Liebeslinguistik von Himi_und_Nami (aoianisch*urupäisch + urupäisch*aoianisch) ================================================================================ Kapitel 3: Oxymoron - Schöne Scheiße ------------------------------------ „Aoi ...“ Uruha fühlte sich unwohl, wenn er nichts sah. Aoi hatte ihm eine Augenbinde angelegt, nachdem sie ins Auto gestiegen waren und bevor sie die Tiefgarage verlassen hatten. Seit mindestens einer halben Stunde fuhren sie schon durch die Gegend und er hatte komplett die Orientierung verloren. „Hm?“ Endlich reagierte er auf seinen Namen. „Wo sind wir?“ „Du wirst es gleich erfahren. Hast du eine Idee?“ „In deiner Wohnung?“ „Iie.“ „Meine Wohnung?“ „Iie.“ Uruha überlegte. Ihm kam ein Gedanke, er zögerte. „Na?“ „Bei Reita.“ „Das ist ja gar keine Frage.“ „War das nicht deine Idee? Dass ich mich von Reita durchnehmen lasse? Deswegen wusste er doch auch von uns.“ Einen Moment lang war es still. „Du meinst, er weiß wirklich Bescheid?“ „Also hast du ihn nicht um ein Sex-Date gebeten?“ „Nein, wieso sollte ich? Außerdem weiß ich doch gar nicht, ob dir das gefallen würde.“ „Sex mit Reita? Keine Ahnung. Abgesehen von dem Bild, das du Tora in den Kopf gemalt hast, hab ich nie darüber nachgedacht.“ „War ich doch so laut und deutlich?“ Aoi kicherte. „Alle, die da waren, wissen es jetzt.“ Uruha machte eine Pause. „Würde es dich anturnen, uns dabei zuzusehen?“ „Zusehen allein macht doch keinen Spaß – aber fürs Erste wärs, glaube ich, ganz aufregend.“ „Du willst mit Reita schlafen.“ „Hm ... nicht direkt.“ „Wie denn dann?“ „Verrätst du mir noch etwas, bevor wir da sind?“ Er lenkt ab, dachte Uruha mürrisch, ließ Aoi aber noch mal entkommen. „Was denn?“ „Was meinte Reita mit dem Skandal an seiner Schule?“ Der Leadgitarrist seufzte. „Eine seiner Lehrerinnen hatte ne Affäre mit einem ihrer Schüler. Reita war schrecklich. Drei Monate lang nur eklig zu Frauen, sogar zu meiner Mutter und meinen Schwestern.“ „Was war passiert?“ Ein Schulterzucken. „Er war verknallt und total scharf auf sie.“ „Die Lehrerin?“ Uruha nickte. „Er war gerade erst sechzehn geworden und hielt sich für alt genug, um ne Beziehung mit einer reifen Frau anzufangen. Sie war allerdings anderer Meinung. Zwei Wochen nach seinem Geständnis hat er erzählt, sie würde mit einem Schüler schlafen. Das war seine Rache.“ „Er hat also gelogen?“ „Nein. Der Typ war fünfzehn. Sie sollte nie wieder erzählen, für Liebe könnte man zu jung sein.“ Aoi zuckte zusammen, ohne dass er es beeinflussen konnte. Dieses eine Wort erschreckte ihn, wenn es aus Uruhas Mund hörte. Hoffentlich hatte dieser nicht bemerkt. Natürlich nicht, er sah ja nichts. „Bist du jetzt zufrieden?“ „Hm, womit?“ „Mit Reita. Hast du genug Infos?“ Er dachte also immer noch, er wolle Reita als Dritten in ihre Runde holen. „Ja, aber wir fahren trotzdem nicht zu ihm. Wir brauchen erst Verstärkung, wenn uns langweilig wird – Das wird noch lange nicht passieren!“ Eine seiner Hände verließ das Lenkrad und streichelte Uruhas Oberschenkel. Der Brünette lächelte irgendwie erleichtert. „Sind wir jetzt bald da?“ „Ja, noch zwei Mal abbiegen, dann ist alles in Ordnung.“ Sie bogen noch zwei Mal ab und Uruha hatte das Gefühl, Aoi parkte auf einem relativ großen Parkplatz ein. Er hörte sein Aufseufzen. „Ich nehm dir jetzt die Augenbinde ab. Das ist für mich selbst gerade etwas aufregend.“ „So soll es doch sein“, warf Uruha ein. „Aber ich weiß nicht, was du hierzu sagst ...“ Uruha hielt die Luft an, als er es tat, und mit geöffneten Augen beobachtete er ihre Umgebung. Dieses Mal war es an Aoi, die Luft anzuhalten. Der Parkplatz war etwas kleiner als erwartet, die Nummernschilder der Autos waren abgehängt. „Aoi ... das ...“ „Ja?“ Der ältere Gitarrist leckte sich die Lippen vor Aufregung. „Ist es das, was ich denke, das es ist?