Lumiél von Voidwalker (Königreich der Monde) ================================================================================ Kapitel 4: Himmelszorn ---------------------- Komm, Fremder, setz dich zu mir ans Feuer. Der Kamin ist warm, der Braten saftig. Gib mir einen Krug aus, mein unbekannter Freund und lass mich dir eine Geschichte erzählen. Vertrau auf Mermerus, sie wird sich lohnen! Wie viel Wahrheit in ihr stecken mag, das entscheide selbst, doch sie muss erzählt werden. Meine Zeit läuft aus und es gibt Dinge, die diese Welt einfach nicht verlassen dürfen. Lass mich dir berichten, von einer dunklen Zeit, die gleißendes Licht gebar... Es war das Jahr 2142 n.d.L., in dem in einem kleinen Haus La Coeurs ein Knabe seinen ersten Schrei tat. Er war ein Frühlingskind und die Priester Damastes weissagten ihm ein großes Schicksal als Erneuerer des Lebens und Bote guter Jahre. Obgleich sie in der Summe der Teile unserer Geschichte Recht behalten sollten, irrten sie doch für die Anfänge jener Existenz. Jener Bub war ein aufgeweckter Junge, gelehrig und neugierig, stets versessen, die Höhen und Abgründe der Welt zu begreifen. Seine Eltern waren liebevoll und geflissentlich darin, seine Neugier zu stärken und aus ihrem Spross einen tapferen jungen Mann zu ziehen, doch die Zeiten um sie herum wurden dunkler und das Land erleuchtete in den feindseligen Farbtönen einer unheilschwangeren Abenddämmerung. Krieg zog auf, ein jeder konnte es in diesen Jahren spüren. Es waren die alten Streitigkeiten, die immer neu aufbrandeten, die man an jeder Gassenecke und auf jedem Markt bemerken konnte. Eine feine Nuance gewiss nur, doch sie trennte für jedes darauf aufmerksam gewordene Ohr nur zu deutlich, welches Geschrei sich vom Anpreisen der Händlerwaren unterschied zu eben jenem, das von Konflikt und Hass zeugte. Ob ein ganzes Land an seiner eigenen Verachtung ersticken kann? Ich weiß es nicht zu sagen, aber bevor es das täte, würde es gewiss aus vollen Lungen schreien. Doch damals hörte niemand diesen Schrei, sie waren beschäftigt, damit, ihn zu verstärken. Der Bursche, dessen wahren Namen wohl längst die Zeit geschluckt hat, wuchs auf in einer Welt des Zwists und obgleich seine Eltern sich redlich mühten, ihm von Gleichheit vor dem Gesetz, von Gerechtigkeit und Tugend zu zeugen, ihm die hohen Ideale eines stolzen und tapferen Volkes einzuprägen, lernte er doch durch Freunde und Bekannte die Kehrseite des kleinen Inselreiches Lumiél kennen. Ein Land, das gewiss dereinst als Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen hätte dienen können, doch offenkundig waren eben jene an der Verschmelzung nicht interessiert. Er zog aus, mit gerade vierzehn Jahren. Seine Ersparnisse verschwendete er auf ein stumpfes, schartiges Schwert, einen Schleifstein und eine viel zu große Lederrüstung. Nur ein Bursche, und doch schon so wacker, sich dem Unheil der Welt entgegen stellen zu wollen. Bei Mermerus, dieser junge Mann legte Zeugnis ab über die Stärke, die dem Blute seines Volkes entsprang! Er half den Bauern, die Ernte einzufahren, er führte Händler sicher von Ort zu Ort und wenn es denn nötig war, er bezahlt oder von einem holden Weib angelächelt wurde, dann rettete er wohl auch entlaufenes Getier vor den Irrungen einer ihnen fremden Welt. Was kann man also über ihn sagen? Ein guter Junge von edlem Charakter. Doch er lernte viel, so wie es immer geschieht, wenn man in die Welt zieht und glaubt, dort all seine Ideale lebend und allgegenwärtig zu finden. Er lernte, dass die Menschen niederträchtig sein konnten. Er lernte die Gier der Zwerge und den Hochmut der Elben kennen, den wirren Verstand der Goblins und den Stolz der Zentauren. Er lernte die frostigen Höhen des Nordens und den kargen Süden mit seinen Wüsten und Ödländern kennen, genoss ein Gastmahl bei den Elben von Ammarath und kehrte doch stets wieder nach Hause zurück, Jahr um Jahr. Seine Eltern hätten zweifellos versucht, ihn aufzuhalten, doch welche Waffen der Überredungskunst oder gar des Zwanges hätten sie dazu einsetzen sollen? Es waren seine Pflegeljahre, nichts hätte er sich von seinen Eltern befehlen oder verbieten lassen. Sein Hunger auf die Welt war unersättlich, unstillbar – und nicht zu bremsen. So ließen sie ihn jedes Frühjahr aufs Neue ziehen, wünschten ihm Glück, gaben ihm Ratschläge mit und schauderten, wenn er im späten Herbst heimkehrte und von seinen aufregenden Abenteuern berichtete. Er kämpfte gegen Elben und Zwerge, paktierte mit schmierigen Söldnern und spielte den Geldeintreiber für zwielichtige Gestalten – seine Eltern besaßen einen doch ungemein andersartigen Blickwinkel auf seine Abenteuer und fürchten um Wohl und Seelenheil ihres Sohnes. Es war das achtzehnte Lebensjahr des Jungen, da zogen sie aus dem Haus, denn seine Mutter war schwanger. Ein kleiner Hof in östlicher Richtung, außerhalb La Coeurs sollte ihnen ein neues Heim bieten, mit eigenem Land und mehr Zimmern. Solcherlei Bauten waren zu jener Zeit noch recht billig – weit leichter erschwinglich als man es heute bekommen könnte. Und doch hatte es für diesen Hof des Umstandes bedurft, dass sein Vater ein guter Freund des königlichen Beraters war. Der einstige Knabe ward inzwischen zum Manne geworden. Er hatte alle Prüfungen bestanden, hatte kleinere Narben, die von seinen jungen Jahren berichtete und wusste mit Feinden, die die Klinge zogen, ebenso umzugehen, wie er mit einem Weib das Bett teilen konnte. Zweifellos waren dies seine schönsten Jahre, ungezwungen, ungebunden, reisen, wohin immer ihn der Wind zu tragen gewillt war und allgegenwärtig den Ruf nach Gerechtigkeit vernehmend, die zu schaffen er befähigt wurde. 