Amnesie von Nochnoi ================================================================================ Kapitel 15: Übermacht --------------------- Dean fühlte sich wie gerädert. Er war müde, ausgezehrt und gleichzeitig unglaublich wütend. Eine Kombination, die nicht so gut funktionierte und ihn im Grunde nur noch mehr schwächte. Aber er konnte nichts dagegen tun. Schon als die Dämonen mit ihren selbstgefälligen Lächeln ins Zimmer getreten waren, wäre Dean am liebsten aufgesprungen und hätte sie im hohen Bogen herauskatapultiert. Aber er war gelähmt gewesen und hatte hilflos mit ansehen müssen, wie Cormin sich über sie lustig gemacht, ihnen durch die Haare gewuschelt hatte und sich offenbar wie der König der Welt vorgekommen war. Und hatte dieser Mistkerl ihm nicht eben irgendwas auf die Stirn gemalt? Dean war sich nicht ganz sicher, da er all seine Konzentration darauf gelenkt hatte, nicht einzuschlafen, aber sollte es sich letztendlich als wahr erweisen, würde er den Dämon allein deswegen ordentlich in die Mangel nehmen. Niemand malte Dean Winchester ungefragt an! Zugegeben, die hübsche Kunststudentin vor gut acht Jahren, die einen Faible dafür gehabt hatte, auf jedem Untergrund zu zeichnen, den sie fand, hatte Dean nur zu gern gewähren lassen. Aber ein Dämon …? Da hörte das Verständnis wahrhaft auf. Darum war es nicht weiter verwunderlich, dass sich Deans Stimmung automatisch hob, als er den Hexenbeutel brennen sah. Augenblicklich fühlte er sich besser. Wacher. Erfrischter. Er war zwar noch weit davon entfernt, wie ein junges Kitz vergnügt über die Hügel zu springen, aber immerhin war er schon vor dem Schlafzauber mehr als ausgelaugt gewesen. Das würde sich nun sicherlich nicht einfach in Luft auflösen. Erst eine ordentliche Portion Schlaf – und zwar eine richtige und rundum natürliche – würde dem Abhilfe verschaffen. Zunächst war Dean jedoch einfach nur froh, dass er sich wieder bewegen konnte. Erst waren es die Hände, die er zu Fäusten zusammenzuballen vermochte, dann kam nach und nach der ganze Rest. Bis er es schließlich schaffte, sich ächzend einigermaßen würdevoll aufzurichten. Auch Sam und Bobby erwachten allmählich. Sam, der von der Dämonin zuvor unsanft zu Boden gerissen worden war, rappelte sich äußerst ungelenk auf und stöhnte dabei, als hätte er gerade einen Marathonlauf hinter sich. Bobby streckte derweil seine Glieder und gähnte herzhaft. „Oh Mann“, murmelte Dean und war bloß froh, endlich wieder seine eigene Stimme zu hören. Denn nicht nur die Bewegungsunfähigkeit war schrecklich gewesen, sondern ebenso die Tatsache, dass er seinen Zorn nicht mal verbal hatte ausdrücken können. In seinen Gedanken hatte er den Dämonen zahllose kreative Beleidigungen an den Kopf geworfen und gleichzeitig hatte kein Ton seine Lippen verlassen. Er war stumm gewesen, obwohl er sich geradezu danach gesehnt hatte, laut zu schreien. Sein immer noch müder Blick wanderte zu der entstellten Leiche, die mit verrenkten Gliedern auf dem Boden lag und beim Reinigungspersonal sicherlich kein Entzücken auslösen würde. „War das …‘n Zombie?“, nuschelte er. Viel hatte er von dem ganzen Durcheinander nicht mitbekommen. Die extrem lautstarke Explosion hatte ihn zwar für eine Sekunde richtig munter werden lassen, aber schon bald waren seine Lider wieder schwerer geworden und er hatte nur am Rande mitgekriegt, wie die Dämonin sich mit dieser fremden Frau geprügelt hatte. „Was is’n passiert?