Una cosa tra fratelli von gluecklich (Die Welt ist überdacht mit Wahnsinn.) ================================================================================ Kapitel 1: Omicidio di Capodanno -------------------------------- Neujahrsmord Die Residenz in Italien hat elf Zimmer, wenn man das Nebenhaus für die Bediensteten außer Acht lässt. Das ist für seine Verhältnisse eher wenig, aber er kann sich damit anfreunden. Es wird ja nicht lang dauern. Er wird ihn finden und dann wird er ihn töten. Vielleicht macht er danach noch ein bisschen Urlaub; Italien ist ja schön. Auch im Winter. Dass er ausgerechnet an Silvester hier ist, findet er äußerst amüsant. Man wird ein schönes, großes Feuerwerk veranstalten und dann wird das Jahr damit beginnen, dass er stirbt. Vortrefflich. Ganz vortrefflich. Er selbst fände die Tatsache, dass seine Ermordung mit einem pompösen Feuerwerk eingeläutet wird, wahrscheinlich genauso lustig wie er. Zunächst drohte dieser Gedanke immer, seine Laune zu vermiesen, aber mittlerweile hat er sich damit abgefunden. Es ist egal. Und wahrscheinlich ist er sowieso zu dumm, diese Querverbindung zu schlagen. Die Frage ist jetzt nur, wie er ihn finden soll. Ihre einzige Information war diese Region von Italien. Seinen genaueren Aufenthaltsort müssen sie jetzt noch rausfinden, er und seine Untergebenen. Wahrscheinlich wird er sich einfach etwas unter die Leute mischen und sich dort umhören. Früher oder später benimmt er sich ja immer auffällig. Auf der anderen Seite ist er schon immer gut im Versteckspielen gewesen. Hat er ja auch sein müssen. Aber er selbst ist auch schon immer besser gewesen. Natürlich. Immerhin ist er der Prinz. »Wenn ich mir die Anmerkung erlauben darf… Die Sicht auf das Feuerwerk wird vom Esszimmer aus am besten sein. Da ist das Panoramafenster.« Er kichert, dann dreht er sich schwungvoll und breit grinsend zu der jungen Frau um, die gerade eines seiner Zimmer betreten hat. »Natürlich darfst du das«, sagt er gönnerhaft. »Aber ich denke, ich werde mir das Ganze sogar von draußen ansehen. Das ist wahres Panorama.« »Wie Ihr wünscht.« Die Angestellte wendet sich wieder zum Gehen. Mit wenigen, beherzten Schritten ist er bei ihr, legt ihr eng einen Arm um die Schultern und streift mit dem Gesicht durch ihr offenes Haar. »Willst du nicht mitkommen und mit dem Prinzen das Spektakel genießen?« Ihr Körper hat sich augenblicklich versteift, das höfliche Lächeln ist verkrampft festgefahren. »I-Ich bin zum Küchendienst eingeteilt«, sagt sie leise. »Ooh«, macht er langgezogen und gespielt traurig. »Wirklich? Wie schade.« Er grinst sie von der Seite an und seine Lippen berühren fast ihre Wange. »Na gut. Dann werd ich mir wohl eine andere Begleitung suchen müssen.« Als er von ihr ablässt, verlässt sie hastig das Zimmer. Er kichert. Vom Feuerwerk wird er nur den Anfang genießen, der ist sowieso am besten. Dann wird er unbemerkt den Garten verlassen und sich umsehen. Es ist Zeit, dass er ein paar Leute kennen lernt. Du hast große Lust, von zu Hause wegzulaufen. Es scheint dir einfach gesünder. Du willst dir gar nicht ausmalen, was passieren würde, würdest du noch länger in diesem Haus bleiben. Außerdem steht das überhaupt nicht zur Debatte. Du kannst nicht bleiben. Du hältst es nicht mehr aus, die ewige Streiterei nagt an deiner Psyche und dein gesamtes Privatleben schleift. Du kannst dich nicht auf die Schule