2160 war ein Jahr wie alle anderen auch. Die Spannungen zwischen den Völkern des Inselreiches nahmen zu. Vielleicht lag es daran, dass die elbischen Enklaven zu jener Zeit einen ungeahnten und bis heute merkwürdig unnatürlich anmutenden Schub ihres Bevölkerungswachstumes verzeichneten. Vielleicht lag es daran, dass die Zwerge in drei ihrer Siedlungen gewaltige Gold – und Diamantadern entdeckten. Oder es lag einfach am König. Er war ein stolzer Mann, sicherlich, das schrieb allein schon das Blut vor, welches durch seine Adern strömte. Doch er war weit mehr als das. Er war vorsichtig – was noch gut hätte sein können – und misstrauisch. Dem eigenen Volk gegenüber ist dies, da stimmst du mir gewiss zu, ein überaus schlechter Wesenszug. Er mochte die Elben nicht, die Zwerge nicht und auch nicht die Goblins, Harpyien, Zentauren. All jene Völker, ihre fremd anmutenden Riten und Rituale, ihre teilweise innerhalb einer Rasse von Clan zu Clan, von Familie zu Familie unterschiedlichen Feiertage, die merkwürdigen Namen ihrer Götter, ihre Fähigkeiten, die denen der Menschen so weit überlegen schienen – als einer von Vielen reihte sich der König zu jener Zeit in ein Bild ein, das auch viele der Thronfürsten vor ihm schon abgaben. Doch so sollte es sein Schicksal sein, diese dunklen Stunden, von denen ich berichten will, überhaupt erst einzuläuten. Keine fünf Jahre später sollte ihn das Gift ereilen, dass ein Goblin in seinem Wahn nach Macht und Anerkennung als Geschmacksverstärker zusammen rühte und in des Königs Wein füllte. Vermutlich lag sein Streben eher darin begründet, nach dem Geständnis des Königs, welch vorzügliches Gebräu dies sei, hinter dem Vorhang hervor zu springen und sich zu erklären. Dazu kam es leider jedoch nicht, denn unser kleiner, grünhäutiger Freund hatte unterschätzt, wie tödlich auch nur ein Tropfen des Saftes des Jungferkrautes für einen Menschen ist. Ob man jenem Leben nun nachtrauert, ist einem jeden selbst überlassen. Die Elben, trotz allem Hass auf das kurzsichtige, närrische Gezücht der Menschen, taten es vermutlich allein schon, weil ihre Philosophien die Heiligkeit eines jeden Lebens vorschreibt. Unseren Goblin dürften sie gemäß dessen ebenso betrauert haben, stand und steht auf Königsmord doch stets die Todesstrafe. Doch fünf Jahre sind eine lange Zeit... „Ist das für Elisabeth?“ stichelte ein rothaariger Bursche von kaum sechzehn Jahren. Er trug sein Gewand in Ermangelung aller Knöpfe von einem Ledergürtel zusammen gehalten. Wann immer man ihn danach fragte, wusste er von neuster elbischer Mode zu berichten und störte sich selbst nicht an den Blicken der Hochgeborenen – für die solche Aufmachung durchaus neuste Mode war, jedoch eher als Nachtgewand diente. Die Klinge seines Breitschwertes klapperte beständig gegen den mit Münzen gefüllten Beutel, den er unter dem Gewand trug. In Samaras Straßen war man nie vor Dieben sicher. Zwar war es hier noch lange nicht so schlimm wie in Sundergrad, aber man sollte kein Risiko eingehen, wenn es unnötig war. Er lächelte, das zog die ohnehin schmalen Lippen seit jeher zu einer kaum noch sichtbaren Linie zusammen, während er aus schelmischen Augen zu seinem Freund aufblickte. Zwei Jahre war er älter, aber das war ganz in Ordnung, damit ließ sich umgehen. Kaum darauf angesprochen, warf sein Begleiter einen deutlich anderen Blick auf die kleine Figur aus edelstem Kirschholz. Ein Schnitzwerk eines alten Försters, der sich auf die letzten Tage sein Brot oder ein wenig Zugeld damit verdiente. Die Figur war keineswegs simpel und zeugte von wahrem Können – eine Darstellung des Lebensbaumes der Elben, angeblich ein Symbol für Fruchtbarkeit und Segnungen. Nach dieser Spitze jedoch stellte er das wunderschöne Stück einfach auf den mit einem einfachen Leinentuch überspannten Karren zurück, lächelte dem Alten freundlich zu und trat ein paar Schritte weiter zum nächsten Stand, völlig wortlos. Der Händler aber, so gütig er auch war, blickte verdrießlich zu jenem Rotschopf. „Musste das sein?“ wollte er mit schwächlicher Stimme wissen. Sein Gegenüber lächelte, kramte drei Silberlinge aus dem Beutel hervor und kaufte ihm den Lebensbaum ab. Selbst wenn sein Freund ihn nun nicht mehr haben wollen würde, dann könnte er ihn eben für sich behalten und seinem eigenen Mädchen schenken... wenn er denn irgendwann mal eines fand. Sein Kumpane natürlich musste sich damit nicht herum schlagen. Ihm kamen die Frauen förmlich zugelaufen. Er war groß gewachsen, von breiter Statur und durch die Jahre auf Reisen und im Kampf recht muskulös – Frauen wussten eine solche Figur zu schätzen. Da störte sie sich nicht einmal mehr an den verdächtig großen Geheimratsecken, die das rabenschwarze Haar auszudünnen drohten. ‚In zwei Jahren, vertrau mir, da trägst du eine Glatze!‘ neckte er ihn immer. Womit auch sonst hätte er ihn aufziehen sollen? Er konnte kämpfen, war tugendhaft, beliebt, verdiente sich sein Geld mit ehrlicher, harter Arbeit, es gab einfach nicht viel, dass einer scherzhaften Spötterei wert gewesen wäre. „Komm schon, lass uns gehen.“ meinte sein Begleiter, doch der Rotschopf grinste nur, hielt ihm den Baum unter die Nase und zuckte mit den Schultern, als das Schnitzwerk zurückgewiesen wurde. Er würde es ihm später noch einmal anbieten, wenn er sich wieder beruhigt hatte und ihm die Spitze nicht mehr übel nahm. Elisabeth war nicht wirklich der Name seines Mädchens und das wusste er nur zu gut. Das Problem war, dass sein Freund sich so beharrlich ausschwieg, wer sie denn sei. Er hatte sie noch nie zu Gesicht bekommen und solche Geheimniskrämerei gefiel ihm eigentlich nicht. Also hatte er ihren Namen erraten wollen. Natürlich waren die Bemühungen völlig zwecklos – er fand ihn einfach nicht heraus. „Armin, komm schon, trödel nicht rum!“ rief der Ältere und war bereits einige Schritte voraus. Sein Ruf zerrte den Rothaarigen wieder aus seinen Gedanken zurück – und das in einem Moment, da er des Rätsels Lösung so dicht auf den Fersen war. Weshalb wohl sollte er ihm den Namen seiner Freundin verschweigen? Natürlich konnte es nur einen wirklichen Grund geben, nur einen, warum er ihn geheim hielt, warum er sie ihm nie vorstellte und warum er den Namen nicht hatte erraten können, obwohl er es über viele Stunden und Tage versucht hatte: Sie musste eine Elbe sein. Das würde es natürlich erklären. Er wäre ihm dafür an den Hals gesprungen, hätte ihm Dinge wie ‚Reichen dir die Menschen nicht?‘ entgegen geworfen und wäre gewiss ein paar Tage sauer auf ihn gewesen. Nicht etwa, weil er etwas gegen Elben hatte, keineswegs – er selbst träumte viel zu oft davon, ein Weib der Ihren für sich gewinnen zu können. Für seinen Freund waren das natürlich alles nur die romantischen Flausen eines jungen, unreifen Kopfes, doch mit solchen ‚Vorwürfen‘ beharkten sie sich sowieso allzeit – das war der Kitt, der ihre Freundschaft zusammen hielt. Sie steuerten durch die Massen des Marktes hindurch, Armin blieb dicht hinter seinem Freund, dessen breites Kreuz perfekt war, um sich dahinter zu verbergen, während er die Menge teilte. Sie hatten den Marktplatz im Südviertel der Stadt fast verlassen, da stoppte der Größere von beiden plötzlich und sein Kumpane stieß überrascht gegen ihn. „Huch!