“, fragte er verwirrt. Castiel, der ärgerlicherweise absolut frisch und munter wirkte, trat zum Holztisch – wobei er unbekümmert über den immer noch halb auf dem Boden liegenden Sam stieg, als wäre er bloß ein Bettvorleger – und nahm die antike Goldkette in die Hand. „Offenbar können Dämonen sie nicht berühren“, stellte er nüchtern fest. Seine Aufmerksamkeit wanderte zu dem angeschlagenen Cormin, der noch furchtbarer aussah, als Dean sich fühlte. „Vielleicht gibt es aber auch ein anderes Kriterium. Es könnte sogar am Rasierwasser deiner Hülle liegen.“ Demonstrativ hielt er das Schmuckstück daraufhin Mica hin. „Wenn du es berührst und ebenfalls abgeblockt wirst, können wir sicher sein.“ Doch verständlicherweise hielt die Dämonin nicht allzu viel von diesem Vorschlag. Stattdessen wich sie einen Schritt zurück und musterte den Engel, als würde sie ihn für völlig geisteskrank halten. „Ich weiß ja nicht, was für Drogen du nimmst, aber das kommt gar nicht in die Tüte!“, zischte sie aufgebracht. Castiels Augenbraue zuckte kurz. „Was für eine Tüte?“ Mica zögerte einen Moment, sichtlich verwirrt von seiner Frage, ehe sie fauchte: „Ich fass das Ding nicht an, mein Freund! Vergiss es! Außerdem haben wir im Moment wichtigere Probleme.“ Und damit deutete sie aus dem Fenster. Dean folgte ihrem Fingerzeig. Seine Sicht war zwar immer noch etwas verschwommen, aber er glaubte, dunkle Schatten auf dem hellen Schnee ausmachen zu können. „Sind das …?“ „Tote, die eigentlich in ihren Gräbern liegen sollten? Ja!“ Mica knirschte mit den Zähnen. „Also kommt endlich in die Hufe, wir können diese Mistkerle nicht allein besiegen!“ Und mit diesen Worten packte sie Dean am Arm und zerrte ihn wenig liebevoll mit einem Ruck auf die Füße. Der Winchester ächzte daraufhin wie ein alter Großvater, während sich in seinem Kopf alles drehte und Übelkeit in ihm hochstieg. „Wow!“, meinte Mica bei seinem Anblick. „Da kriegen deine Gegner bestimmt Angst, dass du ihnen vor die Füße kotzt.“ Entnervt schüttelte sie ihren Kopf, ehe sie kehrtmachte, sich zu Cormin begab und in dessen Jackentasche herumzuwühlen begann. Dean, nun seiner Stütze beraubt, wäre hierauf fast wieder auf die Matratze zurückgesunken, spürte dann aber einen Druck an seinem Arm. Er schaute zur Seite und entdeckte Castiel, der ihn gepackt hatte, um ihn auf den Beinen zu halten. „Cas?“, meinte er darauf. „Ja?“ „Hab ich dir eigentlich schon gesagt, wie froh … ich bin, dass’ndu hier bist?“ Castiel musterte ihn einen Moment und versuchte wohl, aus seinem etwas unverständlichen Genuschel schlau zu werden. „Weil ich dich festhalte?“ „Weil du … verhindert hast, dassch wir abgeschtochen werden. Deshalb!“ Dean nickte entschieden und merkte im nächsten Moment, wie sich der Brechreiz wieder meldete. Doch entschlossen kämpfte er dagegen an und sagte schließlich: „Du kriegst‘n Bier.“ Der Engel wirkte nicht mal ansatzweise begeistert, kam aber nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben, da Mica wieder zu ihnen zurückkehrte. „Hier, nimm das!“, befahl sie streng und hielt ihm etwas entgegen, das Dean nicht zu identifizieren vermochte. „Was …?“, hakte er nach, wurde aber bereits im selben Augenblick unterbrochen, als Mica es ihm mit Gewalt in den Mund stopfte. In der ersten Sekunde wollte es Dean sofort reflexartig wieder ausspucken und der Dämonin allerlei Beleidigungen entgegen schmettern, ehe er aber schließlich merkte, worum es sich handelte. „Kaugummi?