Lumiél von Voidwalker (Königreich der Monde) ================================================================================ Kapitel 53: Annika ------------------ Mehrere Monate zuvor… „Nein, woah, warte. Das ist nicht, was ich gesagt habe.“ „Aber es ist, was du implizierst, oder nicht?“ Schritte hallten die langen, dunklen Korridore herab. Warfen hier und da gruselige Echos in Seitengängen und –räumen, die völlig verwaist lagen. Die Kanalisation war nie ein sonderlich angenehmer Ort gewesen. Sie kannten diese Gänge natürlich beide gut, hatten hier eine Weile zugebracht… doch jetzt, mit der Mehrheit der Rebellen abgezogen und nur noch der üblichen Standard-Rumpfmannschaft hier, irgendwo über ihren Köpfen in den Straßen der Stadt ihrem Alltag nachgehend, da gab es schlicht keine Notwendigkeit mehr für eine klassisch-klischeehafte Untergrundanlage des Widerstandes in den Kanälen der Stadt. So, wie sie von zweifellos nur äußerst wenigen Romanen je beschrieben wurde. Vielleicht hatte man sie deshalb nie aufgespürt? Es war zu offensichtlich gewesen? Die Vorstellung war zugegeben ziemlich amüsant. Wie irgendein Wachmann, vermutlich ein junger Rekrut frisch aus dem Training, seinem Offizier nach dessen aufgewühlt-launischen Rede und auf seine Frage nach Vorschlägen hin erklärte, das man doch in den Kanälen suchen könne. Immerhin habe da noch keiner einen Blick hinein geworfen. Und eben jener Offizier rümpfte die Nase, blickte seinen Rekruten mit einer neuen Art von Geringschätzung an und erklärte ihm dann in aller Länge und Ausführlichkeit, dass keiner jemals so dumm wäre, ein derartig offensichtliches Versteck zu nutzen – so offensichtlich, dass man es in hunderten von Büchern nachschlagen konnte! Nicht, das die Wache noch immer ein Problem wäre. Selbst die Kanäle waren es nicht mehr, so oder so. Bald würden hier Heerscharen von zwergischen Baumeistern einfallen und Ordnung bringen. Die Trümmer aus den eingestürzten Tunneln abtragen, die Wände verstärken, die gefluteten Bereiche regulieren, die ausgetrockneten Bereiche wieder fluten – kurzum: Die völlig verwaiste, verwahrloste und gerade noch so funktionstüchtige Kanalisation wieder in einen Topzustand bringen. Denn die Infrastruktur Lumiéls gehörte mit zu den höchsten Prioritäten des neuen Königs. Grantig wie er war, konnte man ihm wenig vorwerfen – und schon gar nicht, das er sich nicht um die Bedürfnisse seiner Leute kümmern würde. Aber ohne diese Zwergenhorden, die Spitzhacken schwingend, Schaufeln stoßend und kontinuierlich maulend hier ihre Arbeit verrichteten, war es dennoch weiterhin… verwaist. Und damit gespenstisch. Vielleicht hatte sich der Eindruck einfach zu sehr eingeprägt? Dort war mal eine Stolperfalle gewesen. Nichts wirklich Überragendes. Nicht ausgefeilt oder sonderlich clever. Aber in ihrer Simplizität effektiv. Da drüben hatten dann die von der Falle vorgewarnten Rebellen Posten bezogen, um einem Feind in den Rücken zu fallen, sobald er passiert hätte. Es gab sogar ein paar Geheimwände, wenn man die in laienhafter Eigenarbeit eingezogenen, beweglichen Wandteile so nennen wollte. Doch egal, wie sehr er die Umgebung musterte – er konnte ihrer Frage unweigerlich ewig ausweichen. Und sie hatte so ein unangenehmes Talent, ohnehin zu erfahren, was sie erfahren wollte. Seufzend wandte sich Alistair also wieder Daeri zu. „Nein“, begann er zunächst zögernd. Wie machte er ihr das am besten klar? „Das ist wie… mit mir und den Diamanten damals. Ich mag es, Dinge zu haben und ich gebe sie ungern wieder heraus, das stimmt schon. Es ist schließlich meine Beute. Die ich mir tapfer und ehrlich verdient habe.“ Der Blick sagte genug, entsprechend räusperte er sich und korrigierte rasch. „Tapfer und… also die ich mir professionell und tüchtig verdient habe! ... ist doch auch egal! Jedenfalls waren es meine. Aber eigentlich stehle ich um des Stehlens willen. Ich mag die Herausforderung. Sehen zu können, ob ich es schaffe, dieses Ding zu bekommen, ohne dass der, dem es gegenwärtig gehört, das bemerkt. Ist bei dir nicht anders, oder? Du bist nur etwas… praxisbezogener? Wobei, nicht mal das. Wir haben beide immer wieder sehr reale Probleme, für die wir sehr reale Lösungen brauchen. Und wir müssen beide kreativ werden, um damit fertig zu werden. Nur das du dazu eben Dinge baust.“ Sie nickte, als sie den Eindruck zu gewinnen schien, dass das von ihr erwartet wurde. Und Alistair seufzte unweigerlich. das war nicht, worauf er hinaus wollte. Aber selbst nach Monaten und Jahren hatte sie noch immer ihre Schwierigkeiten, soziales Verhalten immer korrekt zu interpretieren – weil es oft einfach so unlogisch war. Wie mochte wohl eine nach Daeris Verständnis perfekte Welt aussehen? Wären sie dann alle wie ihre Maschinen? Zuverlässig tickend und klickend bis absehbare Faktoren wie Energie und Materialverschleiß sie in absehbaren Zeiträumen auf absehbare Weise absehbar zugrunde gehen ließen…? Klang irgendwie grässlich. Grässlich langweilig zum Beispiel. Den Kopf schüttelnd, versuchte er sich wieder zu fokussieren. „Alles, was ich sagen wollte, ist eigentlich das: Schön und gut, dass du clever bist und so viel Zeug basteln kannst. Aber vielleicht solltest du dich damit bedeckter halten? Ich sage nicht, dass du nicht mehr bauen, Probleme lösen, beim Probleme lösen helfen oder andere in deine Projekte einbeziehen sollst. Hey ich mochte den Teil, bei dem ich dein Schloss knacken durfte – so eine Herausforderung hatte ich seit Jahren nicht mehr! Aber in den Augen der Welt da draußen haben wir ‚gewonnen‘. So als gäbe es hier nichts mehr zu tun. Und du hast sowieso noch andere Leute im Nacken, oder nicht? Wenn du die ganze Zeit herumerzählst, was du alles kannst und gemacht hast, dann könnten das mehr werden und keiner von uns will, dass du-“ Sie war weg. Normalerweise hätte er das nicht als allzu tragisch empfunden. Weg sein konnte schließlich vieles sein und vieles bedeuten. Das jemand geistig aus einer Konversation ausgestiegen war. Das jemand, mit dem man eben noch Seite an Seite lief, plötzlich abgebogen war. Doch Daeri hatte nicht die Neigung, einfach weg zu sein. Gerade noch war sie neben ihm gewesen, hatte sich seinem Schritttempo angepasst. Er hatte ihre Nähe regelrecht spüren können. Es hatte keine Lichteffekte gegeben. Kein ‚Wooosch!