“ entkam ihm gerade noch, da drückte er sich auch schon ab. Mit seinem Reisebruder auf Tuchfühlung? Nein, bloß nicht, um der Götter Willen, was sollten denn da die Leute denken? Was sollten die Frauen denken? Was bei Damastes sollten die elbischen Frauen denken? Ein allzu wissendes Grinsen lag auf den Lippen des Älteren, das Armin fast augenblicklich die Röte in die Wangen trieb. Frechheit aber auch! Dennoch schien den Größeren etwas ganz anderes dazu bewogen zu haben. Das Grinsen erstarb so rasch, wie es gekommen war und kurz darauf spähte er mit gerunzelter Stirn über die Menge hinweg. Armin hörte in all dem Gelärme rein gar nichts. Händler hier, Händler da, alle plärrten herum und versuchten ihre Waren los zu werden, natürlich für möglichst viel Geld. Sein Freund jedoch hörte etwas, etwas, das Unmut in ihm wach rief und er folgte dem Geräusch – seinen Rotschopf immer als Anhängsel hinter sich her ziehend. Beide wussten nicht wirklich, was geschehen war. Doch die Situation ließ sich im Fall der Fälle auch überaus leicht rekonstruieren, dazu musste man wahrlich kein Genie sein. Sie traten abrupt aus der Menge in einen Kreis hinein. Vor wenigen Augenblicken erst hatte ein Hochgeborener mit seinen vier Mann Begleitung den Markt betreten. Die Elben wollten vermutlich Stoffe für neue Gewänder kaufen, dafür war zumindest dieser kleine Handelsplatz bekannt. Eine junge Frau, ein Mensch obendrein, war mit ihrem zwergischen Freund lachend und scherzend durch die Menge gezogen, auf der Suche nach Schnäppchen und guter, billiger Ware, die sie an ihrem eigenen Stand teurer würden weiterverkaufen können. Sie hatten einander im Spaß angerempelt. Menschen konnten damit umgehen, wenn man ihnen im Gedränge eines Marktes zu nahe kam. Elben jedoch schätzten ihre Privatsphäre ungemein. Sie kannten zwar die Enge der menschlichen Siedlungen, die Fülle auf den Märkten, doch reagierte jeder der Hochgeborenen darauf anders. Manche mieden die Siedlungen und Städte, andere... kamen mit Eskorten, die für jenen, den sie beschützten, den Weg frei machten und auch frei hielten. Es war einfach nur ein unglücklicher Zufall gewesen, dass der Zwerg sie nun genau in dem Moment zurück schubste, dass sie aus der Menge heraus fiel und gegen den Elb stolperte. Sie versuchte Gleichgewicht zu finden, packte den Fremden und riss ihn mit zu Boden. Binnen Sekundenbruchteilen waren vier Bögen in absolut tödlicher Präzision gespannt und auf einen Leib gerichtet, an dessen Kopf keine spitzen Ohren saßen. Während der elbische Aristokrat sich aufrichtete, seine Kleider abputzte und verächtlich auf die noch immer unsicher im Anblick der Bögen am Boden ruhende Frau sah, zischte er etwas von Abschaum, das ihren zwergischen Freund einschreiten ließ. „He da! Kein Grund, gleich unfreundlich zu werden!“ grummelte der Zwerg, wollte einen Schritt zu seiner Freundin gehen, da richteten sich zwei der vier Bögen auf ihn. Der Elb spie ein paar Flüche und wüste Beschimpfungen in den Zungen seiner Ahnen aus, ehe er auf das Mädchen sah und voll der Verachtung auf sie spuckte. „Das reicht!“ blaffte der Zwerg, zog seine Axt, eigentlich als Zeichen der Drohung, endlich von ihr abzulassen, da bohrte sich allzu übereifrig ein Pfeil in seinen Hals. Die Augen starr vor Schreck, wankte der Zwerg einen Schritt zurück. Längst hatte sich die Menge geteilt, einen weiträumigen Kreis um die Szenerie gebildet, doch niemand wagte einzugreifen. Alle blickten boshaft zu jenem Ruhestörer, Friedensbrecher, Todbringer – denn die Mehrheit waren Menschen und nun brach der Zwerg zusammen. Mit einem panischen Ausruf rappelte sich die junge Frau auf, stürmte unter den Augen zweier Elben, die noch immer mit ihren Bögen auf sie zielten, ungehalten zu ihrem Freund und rollte ihn auf den Rücken. Doch das Licht in seinen Augen war erloschen, sein Geist bereits in die ehrbaren Hallen seiner Ahnen und Urväter eingegangen. „Was habt ihr getan?“ klagte sie den Elb und seine Eskorte an, wiederholte die Worte, mal wütender, mal von Kummer zerrissen. Tränen rannen ihr zahllos über die Augen, da traten gerade ein Rotschopf und sein Freund in die Menge hinein. „Diese Welt von einem Krümel Schmutz befreit!“ zischte der Hochgeborene verachtend zur Antwort. Die Stadtwache kehrte ein, endlich – wenngleich auch zu spät. Ein Kommandant samt seiner sechs Mann von der Wache. Schwere Plattenrüstungen, gut gearbeitete und geschärfte Klingen, breite Turmschilde, Helm und Eisenhandschuhe – man hätte sie für Lumiéls Elitegarde halten können. „Aus dem Weg, los, macht Platz!“ heischte der Offizier und trat an die Szenerie heran. Er besah sich die Elben, ihre gespannten Bögen, den toten Zwerg und das zierliche Weib, das noch immer klagend und weinend über dem Leib ihres Freundes trauerte. Die Situation war viel zu eindeutig, um noch irgendetwas untersuchen zu wollen. „Ihr da, mitkommen, wir bringen euch zur Wache!“ befahl der Kommandant, da richteten sich drei der vier Bögen auf ihn und seine Männer, „Macht keine Dummheiten! Allein die Waffe gegen die Stadtwache zu erheben, hat eure Situation nur schlimmer gemacht!“ funkelte der erfahrene Wachmann, der einstmals im Heer schon manchen Krieg überdauert hatte. „Ich werde mich gewiss nicht in einer Stadt voller Abschaum einsperren lassen, weil ich etwas Wertloses beseitigt habe.“ zischte der Elb voll des inbrünstigen Hasses. Der Kommandant jedoch meinte es nur allzu ernst. Auf seinen Befehl hin zogen seine Männer die Klingen. Armin und sein Gefährte wurden unruhig. Die Bedrohlichkeit lag in der Luft, es würde Mord und Totschlag geben, wenn nicht jemand eingriff, doch warum zögerte sein Freund so lange? Der Rotschopf folgte dem Blick seines Gefährten, den die Elben und Wachen weit weniger interessieren. Sein Augenmerk galt der jungen Frau und ihrem toten Zwerg. Die Götter allein mochten wissen, was im Kopf seines Kumpanen vor sich ging, doch das zunehmend bedrohliche Funkeln in seinen Augen zeugte davon, dass es nichts Gutes sein konnte – zumindest nicht für die Hochgeborenen. „Ich befehle euch, im Namen der Obrigkeit von Samara und des Königs, legt die Waffen nieder!