“, fragte er verwundert. „Pfefferminzkaugummi“, verbesserte Mica ihn. „Das wird dir helfen.“ Ohne weitere ausführende Erklärungen wandte sie sich daraufhin an Sam und Bobby, die sie ebenfalls mit Kaugummi fütterte. Sam schien regelrecht begeistert zu sein und nahm es widerstandslos an, sodass Dean sich unweigerlich fragte, ob er wohl auch ohne Proteste einen Regenwurm verspeist hätte. Bobby hingegen sträubte sich zunächst, von einer Dämonin auch nur irgendetwas anzunehmen, woraufhin Mica schließlich genervt aufstöhnte und es ihm brutal in den Mund drückte. Dean konnte währenddessen bloß verwundert dreinschauen. „Was soll das eigentlich?“ Aber bereits eine Sekunde später spürte er es. Er fühlte sich mit einem Mal munterer, frischer. Seine Lebensgeister erwachten, die Übelkeit verschwand. Stattdessen schöpfte er wieder neue Kraft, sodass er Castiels Stütze nicht mehr bedurfte. „Was …?“, fragte er verwirrt. „Das Pfefferminz ist ein Gegenmittel für den Schlafzauber“, erklärte Mica. „Der Beutel ist zwar verbrannt, aber es hängt immer noch was in der Luft. Deshalb seid ihr auch so schwer aus den Puschen gekommen.“ Sie legte ihren Kopf schief. „So konnte ich euch schneller wieder auf die Beine kriegen.“ Dean war zwar noch weit davon entfernt, zu verstehen, was das Ganze zu bedeuten hatte, aber er beschwerte sich nicht. Stattdessen kaute er emsig auf dem Kaugummi und war bloß froh, wieder Kontrolle über seinen Körper zu haben. Mica schnappte sich derweil ein Gewehr, das neben dem verstümmelten Zombie auf dem Fußboden lag. Ihren linken Arm hielt sie dabei die ganze Zeit über merkwürdig an ihren Leib gepresst, sodass Dean vermutete, dass dieser verletzt war. „Das sieht alles gar nicht gut aus“, meinte derweil Bobby. Er war inzwischen aufgestanden und wirkte dermaßen lebhaft, als hätte ihn niemals ein Schlafzauber aus den Füßen gehauen. Dean konnte bei seiner Aussage nur bestätigend nicken. Sowohl von vorne als auch von hinten näherten sich kontinuierlich die Gestalten. Durch den Schnee vielleicht etwas in ihren Bewegungen eingeschränkt, aber dennoch würde es spätestens in ein paar Minuten hoch hergehen. „Vielleicht sollten wir einfach das Licht ausmachen und so tun, als wären wir nicht da“, schlug Sam vor, ehe er sich vollends aufrappelte. Dean schnaubte bloß. „Toller Vorschlag, Sammy. Wir können ja auch brüllen ‚Niemand ist zuhause‘, wenn sie an die Tür klopfen.“ Sam nickte enthusiastisch. Den Sarkasmus in der Stimme seines Bruders nahm er offenbar gar nicht wahr. Dean seufzte, während er die Lage genauer analysierte. Die Situation war zwar nicht gerade angenehm, aber es hätte auch schlimmer kommen können. Draußen entdeckte er sieben bis acht wandelnde Tote, zur Sicherheit rundete er die Zahl aber auf zehn auf. Und im Inneren befanden sich zwei erfahrene Jäger, zwei verletzte Dämonen, von denen nur einer wenigstens so einigermaßen kampffähig war, ein Engel ohne übernatürliche Kräfte und ein Jäger ohne Gedächtnis, der anscheinend schon Probleme damit hatte, sich daran zu erinnern, wie man richtig Kaugummi kaute. Eine wirklich schlagfertige Truppe. „Wir werden so was von untergehen“, murmelte Dean, während er seinen Blick über die anderen schweifen ließ. Dabei sah er sich zufällig auch selbst im Spiegel … und schnappte erschrocken nach Luft. „Was ist das?