdammt ... Uruha rannte, obwohl es ihm nicht erlaubt war. Der Weg zu den Treppen war ihm nie so lang erschienen. Sein Atem ging abgehackt, er hechelte und stützte sich auf seinen Knien ab, kurz bevor er Aois schwarzen Haarschopf ausmachte und erneut erstarrte. Tränen stiegen ihm in die Augen und er konnte sie wieder nicht zurückhalten. Der Jüngere lief zu Aoi, stieg zwei, drei Stufen hinunter, um sich zu bücken und ihm in die Augen zu sehen, doch da war nichts zu sehen. Aoi verdeckte sein Gesicht. Uruha presste die Lippen aufeinander, wie er es immer tat, wenn er etwas falsch gemacht hatte. Und ungestüm, beinahe grob schwang er sich auf Aois Schoß und umarmte seinen Partner. Schluchzte. Weinte. Schluchzte. Weinte. Und flüsterte. „Es tut mir so leid, Aoi, es tut mir so leid ... ich weiß nicht, was in mich gefahren ist ... bitte, verzeih mir!“ Aoi blickte hinüber zum Fenster, wodurch er die schneeträchtigen Wolken erkennen konnte. Er spürte den Körper, den er so vermisst hatte. Fühlte die Anwesenheit der Seele, die er so sehr brauchte ... und erkannte klar den Schmerz, der gleichsam mit seinem Herzen in seiner Brust schlug. „Uruha ...“ „Bitte ...“ Wieder schluchzte der Jüngere auf und fühlte sich wie der kleine Junge, der sich bei seiner Mutter wegen einem aufgeschlagenem Knie ausheulte. Seine Arme klammerten sich an Aoi und seine Hände streichelten dessen Rücken. Es war ihm egal, ob und wer sie so sah, nah aneinandergedrängt, weinend, fast eins. „Es war falsch ... ich weiß, dass du es gesehen hast – es war falsch, was ich getan habe ... ich habe dich so vermisst und ... Aoi ...“ Uruha wünschte sich einen Szenensprung wie in einer dieser Seifenopern, wenn ein besonders bedeutsamer Satz gefallen war. Er wünschte sich in die nächste Szene, wenn beide Charaktere wieder vereint aneinander hingen und jeder Schmerz verschwunden war. Endlich spürte er Aois Arme um sich und seufzte, drückte ihn noch fester an sich und steckte seine Nase in die dunklen Haare, die nach Aois Shampoo rochen. „Es ist okay ... Uruha ...“, flüsterte Aoi zurück und atmete den geliebten Duft tief ein. „Ich habe dich auch vermisst ...“ Aois Lippen wanderten von Uruhas Ohr, zu seinen Wangen, seinen Mundwinkeln. Berührten die Samtkissen wie ein Windhauch, verschwanden wieder. „Gomen nasai ...“ Sie sahen einander in die Augen. Uruha wirkte verwirrt. „Ich weiß, dass du nicht geküsst werden willst“, sagte der Ältere und ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Es ist okay, hatte Uruha ebenso sagen wollen, doch er verschluckte sich allein bei dem Gedanken mit Aoi herumzuknutschen. Dann hätte er sein Herz wohl rettungslos verloren ... „Bist du immer noch krank?“, wechselte er stattdessen schnell das Thema. Aoi schüttelte den Kopf und seine Wangen wurden rot, weil er gelogen hatte. Nie krank gewesen war. „Gut zu wissen.“ „Warum?“ „Weil ich dich ganz dringend brauche ... ich bin süchtig nach dir, glaube ich ...“ Der Leadgitarrist lachte, stand auf und half seinem Kollegen auf die Beine. Im nächsten Moment sah er verlegen aus. „Versprich mir, dass du mich nie wieder so lange alleine lässt.“ Aoi nickte ohne zu überlegen, obwohl sein Herz schmerzte. ~~~~~ Keiyuu saß in der Mittagspause auf dem Treppenansatz des Kellers der PSC und tippte auf seiner Laptoptastatur herum. Seine Finger schwebten über die Tasten wie über eine Klavierleiste. Die klassische Musik in seinen Ohren versuchte ihn zu beruhigen, aber gewisse Bilder konnten seine Gedanken nicht verlassen. Immer noch hatte niemand anderes etwas von Uruhas und Aois Geheimnis erfahren, aber ... Seine Finger blieben in der Luft hängen. Wieso hielten sie diese Sache geheim? Trafen sie sich tatsächlich nur, um miteinander rumzumachen? Oder führten sie eine Liebesbeziehung? Und wenn ja, wieso sollte niemand davon wissen? Hielt Aoi es tatsächlich für so wichtig, sein Hetero-Image aufrecht zu erhalten? Was nur ... was hielt sie der von Offenbarung ab und wieso taten sie so etwas - miteinander? Und da war noch Takeru, der ihm immer wieder an den Fersen heftete und sich nicht abschütteln ließ. Nervig wie eine Klette und anhänglich wie ein Kind, das etwas zum Spielen haben wollte. Warum interessierte es den jüngeren Sänger so sehr? Keiyuu war es nie bewusst gewesen, dass er sich als Tratschtante durch die Gegend schlich und allem und jedem etwas entlockte. Oder ging es ihm einfach nur um das Wissen? Mehr noch: Warum interessierte ihn selbst, Keiyuu, was Takeru mit dieser Erkenntnis tun wollte? Der SuG-Sänger ahnte wahrscheinlich nichtmals etwas von Aois und Uruhas ‚Beziehung’, also konnte er auch keinen Skandal wittern, den es zum Weitertratschen gelohnt hätte. Am Schlimmsten war jedoch die Tatsache, dass Takeru etwas wusste, dass außer Uruha niemand auch nur ahnen konnte. Die heimliche, tiefe Zuneigung zu einem PSC-Mitglied konnte ihm ohne Zweifel das Genick brechen. Wenn das herauskäme ... wenn auch nur seine Kollegen davon erfahren würden, wäre es mit seinem Ruf als Saubermann vorbei. Nicht, dass er damit rechnete, die Leute würden ihn gnadenlos in der Luft zerreißen, aber er war nicht der Typ, den man für schwul hielt. Nicht er ... nein, daran glaubte er nicht. Er wollte das Bild des netten Jungen von nebenan aufrechterhalten, den sich so viele Mädchen da draußen wünschten. Da konnte er nicht einfach, in einen anderen Mann verliebt sein ... oder sich auch nur seine direkte Nähe wünschen. Sein digitales Tagebuch aufgeschlagen schrieb er seine Gedanken nieder, während ihn Chopin-Klänge in eine andere Welt entlockten. Eine Welt, in der es ihm leicht fiel, über seine Gefühle, Wünsche und Ängste zu reden oder zu schreiben. Er hatte diesen Tasten, diesem Rechner schon alles Mögliche erzählt ... nun sollten wieder ein paar weitere Zeilen hinzukommen. ‚Dieses Bild werde ich wahrscheinlich nie vergessen. Ich hab das noch nie live erlebt. Ich bin nicht der Mensch dafür, der anderen Leuten beim Sex zusieht. Nein. Es hat mich ja auch nicht geregt. Es hat aus mir nichts Anderes gemacht. Nur einen bestechlichen Mann.’ „Also ...“ Keiyuu schreckte hoch, klappte seinen Laptop zu. Die Musik in seinen Ohren verstummte sofort. Takeru saß neben ihm und sah ihm angestrengt in die Augen. „Du hast Aoi-san und Uruha-san beim Sex beobachtet? Zusammen? Miteinander?“ Kapitel 4: Melodys retardierendes Moment ---------------------------------------- „Ich - äh ... anou Takeru-kun ...” Fast aus dem Sitzen sprang der kleine Sänger empor. Seine Ohren waren rot wie Feuermelder, doch ansonsten lief gerade jegliches Blut aus seinem Gesicht. „Ähm ... nein, so ist das nicht ... Ich ...“ „Doch, das hast du doch gerade geschrieben ...“ „Wer hat hier mit wem geschlafen?“ Gerade als Keiyuu dachte, seine Lage könnte nicht schlimmer werden, kam Chiyu von oben die Treppe herunter. „Keiyuu-san hat Uruha-san und Aoi-san in flagran-“ Mit einem Satz war der Kra-Vocal zu der bunten Tratschtante gelangt und hielt ihm mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, den Mund zu. „Bist du wahnsinnig, halt die Klappe!“, quakte er für ihn ziemlich untypisch. Chiyu hielt inne und überlegte. Was könnte hier denn wohl abgehen? „Takeru-san! Du wirst das Niemandem erzählen, klar?“ So bedrohlich er auch gerade wirken wollte, es gelang dem Kleinen einfach nicht. „Uiiii, a secreto ...“, kicherte der SuG-Bassist. „Habe ich da gerade Aoi-san und Uruha-san in Tateinheit mit dem Sagen der Wortgruppe >in flagranti< in einem Satz vernommen?“ „Nein, du hast dich verhört! Nicht wahr, Takeru-kun?!“ Keiyuus Augen funkelten ihn böse an und ein leichter Schlag in die Magengegend wurde als Druckmittel gleich hinterher geworfen. Takeru zeigte sich sichtlich unbeeindruckt. Er rollte sogar mit den Augen. Dann nickte er heftig. „Uiiiii!“ Eifrig klatschte Chiyu in die Hände, sein Gesicht strahlte. „Also sind die Beiden zusammen?? Du hast sie gesehen?? So richtig, beim Poppen??“ Mit jeder Teilfrage war der Größere näher gekommen, aufdringlicher geworden. Keiyuu zog die Hand vom Mund des anderen Sängers. Er ging ein paar Schritte rückwärts. Aus dieser Situation kam er nicht mehr heraus. Sein Blick huschte aufgeregt zwischen den SuG-Membern hin und her. Scheiße ... Bedroht von diesen wissbegierigen bunten Gestalten sah er nur einen Ausweg: Die Flucht. Und die ergriff er auch. Und zwar prompt. Geschmeidig war er mit seinem Laptop zwischen den Beiden hindurch gehuscht, rannte um sein Leben die Treppe hinauf. Aber es half ja alles nichts mehr. Dass Takeru davon wusste, war der absolute GAU ... ja, wirklich ... der Größte Anzunehmende Unfall. Wortwörtlich. Wie sollte er das Uruha-san erklären?? Und dieser würde sich bestimmt rächen. Gott, es war tatsächlich so einfach, ihm ein Geheimnis zu entlocken, das heißt, das hatte Takeru ja gar nicht, aber Keiyuu hatte schließlich weder lügen noch leugnen können. Sein Gesicht war wirklich ein offenes Buch. Und in diesem Moment war es gezeichnet von Panik, denn aus ertappenden Arbeitskollegen waren soeben Verfolger geworden. „Keiyuu-san ... warte ... wir wollen dir doch nur ein paar Fragen stellen ... Kei-san!“ Nein, nein, nein ... musste hier weg. Rum um die Ecke, rein in den Probenraum von Kra. Chiyu und Takeru rissen die Tür zu eben diesem auf und sahen ... Yasuno. Völlig verdutzt blickte sie der Schlagzeuger an. „Ist was passiert? Warum macht ihr so ne Aufregung?“ „Anou ...“ Beide SuGs stellten sich ordentlich nebeneinander auf und verbeugten sich. Offenbar strahlte der Drummer doch mehr Autorität aus als ihm lieb war. Aber schließlich waren die Beiden ja auch in einen fremden Probenraum eingedrungen und hatten dabei wie kleine Spielkinder auch noch irre viel Krach veranstaltet. „Wir sind auf der Suche nach Keiyuu-san ... Wir müssen ihn dringend etwas fragen.“ „Kei? Der ist nicht hier. Vielleicht ist er in die Cafeteria gegangen. Er wollte sich was zu trinken holen ... war ganz gehetzt, der Kleine.“ „Ano. Danke.“ Die Beiden verbeugten sich nochmals und verschwanden wieder in den Flur. „Puh ...“, hörte man nur ein großes Seufzen von einem kleinen Mann, der plötzlich hinter dem blonden Einsdreiundachtzig-Typen auftauchte. „Du hast mich echt gerettet, danke.“ „Was will denn die Buntkleidersammlungs-Fraktion von dir?“ „Nichts ... nur was tratschen, was sie nicht sollen ...“ „So so, aha und was ist das?“ „Na ja, Aoi-san und Uruha-san haben eine ...“ Entsetzt schlug sich der Sänger die Hand vor den Mund. Er hätte es schon wieder fast verraten ... ~~~ Aoi hatte es akzeptiert. Er hatte einfach akzeptiert, dass Uruha nichts von ihm wollte. Was sollte es auch, es blieb ihm eh nichts anderes übrig. Es tat weh, natürlich tat es das. Aber darum kam er nicht herum. Das gehörte zu einem gebrochenen Herzen dazu. Aber dieses Bild, das sich ihm in sein Gehirn brannte, als er durch das Galleriefenster in Amedas Büro schaute, konnte er nicht vergessen. Noch nicht. Er fühlte sich, als müsse er Uruhas Körper zurückerobern. Ihm beweisen, dass Niemand für ihn mehr Balsam war als er. Denn eines war ihm letztlich geblieben: Seine Affäre mit Uruha. Er durfte ihm nah sein ... Das war schön. Doch wie lange würde sein Herz diesen krassen Widerspruch zwischen Körperlichem und mangelndem Gefühl noch ertragen? Es war ein Teufelkreis. Und er saß darin fest, zwischen den Schatten, die immer länger und länger wurden und seine Sonne verdeckten. Er brauchte Uruha. Und er hatte ihm versprochen, dass er ihn nicht mehr allein lassen würde. Und er wusste genau, welche Art von Alleinsein Uruha gemeint hatte ... Aber tatsächlich war seit diesem Zwischenfall nichts mehr passiert. Sie hatten nicht gewitzelt, nicht mit den Augen geflirtet, wenn die Anderen gerade nicht hinsahen, keine Intimitäten, nichts. Das konnte er auch nicht mehr ertragen und auch Uruha wurde immer unruhiger. Heute Abend hatten sie einen Auftritt in einer Fernsehshow. Aoi hasste diese Playbackauftritte. Als ob er nicht in der Lage gewesen wäre, seine Gitarre richtig zu spielen. Blöd. Einfach nur blöd kam er sich dabei vor. Aber dennoch brachte er den Song gut über die Bühne. Im Backstagebereich sah er Uruha stehen und die Aufnahmen weiter beobachten. Es war auch für ihn noch interessant, eine Liveübertragung von der anderen Seite der Kamera aus wahrzunehmen. Aoi stupste Uruha an. „Hey ...“ „Hey ...“, kicherte der Jüngere und flüsterte: „Melody-san ist echt ein Vollprofi.“ „Hai, das ist sie ...“ Ja, keine geringere als Miyavis Angetraute moderierte heute diese Sendung. Die Menschen vor den Bildschirmen und auch hinter den Bildschirmen mochten sie sehr. Sie strahlte heute übers ganze Gesicht. „Sie hat so was einfach nicht verdient“, spielte Aoi wieder auf Miyavis Affäre mit Kai an, der den ganzen Tag schon darauf bedacht war, sich so weit wie möglich von der Ehefrau seines Lovers fernzuhalten. Die ganze Situation war ihm mehr als nur peinlich, weshalb er sich jetzt auch schon auf dem Weg zum Hotel befand. „Bleib ruhig ... Aoi.“ „Hai ... aber ich könnte Miyavi grün und blau kloppen! Wie kann er einer liebenswürdigen Person wie ihr so etwas antun?? Und sie ahnt noch nicht mal was. Schau dir an, wie glücklich sie ist ...“ „Hai ...“ „Ruha, das ist unfair ...“ Der seit Kurzem wieder Weizenblonde wusste darauf nichts zu antworten. Er kannte Aois Abneigung gegenüber Seitensprüngen ... Und das machte sein Herz nicht nur im Bezug auf Melody unheimlich schwer. Es ist okay ... hatte Aoi gesagt. Aber war es das wirklich? Warum hatte sich der Dunkelhaarige die ganze Zeit nicht angenähert? Warum ließ er ihn immer noch auf dem Trockenen? Wollte er ihn bestrafen? Uruha war ein wenig überrascht, als Aoi sich wieder zum Gehen wendete. „Ich werd mich mal abschminken lassen gehen ...“ „Hai, mach das.“ Mit einem Grinsen drückte Aoi dem Leadgitarristen noch einen kleinen Zettel in die Hand. Dann verschwand er mit sagenhaft leichten Schritten in dem Labyrinth des Studios. Eine geheime Botschaft? Uruha klappte den Zettel sofort auf. »Du. Ich. Heute Abend. Du weißt nicht wo. Und du weißt nicht wann. Du weißt nur, dass ich kommen werde... Und du auch. *gg*« Sofort legte sich ein zartes Rosa auf die Wangen des schlanken Mannes. Er musste verlegen kichern, dann lächelte er erleichtert und froh. Ein Annäherungsversuch. Endlich. ~~~ Laute Musik und coole Laserbeleuchtung. GoGos, die sich an den verchromten Stangen schlängelten. Literweise teures Gesöff. Diese Aftershow-Party hatte es echt in sich! Seit knapp einer Stunde war die Übertragung der Late-Show nun schon vorbei und Staff, VIPs und Sternchen vergnügten sich in einer ultralounchigen Lounchlandschaft bei ultradiscorösen Discodancebeats. Wieder saß Uruha wie auf Kohlen. Ging da heute noch was? Oder hatte Aoi den Inhalt seiner Botschaft abgehakt, weil er vorher nicht an die Party gedacht hatte? Na ja, jedenfalls war er gerade mehr als nur entfernt davon, Uruha zum Kommen zu bewegen ... Er flirtete mit irgendeiner Tussi. Zu viel Schminke, zu quetschig dekolletiert ... Unterste Kiste. Aber dennoch schien sie Charme genug zu besitzen, ihn in ein Gespräch zu verwickeln ... So gottgleich Aoi auch war ... er war auch nur ein Mann ... Und Uruha ... gerade irgendwie ernstlich ein wenig verstimmt ... Was war denn das jetzt ...? War er etwa ... nein. Uruha schüttelte sich, dann drehte er sich auf dem Barhocker um und schlürfte seinen Drink weiter, ohne gesehen zu haben, dass Aoi sein nervöses Funkeln in Richtung seiner Gesprächspartnerin nicht entgangen war. Er seufzte. Vielleicht wollte Aoi sich wirklich ein bisschen rächen, indem er ihn jetzt zappeln ließ. Er schreckte hoch, als eine Hand sich auf seine Schulter legte. „Du glühst ja schon vor Eifersucht ...“, witzelte der Rhythmusgitarrist, der gerade zu ihm zurückgekommen war. „Ha ... ha ...~“ Uruha schmollte wirklich ein bisschen. Aoi dachte, dass Uruha sich wegen dem Zettel einfach vergackeiert fühlte. Er grinste umwerfend aoihaft. „Was ist denn ...? Du schaust so zufrieden aus“, fragte Uruha dann. „Das macht mein Belohnungszentrum ... wegen dem gelungenen Hör-und-synchron-nachklimper-Auftritt, für den ich gerade ein schönes Kompliment bekommen habe.“ „Aha“, trotzte Uruha desinteressiert. „Komm ...“, flüsterte Aoi dem Anderen tief ins Ohr. Ein katzenartiger erstaunter Blick folgte. Dann wurde Uruha auch schon mitgeschleift. Über die Tanzfläche, hin zu einer etwas ruhigen Ecke, in der sich die Chefs der Chefs niederließen und bei einer Zigarre darüber flanierten, die Herrscher der Welt zu sein. Geschmeidig schaute der Kleinere sich um. Keiner, der gerade auf sie achtete. Er hob einen schweren, roten Vorhang zur Seite und zog Uruha mit sich dahinter in eine breitere Nische. Sofort wurde die Musik in den Ohren der Beiden etwas leiser, weil der Stoff den Schall dämmte. Hier hinter war es schummerig, da Kette und Schuss im Gewebe kaum Licht durchließen. „Was hast du denn ... mmm~" Uruha verschlug es einfach die Worte, als Aoi ohne Vorwarnung und ungehemmt an seinem Hals herumknabberte. Sofort spürte er auch schöne, warme Hände, die über den Stoff seines Hemdes glitten, ihn mühelos so wehrlos machten, dass er sich einfach gegen die Wand lehnte. Aois Argumente waren einfach so was von unverschämt überzeugend. Aber Moment ... „Aoi ... wenn uns hier Jemand sieht ...“, registrierte er wieder die Situation. „Die achten nicht auf uns...“, wurde ihm mit Schlafzimmerstimme entgegengeraunt. „Ich will dich ... Jetzt und hier.“ Schon hörte Uruha seinen Gürtel klappern. „Aber ... sie können uns hören ...“, murrte er in die dunklen Haare und erschauerte, als Aoi seinen Reißverschluss entschlossen herunterzog. „Die Musik ist zu laut ... Hier würde uns nicht mal Jemand hören, wenn du richtig loslegst ... meine Stöhnmaus ...“ Nun war Uruha entgültig verpufft. So hatte ihn ja noch nie jemand genannt. Aoi wollte ihn ärgern. „Aber wenn sie uns finden ... hier sind so viele Report ... ha ...“ Sein Kopf lehnte genießend an der Wand. Aber sein Herz schlug wie ein Presslufthammer in seiner Brust, die gerade mehr als sinnlich gekost und beküsst wurde. Ein Biss in seine Brustwarze brachte Uruha zum Zischen und auch zum Glühen. „Das ist doch der Kick ...“ Ein diabolisches Grinsen schnürte dem Größeren einen Moment den Atem ab. „Was hast du denn vor ...?“ „Ich tu was für dein Belohnungszentrum ...“, grinste der Aoi derbe sexy und bewegte sich langsam, mit Uruhas Augen fixierendem Blick, in die Hocke, strich über dessen Lenden. Uruhas Puls war nahe staccato! „Nani?“ „Ich belohne ... dein Zentrum ...“ Französisch? Jetzt?? Ach du Scheiße ...!, konnte Uruha nur denken, während der Andere in aller Ruhe das Objekt seiner Begierde freilegte. Und Aoi würde verdammt leichtes Spiel haben, denn so sehr die Situation Uruha auch in Panik versetzte ... er war erregt. Mächtig erregt. Sie beide ... hinter diesem Vorhang. Vier Millimeter dünner Stoff ... war das Einzige, das sie vor den Blicken der anderen Menschen im Raum schützte. Das hier war nicht mehr nur nahe Abgrund. Das war schon fast die Hölle. Uruha erschauerte, als er Aois Finger an sich spürte. Das hatte noch nie Jemand für ihn getan. Er zitterte ein bisschen. Aber er war auch berauscht von der offensiven Erotik, die Aoi gerade ausstrahlte ... nicht nur ausstrahlte ... sondern gar verkörperte. Er verwöhnte den Anderen einfach nur. Es hatte gar nichts Aufdringliches, Dominantes mehr, Aoi war leidenschaftlich und zärtlich. Mehr als sonst. Mehr als je. Vorsichtig küsste er Uruhas Spitze, ließ diesen in ein Traumland abdriften, ohne, dass er sich hätte dagegen wehren können oder wollen. Wieder einmal war Uruha ihm willenlos ergeben. Ungehemmt krallte er sich an den Klinkersteinen an den Nischeninnenseiten fest. Er brauchte Halt. Das Gefühl, wenn Aois Lippen geschmeidig an ihm auf- und abglitten, war einfach zu intensiv und er zu empfindlich. Und wieder hatte dieser heiße Gitarrist aus Mie es geschafft, ihm den Verstand zu rauben. Wieder hatte er ihn alles um sich herum vergessen lassen. Die Menschen, die Lichter, die über ihre beiden Körper flogen, die Musik. Er nahm sie nur noch als Vibration in der Wand wahr, die ihn noch weiter beflügelte. Erst recht, als der DJ ein basslastigeres Lied auflegte und er bei jedem Beat sein Herz mitspringen spürte. Dieses Vibrieren massierte ihm die gesamte Rückseite und ließ ihn intensiver spüren, dass Aoi immer mutiger wurde, trieb ihn dem Anderen entgegen, bis er nun schon ein wenig mehr hinter seinen Lippen verschwand und wieder auftauchte. Er konnte abschalten. Sich fallen lassen. Nie vorher hatte er das gekonnt. Nie. Bei seinen Freundinnen nicht, nichtmals allein mit sich und seiner Fantasie. Das konnte nur Aoi. Er musste an Ameda denken ... Aoi bearbeitete gerade dieselbe Stelle wie er. Wie war es möglich, dass es sich bei ihm so viel besser anfühlte? Aoi war vorsichtig und liebvoll, ganz anders. Uruha kam auch jener Gedanke wieder in den Sinn, Ameda besäße Aois Klasse ... Mit einem gezielten Griff in seine Pobacken zog der Dunkelhaarige den Anderen so nahe an sich heran, dass Uruha fast vollständig in ihm verschwand. Was folgte, war ein Feuerwerk aus neuen Eindrücken. Diese warme Zunge umschmeichelte ihn und war so geschickt, dass er alle Luft um sich herum auf einmal einsog und plötzlich einfach kam. Er wurde von einer Welle überrannt, die ihm die Knie wegschlug und ihn an der Wand auf den Boden gleiten ließ. Seine Lider flatterten, eine Endorphinexplosion fegte durch seinen gesamten Körper. Er war glücklich ... Die Wahrheit war: NIEMAND ... besaß Aois Klasse! In einer fließenden Bewegung zog Uruha den Anderen, der sich weiße Flüssigkeit von den Mundwinkeln wischte und ihn einfach nur fasziniert beobachtet hatte, zwischen seine Beine in seine Arme. Er drückte ihn fest. „Danke ... ich hab das ... so vermisst ...“, konnte er nur stammeln. „Ich hab das doch noch nie gemacht ...“, lachte Aoi ihm ins Ohr. „Du weißt, was ich meine ...“, murmelte Uruha verlegen und seine Hand wanderte zu Aois Hosenbund. Jetzt wollte er sich revanchieren ... ~~~ Etwas später hatten die Beiden sich zur Raison gebracht und auf dem Herrenklo wieder salonfähig gemacht. Uruha war unglaublich niedlich, wenn man es ihm so besorgte, dass er den ganzen Abend nur wie ein Honigkuchenpferd strahlte. Aoi liebte es, den Anderen so befriedigt und glücklich zu sehen. Sie hatten sich auf eine der Couchen gepflanzt. Irgendwie hatte Uruha das Verlangen, mit dem Anderen zu kuscheln. Ihm war nicht klar, warum man sich bei einem Menschen einfach nur so wohl fühlen konnte. Das hatte er ewig nicht behabt, oder hatte er das überhaupt schon mal erlebt? Er verwarf den Gedanken mit dem Kuscheln gleich wieder. Das war zu offensichtlich und es waren immer noch zu viele Presseleute hier. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, dem Anderen was ins Ohr zu wispern: „Können wir im Hotel später noch ein bisschen kuscheln?“ Er musste das einfach haben, konnte gar nicht anders. Aoi grinste. „Meine Kuschelmaus ...“, sagte er schelmisch. „Alles ist besser als Stöhnmaus ...“, muffierte Uruha. „Ich hol uns noch einen Drink, hai?“ „Klar, aber das ist der Letzte ...“ Uruha fiepte, als Aoi ihm in die Seite piekte, während er aufstand und loszischte. Er schmiss ihm noch einen bedeutsamen Blick nach und hoffte, dass kein Kameraobjektiv ihn deuten konnte. „Hallo, Aoi-san.“ Eine freundliche, weiche Frauenstimme ließ ihn schnell herumfahren. Neben ihm stand Melody-san. Die Haare offen und wunderschön wie immer setzte sie sich elegant in gewissem Abstand neben ihn auf die Couch. „Hallo ... Ich dachte, Sie wären schon zu Hause bei Ihrem Kind ...“ Aoi kam sich mit diesem Satz ein bisschen dusselig vor. „Iie. Sie wird gut von ihrer Oma-san betreut.“ „Hai, hai, hai ... Das ist schön ...“ Etwas nervös nickend beugte Aoi sich vor und setzte sich ordentlicher hin, er wollte ihr zeigen, dass er sie respektierte und ihr Aufmerksamkeit schenkte. Melody strich ebenfalls verlegen die Haare hinters Ohr, weil sie Aois Anspannung bemerkt hatte. Aber sie lächelte tapfer weiter. „Ich wollte Sie zu Ihrem gelungenen Auftritt beglückwünschen, die ganze Band natürlich auch. Uruha-san ist ja auch noch da. Ruki-san und Reita-san sind, glaube ich, unten in der Halle, hai?" „Oh, ähm ... Vielen Dank. Das ist sehr freundlich. Ehrlich gesagt, hab ich gar nicht auf Ruki und Reita geachtet.“ „Wo ist denn Kai-san?“ Aoi dachte er hätte sich eingebildet, dass ihr Tonfall sich gerade verändert hatte. „Er ist gleich nach dem Auftritt ins Hotel zurückgefahren ... Und Miyavi? Er steht auf der Gästeliste, hab ich gesehen.“ „Hai, so desu ne. Aber er ist nicht hier ... bei mir ...“ Es war nur ein winziger Augenblick, der Aoi alle Sehnsucht und Traurigkeit dieser Frau offenbarte. Es war klarer als Wasser: Sie vermisste ihren Ehemann ... unsagbar ... Aber dann fing sie sich auch gleich wieder und ihr Lächeln wurde weiter. „Er ... er ist oben auf dem Sonnendeck des Hauses ... er musste ganz dringend mit Jemand sehr wich ...tigem telefonieren ... und das macht er grade ... seit einer Stunde ...