“ befahl der Kommandant ein letztes Mal und erhielt doch nur die Antwort, dass der Menschen König niemand sei, der einem Elb würde befehlen können. Einer der Männer der Stadtwache wollte soeben ungestüm vorpreschen, diese Beleidigung des Königs mit Gewalt sühnen, als ein anderer ihm zuvor kam. Geradezu entsetzt sah Armin, wie sein Freund einen Schritt nach dem Anderen setzte, auf die Elben zuhielt. Obgleich sie ihn bemerkten, schien er dank des Umstandes, unbewaffnet zu sein, harmlos – zumindest bis zu dem Moment, da er einen der Schützen an der Schulter griff, ihn herum wirbelte und mit einem einzigen, durchgezogenen Fausthieb zu Boden warf, dass sein Gesicht von Blut rot war. Armin kannte seinen Gefährten, er hatte oft mit ihm im Spaß gerangelt, geübt oder gekämpft und er wusste, dass diese Rechte so tödlich wie ein zwergischer Axthieb sein konnte. Während der Rotschopf nun vorpreschte und den zweiten Schützen regelrecht ansprang, ehe dieser den Pfeil in seines Freundes Brust würde versenken können, steuerte Selbiger längst auf den dritten Schützen an. Die Wachen stürmten vor, einer der Ihren wurde von einem Pfeil ins Bein getroffen. Kein Plan stand hinter dieser Wunde, es hätte ein tödlicher Halsschuss werden sollen – doch einer aus der Menge hatte im rechten Moment und gut gezielt einen losen Pflasterstein geworfen, der Schuss verrutschte und der Elb ging zu Boden, die Stirn schwer blutend von dem schweren Stein. Ein kurzes Gerangel entbrannte zwischen dem Aristokrat und dem Wachkommandant, der ihm letztlich einen Dolch aus den Händen schlug und seinen Arm auf dem Rücken verdrehte, dass der Hochgeborene unter einem jämmerlichen Schmerzschrei auf die Knie ging. Es war eben jener Moment, als drei Zwerge aus der gleichen Richtung hervor traten, aus der Armin und sein Gefährte schon gekommen waren. „Tretet zurück, bei Vraccas, geht bei Seite!“ forderte einer der Zwerge mit zornesfunkelnden Augen. Die drei waren in schwere Rüstungen gehüllt, zweifellos Krieger ihrer Clans und die Runenäxte verstärkten den Eindruck, dass die Stadtwache diesen Kampf unmöglich würde gewinnen können. „Geht, ich bitte euch, ist nicht schon genug Blut geflossen?“ versuchte der Kommandant weitere Kämpfe zu vermeiden. Die Rechtslage war eindeutig, eindeutig und überaus widersprüchlich: Für ihn galt das Gesetz des Königs, das da besagte, dass Verdächtige zur Wache gebracht und verhört werden mussten. Er durfte sie weder laufen lassen noch den Zwergen überlassen. Für diese jedoch galt ein alter, ehrwürdiger Clankodex – und ganz, wie der Zwerg nun sagte, musste das Blut des Gefallenen gerächt werden. „Hört auf! Schluss damit!“ schrie plötzlich Armirs Freund aus voller Kehle. Die Menge erstarrte gleichermaßen wie die Soldaten und Zwerge, selbst die junge Frau, noch immer trauernd, fuhr ängstlich zusammen und kehrte sich zu ihm um. „Ihr!“ befahl der Ältere den Wachen, „Nehmt dieses Pack und schleppt sie in die Kerker. Sofort!“ heischte er die Wächter an, die einen Moment ratlos zu ihrem Kommandanten blickten, dann jedoch auch ohne dessen Weisung an die Arbeit gingen, „Und ihr...!“ setzte er fort und blickte zu den Zwergen, „Ihr werdet anerkennen, dass ihr in Samara, einer Stadt der Menschen seid und hier unser Gesetz gilt. Nehmt euren Waffenbruder und setzt seinem Leib ein Ende, wie es eure Traditionen verlangen!“ Die Zwerge hassten nur wenige Dinge mehr, als wenn ein Langer sich aufschwang, ihnen Befehle geben zu wollen. Trotzdem war die Ausstrahlung dieses Burschen nicht zu unterschätzen. Er ließ weder mit Gestik, noch Stimmführung oder seinem Blick auch nur die Spur eines Zweifels daran, dass er sie persönlich angreifen und vielleicht sogar in Bedrängnis würde bringen können. Die Zwerge aber wollten gegen niemanden die Waffe erheben, der selbst keine trug und obendrein geholfen hatte, die Elben überhaupt erst zu überwältigen. Entsprechend entrissen sie der jungen Frau ihren toten Freund und zogen unverrichteter Dinge ab. Armir jedoch beobachtete gleichermaßen stolz, einen solchen Mann seinen Freund nennen zu dürfen, wie auch mit einer Spur neid, wie sein Gefährte zu der jungen Frau ging, ihr auf die Füße half und zuließ, dass sie sich neuerlich in Tränen und Schluchzen ausbrechend an seine Brust warf. Er führte sie vom Markt, nahm sie mit in das Gasthaus, in dem sie sich vorläufig einquartiert hatten und gab ihr ein eigenes Zimmer. Unnötig war das allemal, sie besaß ein Haus in Samara – zwei Wohnungen, doch eine davon würde nunmehr leer bleiben. Den Abend versoffen sie zu dritt, Armir und sein Begleiter erzählten ihr allerhand Geschichten, Märchen und Legenden, die sie gehört hatten, berichteten von ihren Abenteuern und lenkten sie nach besten Möglichkeiten ab. Dass sie letztlich das Zimmer ungenutzt ließ und mit dem Älteren in dessen gemieteten Reich verschwand, wusste Armir schon zu dem Zeitpunkt, als er jenen merkwürdigen Blickwechsel beider auffing. Natürlich hätte er schlecht ahnen können, dass sie nicht das Lager auf die Weise miteinander teilten, wie er selbst es vermutete und seinem Gefährten auch in den folgenden Monaten vorhalten würde. Er hatte ihr des Nachts lediglich ein warmes Bett und den Schutz eines starken Armes geboten, nicht mehr, nicht weniger. Armir glaubte ihm das nicht – aber das war ohnehin unwichtig. Am nächsten Morgen war die junge Frau verschwunden. Sie kannten nun ihren Namen, wussten, wo sie wohnte und doch suchten sie sie nicht auf. Sie zogen durch das Land, halfen den Völkern, wo und wie sie konnten. Jenes Mädchen jedoch schien Armir eine Bedrohung dieses Lebensstiles zu sein. Sein Freund interessierte sich für sie. Es war nicht einfach nur das Verlangen, das ihm aus den Augen gierte, es war Mitgefühl. Nicht die Art von Mitleid, die man vielleicht erwartet hätte – da steckte irgendwie mehr dahinter. Als sie Samara in südlicher Richtung verließen, um einen Händler samt seiner Waren bis Rhovanion zu begleiten, war Armir froh. Froh, den Verlockungen der Familiengründung und Sesshaftigkeit entkommen zu sein. Natürlich hatten jene nicht ihm gegolten, aber ohne seinen Waffenbruder, ohne seinen Reisegefährten würde er die Abenteuersuche ebenso aufgeben. So jedoch zogen sie weiter. Über die Winter trennten sie sich. Armir zog es in die Siedlungen der Elben, in denen er ein Jahr später tatsächlich das