“, fragte er fassungslos. Er eilte näher zum Spiegel und betrachtete intensiv sein eigenes Antlitz. „Da ist … ein Smiley! Verfluchte Scheiße, da ist ein Smiley auf meiner Stirn!“ Er drehte sich zu Cormin, der seine Mundwinkel spöttisch nach oben verzogen hatte. „Verdammte Ratte!“, zischte Dean aufgebracht und wollte zu dem Dämon stürmen, um ihn für dieses Verbrechen angemessen büßen zu lassen, doch Bobby packte ihm am Arm und hielt ihn zurück. „Jetzt komm runter, Junge!“, knurrte er. „Dafür hast du später immer noch Zeit.“ „Genau“, stimmte auch Sam zu. „Außerdem sieht es ehrlich gesagt ziemlich schick aus. Es lässt dich irgendwie sympathischer wirken.“ Dean brummte übellaunig und warf seinem Bruder einen giftigen Blick zu, den dieser mit einem breiten Lächeln quittierte, sich keiner Gefahr bewusst. Doch anstatt seiner Wut freien Lauf zu lassen, schnappte er sich eines der Gewehre und versuchte, all die Würde zu bewahren, die ein Mann mit einem Smiley auf der Stirn aufbringen konnte. „Irgendein Plan?“, fragte er schließlich. „Eine ausgeklügelte Strategie, wie wir das Ganze überleben können?“ Bobby musterte ihn hart. „Kämpfen.“ „Danke, Bobby“, antwortete Dean trocken. „Darauf wäre ich nie gekommen.“ Mica war inzwischen neben ihn getreten und schien es in keinster Weise merkwürdig zu finden, Seite an Seite mit einem Jäger zu stehen. „Wir könnten das Motel abfackeln. Das dürfte sie fernhalten.“ Dean starrte sie an und fragte sich im ersten Moment, ob sie das tatsächlich ernst meinte. Letztlich aber schnaubte er und entgegnete zähneknirschend: „Super Idee, Herzchen. Lass uns alles niederbrennen, die Anwesenden inklusive. Wird bestimmt lustig.“ Micas Miene verdüsterte sich. „Ich komme aus der Hölle, da bin ich einiges gewöhnt“, sagte sie. „Du doch auch, Dean, nicht wahr?“ Der Angesprochene atmete einmal tief ein und hatte in diesem Augenblick nicht übel Lust, sich Rubys Messer zu schnappen und es ins Fleisch der Dämonin zu rammen, ganz gleich, was Castiel ihr auch versprochen haben mochte. Doch die angreifenden Zombies machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Für Tote bewegten sie sich unglaublich schnell. Das war das erste, das Dean registrierte, als sie plötzlich von allen Seiten auf sie einstürmten. Die Tür wurde brutal aufgetreten, die hinteren Fenster ohne Erbarmen eingeschlagen. Kein Hindernis war stark genug, das es sie lange hätte aufhalten können. Sie hätten wahrscheinlich sogar noch die Wände eingeschlagen, wenn sie das für nötig befunden hätten. Dean riss seine Waffe hoch und gab einen Schuss auf einen älteren Mann mit blutunterlaufenen Augen ab, der den Winchester irgendwie an seinen alten Mathelehrer erinnerte, den er wie die Pest gehasst hatte. Der Zombie jedoch duckte sich mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit, sodass die Kugel hinter ihm in die Wand krachte und das Bild von dem Engel zu Boden riss. „Verfluchte Scheiße!“, hörte er Bobby von irgendwoher rufen. „Diese Viecher sind verdammt schnell.“ Dean nickte zustimmend. Eigentlich hätte es ihn beunruhigen und verwundern sollen, aber in Willcox überraschte ihn inzwischen gar nichts mehr. Während Dämonen und Engel ihre Kräfte verloren, wurden Zombies offenbar gleichzeitig mächtiger. Überaus ärgerlich. Dean hatte jedoch keine Zeit, sich weitere Gedanken darüber zu machen, denn plötzlich spürte er, wie sich zwei Hände von hinten auf seine Schultern legten und ihn mit übernatürlicher Kraft nach unten drückten. Der Winchester schrie vor Schmerz auf, während er alles gab, damit seine Knie nicht einknickten. Währenddessen kam der Mathelehrer-Zombie wieder auf ihn zu. Zielstrebig streckte er seine Arme nach ihm aus, als wäre er im Begriff, Dean zu würgen oder ihm gar das Genick zu brechen. „Vergiss es, du miese Kanalratte!