konzentrieren, Freunde reden an dir vorbei. Und egal, wo du bist, du sitzt auf glühenden Kohlen. Bist du zu Hause, zählst du verzweifelt die Minuten, bis du irgendeinen Termin außerhalb dieser Wände hast; bist du nicht zu Hause, zählst du fast panisch die Minuten, bis du wieder zurück musst. So kann es nicht weitergehen. Du hast natürlich schon versucht, mit ihnen zu reden. Aber all diese Versuche sind bisher gründlich in die Hose gegangen. Erst wurdest du überhört, dann nur noch unterbrochen, dann kamst du überhaupt nicht mehr zu Wort und schließlich hast du selbst Ärger bekommen. Dir leuchtet nicht ganz ein, wieso. Es ist jetzt gut ein Jahr her, dass sich deine Eltern getrennt haben. Sie gingen in Frieden auseinander, kein Gebrüll, kein fliegendes Geschirr, keine Scheidungsstreitereien. Sie sind Freunde geblieben, sagt deine Mutter. Du glaubst, dass das nicht unwesentlich damit zusammenhängt, dass dein Vater sie immer noch liebt. Dessen bist du dir sogar ziemlich sicher. Aber du hast es nie ausgesprochen – am Ende wäre es in einer gigantischen Diskussion ausgeartet, sie hätten dich niederargumentiert, es hätte niemanden weitergebracht. Du hast resigniert. Nur kurz nach der Trennung hatte deine Mutter einen neuen Freund. Gekannt hatten sie sich wohl vorher schon, und das war dann scheinbar ihre Gelegenheit, auch noch zusammenzukommen. Du magst ihren Freund. Als Mensch. Er ist nett. Ein netter Kerl, keine Frage. Er hat sich nicht aufgedrängt und anfangs hast du richtig gespürt, wie er sich Mühe gegeben hat, deine Sympathie zu erringen. Er hat nie versucht, dein Vater zu sein. Schön und gut. Er ist nicht das Problem. Nicht so recht. Das Problem ist viel eher, dass es wohl nicht möglich ist, eine friedliche Beziehung mit deiner Mutter zu führen. Du weißt nicht, ob es an den Männern liegt oder an ihr, oder ob es an niemandem liegt, aber du erachtest es als Tatsache. Mit deinem Vater hat sie sich auch ständig gestritten, das hat erst aufgehört, als sie nicht mehr zusammen waren. Und mit ihrem neuen Freund hat es genau anderthalb Monate gedauert. Du hast nachgezählt, es waren genau sechs Wochen. Sechs Wochen heile Welt, Friede, Freude, Eierkuchen. Und dann ging es bergab. Deine Mutter ist eine sehr robuste Frau. Du hast sie oft dafür bewundert und du bist froh, dass auch du deshalb stark und emanzipiert erzogen wurdest. Aber wo du einfach nur etwas frech und provokant bist, ist sie laut und jähzornig. Meinungsverschiedenheiten werden bei euch nicht ausdiskutiert. Deine Mutter gibt brüllend ihre Ansicht der Dinge kund und wer sich dann noch widersetzt, ist des Wahnsinns. Das gilt auch für dich, aber du hast diese Lektion schon vor Jahren gelernt und gehst Konfrontationen einfach aus dem Weg. Ihr Freund hat das wohl nach Monaten immer noch nicht verstanden. Aber vielleicht versucht er auch nur, seinen Mann zu stehen. Sinnlos. Deine Mutter hat die Hosen an – immer. Für gewöhnlich lässt er sich geduldig von ihr anschreien und versucht dann, zivilisiert weiter zu diskutieren. Und dann steigt deine Mutter auf die nächste Stufe, die dir selbst zum Glück immer erspart blieb: Sarkasmus. Bitterböser Sarkasmus, mit schwarzem Humor, trockenen Salven über die Erbärmlichkeit seiner Meinung, ach was, seiner Existenz, mit Auslachen und allem drum und dran. Mehr als nur einmal hattest du schon den Verdacht, dass sie dann an diesen Streitereien