‘, kein ‚Bzzzzzt‘, keinerlei seltsame Geräusche. Nicht mal ein Lüftchen hatte sich bewegt. Sie war einfach weg. „Huh…“   Mont de Glace war nicht unbedingt die schönste Stadt aller Zeiten – entgegen dem, was man vielleicht meinen mochte. Die Magier  gaben sich natürlich Mühe, Ordewey bestmöglich zu präsentieren und die Hauptstadt war damit zwangsläufig das Aushängeschild. Das hieß allem voran, dass man allerhand, nun ja, magische Dinge sah. Häuser aus Glas – was unpraktisch sein musste, oder nicht? – und schwebende Verkaufsstände und sprechende Blumen und allerlei Merkwürdigkeiten. Das machte die Stadt ausgesprochen exotisch und beeindruckend und ereignisreich und sehenswert und sicherlich auch irgendwie super-magisch. Aber es machte sie nicht schön. Natürlich störte das Annika wenig. Mont de Glace war ihre Heimat. Sie war hier geboren worden, Tochter einer Schneiderin und eines Bauern, dessen Hof die äußeren Felder bewirtete. Nicht, das ihm der Hof gehört hätte, nein. Ein Magier besaß das Land. Aber welcher Magier nahm schon eine Spitzhacke oder Schaufel oder führte den Ochsen samt Pflug über das Feld? Sie beschworen Dinge, die das für sie taten. Oder, wenn sie dafür noch nicht mächtig genug waren oder weniger Wert auf solche Demonstrationen legten… dann bezahlten sie einfach Leute, die das taten. Und großzügig, wie sie damit waren, durften die dann gelegentlich sogar in Häusern leben, die ebenfalls auf dem Grundstück errichtet worden waren. Nun ja, und ihre Mutter war Schneiderin. Keine von den ganz Großen. Keine, deren Namen man wirklich in allen Winkeln der Stadt kannte. Im Gegenteil. Sie nähte Schürzen. Und Leinenhosen. Und manchmal einen dickeren Wams für den Winter. Sie arbeitete an kleinen Dingen. An… ordinärem Zeug. Das war natürlich genauso wenig verwerflich. Mancher der feinen Herren Ordeweys mochte darauf herabblicken, aber ohne Leute wie ihre Mutter hätten all die Handwerker und Arbeiter keine Kleider am Leib und würden erfrieren. Oder die seltsamen Zauber besagter Herren benötigen. Die sich das vermutlich wiederum entlohnen ließen, was bedeuten würde, das Ordeweys einfaches Volk langsam verarmen, erfrieren und/oder verhungern müsste. Und wenn der Zirkel vor irgendetwas Angst hatte, dann war es: Den Eindruck zu erwecken, dass sie sich nicht kümmern würden. Denn darum ging es bei der Idee des Zirkels, nicht wahr? Um Fürsorge. Andere Völker wie die Elben und die Tieflinge hatten ihre Magie von Natur aus, von Geburt an – jeder einzelne von ihnen. Damit war das Wirken von Magie ein völlig normaler Teil ihres Lebens, ihres Aufwachsens. Und andere wie die Zentauren und Zwerge, die hatten eigene Wege gefunden, ihre wenigen Magiefähigen zu unterrichten, auszubilden und den restlichen, nicht-magischen Teil ihres Volkes vor Ausbrüchen zu beschützen. Und vor allem: Diese Begabten auch vor der Angst und dem Unverständnis der Magielosen zu schützen. Der Zirkel war schlicht die Antwort der Menschen auf die Frage, wie diese mit ihren Magiebegabten umgingen. Annika wusste und verstand das. Nicht zuletzt, weil es eine dieser lästigen Lektionen war, die man im Tempel in jedem Lehrjahr erneut zu hören bekam. Und dann war der Zeitpunkt gekommen, an dem sie erstmals aus Versehen selbst einen Zauber gewirkt hatte. Zugegeben – mit neunzehn Jahren war sie ein gehöriger Spätzünder und man hatte ihr früh deutlich gemacht, das ihre Begabung einfach zu schwach ausgeprägt war. Sie würde die Abschlussprüfung niemals überleben. Und damit war es besser, sie gar nicht erst zu selbiger zuzulassen. Das hieß natürlich nicht, dass sie weniger verbissen lernte. Das Studium eröffnete ihr völlig neue Möglichkeiten. Immerhin: Selbst das, was ein Adept bei guter Anstellung verdienen konnte, war noch immer weit mehr, als ihre Eltern je hätten erträumen können! Und mit dem Geld könnte sie den beiden auch kräftig unter die Arme greifen. Also lernte sie. Viel und verbissen. Und sie lernte gut. War gut. Und erarbeitete sich, trotz ihres kontinuierlich belächelten Status‘, binnen weniger Jahre genug Expertise in dem einen oder anderen Feld, das man ihr eine Position anbot, die ihren Geschmack traf. Eine Position mit guter Entlohnung. Eine Position mit Verantwortung. Eine Position… die nicht war, was man ihr versprochen hatte…   „Guten Morgen, Miss – was kann ich für sie tun?“ Ein schweres Seufzen lag auf Annikas Lippen, aber sie würgte es herunter und zwang stattdessen ein freundliches Lächeln auf. Sie arbeitete jetzt wie lange hier? Einen Monat? Vielleicht anderthalb? Ihr war natürlich klar gewesen, dass sie als nicht wirklich vollwertige Magierin keinerlei Anspruch darauf hatte, als Herrin bezeichnet oder als solche angesprochen zu werden. Doch innerhalb der Hochsicherheitsanlage waren alle so freundlich, darüber hinwegzusehen. Das lag allem voran natürlich darin begründet, dass sie für niemanden eine Gefahr war. Jeder war im Vorfeld ausführlich darüber in Kenntnis gesetzt worden, wer sie war, was sie konnte, was unter ihre Aufgaben fiel und was man von ihr verlangen und erwarten konnte. Sie war der Niemand, der in der Zirkelhierarchie steckengeblieben war und es niemals zur Abschlussprüfung schaffen würde. Das hatte jegliches Intrigen- und Bedrohungspotenzial im Keim erstickt. Weshalb sie sich mit der Mehrheit der Magier da drinnen wirklich gut verstand. Es mochte vielleicht ein wenig traurig anmuten, dass diese Umstände nötig waren, um so etwas zu fördern und zu gewährleisten, aber… das war eben einfach die Welt der Magier. Die funktionierte so. Und bemessen an dem, was ihr alter Lehrmeister ihr immer gesagt hatte, war das auch schon immer so gewesen. Dennoch. Warum ‚Miss‘? Selbst das Sicherheitspersonal am Geländezugang war eigentlich freundlicher gewesen. Annika wandte sich um und musterte den Kerl eingehender. Die feine Robe war natürlich eindeutig. Aber es handelte sich offenkundig um jemanden, der unkonventionell dachte. Oder von Natur aus-… nein. Solche Muskelpakete waren nicht angeboren. Vielleicht ein Verwandlungsmagier? Die konnten noch am ehesten etwas mit purer physischer Kraft anfangen, oder nicht? Jedenfalls kannte sie ihn nicht. Ein fremdes Gesicht. Das war nicht gut. Jetzt musste sie mit dem ganzen Prozess von vorne anfangen. Sich ihm vorstellen, mit ihm Schwatzen, jeden Tag immer mal wieder ein bisschen. Bis sie sich kannten und beim Vornamen nannten und er endlich so freundlich wäre, auch darüber hinwegzusehen, das sie eigentlich nur eine Miss war und keine Herrin. „Guten Morgen…?“ Doch entgegen ihrer Hoffnung stellte er sich nicht vor, sondern wartete geduldig ab. Abermals unterdrückte sie ein Seufzen. „Ich bin Annika – freut mich, euch kennenzulernen!“ Sie streckte ihm die Hand entgegen und einen Moment starrte er verdutzt darauf, als wäre sie das Opfer spontaner Tentakelbildung. Stattdessen jedoch nickte er langsam. „Ich weiß, Miss…?