Herz einer jungen Elbe für sich gewann, die sich naiv und weltfremd von seinen Märchen und Geschichten über Ungeheuer und Abenteuer beeindrucken ließ. Nur ein weiteres Jahr würde es dauern, bis Armir es sein würde, der sesshaft wurde und eine Familie gründete. Sein Freund jedoch, dem erging es anders. Die Zeiten änderten sich. Für seine Familie wurde es härter, denn das Gut ihres Landes mochten sie vielleicht in La Coeur verkaufen, doch die Ernten waren nur dank elbischer Zauber so gut gediehen – und die wurden von Jahreszeit zu Jahreszeit teurer. Wann immer er im Hause seiner Eltern einkehrte, spürte er wieder den Frieden und die Ruhe, die ihm eine schöne und erfüllte Kindheit vermittelt und ermöglicht hatten. Er ließ sich treiben, half bei der Feldarbeit, sofern diese im Winter machbar war, fütterte das Vieh, ritt mit dem Wallach seines Vaters aus. Die Winter waren fröhliche und gleichermaßen besinnliche Zeiten. Und doch vermochte die Klaue der Zeit selbst durch die Dielen guter Erinnerungen zu dringen, schlüpfte durch die Fenster eines friedlichen Lebens und ließ die Geister der Familie wissen, dass die Welt sich wandelte. Sie sprachen nie darüber – obwohl eine Spannung in der Luft lag, als würde jeder es wollen. Die Elben waren immer schon hochmütig geworden, doch in letzter Zeit wurden sie überheblich, missmutig, ja regelrecht gefährlich. Was aus den Elben im Kerker Samaras wurde, hatte er bei seiner Rückkehr in die Stadt erfahren: Sie waren auf seltsame Weise gestorben. Ein Gift, vermutete die Stadtwache, doch keines, das ihnen bekannt war. Natürlich hatte das Empörung hervorgerufen, Racheversprechungen laut werden lassen, die Situation verschlimmert. Ein Adelsmann war gestorben. Gewiss kein Führer eines ganzen Elbenvolkes, aber doch ein beliebtes Mitglieder der Hochgeborenen von Esgaroth. Er jedoch hatte auf seinen Reisen immer aufs Neue gesehen, wozu alles führte. Er hatte gesehen, wie die Völker einander behandelten. Wie die Spirale aus Misstrauen, Verachtung und Anfeindung, List und Betrug sich immer weiter in die Höhe schraubte. Zwei Jahre lang hatte er mit wachsender Besorgnis, letztlich sogar regelrechter Angst verfolgt, wie ein Land gleich einem Schiff direkt auf den Sturm zuhielt. Der König verhandelte anfangs mit den Elben von Esgaroth. Die Rede war von Zahlungen, die Erwiderung waren zwei tote Boten, es gab plötzlich das Gerücht, der Hof von La Coeur würde über Gesetze beratschlagen, die den Elben ihren Bürgerrechtsstatus aberkennen sollten. Wenn das Gewitter einmal in Sicht geriet, so zog es zumeist erschreckend rasch auf. Die Elben erklärten im Frühling 2162 den Krieg. Stets und allzeit hatte er versucht zu helfen. Er war durch das Land gezogen und hatte sich mit Tugend und Idealismus bemüht, die Vorurteile zu bekämpfen und Frieden zu schüren. Nur ein einzelner Mann, doch er hatte viel Gutes getan. Viel – aber nicht genug. Als er einsehen musste, dass der Kampf unumgänglich war, wollte er für eine Ordnung eintreten, die ihm recht erschien und meldete sich als einer von Tausenden Freiwilliger für Lumiéls Heer. Sein Vater versuchte über Tage ihm dies auszureden, seine Mutter weinte ununterbrochen, die letzten Wochen am Hof wurden zur Qual und Belastung gleichermaßen – er zog früher als gewohnt aus, streifte umher, geriet nach Samara. Es war Zufall – oder der Wille der Götter –, dass er sich zur rechten Zeit in einem Viertel wiederfand, als ihm einfiel, wer hier wohnte. Eine junge Frau, die damals einen guten Freund verloren hatte und danach mit ihm um die Wette trank. Er erinnerte sich an den Duft ihrer Haare, als sie dicht an ihn gedrängt einschlief und der entsetzlich Leere, als er allein erwachte und ahnte, dass er sein Herz verloren hatte. Er fand das Haus wieder, einsam und verlassen, zog Erkundigungen ein, erfuhr von einem Laden, der als Zentrum eines verdächtigen Brandes vor zwei Jahren in Flammen aufgegangen war, kurz nachdem eine Delegation Esgarothelben ums Leben kam. Mosaik. Wenn ein Teil sich zum anderen fügt. Er fand sie wieder, verhärmt, verarmt, fast aller Hoffnungen beraubt, wie sie bei ein paar Zwergen ihr Geld damit verdiente, ihre Schmiedewaren zu reinigen, zu polieren. Noch immer lag in ihren Augen der unbändige Stolz, der Trotz wider dieser Welt, der ihn schon vor zwei Jahren so sehr fasziniert hatte. Sie verbrachten fast die gesamten Wochen miteinander. Wann immer ihre Zeit es zuließ – denn auch ein gutes Mahl mochte bezahlt sein. Er hatte überlegt, ihr aushelfen zu wollen, verwarf den Gedanken ganz zu Recht jedoch rasch wieder – allein das Angebot hätte sie gekränkt. Als der Krieg tatsächlich kam, hatten sie bereits zueinander gefunden. Sie versuchte nicht, ihn vom Kampf abzuhalten, ließ ihn jedoch auf Arimasper und Damastes schwören, dass er lebend zu ihr zurückkehren würde. Er schloss sich dem Heer an, bekam aus des Königs Fundus Rüstung und Schwert von höherer Qualität, als seine es je hätten erreichen können. Sie schützten Karawanen, überfielen Schiffe und Häfen, trugen kleinere Scharmützel aus. Es war eine furchtbare Zeit, ein furchtbares Jahr, in dem er das Gesicht des Krieges kennen lernte. Seine Kampfkunst galt selbst unter seinen Mitstreitern bald schon als beachtlich, er wurde zum Kommandant einer eigenen kleinen Einheit benannt und musste aus der Position heraus mit ansehen, wie das Land ausgebrannt wurde. Hatte es anfangs mit vereinzelten Übergriffen, Attentaten und Karawanen begonnen, zogen sie später durch verwüstete Dörfer und ausgebrannte Ruinen. Der Krieg bleckte die Zähne und lachte ihnen höhnisch ins Gesicht. Er jedoch geriet unter den gleichen Bann, wie es alle Soldaten aus Lumiéls Heer taten. Flammene Reden der Generäle, blindes Vertrauen auf das Wort ihres Königs – wenn man ein Dorf niedergeschlachtet fand, war es nicht schwer, daran zu glauben, dass der Feind das Überleben nicht verdient hatte. Im Jahr 2163, zwei Tage vor seinem einundzwanzigsten Geburtstag, hatten sie den Angriff einer kleinen Gruppe Elben auf einen Versorgungszug der Zwerge aufgehalten. Längst waren diese durch diplomatisches Geschick in den Krieg eingespannt und es ging das Gerücht, die Elben hätten sich in der Verzweiflung ihrer schlechten Lage mit den Zentauren eingelassen. Mit schwerer Lederrüstung und einem kleinen, runden Eichenschild stand der Kommandant über dem bewusstlosen Leib eines Hochgeborenen. Er hatte ihn mühelos mit dem Schild niedergeschlagen und wusste damit noch so manch anderes Kunststück anzufangen. Seine Männer hatten nicht schlecht gestaunt, als er ihnen zeigte, dass man den Schild notfalls mit ausreichend Kraft sogar würde werfen können. Einer seiner Männer trat nun zu ihn heran, blickte auf den Elb nieder und spuckte auf Selbigen. Eine Geste, die ihn immer wieder, egal wie oft er sie erlebte, an jenen Tag auf dem Markt in Samara erinnerte. „Das muss nicht sein!