“ Ihre Hand zitterte leicht. Ihr Blick wich kurz aus. Es waren winzige Gesten, aber Aoi hatte sie alle gesehen ... Er konnte sich nun auch nicht mehr verstellen, blickte der zierlichen Frau mit dem schwarzen Cocktailkleid tief in die Augen. Es tat ihm weh, sie so zu sehen. Sein Blick war einen Moment zu lang so eindringlich gewesen ... „Sie wissen es ... hai?“ Damit hatte er nicht gerechnet. Sein Mund ging leicht auf. Meinte sie tatsächlich ... „Sicher wissen Sie es ... Kai-san konnte es sicher auch nicht länger verbergen ...“ „Woher?“ „Vor etwa drei Wochen hat Takamasa mir alles gestanden. Er hat mir von seiner Liebe zu Kai-san erzählt ... Ich weiß jetzt alles. Es war ein Schock für mich, aber ich bin froh ... dass er so aufrichtig zu mir ist ...“ Miyavi ... Miyavi selbst hatte ihr alles gestanden? Wirklich? Vor drei Wochen ... Das musste kurz nach ihrer Begegnung im Stundenhotel gewesen sein. Hatte sich Miyavi seine Worte so zu Herzen genommen? Immer noch war Aoi baff. „Hai ... das ist sicherlich richtig ... Sind ... sind Sie beide denn noch zusammen ...?“ Nun erlebte er, wie Melody den Kopf senkte, ihre Arme lagen angespannt und überdehnt auf den Schenkeln, sie rieb sich unruhig die Fingerkuppen. Aoi bereute seine Frage schon wieder. „Hai ... grade so ... irgendwie ...“ Dann blickten sie sich wieder an und erkannten ineinander, dass sie etwas verband ... Sie saßen im selben Boot. Sie wollten beide etwas, dass zum Greifen nah war und das sie doch nie haben würden. Melody wusste: Er weiß, wie ich mich fühle. Das alles hatte ein Blickwechsel gesagt. „Es tut mir Leid ...“ Aoi brauchte das nicht aus Höflichkeit zu heucheln, denn das tat es wirklich. Sie schüttelte den Kopf, dann hob sie die Hand. Sie zeigte ihm ihren silbernen Ehering, der im Laserlicht wundervoll funkelte. „Den hier ... den kann mir so schnell Keiner nehmen ... und Lovelie-chan wird uns auf ewig verbinden ... Ich habe Takamasa nicht verloren ... aber sein Herz ... besaß ich nie ...“ Sie ballte die Finger zu einer starken Faust. „Ich gebe nicht auf, Aoi-san. Niemals.“ Einen Moment lang konnte der Rhythmusgitarrist gar nichts sagen. Aber er erkannte, dass er sich keine Sorgen mehr um sie zu machen brauchte. Diese Frau war unerschütterlich stark und treu. Offenbar hatte er sich geirrt ... denn nicht Kai war Miyavis Affäre gewesen ... sondern sie ... Wenn sie es schaffte, dass er Kai für einen Augenblick vergessen hatte, dann besaß sie eine nicht unerhebliche Macht. Und Aoi spürte diese gerade mehr als deutlich. „Oh, konbanwa, Melody-san ...“, unterbrach Uruha die Beiden, der gerade mit den Drinks zurückgekommen war. „Hätt ich das gewusst, hätte ich grad noch ein Glas mehr mitgebracht.“ „Oh, konbanwa, Uruha-san.“ Ihr Lächeln war ebenso schnell zurückgekehrt wie es vor ein paar Minuten verschwunden war. „Iie, arigato ... ich muss auch gleich wieder zu meinem Redakteur, noch einmal anstoßen. Er ist so froh, dass die ganze Produktion so reibungslos lief und mega-gespannt auf die Hochrechnungen morgen.“ „Wenn Gazetto im Fernsehen auftreten, gibt das immer gute Quoten!“, meinte Uruha wie ein Fernsehmoderator und zauberte ihr damit ein Lachen aufs Gesicht. Aoi war ihm dankbar dafür. „Hai, hai ... So desu ne“, fügte er an und Melody bestätigte ebenfalls mit einem Nicken. „Also grüßen Sie bitte den Rest des Quintetts von mir und viel Erfolg für Ihre Tour.“ „Hai, danke schön. Grüßen Sie die kleine Lovelie-chan, unbekannterweise ...“ „Oh ... da wird sie Augen machen, wenn ich ihr in ein paar Jahren erzähle, dass der berühmte Uruha-san von the GazettE ihr hat Grüße aussprechen lassen.“ Nochmals lachten alle drei und dann erhob sich Melody. Die beiden Männer gleich mit, um sich höflich mit Verbeugung bei ihr für das Gespräch zu bedanken und sie zu verabschieden. Als sie ein paar Schritte entfernt war, ließ Uruha sich auch schon wieder ins weiche Polster fallen. Aoi blieb noch ein, zwei Sekunden stehen und schaute ihr nach. Dann setzte er sich langsam wieder hin. „Ist alles in Ordnung?“ „Hai ... ich ... ich bin gleich zurück. Nicht böse sein.“ „Ähm ... okay ...“ Dann konnte Uruha seinen Lover nur noch in der Menge verschwinden sehen. Er fragte sich, was die Beiden wohl beredet hatten, machte sich schließlich Sorgen. Aoi kämpfte sich durch bis nach oben auf die Sonnenplattform. Im Dunst der Großstadt konnte er nur ein paar Sterne am Himmel ausmachen. Es war immer noch bitterkalt in Tokio, er zog die Lederjacke enger zusammen, zog auch das Tuch um seinen Hals ein wenig fester. Er drehte eine Runde. Nur die armen Geschöpfe, die unbedingt rauchen mussten, verharrten jetzt hier in der Kälte. Er zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Er brauchte Tarnung. Und dann konnte er Miyavi plötzlich ausfindig machen. Er stand an der Brüstung und klappte gerade sein Handy zusammen. „Du hast mit Kai telefoniert, habe ich Recht?“ Der Größere schaute erschrocken, er hatte den Anderen nicht bemerkt. „Aoi-kun ...“ Einen Augenblick lang Verlegenheitsstille, dann: „Hai, habe ich ... Ich wollte einfach seine Stimme hören ...“ „Ach so ... Ich hab mit deiner Frau gesprochen ...“ Nun sah Aoi den Anderen unruhig werden. „Ich soll dir ausrichten, dass sie dich vermisst ... seit über einer Stunde ...“ Aoi konnte im Gesicht des anderen Überraschung erkennen, offenbar hatte er nicht auf die Zeit geachtet. „Was hast du ihr erzählt ...?“ „Das brauchte ich doch gar nicht ... Sie weiß doch alles schon ... Sie hat das Thema sogar von sich aus angefangen ...“ Der Blick des Kleineren schwand kurz zur Seite und fing den Anblick des Tokio Towers ab, dann wieder zurück in das Gesicht seines Gesprächspartners, dessen Augen genauso funkelten, wie die bunten Lichter der Stadt hinter ihm. „Ich finde es gut, dass du ihr alles gesagt hast ... Sie hat die Sache an sich nicht verdient, aber die Wahrheit. Es war die richtige Entscheidung.“ Aois Atem dampfte in der Kälte. Miyavi nickte atmosphärisch. „Aoi-kun?“ „Hai?“ „Ich liebe Kai ... seit langer Zeit. Und ich schätze Melody sehr. Sie bedeutet mir wirklich unheimlich viel ...“ Am Zittern in seiner Stimme konnte Aoi hören, dass der Solokünstler mit den Tränen rang. „Ich habe einen Fehler gemacht, als ich damals mit ihr schlief und dieses Kind zeugte ... Ich habe Kai betrogen. Die Zeit danach, war unglaublich anstrengend für mich. Ich hab mich so verwoben in mein Geflecht aus ... Moral und Antimoral, Liebe und Pflicht ... dass ich nicht mehr atmen konnte ...“ Ein Schniefen folgte, Miyavi kam ein bisschen näher zum anderen, der aufmerksam und seit langer Zeit zum ersten Mal ohne Wut im Bauch zuhörte. „Ich war bei ihr, als sie schwanger war ... Ich war glücklich, als Lovelie geboren wurde ... Ich liebe dieses Kind mehr als mein Leben ... Ich hab Melody geheiratet ... Ich habe wirklich versucht, Kai zu vergessen. Die PSC ... war von Anfang an meine Familie ... auch sie hab ich verlassen ... damit ich von Kai loskomme ... Ich wollte ganz von vorne anfangen ... Ich habe ... das alles getan ... um Melodys Glück zu beschützen ...“ Eine einzelne Träne stürzte sich von der Wange des Größeren in den Tod. Jetzt erst hatte Aoi Miyavis Entscheidung von damals verstanden. Erst jetzt offenbarte sich ihm das ganze Chaos im Leben eines Mannes, den er immer schon sehr respektiert hatte. „Gomen Nasai ...“, war alles, was er zu Stande brachte. Ihm kamen seine Vorwürfe von vor drei Wochen nun so dumm und haltlos vor. Und auch, dass er solange einfach eingeschnappt gewesen war, weil Miyavi einfach ging. Aber dieser Mann hatte damals einen Ausweg gesucht, gehofft, dass Moral und Pflicht siegen würden - und nicht nur sich selbst damit betrogen ... Er stellte sich nach ein paar bedächtigen Schritten nahe neben Aoi. Sie schauten nun Beide in verschiedene Richtungen, aber auf dieselbe Stadt. „Du brauchst dich nicht entschuldigen ...“ Aoi spürte eine kalte Hand auf seiner Schulter, erkaltet, weil sie sich über eine Stunde lang an einem Handy festgekrallt hatte, aus Sehnsucht und mit schlechtem Gewissen ... „Aber ich möchte, dass du was begreifst: Wenn man ... sein Herz endgültig an Jemanden verliert, dann kann man sich nicht dagegen wehren ... Und du solltest es erst gar nicht versuchen ... Bitte kämpfe um jedes bisschen Glück, das dir das Leben bietet ...Kämpfe um Uruha-kun ... Auch wenn er dir neulich das Herz brach ... Gib nicht auf.“ Mit diesen Worten ging Miyavi. Bedeutsam verließ er die Bühne, auf der er doch gerade weder Rockstar, noch Schauspieler, nich Ore-Sama gewesen war ... sondern schlicht: ein liebender Mann. Ebenso, wie Aoi einer war. Deshalb hatte er vor drei Wochen seine Schwäche gesehen, obwohl nicht einmal Uruha sie bemerkt hatte. Aoi ließ die Zigarette, die in seiner Hand dahingebrannt war, fallen. Die Zeit, die er auf Miyavi wütend gewesen war, war vorbei. Wie die Zeit, in der er still einfach akzeptierte, dass Uruha ihn nicht liebte. Er wollte diesen Mann. Er wollte kämpfen. Er zerdrückte den glühenden Rest seiner Wut und seiner Akzeptanz. Er würde nicht aufgeben. Nach endlosen Minuten kam Aoi dann endlich zurück. Und Uruha dachte nicht mal im Entferntesten daran, dass er mit Miyavi gesprochen hatte, also war er sehr überrascht, als dieser ein Gespräch mit den Worten begann: „Ich habe Miyavi verziehen. Vielleicht sollten wir ihn und Kai einfach ... unseren Segen geben.“ Der jüngere Gitarrist war verwirrt, aber er nickte. „Das erklärst du mir aber, wenn wir im Hotel sind, ja? Ich meine, du kannst doch nicht einfach so deine Meinung geändert haben ...“ „Stimmt. Einfach war es nicht“, gab der Schwarzhaarige zu und legte seinen Arm auf die Rückenlehn hinter Uruha, damit er sich nicht bedrängt vorkam. Sein Vorhaben, Uruhas Liebe für sich zu gewinnen, geriet nicht ins Wanken, jedoch blieb ihm die Luft zum Atmen weg, wenn ihn diese braunen Augen so aufmerksam betrachteten – und gleichzeitig hatte er noch keine Planung begonnen, wie er sein Ziel erreichen könnte. „Hm?“ Der Blondierte blinzelte und seine Haare schwangen ihm über die Schulter, als er sich komplett zu Aoi umdrehte. „Willst du mir nichts sagen oder ist es tatsächlich so explizit?“ „Ich sag es dir schon noch ... nachher ... lass uns noch ein bisschen unseren Abend genießen und dann ... gehen wir.“ Aoi klang bestimmt, wenn auch weich und sanft. Uruha nickte wieder und stieß mit Aoi auf den gelungenen Auftritt an. Danach war es, wie es immer war. Uruha wurde durch den Alkohol schläfrig, sein Kopf kippte auf Aois Schulter, er schnarchte leise. Und Aoi fand ihn süß, er kicherte und zuckte mit der Schulter, um seinen Partner zu wecken. „Hey ... Stöhnmaus ...“ Ein Grummeln. „Wollen wir nicht los? Du bist schon ganz müde und deine Augen -“ Uruhas Augen waren klein und dunkel geworden. Sein müder Schlafzimmerblick, der ihn so zum Fressen süß machte, dass Aoi sich mit diesen Gedanken kaum zurückhalten konnte, nicht über ihn herzufallen und ihn abzuknutschen und zu fühlen und zu lieben, wie er es sich eigentlich wünschte. „Pon, jetzt komm, das Bett wartet auf uns“, sagte er etwas lauter, um sich selbst zu beweisen, dass er sich in der Realität, vor allem in der Öffentlichkeit befand – was ihm auch sogleich bewusst wurde, als ihn ein vermeintlicher Chef zu ihm umdrehte und angewidert auf ihn herabblickte. „Kuscheln“, murmelte Uruha leise und Aoi gluckste. „Ja, ich habe es dir doch versprochen: Wir kuscheln!“ ~~~~~ Im Hotel angekommen half Aoi dem Jüngeren ins Bett. Wie Uruha so auf dem Bett lag, konnte Aoi kaum glauben, dass er noch vor wenigen Stunden vor seinem Schoß gekniet und ihn zum Stöhnen gebracht hatte. Prompt war der jüngere Gitarrist wieder ins Land der Träume entschwunden. Aoi wollte ihn – sozial wie er war – nich in den rauchigen und in Alkohol ertränkten Klamotten stecken lassen. Deswegen beugte er sich über ihn und begann, das glänzende Hemd aufzuknöpfen und es unschuldig von der weißen Haut zu streifen. Das hatte schon mal funktioniert. Er griff nach Uruhas Gürtelschnalle, wie er es schon mal an diesem Tag getan hatte – öffnete diese und zog den Gürtel aus den Schlaufen. Es war immer so amüsant, wenn Uruha morgens noch halb im Schlaf versuchte, das Leder durch die Schlaufen zu ziehen – und sich dann ärgerte, also alles von vorn begann, weil er den Gürtel wieder falsch, folglich wie eine Frau eingefädelt hatte. Aoi grinste. Als Nächstes folgte Uruhas Hose, der Reißverschluss war geöffnet und Aoi brachte den Schlafenden mit seinen streichelnden Bewegungen dazu, sich wie eine Schlange zu winden. So war es ihm ein Leichtes, ihn des Beinkleids zu entledigen. Diese Beine ... er würde sie gerne küssen, zwischen ihnen versinken, ihn foltern, belohnen, bestrafen, liebkosen, bis Uruha es nicht mehr aushalten und nach mehr betteln würde. Er stellte sich dieses Szenario gerne vor, auch wenn es nicht sein größter Traum war. Denn Uruha hatte ihn schon angebettelt – mehr als ein Mal. Doch er hatte immer nur seinen Körper begehrt – nie seine Seele ... Schweren Herzens wendete er sich von Uruhas Körper ab, holte den Pyjama mit Futterstoff hervor, weil Uruha den am liebsten trug. Er drehte und wendete den ruhenden Körper, bis das Schlafgewand ihn umschmiegte. Uruha schmatzte zufrieden und rollte sich wie eine Katze zur Seite. Schnell zog sich der Ältere um, kuschelte sich von hinten an Uruhas Rücken und Po, streichelte ihn sanft über die Seiten und strich ihm durch die Haare. Irgendwann mitten in der Nacht schreckte Uruha hoch und zuckte am ganzen Körper. Doch sobald er über seine Schulter hinweg Aois Gesicht ausmachen konnte, beruhigte er sich und lächelte. Kurz darauf zog sich eine Falte über seine Stirn. „Ich bin ja angezogen“, grummelte er leise und schmollte. „Du wurdest heute doch schon genug getriezt ...“ Uruha überlegte offensichtlich, gähnte und schloss wieder die Augen. „Stimmt“, pflichtete er bei und genoss das Gefühl der rosa Seifenblase um sie herum. Kapitel 5: Cliffhänger ---------------------- Aoi überlegte sehr viel am nächsten Tag, noch während Uruha sich umzog. Auch noch, während die Anderen frühstückten oder sich mit Lungenbrötchen versorgten. Uruha schob sich gerade einen Löffel mit seinem Müsli zwischen die Lippen. Aoi seufzte. Wie könnte er Uruha dazu bringen, sich küssen zu lassen? Wo war der Unterschied, wenn sie miteinander schliefen oder sich küssten? War nicht der Sex etwas viel Intimeres als ein Kuss? Er würde so gerne Beides haben – und noch viel mehr! Uruhas Liebe zu ihm sollte wachsen und gedeihen, denn er glaubte fest daran, dass Uruha mehr als nur Begierde empfand. Hoffte. Vielleicht half es ihm, wenn er herausfand, woher Uruhas Grenze kam. „Ich muss ... dich was fragen.“ „Hm?“ Der Blonde hob den Kopf und sah ihn an. Seine Augen strahlten, er wirkte erholt und glücklich. „Was denn?“ Plötzlich war Aoi verlegen. „Gibt es etwas, das du ... ausprobieren möchtest?“ „Du meinst, wir zwei? Hm ...“ Wieder dachte der Leadgitarrist sehr angestrengt nach. „Da müsste ich zu Hause in mein schlaues Heft gucken. Hast du etwas im Kopf?“ „Nicht richtig ... Ich hab nur eine kleine Idee, für uns Beide, weißt du?“ In Wahrheit wollte auch er Uruhas Lippen spüren, am liebsten an seinem ganzen Körper, doch er wollte keine schnelle Nummer. Ein Mal wollte er es ganz langsam. Und kitschig. Er dachte an Kaminfeuer, sehr bequeme Holzdielen, während draußen ein Schneesturm tobte. „Lass mich nur machen“, flüsterte Aoi sanft. „Du hast genug Zeit, um in deinem Heft zu blättern.“ ~~~~~ Zur selben Zeit lag Keiyuu noch in seinem Bett und starrte die Decke an. Er wusste gar nicht, wie er den Mut aufbringen sollte, um aufzustehen und sich in die Arbeit zu schleppen. Takeru und Chiyu hatten mit Garantie schon geplappert und in der gesamten PSC verkündet, was sie in Erfahrung gebracht hatten. Nicht nur Uruha-sans und Aoi-sans Affäre war bestimmt in Umlauf – weshalb Uruha-san ihn sicherlich köpfen und vierteilen würde – sondern auch sein eigenes Geheimnis befand sich in größter Gefahr. Wenn diese gewisse Person eine gewisse Information erhielt, wäre dies fatal. Keiyuu könnte nie mehr ohne Schamgefühl in die Arbeit geschweige denn neben ihm stehen, ihm in die Augen sehen, ohne sein gewonnenes Selbstvertrauen wieder zu verlieren.. Der Sänger seufzte und blinzelte der Decke entgegen. In seine Gedanken vertieft trösteten seine Hände seinen Körper samt seines Geistes. Voller Ehrfurcht stellte er sich das sanfte Gesicht vor, über sich mit leicht angestrengten Zügen, feine Schweißperlen seilten sich aus dem blonden Haar herab – Jemand wie er war nicht schwul. Wie eine Erinnerung an einen heißen Sommer und doch fühlte er an der nackten Haut die winterliche Luft durch das geöffnete Fenster. Draußen ging die Sonne auf, leichter Nebel stand vor der Sonne und verdunkelte den Himmel. Der Frühling kam auf sie zugerollt wie ein Tsunami, kam näher. Seit Wochen, Monaten hatte die Sonne ihn nicht berührt. Erschöpft lag Keiyuu schließlich auf der Seite, keuchte, seine Lider flatterten. Und mit der Sonne, deren Licht seine Augen blendete, hatte er das Gefühl, das Eis auf seiner Seele könnte endlich verschwinden. Fast wäre er wieder eingeschlafen gewesen, dann klingelte sein Handy. Der Klingelton verkündete: Yasuno war dabei, ihn erreichen zu wollen. Müde, träge und etwas lasziv in seiner Bewegung langte er hinüber zum Nachtschrank und drückte auf die Taste mit dem grünen Hörer. „Moshi moshi?“ „Kei, wo bist du? Hier ist der Teufel los!“ Der kleine Sänger war mit einem Schlag hellwach. Er ahnte das Schlimmste ... ~~~~~ Eine Stunde später kam er in der PS-Company an. Soeben fuhren auch the GazettE in einem Kleinbus vor, weil sie die Quotenrechnungen erhalten sollten. Keiyuu blinzelte verwirrt, als er sah, wie sich Uruha und Aoi überhaupt nicht miteinander befassten. Uruha stiefelte gewohnt – mehr gewollt als gekonnt – männlich die Treppen neben Reita empor, während Aoi auf seinem Handy umhertippte und Kai ihn am Ellenbogen packte, um ihn an verschiedenen Hindernissen vorbeizulenken. Ruki schlief noch halb im Laufen, die Mütze weit über die Stirn, den Schal bis zur Nase ins Gesicht gezogen. Sobald alle zusammen das Foyer betreten hatten, hielten sie inne. Eine schrille Stimme schallte durch die Halle, aufgeregt und verzerrt durch Tränen und Wut. Keiyuus feine Ohren erkannten jene Stimme, die er bisher immer nur über das Handy wahrgenommen hatte. Doch die Frau, die dort stand und mit erhobenen Fäusten auf den Mann vor sich einschlug, passte nicht zu dem Bild in seinem Kopf. Kae-san war auf jenen Fotos im Vergnügungspark so jugendlich, frisch und heiter erschienen. Ihre leuchtenden Mandelaugen strahlten vor Liebe und Zuneigung sowie Freude auf die Zukunft. Das war vor etwa einem Jahr gewesen. Außer den langen, schwarzen Haaren mit der grünlichen Schleife und ihrer Größe gegenüber ihrem Lebensgefährten erinnerte Keiyuu nichts mehr an das Mädchen, das Isshi mit glänzenden Augen auf seiner Kamera vorgestellt hatte. Es war der Bassist Nao, der endlich den Mut fasste und die Frau von seinem Musikpartner wegzog. Vollkommen verstört ließ sie sich in seine Arme sinken – er streichelte ihren Kopf und achtete darauf, ihren runden Babybauch, nicht zu sehr zu drücken. Isshi hatte diese Tortur ohne Reaktion über sich ergehen lassen. Seine Augen waren ausdruckslos oder geschlossen, seine Mundwinkel nach unten gezogen. Nao machte eine Kopfbewegung und der Sänger ging in Richtung Aufzug, wo er sich gegen eine der Wände sinken ließ, noch bevor die Tür zuglitt. „Ich wusste nicht, dass Kae-san schwanger ist“, flüsterte Reita mit Blick auf seinen Bassisten-Kollegen und die schwangere, immer noch schluchzende Frau. „Ich auch nicht“, antwortete Uruha, weil niemand den Mund aufmachte. „Ob das eine Szene war, die wir ihren Hormonschwankungen zu verdanken haben?“ „Wann seid ihr denn gekommen?“ Yasuno kam nun auf sie zu und nickte den Gazettos entgegen. „Das Ganze hat schon vor drei Stunden angefangen“, erklärte er wie nebenbei und nickte bei der geschockten Reaktion über die Dauer jenes Streits. „Sie ist heute Morgen kurz nach Isshi-san hereingekommen und – na ja ... hat auf ihn eingeprügelt.“ „Hat er sie betrogen?“, fragte Kai und Keiyuu meinte, etwas wie Mitgefühl in seiner Stimme zu erkennen. Ob nun für Kae-san oder Isshi-san war ihm unklar. „Nein. Es ist viel schlimmer – wie sie selbst durch die PSC brüllte“, flüsterte Yasuno jetzt, damit Kae nichts davon mitbekam. „Was denn? Diebstahl? Mord, Totschlag?“, erkundigte sich Ruki, jetzt vollkommen interessiert. Der Drummer schüttelte den Kopf. „Er ist schwul.“ Uruha grinste und nickte, als wollte er nähere Informationen. Ruki legte den Kopf schräg und überlegte augenscheinlich, wie er darauf reagieren sollte. Kai ließ Aois Arm los, weil dieser zusammenzuckte und von seinem Handy aufsah. Und Reita ... ja, Reita, der sprichwörtliche Mann in der Band mit der sanft klingenden Stimme, überkam eine niedliche Röte, die der Menschheit unter anderen Umständen verborgen geblieben wäre. Im Augenwinkel sah Keiyuu eine Internetseite auf Aois Handydisplay. Eine kleine Holzhütte inmitten einer weißen Schneelandschaft. Daneben ein Bild von einem Kaminfeuer, das wohl leise vor sich hin prasselte. Das wirkte ja geradezu romantisch. Der kleine Sänger zog die Augenbrauen zusammen, weil er den Zusammenhang nicht verstand. Sollte ihre Affäre, ihre offensichtlich nur auf Sex basierende Beziehung einen romantischen Hauch erhalten? Er selbst konnte die Information noch gar nicht richtig verarbeiten. Isshi-san? Schwul? Warum hatte er dann eine feste Freundin? Warum hat er sie geschwängert, wenn er Frauen nicht liebte? Und wie – um Himmels Willen – war Kae-san hinter dieses Geheimnis gekommen? Ein kleiner, leiser und unscheinbarer Gedanke wollte sich in Keiyuu an die Oberfläche graben, doch er legte einen Deckel darüber. „Hat das Jemand gewusst?“, fragte Aoi, und Keiyuu schüttelte den Kopf, auch wenn Niemand auf ihn achtete. Außer Uruha. „Ich schätze nicht“, sagte er leise und nickte dem kleinen Sänger zu. „Wir dürfen nicht vergessen, was das für Schlagzeilen geben könnte. Besonders hier bei uns. Was ich persönlich ja als Schande empfinde“, verkündete Saga ungefragt seine Meinung, als er plötzlich inmitten der Gruppe stand. „Warum?“, fragte Reita und sah noch immer zu Nao und Kae-san. „Habt ihr noch nie etwas vom Shudo gehört, genauer vom Wakashudo?“ „Die Liebe der Samurai?“, flüsterte Kai leise. „Richtig. So wie es in der Antike unter den Griechen Gang und Gebe war, sich einen Jüngling zu halten, war es in Japan etwas Ähnliches. Und im Gegensatz zu heute ... war es damals überhaupt nichts Verwerfliches. Erst als die Christen als Missionare in unsere Welt kamen, wurde es der japanischen Gesellschaft zu heiß.“ Aoi schluckte schwer, während er Sagas Vortrag lauschte, und überlegte, warum dieser so viel darüber wusste. „Wie ging es weiter?“, wollte Ruki wissen und scharrte mit den Füßen. „Die Anfänge der Missionierung wurden niedergestreckt und wir schotteten uns für zweihundertfünfzig Jahre von der Außenwelt ab. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erzwangen sich amerikanische Flotten die Öffnung der Japanischen Häfen.“ „Durch die Modernisierung der westlichen Welt verschwand mit den Samurai zusammen auch die Lehre des Shudo.“ Saga klang bedauernd und etwas ... traurig. „Woher weißt du das alles?“ Der alice nine.-Bassist blickte kurz zu Aoi, dann wieder zu Kae-san. „Ich -“ Er seufzte leise und schien sich zu genieren. „Es gab eine Zeit, da habe ich ... na ja, Ahnenforschung betrieben. In unserem Haus habe ich auf dem Dachboden Liebesbriefe gefunden und ...“ Saga lachte nervös. „Dann habe ich angefangen zu recherchieren.“ Uruha legte dem Bassisten lächelnd eine Hand auf die Schulter. „Erzählst du mir nachher, was du herausgefunden hast?“ Saga wurde rot, dann nickte er und schien erfreut, dass sich Jemand für seine Geschichte interessierte. Währenddessen hatte Nao die junge Frau in die Cafeteria begleitet, damit sie etwas trank. „Wie hat sie es herausgefunden?“, erkundigte sich dieses Mal Kai. „Oh“, sagte Yasuno und zog die Augenbrauen zusammen. „Das hat ... na ja ... er hat anscheinend gechattet. In einem Gay-Chat-Room. Und sie hat ihn zur Rede gestellt. Heute Morgen, hier in der Arbeit.“ „Sie hat auf seinem Rechner gestöbert?“ Ruki konnte das nicht verstehen. In einer Beziehung hatte man nun mal Geheimnisse. Seine letzte Beziehung war garantiert nicht an nicht eingehaltener Privatsphäre gescheitert. „So war es wohl. Na ja, gut. Die Show ist vorbei. Kei, lass uns hochgehen, die Arbeit wartet.“ „Ja, ich komm gleich nach. Geh schon mal vor, Yasuno!