“ „Annika. Bitte. Das reicht völlig, oder nicht?“ Er musterte sie erneut kritisch, seufzte dann jedoch und nickte. „Meinetwegen.“ „Und ihr seid?“ „Meister Eduardo Carissian Belamonte von Urststetten“, gab er in stolzem Brustton wieder. Ein weiteres inneres Seufzen. Magier und ihre Namen. „Also… Eduardo?“ Oh sie wünschte sich, sie hätte nicht gefragt. Der Blick des Mannes war beinahe schon physisch einschüchternd und schrumpfend. Bohrend und brennend und strafend und vernichtend. „Meister Belamonte sollte reichen“, gab er mit kaum verhohlenem Ärger zu verstehen. Annika nickte langsam. „E-Entschuldigung. Ich… i-ich wollte nur… i-ich arbeite da drinnen…“ Meister Belamonte nickte grimmig, nahm seine Liste zur Hand und suchte sie kurz ab. „Ich weiß. Ich trage sie ein, Miss.“ Seufzend schlich sie weiter über das Gelände, nachdem sie das große Tor passiert hatte. Das war kein sehr guter Start gewesen. Sie würde Monate brauchen, um diesen ersten, fiesen Schnitzer auszubügeln. Falls das überhaupt möglich war. Schade drum – Ed-… Meister Belamonte wirkte eigentlich, als könne er nett sein. Wenn er es denn wollte. Das Feld zwischen dem Lichtschrankenzaun mitsamt des Flüssigtors und der eigentlichen Anlage war im Grunde eine große, ebene Freifläche. Zwangsläufig. Sollte jemand unbefugt die Anlage verlassen wollen, dann brauchte man ein gutes Stück, um zu den Zäunen zu kommen. Die alle, was sie berührte, verbrannten. Oder zerschnitten, falls man versuchte, durchzurennen. Hässliche Vorstellung. Die Freifläche war lediglich der Versuch, den Elementarmagi und Geistmagi ein freies Schussfeld zu ermöglichen, bevor die Zäune überhaupt relevant wurden. Die Kaserne, in der die Sicherheitsleute die meiste Zeit untergebracht waren, befand sich ganz in der Nähe, aber nicht auf dem Gelände selbst. Und die hatten auch keinen Zutritt zur Anlage. Nur… wie hatte Bert das genannt? Perimeterkontrolle. Sie bewachten den Zaun und die Freifläche. Nicht mehr. Sie wussten nicht einmal, was in der Anlage vor sich ging, wie es dort aussah, wozu sie überhaupt existierte. Zur Sicherheit aller natürlich. Entsprechend waren Gespräche zwischen Mitarbeitern und Sicherheitsleuten auch eher ungern gesehen. Oh… Vielleicht hatte man Bert ausgewechselt? Weil er mit ihr geredet hatte? Das… war eine unschöne Erkenntnis. Vielleicht sollte sie sich bei ihm entschuldigen, nur… sie wusste überhaupt nicht, wo er lebte. Sie wusste generell so gut wie nichts über ihn – außer eben seinen Vornamen, dass er ein recht sonniges Gemüt hatte, seinen Kaffee bevorzugt schwarz trank, Schuhe aus einem ganz bestimmten Leder bevorzugte, weil es einfach besser roch als anderes und er diesen Tick hatte, ständig mit der Feder herumspielen zu müssen, wenn während seines Gespräches seine Hände frei waren… Mit einem bittersüßen Lächeln auf den Lippen trat sie die letzten Meter des Pfades entlang an die Anlage heran. Der gesamte Komplex war… in seinen Ausmaßen ziemlich beeindruckend. Erst recht, wenn man erstmal wusste, was es damit auf sich hatte. Ursprünglich dachte sie – bei all den Sicherheitsmaßnahmen war das wohl auch nicht ganz so abwegig gewesen, oder? –, dass es sich um ein Gefängnis oder dergleichen handeln musste. Dann, dass man hier vielleicht unwillige Hexer unterrichtete. Dann, das hier vielleicht mächtige und damit gefährliche Artefakte hergestellt wurden. Irgendwann hatte sie das Rätseln aufgegeben. Und war zu ihrem ersten Arbeitstag erschienen. Das Gebäude bestand vollständig aus massivem Granit. Ein einzelner Block. Zweifellos von einer ganzen Menge sehr fähiger Erdmagier gebaut. Fenster gab es durchaus – sie hatte Herbert mal danach gefragt. Irgendetwas über verdichtete Kohlen oder so. Sie waren wie Glas, aber unglaublich hart. Herbert hatte Witze über die Unnötigkeit von Sicherheitspersonal gerissen, weil mögliche Ausbrecher die Fenster sicherlich als Schwachstellen sehen und sie einzuschlagen versuchen würden – dabei war es wohl letztlich sogar leichter, die Wände zu durchbrechen als die Fenster. Sie gab das übliche Klopfzeichen und zwei Erdmagier öffneten ihr vorübergehend einen Spalt im Granit, damit sie eintreten konnte. „Guten Morgen Jungs! Ich habe euch was mitgebracht. Eine halbe Tasse Zucker mit drei Tropfen Tee drin für Jannus“, erklärte Annika grinsend und reichte dem einen den Tee, „Und eine dreiviertel Tasse Milch mit einem Schuss des miesesten Billigkaffees, den ich finden konnte, für Ernst.“ Beide nahmen grinsend ihre dargebotenen Getränke entgegen. „Morgen Annika. Und hey, danke – du bist die Beste!“, erwiderte einer von beiden. „Als könntest du Gedankenlesen!“, versuchte der andere es erneut. „Ich bin knapp dran und habe nicht vor, unpünktlich zu sein – tut mir leid, Jungs!“ Grinsend tappte sie davon, den Korridor herab, während Jannus und Ernst die Lücke wieder schlossen. Sie versuchten schon, seit sie hier angekommen war, ihre Schule zu erraten. Bisher erfolglos. Die Luft im Komplex war… anders. Man versuchte sich keine Blöße in der Sicherheit zu geben, indem man Luftschächte oder dergleichen zuließ. Es gab keine Ventilation, keine Luftzirkulation. Stattdessen gab es ein paar Windelementare, die beständig Frischluft verströmend und die gebrauchte Luft aufsaugend durch das Gebäude streiften. Ihre zugehörigen Beschwörer und Luftmagier hatten eine Art von Lobby, in der sie sich den lieben langen Tag die Zeit vertrieben. Annika taten sie ein wenig leid – es musste grässlich sein, die ganze Zeit hier eingepfercht zu werden. Natürlich waren sie das nicht immer. Es gab Wochenschichten. Sie waren eine Woche hier drinnen und sorgten für Frischluft und dann waren sie eine Woche draußen und konnten tun, was immer sie mit ihrem Leben anzufangen gedachten. Nichtsdestotrotz war es schwer vorstellbar, dass es leicht sein konnte, diesem Rhythmus immer zu folgen. In der Umkleidekabine angelangt, begann sie sorgfältig ihre Sachen zu falten und zu verstauen und zog sich die Adeptenrobe an. Sie war nicht individualisiert, durfte es laut der Anlagenleitung nicht sein. Damit man nicht auf dumme Ideen kam. Welche auch immer das wieder sein mochten. Also begann sie ihre tägliche Routine. Sie fand sich beim Postzentrum ein. „Hey Marrika. Hast du was für mich?“ Die angesprochene Brünette sah über den Rand ihrer Brille auf und ihre Miene wurde rasch deutlich weicher. „Hey Annika, guten Morgen! Hm, ja, ist heute ganz wenig. Die Lieferung aus Thethys traf ein. Hat sich wohl endlich mal einer überlegt, dass es klüger wäre, Wort zu halten. Oder sie haben Wind davon bekommen, das sie ins Hintertreffen geraten, wenn sie hier nicht rasch handeln.