“ Aoi lenkte Uruhas Blick in Richtung eines kleinen leuchtenden Schildes. „Ein Love-Hotel?“ „Zu öffentlich? Zu abwegig?“ Uruha schüttelte den Kopf und wurde rot. „Ich kenn mich nur nicht damit aus. Ich war noch nie in so einem E-eta ... Etablisse-ment.“ „Hast du was?“, fragte Aoi überrascht und sah sich um. „Iie, ich dachte nur, ich hätte ein bekanntes Auto gesehen, aber das denkt man hier wahrscheinlich bei jedem Zweiten, was?“ Uruha lachte nervös. Aoi schien wie ein kleiner Hund die Ohren anzulegen. „Wenn du nicht willst, fahren wir wieder ...“ „Nein, ich will wirklich – ich bin nur aufgeregt.“ „Ich auch“, gestand Aoi leise und wünschte sich, er dürfte ihn jetzt küssen, damit er der Situation die Anspannung nehmen konnte. „Lass uns reingehen, hai?“ Er schnallte sich ab und stieg aus. Uruha machte es ihm nach, das Auto wurde abgeschlossen. Dankbar, dass der Jüngere wenigstens das zuließ, gingen sie Händchen haltend in das mehrstöckige Gebäude. Dort war der Empfang wie in jedem normalen Hotel. Aoi wickelte die Geschäfte ab, sodass Uruha sich umsehen konnte. Das Gefühl, hier in einem Stundenhotel zu sein, erschien ihm etwas befremdlich, weil er sich nie für diesen Typ Mann gehalten hatte. Die Angestellten dachten sich sicher nichts mehr dabei, aber Menschen verurteilten so leicht ihre Mitmenschen, obwohl sie das Gleiche taten ... Aoi tippte ihm auf die Schulter und lächelte freundlich. Gemeinsam benutzten sie einen verspiegelten Fahrstuhl, an dessen Scheiben Finger- und auch Körperabdrücke zu erkennen waren. „Mir wird ganz schlecht, Aoi ...“ „Bekommt dir das Fahrstuhlfahren nicht mehr?“ „Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist ...“ „Lass uns zumindest kurz reingucken, okay?“ Aoi lächelte aufmunternd und drückte Uruhas Hand. „Wenn es dir zu unangenehm wird, düsen wir wieder ab.“ „Hai ... arigatou, Aoi ...“ Seine Stirn kräuselte sich verdächtig, dass Aoi ihn auf die Wange küssen musste. Uruha kicherte, weil es kitzelte, und gab ihm einen kleinen Schubs gegen die Brust. In diesem Moment glitten die Fahrstuhltüren auseinander und ein langer Flur tat sich vor ihnen auf. Dort stand ein Pärchen an die Wand gelehnt, sich küssend und streichelnd – als gäbe es keine Überwachungskameras. „Die haben es wohl nicht mehr aufs Zimmer geschafft“, flüsterte der Rhythmusgitarrist und grinste. Sie sahen nichts von Gesichtern oder Mündern, doch sie hörten die eindeutigen Schmatzgeräusche, die beim Küssen entstehen. Aoi und Uruha näherten sich dem Pärchen, sie hörten und sahen immer mehr. Die größere Person ließ ihr Knie zwischen die Beine der anderen wandern, sodass diese aufstöhnte und sich in die kurzen Haaren des Partners krallte. Beide stöhnten. Beide männlich. Der Größere ließ von den Lippen ab und vergriff sich am weißen Hals des Anderen, der daraufhin beide Arme um die Schultern schlang und die Augen zusammenkniff. Die beiden Gitarristen waren nicht viel weiter gekommen. Kai. Kai machte mit einem Kerl auf einem Love-Hotel-Flur rum. Aoi zog an Uruhas Hand, denn dummerweise mussten sie weiter, ihr Zimmer lag hinter Kai und seinem Lover. Dicht aneinander gedrängt schienen sie nichts mehr von der Außenwelt mitzubekommen, denn jede weitere Bewegung war fließend und wie einstudiert. Kai zog seinem Partner Mantel und Oberteil vom Leib und Aoi war es, der sich auf die Zunge beißen musste, um nicht laut zu werden. Die Tätowierungen auf dem leicht gebräunten Körper waren unverkennbar. „Miyavi-kun“, flüsterte Uruha schockiert und sah zu Aoi herüber, der die Lippen aufeinander presste und zu knurren begann, woraufhin er den Älteren an sich zog. In der Zwischenzeit hatte wohl auch das fummelnde Pärchen die Gitarristen bemerkt. Kai stellte sich sofort mit wütendem Blick zwischen die Gitarristen seiner Band und den Solokünstler. Jeder von ihnen hatte wohl noch das Bild im Kopf, als Miyavi Knall auf Fall bekannt gegeben hatte, die PSC zu verlassen. Aoi war so ausgerastet, dass ihn Reita und Kai nur zusammen haben zurückhalten können, um nicht auf den anderen Gitarristen loszugehen. »Und vor uns und den Fans spieltest du noch heile Welt! Im Nachhinein hat jeder gesehen, dass du schon zur Peace&Smile Carnival-Toru geplant hattest zu gehen! Du hast uns und die Fans verraten!