“ Keiyuu sah seinem Kollegen hinterher und beobachtete, wie Uruha zusammen mit Saga in einem Raum verschwand. Reita, Ruki und Kai gingen zusammen mit Yasuno zum Fahrstuhl. Nur Aoi blieb im Raum stehen – mit dem Handy in der Hand. „Aoi-san?“ „Hm?“ Er sah auf und lächelte. „Das, was ich ... für dich erledigen sollte ... wo soll es hin?“ ~~~~~ Der Laptop pustete in der Dunkelheit des Raumes vor sich hin, während Aoi immer wieder neue Zeichen auf der Tastatur antippte. Seine Augen wurden müde. Und Uruha kam nicht. Während der schwarzhaarige Gitarrist vor sich hinträumte und sich vorstellte, wie er dem anderen Gitarristen seine Liebe gestand, seine Seele verführte, den Schlüssel zu seinem Herzen fand. Keine SMS. Kein Anruf. Wenn er seinen Mund mit seinen Lippen verschließen könnte. Die Weichheit dieser Kissen spüren, seinen Lebenshauch einatmen könnte. Keine E-Mail. Er träumte von verschränkten Händen, einem silbernen Ring am Finger. Er wurde rot – und träumte weiter. Wie wäre es, wenn die anderen Gazettos von ihrer Beziehung wüssten? Wären sie ihnen böse, würden sie ihre Gitarristen verstoßen? Nein, sicher nicht ... Ihre Reaktionen auf Isshis unfreiwilliges Outing waren eher unspektakulär. Am wenigsten hätte sicherlich Kai etwas dagegen. Ob Miyavi mit ihm gesprochen hatte? Ob sie jetzt zusammen waren? Uruha war nicht bei ihm. ~~~~~ Es war fast drei Uhr morgens, als das Telefon klingelte. Aoi hob den Kopf und wischte sich über die Mundwinkel, ehe er abnahm und ein verschlafenes „Moshi moshi?“ ertönte. „Aoi? Ich bin’s ... Hab ich dich geweckt? Das tut mir Leid ...“ Uruha ... Ein erleichtertes Seufzen. „Ist nicht so wild ... Kann ich ... dir helfen?“ „Magst du mich reinlassen?“ „Hm? Bist du hier?“ Die sanfte Stimme zögerte. „Ja ...“ „Komm hoch.“ Keine zwei Minuten später öffnete er die Tür, um seinen Freund mit einem müden Lächeln zu empfangen. „Hey ...“ „Hey ...“ Uruha blinzelte, auch seine Augen waren klein und schläfrig. Er zog die Schuhe aus und kam nahe an Aoi heran, legte die Hände an seine Schläfen und beugte seinen Kopf so, dass er ihn bequem auf die Stirn küssen konnte. „Tut mir Leid, dass ich dich geweckt habe!“ Aoi war verwirrt, doch er schüttelte nur den Kopf. Was sollte diese liebevolle Geste bedeuten? „Wo warst du denn?“ „Bei Saga. Er hat doch von diesen Liebesbriefen erzählt, heute, bei der Sache mit Isshi, weißt du noch? Ich bin zu ihm mitgegangen – und er hat mir die Briefe gezeigt. Faszinierend“, schwärmte er und schob Aoi weiter in die Wohnung. „Wir haben bis vor ner Stunde geredet, dann bin ich hergefahren.“ Jetzt dachte Aoi erst recht an eine gemeinsame Zukunft. Er haderte. „Saga wohnt doch nur ne Viertelstunde mit der Metro entfernt.“ „Ich wusste nicht, ob ich dich störe ...“ Er guckte so niedlich, dass Aoi ihn am liebsten aufgefressen hätte. „Du störst nie, Baka ... Bist du auch so kaputt?“ „Auf jeden Fall!“ Nach ein paar Minuten lagen sie sich schon im Bett gegenüber. „Du hast gar nicht gefragt, wem die Liebesbriefe gehörten.“ „Wem denn?“ „Seinem Ur-ur-ur- ... Ur-Großvater, glaube ich!“ Uruha lachte. „Von seinem Geliebten.“ „Männlich, ja?“ Der Jüngere nickte. „War das nach Sagas Ausführungen nicht klar?“ „Doch, doch, nur ... ich dachte nur ...“ „Nicht alle genieren sich dafür, jemanden Schwules in der Familie oder Umgebung zu haben.“ „So war das gar nicht -“ „War es nicht, ja?“ Der Blondierte stützte sich auf einem Arm auf und sah auf Aoi hinab. „Ich weiß doch, dass du dich trotzdem für ... uns genierst.“ „Das tu ich nicht!“ „Also halten wir das mit uns nur geheim, weil man Affären nun mal geheim hält?“ Aoi zuckte zusammen, geschockt und gleichzeitig auch verletzt. „Ich möchte nicht mit dir streiten ... Interessiert es dich gar nicht mehr, was mit Miyavi und Kai ist?“ Uruha schürzte die Lippen und legte sich wieder hin. Dann ließ er ihn eben entkommen. „Natürlich tut es das ... aber bitte in der Kurzfassung, ich bin müde ...“ Ein demonstratives Gähnen unterstrich seine Aussage. „Ich habe beiden verziehen, weil ... irgendwie Melody-san der Eindringling war. Kai und Miyavi waren schon ... viel länger zusammen, als wir es vermutet haben. Sicherlich ist es jetzt schwer für die Beiden, aber ... wir sollten sie unterstützen.“ „Also ... sind wir ihnen nicht mehr böse?“ „Ja.“ Aoi lächelte. „Möchten wir jetzt schlafen?“ „Ich glaube schon.“ Uruha schloss die Augen und zog sich die Decke bis an die Ohren. „Oyasumi Nasai.“ „Dir auch eine gute Nacht, schlaf schön ...“ Der Ältere beobachtete seinen Partner noch ein paar Momente und öffnete den Mund, als er meinte, der Andere würde tief schlafen. „Ich habe nie von dir verlangt, dass wir das mit uns geheim halten. Ich weiß nicht, warum du es willst ...“ ~~~~~ Es vergingen ein paar Wochen – und es wurde ruhig um den Kagrra-Sänger. Die Gerüchte-Küche beruhigte sich ein wenig, seine Ex-Freundin war aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Sein Lächeln war wieder gekommen und niemand dachte mehr an jene Vorwürfe, die man ihm gemacht hatte. Aois Herz war in diesen Wochen einige Male stehen geblieben, ehe er letzten Endes Uruha einen Vorschlag gemacht hatte, den dieser nicht ausschlagen konnte. Ein Wochenende mit ihm zusammen – nur sie zwei, mit Verpflegung und Spielwiese für zwei volle Tage. Es war also letztendlich soweit. Freitag Nachmittag, die Klamotten fürs Wochenende schon im Auto – und Uruha kam zu spät. Sie fuhren los – und kamen in den Stau. Uruha saß am Steuer und kuppelte und schaltete, während des Stop and Go. „Ich weiß immer noch nicht genau, wo es hingeht. Abgesehen von ‚nach Ise’ weiß ich nichts. Aoi ...“ Uruha sah zur Seite in ein grinsendes Gesicht, das ihm nichts, absolut nichts verriet. „So, wie du aussiehst, könnten wir auch Zelten gehen.“ Er schauderte. „Zwar neigt sich der Winter dem Ende entgegen, aber es sind noch immer so niedrige Temperaturen. Du weißt, ich mag diese Kälte nicht und überhaupt ohne richtige Matratze kann ich auch ni-“ Eine Hand legte sich beruhigend auf seine Schulter. „Beruhige dich ... Wenn du überhaupt schlafen willst, wirst du auch Schlaf bekommen.“ „Das dachte ich mir schon, dass du mir nicht viel Schlaf lassen wirst.“ Der Jüngere schmunzelte und schaltete wieder in den ersten Gang, um anzufahren. Da es noch recht kalt war, waren seine Hände in Lederhandschuhe eingepackt – sein liebstes Paar, wie Aoi wusste. Diese Hände, überlegte er für sich und obwohl er sich noch Sekunden zuvor dafür gescholten hatte, Uruha in der Kälte des Winters loszuschicken, so wurde ihm selbst gerade mehr als warm. Uruhas Hand auf der Kuppe das Schaltknüppels, das Auf und Ab, während er darauf wartete, dass er in den zweiten Gang oder Leerlauf schalten konnte ... Aoi sah aus dem Fenster. „Es wird doch so etwas ähnliches wie unser eigenes Love-Hotel sein, oder?“ Als er nicht reagierte, griff ihm Uruha ans Knie und strich schnell bis hinauf zu seinem Schritt, wo er kurz verweilte. „Aoi ... ich muss mich doch auf den Verkehr konzentrieren ...“ „Was? Ich mach doch gar nichts“, quengelte Aoi und verschränkte die Arme. Doch die Farbe seiner Wangen verriet seine Gedanken. Er liebte diese Hände nun mal ... wer könnte ihn denn deswegen verurteilen? Wer könnte ihm vorwerfen, dass er jedes Körperteil seines Liebhabers – hoffentlich zukünftigen Lebensgefährten – vergötterte? War es verwerflich, mit ihm schlafen zu wollen, von ihm begehrt zu werden? „Hm ... Ja, ja, das sagen sie alle.“ Der Leadgitarrist grinste und schaltete höher in den zweiten Gang. Anscheinend konnte ihre kleine Reise endlich ein bisschen weitergehen. Seine Hand bewegte sich, seine Finger spielten an den Vertiefungen des Knüppels. Glitten wieder tiefer, umfassten den Stab, rieben auf und ab. Aoi zuckte zusammen, als die aufeinandertreffenden Materialien ein anregendes Geräusch hervorriefen. Plopp, da war es passiert. Aoi – erregt und hypersensibilisiert – saß neben Uruha im Auto und wusste nicht, wohin mit sich und seinen Gefühlen. Tief durchatmen ... denk an was Dummes ... irgendetwas ... „Hast du auf den Wetterbericht geachtet? Gibt es einen Sturm? Schneesturm, meine ich?“ „Ich ... soweit ich weiß, ist keiner angekündigt ... warum fragst du?“ „Weil ich überlege, ob ich genug Pullover eingepackt habe.“ „Ich werde schon dafür sorgen, dass dir nicht kalt wird.“ „Das hoffe ich doch.“ Uruha grinste wieder und blickte kurz zu Aoi hinüber. Die Sonne schien an seinem Profil vorbei, sie war kurz davor unterzugehen und tauchte sie beide in rotes Licht, das sein Herz erwärmte. „Wo warst du eigentlich, dass du zu spät gekommen bist?“ „Ich habe mich noch mit Saga unterhalten.“ „Saga schon wieder, ja?“ Aoi murrte und ärgerte sich darüber. Es war nur Saga ... Keine Konkurrenz. Und wenn, dann hätte Uruha längst etwas gesagt. „Habt ihr nicht bald genug über die alten Zeiten geredet? Ich meine, so viel Geheimnisse können doch gar nicht in der Vergangenheit liegen, oder?“ „Sei doch nicht gleich so verstimmt, Aoi ...“ „Ich bin nicht verstimmt.“ „Eifersüchtig?“ „Und wenn schon ...“ Wieder ein Murren. Uruha lachte und freute sich über das Rastplatz-Schild, das an der Seite erschien und ihm voraussagte, dass in einem Kilometer Entfernung ein eben solcher auf sie wartete. Der Leadgitarrist blinkte, bog ab und parkte an einer abgelegenen Stelle. Zu ihrem Glück war der Rastplatz nicht viel besucht, weil dort kein fließendes Wasser zu finden war. „Uruha ... wir haben keine Zeit, was soll denn das? Wir können uns doch nachher noch ...“ Seine Rückenlehne wurde nach hinten umgelegt und er schnappte nach Luft, als eine Hand sich auf seine Erregung legte. „Für eine kleine Aufheiterung muss immer ein bisschen Zeit sein“, säuselte der Blondierte und öffnete immer noch behandschuht den Reißverschluss. ~~~~~ Etwa zwei Stunden später saß Aoi am Steuer und lenkte das Auto durch die verschneiten Wälder seiner Heimat – schließlich sollte Uruha nicht ihr endgültiges Ziel erraten, bevor sie dort ankamen. „Deine Handschuhe ...“ Aoi schüttelte den Kopf und lief rot an – das sah Uruha, obwohl es inzwischen schon dunkel war, doch um sie herum erhellte der frische Schnee die Umgebung. „Ach was ... Mach dir darum keine Sorgen ...“ Der Jüngere kicherte und wippte mit den Füßen, weil seine Zehenspitzen froren. „Ruiniert. Ich hab sie ruiniert. Das geht nie wieder raus.“ „Und wenn schon ... Da ich jetzt weiß, dass es dich anmacht, könnten wir sie ja öfter ... benutzen.“ Er lachte auf und sah sich um. Ein Schild leuchtete in der Dunkelheit. „In zwei Kilometern soll ein Hotel sein.“ „Jepp, ich weiß.“ Dieses Mal war es an Aoi zu grinsen. „Aber du kennst mich ... wäre ich the One an’ Only Aoi, wenn wir unser Wochenende in einem Hotel verbringen würden?“ Er zögerte. „Eher nicht.“ „Siehst du? Also warte einfach noch ein bisschen.“ Inzwischen hatte es angefangen, sich einzuschneien. Als sie in der kleinen Ortschaft ankamen und vor dem Hotel hielten, sah Aoi Uruha tief in die Augen. „Du bleibst hier drin. Draußen in der Wildnis ist es so gefährlich ... Hier könnte dich mir Jedermann wegschnappen oder ... die Wildnis könnte dich verschlingen ...“ Mit diesen Worten ging Aoi in das Hotel und sprach mit dem Mann an der Rezeption. Uruha suchte nach seinem Handy und überlegte kurz. Dann tippte er eine SMS. „Gerade jetzt ist doch die Gelegenheit für dich, um mit ihm zu reden. Komm, er wartet ja geradezu darauf, ein Date mit dir zu haben!“ Aoi kam zurück. Ein Duft von gegrilltem Fleisch mit Kräutersoße und Salaten stieg ihm in die Nase, als er zwei in Alufolie gepackte Päckchen ins Auto schwang. „Es gibt nur eine kleine Planänderung für den heutigen Abend.“ Er zwinkerte und startete das Auto erneut. „Mach dir keine Gedanken. Ich habe alles im Griff.“ Sie fuhren vorsichtig und langsam durch die Wälder, so dass sie länger als eine halbe Stunde brauchten, um an ihr Ziel zu kommen. Uruha verschlug es die Sprache. Er kam sich vor, wie in einem Wintermärchen, der dort vor ihnen lag: Eine kleine Blockhütte mit Fensterläden und Brennholz an der Seite gestapelt. Ein kleiner Schornstein erhob sich über dem leichten Schrägdach. Er war überwältigt von der süßen Schwere, die sein Herz mit einem Mal umfing. Obwohl er nicht mit Romantik gerechnet hatte – das hier war die pure Zärtlichkeit, nach der sein Herz verlangt hatte. Was würde auf ihn zukommen? „Ich ... werde dich gleich fragen, ob es dir gefällt ...“ Aoi spielte an seiner Unterlippe herum, als hätte er vergessen, dass er das Piercing nicht mehr trug. „Warte noch mal kurz auf mich, okay?“ Uruha nickte. „Bin gleich zurück.“ Er schnallte sich ab und stürmte mit zwei Reisetaschen auf den Schultern an die Tür, um kurz darauf hinter dem Holz zu verschwinden. Uruha wunderte sich über die Situation. War das hier wirklich ein Wochenende für Abenteuer? Er hatte nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken, denn nur ein paar Minuten später kam Aoi zurück und führte ihn durch den Schnee, als wäre es nur Puderzucker. „Schließ die Augen“, flüsterte ihm der Wind zu und er schloss die Augen. Prompt schlug ihm pure Hitze entgegen, als Aoi die Tür öffnete, und Geruch von frischen Holz und ... Liebe in die Nase stieg. Er öffnete die Augen und erkannte ein kleines Kaminfeuer, im kleinen Umkreis darum verteilt Kerzen. Zwei Teller mit den Alupäckchen darauf lagen auf dem Teppich vor dem Feuer – und Uruha rümpfte die Nase. „Aoi ...?“ „Es tut mir leid“, ein Kichern. „Der Strom ist ausgefallen, das passiert hier oben des Öfteren. Morgen mache ich dir ein schönes Abendessen ... das heute ist nur der Vorgeschmack.“ „Und was ...“ „Du kennst doch die Tradition eines Candlelight-Dinners? Bei uns ist das eben etwas Anderes!“ Uruha lachte und küsste Aoi auf die Wange. „Ein ... Candlelight-Döner?“ „Hm ... gewissermaßen“, lachte der Andere gelöst. „Lass uns reingehen.“ Und wie Uruha die Schwelle überschritt, fing sein Herz an in einem gewissen Takt zu schlagen. Er war nervös ... Er wusste, dass etwas Besonderes hier oben passieren würde, und das machte ihn hibbelig. Er wusste nicht, ob er sich freuen oder Angst haben sollte. Er sah nur seit Tagen einen gewissen Glanz in Aois nachtschwarzen Augen, den er nicht so richtig deuten konnte. Was hatte er vor? Der Ältere verschwand kurz im Bad. Er wolle sich etwas Bequemeres anziehen, hatte er gemeint und dem Anderen zugezwinkert. Tatsächlich aber kam Aoi in einem unheimlich schicken Outfit zurück. Eine schwarze Lederjacke aus Reliefstoff, darunter ein schwarzes Hemd, eine edle Hose und ein eine filigrane Kette daran. Selbst die Haare hatte er sich ein wenig zurechtgemacht. Um den Hals hatte er seine zur Zeit heiß geliebte Fangzahnkette mit der eingefassten großen Onyx-Perle und am Handgelenk das passende Armband sowie den Ring am Finger. Als er wieder den Raum betrat, war Uruha stumm. Er staunte einfach nur das zauberhafte Wesen an, das da mit einem Blick wie tausend Orgasmen auf ihn zuschwebte. Ein Blick, der ganz klar sagte: Ich weiß, was ich will! Unbewusst musste der Größere erst mal schlucken. Wahrhaft ein Anblick für die Götter. Und dann glitt dieser umwerfende Mann auch noch mit einer sexy Koketterie an ihm vorbei, so nahe, dass er fast die Wärme seines Atems spüren konnte, dass Uruha ganz schwindelig wurde. „Was denn? Hattest du unter bequem etwas anderes erwartet?“ Angesprochener reagierte überhaupt nicht. Er erwachte erst aus seinem Trancezustand, als Aoi die Jacke lüpfte, sein Hemd klaffte dabei auf und legte die seidenweiche Haut seiner Brust frei, um ein paar glänzende Essstäbchen aus feinstem Porzellan aus der Innentasche hervorzuzaubern. „Wenn schon Candlelight-Döner, dann richtig!“, witzelte er und legte sich eines der großen Kissen auf den Boden, an den vier Ecken Kordeln mit Quasten, feinste Metallknöpfe mit Zierraten darauf. Immer noch etwas abwesend strich sich Uruha über die Brust, um seine Sachen zu glätten. Er kam sich ein wenig schäbig vor neben dem anderen. „Magst du dir auch was Anderes anziehen?“ „Ich fürchte, ich hab nichts annähernd Passiges ...“ „Macht doch nichts.“ Trotzdem huschte Uruha auch schnell ins Bad, um sich umzuziehen. Er kam mit einer edlen schwarzen Weste wieder, darunter ein T-Shirt aus weißem, feinem Stoff. Eine schlapperige Jeans musste herhalten. Er hatte gedacht, dass er hier ein ganzes Wochenende im Bett verbringen würde – oder mit Holz hacken vor der Hütte – natürlich hatte er sich nichts Besonderes mitgenommen. Außer seiner Miseinen-Kette. Die hatte er immer dabei. Als Glücksbringer, und in ganz besonderen Momenten machte er sie auch wieder um. So wie jetzt. Er kämmte sich noch schnell die Haare. Warum nur hatte er sich angewöhnt auf langen Autofahrten immer seine Mähne zu raufen ...? Er schminkte sich sogar ein bisschen nach, und mit jeder Handbewegung pochte sein Herz lauter. Was wohl diese Nacht bringen würde ...? Unterbewusst hatte er in den letzten Wochen über Vieles nachgedacht. Aber einen Gedanken weder zu Ende gebracht, noch innerlich ausgesprochen. Seltsam. So etwas war ihm in seinem ganzen Leben noch nicht passiert. Als er wieder in den Wohnraum kam, hatte Aoi schon auf ihn gewartet. Er grinste süß, als er sah, wie Uruha in den letzten Minuten verzweifelt versucht hatte sich aufzubrezeln. Der Jüngere konnte nur rote Wängchen bekommen und verlegen zur Seite schauen – ebenfalls ein göttlicher Anblick. Fast schon vorsichtig begab er sich zu Aoi auf den flauschigen Teppich. Erst jetzt bemerkte er, dass der Andere noch mal draußen gewesen sein musste, um das Auto gegen Schnee und Rutschen zu sichern. Auf seiner Schulter war noch etwas Schnee und die nach dem Schmelzen übrig gebliebenen Wassertropfen in seinen Haaren glitzerten im Kaminfeuerlicht wie kleine Sterne. Uruha aß mit Appetit. Das hier hatte zwar nichts mit Aois Gourmet-Dinner-Essen zu tun, aber es schmeckte dennoch, besonders nach so einer langen Reise. Der Rhythmusgitarrist schäkerte ein wenig mit ihm herum, fütterte ihn mit Kebap und hängte ihm eine Scheibe Tomate auf die Nase. Er war einfach lieb und lustig. Ganz anders als noch vor ein paar Wochen, als Uruha einen so facettenreich tiefgründigen Shiroyama Yuu kennen gelernt hatte wie nie in den letzten Jahren ihrer Freundschaft und Zusammenarbeit. Er schien irgendwie freier atmen zu können, seit er sich wieder mit Miyavi vertragen hatte. Das beruhigte auch Uruha. Natürlich hatten sie beide ihr Essen nicht aufgegessen – das würde in nächster Zeit doppelt schlechtes Wetter geben. Vollgefressen lagen sie nebeneinander auf dem Bett – ein Himmelbett im Dachgeschoss mit einer freien Wendeltreppe als Zugang. Unglaublich, das große Panorama-Fenster direkt darüber, das man auf Knopfdruck mit Jalousien von innen verbarrikadieren konnte. Aber Aoi und Uruha ließen sie erst mal offen. Sie schauten in den Himmel schräg über sich, der vollgehängt war mit leuchtenden Punkten. Im Winter strahlten sie am hellsten. „Hast du jemals so viele Sterne auf einen Haufen gesehen?“ „Nein ... In der Stadt sieht man immer gar nichts davon ...“ „Hai ... so, wie wir beide jetzt, habe ich als ich dreizehn-vierzehn Jahre alt war immer auf dem Boot gelegen, das bei uns am Strand lag und hab mir die Sterne angeschaut. Das war damals genauso schön. Ich wollte dir das mal zeigen.“ „Hai ... arigato“, konnte Uruha nur dankbar für dieses Wunder flüstern. Er legte den Kopf näher an Aois, ließ den Kissenstoff rascheln. Ihrer beider Haare lagen nun kontrastreich farbig auf einander. Kunst. Langsam ließ Aoi seine Hand näher zu der des Mannes neben ihm wandern. Ganz leicht nur berührte er den kleinen Finger. Uruha war ganz warm. Das Kaminfeuer hatte die ewige Frostbeule aufgeheizt. Er bemerkte Aois Annäherungsversuch, zuckte kaum merklich, aber ließ sich dann nichts mehr anmerken, auch nicht, als Aois Hand sich langsam auf seine schob und er diese, im Vergleich zu dem, was zwischen ihnen in letzter Zeit passiert war, harmlose Berührung als so intim empfand, dass sein Herz einen Sprung machte und er spontan zu glühen begann, wie der Orionnebel. Er musste fliehen. Doch wovor? „Erinnerst du dich noch an die Mädchen in Deutschland damals, die, die uns einen Stern geschenkt haben ...?“, fing Aoi wieder an. „Hai. Das war eines der besten Fan-Geschenke überhaupt, ne tolle Idee...“ „Hai ... irgendeiner von diesen Sternen dort draußen gehört uns ... Uns Fünf ganz allein.“ Langsam drehte Aoi sich zu dem Anderen um und betrachtete sein Gesicht von der Seite. Uruha bemerkte dies natürlich sofort, was ihn nur noch nervöser machte. Er registrierte gerade mit Herzrasen, dass Aoi wieder diesen Blick aufsetzte, der weder anzüglich war, noch einladend. Er war nahe. Innerlich nahe, so nahe wie kein Anderer. Er musste etwas tun! Sofort! Er musste Aoi zuvorkommen, bevor er ... ja was eigentlich? Er setzte sich auf. Aoi wich überrascht wieder zurück. Dann legte sich der Schatten des Leadgitarristen langsam über ihn. „Aoi~“, schnalzte Uruha mit Schlafzimmerstimme. Aoi wusste: Mit der unschuldigen Romantik war es vorbei ... „Soll ich dir auch einen Stern schenken?“ „Wie?“ Obszön ließ Uruha die Hand über seine Taille gleiten. Nebenher kniete er sich auf und schlich sich über Aois Beine, krabbelte auf den Anderen zu. Mit einem Blick so heiß, dass Aoi Denken und Atmen verging. Er versuchte ein wenig zu fliehen, wich nach hinten aus, bis er mit dem Rücken an das Kopfgestänge des Bettes gelangte und sich dagegen lehnte. Immer noch kniend richtete sich Uruha vor Aois Nase auf, die jetzt auf Höhe seiner Brust war. Aoi schaute wie ein kleiner Junge fasziniert zu ihm auf. Seine Augen funkelten, auch wenn er in Gedanken dem romantischen Abend nachweinte. Er verfolgte aufmerksam jede Handbewegung des anderen Mannes vor ihm, das Entlangfahren an der Reißverschlussschiene der Weste, das Geräusch der Finger auf dem weißen Stoff darunter, den warmen Funkelglanz der Kette, wie mühelos Uruha mit zwei Fingern seinen Hosenknopf öffnete ... „Ich schenk dir auch einen Stern ...“, raunte er dem Anderen ins Ohr. Und wie der das Ratschen des Hosenstalls hörte, blickte er auch schon auf das schwarze Stück Stoff, dass dahinter zum Vorschein kam. Schwarzer Stoff mit einem einzelnen weißen Stern. Aoi musste lachen. Und Uruha fragte sich ernsthaft, wie er jetzt gerade diese elegante Überleitung von Romantik zu Sex hinbekommen hatte. Er blinzelte erleichtert und lächelte breit. Doch dass es gar nicht die Erleichterung war, die ihm wohler werden ließ, bemerkte er nicht. Es war Aois Lachen. Allein dessen Klang. Es machte ihn glücklich. Einen Augenblick hatte er sich einfach auf Aois Schoß gesetzt und ihm zugehört. Dann herrschte Stille. Sie sahen sich an. Ein wenig länger als gewöhnlich. Zu lang. Uruha bemerkte nun deutlicher als jemals zuvor, dass sein Puls auf jede kleine Geste des Mannes vor ihm reagierte. Ihm fiel wieder ein, wie töricht er gewesen war. »Also halten wir das mit uns nur geheim, weil man Affären nun mal geheim hält?«, fielen ihm seine eigenen Worte wieder ein. Er hatte im Auto Aoi den Vorwurf gemacht, sich für sie beide zu genieren ... Dabei war er Derjenige, der Angst hatte, es würde auffliegen. Mein Gott ... er war in Keiyuus Wohnung eingebrochen ... damit diese Affäre geheim blieb ... und jetzt schob er Aoi den schwarzen Peter zu? Erst ganz langsam sickerte es in seinen Kopf. Er hatte Angst. Plötzlich kniff er die Augen zusammen. Ihm kam ein Bild aus seiner Kindheit in den Kopf. Dann ein paar aus seiner Jugend. Wie Blitzfäden zuckten sie aus dem Dunkel hervor und drohten in seinen Verstand einzuschlagen. Er zuckte heftig zusammen. Aoi hatte sich nicht gerührt. Er fragte ihn nur besorgt, was denn los sei. Aber alles, was der Brünette als Antwort bekam, war ein Kopfschütteln und eine eher abwehrende Hand mit leichtem Druck auf seinen Oberkörper. Das war es also, was ihn in den letzten Stunden hatte so nervös werden lassen ... „Uruha? Ich ... glaube, wir ... müssen da mal was klären ...“, fing der Ältere ganz vorsichtig an und drohte jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. Jetzt war der Moment da. Jetzt! Nicht morgen oder irgendwann. Jetzt. Jetzt. Uruha riss die Augen auf und starrte sein Gegenüber an. Sein Atem ging hastiger. „Nein“, sagte er mit Nachdruck. Nein? Aoi fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. „Aber ...“ Dann schreckten beide zusammen. Ein Schnarren, in den Ohren kaum zu ertragen, durchzog den Raum wie ein Riss in reinster Seide. „Das ist das Funkgerät“, stellte Aoi fest und ging sofort zur Kommode, auf der das Ding stand. Er drückte auf den Sprechknopf. „Hier Hütte fünfundvierzig ... was gibt es?“ Eine kleine Weile kam nichts, dann: „Hier ist das Vermietungsbüro, können Sie mich verstehen?“, krack. „Hai, laut und deutlich.“ „Sehr gut. Wir haben eine Unwetterwarnung vom Wetterdienst Nihon Kansai erhalten. In den nächsten Stunden soll eine Schneefront mit bis zu siebzig Zentimeter Neuschnee über diese Region ziehen. Wiederhole: siebzig Zentimeter Neuschnee ...