“ Annika seufzte schwer. „Na prächtig.“ Kurz darauf wuchtete Marrika einen unangenehm großen, unangenehm schwer aussehenden Stapel an Akten auf den Tresen. „Viel Spaß damit!“, erklärte sie lächelnd, „Oh und Annika? Mittag wie üblich?“ Sie nickte ihr zu, zog den tatsächlich schweren Stapel an sich und hoffte einmal mehr, dass irgendwer daran gedacht hätte, die Adeptenroben gegen Schwitzen zu immunisieren. Nach wenigen Metern merkte sie bereits, dass dem nicht so war… Wie üblich führte ihr erster Weg sie einmal quer durch die Anlage, zu einer recht unscheinbaren, unbeschrifteten Tür. Vermutlich hatte man ihren täglichen Weg extra so angelegt. Um sie zu ärgern. Zu quälen. Zu foltern. Schwitzen zu lassen. Genau – darum ging es! Dass sie jeden Tag in verschwitzten Sachen herumlaufen musste, von früh an, um ihr aufzuzeigen, dass sie kein ordentlicher Magier war! Gedanken wie diese plagten sie immer wieder, wenn sie die Poststelle verließ. Denn es war im Grunde jeden Tag so, dass sie einen gewaltigen Stapel aufgedrückt bekam. Anfragen kamen aus dem gesamten Land herein – und neuerdings auch aus Alrym und Akkara, wie es schien. Das hieß vermutlich, das sich ihre Arbeitslast in wenigen Wochen verdoppeln, verdreifachen oder sogar vervierfachen würde. Und über kurz oder lang waren entweder mehr Aushilfen nötig – denn wenn sie ganz ehrlich mit sich selbst war, dann war das im Grunde, was sie hier tat -, oder aber sie würden ihr einen dieser Bärenstärke-Gürtel geben müssen, damit sie diese Dinger noch herumwuchten konnte. Ein Korb auf Rädern täte es vielleicht auch. Sie klopfte nach einem Moment etwas umständlich mit dem Fuß an der Tür. „Herein“, kam die tiefe, männliche Stimme von drinnen. Sehr gedämpft. Angespannt. Kratzig. Er hatte offenbar wieder einen Abend seinen Sohn bei dieser komischen Sportart beobachtet und sich ihn anfeuernd die Stimme weggebrüllt. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. „Lass mich“, meinte sie leise. Kurz darauf wurde die Tür aufgezogen und sie eingelassen. „Guten Morgen, Bob! Ich hab dir was Hübsches mitgebracht – Anzünder für deinen Kamin daheim!“ Bob – oder auch Meister Bobatulus Irastris Masinikum von Berlingen – war ein eigenwilliger Magier. Allem voran war er deutlich, unbestreitbar und kaum zu beschönigen übergewichtig. Und er machte sich aus all den Kommentaren, die seine Kollegen diesbezüglich vielleicht aufbieten mochten, nicht das Geringste. Ein Stück weit bewunderte Annika seine Fähigkeit, solcherlei einfach an sich abperlen zu lassen. Bob liebte das Essen. Er liebte es, zu essen. Er liebte das Kochen. Das Würzen. Das Zusammenstellen verschiedener Aromen zu immer neuen Kompositionen. Er verglich es oft mit dem schöpferischen und gleichzeitig konsumierenden Prozess hinter Musik. Verschiedene Noten ergaben eine Melodie – und der geneigte Zuhörer empfand sie als bemerkenswert schön und genoss sie in vollen Zügen. Nur das Bob das mit Essen tat. Darüber hinaus empfand er offenkundig wenig Sinn darin, sich sonderlich um seine Mode zu scheren. Gerade in Mont de Glace, der Stadt der Magier, änderten sich Modetrends häufig über Nacht. Bob dagegen hatte die gleiche, schlicht-braune Robe mit einem stilisierten Drachenmotiv auf dem Rücken seit über fünfhundert Jahren. Und die Letzte hatte er auch nur ersetzt, weil irgendein dummer Adept sie ihm in einem unvorsichtig durchgeführten Experiment angezündet hatte. Darüber hinaus war er schlicht… umgänglich. Er war neben Marrika die freundlichste Seele im gesamten Komplex und das, obwohl er das wirklich nicht hätte sein müssen. Er war ein äußerst fähiger und talentierter Geistmagier – zweifellos konnte er jederzeit jedermanns Gedanken lesen. Konnte die Abgründe in ihren Vorstellungen sehen. Die Boshaftigkeit in manchem Gedankengang erkennen. Aber er tat nichts dergleichen. Annika hatte ihn einst darauf angesprochen und er hatte ihr erzählt, dass er in seiner Jugend diese Fähigkeit tatsächlich exzessiv genutzt hatte, um sein Umfeld zu durchleuchten, zu prüfen, zu kontrollieren. Doch letztlich hatte das sehr an seinen Nerven gezehrt und ihm war klar geworden, dass die Gedanken eines jeden dessen kleines Heiligtum waren, ein – eigentlich – privater Rückzugsort, an dem alles bar lag, unbeschönigt und entblößt. Das war kein Ort, an den ein anderer zu schauen fähig sein sollte. Also hielt er sich die meiste Zeit aus den Köpfen anderer Leute heraus, aus Respekt ihnen gegenüber. Auch das war eine Willensstärke, die sie bewunderte – denn sie war sich nicht so sicher, ob sie die gleiche Entscheidung getroffen hätte, hätte sie ständig die Gedanken der Leute um sie herum lesen können. Allein schon ihre Unsicherheit bei so vielen Dingen. Meinte der da jetzt wirklich, was er sagte? Schnell nachsehen! War das Kompliment aufrichtig oder erhoffte er sich etwas? Schnell nachsehen! Derjenige hatte eine Rätselaufgabe gestellt? Dann dachte er bestimmt gerade an die Lösung – schnell nachsehen! Es wäre gewiss einfach zu verlockend gewesen. Nachdem Bob sie eingelassen und die Tür geschlossen hatte, dämpfte sich das Licht automatisch wieder auf den von ihm eingestellten Grad herab. Der plötzlich im Halbdunkel liegende Raum war eine Katastrophe. So nannten andere ihn jedenfalls fortwährend. Aber Annika wusste inzwischen, das Bob nicht scherzte, wenn er erklärte, dass er jederzeit wisse, wo sich was befände. Vorsichtig navigierte sie die Berge an Notizen, Werkzeugen und magie-technischem Gerät, ehe sie ihren eigenen Stapel vorläufig auf eine freie Ecke des Tisches wuchtete. „Feuerholz, endlich!“, erklärte er mit heiserer Stimme und nahm grinsend wieder Platz, „Aber ich schätze, die werten Herren und Damen weiter oben wären wenig begeistert, wenn du mir deren Spielzeug überlässt.“ „Du warst wieder bei einem Spiel, oder?