« Miyavi hatte damals wie heute nicht anders reagiert. Er schämte sich und zog die Schultern ein, als hätte man ihn angeschrieen, obwohl alle stumm waren. „Ihr ...“ Kai grollte. „Ist Ruki auch hier? Wollt ihr alles sofort herausfinden, ja?“ Aoi und Uruha waren sich nicht sicher, worauf ihr Drummer hinauswollte. „Ihr seid uns gefolgt, oder? Jetzt wisst ihr es ja: Takamasa-kun und ich sind zusammen!“ „Darum geht es ihnen gar nicht, Kai-kun“, erhob Miyavi das Wort und benutzte seinen Künstlernamen, weil er keinen Unterschied zwischen Kai und Yutaka Uke kannte. „Sie sind nicht wegen uns hier. Habe ich Recht, Aoi-kun?“ Und es war wie immer: Miyavi kombinierte clever wie nie, durchschaute und erkannte Absichten. „Ihr seid zusammen. Wurde aber auch Zeit!“ „Wir sind nicht zusammen!”, platzte es aus Uruha heraus, ohne dass er darüber nachgedacht hatte, noch Aois Zucken bemerkte, der gerade wie von einem Blitz durchzogen aufschreckte. Der Rhythmusgitarrist konnte das Gefühl gar nicht beschreiben, auch nicht begreifen, dass sich eben wie ein Pfeil in sein Herz gedrängt hatte, als der Jüngere abrupt seine Hand los ließ. „Also seid ihr uns doch nachgekommen?” Kai bebte jetzt noch mehr als gerade eben. „Iie, wir haben ein Geheimnis, ihr habt ein Geheimnis ... Ist doch alles klar, oder?“ Aoi hatte sich arg zusammengerissen und sein Blick schien Miyavi förmlich aufzuschlitzen - Der Dunkelhaarige aus Mie überspielte seine Schwäche. „Du hast dich also immer noch nicht beruhigt ... Aoi-san ...“, ließ Miyavi hören. Er war nachdenklicher geworden, viel mehr als früher. „Du hast dich ja auch noch immer nicht entschuldigt“, bekam er die Retourkutsche, die ihn aber wenig überfahren hatte. „Du kannst froh sein, dass mir Kai so sehr am Herzen liegt ... Ich denke, Melody-san würde das hier bestimmt interessieren ...“ „Aoi, tu das nicht ...“, fing Kai an zu flehen und auch Miyavi starrte ihn entsetzt an. „Wie gesagt, dein Glück bedeutet mir unheimlich viel, deshalb werde ich nichts ausplaudern und hoffen, dass er“, er deutete auf den Solokünstler, „den Schneid besitzt, sich selber an den Galgen zu bringen ... Wenn ich Melody-san wäre, würde ich es auch nicht von einem Ex-Arbeitskollegen meines Mannes hören wollen ...“ Uruha schaute besorgt zu seinem Liebhaber herüber. Er hatte das »Ex« so unsagbar schwer betont, dass ihm ein Schauer übergekommen war. Er wusste nicht einmal, ob Aoi wütend wegen dieser Affäre war, oder wegen Miyavis plötzlichem Ausscheiden aus der PSC ... oder weil er damals schlicht nichts gesagt hatte und einfach gegangen war ... Aber Uruha konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn er wurde zurück zum Aufzug gezogen. „Komm, Ruha, wir fahren wieder ...“ „H-Hai ...“ Der Leadgitarrist warf noch einen mitleidigen Blick zu ihrem Drummer herüber, welcher sagte: Es tut mir Leid. Doch Kais traurige Augen pressten sich wie ein Schraubstock um sein Herz. Die ganze Zeit über im Fahrstuhl und auf dem Weg nach draußen hatte Aoi kein Wort gesagt. Er hatte das Auto aufgemacht und weder Uruha noch irgendjemanden sonst eines Blickes gewürdigt. Die Sonnenbrille auf seinem Gesicht ließ keinen Schluss darüber zu, in welchem Zustand er sich befand. Seelenruhig fuhr er wieder vom schlecht geschobenen, vereisten Parkplatz und schlängelte seinen Weg zurück durch die Stadt. Doch dann bog er ganz unerwartet ab und auf eine viel befahrene Bundesstraße. „Wo willst du hin?