“ Krack. Aoi und Uruha schauten sich einen Moment lang ungläubig an. Uruha schaute aus dem Fenster. Da war es doch gerade noch sternenklar ... Und nun alles dunkel. Tiefste Nacht. „Was bedeutet das für uns?“ „Ich muss Sie leider bitten, die Ferienwohnung so schnell wie möglich zu verlassen und ins Tal zurück zu kehren. Wir stellen hier ein Doppelzimmer für Sie und Ihren Bekannten in unserem Hotel zur Verfügung. Es tut uns wirklich Leid, aber Ihre Sicherheit geht vor. Sie würden nicht zurückkommen und es könnte Tage dauern, bis die Zufahrtsstraßen wieder frei wären. Es tut uns wirklich Leid.“ Krack. Die Dame am anderen Ende der Leitung schien ehrlich betroffen und besorgt. Aoi seufzte tief. „Na ja, hilft ja nichts. Wir kommen runter.“ „Hai, vielen Dank. Wir werden Sie für alle Unannehmlichkeiten entschädigen.“ Krack. „Hai, arigato.“ „Wir haben zu danken. Wir bereiten alles für Sie vor. Bis später.“ Krack. Damit endete die Verbindung. „Na toll.“ Uruha war schon nach unten gegangen, um zu packen. Das alles hatten sich die Beiden ganz anders vorgestellt. Aber so war es nun mal. Das Allerschlimmste war jedoch, dass sie ihr Gespräch hatten unterbrechen müssen und dass diese unangenehme Situation nun zwischen ihnen stand. Aoi hätte innerlich explodieren können, trotzig packte auch er seine Sachen zusammen und dann ins Auto. Die ganze Zeit über sprachen sie kein Wort miteinander. Uruha hatte Angst. Aoi auch. Er hatte jetzt schon das Gefühl, etwas kaputt gemacht zu haben. Mit mulmigem Gefühl drehte er den Zündschlüssel um. Gott sei Dank, es waren nur dreißig Minuten bis zum Hauptsitz des Hotelbetreibers. Eben doch nicht so abgeschieden wie erwartet. Daran dass Uruha nervös seine Fingerspitzen betrachtete und sich demonstrativ auf den Beifahrersitz setzte, hatte Aoi geschlussfolgert, dass er fahren sollte. Also tat er das auch. Es fing schon an zu schneien. Aber nach Unwetter sah das noch nicht aus. Es bitzelten hier und da trockene Schneeflocken auf der Frontscheibe. Sie waren gerade etwa sieben Kilometer gefahren, da bremste Aoi plötzlich halbscharf. Das Auto driftete ein wenig. „Oh Gott ...“ Ein großer Ast lag auf dem Weg. Einfach so. Wahrscheinlich waren die Schneemassen hier oben zu schwer für das trockene Holz geworden. Aoi stieg aus, um das Hindernis von der Straße zu räumen. Uruha eilte hinzu um ihm zu helfen. Sie standen in einer Kurve, vor ihnen ein kleiner Hang, nicht sehr tief, dahinter war eine Lichtung, die man weit einsehen konnte. Wind kam auf. Von jetzt auf gleich bewegten sich alle Tannen um sie herum. Aoi wusste, dass das hier oben nichts Gutes bedeutete. Als Uruha sich noch mal herunterbeugte, um etwas wegzuräumen, fiel ein kleines Faltblatt aus seiner Tasche, das er auf der Hütte mitgenommen hatte. Werbung zwar, aber auch mit einer Wegbeschreibung ins Tal. Er dachte, es könne nützlich sein, das Navi im Wagen war nicht mehr zu gebrauchen, wenn es schlechtes Wetter gab und außerdem war es dunkel. Sicher ist sicher, dachte er sich, und so was lag da garantiert nicht zum Spaß rum ... Doch nun schnappte der Wind sich den kleinen Flyer und trug ihn fort. Den Hang hinunter, auf die Lichtung. „Wah ...“, machte Uruha laut und stolperte hinterher in die Dunkelheit, um es einzufangen. „Uruha, das ist gefährlich ... lass es ... komm ... zu-rück ...“ Aois Worte stießen auf taube Ohren. Heimlich hatte Uruha sich schon so manches Horrorszenario durch den Kopf gehen lassen. Dass sie sich verfahren würden, liegen bleiben und im Schnee erfrieren ... „Ich hab es!“, verkündete er und drehte sich wieder um. Irgendwie würde er es den Zwei-Meter-Hang schon wieder hinauf schaffen, dachte er. Doch bis dahin kam er nicht! Ein Ohren betäubenden Knacken. Der Boden gab nach. Ein Schrei. „Uruha!“ Aoi wusste sofort das etwas Schreckliches passiert war! Er wollte Uruha nach. Doch nicht ohne Taschenlampe! Er kramte sie aus dem Handschuhfach. Stille. Warum war da Stille? Scheiße. „Aoi! Hilf mir!“ Gott sei Dank. Aoi zitterte. Warum ging der Schalter nicht? Hochschieben... hochschieben. An. „Hilf mir! Schnell! Bitte!“ Aoi stürmte den Hang hinunter. Uruhas Stimme wurde immer wieder unterbrochen. Er leuchtete mit Todesangst die Lichtung ab. Uruha war nur noch vom Hals aufwärts zu sehen. Eis? Eis! Das hier war keine Lichtung. Es war ein See. Zugefroren. Das Eis war durch das Tauen und Frieren in den letzten Wochen spröde geworden. Uruha war eingebrochen ... Kapitel 6: Semantik eines Kusses - Das Uru aus dem Eis ------------------------------------------------------ „Hilf mir ... es ist so kalt ... Aoi ... bitte ...“ Aoi versuchte sich auf den Boden zu legen. Musste sein Gewicht verteilen. Wieder knackte es. Und das Eis riss erneut. Uruha wurde wieder unter Wasser gezogen. „Kouyou!“ Aoi stiegen Tränen in die Augen. Tauchte er wieder auf? Nichts ... Uruha? „Kouyou!“ Es war so verdammt dunkel! Uruha zog sich wieder am Eis hoch. Aoi atmete auf. Er hatte Angst. Todesangst. Aber nicht zu vergleichen mit der Angst, die er in den Augen des Mannes sah, den er liebte. Der schnappte nur noch flach nach Luft. „Ich hab keine Kraft ... mehr ... Bleib weg ... du brichst nur auch ... ein ...“ Seine Stimme, heiseres Flüstern. Aoi musste sich etwas anderes überlegen. „Ich werd dich nicht sterben lassen!“, rief er und kämpfte sich den Hang wieder hoch. „Geh nicht weg ... lass ... mich ... nicht ...“ Aoi kam mit einem Teil des Astes zurück. „Halt dich daran fest ...“ Uruha hatte keine Kraft mehr. Konnte sich noch langsam bewegen. Aber nicht festhalten. Das durfte nicht sein. Das durfte nicht passieren. Einen Moment nur wurde Aoi hysterisch. „Scheiße!“, fluchte er den Schnee und die Kälte an. Von Sekunde zu Sekunde wurde Uruha mehr eingeschneit. Aoi raufte sich die Haare. Sein Atem ging heftig. Er wusste: Wenn Uruha jetzt das Eis loslassen würde, dann würde er untergehen und nie wieder auftauchen. „Ich kann ... mich ... nicht ... mehr ... hal ...“ Nein, nein.... nein! Aoi stapfte erneut den Hang hinauf in den eigenen Spuren. Das Gefühl, Uruha allein in der Dunkelheit zurückzulassen, war unbeschreiblich grausam. Er rannte zum Auto. Mittlerweile waren seine Finger auch schon klamm. Seine Füße fast taub. Nur durchgestreckte Knie und der Schwung des Gehens hielten ihn noch auf den Beinen. Aoi öffnete den Kofferraum und schnappte sich das Abschleppseil und eine Gummieinlage daraus, stolperte durch den Schnee und gegen den Wind zum See zurück. „Uruha! Mach das an deinen Gürtel!“ Einen Moment kam keine Antwort. Aoi schleuderte es rüber zum Anderen. Zu weit weg. Noch ein Versuch! Uruha bewegte sich sehr schwerfällig. Er stützte sich mit dem Ellenbogen auf das Eis, in der Hoffnung, es würde einen kurzen Moment durchhalten. Mit allerletzter Kraft drückte er den Karabinerhacken auf, tauchte ihn unter Wasser. Aoi schob die Gummieinlage bis kurz vor ihn hin, ohne das Eis zu betreten. Alles musste passen. Eine zweite Chance hatten sie nicht. „Zieh sie ein wenig zu dir, bis sie ein Stück ins Wasser hängt! Und halt dich am Seil fest! Lass es nicht los!“ Uruha war nicht sicher, ob er es geschafft hatte, dass er fest am Seil hing. Aoi war schon verschwunden. Dieser Anblick zerriss ihn fast. Er konnte die Augen kaum noch offen halten. Das Surren des Motors war zu hören, ein Lichtkegel wanderte über die Bäume. Aoi drehte das Auto um. Dann klinkte er den Haken ein. Hechtete wieder nach vorne. Mit zitternden Händen und ohne Gefühl im Bein fuhr er an. Gerade gefühlvoll genug, dass das Seil nicht riss. Ein Ruck durchzog Uruhas Körper und aus Angst tat er genau das Gegenteil von dem, was er normalerweise getan hätte: Er krallte sich am Seil fest. Sein Leben hing davon ab. Die Gummimatte tat ihre Pflicht. Sie schützte ihn vor den scharfen Kanten der Eisstücke, die unter der Zugkraft des Autos brachen wie Glas. Seine Knie schrammten über den Uferboden, schlammig und steinig. Den Schmerz spürte er nicht mehr. Sein Körper grub sich ein Stück durch den Schnee. Aoi stoppte, vergaß beinahe, die Handbremse zu ziehen. Ignorierte das unschöne Geräusch, als er sie hochriss, ohne den Knopf zu drücken. Er ließ den Motor laufen, hechtete zu Uruha herunter. Dieser lag wie eine Puppe da, atmete flach, weil sein Körper vor Kälte gelähmt war. Selber fast am Ende hievte Aoi sich den Anderen auf den Rücken und schleppte sich zurück zum Auto. Er setzte Uruha halbwegs auf den Rücksitz, rannte um den Kombi herum, um ihn von der anderen Seite unter die Achseln zu greifen und ihn ganz hinein zu ziehen. Schloss erst die eine Tür, dann die andere, als er selber mit eingestiegen war. Hastig riss er Uruha die nassen Sachen vom Leib und ließ sie achtlos zischen die Polster fallen. „Es ist ... so heiß ... hier drin ... Ich ... verbrenne ...“, hörte er den Anderen flüstern. Aoi ließ etwas Luft von Draußen rein, rubbelte mit einer trockenen Decke an dem schmalen zitternden Körper herum, um ihn wieder warm zu kriegen. Dann zog er selbst seine Winter-Jacke aus, die ihn bis dahin gut gewärmt hatte. Er zog sie Uruha an, dann knöpfte er sein Hemd auf. Er zog seinen Liebhaber zu sich in die Arme, stöhnte laut auf und zog alle Luft in sich ein, als ihre Körper zum Teil pur aufeinander trafen. Die einzige wirkliche Wärmequelle war er. Uruha klammerte sich an ihn. Seine Finger drückten sich mit wenig Kraft unter Aois Jacke auf dessen Rücken ... „Aoi ...“ „Hai ... ich bin da ... hab keine Angst ... es wird alles gut.“ Aoi drückte sein Gesicht in Uruhas nasse Haare, kniff die Augen zusammen, um Tränen wegzudrücken. „Ich liebe dich ...“, flüsterte er dann. Es wollte raus, war nicht aufzuhalten. Aoi war sich nicht mal sicher, ob Uruha das überhaupt gehört hatte, denn der reagierte erst gar nicht. Eine Weile lagen sie so nebeneinander. Mindestens eine Viertelstunde lang. Um sie herum war bereits fünfzehn Zentimeter Schnee gefallen. Die Lüftung blies immer noch warme Luft in die Fahrgastzelle. Aoi hauchte seinen Atem auf Uruhas Schulter und seinen Rücken. Jede einzelne seiner Bewegungen war nur dazu da, den Anderen zu wärmen. Jedes Streicheln, jedes bloße Auflegen der Hände. Uruhas Körper bebte immer noch wie Espenlaub im Wind. Aber Aoi konnte spüren, dass seine Vitalfunktionen wieder mehr und mehr aktiviert wurden. Träge zog der Größere die Beine an, weil seine Füße immer noch froren. Das Gefühl, in zwei Grad kaltem Wasser zu hängen, war unbeschreiblich beklemmend. Es hatte sich angefühlt, als hätte man ihn lebendig eingemauert, und die Kälte war ihm vorgekommen, wie ein Mantel aus feinen Kaktusnadeln. Die Ohnmacht nichts tun zu können und die Kraftlosigkeit steckte immer noch in seinen Knochen. Nur langsam konnte er sich überhaupt beruhigen. Seine Beine zuckten zusammen, als würde er ständig träumen, hinzufallen oder eben einzubrechen. Nur sehr schwerlich drang Aois Wärme in ihn vor. Jene Wärme, nach der er sich immer sehnte, seit er von ihr gekostet hatte. Aoi hätte fast sein Leben für ihn riskiert, um ihm zu helfen und schlussendlich hatte er ihm sein eigenes gerettet. An die Unwetterwarnung dachte er nun nicht mehr, bemerkte nur beiläufig, dass Aoi den elektrischen Fensterheber betätigte, um das Fenster zu schließen und den hereinwehenden Schnee auszusperren. Der Wind rüttelte nun wahrhaft merklich an der Karosserie des Wagens. Aoi hatte es nicht bemerkt, aber als er aufschaute, konnte er nicht mehr durch die Frontscheibe schauen. Sie mussten hier weg. So schnell wie möglich! Aber wie? Er musste Uruha wärmen. Sein Freund würde sich sonst noch eine Lungenentzündung holen. Mit der linken Hand hakte er umständlich die Hutablage aus, griff so von Innen in den Kofferraum und zog einen von zwei Winter-Schlafsäcken hervor, die er für solche Notfälle eingepackt hatte. „Aoi ...“, hörte er den Anderen heiser sprechen. Er schaute ihn sofort an. „Was ist? Brauchst du was?“ Immer noch zitternd hatte Uruha sich krampfhaft aufgestemmt, sah dem Anderen nun von leicht unten ins Gesicht. Aoi hielt inne in seinem Tun. Ihre Blicke trafen sich. Der Dunkelhaarige konnte Dankbarkeit, aber auch anhaltende Furcht in den Augen seines Gegenübers sehen, aber auch Spannung und Aufmerksamkeit. Uruha blinzelte erschöpft, ließ seine Finger zu Aois Hemdkragen krabbeln und zog dann leicht, aber entschlossen daran. Ihre Gesichter kamen einander näher. Der Ältere begriff die Absicht der Geste sofort, sein Herzschlag beschleunigte. Langsam berührten sich ihre Lippen. Aoi konnte fühlen, wie Wärme in Uruhas Wangen schoss, seine Weichheit und seine Vorsicht. Es war die zarteste Berührung, die sie je geteilt hatten. Uruha war einiges klar geworden. Er liebte diesen Mann. Er liebte jede seiner Fasern, jedes seiner Haare, jedes seiner Worte, seine Wärme, seine Stimme, seine Zärtlichkeit und Stärke. Und deshalb hatte Aoi nun die Erlaubnis, ihn küssen zu dürfen. Er sollte es tun können, wann immer ihm danach war. Und in diesem Moment, in dem sie zögernd den Kuss intensivierten, Welten, Schnee und Zeit um sich herum vergaßen, wurde ihr Spiel ohne Gefühle zur Wahrheit ohne Grenzen, zum Wahnsinn ohne Hemmung. Die letzten Monate über waren sie Tänzer gewesen, die leidenschaftlich Pirouette um Pirouette umeinander drehten, am dem Rand des Abgrunds und nun, da sie stehen geblieben waren, stürzten sie ab. Tiefer und tiefer, einander festhaltend. Ohne zu wissen, wann ihr Fall enden sollte. Unaufhaltsam erwärmte sich Uruhas durchfrosteter Körper wieder. Er vergaß die schmerzende Kälte, die seine Glieder fesselte für diese Weile, denn da herrschte nichts Dunkles in seinen Gedanken. Da war nur er und Aoi, seine Lippen, das kleine Löchlein, das von seinem Piercing übrig war, sein leicht rauchiger Geschmack, sein heißer Atem, seine seidenweiche Haut. Warum hatte er dies nicht viel früher getan? Warum hatte er Aoi nicht viel früher die Erlaubnis erteilt? Er hatte doch gespürt, dass er dies wollte, er hatte doch geahnt, dass sich der Wunsch danach auch in seiner eigenen Brust formiert haben musste. Es hätte so viele schönere Augenblicke dafür gegeben, aber Aois Art zu Küssen machte jeden noch so unsäglichen, ungeeigneten Zeitpunkt zum perfekten Moment, wie Uruha gerade herausfand – auch diesen. Er hatte befürchtet, dass Aoi ihm nicht schmecken würde, dass es einfach nicht passen würde, aber ein Teil von ihm hatte still einfach gehofft, dass es funktionieren und ihn glücklich machen könnte. Ganz konzentriert auf sich umwanderten ihre Gesichter einander, Aoi trennte als erster die prallen Lippen des Mannes, den er liebte. Es passte, es schmeckte und prickelte so stark, wie ein Schwarm Bienen im Bauch. Beide mussten nach kurzer Zeit in das Lippenbekenntnis hineinlächeln. Die endorphinöse Wirkung dieses Kusses machte es umso schwerer ihn abzubrechen. Atmosphärisch schauten sie einander an, die Münder dunkelrot und nass. Aoi streichelte sanft die rechte Seite von Uruhas Kopf. Seine Haare wollten immer noch nicht trocknen. Der Ältere lehnte das Gesicht an die Stirn desjenigen vor sich, der die Augen wieder schloss, dann hörte er Uruha etwas flüstern ... „Ich liebe dich auch ...“ Aoi atmete kräftig aus, es war ein tonnenschwerer Brocken, der von seinen Schultern und seinem Herzen fiel. Am liebsten hätte er geweint, so gerührt war er davon, Uruhas Herz endlich gewonnen zu haben. Dass er es in Wirklichkeit schon eine ganze Weile besessen haben musste, war ihm in diesem Moment gar nicht bewusst. Er drückte den Anderen so fest er konnte. Auch die anderen Scheiben waren nun zugeweht. Uruha lächelte trotzdem froh und ließ sich von Aoi in den Schlafsack einpacken, den er ganz über den Kopf gezogen bekam. Aoi streckte sich neben ihm weit in den Kofferraum, um einen Korb mit Essen hervorzuholen. Er gab Uruha Tee aus einer Thermoskanne zu trinken, der ihn sofort von Innen wärmte und dann ein paar Stückchen Schokolade, die ihm kurzfristig wieder Energie zukommen lassen sollten. Kurz nur öffnete Aoi die Heckklappe, die er aus diesem Winkel heraus kaum anheben konnte, um das Abschleppseil hereinzuziehen. Er brauchte sehr viel Kraft dazu, da sie mit Schnee über und über zugeweht war. Schnell machte er das Auto wieder dicht, bevor Kälte und Autoabgase in den angenehm warmen Wagen eindringen konnten. Dann bewegte er sich beinahe akrobatisch nach vorne. Der Schaltknüppel zitterte immer noch unter den Umdrehungen des Motors, fast das Einzige, was darauf schließen lassen konnte, dass er noch an war. Aoi schob den Schnee auf der Frontscheibe mit den Scheibenwischern zur Seite, die gut isoliert unter dem kalten Weiß nicht wie üblich binnen einer halben Stunde angefroren waren. Erst jetzt würde ihm bewusst, wie schwer es sein würde voranzukommen. Aber versuchen musste er es trotzdem. Er musste Uruha in Sicherheit bringen. Als er anfuhr, schwamm das Auto beinahe und schlitterte zur Seite. Dann griffen endlich die Schneeketten und im zweiten Gang, mit dreißig Meilen die Stunde und heulendem Motor, pflügte der Wagen sich durch die kalte Masse. Aois ganzer Körper spannte sich an. Krampfhaft hielt er das Lenkrad fest, lenkte nur ganz leicht gegen. Uruha bekam das Schwimmen des Autos mit, aber er konnte nicht helfen. Sein Herz klopfte und er hoffte, dass Aoi die Nerven behalten würde. Nach ein paar hundert Metern kamen sie in einen dichten Kiefernwald, der den Schnee vom Weg ein wenig abgehalten hatte. Die zehn Zentimeter, die ungeschoben vor ihm lagen, waren gegen dem von eben fast schon ein Kinderspiel. Aoi traute sich nun sogar in den dritten Gang zu schalten. Aber er blieb vorsichtig. Am Ende des Waldes sah er plötzlich Lichter vorbeihuschen. Ihm war klar: Da ist eine befestigte Straße! Schon viel zu früh fing er an zu bremsen, um nicht auf ihr zum Stehen zu kommen. Im nächsten Moment fuhr eine große Schneefräse an ihm vorbei. Glücklicherweise in die Richtung, die er gerade brauchte. Wieder hatten sie Glück. Aoi ließ den Wagen ein bisschen zurückrollen und fuhr dann mit Schwung durch den Wall an Schnee, den die anderen Schneeräumfahrzeuge schon hatten entstehen lassen, auf die Straße auf. „Ja!“, stieß er aus und musste lachen. Auf der geräumten Straße war nur die übliche festgefahrene Schicht Schnee, an die er sich schon lange gewöhnt hatte. Darum konnte er relativ entspannt weiterfahren. Das Einzige, was ihm ab und an Schwierigkeiten bereitete, waren Schneebänke, die vom Wind zusammengepustet von Straßenrand zu Straßenrand entstanden. Aber mit der Geschwindigkeit als Booster und einem niedrigen Gang waren auch die kein Problem mehr. Mit zitternden Händen und völlig am Ende mit den Nerven fuhr er auf den ungeräumten Parkplatz des Hotels auf, das war noch einmal schwierig. Hier lagen schon dreißig Zentimeter Schnee. Sofort sah er einen Pagen aus den Flügeltüren des Eingangs einen Weg zu seinem Auto schaufeln. Ein schmaler Trampelfahrt zwar, aber er hatte einen Menschen noch nie so schnell Schnee schippen sehen. Aoi erklärte ihm knapp die Situation, nachdem er ihm auf halben Wege entgegengekommen war. Schließlich kamen noch zwei andere Angestellte, die Uruha, eingepackt wie er war, ins Hotel trugen, hinein in ein Krankenzimmer zur Untersuchung durch einen unter den Gästen zufällig anwesenden Arzt. Auch Aoi wurde untersucht und beide einer Warmwasser-Waschung in einem Sprudelbecken unterzogen. „Sie beide hatten sehr viel Glück ... auch wenn das jetzt nicht so aussieht ...“ Der Doktor mit dem Kansai-Dialekt ließ seinen Blick über die Beiden schweifen. Der Eine würde in den nächsten Sekunden vor Erschöpfung einschlafen, der Andere war eingepackt in eine dicke Decke, beide Knie mit einem Verband versehen, und zitterte immer noch wie der Schwanz einer Klapperschlange. Er gab beiden Männern eine Spritze, die ihre Abwehrkräfte mobilisieren sollte. Im Restaurant im ersten Stock bereitete man schon ein köstliches, warmes Essen für sie zu, die Zimmer waren lange vorbereitet. Nur beiläufig bekamen Beide mit, dass draußen ein Blizzard entstanden war. Sie hätten wirklich keine Minute später hier ankommen dürfen. Bis um halb drei Uhr morgens wurden sie im Whirlpool aufgewärmt. Aoi ging es natürlich schneller wieder gut als Uruha. Sein Körper musste kämpfen, war stark unterkühlt. Langsam gewöhnte er sich wieder an die Temperatur des Wassers, das fünfzehn Grad kalt war und ihm heiß vorgekommen war, bis es sich schließlich wieder kalt anfühlte - ein gutes Zeichen. Uruha hatte aber keine Erfrierungen davon getragen. Eigentlich erstaunlich, aber Aois Hilfe war offensichtlich noch rechtzeitig genug von Erfolg gekrönt worden. In einem Rollstuhl wurde der Leadgitarrist auf das Doppelzimmer gebracht. Aoi konnte nur müde nebenher taumeln. Gleich darauf versuchte Uruha aus dem Hilfsmittel aufzustehen, um sich ins Bett zu legen, dankbar endlich wieder wie normal Gefühl in beiden Beinen zu haben. Es funktionierte auch ganz gut. Aoi setzte sich erst mal auf die Kante. Dann kam eine Bedienung und brachte ein Betttischchen für beide. Heiße Suppe und gute Beilagen, angenehm präsentiert, wurden ihnen aufgetragen. Sie verabschiedete sich und legte beiden einen Pager auf den Nachtschrank, den ihr der Arzt gegeben hatte. Sie verabschiedete sich freundlich und sagte ihre Durchwahlnummer an, falls beide Männer noch irgendetwas benötigen würden. Dann verschwand sie schon wieder mit einem wissenden Lächeln, denn offenbar hatte sie beide erkannt. Aber das interessierte die Gitarristen gar nicht. Uruha aß mit munterer Begeisterung für die warme Hühnersuppe alles auf. Aoi musste lächeln, es schien alles in Ordnung zu sein. Uruhas Zittern hatte auch langsam nachgelassen. Auch er hatte Hunger wie ein Wolf. Er hätte jetzt ein Rumpsteak vertragen können, aber leichtes Essen war wohl in ihrem Zustand bekömmlicher. Eine Weile später lagen sie eingekuschelt in Federbetten nebeneinander. „Ach weißt du, eigentlich können wir uns nicht beschweren ...“, sagte Uruha. „Ich meine, ist doch Highclass-Service, oder nicht? Und das alles ohne Aufpreis. Teure Suite statt Holzhacken, Gourmet-Essen statt Döner ...“ „Hast du was gegen meinen Candlelight-Döner?“, lachte Aoi zurück. „Nein ... Ich dachte nur zwischenzeitlich, dass das meine letzte Mahlzeit gewesen wäre ...“ Beide drehten ihre Köpfe zueinander und schmunzelten. „Danke ...“, flüsterte Uruha sanft und streckte den Kopf, um den anderen zu küssen. Das Lippenbekenntnis endete impulsiver als gedacht. „Das immer erst was Schreckliches passieren muss ...“, schnalzte Aoi und zog den Anderen kurz am Ohr. Uruha zuckte, die Augenlider klappten zu. „Ja ... ich weiß ... Es tut mir Leid ...“ Einen kurzen Moment nur, dann hatte Uruha sich entschlossen, Aoi ein Geheimnis anzuvertrauen. „Aoi ... Es tut mir auch Leid, dass ich dir immer vorgeworfen habe, dass du unsere Affäre geheim halten möchtest ... dabei war ich Derjenige, der dies mehr als unbedingt wollte. Mir war die ganze Zeit über nicht wirklich bewusst gewesen, warum ... ich hatte es verdrängt ... Aber ich hab mich wieder erinnert.“ „An was denn?“ Aoi drehte sich aufmerksam zu ihm um. „Ich hab ... als ich ... Vierzehn war, einmal mit einem Freund Küssen geübt ... ich hatte am nächsten Tag mein erstes Date ... und na ja ... ich wollte vorbereitet sein ... Dann hat mein Vater uns erwischt ...“ Aoi war erstaunt, Uruha hatte noch nie von seiner Familie geredet, höchstens von seinen beiden älteren Schwestern. „Und dann?“ „Er ist völlig ausgerastet. Er hat mich und ihn beschimpft und mir gedroht, mich zu enterben ... Er hat ihn rausgeschmissen, mich verdroschen und meine Gitarre mit voller Wucht auf den Boden geschleudert ... Ich hab die ganze Nacht geweint ... und gesagt, dass ich nie wieder einen Mann küssen würde ... Aoi ... ich schätze, ich bin schon lange in dich verliebt, vielleicht sogar schon vom ersten Moment an, in dem du mir Avancen gemacht hast ... Ich liebe dich, Aoi, aber ich hatte immer diese Sache im Hinterkopf. Ich konnte mich damals am nächsten Tag an nichts erinnern. Auch mein Vater hat niemals mehr davon gesprochen ... Ich ... bin mir nicht ein mal sicher, ob das alles wirklich passiert ist ... oder nur ein Traum war, aber ...“ Nun musste Uruha weinen, zu schrecklich war die Erinnerung, die ihn plötzlich in allen Details heimsuchte. Aoi legte den Arm um ihn. Er hielt ihn fest. „Ich weiß, was du meinst ... mein Vater hat auch immer sehr abwertend auf schwule Männer reagiert. Ich hab auch Angst, mit ihm zu reden ... aber das alles müssen wir doch nicht jetzt tun. Das machen wir erst, wenn wir wirklich sicher sind, das wir beide das auch wollen und ertragen können. Nicht jetzt, nicht morgen, auch nicht in ein paar Wochen, wenn wir uns dann noch nicht sicher fühlen ...“ „Hai ...