“, zischte dieser jedoch aufgebracht. Das Adrenalin pumpte durch seine Adern, als er die Waffe erneut hob und abdrückte. Der Mann war inzwischen zu nah bei ihm gewesen, um noch rechtzeitig auszuweichen. Der Schuss traf ihn direkt in den Brustkorb, woraufhin er ein gurgelndes Geräusch von sich gab und nach hinten torkelte. Dean derweil zögerte keine Sekunde, sondern nutzte den Kolben seines Gewehrs als Waffe und stieß sie mit aller Wucht in seinen Rücken. Als er Widerstand spürte und gleich darauf ein Aufstöhnen, wurde der Griff um seine Schultern sofort lockerer. Er wirbelte herum, drückte dem erstaunten Zombie die Mündung des Gewehrs an die Stirn und schoss. Blut und allerlei anderes klatschte dem Winchester daraufhin ins Gesicht, doch er wischte es einfach lässig fort. An ihm hatten schon viele Monsterinnereien geklebt, das war nichts Neues mehr. Einen Augenblick zum Verschnaufen blieb ihm allerdings nicht. Bereits in der nächsten Sekunde spürte er Hände, die ihn hart packten und zu Boden werfen wollten. Diesmal war Dean auch viel zu überrumpelt, um sich großartig dagegen zu wehren. Er verzog überrascht sein Gesicht, als seine Füße den Halt verloren und er stürzte. Er landete unangenehm auf der Erde, die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst. Er verschluckte sogar beinahe sein Kaugummi und hatte plötzlich das Gefühl, zu ersticken. Er japste wie ein Fisch an Land, bevor er bemerkte, wie sich ein Zombie zu ihm hinunterbeugte. Seine Augen gierig funkelend. Dean wollte seine Waffe auf das Ungeheuer richten, realisierte aber schließlich erschrocken, dass diese ihm offenbar aus der Hand gefallen war. Hastig ließ er seinen Blick schweifen und entdeckte das Gewehr keinen Meter entfernt. Aber dennoch zu weit weg, um es sich einfach schnappen zu können. Dean bereitete sich stattdessen darauf vor, seine Faust ins Gesicht des Zombies zu rammen, doch dazu kam es gar nicht mehr. Castiel tauchte wie aus dem Nichts auf und stieß dem Wesen mit aller Wucht seinen Ellbogen in die Kehle, woraufhin dieses mit aufgerissenen Augen zurücktaumelte. Man mochte viel über den Engel sagen können, aber er wusste ganz genau, wie man sich ordentlich prügelte. „Danke, Cas“, meinte Dean, als er sich mit Castiels Hilfe wieder aufrichtete. „Diese Untoten sind ungewöhnlich stark“, entgegnete daraufhin Castiel, ohne auf Dean einzugehen. „Es wird schwierig, sie zu besiegen.“ Dean widersprach nicht. Stattdessen betrachtete er zum ersten Mal die Szenerie, die sich ihm bot. Bobby wehrte sich mit Händen und Füßen, wie nicht anders zu erwarten. Er schoss, er schlug, er trat und hatte trotzdem nur mäßigen Erfolg. Hatte er einen Zombie zurückgedrängt, tauchten direkt schon wieder zwei andere auf. Mica hatte es ebenfalls nicht leicht. Zusätzlich zu ihrem gebrochenen Arm zierte nun eine riesige Wunde ihre Wange. Dennoch kämpfte sie erbittert weiter, ihre grenzenlose Wut schien ihr neue Kräfte zu verleihen. Die schlimmsten Schimpfwörter kamen aus ihrem Mund, während sie alles zurückschlug, das ihr zu nahe trat. Cormin hingegen hockte immer noch auf dem Boden und konnte nichts weiter