“, fragte Uruha sofort aufgeregt. Er bekam keine Antwort. „Aoi?“ Es brachte nichts. Nach anderthalb Stunden war Aoi schließlich auf den Verzögerungsstreifen der Abfahrt gefahren und noch eine ganze Weile weiter, bis sie schließlich in eine schlecht geräumte kleine Zufahrtsstraße zu einem Ort namens Oshinagawa, den beide überhaupt nicht kannten, einbogen. Links und rechts hatte sich der Schnee, der in den letzten Wochen gefallen war, unerbittlich aufgetürmt. „Aoi ... hier ist es zu gefähr-“ Aoi bremste wie von der Tarantel gestochen. Das Auto drehte sich leicht, da es sehr glatt war. Plötzlich standen sie irgendwo im Nirgendwo. „Was ist denn?“, Uruha krallte sich als Schutzreflex an der Armatur des Wagens fest, auch als der blaue Nissan Almera mit Kansai-Kennzeichen schon längst stand. Es klickte, Aoi hatte sich abgeschnallt, während die Bordelektronik ein Signal gab, dass die Zündung ausgeschaltet wurde. Nun war es dunkel. „Aoi ...?“ Uruha hörte, wie der Andere tief seufzte, so dass er mehr als nur ahnen konnte, dass er gleich ausbrechen würde wie ein Vulkan. „Verdammt!!“ Ein dumpfer Schlag gegen die Lüftungsanlage folgte - Uruha hatte Recht behalten. „Dieser Scheißkerl, was denkt er sich dabei!?“ Der Jüngere war unter Aois Lautstärke in seinem Sitz zusammen geschrumpft. Er spürte einen Hauch der Kälte, der nicht nur von dem erbarmungslosen Donnern in der Stimme seines Freundes herrührte. Wind war aufgekommen und das leise Zwitschern auf der Frontscheibe ließ Uruha wissen, dass es auch wieder angefangen hatte zu schneien. Doch er versuchte das jetzt zu ignorieren. „Bitte beruhige dich ...“ „Ich war die ganze Zeit ruhig, verdammt!“ Uruha hatte die Augen zusammengekniffen, als Aoi ihm direkt ins Ohr schrie. „Ich kann das nicht verstehen! Er hat Frau und Kind zu Hause und macht so eine Scheiße ... Was soll das denn ...? Ich dachte, er wäre glücklich!“ Ungehalten trommelte Aoi auf dem Lenkrad. Ein leiser Ton der Hupe war zu hören, als er die Signalanlage beinahe getroffen hätte. Er war außer sich vor Wut. „Was soll das denn? Lass dein liebes Auto heil! Du tust dir noch weh“, versuchte Uruha die Handgelenke des Anderen zu fassen zu kriegen, woraufhin Aoi tatsächlich aufhörte, obwohl es nicht gelungen war. „Warum?? Und warum zieht er Kai da mit rein?“ „Weil er ihn liebt ...“ „Aber er liebt seine Frau doch auch ... und Lovelie-chan ...!“ „Hai ...“ „Ich kann so was nicht ab! Ich hasse sowas ... Wenn wir zusammen wären, dann würde ich dich nie betrügen!“ Mit einem Mal war es wieder still in der Fahrgastzelle ... Uruha wurde ein bisschen rot und Aoi schien erst nach ein paar Sekunden zu begreifen, was eigentlich in ihm los war. Er war wütend. Er war überfordert. Er war unsagbar traurig ... Uruha hatte ihn zurückgewiesen ... Die ganze Zeit über hatte er gehofft, geglaubt und gebetet. Aber was hatte er erwartet?! Uruha hatte ganz klipp und klar gesagt, dass er niemanden küssen würde, in den er nicht verliebt sei. Und er hatte ihn nie geküsst. Nicht in einer einzigen Nacht, in der er ihm näher war, als nie ein Mensch vorher. Uruha gab sich ihm hin, doch er würde niemals ihm gehören ... Sie waren so oft verschmolzen und doch nie eins geworden ... Sie waren ständig zu zweit und trotzdem allein ... - ein Spiel ohne Gefühle, hm? Er presste die Augen auf die ledern behandschuhten Fäuste, die immer noch geballt am Lenkrad lagen. Er musste sich jetzt wieder zusammenreißen, sonst würde Uruha noch was merken ... „Entschuldige“, sagte er dann wieder ruhig und lehnte sich an Uruhas Schulter. „Mein Vater hat nur auch mal so ein Ding gebracht ... Seitdem reagiere ich empfindlich auf so was ...