“ Uruha nickte schniefend und krallte sich am T-Shirt des Anderen fest. Eine Weile hielten sie einander stumm und genossen die gemeinsame Nähe. Dann fing Aoi wieder ganz unvermittelt an: „Nun haben wir uns in unseren Eskapaden so bemüht, verschiedene Sprachen des Liebeslebens auszuprobieren ... und es sollten ja eigentlich noch mehr werden, dieses Wochenende“, kicherte der Ältere. „Aber weißt du, was mir aufgefallen ist?“ „Na?“ „Wir haben uns nie auch nur eine Sekunde gefragt, was denn unsere eigenen Sprachen sind ...“ „Unsere eigenen Sprachen ...?“ „Hai. Ich glaube, dass man Sex und Lust nicht klassifizieren kann ... genauso wenig wie man sagen kann, dass jemand schwul ist, oder hetero oder metrosexuell ist. Es ist doch unsinnig, etwas so Zerbrechliches und Intimes, etwas, das so persönlich und individuell ist, wie das eigene sexuelle Ich, in eine Kategorie zu stecken. Ich glaub, das geht gar nicht ... Das ist doch so unterschiedlich und feingliedrig, wie der Charakter des Menschen selbst, oder nicht?“ Uruha wusste nicht, woher Aoi die Kraft nahm, jetzt noch solche sozial-philosophischen Ausschweife von sich zu laden, aber er hatte Recht. Er nickte es ab. „Was meinst du denn, wie wir unsere eigenen Sprachen herausfinden ...?“ „Keine Ahnung ... denk dir was Extravagantes aus. Etwas, das dir gefällt. Nimm’s nicht zu ernst und nicht zu leicht.“ „Und wenn ich was hab?“ „Dann sag ich dir, ob ich auch was hab. Wenn wir beide eine Definition von Aoianisch und Urupäisch gefunden haben, dann probieren wir’s aus.“ Aois Satz wurde von Uruhas Lachen unterbrochen. Aoianisch ... Urupäisch ... einfach süß. „Lass uns das Kamasutra erweitern!“, verkündete Aoi laut, weswegen Uruha sich nicht mehr halten konnte. „Schsch ...“, machte er, „nicht so laut ...“, und lachte weiter. „Abgemacht?“ „Abgemacht!“ ~~~~~ Montag Morgen waren Aoi und Uruha schon da, als Kai hereinkam. Seit ihrem Fernseh-Auftritt hatten sie trotz Aois Gespräch mit Miyavi kaum miteinander geredet. Zwar war Kai ihnen nicht böse, aber es hatte eben auch keine Kommunikation stattgefunden. „Kai ... wir ... müssen reden.“ Aoi leckte sich über die trockenen Lippen. Der Drummer horchte auf und setzte seinen Rucksack auf dem Klavier ab. Ruki hätte sicherlich gleich losgezetert, doch er und Reita würden wahrscheinlich erst in einer halben Stunde kommen. „Was gibt es?“ „Setz dich doch bitte zu uns.“ Die neue große Couch ging über Eck, auf der einen Lehne war bereits jetzt eine kleine Sitzkuhle, weil sie zu Uruhas Lieblingssitzplatz geworden war, wo er auch jetzt saß. Neben ihm, fast Rücken an Rücken, hatte Aoi Platz genommen, eine Wasserflasche in der Hand. Kai war skeptisch. Hatten seine Kollegen vor, ihn hier auseinander zu nehmen, weil er mit einem Mann, mit Miyavi zusammen war? Oder war etwas passiert? Vorsichtig – anscheinend zu offensichtlich – setzte er sich an den anderen Schenkel der Couch. Prompt schmunzelten Aoi und Uruha synchron. „Was ...?“, fragte Kai sofort pikiert. „Miyavi war wohl zu stürmisch?“ Uruha warf auch Kai eine kleine Wasserflasche zu. „Entspann dich. Wir wollen nur etwas ...“ Er räusperte sich verlegen. „Etwas klären.“ „Ihr wisst doch schon, was bei mir los ist.“ „Und wir wissen auch, dass du schon länger mit ihm zusammen bist – länger als nur zwei Jahre.“ Der Leadgitarrist lächelte lieb und trotzdem hatte Kai das Gefühl, er würde hinters Licht geführt. „Aoi, komm ...“ „Kai, ich ...“ Der Älteste atmete tief durch. „Ich möchte mich entschuldigen. Es tut mir Leid, dass ich damals so ausgerastet bin, als wir euch getroffen haben.“ „Ihr saht heiß aus“, meldete sich Uruha kurz zu Wort, um die Stimmung aufzulockern, und lächelte breiter. „Es war wirklich nicht meine Absicht, dir wehzutun oder Miyavi-san oder ... ich ... er hat mir alles erzählt. Wegen uns müsst ihr euch wirklich nicht zurückhalten. Für Melody-san ist es schwer, für Lovelie-chan wird es nicht einfach werden, aber ... ihr liebt euch. Und gegen die Liebe kommt keiner von uns an.“ Der Blick des Leadgitarristen wurde sanft, und Kai beobachtete überrascht, irgendwie auch gerührt, wie er nach der Hand des anderen Gitarristen griff und sie ihre Finger ineinander verschränkten. „Und wir haben euch wirklich nicht – verfolgt, weißt du ... ins ... Love-Hotel ...“ Kai musste sich ein Grinsen verkneifen – er war erfolgreich – und zog die Augenbrauen streng zusammen. „Was habt ihr denn dann da gemacht?“ „Ich ... na ja ... wir ... wollten ...“ „Wir waren aus dem gleichen Grund dort wie ihr“, sagte Uruha schnell und wurde prompt rot. „Miteinander?“ Die Gitarristen nickten. „Seid ihr ...?“ „Jetzt schon“, flüsterte der mittelblonde Gitarrist. Dann war Kais Grinsen nicht mehr aufzuhalten. „Das freut mich! Ich wusste gar nicht, dass ihr ... na ja, ihr wisst schon! Aber echt? Seit wann läuft das zwischen euch?“ „Seit ein paar Monaten?“ Kai grinste dreckig. „Deswegen ward ihr immer so lange in der Raucherpause ...“ Uruha glühte, Aoi nickte. „War auffällig, oder?“ „Ich dachte, dass ihr euch wieder gestritten habt oder so ... aber damit hab ich nicht gerechnet.“ Kai lachte, stand auf und umarmte erst Aoi und dann Uruha fest, setzte sich vor sie auf den Tisch. „Was habt ihr jetzt vor?“ „Wir ... wollen noch etwas warten ... wenn du verstehst ...“ „Ihr wollt es Reita und Ruki noch nicht sagen?“ „Nein, es ist einfach zu früh ... vielleicht sind wir auch gar nicht ...“ Kai hielt Aoi den Mund zu. „Du warst schon immer so, Yuu ... Du liebst ihn, sonst hätte das gar nicht so lange gedauert!“ Da war er wieder ... Ihr Beschützer und Mama für alle, ihr Leader, der sie aufbaute und unterstützte, wenn sie nicht weiter wussten, oder sie bremste, wenn sie zu weit gingen. Er ließ ihn wieder los. „Ich verrate ihnen nichts. Auch wenn Ruki ganz schön sauer sein wird. Er war schon so aufgeregt, als er von Isshis Coming-Out erfahren hatte ...“ „Findest du?“ „Skandal im Anmarsch, das liebt er doch.“ Der Knoten war gelöst. Sie lachten zu dritt. ~~~~~ Zwanzig Minuten später betraten Bassist und Sänger den Raum, Ruki trug einen dicken Schal. „Nicht schon wieder.“ Uruha verdrehte die Augen und kramte in seiner Tasche nach Hustenbonbons. „Du solltest endlich zum Arzt gehen! Was, wenn dir das während ner Tour passiert?“ Er gab Ruki eine kleine Packung, der nickte nur knapp, nahm eine der Lutschpastillen und begann zu lutschen. Uruha stemmte sich die Hände in die Seiten. „Ich mein das ernst!“ Ein Blick folgte. „Das war ein: Du bist nicht meine Mutter“, übersetzte Reita schmunzelnd und seufzte im nächsten Moment tief. „Aber er hat Recht“, sagte er an Ruki gewandt. „Du verschleppst das Zeug immer und immer wieder, das geht nicht lange gut.“ Ruki wollte sich wehren. Er krächzte. „Mir wurscht, wenn du Ärzte nicht magst. Deine Stimme ist dein Kapital und ohne Sänger können wir keine Konzerte aufziehen. Oder willst du, dass Uruha singt und sich selbst befummelt – wie du es immer tust?“ Aoi und Kai grinsten wissend. „Wie genau meinst du das jetzt?“, erkundigte sich der Leadgitarrist mit hochgezogenen Augenbrauen. „Dass ich es wie Ruki mache, wenn er sich selbst befummelt oder wie er an mir rumfingert? Dazu könnte ich auch dich nutzen, Reita ...“ Er grinste dreckig. „Mensch, Ruha ... Du hast einen wichtigen Punkt vergessen: Du kannst nicht singen!“ Alle außer dem Sänger lachten. Der holte einen Stift und einen Block hervor. »Ich kann derzeit auch nicht singen.« Aoi lächelte und erinnerte sich an seinen kleinen Autounfall, bei dem er sich – wie blöd – zwei Finger gestaucht hatte. „Das wird schon wieder. Aber du musst dich schonen“, sagte er sanft und fischte aus der Couchritze eine Packung Zigaretten. „Ich helfe dir, indem ich deinen Suchtvorrat beseitige!“ „Ihr raucht hier drin doch nicht etwa?“ Keiyuu baute sich in der weit geöffneten Tür zu seiner vollen Größe auf. „Quatsch, Keiyuu-san ...“ Kai lachte. „Wir wollen Ruki nur seine schlechten Angewohnheiten abgewöhnen!“ Der Kra-Sänger stutzte. „Was ist denn dann noch von Ruki-san übrig?“ Rukis Augen verzogen sich zu Schlitzen, während alle anderen lachten. „Tut mir Leid“, kicherte Keiyuu. „Der musste einfach sein!“ Ruki grinste. „Ich warte auf deine Rache – sie wird dir süß sein, ich weiß schon. Aber eigentlich wollte ich ...“ Er schaute zur Couchkante, wo Uruha wieder Platz genommen hatte. „Uruha-san, hast du in der Mittagspause ein paar Minuten für mich?“ „Geht es um das Co-Working? „Ähm – ja ...“ Keiyuu reagierte schnell, sein kurz entgleistes Gesicht verschwand wieder. „Ich brauche deinen Rat für die Harmonien.“ „Ist gut. Ist dir halb eins Recht?“ „Hai. Arigatou gozaimashite. Ich hoffe, ihr seid heute schön produktiv.“ Damit war er wieder weg. „Welches Co-Working?“, wollte Kai wissen und fühlte sich sichtlich in seiner Ehre als Leader angegriffen. „Wenn er Hilfe beim Managen braucht, dann -“ „Ich glaube, es wäre ihm unangenehm, wenn noch Jemand etwas von seinem kleinen Koordinationsproblem erfährt“, entschuldigte Uruha den jüngeren Sänger. „Er hat schon recht lange damit zu kämpfen – und er geniert sich etwas.“ „Hm, okay.“ Kai blieb misstrauisch, doch Ruki hielt ein großes Schild hoch: »Arbeitet!« ~~~~~ Uruha stocherte lieblos in seinem Tankstellensalat herum. „Die Blätter waren noch nicht mal gewaschen, es knirscht zwischen den Zähnen.“ „Ich kann dir nen Kaugummi leihen“, nuschelte Aoi in seinen Kaffeebecher vom Automaten. „Lass uns morgen früher aufstehen.“ „Du warst doch schon vor mir wach.“ „Ich bin halt’n Morgenmensch.“ „Nicht streiten“, zischte Kai und stellte sein Tablett demonstrativ auf den Tisch des Pärchens. „Kaum das Herz verschenkt, schon zanken sie wie ein altes Ehepaar. „Kai~ ...“ „Ich sag nichts“, schwor der Drummer. „Woher kommt euer Unmut?“ Ein zweistimmiges Seufzen antwortete ihm. Nach einer Pause schob Uruha ein Stück Tomate zwischen die Lippen, schon war es geschluckt. „Wie schaffst du das mit ... ihm?“, fragte er dann unvermittelt. „Ihr könnt nicht ins Kino, nicht ins Restaurant -“ Aoi war erleichtert, anscheinend hatten sie am Morgen dieselbe Situation beobachtet. „Nicht offiziell, nein ...“, bestätigte Kai und lächelte steif, um seinen Schmerz nicht kund zu tun und andere Anwesende womöglich hellhörig zu machen. „Aber das ... Küssen“, flüsterte Uruha und wurde rot. Kai schüttelte verständnisvoll den Kopf. „Das geht leider ... überhaupt nicht. Noch nicht, wie ich hoffe. Lasst mich raten: Ihr habt heute Morgen ein heterosexuelles Paar rumknutschen sehen. Sie hat sich dann auch noch so an ihn gedrängt, als sollte er sie sofort verschlingen.“ „Woher weißt du das?“, kam die Frage wie aus einem Munde. „Ich kenn das ...“ Kais Augen wurden traurig, obwohl sein Mund lächelte. „Miyavi ist bi ... da führt ja kein Weg dran vorbei. Vor Melody-san hatte er auch schon andere Freundinnen – um den Schein zu wahren vor dem Management und bei offiziellen Veranstaltungen. Jedenfalls dachte Jede von ihnen, sie wäre die Richtige für ihn.“ »Das ist der Unterschied zu dir, Yutaka ... Du dachtest nie, du seiest der Richtige ... du bist es einfach!« Ein Schmunzeln stahl sich auf seine Lippen bei der Erinnerung an diese Worte. „Immer wenn ich diese knutschenden Pärchen sehe, sehe ich ihn vor mir mit Einer von ihnen. Und ich werde nie in der Öffentlichkeit auf seinem Schoß sitzen, um ihn zu verschlingen.“ „Uruha-san?“ Wie ein Phantom tauchte Keiyuu aus dem Nichts auf – er tat es immer wieder! „Ich komme schon ...“, sagte Uruha und stand auf. Mit einem freundschaftlichen Blick zu Kai und der Hand auf Aois Schulter sagte er: „Danke, Yutaka.“ Dann verschwand er zusammen mit dem Phantom. Kai und Aoi sahen sich an. Sie hatten Beide etwas bemerkt: Ein leichtes und trauriges Lächeln auf den Lippen des Sängers, seine glänzenden Augen waren auch nicht unbemerkt geblieben. „Keiyuu ist schwul?“ ~~~~~ „Hast du ihm was gesagt?“ „Was sollte ich ihm denn sagen?“ Keiyuu lehnte sich mit dem Rücken an die Kachelwand und verschränkte die Arme. „Dass ich auf ihn stehe? Dann könntest du Aoi gegenüber auch zugeben, dass du ihn liebst!“ Uruha hob die Nase. „Das habe ich schon getan, Freitag Nacht, wenn du’s genau wissen willst. Wir sind jetzt zusammen.“ „Und die Öffentlichkeit?“, fragte Keiyuu, als würde ihn die Tatsache des Liebesgeständnisses nicht überraschen. „Soll noch nichts erfahren – und ich besitze ja auch noch das Druckmittel.“ „Wenn du mir hilfst, nützt dir das auch nichts mehr!“ „Wenn alles klappt, darf auch alle Welt erfahren, dass wir zusammen sind.“ „Du bist echt komisch drauf, Uruha-san!“ „Nicht so komisch wie du ... Du willst ihm immer noch nicht gestehen, dass du -“ „Ich bin nicht in ihn verliebt!“, widersprach Keiyuu drastisch, doch Uruhas sanftes Lächeln verunsicherte ihn. „Ich weiß“, sagte er leise. „Du liebst ihn.“ Der Kra-Sänger wurde puterrot im Gesicht. „Ich – anou ... Uruha-san ...“ „So sprachlos? Ich dachte, du willst mit mir reden, weil du ihn endlich für dich gewinnen willst.“ „Das will ich doch auch, aber -“ „Du kannst mir doch nicht ernsthaft verklickern wollen, dass du ihn nur ins Bett kriegen willst?“ „Nein, ich -“ „Was dann, Keiyuu-san? Was bringt dich dazu, seine Sachen wie einen Goldschatz aufzubewahren? Hab ich dich falsch eingeschätzt? Willst du ihn als Konkurrenten ausschalten? Um wen oder was geht es dir wirklich?“ Und noch im selben Moment erkannte Uruha, dass er zu weit gegangen war. Große Tränen seilten sich von Keiyuus Wangen ab. Er schluchzte. „Ich liebe ihn ... ich liebe ihn wirklich! Aber wie weit darf ich in sein Leben eindringen, um Teil davon zu werden?“ „Keiyuu-san ...“ Uruha kam auf ihn zu und umarmte ihn tröstend. Seine Hände strichen durch die kurzen Haare. „Es tut mir Leid ... ich wollte dir nicht wehtun ...“ „Ich tu mir ja selbst weh“, weinte der Kleinere und klammerte sich an den Gitarristen. „Seit Jahren trage ich dieses Gefühl in mir herum und seit Jahren weiß ich nicht, wie ich ihm ... ich ihm meine Liebe gestehen soll.“ „Wir überlegen uns etwas, versprochen“, nuschelte Uruha und drückte Keiyuu an sich, um ihm Halt zu geben. Sie standen dort eine ganze Weile, in der Keiyuu seinem Schmerz Luft machen konnte und jede Träne ihren Weg in Uruhas Pullover fand. Ein Handy klingelte, Keiyuu schrak zurück, wischte sich über die Augen, bevor er ranging. „Moshi moshi ... Hai ... Ich bin sofort da ...!“ „Kurzes Gespräch“, urteilte der Größere und wurde prompt mit einem bösen Blick bedacht. „Irgendjemand muss ja arbeiten“, giftete der Kleinere und stob davon. Eine der Toilettentüren öffnete sich. „So viel dann zum Thema »helfen« ...“ Saga richtete seine Haare, als hätte er nicht auf Uruhas Geheiß dem Gespräch gelauscht. In diesem Moment fiel dem Gitarristen jedoch ein, welches weiteres Geheimnis soeben ans Tageslicht gekommen war. „Was soll ich dabei ausrichten können?“ „Vielleicht könntest du ... seinem »seit Jahren Liebsten« eine gewisse Information zu stecken.“ „Welche meinst du?“ „Die leckende Katze“, sagte Uruha bedeutungsvoll, doch Saga lachte. „Das passt nicht zu Keiyuu! Und ich glaube auch, seinem Liebsten gefiele die Bezeichnung »Schmetterlingsflügel« besser.“ „Da hast du wohl Recht.“ Der Gitarrist grinste und malte sich jene Szenen aus. Heiße Blicke, ein Streicheln, verzehrende Küsse – und schon war er wieder bei Aoi. „I-ist das, was du erfahren hast ... ein großes Problem für dich?“ Der AliceNine.-Bassist grinste frech. „Ich bin zwar oft blind, aber meinst du, mir wäre bei unseren Gesprächen entfallen, wie aufmerksam du warst – und mit welchem deiner Kollegen du am wenigsten gesprochen hast, obwohl du die meiste Zeit mit Aoi verbracht hast?“ „Ist es schlimm?“ „Quatsch ... Wer sonst, wenn nicht ich, würde den Wakashudo gutheißen?“ „Arigatou gozaimashite.“ Seine Dankesformel war ein erleichtertes Seufzen. „Kein Problem“, lachte Saga. „Wollen wir Genaueres heute Abend besprechen oder willst du lieber zu Aoi?“ Uruha lächelte, aber er antwortete nicht mit Worten, während sie das Herrenbad verließen. Es klapperte in einer der Kabinen, als Chiyu und Takeru vom Toilettendeckel heruntersprangen. Chiyu grinste triumphierend. „Wenn ich das richtig verstanden habe ...“ „Dann müssen weder wir noch Keiyuu-san noch länger das Geheimnis um Uruha-san und Aoi-san für uns behalten. Endlich! Es juckt mir schon seit Wochen in den Fingern ...“, gestand Takeru kichernd. „Du weißt, wen Keiyuu-san so sehr liebt, oder?“, mutmaßte Chiyu missmutig und schmollte. „Wie lange willst du es noch für dich behalten?“ „Ich hab Keiyuu-san versprochen, nichts zu verraten ...“ „Och Menno ...“ „Du musst dich wohl gedulden, bis sich all unsere Pärchen zusammengefunden haben!“ „Noch mehr?“ Der SuG-Bassist wusch sich vorsichtshalber die Hände. „Ich meine, noch mehr Pärchen?“ „Wusstest du nicht, dass-“ „Nein, hör auf! Die letzten Monate waren aufregend genug! Ich will nicht noch mehr Kollegen stalken!“ „Selbst Schuld“, flüsterte Takeru Chiyu dunkel ins Ohr, während er ihn im Spiegel betrachtete. „Manche Dinge sollen wohl im Verborgenen bleiben.“ Der Brünette wurde rot und verließ fluchtartig die Toilette. Takeru lächelte müde und, das Piercing an seinem Auge brannte. „Die Leute verstehen einfach keinen Spaß mehr.“ Somit verließ auch er den gekachelten Raum. Ein Schloss wurde entriegelt. Die hinterste Kabine öffnete sich einen Spalt breit, ein Blondschopf lugte hinaus. Ihm tat der Kiefer weh, so sehr presste er die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. ~~~~~ „Du hast den Termin immer wieder verschoben!“ Der Bassist verschränkte empört die Arme. Uruha sah seinen Kumpel wie selten zuvor: Gekonnt schmollend, als wäre er ein Pin-up. „Ich hatte ja auch immer wieder was zu tun!“, protestierte er selbst und fühlte sich ungerecht behandelt. Montags hatte er Ruhetag gehabt – wie sein gesamter Körper es brauchte. Aber nachdem dieses Wochenende in jener Hinsicht nicht gerade erfolgreich gewesen war – was wohl mit seinem Einbruch ins Eis und ihren Liebesgeständnissen zu tun hatte – musste er Reita wohl nachgeben. „Heute geht es allerdings. Ich besorge nachher genug Futter!“ „Yes!“ Reita jubilierte. „Endlich kann ich die Videothek überfallen und ihnen alle PS3-Spiele rauben!“ „Die nächste Nacht hat auch nur acht Stunden“, griente Aoi, als er reinkam. „Wann wollt ihr die alle durchzocken?“ „Na, so in ner Woche schaffen wir zwei oder drei ...“ Uruhas Augen weiteten sich. „Du willst nicht jeden Abend spielen, oder?“ „Jeden zweiten.“ „Aber, aber ...“ „Das ist doch ne gute Idee, Uruha. So könnt ihr euch doch endlich wieder einander annähern“, sagte Kai und grinste, obwohl er um ihre Situation wusste und obwohl er sich sonst nicht ungefragt in Gespräche einhakte. „Du hast ja letztens so wenig Zeit mit ihm verbracht. Er fühlt sich schon vernachlässigt.“ „Du wieder, Kai ...“ Reita wurde rot. „Ich freu mich einfach, wenn ich wieder wichtig bin.“ „Och, Rei-chan!“ Uruha lachte und legte seinen Arm um Reitas Schultern. „Du bist doch immer wichtig!“ Ruki saß daneben und rollte die Augen. „Du fandest es gar nicht so schlimm, dass Uruha weniger Zeit mit Reita verbrachte, oder?“, fragte Aoi leise bei ihm nach und Ruki nickte mit leichtem Zögern. „Ist doch okay. Wir wissen doch alle, dass du ihn gern hast. Da ist ein bisschen Eifersucht doch nichts Schlimmes.“ Der Sänger hob erstaunt eine Augenbraue. Seit wann war Aoi ihm gegenüber so friedlich? Er wirkte schon seit einiger Zeit entspannt und ruhig, obwohl er vor zwei Wochen wohl in einem Tief gewesen war, aber heute war er vollkommen gelassen und anscheinend auch ausgeruht. Woher kam das? Das war ihm echt schleierhaft. Reita ließ sich freudig auf seinen Sessel fallen und stöberte via Handy nach Games, die er sich ausleihen könnte. Kai telefonierte mit ihrem Manager und Uruha setzte sich wieder zu Aoi auf die Couchlehne, dieser hielt ihm sein Handy hin. Auf dem Display stand: »Magst du nachher kuscheln kommen?« Der Jüngere hätte fast einen Süßanfall bekommen, doch er besann sich und nickte stattdessen ein Mal. ~~~~~ Es war dieselbe Kammer, in der Keiyuu sie vor ein paar Wochen erwischt hatte. Wie viel seit dem passiert war ... Uruha wippte mit dem Beinen, während er auf dem Schreibtisch saß, auf dem Aoi ihn auch genommen hatte. Er lächelte und schaute auf die Uhr. Gleich müsste er eigentlich vom Rauchen zurückkommen und mit ihm kuscheln. Er musste sich mit Saga kurzschließen, damit dieser auf Keiyuus Ziel zugehen konnte. Und er musste mit Keiyuu reden, damit er das tat, was er sich wünschte. Damit Keiyuu seine Gefühle ausleben konnte und seine Liebe seiner Liebe schenken durfte. Die Tür öffnete sich quietschend und Aoi steckte grinsend den Kopf durch den Spalt. „Darf ich reinkommen?“ „Klar.“ Der Blonde lächelte und sprang vom Tisch, derweil Aoi hereinkam und die Tür hinter sich schloss. Sie waren hier, um ein paar Minuten zusammen zu sein. Ihre Finger verhakten sich ineinander, sie sahen sich in die Augen und strahlten. „Es macht nichts, wenn du dich mit Reita triffst ...“, sagte der Schwarzhaarige leise. „Du musst nur aufpassen ... Wenn du es ihnen noch nicht sagen willst, musst du vor Reita vorsichtig sein. Er kennt dich – und er durchschaut dich.“ „Ich weiß“, antwortete der Größere und zuckte die Schultern. „Ich versuche es, ihm nicht zu zeigen, was sich verändert hat. Haben wir das Gleitgel weggeräumt?“ Sie lachten. ~~~~~ Nach der Arbeit trennten sie sich gleich – und Uruha machte sich auf den Weg zum Supermarkt, um dafür zu sorgen, dass Reita und er den Abend und die Nacht über nicht verhungerten. Als er wieder zu Hause ankam, dauerte es kaum zehn Minuten, bis Reita an der Tür klingelte und nach dem Summer die Treppen mit schwer befülltem Rucksack hochstiefelte. „Wie viele Konsolen hast du dabei?“, murrte Uruha und verdrehte die Augen, während er die verschiedenen Metall- und Plastikboxen ausmachte. „Drei“, brüstete sich der um die Nase nackte Bassist stolz und setzte die Konsolen der Reihe nach vor den Fernseher im Wohnzimmer. „Aber in der Videothek warst du noch nicht, oder?“ „Quatsch“, sagte Reita und stand wieder vom Boden auf. „Ich hab alles im Kühlschrank verstaut. Wollen wir dann zusammen Spiele aussuchen?“ „Ist okay.“ Zusammen fuhren sie zum Laden, wo sie dann grölend ausstiegen – wie nach einem gelungenen Live. „Magst du mitkommen, oder ...?“ „Ich lass mich überraschen.“ Uruha zuckte die Schultern, sein Blick schweifte im Raum umher, doch er verfing sich an dem Ü18-Schild, das unter jenem anderen Schild hing, welches die Aufmerksamkeit so vieler Jungen und auch Männer auf sich zog. Reita gluckste und schob ihn in die Richtung des vermeintlich dunklen Zimmers. „Anscheinend hast dus ja nötig. Geh rüber! Ich such die Spiele und komm nach.“ „Mit den Konsolenspielen kennst du dich eindeutig besser aus“, beschwichtigte ihn der Gitarrist, trotz der Röte, die sich nun auf seine Wangen stahl. Derweil er Reita ans andere Ende der Videothek gehen sah, musste er an ihre Jugendzeit denken, als sie mit siebzehn – Gott sei Dank mit Erlaubnis der großen Schwester – die Erotikabteilung der damaligen Videothek geplündert hatten. Rika war damals mit in den Raum gekommen, doch blieb sie nur am Rand stehen und beäugte, was ihr minderjähriger Bruder und dessen Kumpel so interessierte, jedoch war sie dem gegenüber aufgeschlossen. Sie sorgte sich nicht darum, dass der kleine Bruder womöglich verdarb, aber unter ihrer Aufsicht war es ihr lieber. Und dann waren da diese Abende gewesen ... Uruha ging durch den dunklen Vorhang und suchte nach einem ganz bestimmten Genre. Aus dem Augenwinkel heraus machte er einige Möpse aus, die ihm entgegenspringen wollten, doch heute – und auch seit ein paar Monaten – interessierten ihn die nicht mehr – und irgendwie erschien es ihm wie eine Ewigkeit her, dass er durch eine heterosexuelle Fantasie erregt worden war. An jenen Abenden waren Reita und er immer aufgeregt und auch stimuliert gewesen. Aber natürlich hätte er das in Reitas Gegenwart niemals zugegeben – umgekehrt sicher auch nicht. Nicht nach dem, was mit seiner Gitarre passiert war. Seine Hand glitt über das Cover einer DVD. Ein asiatisches Pärchen – zwei Männer, die sich küssten. Sein Leben hatte sich sehr verändert. Er nahm die DVD aus dem Regal, drehte sie herum und begutachtete die Storyline. Klassisch dramatisch mit etwas mehr nackter Haut als ein Japaner gewohnt war. Lippen waren dort abgebildet, die sich am Schlüsselbein eines Mannes festsaugten. Uruha seufzte. Er hatte geahnt, dass es so laufen würde. Die Liebeserklärung war ausgesprochen – und sie küssten sich endlich, was ihn doch strahlen ließ – aber der Sex ... es würde etwas länger dauern, bis sie sich wieder vereinten und stöhnten. Ihn beschlich eine wohlige Gänsehaut beim Gedanken an Aois Körper, der sich an seinen drängte. „Seit wann treibt ihr es schon miteinander?“ Uruha trat zurück, die DVD-Hülle fiel ihm herunter – und er sah in Reitas Augen, dass der ihn durchschaut hatte. „Yuu und du also ...“ Der Bassist sprach dunkel und bedrohlich. „Wurde aber auch Zeit!