“ Er grinste, nickte. Eigentlich hätte da vermutlich ein schuldbewusster Ton sein sollen. Seine Frau war… nicht mehr wirklich seine Frau. Sie lebten getrennt, seit Jahrhunderten schon. Das kam vor, immer wieder – ein ewiges Leben versprach dummerweise nicht die ewige Liebe. Und sie mochte es wirklich nicht, wenn er sich in der Nähe ihres Kindes herumdrückte. Vielleicht sollte sie ihn diesbezüglich maßregeln, schon wieder, aber… nicht heute. Sie konnte verstehen, warum ein Vater die Erfolge seines Sohnes miterleben wollte. Warum er ihn von Zeit zu Zeit wenigstens sehen wollte. Und sein Sohn war inzwischen auch zweihundert, vor zwei Jahrzehnten mit der Ausbildung fertig geworden – fähig, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und selbst zu bestimmen, wen er in seiner Nähe duldete und wen nicht. Annika trat zu Bob herüber und lehnte sich vor. Direkt vor Bob war der gewaltige Schreibtisch. Links ein Stapel fertiger Akten, sorgfältig zusammengestellt, ergänzt, sortiert, korrigiert. Vor ihm drei nebeneinander liegende Blatt Pergament, mehrere Tintenfässer und Federn in unterschiedlichem Zustand. Manche leer und schon verkrustet, andere angefangen. Die Federn mal gebrochen, mal gerupft, mal noch intakt und schreibfähig. Rechts dagegen ein großer Stapel frischen, unbeschriebenen Pergaments. Und jenseits des Tisches eine große, breite Scheibe, nur einseitig durchsichtig. Dahinter lag der Grund für all das hier. Für wirklich alles. Obwohl sie aktuell eher saß, als zu liegen. Daeri Vindur, auch Sylphe genannt. Warum auch immer. Der Tiefling war beeindruckend. Ein wenig einschüchternd, auf ihre eigene Art und Weise. Ihr Zimmer jenseits der Scheibe war nicht wirklich luxuriös eingerichtet worden, aber zumindest komfortabel. Man wollte es ihr bequem machen. So bequem, wie es in einem riesigen Gefängnis eben möglich war. Sie war obendrein die einzige Insassin, also bekam sie nicht einmal sonderlich viel Gesellschaft. Nur gelegentliche Besuche von Leuten, die wissen wollten, ob sie irgendetwas wünschte oder benötigte. Neue Stifte, neues Pergament, neues irgendwas – alles… alles, außer ihrer Freiheit. Und Bobs Aufgabe war denkbar simpel. Er schrieb. Sehr schnell, sehr viel. Mit der gestiegenen Anzahl an Anfragen und Akten allerdings würde man wohl irgendwann auch Bob Verstärkung zukommen lassen müssen. Ein weiterer, sehr speziell talentierter Geistmagier, der zeitgleich über die Fähigkeit verfügte, sehr schnell gut sortierte und gut lesbare Notizen anzufertigen. Denn dieser gewaltige Berg an Akten, den sie von Marrika bekommen hatte? Der war eigentlich für Daeri. Dummerweise gab es in ihrem Zimmer bereits einige Stapel davon. Und es würden einfach nicht weniger werden, im Gegenteil. Ein wenig tat der Tiefling Annika schon leid. Sie wusste, dass sie hier gefangen gehalten wurde, gegen ihren Willen. Doch letztlich war der Großteil der Sicherungsmaßnahmen nicht der Vermutung geschuldet, sie könne fliehen. Dafür hatte man Bob. Nein, man fürchtete… wie hatten sie es genannt? Industriespionage? Jede Akte ein Problem. Mit allen Details, die man dazu hatte zusammentragen können. So genau wie möglich formuliert und beschrieben, mit Bildern und Erklärungen und Plänen und Karten. Und Daeri löste sie. Manchmal binnen Minuten. Spielend leicht, als wären es keine Rätsel, die schon Jahre jenen Magier beschäftigten, sondern Knobelaufgaben für Kinder. Sie war unbestreitbar brillant, aber sie war auch… seltsam. Seltsam entrückt. Sie verstand manche Dinge nicht wirklich, wie es schien. Bob hatte versucht, es ihr zu erklären. Das ihr Geist auf seltsame Weise funktioniere, einfach anders funktioniere als die meisten anderen. Er konnte es verstehen. Dass hatte seine Zeit bedurft, aber er adaptierte schnell. Und die Problemlösungen Daeris waren ein Vermögen wert – jede Einzelne. Sie konzipierte nicht einfach nur Veränderungen. Eine Maschine war unzureichend für die zu verrichtende Arbeit? Mit diesen und jenen Abwandlungen nicht mehr! Nein, sie schuf völlig neue Wege. Die Lichtschranken waren auf einen ihrer Entwürfe zurückzuführen. Und weil sie revolutionär waren und ein Vermögen wert waren, gab es andere, die Entwürfe zu stehlen versuchen würden. So jedenfalls die Erklärung. Und Annika sah wenig Grund, daran zu zweifeln – Magier, die Magier bestehlen würden? Früher hätte sie das vielleicht schockiert, sie hätte sich über den bloßen Gedanken empört… aber früher war eben früher und heute war heute und sie, sie war Adeptin und hatte einige Jahre der Ausbildung hinter sich gebracht, hatte das Buhlen der anderen Studenten um Aufmerksamkeit verfolgt, hatte die Intrigen beobachtet. Man hütete hier einen Schatz. Man hütete hier Daeris Verstand. Und gegen eben jenes Vermögen, das es wert war, ihr eine Frage zu stellen, durfte man ihr seine Probleme vorlegen. Dabei gab es keine Reihenfolge. Daeri besaß gewissermaßen kreative Freiheit – sie suchte sich aus, welche Akten sie bearbeitete und welche nicht. Bob war nur dafür zuständig, die Entwürfe und Ideen, die sie letztlich zu Papier brachte – und falls er schnell genug dafür war auch die, die sie verwarf – verständlich zu machen. Denn ihr Verstand funktionierte anders und kaum jemand war fähig, die Daeri-Reinentwürfe zu lesen. Das gelang oft erst mit Bobs Notizen. „Na gut, ich bringe ihr gleich den neuen Schwung. Du wartest so lange auf mich?“, hakte Annika mit gedämpfter Stimmung nach, als sie einige Minuten Daeri beim Zeichnen beobachtet hatte, während Bob die Feder geschickt und flink von Tintenfass zu Pergament und zurück führte. „Auf dich würde ich Jahrhunderte warten, Liebchen!“, witzelte Bob. Sie boxte ihm spielerisch gegen die Schulter – die Linke natürlich, damit er sich nicht verschrieb – und wanderte dann erstmal in einen anderen Teil der Anlage. Bei Helena bestellte sie das Übliche und bekam kurz darauf Daeris Frühstück ausgehändigt. Damit bewaffnet, kehrte sie zurück, drapierte das Essen vorsichtig oben auf dem Aktenstapel und balancierte den denn aus Bobs Arbeitszimmer heraus. Sie schloss die Tür zu Daeris Zimmer auf, trat ein und schloss sie hinter sich wieder – ohne abzuschließen natürlich, sie hatte immerhin beide Hände voll. „Guten Morgen, Daeri! Heute gibt es Pfannkuchen. Ich hoffe, du magst Pfannkuchen? Und, naja… schon wieder mehr Akten. Einer versucht, eine Stadt am Meeresgrund zu bauen, aber er will dabei nicht auf Magie zurückgreifen müssen, weil das zu anstrengend wäre. Und ein anderer will eine Stadt in den Himmel bringen. Dass sie von allein hoch über den Wolken schwebt. Ich finde das ja ein wenig gefährlich, ich meine… wenn die Maschinen ausfallen, stürzt sie ab, oder nicht?