“ „Ist schon gut“, murmelte Uruha und strich dem Anderen kurz über die Wange. Dann legte Aoi den Schlüssel wieder um, das Auto startete und das Licht ging wieder an. Nachdem er sich wieder angeschnallt hatte, versuchte Aoi umständlich umzudrehen und schaffte es geradeso, ohne in den Graben zu rutschen. Er war ein guter Fahrer, aber mit Schnee hatte man in seiner Heimatpräfektur Mie nie etwas am Schaffen gehabt. Die Beiden schafften es mit Tempo dreißig zurück auf die feste Straße und damit nach Hause ... Doch sie sprachen kaum ein Wort miteinander ... ~~~~~ Aoi hatte sich krank schreiben lassen. Seit Tagen war er nicht in der Arbeit gewesen. Uruha hatte er eine dicke Erkältung vorgeheuchelt und ihm dann verboten ihn besuchen zu kommen. Er sollte sich nicht anstecken. Auch Kai sprach herzlich wenig mit ihm, scheinbar hatten sich alle gegen ihn verschworen ... Resignierend saß Uruha auf der Couch im neuen Proberaum, der ihm immer noch seltsam fremd vorkam. Er fragte sich, warum, aber klar ... es roch nicht nach Marlboro und auch nicht nach Aois Parfum ... Besuchsverbot hieß Sexverbot ... Wie konnte ihm der Andere so was antun?! Ihm musste es wirklich schlecht gehen, schließlich wusste Uruha genau, wie sehr Aoi ihre schlüpfrigen Pauseneinheiten genoss. Aber der Leadgitarrist hatte sich so sehr an die entstandenen Sexkapaden gewöhnt, dass er jetzt richtig unruhig wurde ... Er stand seit Tagen unter Strom, denn Aoi fehlte schon fast zwei Wochen. Er murrte wie eine rollige Katze, ihn stach der Hafer ... „Ruha!“, klatschte Ruki ihm einen Beutel mit alten Aufnahmen von hinten gegen die Brust. Er zuckte zusammen, hatte den Sänger nicht kommen hören. „Bring das ins Archiv!“ „Hör ich da noch ein Wort mit Doppel-T?!“, motzte er zurück, Rukis schnippische Laune konnte er jetzt gar nicht gebrauchen. „FloTT!“ „Pff ... Schwachmat ...“ Damit erhob sich Ruha wie eine Diva und stolzierte zur Tür heraus, eh Ruki was erwidern konnte. Ja, Uruha war neuerdings unerträglich, wenn er seinen Entspannungssex nicht bekam. Woher kam das eigentlich? Er war doch früher nicht so gewesen ... Ganz klar. Aois Schuld. Er hatte ihn verdorben, mit seinen heißen Spielen und dem Blick aus Nitro-Glyzerin. Der Mann war einfach pures Dynamit - wenn er nicht gerade mit ein bisschen Schnupfen und Fieber im Sterben lag ... Argh, es war zum Mäuse melken! Je mehr er an Aoi dachte, desto mehr brauchte er es jetzt. Was sollte er machen? Trotzdem zu Aoi fahren und ihm eine Hühnersuppe mit scharfem Beigeschmack bringen? Ach, das würde eh nur dazu führen, dass Aoi die Suppe an der Tür entgegennehmen, sich bedanken und dann Ruha unverrichteter Dinge wieder abziehen lassen würde. Ne, ne ... Dann wäre er nur nich frustrierter ... „Autsch.“ „Oh ... Entschuldigung bitte ...“ Hey ... der neue Mitarbeiter vom Firmenkolleg. Uruha blinzelte. Wow ... was ein Typ ..., dachte er nur. Von dem ließ man sich doch gerne auf dem Flur über den Haufen rennen. „Haben Sie es immer so eilig ...?“ Ups ... Uruha hätte diesen flirtenden Unterton lassen sollen. Wie peinlich ..., dachte er und lachte den größeren Mann im Anzug künstlich verlegen an. Denn zu allem Überfluss stieg der Typ auch noch voll auf die Nummer ein. „Ach, ich kanns auch vorsichtig und langsam ...“ Dieses Grinsen war so rasiermesserscharf, dass Uruha auf der Stelle ganz anders wurde. „Na ... anscheinend ist Ihnen heute nicht danach ...“, kokettierte er zurück. „Stimmt ... scheinbar nicht ...“ Holla ... Er hatte den Kleineren gerade übelst taxiert. -Regelrecht ausgecheckt ... Uruha rann ein wohliger Schauer über den Rücken. Er hatte nicht eine Sekunde gebraucht, um zu registrieren, dass Ameda-san a) zu allem bereit war, b) das auch noch zu jeder Zeit und an jedem Ort und c) dass er unübersehbar heiß an ihm interessiert war ... Und noch etwas war entscheidend für die Kurzschlussreaktion, die Uruha direkt in seine Arme und Ameda zwischen seine Schenkel beförderte: Er hatte unabdingbar Aois Klasse ... Uruha wusste gar nicht, wie ihm geschah. Es war wie damals, als