“ ~~~~~ Ausnahmsweise – er tat es nicht oft bis gar nicht – saß Keiyuu vor dem Computer und tat das, was Fans schon immer taten: Er himmelte Bilder an, die Fans für Fans hochgeladen hatten. Und auch wie andere Fans es taten, las er Geschichten, FanFictions im Internet, vorzugsweise Shonen-Ai und Yaoi – aber natürlich nicht über sich, sondern über ihn. »Sein blondes Haar verteilte sich wie kranzartig auf dem Kopfkissen, während sein eleganter Körper sich streckte und sich seine schönen Lippen zu einem Stöhnen öffneten. Diese Stimme ... Niemand konnte dieser Ruhe widerstehen. Niemand diesen Augen ausweichen.« „Niemand kann sich dir entziehen“, flüsterte Keiyuu, verschränkte die Arme auf dem Tisch und senkte seinen Kopf darauf. In seinen Träumen war er ihm noch nie entkommen. „Ich schon gar nicht ...“ Ein Piepen ließ ihn wieder aufschauen. »Sie haben Post!« Er klickte die E-Mail an und schrak zurück, als er endlich den Absender erkannte. Das konnte doch nicht ... »Keiyuu-san ... Ich weiß, dass du mich liebst. Und ich bin der Meinung, wir sollten darüber reden. Hab bitte keine Angst davor, mir zu antworten.« Er vergewisserte sich noch mal ob der E-Mail-Adresse. Und es stimmte. Die Mail stammte von dem Mann, den er seit geraumer Zeit so verzweifelt liebte. Kapitel 7: Sprachfindung ------------------------ Diese E-Mail ... Mit einem Schlag drang alles Blut aus Keiyuus Kopf in seine Beine, ihm wurde kalt. Sein Kreislauf verarbeitete bereits, was sein Verstand noch nicht einmal ansatzweise begriffen hatte. Sein Körper forderte die einzig mögliche Reaktion auf diese unerwartete Wendung: Ohnmacht. Fast fließend rutschte Keiyuu vom Stuhl auf den Boden. Ohne sich ernsthaft wehzutun, war er hinab geglitten und blieb einfach reglos in seiner Wohnung liegen. Wäre er gestanden, wäre er wie eine Spirale in sich zusammengefallen. Oft hatte er sich vorgestellt, was wohl sein würde, wenn der Andere es erführe, wie er selbst, Keiyuu, reagieren würde, wie er es ihm sagen würde, was er sagen würde ... Aber mit dieser Fatal-Reaktion hatte auch er nicht rechnen können. Das er so überreagieren würde, so machtlos war ... Er hatte immer gedacht, er würde zittern und vielleicht schlimmstenfalls ein wenig stammeln, aller schlimmstenfalls würde er gar nichts sagen können. Aber nun lag er dort. Auf dem kalten Boden seiner Wohnung und bekam nichts mit von all der Aufregung, die in ihm tobte. Sein Körper hatte Auszeit gefordert und das zu Recht! Die Uhr tickte weiter, der Laptop pustete, doch Keiyuu war fort, weit weg von allem, dass ihm Angst machte ... Und so weit weg, wie noch nie ... von ihm. ~~~~~ Da waren diese zwei Männer losgezogen, um aus der Videothek ein paar Spiele auszuleihen und nun liefen sie ihren Weg nach Hause, durch die hintersten Gassen, um nicht erkannt zu werden - Reita mit einem breiten Grinsen und Uruha mit hochroten Ohren. Fast ein bisschen grob schleuderte der Bassist die Beutelhenkel hinter seine Schulter. „Seit wann ist das so mit euch ...?“, fragte er mit klappernder Kette am Bein. „Seit einer ganzen Weile ...“ Das hatte Uruha vor nicht allzu langer Zeit schon mal ... „Hm“, machte der Kleinere selbstbewusst, „Ich hab mir schon so was gedacht ... Das hat angefangen, als du diese komische Zeitung mitgebracht hast ... An dem Tag hat Oi-kun dich ganz seltsam angesehen ...“ Seltsam war auch, dass Reita Aoi »Oi-kun« nannte. Uruha wusste noch nicht so recht, warum ... so was hatte bei Reita immer einer besondere Bedeutung. Aber ob das nun gut ... oder schlecht war ... „Das ist dir aufgefallen?!“ Ein großes Blinzeln über roten Wangen flog dem Bassisten entgegen. SchwUPS ... Uruha stolperte ... hoppte auf einem Bein weiter und fing sich dann wieder. Reita lachte. Uruha kam ihm manchmal vor wie eine Prinzessin auf viel zu hohen Schuhen. „Klar ist mir das aufgefallen, schließlich hab ich ja das Bandana auf der Nase und nicht auf den Augen. Oi-kun hat da wohl gedacht: WOW ... Uruha hat ein Sexleben ... Und dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten ...“ „So ungefähr“, schlackste Ruha weiter, und weiter und weiter. Oh, Reita war stehen geblieben! Das hatte er erst bemerkt, als er schon drei Meter vorgelaufen war. Er tänzelte zurück, schlurfte nebenher, seine weite Hose hing ihm wieder unter der Sohle. Reita hatte an einem großen Süßigkeitenautomat angehalten und wollte sich etwas ziehen. Er war wohl das coolste, reitaströseste Leckermaul in ganz Japan! Er zog eine Rolle Kaubonbon, die gab es in ein, drei und fünf Metern Länge zum beinahe endlosen Kauvergnügen in L, XL und XXL. Himbeere. Mochte er nicht sonderlich. Aber Uruha. Deshalb bekam dieser die Rolle auch. Münze rein und weiter geht’s, bis er das bekam, was er wollte und alles andere wurde mit an Sicherheit grenzender Tendenz auch vernichtet und zwar ohne Kommentar. „Wie dem auch sei ... Ich hab mich eigentlich schon dran gewöhnt, dass ihr eine Affäre habt. Irgendwas war da schon immer ... Ihr wart ständig weg, kamt ausgepowert zurück, aber mit diesem Funkeln in den Augen.“ „Hai, danke ... Wir sind aber über eine Affäre hinaus, Rei ...“ Prompt richtete dieser, der zuvor in ungesunder Rückenhaltung vor dem Automaten gedienert hatte, sich auf und schaute seinen besten Freund undefinierbar an. „Ach so ...? Anou ... dann bleibt mir nichts anderes als euch alles Gute zu wünschen.“ Das Lächeln des Blonden war wahrer als das Leben. Er verbeugte sich sogar höflich vor dem Anderen, zweimal und nickte dann befürwortend. „... und zu hoffen, dass ihr euch beziehungsmäßig nicht so zofft, dass ihr dann nie wieder ein Wort miteinander redet und die Band dabei drauf geht.“ „Ich hab auch Angst davor, aber ich kann mich meiner Liebe nicht entziehen ... Ich kann nicht. Ich komme nicht dagegen an. In letzter Zeit hat sich so ein Verlangen in uns aufgebaut. Zuerst dachte ich, es wäre nur sexueller Natur, aber dann wurde mir durch ein paar ganz dumme Sachen bewusst, dass das Offensichtliche die ganze Zeit vor meiner Nase lag.“ Reita konnte nur staunen und schauen, wie Uruha mehr mit sich selbst philosophierte als mit ihm. Es konnte nur eine logische Erklärung dafür geben: Uruha war unrettbar, über beide Ohren und bis in die untersten Haarspitzen verknallt. Warum sonst verwandelte sein Blick sich gerade in den eines schwärmenden Schulmädchens? Er kannte diesen Zustand, nur in so extremer Art und Weise hatte er das noch nie erlebt. Irgendwas war anders als sonst. Ganz anders. Es hätte Reita entweder beunruhigen oder beruhigen sollen. Er entschied sich für die hoffnungsvollere Variante. Aoi und Uruha waren schon immer Kehrseiten ein und derselben Medaille gewesen. Ying und Yang. Hell und Dunkel. Tag und Nacht. An diesem „Wir-ergänzen-uns-gut-und-haben-gerade-so-viel-gemeinsam-wie-uns-gut-tut-Prinzip“ musste etwas dran sein, dachte Reita bei sich. „Und habt ihr die Sprachen der Liebe erlernt?“ Uruha fing an zu husten. Ebenso hätte Reita auch fragen können: Hattet ihr schon Sex in den unmöglichsten Varianten? „Wir haben einiges ... ausprobiert ...“ „Ausprobiert?“ „Ausprobiert ...“ Ich muss mir ja noch was ausdenken, schweifte es durch Uruhas Kopf, seine Finger spielten mit dem leckeren, rosa Himbeer-Kaubonbon. Seine Gedanken schweiften ab. Er erinnerte sich an das Wakashudo, von dem ihm Saga erzählt hatte, dachte an besondere Orte. Aber was war denn bekloppt genug und gleichzeitig so erregend, dass es zu ihm, Uruha, passte? Ein lebendes Büffet aus Süßkram? Süßkram ... Sex in der Fußgängerzone? - Oh Gott! Sex mit Handstand und artistischen Einlagen – zu ... artistisch. Wakashudo ... Auto ... Kino ... Kornfeld ... Dach ... Süßkram ... So ging es nebenher die ganze Zeit in seinem Kopf zu wie in einem Taubenschlag. Kaum kam ein Gedanke heran geflogen, schon entschwand er wieder in die Weite. Beinahe weggetreten zwirbelte er das Kaubonbonband zwischen seinen Fingern. Dann machte es Klick. DAS war es! Sofort machte sich ein breites Lächeln auf Uruhas Gesicht breit. Reita hatte schon seit zwei Minuten nicht mehr mit ihm gesprochen, aus Respekt vor dem Trance-Zustand, in den sich der Andere gerade sinniert hatte. Ungeduldig kramte Uruha sein Handy hervor. »Hey, Aoi! Bitte nimm dir für morgen Abend nichts vor ... Ich hab mein Urupäisch entdeckt ^^ Also, wenn du dein Aoianisch auch entdeckt hast, meine ich ...«, tippte er in T9 ein, weil es schneller war, trotzdem er die »Sprachen« seinem Handy erst mal beibringen musste. Senden. Danach grinste er wie ein Teufel durch die Gegend, sodass es Reita unheimlich wurde. „Lass uns schnell nach Hause gehen! Ich will Geisterhunden bleihaltiges Shappi servieren!!!“, brüllte das Füchschen, krempelte die Ärmel hoch und stapfte in Monkey-D.Ruffy-Manier voran. Reita wunderte sich über gar nichts mehr. Er biss von seinem Kaubonbon ab und lachte kurz und tief. Vorbei, die Philosophiererei. ~~~~~ Aoi schreckte auf. Das Wasser in der Badewanne plätscherte. Er legte sein Buch zur Seite und griff nach seinem mobilen Telefon, nachdem er sich im Handtuch die Hände abgetrocknet hatte. Nasse Strähnen klebten dekorativ an seinem Gesicht, als seine Augen größer wurden. Uruha hatte etwas gefunden. Aoi hatte sich auch schon etwas ausgedacht. Morgen Abend ... das ließ ihn ein wenig trocken schlucken ... Sein Puls fuhr rauf. Es gab kein Zurück. »Ich hab auch was. Also dann morgen. Ich freu mich. Aoi ^///^« ~~~~~ Keiyuu lag immer noch auf dem Boden der Tatsachen ... Keiner sorgte sich um ihn. Keiner vermisste ihn. Es gab nur einen Mann, der auf seine Antwort wartete und der dachte, er wäre ein unendlicher Hasenfuß und würde sich nicht trauen zurückzuschreiben. Ein Schlüssel wurde in der Tür gedreht und jemand Vertrautes lugte um die Ecke. Mai. Keiyuu hatte ihm schon vor Ewigkeiten uneingeschränkten Zutritt in seine Wohnung vermacht. „Kei? Bist du da?“ Mai schlich in das Wohnzimmer. Hm. Hm? OH! Sofort stürmte er auf den anderen zu. „Kei? Kei! Wach auf! Was ist denn passiert?!“, er klopfte Keiyuu wieder zurück ins Bewusstsein. „Diese E-Mail ... ich muss ihm ... was antworten ...“, stammelte dieser nur durcheinander. Mai reagierte sofort und schaute auf die geöffnete Mail im Client-Programm. Keiyuu checkte gerade noch rechtzeitig die Situation und stürzte sich auf Mai, damit dieser nicht lesen konnte. Gerade noch rechtzeitig? Von wegen! Mai hatte alles gelesen ... Inklusive dem Absender ... Zum zweiten Male an diesem Abend wurde Keiyuu einfach nur schlecht. Er plumpste resignierend auf seinen Hintern zurück. Ohne dass er es hätte aufhalten können, plumpsten große Tränen aus seinen Augen mit. Seine Hand krallte sich nur in Mais Ärmel fest, er senkte den Kopf, verbarg seine Schwäche mit der anderen. So bekam er auch nicht mit, dass Mai von einem Ohr zum Anderen grinste, wie es für ihn so typisch war. Ein Schniefen ließ ihn seinen Blick vom LED-Bildschirm abwenden und sich seines kleinen Sängers besinnen. „Wurde aber auch Zeit, dass da ein bisschen Bewegung rein kommt.“ Keiyuu hielt inne und schaute auf. Doch er konnte gar nicht lange schauen, denn Mai umarmte ihn im gleichen Moment auf das Herzlichste. „Du wusstest es schon?“ „Hai, natürlich ... Wir sehen uns doch jeden Tag ...“ „Wissen Yasuno und Yura es auch? Ich möchte nicht, dass es Probleme und Spannungen zwischen uns gibt. Ich ...“ Wieder ein Schniefen. „Ich weiß schon, was du meinst.“ Und im gleichen Zug nahm Mai sein Handy aus der hinteren Hosentasche und tippte darauf rum, er wählte eine Nummer an. Ließ kurz klingeln bis jemand abnahm. „Yura? Ist Yasuno bei dir?“ Kurze Pause. „Super! Habt ihr Zwei mitbekommen, dass Keiyuu verliebt ist?“ Keiyuus Herz würde gleich einfach den Geist aufgeben, er konnte Mai nur fassungslos anstarren. Mai nickte immer wieder und machte ein Geräusch das wohl das gleiche ausdrücken sollte. „Ach, ihr wisst sogar in wen ...?!“ „Jaha~“, kam es von den anderen Beiden am anderen Ende der Leitung so laut, dass sogar Keiyuu es gehört hatte und das anschließende einvernehmliche Lachen der Beiden hatte er auch gehört. „Also habt ihr kein Problem damit?“ Was Keiyuu nun hörte, war etwas wie ein „Iie, natürlich nicht ... Er soll sich nur endlich rantrauen, an den Mann.“ Noch zwei, drei Sätze folgten und dann legte Mai wieder auf. Und für Keiyuu hatte sich wieder bestätigt, was er seit Anbeginn ihrer Zusammenarbeit wusste: Seine Jungs waren aufmerksam, offen und vor allem einfach klasse! Und wieder überkam ihn ein Schwall von Tränen. Aber diesmal waren es Tränen der Erleichterung und des Glücks und beinahe hätte er Mai einfach umgeschmissen, doch der Größere hielt ihn eine kleine Weile fest und strich ihm über den Rücken. „Es ist alles gut ... Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen ... Wir haben kein Problem damit. Hab keine Angst.“ Als sie sich wieder ansahen, fühlte Keiyuu sich um einiges besser und stärker. Mai griff nach der Taschentuchbox auf dem Schreibtisch und reichte sie dem Anderen. „Komm! Jetzt überlegen wir gemeinsam, was wir ihm antworten ...“ „Aber, Mai ... ich ...“ „Nix ich! Wir. Komm!“ Schon hatte er auf den »Antworten«-Button gedrückt und ein neues Fenster öffnete sich ... ~~~~~ Reita wachte am nächsten Morgen auf und lächelte, als er in das verschlafene Gesicht eines seiner besten Freunde sah. Wie er schmatzte und sich dann streckte, um bald darauf aufzuwachen. „Was habt ihr vor?“, fragte er leise und hoffte, Uruha wäre schon aufnahmefähig genug, um ihn zu verstehen. Angesprochener blinzelte. Dann gähnte er genüsslich. „Wir belassen es dabei ... wie es jetzt ist.“ Seine Stirn zog sich kraus. „Weißt du ... zwar weißt du es jetzt – und Kai weiß es, aber ...“ Reita zog die Augenbrauen hoch. „Kai weiß es?“ „Ja, wir – sind ihm mal zufällig auf einen unserer Touren begegnet – und da mussten wir ihm reinen Wein einschenken.“ Der Gitarrist lächelte und setzte sich auf. Der Pyjama streichelte seine Haut und er seufzte wohlig auf. „Jedenfalls wollen wir es erst mal so lassen. Wir versuchen es miteinander – ernsthaft natürlich – aber vorerst umgehen wir Erklärungsversuche und Peinlichkeiten.“ Der Bassist fuhr sich durch die Haare und grinste. „Ruki wird das gar nicht gefallen, wenn er nichts weiß.“ „Das ist mir egal“, sagte Uruha und umarmte Reita plötzlich fest und herzlich. „Dass du es weißt und ich mit dir darüber reden kann, ist mir sehr viel Wert, Akira.“ „Aber nicht zu viel Einzelheiten“, lachte der Ältere und tätschelte seinem Freund den Rücken. „Was ihr im Bett macht, interessiert mich nicht ...“ In diesem Moment kräuselten sich ihm innerlich die Zehennägel. „Sag ... Habt ihr ... hier auch?“ Uruha lachte und es genügte Reita als Antwort, sodass er in Shorts aus dem Bett sprang. ~~~~~ Eine Hand zog ihn in die Besenkammer, in die eigentlich tatsächlich nur Putzutensilien passte. Sogleich haschten Lippen nach seinen, Hände strichen über seinen Oberkörper, hin zum Rücken, hinunter zum Po, um dort das in Besitz zu nehmen, was ihnen gehörte. „Yuu ...“ Uruha keuchte leise und kicherte, als Aoi inne hielt, ihn aber immer noch berührte. „Was machst du denn?“ „Dou you speak Urupean?“ Uruha lachte und tätschelte ihm die Schulter. „Keine Chance ... du erfährst nichts über meine Sprache ...“ „Haben wir es schon mal getan?“ „Ist das ein Hinweis auf deine Sprache?“ Ihre Lippen strichen übereinander und Aoi spürte Uruhas Schmunzeln. „Das geht dich gar nichts an!“ „Schon gut.“ Elegant wand er sich aus der Umarmung seines Freundes, um wieder klar denken zu können. „Hast du mich deswegen in diese Kammer gezogen? Du wolltest mich aushorchen?“ Der Ältere trat von einem Bein aufs andere. „Nein, nicht nur ... Weißt du ... einerseits ist das ganz witzig, dieses Versteckspiel ...“ „Äh ... ja.“ „Vor Kai würde mir das zwar nichts ausmachen – vielleicht sollten wir sogar mal -“ „Nix da! Wenn wir mit allen unseren Spaß haben würden, die unser Geheimnis kennen ... müssten wir Akira auch -“ „Also doch!“ Aoi schupste ihn leicht gegen das Regal. „Ich hab dir gesagt, du sollst aufpassen!“ „Er hat mich überlistet“, flunkerte Uruha ein bisschen und schmuste sich im nächsten Moment wieder an. Seine Augen funkelten im Zwielicht, während seine Hände sanft, aber bestimmt über Aois Schultern strichen und ihn massierten. „Es ist alles okay ... Er verrät uns schon nicht.“ „Das erklärt sein Grinsen vorhin ...“ „Den Spaß musst du ihm schon lassen. Ach komm schon, so schlimm?“ „Nein ... zumindest einer weniger, dem wir es dann sagen wollen, wenn wir heiraten und illegal ein Baby adoptieren wollen!“ „Yuu ...!“ Nach diesem kleinen Ausflug in eine Welt voller Spinnereien wurde der Jüngere wieder ernster. „Heute Abend ... ist es soweit ... bist du aufgeregt?“ „Wenn du mich so fragst, ja ... sehr sogar ... Ich hoffe nur, ich schock-“ „Psst ... wir können einander nicht mehr schockieren, glaube ich – aber wenn du nicht magst, was ich -“ „Eben“, sagte Aoi leise und senkte verlegen den Blick. „Was, wenn du meine Sprache nicht magst?“ „Ich glaube, das geht gar nicht ...“, erwiderte Uruha noch leiser. Errötend. „Ich habe deinen Körper und deine Seele zu lieben gelernt. Ich“, er fasste nach Aois Händen, „liebe jeden Zentimeter an dir ...“ „Hör auf, Kouyou ... keine Liebeserklärung in einer Besenkammer!“ „Das wäre doch eine schöne Geschichte ...“ „Lieber ist es mir, wenn du mir so etwas zustöhnst, während ich dich mit meinen Händen und meinen Lippen in den Wahnsinn treibe ...!“ Ein Seufzen. „Du hast es wieder geschafft ... Wir sind noch keine zwei Stunden auf der Arbeit und du hast schon mehr Obszönitäten von dir gegeben als Ruki in der ganzen Woche gesagt hat!“ ~~~~~ Der Abend war gekommen. Nachdem Uruha Aoi darum gebeten hatte, ihm etwas Vorsprung an Zeit zu geben, war er nach Hause gefahren, um dort ein paar Sachen vorzubereiten. Das Schlafzimmer, sich selbst, seine Sprache ... Sein Werk fühlte sich merkwürdig an. Mit roten Wangen linste er immer wieder in den bodentiefen Spiegel, indem sich ihm sein nacktes Ebenbild präsentierte. Das tat er sonst nie ... so selbstverliebt war er nicht. Nur heute konnte er seine Nervosität anscheinend nur so überwinden. Er redete sich ein, er sei ansehnlich und fast hübsch – dass Yuu ihn länger als ein paar Monate akzeptieren und lieben konnte. Uruha schloss die Augen. In Gedanken an Aoi erzitterte er bereits innerlich. Seine Sprache war etwas Verspieltes, doch er war sich sicher, dass dies nicht immer sein Favorit sein würde. Schließlich hatten sich Sprachen in Jahrtausenden entwickelt – und wenn seine und auch Aois Sprache noch in den Kinderschuhen steckte, würden sie sich vielleicht irgendwann in der Mitte treffen und verschmelzen. Wie würde ihre gemeinsame Sprache wohl aussehen? Er schnappte sich seine Armbanduhr und bemerkte die Stellung der Zeiger. Aoi würde gleich da sein ... also verpackte er sich schnell in den Klamotten, die er schon in der Arbeit getragen hatte. Die ausgewaschene Jeans, sein Shirt, die Weste darüber ... das war seine legere Art, sich anzuziehen. So sehr er die Bühnenauftritte genoss und er strahlte und stolzierte, wenn er Uruha ein Gesicht und einen Körper gab. Der Mann, der ihm aus dem Spiegel heraus ungeschminkt in die Augen sah, dessen Haare ihm umgestylt über die gepiercten Ohren fielen, das war Kouyou. Kouyou liebte einen anderen Mann. Einen Mann, der ihm schon lange den Kopf verdreht hatte. Es klingelte und Uruha wartete an der Tür, bis Aoi zu ihm hochgekommen war. Er ließ ihn noch eintreten, bevor er ihn umarmte und fest an sich drückte. Er spürte Aoi zittern. „So nervös?“ Aoi nickte und versteckte sich an seiner Halsbeuge. Uruha drückte ihn stärker an sich. „Ich bin auch nervös“, antwortete er mit einem Flüstern. „Möchtest du etwas trinken? Etwas essen?“ „Ist das nicht etwas merkwürdig, wenn wir eigentlich Sex planen, aber essen?“ Der Dunkelhaarige lachte noch nervöser als zuvor. Kopfschüttelnd zog der Jüngere seinen Freund – wie er ihn jetzt doch bezeichnen konnte – ins Wohnzimmer, wo der Fernseher lief und diverse DVDs vor dem Player lagen. Auf dem Tisch standen verschiedene Schüsseln und Flaschen, Knabberzeug und Limonaden – kein Alkohol, Uruha-san, sehr vorbildlich. „Ich möchte das ruhig angehen. Außerdem ...“ Uruhas Gesicht näherte sich Aois ganz vorsichtig. Zarter als nie zuvor berührten ihre Lippen sich. „Hattest du je so Herzklopfen, wenn es nur um Sex ging?“ „Nein ...“ Aois Blick war verklärt. „Komisch, oder?“ „So komisch finde ich das gar nicht ...“ Wieder ein Kuss, dieses Mal war er etwas fester. Uruha musste über sich selbst grinsen. In seinen Fingern juckte es, den Anderen zu berühren, an sich zu drücken, ihn zu streicheln – aber er wollte noch nicht. Erst wollte er Yuu beruhigen. Seine Hand legte sich sanft auf Aois Brust. „Wenn man bedenkt, welche Angst wir vor unserem Geständnis hatten ...“ Aoi nickte und küsste ihn. „Ich hab tatsächlich seit der Frühstückspause nichts gegessen ...“ Uruha grinste und verstand seine kleine Fluchtreaktion. Er nickte. „Komm her, ich hab zwar nichts Nahrhaftes hier ...“ „Hast du Ramen da?“ Der Jüngere hielt inne und überlegte, ehe er erneut nickte. „Huhn?“ „Huhn.“ Und schon war der Gastgeber in der Küche verschwunden, um das Instant-Ramen vorzubereiten. Aoi setzte sich nicht in Uruhas Abwesenheit auf die Couch, sondern ging ein bisschen im Wohnzimmer umher. Neben den Snacks und Getränken, die auf dem Tisch ausgebreitet waren, konnte er statt der üblichen Ordnung, die nur dann zu Tage trat, wenn Uruha Besuch erwartete, nur noch den DVD-Hüllenstapel neben dem Fernseher ausmachen. Sonst war alles wie immer. Aoi entdeckte keinen einzigen Hinweis auf Sex, noch auf Urupäisch. Was also beinhaltete die Liebessprache seines Freundes, wenn es nicht so augenscheinlich war? „Ähm ...“ „Ja?“ Er schrak zusammen, als Uruhas Stimme so nah neben ihm erklang. Anscheinend hatte dieser ihn während der vergangenen Minuten beobachtet. „Wollen wir nachher zu mir gehen?“ „Fühlst du dich unwohl?“ „Nein, wirklich nicht. Ich ... möchte dir nur bei mir Zuhause etwas zeigen, weißt du?“ „Okay ... eine Überraschung?“, wollte Uruha lächelnd wissen und war schon wieder auf dem Weg in die Küche. „Ja, so kann man es durchaus bezeichnen. Kann ich dir helfen?“ „Ach was.“ Und schon war er wieder da, in jeder Hand eine abgedeckte Keramikschale. „Such dir doch ne DVD aus. Oder ne Videokassette?“ „Du bietest mir aber nicht an, auf deiner Playstation zu spielen, oder?“ Uruha verzog das Gesicht. „Nur wenn du unbedingt möchtest. Eigentlich solltest du weitestgehend beide Hände frei haben.“ Also wollte er doch hier auf der Couch ...? „Dann such ich mir nen Film aus“, sagte er und beugte sich sogleich über den DVD-Stapel. Ein bunter Mischmasch aus Romanzen, Action, Science-Fiction und Komödie. Er wollte diese Filme nicht sehen. Er wollte Uruha. Er wollte mit ihm schlafen und keinen DVD-Abend. Deswegen griff er recht lustlos nach dem obersten Film auf dem Stapel, öffnete die Hülle und legte die DVD in den Player. Und dann begann ein kleiner Albtraum für ihn. Der Film fing an und sie saßen stumm nebeneinander auf der Couch, während sie die Nudeln in sich reinschlürften. Nachdem sie aufgegessen und Uruha das Geschirr zurückgebracht hatte, schmiegte dieser sich an Aoi, dass dieser schon dachte: Jetzt geht’s los! Doch nichts geschah. Sein anfänglicher Unmut darüber, dass nichts passierte, wechselte mit jedem weiteren ruhigen Atemzug des Jüngeren mehr in Müdigkeit und Ruhe. Geborgenheit und die Wärme eines Zuhauses. Die Liebe eines geliebten Menschen. Er wusste nicht, wovon der Film handelte, und er erfuhr es auch nicht mehr. Er war eingeschlafen. Uruha hob den Kopf und lächelte. Das hatte er sich gedacht. Aoi war schon den ganzen Tag so müde gewesen. Vor allem hatte er wahrscheinlich die halbe Nacht nicht geschlafen, zu aufgeregt wegen ihrem geplanten Treffen. Vorsichtig stand er auf und ließ leise die Rollläden runter, damit es im Raum dunkler wurde. Den Couchtisch schob er etwas weiter von der Couch weg, damit man nichts umstoßen konnte. Aus der Schublade, in der eigentlich nur PS-Spiele Platz fanden, holte er eine andere DVD heraus. Jene, die ihm aus der Hand gefallen war, als Reita ihn demaskiert hatte. Er wechselte die DVDs aus, ließ den Film aber noch nicht laufen, sondern kuschelte sich noch ein bisschen an seinen ... Geliebten. Aoi schlief wie ein Stein. Zwei Stunden, dachte Uruha und schloss die Augen. Er würde ihnen beiden noch zwei Stunden Schlaf gönnen. ~~~~~ Aoi blinzelte und seine Augen schlossen sich wieder. Ein Summen entkam ihm über die Lippen. Er war sich sicher, er sei beim Film eingeschlafen. Uruha war bestimmt eingeschnappt. „Bist du wach?“ Wie unaufmerksam konnte er eigentlich sein? Uruha hing mit den Lippen an seinem Hals und er hatte es nicht bemerkt! Und komisch ... er klang überhaupt nicht eingeschnappt. Aoi umarmte seinen Partner und gähnte noch mal kurz, bevor er Uruha auf die Lippen küsste. Er schmeckte anders als sonst ... nach Erdbeere. „Warum hast du Lipgloss ...?