“ Es gab, wie jeden Tag, ein kurzes Gespräch zwischen ihnen, in denen der Tiefling ihr aufzuzeigen versuchte, warum eine Stadt in der Luft tatsächlich eine reichlich dumme, wenn auch nicht unmöglich umzusetzende Idee war, während die Stadt unter Wasser ihr tatsächlich offenbar eine neue, kreative Spitze bescherte. Die Pfannkuchen wurden dabei nur mäßig gewürdigt, aber immerhin aß sie überhaupt. Und während der Unterredung musste Annika einmal mehr feststellen, dass sie aus Daeri einfach nicht schlau wurde. Sie… verstand wenig von dem, was sie da erzählte. Sie bemühte sich wirklich und hatte immer geglaubt, mit dem Dasein als Mitglied des Zirkels – Adept oder nicht – gehe eine gewisse Intelligenz einher. Aber ihre Lehre allein hatte ihr bereits deutlich bewiesen, dass es auch Magier geben musste, die dumm wie Brot waren. Die Gabe, arkane Energien zu weben, war nicht vom Intelligenzlevel des Lebewesens abhängig… Nachdem das Gespräch dank Daeris neuem Schub zum Erliegen kam, nahm sich Annika stattdessen einfach den Stapel der bereits gelösten Akten. Sie schloss die Tür wieder sorgfältig ab, klopfte erneut bei Bob und gab dem die nötige Zeit, die richtigen Notizen zu den richtigen Akten zu packen und ihnen die richtigen Stempel aufzudrücken. „Dann bis später“, erklärte er geistesabwesend, während die Feder eilig über das Pergament kratzte. Sie nickte lediglich, wissend, dass er jedwede Erwiderung ohnehin nicht mehr mitbekommen würde. Mit dem frisch versorgten Aktenstapel ging es in den größten Trakt der Anlage. Mehrere Bereiche waren hier unterteilt worden. Es gab ganze Abteilungen mit teilweise bis zu einem Dutzend der klügsten Köpfe Ordeweys, um Daeris Pläne zu entschlüsseln, in etwas Praktikables umzusetzen und dann, letztlich, zum Wohle aller zu verkaufen. Da hinten irgendwo war die Abteilung für Transportwesen. Die versuchten immer noch – wenngleich auch eher als Hobby nebenbei, da sich die ursprünglichen Originalpläne nicht mehr auftreiben ließen -, Daeris Idee von Unterseebooten zu rekonstruieren. Es war bekannt, dass sie dazu keine Magie verwendet hatte. Also musste es irgendwie rein technisch umsetzbar sein. Doch der Tiefling weigerte sich vehement, die Pläne einfach noch einmal zu zeichnen. Das sei nicht nutzbringend. Oder langweilig? Nein. Nein, Daeri würde nichts als ‚langweilig‘ bezeichnen. Das entsprach nicht ihrem fachlich orientierten Jargon. Aber die Transportabteilung hatte oft gut zu tun. Und arbeitete eng mit der Abteilung direkt daneben zusammen: Energiewirtschaft. In Kooperation miteinander entwickelten sie Generatoren, die aus verschiedenen Reagenzien und Rohstoffen elektrische Energie produzierte. Annika tat sich nach wie vor schwer damit, die elektrische Energie eines Generators von der arkanen Energie eines magischen Blitzschlags zu unterscheiden – aber vielleicht war das auch einer der Gründe, warum sie Adeptin war und der Rest Herrinnen und Meister. Die Lichtschranken an der Freiflächenbegrenzung beispielsweise liefen mit irgendeinem sehr effektiven Energieverfahren, das allerdings auch sehr gefährlichen Abfall produzierte. Sie wusste nicht, wie und wo man den entsorgte oder was man generell damit tat, hatte da allerdings eine üble Befürchtung. Denn gerade, wenn es in der Energiewirtschaftsabteilung um Abfallentsorgung ging, wanderten ein paar der dort stationierten Magier mit diversen Akten hinüber zur Offensiv/Defensiv-Abteilung. Die wiederum arbeitete manchmal mit dem Transportwesen zusammen, um Kriegsschiffe zu entwickeln. Manchmal sogar fliegende Kriegsschiffe. Oder die Bewaffnung für Unterseeboote. Aber Annika ekelte sich ein wenig vor der Vorstellung, diese Abteilung würde den Müll aus der Energiewirtschaft irgendwie als Waffe verwenden. Etwas halb Verrottetes mochte gut als Stinkbombe taugen und ein von Maden zerfressenes Stück Fleisch, jemandem vor die Füße geworfen, mochte auch in dem Moment zur Waffe werden, wenn er sich vom Anblick provoziert übergab und dadurch unaufmerksam war. Aber sie konnte und wollte sich einfach nicht vorstellen, wie genau das wohl aussehen mochte. Obwohl sie ihren damaligen Gedanken nach wie vor erheiternd fand, demnach es irgendwo ein Lager voller benutzter Blitze gab, die zwar noch leuchteten, aber nicht mehr kribbelten. Natürlich gab es auch noch die Abteilung für Bau- und Konstruktionswesen. Da würde vermutlich Daeris Lösungsansatz zur Konstruktion einer Unterwasserstadt landen. Und Annika musste zugeben, dass sie doch neugierig war, wie das wohl aussehen mochte. Und wie es generell wäre, am Meeresboden zu leben. Dunkel und kalt, allem voran, so schätzte sie. Aber falls man ein paar hübsche, bunte Lichter mitbrachte und gut heizte…? Es musste ein beeindruckender Anblick sein, wenn dann und wann ein neugieriger Wal am Fenster vorbeischwamm… Die letzte Abteilung war schlicht die für Sonstiges. Eine recht überforderte Abteilung, weil sich längst nicht immer einordnen ließ, was genau man da eigentlich vor sich hatte. Die dortigen Magier waren Bob dahingehend ähnlich, das sie Querdenker waren. Kreative Geister, die rasch die Perspektive wechseln konnten. Um ein Problem aus einer anderen Warte zu betrachten. Häufig endete das darin, dass sie erkannten, worum es ging – und die Akte einer der anderen Abteilungen zuschoben, weil sie sich mit dem richtigen Blickwinkel dort einordnen ließ. Sie hatten ja immerhin auch so schon mehr als genug zu tun. Annika hatte selten mit den vielen, vielen allzeit geschäftigen, ernsten und grummeligen Magiern dort zu tun. Die Damen und Herren waren für ihren Geschmack viel zu verbissen und wirkten stets so gehetzt. Selbst in der Mittagspause kamen sie oft nur in die Kantine, nahmen sich etwas und verschwanden wieder an ihre Schreibtische. Glücklicherweise hatte sie ohnehin so gut wie nie mit denen zu tun, denn ihre Aufgabe endete üblicherweise an der letzten Abteilung in diesem Bereich: Hellseherei. Als Kind hatte sie immer geglaubt, dass jeder Magier fähig sei, die Zukunft zu sehen. Später erfuhr sie zu ihrer Enttäuschung, dass das genau genommen Zeitmagie wäre. Hellseherei war schlicht nicht fähig, irgendwem irgendwas über die Zukunft zu erzählen, dass man nicht mit einem klugen Verstand auch hätte sagen können. Magie wirkte so nicht. Die normale Magie jedenfalls nicht. Aber: Hellseherei konnte einem sehr wohl eine Menge über die Vergangenheit erzählen. Wie genau das wiederum dabei half, aus Daeris Entwürfen und Bobs Notizen schlau zu werden, war Annika ein Rätsel. Aber sie tat jeden Tag das Gleiche. Sie holte neue Rätsel, gab sie Daeri und nahm die gelösten Rätsel mit. Die bekamen Notizen von Bob verpasst und landeten in der Abteilung für Hellseherei – die ihrerseits die Entwürfe und Notizen in Einklang brachte, üblicherweise Bobs aufgestempelte Abteilungsempfehlung unterstützte und die Akte dann dorthin wandern ließ. Sie musste schlicht nicht wissen, wie es funktionierte. Es war für die Art ihrer Anstellung unnötig. Und auch das trug dann und wann ein klein wenig zu ihrer Frustration bei. Man nahm sie nicht