Aoi ihn so von jetzt auf gleich angemacht hatte. Er fühlte sich genauso geschmeichelt. Es prickelte ebenso heiß in seinem Lendenbereich und der Kick ließ ihn willenlos werden. War er tatsächlich so leichte Beute? Scheinbar schon. Er wusste genau, dass Ameda das hier nichts bedeutete, ihm schließlich auch nicht, aber für diese schnelle Nummer in der Mittagspause würden sie sich genügen ... Schon wurde er stürmisch auf den Tisch gehoben und sein Rücken auf das kalte Holz in Amedas Büro gedrückt. Diese definierte Stärke war eine willkommene Abwechslung, die er von Aoi in dieser Form nicht kannte. Seine Berührungen waren fest und dominant. Er ließ Uruha weder Zeit zu überlegen, noch Luft zum Atmen. Jeder Griff saß und ein Schauer folgte dem nächsten. Er war erfahrener als Aoi, das hatte Uruha sofort gemerkt. Nach ein paar Minuten schon verschwand das Gesicht des Fremden in Uruhas Schoß, um ihn für das Kommende vorzubereiten ... Draußen auf der Treppe vor dem Eingang zu seinem Büro, klapperte es auf den Stufen. Ein Stift war herunter gefallen und sein Besitzer beugte sich eilig, um ihm noch zu folgen. Er kniete halb auf den beiden nächsten Stufen nach unten, als er ihn zu fassen bekam. Sein Blick flog kurz herüber zu dem kleinen Fenster über dem Türsturz zu Amedas Büro. Er erstarrte. Er sah Uruha auf dem Tisch liegend, die Beine weit gespreizt und den neuen Personalchef dazwischen ... In seiner Hand wurde ein kleiner Zettel zerknittert ... Schlagartig legte Uruha den Unterarm über seinen Mund. Er war zu laut ... jetzt schon ... Seine geröteten Wangen brannten wie Feuer. Sein Herz überschlug sich fast ... Hatte er immer gedacht Aoi wäre fordernd gewesen, so hatte er doch keine Ahnung. Aoi war immer zärtlich, auch wenn er ihr erstes Mal mit seiner Wildheit versaut hatte, aber er hatte es Tausende Male wieder gut gemacht. Uruha konnte nicht im geringsten mit Ameda mithalten ... Der Mann war doch ein ganz anderes Kaliber als das, was er mochte. Zudem wurde er immer ungehaltener. Von Sekunde zu Sekunde wurde Uruha mulmiger ... aber es gab jetzt kein Zurück mehr. Er hatte es sich selbst zuzuschreiben, er selbst hatte es so gewollt. Aoi ..., dachte er nur immer wieder. Aoi ... »Wenn wir zusammen wären, dann würde ich dich nie betrügen!« Er riss die Augen auf! Was machte er hier? Was? „Nein!“, schrie er und Ameda hielt inne. „Nein ... nein ... ich will das nicht ...!“ Er wurde losgelassen. Sein Herz schmerzte. Uruha ballte die Hand zur Faust vor seiner Brust, er biss sich auf den Finger um sein Hyperventilieren zu verhindern. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Aoi ... Aoi ... Er weinte ungehalten, während Ameda irritiert Abstand suchte ... Es fühlte sich nicht an wie ein gelungener Quickie zur Aufheiterung der Stimmung. Wie bescheuert er gewesen war ... Es fühlte sich an wie ein ... Seitensprung ... Ohne sich wieder richtig anzuziehen stürmte Uruha aus dem Raum. Er rannte einfach den Gang herunter ... weiter und weiter ... Aoi, der auf der Treppe saß und fassungslos auf den Boden starrte, während er den Krankenschein, den er eigentlich bei Ameda hatte abgeben wollen, zerknüllte, hatte er gar nicht bemerkt ... Völlig außer Atem stürmte Uruha in das Herrenklo am Ende des Ganges. Er war allein, niemand war hier. Hastig riss er denn Wasserhahn bis zum Anschlag auf. Seine Hände schaufelten Wasser um Wasser auf seinen Körper, der immer noch halb entblößt war, seine Hose hing gefährlich haltlos auf den schmalen Hüften. Grob schrubbte er mit den Handflächen auf seinen Schenkeln ... Er musste sich diesen Mann abwaschen ... Ihm wurde schlecht. Wie hatte er nur so etwas tun können. Er hätte Aoi beinahe ... Wieder krampfte sein Herz schmerzvoll ... Warum? Warum war ihm erst jetzt bewusst geworden, wie viel ihm Aoi bedeutete? Auch wenn er immer noch nicht ausmachen konnte, was für ein Gefühl gerade diese zerreißende Reue mit unbändiger Macht auf seine Schultern drückte ... Es war alles so schnell gegangen ... es war so einfach gewesen ... Aber das war es doch auch mit Aoi ... Aber er fühlte sich schlecht ... So schlecht ... „Oh Gott, was ist denn passiert ...