tun als zuzusehen. Man merkte ihm an, wie sehr es ihn unter den Fingernägeln juckte, sich ebenfalls zu beteiligen und den verdammten Zombies in den Hintern zu treten, aber wahrscheinlich hätte allein der Akt des Aufstehens seine letzten Energiereserven ausgezehrt. Ebenso Sam blieb außen vor. Er hielt zwar ein abgesägtes Gewehr in den Händen, das Bobby ihm noch schnell in die Hände gedrückt hatte, aber er machte keine Anstalten, es zu benutzen. Stattdessen saß er wie versteinert auf seinem Stuhl, merkwürdig entrückt, als wäre er gar nicht wirklich anwesend. Als wäre er bloß ein Beobachter, der vor dem Fernseher saß und sich einen Film ansah. „Sam …“, flüsterte Dean. „Ihm geht’s gut“, meinte Castiel. „Die Untoten scheinen sich nicht für ihn zu interessieren.“ Das bemerkte im nächsten Moment auch Dean. Obwohl ein Zombie Sam gefährlich nahe kam, würdigte er ihn und der Waffe in seiner Hand keines einzigen Blickes, sondern stürzte sich auf Bobby. Auch die anderen scherten sich anscheinend nicht um Sam. Sie sahen wohl keine Bedrohung in ihm. Dennoch war Dean das Ganze viel zu riskant. Er wollte zu seinem Bruder eilen und ihm zur Seite stehen. Bobby hatte sich zwar schon schützend vor ihn gestellt, aber man merkte ihm an, dass er allmählich müde wurde. Seine Reflexe waren verzögert, seine Bewegungen wurden langsamer. „Wir müssen etwas tun“, sagte Dean zähneknirschend. „Irgendwas, um diese verfluchten Mistkerle loszuwerden. Lange halten wir das bestimmt nicht mehr –“ Er wurde abrupt unterbrochen, als sich zwei Zombies entschlossen, ihn und Castiel ohne Vorwarnung zu attackieren. Der erste warf sich mit aller Kraft gegen den Engel, sodass dieser zurückstolperte und gegen die Kommode stieß. Dean wollte ihm zwar zur Hilfe kommen, doch der zweite Tote erforderte seine volle Aufmerksamkeit. Dieser stürzte mit einer übermenschlichen Geschwindigkeit auf ihn zu und riss ihn von den Füßen. Dean versuchte zwar alles, um sein Gleichgewicht zu halten, schaffte es aber nicht mehr. Wenigstens gelang es ihm, diesmal nicht auf dem harten Boden, sondern auf dem Bett zu landen. Kaum spürte er die federnde Matratze, zückte er sein Gewehr und wollte abdrücken, aber der Zombie ergriff den Lauf der Waffe und zwang ihn in eine andere Richtung. Dean ächzte und schnaufte, aber es machte nicht viel Sinn, dagegen anzukämpfen. Er mobilisierte fast all seine übriggebliebene Kraft, während der Zombie bloß eine Hand benötigte und die andere langsam nach Dean ausstreckte. Und der Winchester konnte absolut nichts dagegen tun. Er war diesem Wesen völlig ausgeliefert. „Bitte, hört auf!“, hörte er Sam irgendwo am Rande seines Bewusstseins flehen. Verzweifelt, hilflos und von der Situation überfordert. Und die Zombies … hielten inne. Sie stoppten mitten in ihren Bewegungen. Selbst eine Frau, die gerade ihren Arm erhoben hatte, um ihn auf Cormin niedersausen zu lassen. Sie stand plötzlich wie gelähmt. Festgefroren. Dean blinzelte überrascht. Der Zombie, der ihn gerade noch hatte attackieren wollen, schien plötzlich an Ort und Stelle festgewachsen zu sein. Dean starrte ihn erstaunt an, ehe er schließlich seine Waffe aus den Händen des Wesens riss, sich wieder aufrichtete und vor dem Zombie zurückwich. „Ähm … was ist los?“, hakte der Winchester verwirrt nach. Fassungslos musterte er das seltsame Schauspiel und konnte sich keinen Reim daraus machen. Warum sollten diese Wesen plötzlich mitten im Kampf anhalten? Er warf einen Blick zu Sam, der ebenso irritiert zu sein schien und sich bloß ratlos umblickte. „Bobby?