“ „Weil dir der Geschmack gefällt. Oder nicht?“ Uruha richtete sich auf und schwang eines seiner Beine über Aois Schoß, wo er es sich bequem machte und ihm aufmerksam in die Augen sah. „Doch, aber ...“ Schon wurde er bei seinen Worten gestoppt. Ein Finger lag auf seinen Lippen. „Wenn es dir nicht gefällt, mache ich es nie wieder“, schwor er und wischte sich unwirsch über den Mund, um den Lipgloss abzukriegen. „War nur ein Versuch, aber jetzt ...“ Er lächelte verführerisch und spielte wie unauffällig an Aois Hemdbund, um nur Sekunden später mit der Hand unter den Baumwollstoff zu verschwinden. Er kitzelte ihn liebevoll am Bauchnabel und küsste ihn wieder. Eine letzte Spur von Erdbeere konnte Aoi auf seinen Lippen schmecken, ehe sie übereinander herfielen. Er begrub Uruha unter sich und küsste ihn so hemmungslos, wie er es sich in den letzten Wochen immer gewünscht hatte. So wie er es sonst tat, wenn er Jemanden verführte ... doch es war bereits zu spät. Uruha hatte er bereits verführt und sein Herz erobert. Nun galt es nur noch, diese Aufregung in seiner Brust niederzukämpfen. Eigentlich sollte er seinem Liebhaber das Ruder überlassen, schließlich ging es um seine Sprache. Aber wenn er nichts tat, würde er noch vor Lampenfieber durchdrehen! „Yuu ...“ Der Blonde streichelte seine Wange, etwas Klebriges blieb an seiner Haut hängen. Aoi blickte darauf. Einer seiner Finger war von etwas Rotem umwunden. Eine Erdbeerschnur? „Bist du heute ganz süß, ja?“ „Das ist ein Teil meiner Sprache“, flüsterte Uruha und Aoi küsste jenen Finger mit der Erdbeerschnur, leckte darüber und biss zu. Geradezu fasziniert wurde er dabei beobachtet, wie diese süße Schnur zwischen seinen Lippen verschwand und er schluckte. „Ich für meinen Teil bin etwas verspielt ...“ „Nicht verraten“, warnte Aoi. „Lass es mich herausfinden ...“ Wieder ein Kuss. Ein verhaltenes Stöhnen riss den Älteren aus ihrer Unterhaltung, sodass er den Kopf hob und zum Ursprung des Geräusches spähte. Auf dem Fernsehbildschirm war ein junges, asiatisches ... schwules Paar zu sehen. Sie küssten einander, streichelten sich und verschlangen einander mit Blicken. Sie waren noch ganz bekleidet, doch es war wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis sich ineinander verknoteten. „Gehört das auch dazu?“ Aoi grinste. „Nur indirekt“, sagte Uruha und leckte sich die Lippen, während sein Blick auch auf den Bildschirm gerichtet war. „Ich fand einfach, es sei eine nette Untermalung ...“ „Nette Untermalung, ja?“ „Ja.“ Der Jüngere schnellte hoch und küsste ihn wieder, brachte ihn zum Sitzen. „Ich ... wollte heute mal recht unschuldig sein ...“ „Du warst noch nie unschuldig“, warf Aoi ein und strich mit einem Finger über Uruhas offenstehenden Mund. Uruha zuckte die Schultern. „Mag sein.“ Wieder ein Kuss, es war wie ein Zurückfedern, als sie sich danach in die Augen sahen. Ein Aufblitzen. Und dann begann das Verschlingen. Ihre Küsse waren unverhohlen leidenschaftlich und unverschämt offen, sodass ihnen des Öfteren die Luft wegblieb. Mit hastigen Fingern öffnete Uruha Aois Hose und griff ohne Umschwung hinein, um ihn zu streicheln. Beide stöhnten, Aoi stellten sich die Haare auf vor Erregung. „Das ... fühlt sich nicht ganz so unschuldig an ...“ Zwar berührte Uruha seine anschwellende Erregung, doch trennte sie immer noch der Stoff seiner Unterwäsche. Dieses Massieren war so anders, intimer als je zuvor. Er wollte die weiße Haut seines Partners berühren, wollte ihn besitzen, viel mehr als sonst. Hastig streifte er ihm die Jeansweste von den Schultern und den dünnen, beigen Pullover zog er ihm über den Kopf, obwohl er sehr die Unterbrechung ihres Kontakts bedauerte. Sogleich freute er sich über die hellen Schultern, die Kuhle an seinem Schlüsselbein, die zartgefärbte Brustwarze, die sich durch einen Atemzug zusammenzog. Wieder verschwand Uruhas Hand in Aois geöffneter Hose, und Aoi zog ihn näher an sich, nahm seine Hand gefangen, während eine seiner eigenen Hände ihn herrisch im Nacken packte, um ihn zu einem Kuss zu nötigen, und die andere sich in seine Jeans schob, um ihn noch besser an sich halten zu können. „Kouyou ...“ Uruha lachte. „Das ist das erste Mal, dass du meinen richtigen Namen gestöhnt hast!“ „Und?“ Aoi grinste und glitt tiefer, strich mit einem Finger bestimmt über Uruhas Schließmuskel, er zuckte. „Turnt es dich an?“ Die Antwort war ein bebendes Ausatmen. „Es kribbelt im ganzen Körper ...“ Er lehnte sich ein wenig zurück und machte sich umständlicher Weise einhändig daran, Aoi den Baumwollpullover auszuziehen, der ihm bereitwillig Hilfestellung leistete und die Arme hob. Ihre Lippen fanden sich erneut, Uruhas Hand nahm ihre Arbeit wieder auf, immer noch auf dem Stoff seine Erregung reibend. „Du vibrierst ...“, raunte er dunkel zu. „Kouyou.“ Der Blonde erzitterte. Sein schwarzhaariger Partner öffnete nun auch seine Jeans und wollte sie ihm ausziehen, stöhnte wieder auf: „Kouyou!“, wieder ein Zittern. Uruha hob die Hüften und vermied es, sich allzu weit von Aoi zu lösen, und seufzte erleichtert auf, als er endlich nackt auf Aois Schoß zu sitzen kam. „Kouyou ...“ Die dunkelbraunen Augen leuchteten im Licht des Bildschirms. „Was auch immer du vorhast ... wenn du nicht beeilst, ist es vorbei, bevor wir angefangen haben ...“ Uruha kicherte. „Ich habe schon angefangen!“ Wieder küsste er Aoi auf die Lippen, doch schnell wandte er sich ab und nippte an Aois Ohrläppchen, küsste sich hinab zu dessen Brustansatz, wo er an einer der dunklen Knospen saugte, während eine seiner Hände wieder in die offenstehende Hose eintauchte. Auch seine zweite Hand machte sich am Beinkleid zu schaffen, ruckelte an dem Stoff und kniete sich zwischen Aois Beine auf den Boden, damit er aus dieser Position, auch seinen Lebensgefährten endlich entkleiden konnte. Nun saßen sie voreinander. Nackt, erregt und keuchend. Abwartend und ... mit heftigem Herzklopfen. Der jüngere Mann atmete ein Mal, kaum merklich tief durch, ehe er sich wieder vorbeugte, näher rückte und Aois freie Brust küsste. Hände glitten in seine Haare, streichelten ihm über den Kopf, kraulten ihn hinter den Ohren, strichen ihm über die Schultern. Alles war so sanft und doch spürte er Aois Aufregung, so wie er seine eigene. Er befeuchtete seine Lippen, leckte auch Aoi über die Haut, glitt tiefer, saugte an seinem Bauchnabel, wo der Ältere wegen der Piercingnarbe so empfindlich war. Als der Blonde mit seinen Lippen noch tiefer wanderte, hielt Aoi den Atem an. „Ich weiß nicht, ob ich gut darin bin“, warnte Uruha flüsternd und knabberte kurz an den leicht gebräunten Hüftknochen, die ihm entgegenzuckten. Er sah auf, in Aois leicht verzerrtes Gesicht, auf dem er eine Mischung aus Schamgefühl und Erregung ausmachte. Natürlich versuchte er sich zurückzuhalten, wollte ihn nicht drängen. Wie durch einen dicken Schleier nahm er wahr, wie das schwule Pärchen langsam begann, immer lauter zu stöhnen. Aoi war plötzlich abgelenkt, seine Brust bewegte sich wieder unter bemüht kontrollierten, tiefen Atemzügen. Doch die Hand in seinen Haaren verriet ihm etwas ganz anderes als Ruhe und Geduld. Uruha umschloss Aois Erregung mit seinen Lippen und begann zu saugen. Aois Hand in seinen Haaren machte ihm sehr deutlich, wie es sich anfühlte. Er leckte an ihm, versuchte herauszufinden, was ihm am besten gefiel, deshalb entließ er ihn, küsste seinen Schaft, berührte ihn gleichzeitig mit einer freien Hand an den Innenschenkeln, streichelte ihn, wollte ihm alles geben, wollte ausprobieren, erproben, ihn zittern lassen und ihn schmecken, doch dazu kam es nicht mehr. Grob zog Aoi ihn an den Haaren von sich weg, stieß ihn zu Boden und warf sich kurzerhand über ihn, drängte sich gegen ihn, ihre Erregungen berührten sich und sie stöhnten. Aoi bewegte die Hüften, wusste jedoch nicht, ob er durfte, ob er sich gehen lassen durfte, um in Uruha einzutauchen. Uruhas Hände lagen schon jetzt auf seinem Po, damit er seinen Körper an sich drücken und dirigieren konnte. War das eine Einladung? „Yuu?“ Oh wie süß seine Stimme klang, so schwach vor Erregung, wenn er seinen Namen flüsterte! „Ha-hab ich dir wehgetan?“ Aoi lachte heiser und ließ sich neben Uruha auf den Boden sinken, damit sie beide eine einigermaßen angenehme Haltung hatten. „Du hast ja keine Ahnung ... wenn ich schon so in Fahrt bin, darfst du doch nicht einfach -“ Plötzlich war seine Hand ohne sein Zutun zwischen Uruhas Beinen, seine Finger umfassten die pochende Erregung und er schluckte schwer. „Wenn ich schon so in Fahrt bin, darfst du nicht einfach Romane dichten!“ Und wie um seine Worte zu unterstreichen, wanderte Uruhas Hand zwischen Aois Beine, um auch ihn zu massieren. „Oh Yuu ...“ Sie rückten näher aneinander, massierten sich gegenseitig weiter, bis sie sich nah genug waren, um sich von Kopf bis Fuß zu berühren. Ihre Lippen lagen offen übereinander, sie atmeten einander die Luft weg, doch das machte nichts. Sie verschlangen einander mit Blicken, bis es fast zu spät war, dann küssten sie sich wieder heiß und innig. Mit leisem Seufzen und Stöhnen erreichten sie ihren Höhepunkt und entluden ihre Lust. Es vergingen ein paar Minuten, in denen ihre verschwitzten Körper miteinander schmusten und sie sich träge küssten. Wie hatten sie es so lange ohne Küssen ausgehalten? Wieder tauschten sie Blicke, ihre Augen glänzten und leuchteten. Uruhas Hand lag auf Aois Brust, und erst jetzt fiel ihm auf, dass sich um dessen Handgelenk auch eine Erdbeerschnur wand. Wortlos knabberte auch hier die Süßigkeit auf und naschte davon, ehe er genüsslich über Uruhas Puls leckte. Uruha schnurrte und schloss die Augen. „Das hat nicht ganz geklappt“, sagte er leise und lächelte. „Aber ich fand es schön.“ „So hast du es dir vorgestellt?“ Lächelnde Lippen berührten sich. „Nicht ganz, aber weitestgehend.“ Seine Augen öffneten sich wieder. „Ich wollte langsam anfangen ... weil ich denke, dass ... Sprachen sich auch – über Jahrhunderte und Jahrtausende entwickelt haben.“ Aoi nickte und drückte Uruha an sich. „Das ist eine süße Idee.“ Es vergingen wieder Minuten, in denen sie nicht redeten, doch es war kein unangenehmes Schweigen. Vielleicht half dabei auch ein bisschen der Dialog, der noch auf dem Bildschirm stattfand. Nacheinander dösten sie ein und ruhten sich auf dem Teppich zwischen Couchtisch und Sofa aus. Es war Aoi, der anfing zu säuseln und an Uruhas Hals nippte. „Du riechst so gut ...“ Ein Kichern antwortete ihm. „Heißt das, ich soll nicht duschen, bevor wir zu dir gehen?“ „Hm ...“ Anscheinend überlegte er angestrengt. „In der Arbeit sind wir auch nicht immer zum Duschen gekommen.“ „Wir sind ganz schöne Schweine“, lachte Uruha, murrte noch ein Mal und stand dann auf. „Komm, deine Wohnung wartet auf uns! Ich will doch wissen, welche Überraschung du für mich hast!“ Der Ältere setzte sich umständlich auf und spürte in dieser Situation, dass er über Dreißig war. Auch er murrte und holte mithilfe der Couchkante Schwung, um aufzustehen. „Vielleicht gefällt es dir doch gar nicht ...“ „Ich hab noch nie erlebt, dass mir etwas nicht gefällt, was du mir zeigst.“ „Das war eindeutig zweideutig, Kyouki.“ „Anou“, beschwerte sich Uruha und fächerte diesen Spitznamen von sich. „Es ist bestimmt acht Jahre her, dass man mich so genannt hat. Wieso kramst du das wieder raus?“ Der Schwarzhaarige umfasste die Taille seines Partners und kuschelte sich an seinen Rücken. „Ich probiere Kosenamen aus ... Kyouki ist süß, finde ich. Schatz kann ich dich auch nennen. Und Kouyou und ... Stöhnmaus.“ Uruha errötete und schürzte die Lippen. „Wie du meinst ... Natsume ...“ Aoi zuckte zusammen. „Das ist das kleinere Übel“, warnte der Jüngere und sammelte lachend seine Sachen zusammen. „Für dich finde ich auch schon noch einen peinlichen Kosenamen!“ ~~~~~ Eine ganze Stunde später waren sie in Aois Wohnung angekommen, wo Uruha sich immer noch grübelnd die Stiefel auszog und sich auf die Kante im Flur setzte. „Was hast du denn?“ „Ich bin nicht halb so kreativ in Worterfindungen wie du“, maulte Uruha und schmollte. „Mir fällt kein peinlicher Spitzname ein.“ „Vielleicht kann ich trotzdem deine Stimmung aufhellen.“ Aoi warf den Motorradschlüssel in die Dekoschale im Flur und hängte seine Jacke an der Garderobe auf, ehe er auch Uruha die Jacke auszog, obwohl der noch immer auf der Stufe saß und quengelte. „Komm schon ... meine Überraschung wartet auf dich.“ Beleidigt ließ sich Uruha auf die Beine ziehen und wurde durch den Flur geschoben und gestoppt, als Aoi die Wohnzimmertür aufschob. „Ich möchte dir die Laune nicht verderben, Koi“, sagte Uruha leise und wollte gerade eine große Entschuldigungsaktion starten, was ihr Vorhaben bezüglich ihrer Sprachen anging, als sein Blick in die Wohnzimmermitte fiel und ihm das Herz stehen blieb. Ganz unschuldig, glänzend und groß stand dort eine Couch. Ein Dreisitzer mit schwarzem Leder überzogen, schon etwas lädiert, weil an manchen Stellen abgewetzt und durchgesessen. Dort war eine Kerbe an der rechten Seitenkante, von der Uruha wusste, woher sie rührte. Reita war gestürzt und sein Bassgitarrenschaft hatte sich dort hineingebohrt. Es war die Couch aus ihrem Proberaum, den sie vor Wochen geräumt hatten. „Das ... das ... Yuu, das ist ...“ „Die Couch, auf der wir unzählige Soli geprobt und viele Lieder geschrieben haben, hai“, flüsterte Aoi leise. „Aber vor allem ... anou ...“ Die Sprache versagte ihm vor Aufregung. „Yuu ...“ Uruha drehte sich lächelnd um und umrahmte Aois Gesicht mit beiden Händen. „Du bist ein hoffnungsloser Romantiker!“ „Also weißt du, warum ich sie hier haben wollte?“ „Weil wir auf ihr das erste Mal ...?“ „Das erste Mal miteinander geschlafen haben, ja.“ „Das ist echt total süß. Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen ...!“ Uruha fiel Aoi um den Hals und küsste ihn mit aller Liebe, die er in seinem ganzen Körper mobilisieren konnte. „Danke, Koibito, vielen, vielen lieben Dank!“ „Bedank dich bei Keiyuu-san. Er hat das hier klar gemacht ...“ „Was? Wie das denn?“ „Ich muss dir was erzählen ...“ Nun wurde Aoi ein wenig ruhiger und zog Uruha zur Couch um auf der Seitenlehne Platz zu nehmen. Sein Freund setze sich daneben. „Erinnerst du dich, als Keiyuu uns in der Abstellkammer erwischt hat?“ Uruha nickte mit einem peinlich berührten Grinsen. „Da hast du uns vor Reita doch eine kleine Schauspieleinlage geboten. Und da hast du mir deine Wasserflasche zugeworfen ... Ich weiß noch, dass ich einen Moment gezögert hatte, daraus zu trinken. Ich hab mich an unser unwirsches erstes Mal auf dieser Couch erinnert und daran, dass ich dich nicht küssen durfte. Ich hab gedacht: Wenn du jetzt aus dieser Flasche trinkst, dann ist das ein bisschen so, als würdest du Uruha küssen ... Ich glaube im Nachhinein, war ich schon zu diesem Zeitpunkt in dich verliebt.“ Nun musste Uruha grinsen, wie ein Honigkuchenfuchs. Das war ja wohl obersüß ... Gespannt lauschte er weiter Aois Worten: „Gleich danach wusste ich, dass du mir schmeckst ... Und da wollte ich plötzlich diese Erinnerung in mich einschließen. Ich hab den Abholschein für das abgehalfterte Ding schon liegen sehen. Und dann hab ich kurzerhand Keiyuu-san angerufen und sie mir gesichert ... Ich wollte sie einfach nicht auf dem Sperrmüll sehen ... Ein bisschen bekloppt, oder?“ „Nein, gar nicht ... Ich hab ihr auch nachgetrauert. Das war immer meine Lieblingscouch und egal wie anstrengend unsere Studiotage auch waren, darauf abzuhängen war immer so erholsam, wie drei Stunden Schlaf. Du bist süß, Aoi ...“ Uruha bedankte sich mit einem extralangen Kuss bei dem Anderen. „Süß-Aoi... japp, so nenn ich dich!“, stellte er danach entschlossen fest. „Na toll ...” „Was? Ich finde du bist gut dabei weggekommen! Ist besser als Stöhnmaus!“ Beide Männer mussten lachen. Süß-Aoi also. Ein kurzes Lippenbekenntnis folgte. Und dann wurden beide ernst. Aois Blick verriet seinem Freund, dass es an der Zeit für die Aoianisch-Stunde war. Ganz plötzlich beschleunigte sein Herz und auch sein Gegenüber wurde unruhiger. „Wartest du hier kurz?“ Uruha nickte und blinzelte seinem Koi nach. Dieser zündete eine Kerze an, und mit dieser noch eine und noch eine, bis es siebzehn Stück waren. Für jede Woche eine, in der ihre Affäre nun schon andauerte. Aber das verriet er Uruha nicht, dessen Augen nur immer mehr funkelten, weil das Zimmer mit jedem Licht stimmungsvoller wurde, besonders, als Aoi die Deckenbeleuchtung ausschaltete und dass Zimmer in Kerzenschimmer tauchte. Dann lächelte Aoi ein wahres Aoilächeln und verschwand kurz in seinem Badezimmer. Uruha konnte es kaum mehr erwarten. Die Idee mit den Kerzen war schön, seine Hand strich über das schwarze Polster. Mit einem Schmunzeln erinnerte er sich daran, dass ihr erstes mal auf diesem Sitzmöbel gar nich so einfach gewesen war. Die schwitzige Haut klebte sehr an dem Leder. Vielleicht lag deshalb wie zufällig die brombeerfarbene, flauschige Kuscheldecke bereit. Uruha griff danach und legte sie über der Sitzfläche und den Lehnen aus. Er liebte diese Decke, die Aoi ihm immer überließ, wenn sie einen DVD-Abend gemacht hatten. Sie roch nach dem Rhythmusgitarristen. Das liebte Uruha am meisten an ihr. Dann hörte er hinter sich die Tür knarren. Vorsichtig drehte er sich um. Vor ihm stand ein Aoi, den er nur ganz selten so gesehen hatte. Oder besser Yuu? Ohne Hairstyling, ohne Schminke, ohne Schmuck, nur mit einem schwarzen Seidenyukata bekleidet. Uruha blinzelte irritiert, aber nicht, weil sich ihm da ein schrecklicher Anblick bot, sondern weil der Andere schlicht nichts sagte. Aois Hände zitterten heftig, an denen die Sehnen mehr hervortraten als sonst, sein Kreislauf war auf Hochtouren. Die Wangen rosig und ein seltsam ängstlicher Glanz lag in seinen Augen, den Uruha nicht deuten konnte. Barfuß schritt Aoi auf seinen Gitarrenpartner zu, den er mit seiner unverfälschten Erscheinung und seinem fesselnden Blick bereits so hypnotisiert hatte, dass er sich lieber einen Finger abgebissen hätte, als einen Ton zu sagen ... Uruha musterte den Anderen ganz genau. Besah die Leberflecken in Aois Gesicht, für die er sich immer so genierte, die kleine Narbe von seinem Lippenpiercing, die winzigen Fältchen an den Augen, leichte Krähenfüße, die vom Schmunzeln und dem schrägen Grinsen kamen und verrieten, dass Aoi keine zwanzig mehr war, die Augen, die ohne dunkle Umrandung eher müde wirkten, aber dennoch jene geblieben waren, in die Uruha sich verliebt hatte. Und der Leadgitarrist konnte gar nicht anders, als zu einem einzigen Schluss kommen: Dieser Mann ist schön. Auch ohne Nachhilfe, ohne Tamtam und Dekoration. Er ist schön, dachte er und streichelte das Gesicht vor sich mit der Oberseite seiner Finger, ganz umsichtig. Denn dieser Aoi kam ihm nun vor, wie aus Porzellan ... Aoi schloss die Augen. Er genoss diesen Moment, diese leichte Berührung, diese Genugtuung, dass Uruha ihn scheinbar auch so annahm. Auch ohne, dass er zwingend »Aoi« sein musste. Es war ein warmes Gefühl. Es ließ ihn innerlich schweben. Er war glücklich. Ihm gingen die Sachen durch den Kopf die in den letzten siebzehn Wochen passiert waren, unheimlich viele Sachen ... Sie waren so holterdipolter in diese Affäre gestürzt, miteinander auf einem Vulkanrand getanzt, hatten ihr Duell mit dem Feuer ausgefochten. Sie hatten einen neuen Bandraum bekommen. Mein Gott, Keiyuu hatte sie in Flagranti erwischt! Uruha war in dessen Wohnung eingebrochen ... Kai hatte seinen Liebeskummer offenbart. Sie hatten sich beide in ein Lovehotel gewagt und dort Miyavi als den Grund für diesen Liebeskummer enttarnt. Uruha hatte ihn zurückgewiesen. »Wenn wir zusammen wären, würde ich dich nie betrügen«, diesen Satz hatte Aoi gebraucht, um es zu verstehen und um einzusehen, dass er Uruha liebte. Er hatte sich krankschreiben lassen und seinen Freund mit einem Anderen gesehen. Das war offenbar für Uruha der Grund gewesen, seine Liebe zu erkennen. Aoi hatte ihm geschworen, ihn nie mehr allein zu lassen, aber in Unwissen auch still hingenommen, lediglich eine Affäre für Uruha zu sein. Er hatte mit Melody-san gesprochen und erkannt, dass sie der Eindringling in Miyavis und Kais Beziehung war, aber auch, dass sie eine liebende, stolze Frau war, die niemals aufgeben würde. Am selben Abend noch hatte Aoi sich mit Miyavi versöhnt, erkannt, dass er ihm Unrecht tat und beschlossen um Uruha zu kämpfen. Deshalb hatte er eine Hütte gebucht. Diesen Bergausflug würden beide nicht so schnell vergessen. Dieser Blizzard und dann mussten sie zurück und Uruha brach im Eis ein. Aoi war dem Himmel so dankbar, dass er ihn retten konnte und sie beide beinahe unbeschadet aus der Sache herauskamen. Unbeschadet? Nicht ganz. Denn es musste erst dieses Nahtodereignis eintreten, damit sie einander endlich ihre Liebe eingestehen konnten. Der erste Kuss. Im Hotelzimmer schon, hatten sie diesen Abend geplant. Und nun waren sie hier ... Angekommen an diesem Punkt. Welch ein komplexes Chaos war dort in den letzten Wochen über sie hereingebrochen? Welches Chaos hatten sie über den armen Keiyuu gebracht, um schließlich hier zu landen? Aoi öffnete die Augen wieder. Uruha war ihm näher gekommen, hatte mit seinem Gesicht, dass seines Freundes gekost, dem wahrscheinlich selber einiges durch den Kopf ging. Sie waren mutig, stark, unfair, frech und dumm gewesen, um an diesen Punkt zu gelangen. An diesen Punkt, an dem keine Fassade mehr zählte, keine Masken existierten, keine Worte mehr nötig waren und ihre Affäre zu einer Liebe gewachsen war, die unerschütterlich echt war, die täglich Raum schuf, Neues zu entdecken. Nur eines noch hatte Aoi zu sagen: „Heute Nacht beweise ich dir, dass ich dir vertraue ...“ Dann zog er den Knoten des Gürtels auf und der Stoff glitt fließend von seinen Schultern auf den Boden, „Ich gehöre dir ... Mach mit mir, was du willst ...