ernst – das konnte sie verstehen. Aber das man nie zu glauben schien, ihr auch irgendetwas hierüber erzählen zu müssen… sie arbeitete doch hier, oder nicht?! Und sie tat gute Arbeit – so gut man sie eben ließ! Mit einem schweren Seufzen begann sie den lästigen Teil des Tages, der sich ein ganzes Stück bis zum frühen Nachmittag ziehen würde: Den verschiedenen Abteilungsleitern hinterher rennen in dem Versuch, die bereits abgefertigten Akten einzusammeln – man konnte die Umschläge ja immerhin wiederverwenden -, die Unterlagen rüber ins Archiv zu bringen und die Pläne zur Poststelle zu schleppen, zwecks Versand. Immerhin musste sie, wie jeden Tag, im Grunde nur einen ersten Warnschuss an die Abteilungen abgeben, hier und da höflich und angemessen duckmäuserisch herumfragen, ehe sie erst einmal zu ihrer Mittagspause davonschleichen konnte. Marrika erwartete sie in der Kantine bereits mit zwei gut befüllten Tabletts. Sie setzte sich wie gewohnt zu ihr, nahm das kleine Küchlein zuerst und grinste zufrieden, als sie genüsslich darauf herumkaute. „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so viel Wonne dabei empfindet, gegen die Regeln zu verstoßen, indem er die Nachspeise zuerst isst…“, merkte die Brünette an. Annika grinste zur Antwort, biss nochmals herzhaft ab und kaute in aller Ruhe, ehe sie sich kurz umsah. Die Kantine war nicht leer, wirklich nicht. Hier und da saßen vereinzelte Gruppen an Magi und diskutierten. Manche flüsterten, andere nicht. Manche lachten dann und wann auf, andere nicht. Spürbar war nur der räumliche Abstand zwischen allen. Die Kantine war darauf ausgelegt, im Notfall wirklich jeden einzelnen Kopf, der hier arbeitete, auf einen Schlag unterbringen zu können. Aber Magier waren ein eigenwilliges Volk. Eines, das absurde Probleme mit festen Essenszeiten hatte. Weshalb der Speisesaal so gut wie nie mehr als zu einem Viertel, höchstens einem Drittel gefüllt war. „Was ist mit Bob?“, erkundigte sich Marrika weiter, nachdem sie einen Gutteil ihres Gemüseauflaufs verspeist hatte. Annika zuckte mit den Schultern. „Wie du schon sagtest – mehr Zeug da. Außerdem hatte Daeri wieder Einfälle.“ Die Brünette nickte. „Schade. Aber gut, vielleicht klappt es ja die Tage wieder.“ Sie aß einen Moment weiter, ehe ein Gedanke sie innehalten und amüsiert schnauben ließ. „Weißt du, es ist immer noch seltsam.“ „Hm?“ „Bob. Und Annika. Und Jeremiah. Und Alex. Ich glaube, bevor du hier angefangen hast, kannte ich vielleicht einen Vornamen der Leute, die hier arbeiten? Und es ist einfach so merkwürdig, nach all den Jahren an einem Projekt zu arbeiten, bei dem man sich kontinuierlich duzt und beim Vornamen nennt. Es erweckt irgendwie diesen Eindruck von… Familiarität? Zugehörigkeit zumindest. Macht den ganzen Laden hier ein bisschen weniger drückend und beklemmend.“ Annika errötete leicht. „D-Danke. Ich… ich meine… ja: Danke. Freut mich, wenn ich was Sinnvolles beitragen kann. Ich meine, viel mehr als das ist es ja auch nicht. Ein paar simple Teleporationszauber könnten das Herumschleppen der Akten genauso gut erledigen. Ich bin mir nicht  ganz sicher, wozu ich eigentlich hier bin, aber als wirkliche Hilfe ist’s bestimmt nicht.“ Marrika nickte. Sie führten dieses Gespräch nicht zum ersten Mal. Und da sie selbst eine äußerst talentierte Transportmagierin war, wusste sie nur zu gut, wie gering der Aufwand gewesen wäre, Annikas Arbeiten einem repetitiven Zauber zu überlassen oder dafür irgendein kleines Stück zu basteln. „Naja, vielleicht bist du auch einfach hier, um uns alle bei Laune zu halten. Einschließlich Bob und Daeri, hm? Und darin bist du ja ziemlich gut.“ Die Röte wurde etwas intensiver auf ihren Wangen, sie nickte leicht und stocherte mit einem seltsam mulmigen Gefühl in der Magengegend in ihrem Essen herum. „Hast du eigentlich schon gehört, das Peter einen Antrag bekommen hat?“, amüsierte sich Marrika kurz darauf und erlöste Annika von ihrer Folter. Die schaute irritiert, aber dankbar auf und schüttelte den Kopf. „Ja, von seiner Freundin. Jetzt Verlobte, schätze ich. Der Ärmste. Er hatte so viele Monate in die Vorbereitungen investiert. Nächste Woche, sagte er, will er sie fragen. Tja – sie kam ihm zuvor. Kein großes Schauspiel, wie er es geplant hatte. Einfach nur die Frage. Aber er meint, er will es trotzdem durchziehen. Damit nicht alles umsonst war und als Dankeschön.“ Wie üblich, verloren sich die Tischgespräche nach und nach in Klatsch und Tratsch. Über die eigenen Leben, über die der anderen, über all die unsinnigen Kleinigkeiten, die das Miteinander zwangsläufig mit sich brachte. Und als sie auf ihre Posten zurückkehrten, da fiel es Annika sehr viel leichter, wieder den Abteilungen, ihren Leitern und deren Plänen nachzujagen. Gegen Nachmittag machte sie einen letzten Abstecher bei Bob. Sie brachte ihm eine frische Kanne Kaffee aus der Kantine vorbei, doch der war noch immer damit beschäftigt, zu schreiben. Bergeweise türmten sich die Notizen inzwischen auf. Das hätte dann morgen wohl ein verdammt arbeitsreicher Tag werden können. Sie legte ihm vorsichtig die Hand auf die Schultern. „Übertreib’s nicht, hm? Irgendwann fällt dir noch die Hand ab. Ich… ich mach für heute Schluss.“ Kurz hielt er inne, sah auf. Musterte zunächst die Kanne wie man eben einen Gegenstand ansah, dessen Existenz man sich zuvor nicht gewahr gewesen war, ehe er seinen Blick zu ihr schweifen ließ. „Dann – und darauf kannst du Gift nehmen – würden sie einen ganzen Trupp der fähigsten Heiler herschicken, um sie mir wieder anwachsen zu lassen“, erklärte er im Brustton der Überzeugung, ehe er sich zu einem weicheren Lächeln hinreißen ließ, „Gut, dann komm gut heim, hm? Wir sehen uns morgen früh?“ Annika trat zur Tür und verfolgte amüsiert, wie Bob bereits wieder furios auf das Pergament kritzelnd seine Aufmerksamkeit abgewandt hatte. „Pass gut auf dich auf“, meinte sie leise und schloss vorsichtig die Tür. Sie kam mit ihrem vor selbiger wartenden Stapel an Unterlagen schließlich einmal quer durch die Anlage gewandert wieder bei Marrika an. „Hey. Ich mach Schluss für heute. Das hier ist das Abteilungszeug.“ Die Brünette runzelte einen Moment die Stirn, nahm jedoch zunächst sämtliche Pläne an. „Alles gut?“ Annika seufzte leise. „Naja… nicht wirklich. Weiß nicht, vielleicht hat mir das Essen auf den Magen geschlagen.“ „Soll ich den Heilern Bescheid geben?“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Danke, aber ich denke, das ist nicht nötig. Ich hab noch ein paar Stunden über. Ich geh einfach früher heim, schmeiß mir den Kamin an und leg mich ein wenig hin.