“, fragte Dean bei seinem Freund nach. „Keine Ahnung“, meinte dieser sofort. Er schüttelte bloß den Kopf und schien wohl zu überlegen, ob er dem Zombie vor sich das Gewehr ins Gesicht rammen sollte. „Cas?“, versuchte es Dean daraufhin. „Ich denke …“, begann der Engel zögernd, „… sie haben auf Sams Wunsch reagiert.“ Dean runzelte die Stirn. War das wirklich sein Ernst? „Ach komm schon“, erwiderte er. „Das ist doch –“ „Verrückt?“, vollendete Bobby seinen Satz. „Du hast Recht. In dieser Stadt ist ja ansonsten alles so normal.“ Dem konnte Dean nicht widersprechen. In Willcox waren in der letzten Zeit dermaßen erstaunliche und aberwitzige Dinge geschehen, dass gehorsame Zombies einen eigentlich nicht verwundern sollten. Und dennoch beunruhigte es Dean. Aber bei genauerer Betrachtung bemerkte er, dass die Aufmerksamkeit aller Untoten tatsächlich auf Sam ruhte. Und dem gefiel das offensichtlich überhaupt nicht. „Sie starren mich alle so an“, stellte er nervös fest. Dean nickte. „Ich weiß, Sammy. Keine Panik.“ Er schwieg einen Moment. „Vielleicht könntest du … ähm … befiehl ihnen etwas.“ „Bitte was?“ „Tu’s einfach, Sam!“ Der Angesprochene war das Ganze immer noch nicht geheuer, aber er nickte schließlich widerwillig. „Na fein“, meinte er, während er tief einatmete. Er wandte sich an die Runde und sagte: „Also … kratzt euch am Kopf.“ Dean legte die Stirn in Falten und wollte seinen Bruder gerade schalten, dass das ein selten dämlicher Befehl war, doch seine Worte blieben ihm im Halse stecken, als die Zombies synchron ihre Arme hoben und sich an den Köpfen kratzten. Als wären sie ein einziges, denkendes Wesen. „Verdammt!“, fluchte Dean. Er konnte es einfach nicht glauben. Auch Bobby starrte auf die sich seltsam verhaltenden Zombies und wusste augenscheinlich nicht, was er denken sollte. Seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er ernsthaft erwog, dass er das alles bloß träumte. Dass er nur Einbildung war. Einzig Castiel blieb völlig ruhig. Seine Miene neutral, sodass man nicht erahnen konnte, was in seinem Inneren vorging. „Kann mir das irgendeiner erklären?“, verlangte Dean, nachdem er eine Weile stumm die sich kratzenden Untoten betrachtet hatte und sich von Sekunde zu Sekunde unwohler fühlte. „Irgendeine halbwegs passable Theorie? Von mir aus auch was mit Aliens … nur irgendwas.“ „Als der Dämon die Kette berührte, kamen die Toten“, meinte Castiel und sprach damit mal wieder das Offensichtliche aus. „Sam hat ebenso die Kette berührt.“ „Ich aber auch“, erwiderte Bobby schnaubend. „Und als ich eben einen der Zombies angebrüllt habe, er soll zur Hölle fahren, hat er leider nicht auf mich gehört.“ Dean sah zu Sam hinüber, der allmählich seine Zurückhaltung zu überwinden und den es nach und nach sogar richtig zu begeistern schien, dass er solchen Einfluss ausüben konnte. Wie ein kleines Kind, das erkannte, dass es mehr Macht besaß, als es eigentlich haben sollte. „Springt auf einem Bein!“, befahl er lächelnd. Und die Zombies gehorchten. Unisono hüpften sie auf und ab, als hätten sie in ihrem ganzen Leben – und in ihrem Tod – nie etwas anderes getan. „Hat dein Handy eine Videokamera?“, fragte Bobby unvermittelt an Dean gerichtet. Dieser runzelte verwundert die Stirn. „Uhm … ja.