“ wies er seinen Mitstreiter scharf zurecht, zitierte einen Anderen herbei und ließ ihn dem Spitzohr Fesseln anlegen. Ein Kriegsgefangener mehr für die Kerker La Coeurs. „Ach nicht? Deine Meinung wirst du rasch ändern!“ erwiderte der Soldat grimmigen Blickes, „Wir haben neue Kunde bekommen. Ein Befehl vom König persönlich. Alle Truppen werden zusammen gezogen, es gibt ein Heerlager in Samara.“ Kalt blies der Wind ihm um das von Jahr zu Jahr weniger gewordene Haar. Er schloss die Augen, drängte die Tränen zurück, die aufquellen wollten, spürte den Wind an seinen Armen, das Flüstern der Götter in seinen Ohren. Seine Rechte umschloss den Schwertgriff, kaltes Eisen, starr und beruhigend ob des Wissens, sich verteidigen zu können. Doch was war mit jenen, die sich nicht verteidigen konnten? Man hatte ihm zugetragen, dass die Elben vor wenigen Wochen einen Angriff auf La Coeur gewagt hätten. Die Stadtgarnison konnte ihn zurückschlagen, mühelos, doch die äußeren Höfe waren verwüstet worden. Er wusste nicht, wie es seinen Eltern ging. In ihrem letzten Brief sprach seine Mutter von einer schweren Lungenentzündung, die sie und seinen Vater befallen hätte... lebten sie noch? Waren sie genesen? Hatten die Elben sie umgebracht? „Packt eure Sachen!“ heischte er lauthals und ignorierte das selbstgefällige, ja fast schon gehässige Grinsen seines Mitstreiters, „Wir ziehen nach Samara!“ befahl der Kommandant unwissend darüber, welches Grauen ihn erwarten würde. Jeder Mensch hat eine Grenze, die zu überschreiten ihm alles abverlangt – auch seinen Verstand. Das können Dinge sein, die man sieht, Geschichten, von denen man hört oder Übles, das man erlebt... Im Heerlager Samaras ging es drunter und drüber. Die Stadt war groß und bot viel Raum, doch sie war gleichermaßen schlecht verteidigt, wie sie auch wahrlich für so viele Soldaten dann doch nicht genug Platz bieten konnte. Er führte seine Truppe zu einem größeren Lagerhaus im Süden der Stadt, hielt sich bewusst von seiner Liebsten fern und schlief Nacht um Nacht auf lächerlich provisorischen, nahezu nutzlosen Strohmatten. Am Tag übten sie, trainierten, bis ihnen jeder Muskel schmerzte. Sie stählten sich. Jeden Tag kam neue Kunde. Die Elben hätten sich in Rhovanion gesammelt, die Zentauren ebenso, ein großes Heer würde auf Samara zu marschieren. Es war der Sommer dieses Jahres, als die Menschen und Zwerge auszogen. Ganz Samara wurde geräumt, man strebte südwärts. Die Informationen der Späher waren verlässlicher geworden, man hatte das Heer auffinden können, ihre Marschroute ausgekundschaftet. Auf den weiten Grünflächen südlich der Stadt standen sie sich schließlich gegenüber. Er hatte mit seinen Männern einstimmig darum gebeten, in den vorderen Reihen sein zu können. Nicht, weil er unbedingt sterben wollte, sondern weil er der festen Überzeugung war, dass sie die Schlacht gewinnen konnten, wenn die ersten Reihen eben nicht so sehr ausgesiebt werden würden. Der dumme, naive Gedankengang eines Einundzwanzigjährigen. Er stand dort, die Eisenstiefel klirrten bei jeder Bewegung, der schwere Lederpanzer war unbequem und roch nach totem Tier, der Stahl in seiner Hand wirkte plötzlich schmerzhaft kalt. Durch das Visier seines Helmes war das Sichtfeld eingeschränkt, er hörte sich atmen, spürte sein Blut aufgeregt durch die Adern rauschen. Im Geiste wiederholte er ihre Worte, wie sie ihn hatte schwören lassen, bei den Göttern, bei allem, was ihm heilig war. Er würde diesen Tag überdauern, er würde dazu beitragen, Lumiél ein- für allemal zu befreien. Viele kannten inzwischen seinen Namen, viele wussten um sein Wesen, viele blickten zu ihm auf und heute, ja, heute standen sie alle mit ihm Seite an Seite zusammen gegen den Feind, der ihre Welt bedrohte. Die Viervölkerschlacht von Samara, auch das ‚Quartett von Samara‘ genannt, war der verheerendste Angriff zweier Parteien aufeinander, den es je gegeben hatte. Als das Signalhorn ertönte, begann ein Blutvergießen, das drei Tage anhalten sollte. Die Armeen stürmten aufeinander zu, die Reihen brachen ineinander hinein. Schon nach den ersten Herzschlägen hatte er vier Freunde und Mitstreiter verloren, ohne es zu wissen oder auch nur zu ahnen. Einem Wunder hätte es gleich kommen müssen, dass er selbst durch die Hellebardiere des Feindes hindurch fegte, ohne auch nur an einer einzigen Lanze seine Rüstung zu streifen. Er kämpfte mit allen Künsten, die ihm zu Gebote standen, entging Axt- und Schwerthieben, wehrte mit dem Rundschild Pfeilhagel ab und schlug zu nah stehende Feinde nieder. Jedes ausgelöschte Leben, so redete er sich ein, war ein Sieg für seine Heimat, für seine Eltern, für sein eigenes Leben, das der Pfand für das geliebte Herz war. Doch so begann es nur. Als der erste Tag endete, die Heere sich zurückzogen, die Generäle ihre Wunden leckten, war das Schlachtfeld gesäumt mit Leichen und Blut. Man versuchte die Verwundeten zu retten, doch selbst die besten Kräuterkundigen und Heiler mussten in diesen Stunden viele Niederlagen hinnehmen. Kaum jedoch, dass der Morgen graute, brachen die Fronten erneut aufeinander. Inzwischen hatten beide Fronten aus den hinteren Reihen gewaltige Kriegsmaschinen aufgefahren. Katapulte und Triboken schleuderten Felsbrocken durch die gegnerischen Reihen, die Magiekundigen schleuderten Bannsiegel und Angriffszauber durch das Gewebe und hatte er sich anfangs noch Schwertern und Pfeilen erwehren müssen, so rettete ihn am zweiten Tag nur manch gewagter Hechtsprung vor einem Brocken, so groß wie er selbst oder einem Feuerball, der sich in den Boden grub. An diesem Abend zog man drei Pfeile aus seinem Körper. Aus seinem Bein, seinem Arm, seiner Schulter. Er hatte überlebt und nun war er verwundet. Er würde umkehren können, könnte sich zurück ziehen. Doch was dann? Einfach aufgeben? Er war fähig, zu stehen, zu gehen, zu laufen, ein Schwert zu halten. Er würde weiter kämpfen, bis zum letzten Atemzug würde er Samara und den Schatz darin behüten. „Schlachtet sie alle ab!