“ Außer Atem drehte Uruha den Kopf zur Seite. „Was ist denn mit Aoi-kun ...?“ Tora? Was machte er jetzt hier ...? Uruha wusste nicht, was er ihm antworten sollte. Er knöpfte sich hastig wieder zu. „Uruha ...? Was ist passiert? Hat er dir was getan?“ Schon spürte der Leadgitarrist eine starke Hand, die sich schützend auf seinen Rücken legte. Er schüttelte den Kopf. „Aber was ist es dann? Ich hab Aoi-kun doch gerade ganz abwesend auf der Treppe vor dem Personalbüro gesehen ...“ „Was?!“ Uruhas Augen wuchsen zu Teetassen heran, seine Lippen bebten. „Aoi? Was macht er hier ...? Ich dachte, er ist krank ...“ „Hai, schon, aber er wollte seinen Krankenschein nachreichen und sagen, dass er morgen wieder kommt ...“ Tora spürte nur einen Windhauch, der an ihm vorbeizog, als Uruha aus der Nasszelle stürmte. Sein besorgter Blick folgte seinem Schulfreund ... der ihm offenbar nie fremder erschienen war, als in diesem Augenblick. Er hatte ihn gesehen! Mit Sicherheit! Zusammen mit diesem Personalabteilungsarsch! Verdammt ... Uruha rannte, obwohl es ihm nicht erlaubt war. Der Weg zu den Treppen war ihm nie so lang erschienen. Sein Atem ging abgehackt, er hechelte und stützte sich auf seinen Knien ab, kurz bevor er Aois schwarzen Haarschopf ausmachte und erneut erstarrte. Tränen stiegen ihm in die Augen und er konnte sie wieder nicht zurückhalten. Der Jüngere lief zu Aoi, stieg zwei, drei Stufen hinunter, um sich zu bücken und ihm in die Augen zu sehen, doch da war nichts zu sehen. Aoi verdeckte sein Gesicht. Uruha presste die Lippen aufeinander, wie er es immer tat, wenn er etwas falsch gemacht hatte. Und ungestüm, beinahe grob schwang er sich auf Aois Schoß und umarmte seinen Partner. Schluchzte. Weinte. Schluchzte. Weinte. Und flüsterte. „Es tut mir so leid, Aoi, es tut mir so leid ... ich weiß nicht, was in mich gefahren ist ... bitte, verzeih mir!“ Aoi blickte hinüber zum Fenster, wodurch er die schneeträchtigen Wolken erkennen konnte. Er spürte den Körper, den er so vermisst hatte. Fühlte die Anwesenheit der Seele, die er so sehr brauchte ... und erkannte klar den Schmerz, der gleichsam mit seinem Herzen in seiner Brust schlug. „Uruha ...“ „Bitte ...“ Wieder schluchzte der Jüngere auf und fühlte sich wie der kleine Junge, der sich bei seiner Mutter wegen einem aufgeschlagenem Knie ausheulte. Seine Arme klammerten sich an Aoi und seine Hände streichelten dessen Rücken. Es war ihm egal, ob und wer sie so sah, nah aneinandergedrängt, weinend, fast eins. „Es war falsch ... ich weiß, dass du es gesehen hast – es war falsch, was ich getan habe ... ich habe dich so vermisst und ... Aoi ...“ Uruha wünschte sich einen Szenensprung wie in einer dieser Seifenopern, wenn ein besonders bedeutsamer Satz gefallen war. Er wünschte sich in die nächste Szene, wenn beide Charaktere wieder vereint aneinander hingen und jeder Schmerz verschwunden war. Endlich spürte er Aois Arme um sich und seufzte, drückte ihn noch fester an sich und steckte seine Nase in die dunklen Haare, die nach Aois Shampoo rochen. „Es ist okay ... Uruha ...“, flüsterte Aoi zurück und atmete den geliebten Duft tief ein. „Ich habe dich auch vermisst ...“ Aois Lippen wanderten von Uruhas Ohr, zu seinen Wangen, seinen Mundwinkeln. Berührten die Samtkissen wie ein Windhauch, verschwanden wieder. „Gomen nasai ...“ Sie sahen einander in die Augen. Uruha wirkte verwirrt. „Ich weiß, dass du nicht geküsst werden willst“, sagte der Ältere und ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Es ist okay, hatte Uruha ebenso sagen wollen, doch er verschluckte sich allein bei dem Gedanken mit Aoi herumzuknutschen. Dann hätte er sein Herz wohl rettungslos verloren ... „Bist du immer noch krank?