“ Einen Moment musterte Marrika sie noch besorgt, ehe jener kritische Blick in ein Lächeln aufweichte und sie nickte, sogar ein wenig Schalk in ihre Augen trat. „Gut, mach das. Und gute Besserung. Ich hab dir ja immer gesagt, dass es dich irgendwann teuer zu stehen kommen wird, wenn du weiterhin die heilige Ordnung des Essens störst! Ich sag’s dir, das ist Pales‘ Rache für all die Törtchen vor dem Hauptgang…!“ Lachend nickte Annika. „Selbst wenn – dann war’s das wert und ich sterbe mit Würde und einem siegreichen Lächeln!“ Beide amüsierten sich noch einen Moment darüber, ehe Annika sich zurückzog. Wieder in der Umkleide, atmete sie tief durch. Ihr war immer noch unwohl. Vielleicht lag das wirklich an den Törtchen…? Nein. Nein, das war völlig lächerlich. Törtchen waren zu gut, um einem so etwas anzutun. Sie konnten gar nichts Schlechtes tun oder sein. Völlig unmöglich. Langsam schälte sie sich aus der verschwitzten Adeptenrobe, gab sie in den Korb für die Dreckwäsche und schlüpfte wieder in ihre eigene Kleidung. Morgen würde die Robe wieder sauber in ihrem Spind hängen, wie immer. Lächelnd strich sie nochmals über die kalte, metallische Spindtür, ehe sie den Schlüssel drehte, abschloss und sich auf den Weg nach draußen machte.   Der Sonnenuntergang war atemberaubend schön. Ob da auch mit Magie nachgeholfen worden war? Es war Ordewey. Vermutlich sollte es niemanden überraschen, falls dem so wäre. Irgendwelche merkwürdigen Effekte in der Luft oder Illusionen, die jeden betrafen, dessen Füße auf Ordeweys Grund und Boden standen. Möglichkeiten gab es da bestimmt viele. Und für Magier musste es im Grunde ganz leicht sein, jemanden etwas als schöner empfinden zu lassen. Illusionen, Geistmagie, Verwandlung… sicherlich könnte man sogar mit Feuermagie einwirken, irgendwie. Oder Naturmagie – Pflanzen, die einen Duftstoff ausstießen, der einen empfänglicher für Schönheit machte. Sowas gab es bestimmt irgendwo, oder nicht? Seufzend blickte Annika auf die See hinaus. Der Sand des Strandes war ein wenig lästig geworden in den letzten Stunden. Er rieselte ständig in ihre Schuhe hinein. Irgendwie. Als leise Schritte zu hören waren, drehte sie sich nicht um. Wartete lediglich ab, bis sich die Gestalt Daeris neben sie stellte. „Hi Daeri!“, grüßte Annika mit einem ehrlich erfreuten Lächeln. „Hallo Alistair“, erwiderte der Tiefling. Dem Dieb entglitten ein wenig die Gesichtszüge. „Ach komm schon! Das war bombensicher! Wir haben uns so verdammt viel Mühe gegeben! Wieso kannst du einfach-… woher… seit wann… aber… wie?!“ Hatte… hatte sie da gerade geschmunzelt? Hatte Daeri gerade… geschmunzelt?! „Mein Name. Du sprichst ihn seit dem ersten Tag auf eine sehr spezifische Weise aus, die ich so nur von dir und in sehr ähnlicher Form aus Lumiél kenne. Angesichts der Geduld anderer, ihrer bevorzugten Methoden und Fähigkeiten war das die wahrscheinlichste Lösung aus der ohnehin recht kleinen Schnittmenge.“ Er grummelte. „Das ist nicht fair. Du bist nicht fair.“ Ihr Nicken hätte ihn unter anderen Umständen vielleicht provoziert – so jedoch… „Oh und wenn wir schon dabei sind: Genau das ist der Grund, warum du damit umsichtiger sein solltest!“, erklärte er nachdrücklich und deutete zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Der Gefängniskomplex lag eine gute Stunde von hier. „Wie sieht der weitere Plan aus?“, erkundigte sie sich dessen ungerührt. Das hingegen erinnerte ihn an etwas anderes. „Die Notiz. Du hast sie gefunden? Gelesen?“ Daeri nickte. „Großmeister Khranril Deehrn von Alrym ist tot. Es war sehr riskant, eine Anfrage von ihm einzuschmuggeln. Hat der darin beschriebene, namenlose Kahlkopf wirklich eine experimentelle alchemische Verbindung zur Steigerung des Haarwachstums ausprobiert und ist nun Opfer einer exponentiell wachsenden Ganzkörperbehaarung?“ Alistair gluckste, verschluckte sich mehrfach und hatte generell schwere Not, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Er schüttelte noch immer breit grinsend den Kopf, als er sich unter Aufbietung aller Willenskraft beherrschen konnte. „Nicht ganz, nein…“ Sie nickt abermals. „Ich habe die Notiz erhalten, ja. Ich habe den beschriebenen Individuen keinerlei folgenschwere Schäden zugefügt, sie werden sich erholen.“ „Danke“, erklärte er etwas ernster und aufrichtig erleichtert. Marrika und Bob und viele der anderen waren einfach nur… Leute. Die morgens zur Arbeit gingen, ihr Soll erfüllten und am Nachmittag heim wollten. Hätten sie diesen Job nicht getan, hätten es andere übernommen. „Der Plan?“ Er begann unweigerlich wieder zu grinsen. „Oh nun ja… ursprünglich war ich nicht sicher, ob es nicht klüger wäre, allein zu kommen. Das wir zwei das gemeinsam regeln und gut ist. Ich wusste, wo ich hin muss und war mir sicher, dass ich schon einen Weg finden würde, wie ich rein käme.“ „Aber?“, hakte sie nach, als er eine dramaturgische Pause ließ. „Aaaber… Lileth war nicht sehr angetan von meiner Idee, dass ich schon einen Weg finden würde. Und Thorin war nicht angetan von der ganzen Magier-entführen-Daeri-Kiste. Und Sierra wies mich dann darauf hin, dass ich keine Ahnung hatte, wie wir eigentlich von hier wieder weg kommen, sobald ich dich rausgehauen habe.“ Sie nickte, offenkundig abwartend. „Aaalso… habe ich die Kavallerie gleich mitgebracht. Ich präsentiere…“ Aus einer seiner Taschen zog Alistair eine kleine Konstruktion, die verdächtig goblinischen Ursprungs erschien und feuerte die Signalpistole nach oben. Das Geräusch glich eher einem dumpfen, gedämpften Aufschlag von etwas in Flüssigkeit, doch das grell leuchtende Geschoss stieg in die Lüfte und… wechselte ständig die Farbe. „Huh. Das sollte es eigentlich nicht tun…“ Und direkt in den Küstengewässern vor ihnen zerfiel die Illusion der Normalität und aus dem gelüfteten Umhang der Unsichtbarkeit tauchte ein gewaltiges, mit unangenehm vielen Kanonen bestücktes Kriegsschiff auf. „Darf ich vorstellen: Die L.M. Vindur! Sie war ja fast fertig, als du verschwunden bist und wir dachten uns, dass das eine gute Gelegenheit für die Jungfernfahrt wäre… und eine Umbenennung.“ Ohne große Umschweife hängte er dem Tiefling eine Kette um. Damit würde es in Zukunft um ein Vielfaches schwerer werden, sie mit Späh- und Teleportationszaubern zu erfassen. Schwer zu glauben war nach wie vor, dass dieser kleine Anhänger mehr gekostet hatte als das verdammt riesige Schiff da drüben… „Na komm, verschwinden wir. Deine Werkstatt daheim wartet auf dich…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)