“ kreischte einer der Offiziere kaum drei Meter von ihm entfernt. Eine Meute Zwerge sprang hervor. Gute Spurter, kräftige Arme, sie bezwangen mühelos die Elben, die ihnen im Weg standen und wurden dann von einem Eiszauber erfasst und nieder geworfen. Das Geschrei von Schmerz und Leid mischte sich mit der Verachtung und dem Hass eines ganzen Zeitalters. Bis zu diesem Punkt hatte sich alles aufgestaut, waren die Spannungen gewachsen, ohne dass man sich ihnen entgegen gestellt hätte. Bemerkt hatte es jeder, doch wozu handeln, wozu selbst die Initiative ergreifen, konnten die Anderen das doch ebenso gut tun? Heute zahlten sie in Blut und selbst er, unser tapferer Held, vermochte sich diesem allgegenwärtigen Hass nicht zu widersetzen. In blinder Wut schlug und hackte er um sich, löschte ein Leben nach dem Anderen aus. „Schlachtet sie alle!“ hörte er sich selbst aus voller Kehle schreien. Er wäre entsetzt gewesen, er wäre in Scham und Schuldgefühlen zu Boden gesunken, hätte er sich dies bei klarem Verstand sagen hören, hätte er sich ertappt, dies auch nur zu denken – doch eben daran fehlte es ihm. Klarer Verstand. Daran fehlte es jedem hier. Seine ‚neuen‘ Männer sprangen vor, rangten die Belegschaft und Wächter eines Katapultes nieder und platzierten darin etwas, das die Goblins dem König verkauft hatten. „Runter!“ schrie ihr Kommandant, warf sich zu Boden und sah, dass einer seiner Männer nicht schnell genug reagierte. Das Holzkonstrukt wurde regelrecht zerfetzt, der Soldat von Splittern und Feuerwolken umschlossen und tot zu Boden geworfen. Er jedoch riss sich in die Luft, funkelte zu den Elben, als hätten sie allein den Tod dieses Menschen zu verschulden. „Nieder mit ihnen!“ befahl er und stürmte erneut hervor. Wenn ein ganzes Leben bis zu einem einzelnen Punkt dazu gedient hatte, zu helfen und Leben zu retten, es zu verbessern – konnte man solche Güte damit aufwiegen, wie viele Leben zerstört wurden? Konnte man einfach eine Strichrechnung machen und nach einhundert Leichen behaupten, jemand sei ein guter Mensch, weil er einhundert Menschen plus einen weiteren gerettet hatte? In dieser Nacht fand er keinen Schlaf. Schlafen bedeutete, die Augen zu schließen. Wenn er das tat, sah er sie, sah Samaras Märkte und Straßen, sah Armir und seine Elbe, er sah seine Eltern, sah sich lachen, sah seinen Vater ihm das Reiten beibringen, er sah ihn seine Lehren erteilen und sah sich diese Lehren aufnehmen, sah sich nicken und begreifen. Wenn er die Augen schloss, kehrte sein Verstand zurück und ließ ihn erkennen, welche Schuld er sich im Angesicht der Götter aufgeladen hatte. Er hatte gemordet, aus reiner Gier am Töten heraus, aus Verachtung, aus tiefem Hass, der nicht einmal sein eigener war. Solche Schuld würde kein noch so reumütiges Leben aufwiegen können, dessen war er sich sicher. Also lief er umher. Lief durch die Lazarette, in denen verzweifelte Heiler um Dutzende Leben rangen und doch nur selten siegten. Er lief umher und sah die Felder der Toten und Leichenberge, sah die zerstörten Kriegsmaschinen auf beiden Seiten brennen, sah die Kommandanten und anderen Offiziere sich in unruhigen Träumen voll der Schmach und Schuld sich hin und her werfen. Er sah seine Kameraden in den Zelten, wie sie lethargisch beisammen saßen, schweigend, die Mienen starr wie Skulpturen und eingefroren darin kein verführerisches Lächeln, kein schelmisches Grinsen – nur die Fratze, die der Krieg ihnen aufgezwungen hatte. Kalt, bitter, grässlich leer. Konnte man im Krieg seine Seele verlieren, weil man daran teilnahm? Weil man ein Teil vom Krieg wurde? Konnte man seine Seele an Arimasper verlieren, wenn man aus Hass und Verachtung in die Schlacht zog? Oder verlor man sie dann gar an Ceteus? Er schauderte, versuchte die Gedanken zu untergraben und zog sich zu später Stunde in eine der Tavernen im Südviertel zurück. Er trank, bis er kaum noch laufen konnte, wankte zurück in sein Lager, übergab sich auf dem Weg dorthin mehrfach und fand selbst dann keine Ruhe. Wach lag er auf seinem Lager, starrte die Decke an und versuchte sich der Bilder zu erwehren, die ihn in den Stunden der Dunkelheit aufsuchten. Entsetzte Gesichter, die gewahrten, dass ihre Deckung soeben zerstört worden war. Der Schrecken fremder Augen, die gerade registrieren, dass eine Klinge sich durch ihren Leib gestoßen hatte. Die Angst in den Augen der Sterbenden, das Flehen um Gnade, darin, an denen er einfach achtlos vorbei gelaufen war. So war der Krieg? So durfte kein Krieg sein, niemals, nirgendwo, das war einfach nicht Recht, das war ein Grauen, ein Unheil, eine Entmenschlichung. Dieser Kampf raubte ihnen das Einzige, was er bislang für unabkömmlich hielt. Als er am dritten Tag in die Schlacht zog, schien ein neuer Mann in den Linien zu stehen. Sie preschten aufeinander, sie vergossen neues Blut, doch er zögerte. Viel zu oft rief er seine Männer zurück, bewies Gnade, zwang sich regelrecht dazu, einen seiner Soldaten mit einem schwer Verwundeten zu den Lazaretten zurück zu schicken. Menschlichkeit. Kein Kampf durfte jemals ohne ein Grundmaß an Menschlichkeit bestritten werden. Wenn man die eigenen Verwundeten wie Luft und Erde behandelte, dann versündigte man sich gegen die Götter. Wenn man seinen Feinden, obgleich bezwungen, keine Gnade zusprach, dann brach man die heiligsten Gesetze. Das musste ein Ende haben, dieser ganze verdammte Krieg war so falsch! Wie hätte er auch wissen können, dass noch ganz andere Augen das Geschehen der Welt verfolgten? Lumiél ist bis heute ein kleiner Inselstaat, scheinbar unbedeutend und doch die Quelle von etwas Gewaltigem. Es war früher Nachmittag, der Kampf noch immer ungebrochen in vollem Gange, als die Erde zu erzittern begann. „Sie wird uns verschlingen, sie frisst uns alle!