“, wechselte er stattdessen schnell das Thema. Aoi schüttelte den Kopf und seine Wangen wurden rot, weil er gelogen hatte. Nie krank gewesen war. „Gut zu wissen.“ „Warum?“ „Weil ich dich ganz dringend brauche ... ich bin süchtig nach dir, glaube ich ...“ Der Leadgitarrist lachte, stand auf und half seinem Kollegen auf die Beine. Im nächsten Moment sah er verlegen aus. „Versprich mir, dass du mich nie wieder so lange alleine lässt.“ Aoi nickte ohne zu überlegen, obwohl sein Herz schmerzte. ~~~~~ Keiyuu saß in der Mittagspause auf dem Treppenansatz des Kellers der PSC und tippte auf seiner Laptoptastatur herum. Seine Finger schwebten über die Tasten wie über eine Klavierleiste. Die klassische Musik in seinen Ohren versuchte ihn zu beruhigen, aber gewisse Bilder konnten seine Gedanken nicht verlassen. Immer noch hatte niemand anderes etwas von Uruhas und Aois Geheimnis erfahren, aber ... Seine Finger blieben in der Luft hängen. Wieso hielten sie diese Sache geheim? Trafen sie sich tatsächlich nur, um miteinander rumzumachen? Oder führten sie eine Liebesbeziehung? Und wenn ja, wieso sollte niemand davon wissen? Hielt Aoi es tatsächlich für so wichtig, sein Hetero-Image aufrecht zu erhalten? Was nur ... was hielt sie der von Offenbarung ab und wieso taten sie so etwas - miteinander? Und da war noch Takeru, der ihm immer wieder an den Fersen heftete und sich nicht abschütteln ließ. Nervig wie eine Klette und anhänglich wie ein Kind, das etwas zum Spielen haben wollte. Warum interessierte es den jüngeren Sänger so sehr? Keiyuu war es nie bewusst gewesen, dass er sich als Tratschtante durch die Gegend schlich und allem und jedem etwas entlockte. Oder ging es ihm einfach nur um das Wissen? Mehr noch: Warum interessierte ihn selbst, Keiyuu, was Takeru mit dieser Erkenntnis tun wollte? Der SuG-Sänger ahnte wahrscheinlich nichtmals etwas von Aois und Uruhas ‚Beziehung’, also konnte er auch keinen Skandal wittern, den es zum Weitertratschen gelohnt hätte. Am Schlimmsten war jedoch die Tatsache, dass Takeru etwas wusste, dass außer Uruha niemand auch nur ahnen konnte. Die heimliche, tiefe Zuneigung zu einem PSC-Mitglied konnte ihm ohne Zweifel das Genick brechen. Wenn das herauskäme ... wenn auch nur seine Kollegen davon erfahren würden, wäre es mit seinem Ruf als Saubermann vorbei. Nicht, dass er damit rechnete, die Leute würden ihn gnadenlos in der Luft zerreißen, aber er war nicht der Typ, den man für schwul hielt. Nicht er ... nein, daran glaubte er nicht. Er wollte das Bild des netten Jungen von nebenan aufrechterhalten, den sich so viele Mädchen da draußen wünschten. Da konnte er nicht einfach, in einen anderen Mann verliebt sein ... oder sich auch nur seine direkte Nähe wünschen. Sein digitales Tagebuch aufgeschlagen schrieb er seine Gedanken nieder, während ihn Chopin-Klänge in eine andere Welt entlockten. Eine Welt, in der es ihm leicht fiel, über seine Gefühle, Wünsche und Ängste zu reden oder zu schreiben. Er hatte diesen Tasten, diesem Rechner schon alles Mögliche erzählt ... nun sollten wieder ein paar weitere Zeilen hinzukommen. ‚Dieses Bild werde ich wahrscheinlich nie vergessen. Ich hab das noch nie live erlebt. Ich bin nicht der Mensch dafür, der anderen Leuten beim Sex zusieht. Nein. Es hat mich ja auch nicht geregt. Es hat aus mir nichts Anderes gemacht. Nur einen bestechlichen Mann.’ „Also ...“ Keiyuu schreckte hoch, klappte seinen Laptop zu. Die Musik in seinen Ohren verstummte sofort. Takeru saß neben ihm und sah ihm angestrengt in die Augen. „Du hast Aoi-san und Uruha-san beim Sex beobachtet? Zusammen? Miteinander?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)