“ Uruha verstand sofort, was das zu bedeuten hatte. Er erinnerte sich, als er wie trunken vor Adrenalin nach dem Einbruch in Keiyuus Wohnung über Aoi hergefallen war und ihm gedroht hatte. Er erinnerte sich auch an die Angst, die den Körper des Dunkelhaarigen durchzog, als es darum ging devot zu sein. Wie obszön Uruha darauf reagiert hatte, wie grobschlächtig darüber geurteilt ... Heute tat ihm das alles Leid. Wenn er an diese Momente dachte, kam er sich vor wie ein respektloser, rotzfrecher Teenager. So wollte er nie wieder mit Aoi reden. Nie wieder. Umso klarer wurde ihm auch, was dieses Angebot von seinem Koi abverlangte. Wie viel Überwindung er gerade brauchte, sich einfach fallen zu lassen. Er würde vorsichtig sein. Ganz vorsichtig, schließlich war der Mann vor ihm immer noch gleich einem Bildnis aus Porzellan. Aois Liebessprache war absolute Devotion, absolutes Vertrauen, absolute Selbstlosigkeit. Uruha küsste die Angst des Anderen hinfort, streichelte seinen verspannten Rücken weich. Er sog den puren Geruch ein, selbst sein Parfum hatte Aoi abgewaschen. Er bildete sich ein diesen Mann schon oft nackt gesehen zu haben, doch nie so wahr und unverhüllt, so schutzlos wie gerade in diesem Augenblick. Alles kam ihm neu vor. Nur die Küsse schmeckten gleich. Uruha überkam ein Verlangen, dass er schon von vorher kannte, nur nicht in dieser Intensität. Er wollte ihrer beider Haut spüren, aufeinander, ohne eine noch so winzig kleine, störende Komponente. Er nahm Aois Hand und ließ seine Finger den Reißverschluss an seiner Weste aufziehen, dann legte er sie unter sein Shirt auf seine Hüfte. Er streifte beide Kleidungsstücke von sich und dann gab er auch seiner Hose und dem Rest einen Schups, die in einem Zug seine langen Beine hinabglitten und aus denen er ohne Widerstand aussteigen konnte. Einen Moment lang schauten sie einander an, betrachteten den Körper des Anderen unter leichtem Streicheln. Mit den Fingern sehen war ein berauschendes Gefühl. Unschuldiger als vorher teilten sie einige Küsse, verschlangen dann einander ohne Umwege. Uruha erkundete jeden Zentimeter des Anderen, denn er hatte herausgefunden, dass es noch einige gab, die er nicht kannte. Aber er fühlte sich recht unbeholfen in seiner Rolle als führender Part. Wie ein wiegendes Blatt so leicht ließ sich Aoi auf die weiche Decke legen, Uruha deckte ihn mit sich selbst zu. Er war aufgeregt und wärmte Aoi mit seinem Fieber. Dieser legte die Arme nach oben und ließ seinen Körper von Küssen beregnen. Leichtes Knabbern und Necken, nicht frech, sondern zielgerichtet erregend. Als er den Kopf ein wenig zurückzog, merkte Uruha, dass Aois Körper ihm folgte, den Rücken durchgedrückt versuchte er jede verschwindend leichte Berührung zu erhaschen. Sein Mund klappte auf. Sein Atem schwer. Er zog die Beine an, stellte sie rechts und links neben Uruha auf. Seine Zehen zerknüllten den Stoff in dem sie sich ballten, als seine Innenschenkel Uruhas Hüfte streiften. Dieses Gefühl hatte der Größere lange nicht mehr gehabt. Er strich über Aois Brustwarzen und sogleich hörte er ein Summen. Aoi war wie weggetreten, er versuchte immer wieder sich am Anderen zu reiben, vergaß alle Peinlichkeit dabei. Uruha war verblüfft von dem Kino, das der Mann unter ihm bot. Aber nichts von alledem war geschauspielert. Dies war echte Emotion, wahres Verlangen. Aoi hatte sich einfach fallen gelassen, war abgetaucht in eine Welt aus Sinnlichkeit, in der es nur sie beide gab. Hattest du jemals Herzklopfen, wenn es nur um Sex ging ... Diese Frage hatte Uruha vorhin gestellt. Gerade hatte Aoi so starkes Herzklopfen wie noch nie in seinem Leben. Wenn er dies durchstehen würde, gäbe es eine neue offene Tür für sie beide, keine Grenzen mehr, dann wäre mit einem Schlag alles möglich. Es ging schon lange nicht mehr nur um Sex. Willig, aber angespannt ließ Aoi sich vorbereiten, biss sich in den eigenen Handrücken. Die Schmerzen, die er spürte, waren wohl die Revanche für jene, die er Uruha beigebracht hatte, als er auf dieser Couch zum ersten Mal ungeduldig und wenig feinfühlig über ihn hergefallen war. Er murrte, aber das Drängen seines Körpers verhieß Uruha weiterzumachen. Das kühle Gel linderte das Ziehen jedoch ein wenig und Aoi kam es nach einer Weile vor, als würde er sich tatsächlich daran gewöhnen. Er wurde mutiger, kam dem Anderen entgegen, gespannt darauf, was ihn erwartete. Und als Uruha den Schlüssel zu seinem Glück gefunden hatte, war Aoi nicht mehr zu halten. Sein Köper bebte vor Erregung. Er wollte mehr. Mit einem simplen „Bitte“ wünschte er die Finger des Anderen aus sich heraus und gewehrte endgültig Einlass. Es war für Uruha nicht einfach, das zu tun, denn auch für ihn war dies ein erstes Mal. Es verlangte ihm alles an Feingefühl und Sensibilität ab, was er aufbringen konnte. Liebeslinguistik ... Liebessprachen. Eine gemeinsame? Darüber hatte Uruha nachgedacht. Jetzt war ihm klar, dass Aoi Recht hatte. Die Sexualität eines Menschen war so vielschichtig und komplex, dass man sie nicht klassifizieren konnte. Nicht einmal in hetero- und homosexuell, nicht in schwarz oder weiß. Dies wäre blanke Anmaßung. Ebenso einmalig wie ein Mensch, wie seine DNS, sein Charakter, jede Zelle war auch dieses. Umso faszinierender der Gedanke, dass zwei Menschen sich allein durch alle fünf Sinne und geteilte Gefühle so auf einander einstellen konnten ... Es ging um Liebe. Es passte einfach. Auf dem Zenit ihrer Leidenschaft verbrannten alle Zweifel an der Zukunft. Und auch die Angst vor dieser. Gemeinsam würden sie alle Hürden aus dem Weg schaffen. Doch nun waren beide vorerst erschöpft, blieben mit rhythmischem Atem aufeinander liegen. Erst als Aoi noch ganz benommen in die Dunkelheit blinzelte, bemerkte er, dass alle Kerzen erloschen waren. Sie waren mit sich und der Nacht verschmolzen ... Kapitel 8: Liebe ist polyglott ------------------------------ Keiyuus Herz setzte zum Galopp an, als ihm sein Herzbube gegenüber saß. Sie unterhielten sich leise im Kerzenlicht, während zwei Eisbecher vor ihren Nasen vor sich hin tauten. Die etwas größere Hand griff nach seiner, umschloss sie sanft und wurde von einem bezaubernden Lächeln untermalt. „Magst du dein Eis nicht?“ „Doch“, widersprach der Kleinere und stopfte sich hastig einen Löffel vom Bananeneis in den Mund. Sein Gegenüber lächelte. Es verging eine ganze Weile, in der sie sich über Hobbys und Familie unterhielten, doch sie bemühten sich Themen wie Arbeit, Touren oder Bandgemeinschaft gekonnt zu umschiffen. Später waren sie sich einig: Sie würden es gemeinsam und miteinander versuchen. Keiyuu wurde geküsst und hatte das Gefühl zu schweben. Die Lippen seines Geliebten wanderten seinen Hals entlang, hin zu seinem Nacken, als er dann ein Kichern vernahm. „Was hast du?“ „Wakashudo“, flüsterte der Brünette und grinste ihm ins Gesicht. „Dieses Honigbild an deinem Nacken ... du hast mit Saga gesprochen?“ „Nein“, widersprach Keiyuu überrascht. „Mit Uruha, aber ...“ Dann ging ihnen anscheinend ein Licht auf. „Das haben sie ja geschickt eingefädelt. Uns beiden diesen Wink mit dem Bild zu geben.“ Ein mit einem feinen Pinsel vorgezeichnetes Honigbild, das dann mit Zimt bestäubt wird, bedeutet die Hingabe eines Mannes zu seinem Liebhaber. Gleichzeitig zeigt es die empfindsamste Stelle des Geliebten. „Mai hat mir geholfen und den Schmetterling aufgemalt“, erzählte der Jüngere und wurde plötzlich sentimental, als er an Mais Auftauchen dachte. Wie sehr ihn die Panik ergriffen hatte. „Ich hatte Angst, dass du mich abweist ... dass du mich ekelig findest, weil ich als Mann in dich verliebt bin ...“ Wieder begann er zu glühen. „Kann denn Liebe Sünde sein?“, sang der andere Sänger ihm auf Deutsch ins Ohr und Keiyuu war verwirrt. Er ließ es sich übersetzen und begann leise zu lachen. „Das ist ein Zitat, nicht wahr?“ „Geflügelte Worte“, antwortete der Ältere und strich sanft über die Schmetterlingsflügel in Keiyuus Nacken. ~~~ „Hast du ihm den Hinweis gegeben?“ Uruha schlürfte aus seiner Kaffeetasse. „Ja, schon ... Irgendwie war es süß, wie er rote Ohren bekam, als ich ihn direkt auf Keiyuu angesprochen habe. Du meinst wirklich, es ist eine gute Idee, sich da einzumischen?“ Saga hatte auch Uruha zuvor von der Liebeserklärung der Samurai erzählt, die ihrem Wunschpartner ihre Liebe mit Hilfe eines kleinen Honigbildes gestanden. Natürlich stellte dann dieses Bild eine Verbindung zum Partner dar. Der Bassist überlegte, wie sich die beiden Sänger wohl schlagen würden. „Selbst wenn es keine gute Idee ist, nun ist es zu spät, Saga ...“ Die Brötchen würden gleich fertig sein, dann konnte er Aoi Frühstück ans Bett bringen. Nach dem gestrigen Abend hatte er kaum schlafen können, zu sehr hatte ihn ihr Treffen aufgewühlt. Zu sehr fürchtete er, dass seine »Sprache« zu langweilig gewesen war, um überhaupt Eindruck bei seinem Liebsten hinterlassen zu haben. Doch wie er so mit offenen Augen neben ihm lag, konnte er seinem Schatz beim Schlafen zusehen, das süße Zucken am Mundwinkel beobachten, die dunklen Wimpern bewundern. Umso mehr wollte er jetzt erreichen, dass es ein schöner Morgen würde, obwohl sie nachher zur Arbeit mussten. Nicht umsonst war er hingegen seiner sonstigen Art früh aufgestanden. In Erinnerung an Aois Körper in seinen Armen begann er zu grinsen. „Du steckst es Keiyuu?“, fragte Saga und schien noch im Bett zu liegen, da er herzhaft gähnte. „Hab ich schon. Gestern Mittag. Irgendwie schien er ... gelöster als sonst, obwohl er so strahlte wie ein Glühwürmchen.“ „Oh“, machte der Bassist am anderen Ende der Leitung. „Meinst du, sie haben sich schon ...?“ „Keine Ahnung.“ Daran wollte er jetzt nicht denken. Doch Aois Arme und Beine waren um ihn geschlungen gewesen und erst danach dachte Uruha wieder daran, dass sie es so noch nie gemacht hatten. Für ihn stand fest, dass egal, wie sie es taten, ihr Zusammensein immer schön war. „Wir werden es ja sehen.“ „Ja, okay“, stimmte Saga zu. „Bis nachher in der Arbeit!“ „Ja, gut.“ Uruha lachte leise, sowieso nicht mehr bei der Sache. „Bis dann – und schlaf noch ein bisschen!“ Er legte auf und verstaute das Handy bereits in seiner Umhängetasche, bevor er die Brötchen und die Erdbeermarmelade vom Markt auf ein Tablett stellte, dazu Orangensaft und Kaffee. Leise schlich er sich zurück ins Schlafzimmer, stellte das Tablett auf dem Boden ab und drehte etwas an der Jalousie, damit schon Tageslicht hereinkommen konnte. Kurz nur holte er sich selbst seine Sojamilch aus der Küche, dann kam er zurück und beugte sich über seinen Partner. Er lächelte und küsste ihn sanft auf den leicht geöffneten Mund. Aoi summte und schmollte. Er öffnete nur ganz zaghaft die Augen – und errötete prompt! „Guten Morgen“, säuselte Uruha und küsste ihn noch ein Mal. „Ha-hab ich verschlafen?“ „Nein, nein, keine Sorge ...“ Uruha richtete sich auf und holte das Tablett, während Aoi sich aufsetzte. Der kleine rote Fleck an seinem Schlüsselbein leuchtete. „Ich wollte dir nur nach der anstrengenden Nacht ein Frühstück anbieten.“ „Ich ... war ich ...?“ Aoi biss sich auf die Unterlippe und sah verlegen weg. „Es hat dir Spaß gemacht, oder?“ Der Jüngere umfasste mit einer Hand Aois Kinn, damit er ihn ansah. „Du musst dich nicht genieren ...“ „Ich geniere mich nicht“, protestierte er prompt und zog seinen festen Freund an sich. „Ich hab nur Angst, dass ich sehr wehleidig war ...“ „Wehleidig? Du?“ Der Leadgitarrist rutschte ins Bett. „Wenn ich mich richtig an mein erstes Mal erinnere, habe ich viel mehr gejammert ...“ „Das bildest du dir ein.“ Aoi schien von seinem eigenen Satz ganz überrascht zu sein. „Du warst so ... wunderschön und deine Augen ... funkelten so. Du hast nicht gejammert – und selbst wenn, dann sind doch die Schmerzen jetzt vorüber, oder?“ „Deine auch?“, erkundigte sich der Andere und wirkte besorgt. Der schwarzhaarige Gitarrist schien zu überprüfen, wie es um seinen Po stand, doch er zuckte zusammen und zischte leise. „Das sollte ich den Tag über vermeiden, oder?“ „Es ist bald vorbei ...“ Uruha küsste seinen Schatz sanft auf die Schläfe. „Du darfst auch auf meinem Schoß sitzen, wenn dir die Stühle in der Cafeteria zu hart sind“, säuselte er dazu und kicherte. „Spätestens dann weiß Ruki Bescheid! Ich würde mich dir in seiner Gegenwart doch nie auf zwanzig Zentimeter nähern!“ „Nicht?“ Enttäuscht verzog der Jüngere seine Lippen zum Schmollmund. „Aber ich muss doch deinen Po vor Angriffen schützen. Was, wenn Saga dir auch einen Klaps geben will?“ Aoi zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. „Erstens, das wird er nicht tun, denn er weiß schließlich von uns, oder?“ Uruha schluckte ertappt. „Und zweitens ...“ Er näherte sich seinem Koi und strich mit seinen Lippen sanft über die des anderen. „Wer schützt mich denn vor deinen Angriffen auf meinen Po?“ Uruha lachte auf. „Niemand, mein Schatz ...!“ ~~~ Ein paar Stunden später betraten sie den Hochgebäudekomplex der PS-Company. Es war alles ruhig. Wie gewohnt, war Kai schon da. Und er lächelte verträumt. „Du hattest wohl einen schönen Abend?“, fragte Aoi nach kurzen Worten der Begrüßung und stellte Kai einen Kaffeebecher vor die Nase. „Schon.“ Jetzt grinste er frech. „Und ihr?“ „Ja ... doch.“ Uruha lächelte breit und hatte auf ein Mal die Haltung eines erwachsenen Mannes eingenommen. „Ja“, antwortete Aoi, bevor er seine Gitarre auspackte und sich – vorsichtig – aufs immer noch recht neue Sofa setzte. „Ach so“, sagte der Drummer und pustete über seinen Kaffee hinweg. „Ihr habt ... eure Gefühle vertieft?“ Aoi begann blinzelnd zu glühen und funkelte seinen Freund böse an, als er noch breiter grinste und bei Kai in die offene Hand einschlug. „Hauptsache, euch geht’s gut!“ „Nicht böse sein, Schatz“, kicherte der Leadgitarrist und warf ihm eine Kusshand zu. Es kam nur ein eingeschnapptes „Hm ...“ Ein Zustand, in den Aoi am Tag in regelmäßigen Abständen geriet, weshalb er von seinem Koi schon seit Längerem manchmal »Schnapp-Aoi« genannt wurde, was dieses Prozedere dann nur noch mehr verstärkte ... „Wag es ja nicht, das Wort mit Sch überhaupt in den Mund zu nehmen ...“ Drummer und Leadgitarrist kicherten, während der andere schon wieder einschnappte. Manchmal war Aoi auch zu empfindlich. Ein Fetzen Musik zerriss das Gespräch. Kai kramte umständlich sein Handy aus der Umhängetasche. Als er auf das Display stierte, wurde sein Gesicht nicht nur durch das fahle Licht der Anzeige blass. Mit zitternden Fingern ging er ran. Die anderen beiden musterten ihn erstaunt und blinzelten sich dann gegenseitig an. „Moshi moshi ...?“ Und weiter sagte er nichts. Ein paar Sekunden lang hörte er einfach zu, dann legte er wieder auf. Leicht unter Schock ließ er die Hand sinken. „Ist alles okay?“, fragte Uruha stockend. „Das war Melody-san... sie will sich gleich ganz kurz mit mir treffen ...“ Mehr brachte Kai in seiner Apartheit nicht hervor. Eine Sekunde später stürmte er aus dem Zimmer und ließ ein baffes Pärchen und besorgte Blicke zurück. Mit sich einfach rumpeldipumpel überschlagendem Herzen flog er großschrittig den Flur hinunter in den Auszug. Die Türen flogen wie ein Theatervorhang auseinander und es kam ein Keiyuu zum Vorschein, der einfach zu niedlich war. Mit rosigen Wangen und umeinander kreisenden Daumen, stand er lächelnd und behütet mit einer schicken neuen Kopfbedeckung in der Kabine und vergaß fast das Aussteigen. Kai konnte ihm nur verwundert nachschauen. Der Kleine schien in einer Liebesblase zu schweben. Der Vorhang schloss sich wieder und die Situation ließ nur ein schwaches Kai-Smiling zu. Aber dafür ein ernst gemeintes. Er freute sich für den anderen. Und musste gleichzeitig an den vergangen Abend mit Miyavi denken, der ihn in seiner Wohnung überrascht und ... vernascht hatte ... Er hatte sich so gut gefühlt. Es hatte sich so göttlich glückrauschend angefühlt, und sie hatten stundenlang geredet – und waren sich danach einig gewesen, sich nicht aufzugeben ... Es war wie in einem Traum gewesen. Doch war dies nun das böse Erwachen? Was um alles in Drei Königs Namen wollte jetzt diese Frau von ihm? Ihm ein schlechtes Gewissen einreden? Ihm sagen, wie schändlich er sich verhielt, wie unschicklich es war ihren Mann zu verführen und genau zu wissen, dass sie alles wusste? Erschreckend, wie lang eine Fahrstuhlfahrt sein konnte. Bing, und wieder glitten die Türen auf, und Kai schaute mit stockendem Atem in das Foyer mit der großen Glasfassade. Es wuselten Menschen wild umher, aber das geschäftige Treiben versperrte dem Drummer keineswegs den Blick auf den schönen Rücken der langhaarigen Frau, die ihn seit Monaten um sein Liebesglück brachte. Eine Sekunde länger, und er hätte einfach auf den Knopf mit den zwei aufeinanderzeigenden, eckigen Klammern gedrückt, und der Vorhang seiner Schmach hätte sich wieder geschlossen; das Drama wäre perfekt gewesen. Doch Kai würde die letzte Nacht nicht zu seinem retardierendem Moment werden lassen. Das war er seinem Glück und seinem Herzen schuldig. Dies hier würde kein Drama werden! Selbstsicher stieg er aus und folgte seinen Füßen, die ihn unaufhaltsam zu dieser Person brachten. Er hatte die Konfrontation mit ihr schon immer gescheut. Mit ihr zu Reden war sehr unangenehm für ihn. Wahrscheinlich beruhte dies auf Gegenseitigkeit. Kai räusperte sich. „Melody-san?“ Sofort drehte sich die junge Frau mit der braunen Handtasche nach ihm um und stand auf. „Kai-san“, hauchte sie ungläubig. Scheinbar hatte sie gedacht, der Drummer würde nicht kommen, da er ihr am Telefon nicht geantwortet hatte. Ängstlich funkelten beide einander an und schienen fast gleichzeitig zu schlucken. „Sie waren gestern bei meinem Ehemann ...“ Diese Wortwahl allein kam Kai vor wie eine Ohrfeige - aber scheinbar ungewollt - wie er an Melodys Mimik erkennen konnte. „Er hat mich besucht, ja“, antwortete er dann etwas selbstbewusster. Sie nickte. Warum nickte sie? Tief holte sie Luft. „Ich weiß ... dass mein Mann Sie liebt, Kai-san. Aber ich bin und bleibe seine Ehefrau, die Mutter seiner Tochter, und ich liebe ihn auch.“ Danke für diese knappe Zusammenfassung dessen, was diese Affäre in aller Gänze zu einer Sünde machte, für die man nur in der Hölle landen musste. Konnte denn Liebe Sünde sein? Warum kam ihm plötzlich dieser alberne Schlager in den Sinn? „Ich weiß aber auch“, fuhr Melody nach ein paar Momenten des weiteren Sammelns fort, „dass Sie meinen Mann genau so sehr lieben wie ich. Dass ich eigentlich ein Störenfried war, der in diese Liebe eindrang. Aber ich ... ich kann nicht ... Ich kann ihn nicht aufgeben, ebenso wenig wie Sie.“ Kai nickte. „Ich weiß, was Sie meinen. Auf eine seltsame Art und Weise haben wir das wohl gemeinsam.“ Sie stimmte ungesagt zu. „Kai-san ... weswegen ich eigentlich hier bin ...“ Der Bandleader von The GazettE merkte ihr an, dass sie die ganze Nacht über die Situation nachgedacht hatte. Sie hatte eine Entscheidung getroffen: „Ich werde Ihre Beziehung mit meinem Mann dulden.“ Sie blickte ihm eindringlich tief in die Augen. „Ich ... kann für ihn lediglich der Tag sein ...“, vorsichtig kam sie auf ihn zu und nahm seine zitternde Hand, „Aber nur Sie ... sind seine Nacht.“ Einen Moment blieb die Zeit wie eingefroren stehen, die Zeiger rührten sich nicht, Kais Atem setzte aus, sein Herz. In einer edlen Geste verbeugte sie sich tief vor ihm und legte ihre Stirn auf seinen Handrücken. Respekt, Vergebung, Anerkennung. „Bitte, bitte dulden Sie auch mich an seiner Seite ... Das ist alles, was ich mir wünsche.“ In diesen Sekunden konnte Kai mehr denn je verstehen, warum sie Miyavi so verzaubern konnte. Sie war der Inbegriff einer liebenden, ehrlichen, japanischen Frau. Ihr unsicherer Blick traf ihn, als sie sich wieder aufbewegte. Erst jetzt bemerkte er, dass auch ihre Hand furchtbar zitterte. Er legte seine Andere darauf, um sie zu wärmen, da sie auch sehr kalt war. Kalt vor Angst. Das war seine simple Antwort, untermalt mit einem wahren Kai-Lächeln. Eine leichte Röte schlich sich in ihr Gesicht, weil ihr gerade bewusst geworden war, dass sie das hier in aller Öffentlichkeit taten und einige der freien Mitarbeiterinnen schon schmachtend stehen geblieben waren, weil sie eine große Liebesgeschichte ebenso wie einen Skandal witterten. Zum Glück konnte niemand so richtig verstehen, worüber sie sprachen. Bis auf einen: Saga. Er saß mit seiner Sonnenbrille getarnt (seine Augenringe waren heute wieder aller erste Sahne) hinter der überlebensgroßen Yukka-Palme und durchblätterte seine Zeitung. Unfassbar, wie interessant die Nachrichten heute wieder waren ... „Wakashudo überall“, grinste er frech in sich hinein. „Wenn man nicht immer auf der Hut ist!“, stieß Uruha aus und Saga zuckte aus seiner coolen Haltung heraus zusammen. Feine blonde Haare wippten hinter dem Kranz einer weiteren Yukka-Palme hervor, dann erschien ein Arm, ein Bein und schließlich der ganze Körper des schlanken GazettE-Leadgitarristen. Kamikaze-Kaito-Uruha hatte es wieder geschafft, unentdeckt zu bleiben und dabei auch noch Informationen zu erhaschen. Mit Schwung schmiss er sich neben Saga auf die Wohnlandschaft und blieb lässig sitzen. Ganz ohne Tarnung setzte sich Aoi dazu und lächelte über seinen Liebhaber, der so breit grinste, dass er Kai fast Konkurrenz machte. Ihr Leader selbst stand noch immer Melody-san gegenüber, von der er sich gerade verabschiedete. Die junge Frau drehte sich um, nahm ihre Umgebung wahr und lächelte Aoi an, nickte ihm zu und verließ entlasteter als noch vor wenigen Wochen das PS-Company-Gebäude. Auch Kai sah erleichtert aus und näherte sich ihnen strahlend, das ließ seinen alten Freund ebenso froh der Zukunft entgegenblicken. Wie auf Zuruf läutete Kais Handy erneut und meldetet eine eingehende SMS an. Das kleine Wort auf dem Display verriet ihm auch gleich, dass diese Kurznachricht von Miyavi stammte. »War sie schon bei dir? Ich hab in Ruhe mit ihr geredet und ich hoffe, du bist einverstanden. Bin auf dem Weg zu dir. Ich liebe dich«, stand dort und Kai konnte sich nicht mehr einkriegen. Er war irgendwie erleichtert und irgendwie auch nicht. Aber daran wollte er jetzt nicht denken. Durch die Drehtür, durch die Melody hinausgetreten war, kamen nun ein telefonierender Reita und ein nebenhertrottender Ruki herein. „Du sollst doch nicht ... nein, nein, du gehst nicht mit dem Schraubenzieher an den Toaster! Warte, bis ich wieder da bin!“ Reita lauschte seinem Gesprächspartner und seufzte dann. „Ich bring einen neuen mit ... aber zieh erst den Stecker, bevor du das Armband rausholst ... Ja, ich hab dich auch lieb.“ Ein süßes Lächeln trat auf seine schmalen Lippen. „Ja ... ich freu mich auf dich! Bis heute Abend!“ Er legte auf und schob sein Handy in die rechte Gesäßtasche. „Morgen, alle zusammen! Gibt es nen Grund, warum alle hier unten sind und nicht oben?“ „Reiner Zufall.“ Saga lächelte und faltete seine Zeitung zusammen, bevor er sein Handy zückte, kurz darauf herumtippte und es dann wieder wegsteckte. „Tora ist gleich hier“, sagte er zu Uruha, der überrascht nach Luft schnappte. „Meinst du nicht, ihr solltet ein kleines Coming-Out veranstalten?“ „Du!“ Der Gazetto kniff die Augen zusammen. „Du wagst es nicht ...!“ „Ich nicht“, erklärte der alice nine.-Bassist und verkniff sich sichtlich das Lachen. „Er hat es schon gewagt!“ Mit ausgestrecktem Zeigefinger deutete er auf Takeru, der beladen mit einem Donutpäckchen Chiyu hinterher dackelte. „Wovon redet ihr denn schon wieder?“, meldete sich endlich Ruki zu Wort und sah sich verwirrt um. „Was hab ich schon wieder nicht mitbekommen?“ Keiyuu sprang aus dem Fahrstuhl, machte Takeru und Chiyu Platz und kam grinsend auf die Wohnlandschaft zu. Die Empfangsdamen beobachteten verwirrt das Treiben der Musiker, die sich gerade im Foyer versammelten. „Guten Morgen!“, strahlte er und gab Uruha und auch Saga ein Küsschen. „Ich – nein, wir danken euch für eure Hilfe!“ „Immer wieder gern. Ach ja!“ Uruha griff in seine braune Umhängetasche und holte ein kleines Kästchen hervor, das er dann dem Kra-Sänger übergab. „Ich habe es extra unter Verschluss gehalten. Und ich denke, gleich hat sich das mit der Geheimhaltung eh erledigt.“ „Danke“, grinste der Sänger und drückte das Kästchen an sich. „Wo ist dein Schatz?“, fragte Saga und ignorierte wie alle anderen Rukis Proteste. „Oh, er kommt gleich, muss sich kurz abmelden.“ In diesem Moment trat Tora aus dem Fahrstuhl, weil er sein Auto immer in der Tiefgarage parkte. „Yo, Leute! Was gibt’s, Saga, dass ich mich so beeilen sollte?“ „Wenn du die beiden Gazetto-Gitarristen anguckst, was denkst du dann?“, holte Saga aus und verschränkte die Arme vor der Brust, als wisse er alles und niemand könnte ihm etwas anhaben. Kai und Reita sahen sich an, nickten. Ruki war verwirrt. Keiyuu strahlte. „Was? Aoi und Uruha? Das weiß ich doch schon seit drei Tagen!“, schmollte Tora und seufzte tief. „Und ich dachte, du hättest was Neues für mich!“ „Woher?“, fragten Aoi und Uruha geschockt im Sprechchor. „Und was denn?“ Anscheinend war es einfach nicht Rukis Tag ... Von allen unbemerkt war Jemand auf die Truppe zugekommen und hielt nun Ruki sein Handy vor die Augen, wo der Sänger auf den ersten Blick nur den Twitter-Seitenaufbau erkannte, dann holte er seine Brille hervor und las den Eintrag des Users T-chan, der gegen die Mittagszeit vor drei Tagen verfasst worden war: A und U von G sind zusammen. Ich freue mich für sie! „Ihr seid zusammen?“ Ruki rutschte die Lesebrille von der Nase, als er den Kopf hob, um Aoi und Uruha zu fixieren. „Und ihr habt es gewusst?“, richtete er nun seine Frage an Kai und Reita. „Warum habt ihr mir nichts gesagt?“ „Ähm ... es sollte ... noch geheim bleiben, eigentlich ...“ Aoi linste zum anderen Bassisten hinüber und legte seinen Arm wie zufällig hinter Uruha auf die Couchrückenlehne. „Seid Takeru nicht böse.“ Saga kicherte. „Er hat sich so sehr darauf gefreut. Und er hat euch ne ganze Menge Arbeit abgenommen. Fast die ganze PSC weiß es.“ Das Handy verschwand aus Rukis Sichtfeld, Schritte näherten sich dem Kra-Sänger, der lächelte und nach der Hand des dritten Sängers griff. Kai, Reita, Ruki, Tora und auch Aoi beobachteten diese Handlung mit Erstaunen. Isshi lächelte und hob die freie Hand zum allgemeinen Gruß. Und sofort ging das Gebrabbel los. Wieso, woher, seit wann und überhaupt wie? Ruki konnte nur sehr schwer damit leben, dass er mal wieder der Letzte war, der eine Neuigkeit erfahren hatte. Nach ganzen zehn Minuten zogen sich seine Schmolllippen zurück und er begann zu grinsen: „Aber das mit Reita und seiner Schnitte wusste ich zuerst!“ Der Leadgitarrist seufzte tief und berührte Aois Oberschenkel, der gleich darauf seine Hand auf Uruhas Schulter legte. Der fuchsblonde Gitarrist sah seinen Freund an, betrachtete sein Gesicht, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen. Jedes Mal sah er neue Dinge an ihm, neue Dinge, in die er sich verlieben konnte. Aois Augen leuchteten, seine Atmung beschleunigte, seine Mundwinkel zuckten. Der Ältere kicherte kurz, beugte sich zu Uruhas Ohr und flüsterte: „Ob wir einen neuen Platz für unsere sündigen Aktivitäten finden?“ Uruha lachte. Er war dem Schicksal unglaublich dankbar! ~~~~~ Jeder kleine Spießer macht das Leben mir zur Qual, denn er spricht nur immer von Moral. Und was er auch denkt und tut, man merkt ihm leider an, dass er niemand glücklich sehen kann. Sagt er dann: Zu meiner Zeit gab es so was nicht! Frag' ich voll Bescheidenheit mit lächelndem Gesicht: Kann denn Liebe Sünde sein? Darf es niemand wissen, wenn man sich küsst, wenn man einmal alles vergisst, vor Glück? Kann das wirklich Sünde sein, wenn man immerzu an einen nur denkt, wenn man einmal alles ihm schenkt, vor Glück? Bruno Balz Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)