“ „Dann musst du das aufnehmen“, sagte Bobby, sichtlich fassungslos. „Sonst wird und das keiner der anderen Jäger glauben.“ Dean musterte ihn einen Moment nachdenklich und spielte tatsächlich mit den Gedanken, seinem Vorschlag nachzukommen, schließlich aber wandte er sich Sam zu. „Sammy!“, rief er lautstark und lenkte somit die Aufmerksamkeit seines Bruders von den hüpfenden Zombies auf sich selbst. „Sam, vielleicht solltest du … solltest du …“ Das Auf- und Abspringen der Untoten zehrte derart an seinen Nerven, dass er nicht mal einen vernünftigen Satz formulieren konnte. „Gottverdammt! Sam, sag ihn, dass sie mit diesem Scheiß aufhören sollen!“ Sam, pikiert wie ein Kind, dem man den Spaß verdorben hatte, meinte wenig enthusiastisch: „Hört auf!“ Und sie taten es. Augenblicklich und ohne den geringsten Protest. Als wäre es das Natürlichste der Welt. Dean schüttelte ungläubig den Kopf, während er sich gleichzeitig unterbewusst wünschte, dass Sam in der Vergangenheit das ein oder andere Mal auch so gut gehorcht hätte. „Okay, lasst uns alle tief durchatmen“, sagte er beschwichtigend. „Wir haben hier eine Kette, die Dämonen fast bei lebendigem Leib verbrennt, eine Armee von Zombies, die Mr. Mein-Hirn-ist-völlig-leer offenbar als den großen Messias sieht, Schnee im Sommer und Dunkelheit bei Tag. Hab ich irgendwas vergessen?“ „Machtlose Engel und Dämonen“, half Bobby ihm auf die Sprünge. „Ah ja, genau.“ Dean nickte und ignorierte dabei völlig die düsteren Mienen der Dämonen. „Und? Wie steht das im Zusammenhang?“ Er starrte erwartungsvoll in die Runde, aber keiner setzte zu einer Antwort an. Erst als Sam diese Frage auch an die Zombies richtete, öffnete ein bärtiger Mann seinen Mund und sagte: „Es wurde befohlen.“ Dean blinzelte. Das erklärte natürlich … gar nichts. „Was soll das heißen?“, fragte er daraufhin verwirrt. „Wer hat es euch befohlen?“ Keiner der Zombies rührte sich. Niemand würdigte ihn überhaupt eines Blickes. Als wäre er unbedeutend und schlichtweg unsichtbar. „Sam“, brummte er hierauf gereizt. „Wer hat es euch befohlen?“, wiederholte Sam dessen Frage, sichtlich amüsiert, dass sein Bruder von den Untoten dermaßen ignoriert wurde. Dean wiederum verspürte plötzlich das unbändige Bedürfnis, Sam einen Klaps auf den Hinterkopf zu verpassen. Die Zombies hatten derweil alle gleichzeitig ihren Arm erhoben und deuteten nun auf Sam. „Er hat es befohlen“, sagten sie zur selben Zeit, sodass es einem eiskalt den Rücken herunterlaufen konnte. Sam schaute verdutzt drein. „Ich?“, fragte er. „Ich … ich hab gar nichts davon gewollt. Ich schwöre es!“ Dabei sah er fast schon flehend zu Dean, als erwartete er, dass sein Bruder ihn hier und jetzt über den Haufen schießen würde. Dieser seufzte inzwischen auf. Das Ganze wurde von Minute zu Minute vertrackter. Nichts ergab mehr einen Sinn. „Ich brauch nen Drink“, murmelte Dean. Mehr als alles andere wünschte er sich irgendwas Alkoholhaltiges, das seine Speiseröhre verätzte und ihn wieder auf andere Gedanken brachte. Castiel war in der Zwischenzeit einen Schritt nach vorne getreten und sah ernst in die Runde. „Ich denke, ich weiß jetzt, was in dieser Stadt geschieht.“ ________________________________________ So, langsam rücken wir dem Finale näher. Okay, ein paar Kapitelchen werden es noch sein, aber soo furchtbar lang wird's nicht mehr dauern. An dieser Stelle nochmal vielen Dank fürs Lesen und für eure lieben Kommentare ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)