“ rief einer der Männer panisch aus, der schon am ersten Tag seinen Verstand verloren hatte und nur noch eine Klinge führen durfte, weil er Freund noch von Feind zu unterscheiden wusste. Ein Grollen tief aus der Erde brach sich Bahn, ließ den Boden unter ihrer aller Füße erzittern. Weit im Osten explodierte etwas. Eine gewaltige Fontäne massiver Steinbrocken, Grasmatten und sogar einzelner Bäume flog im hohen Bogen in die Luft und ließ einen braungrünen Schauer auf den Boden nieder gehen. Alle zuckten vor der Wucht und Gewalt dieses Schauspiels zusammen. Etwas war mit dem Erdreich in die Luft geströmt, sie wussten es. Manche hatten es gesehen, doch niemand vermochte zu sagen, was es war, zu undeutlich waren die Schatten, zu schnell war es über den Wolken verschwunden. Was nun? In atemloser Spannung hielt die Welt inne. Das Schlachtfeld rührte sich nicht, keiner wagte zu einem neuen Schlag auszuholen, selbst die Verwundeten schienen das gequälte Lärmen eingestellt zu haben. Sie sahen die Erde nieder rieseln und wussten, das etwas über ihnen war. Nur was? Und wo? Doch alle Fragen liegen ins Leere. Eine mächtige Stimme ertönte, sie drang in ihre Köpfe, brach sich gewaltsam Bahn. „So viel Hass... ihr erstickt daran... so viel Blut... ihr schwimmt darin... das muss ein Ende finden.“ Die Wolken, eben noch weiß und harmlos, wurden dunkler und dunkler, schwärzten sich ein. Schon zuckten erste Blitze, noch ehe ein Tropfen gefallen war. Der ganze Himmel wurde finster, zog sich zu, von einem Horizont zum Nächsten, die ganze Welt wurde in Nachtschwärze getaucht und droben leuchtete das Zucken der Blitze. Oder... waren diese rötlichen Spuren wirklich Blitze? In der Finsternis der Wolkenfront stieß etwas zu ihnen herab. Ein gewaltiges Röhren brach sich Bahn und ließ die Männer vor Schmerz die Waffen fallen lassen. Sie pressten sich die Hände auf die Ohren, doch das vermochte den Effekt kaum aufzuhalten. Mit eigenen Schmerzschreien in das wütende Grollen einstimmend, wankten sie umher, suchten Hilfe und Heil und fanden weder das Eine, noch das Andere. Flammen zogen auf, eine regelrechte Schneise fegte über das Gras und brannte es in Sekunden zu Asche. Er wich zurück, befahl seinen Männern den Rückzug, sah das konturlose Etwas von Neuem nieder preschen, er spürte es einfach kommen und rannte, rannte, so schnell seine Beinwunde es zuließ. Ein Meer flüssigen Feuers ergoss sich über das Land. Die Toten würden niemals ein Grab finden. Die Menschen und Zwerge flohen nach Norden, die Elben und Zentauren nach Süden, doch zahllose Wesen vermochten den Feuern nicht zu entrinnen. Er sah einen seiner Männer neben sich rennen. Ein Funke der Flammen nur hatte ihn getroffen, doch binnen Sekunden hatte er auf den Panzer übergegriffen, auf seine Sohlen, Leinen, Haut und Haare. Ein Funke nur brannte den Soldaten zu Asche, noch während er rannte. Die Überreste stürzten zu Boden, glühten noch einen Moment, doch das Gras geriet nicht in Brand. Magie. Es konnte nur Magie sein. Diese Flammen waren nicht natürlich! Kein Flammenmeer brannte auf Gras und Erde unzählige Meter hoch, keine Feuerhölle dieser Welt würde bei so stürmischem Regen und solch schneidenden Winden so mühelos wüten wie ein Flächenbrand in einem seit Jahren ausgedörrten Wald! Das Quartett von Samara hatte endlich ein Ende gefunden. Tausende hatten ihr Leben lassen müssen, Tausende würden niemals ein Grab bekommen, Tausende Familien niemals wissen, ob ihre Vermissten den Flammen entkamen. Doch dem Wahnsinn war Einhalt geboten worden. Er jedoch legte an diesem Tag das Schwert und die Rüstung nieder und schwor beim Kriegsgott, dass ihm zu keiner Zeit seines Lebens jemals wieder solches Unheil ereilen sollte. Er kehrte dem Schlachtfeld den Rücken, dem Heer Lumiéls, dem König. Daheim würde er erfahren müssen, was er längst im Herzen gewusst: Seine Eltern waren tot. Doch war es tröstlich, dass sie nicht durch Elbenhand, sondern von der Krankheit dahin gerafft worden waren? Nein. Sie waren in Ereshkigals Hand, ganz gleich, durch wessen Einfluss. Es spielte keine Rolle. Er erbte den Hof seiner Eltern und wusste ihn bald schon mit neuem Leben zu füllen. Die junge Frau aus Samara sollte sein Weib sein, reichte ihm die Hand zum heiligsten Bund, besiegelt in alter Tradition unter dem wachsamen Auge der Damastes. Wie hatten die Jahre ihn verändert? Er war groß und stark geworden, hatte Tugend und Gerechtigkeit gelernt, hatte gesehen, wie die Welt wirklich war und hatte erkannt, wie tief der Abgrund des Krieges, der Abgrund des Hasses und der Verachtung wirklich war: Ein endloses, schwarzes Loch in dem man sich und seinen Verstand verlor, seine Seele verlor. Er war zurück geschreckt, hatte Menschen verloren, Freunde zu Grabe getragen, geliebt und geheiratet. Er hatte die dunklen Jahre Lumiéls überlebt und ihm allein gebührte das Schicksal, dereinst in nur drei weiteren Jahren selbst von des Volkes Hand erhoben auf den Thron des Inselreiches zu steigen. Ihm würde man guten Gewissens Krone und Zepter überreichen, ihn das Land führen lassen, zu neuer Blüte und Größe. Für die Geschichtsschreibung würde er stets der Namenlose bleiben, den die Historiker unserer Welt nur noch als den ‚Herzträger‘ kennen... Nun, mein Freund, was sagst du? War die Geschichte des Kruges wert oder nicht? Dachte ich mir doch. Nun lass einen alten Mann gehen und sein Schicksal in der Nacht finden! Der Alte erhob sich vom Kamin, zog die Kutte seines Gewandes mit faltigen Händen über den von schneeweißem Haar verzierten Schopf und mühte den ausgemerkelten Körper vom Stuhl. Er trat zur Türe der Taverne hin, störte sich nicht an jenem großen Kreis neugieriger und stillschweigender Hörer, der sich versammelt hatte. Einzig, als eine junge Frau sich erhob und ihn um einen Moment bat, packte er den Türknauf, zog das Brett auf und wartete. Sein Blick fiel in die tiefe, dunkle Nacht. Er würde heute sterben, das wusste er. Noch diese Nacht, noch diese Stunde. Viele glückliche Jahre hatte sein Weib ihm schenken können, doch heute Nacht würde für Armir ein Rabe kommen, seine Seele zum Schwurgericht zu bringen. Eine junge Adelsdame hielt ihn zurück. Ihre würdevolle Haltung, ihr feines Benehmen und ihr edler Duft verrieten sie. Ob die Geschichte wahr sei, wollte sie wissen. Er wandte sich um, sah Ninafer Saeryleth in die Augen und lächelte so wissend und vorausschauend, als hätte er die Gabe der Hellseherei erlernt. „Jedes Wort. Pass gut auf ihn auf.“ flüsterte der schwächliche Alte und zog aus der Taverne, hinaus in erbitterten Regen und beißend kalte Winde. Die Tür schloss sich hinter ihm, er blickte zum Himmel auf und lächelte glückselig. „Mach’s gut, mein Freund.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)