regelrechten Spaß hat. Das Problem ist, dass du ihnen nicht ausweichen kannst. Du kannst den Fernseher oder deine Musik noch so laut drehen, die Stimme deiner Mutter ist einfach nicht zu überhören. Und selbst, wenn du die Lautstärke ignorieren könntest: Sobald du dein Zimmer verlässt, ist an der Atmosphäre alles spürbar. Das ganze Haus ist dann eisig. Niemand spricht mehr – auch nicht mit dir. Die Nerven deiner Mutter sind für gewöhnlich noch Tage nach einem Streit zum Zerreißen gespannt. Du weißt, dass du sie nicht ansprechen solltest, weil du sie dann nur nervst. Ihrem Freund solltest du auch nicht allzu viel Aufmerksamkeit zukommen lassen, weil sie dann denkt, du hast dich auf seine Seite geschlagen, und sauer auf dich ist. Manchmal ist sie etwas kindisch. Im Fall einer Krise, und der tritt mittlerweile zuverlässig fast jede Woche ein, wirst du also geflissentlich ignoriert und musst versuchen, allein durch den frostigen »Familienalltag« zu kommen. Meistens weißt du nicht einmal, weshalb sie sich streiten, aber du hegst den Verdacht, dass das vielleicht auch besser so ist. Theoretisch könntest du zu deinem Vater fliehen, dessen Wohnung nicht weit weg von eurem Haus liegt, aber der würde wissen wollen, was passiert ist. Du würdest es ihm sagen und er wäre sofort auf der Seite deiner Mutter – aus unausgesprochenen, dir aber sehr wohl bekannten Gründen. Du hast es ein paar Mal versucht. Du hältst es nicht aus. Und das gilt im Moment für alles: Du hältst es nicht aus. Denn es ist ja nicht so, dass du nur unter der drückenden Situation zu Hause leidest. Eigentlich bemühst du dich immer um eine gute Portion gesunden Optimismus, aber im Moment hast du eindeutig eine Pechsträhne. Vor wenigen Wochen hast du dich von deinem Freund getrennt. Er war lang krank und du warst an seiner Seite, aber nach seiner Genesung musstest ihr feststellen, dass es nicht mehr so werden konnte wie früher. Ihr seid friedlich auseinandergegangen. Freunde geblieben. Wie deine Eltern. Der Gedanke lässt dich immer wieder schaudern. Es ist Silvester. In einer halben Stunde beginnt das neue Jahr, deine Mutter und ihr Freund haben im Nebenraum gerade aufgehört, sich anzuzicken. Du sitzt allein auf deinem Bett und starrst aus dem Fenster, auf deinen Wangen trocknen Tränen. Zwei Freunde aus deinem lockeren, unsteten Bekanntenkreis haben dich auf eine Party heute Abend eingeladen, allerdings eher aus Höflichkeit. Ihr wusstet alle, dass du ablehnen würdest. Es war eine nette Geste, aber dir war gleich klar, dass es die Sorte Party werden würde, an die sich der Großteil der Gäste am nächsten Tag nicht mehr erinnert. Betrunkene sind lustig anzusehen – ungefähr zehn Minuten lang. Du hast dankend verzichtet. Jetzt überlegst du dir, dass du vielleicht doch hättest hingehen sollen. Es wäre sicherlich erträglicher als das hier. Am liebsten würdest du wirklich einfach deine Sachen packen und weglaufen, vor allem. Deine Freunde, auch dein Ex-Freund, sorgen sich um dich und sind dir wichtig, aber du willst eine Auszeit. Nein, du brauchst eine Auszeit. Du würdest dich am liebsten in den nächstbesten Flieger setzen und weit weg fliegen, ans andere Ende der Welt, weg von deinen Problemen, abschalten. Einfach nicht mehr daran denken müssen. Aber du weißt, dass du nicht den Mumm dazu hast – und trotz allem willst du ja nicht, dass deine Eltern sich Sorgen um dich machen. Sie lieben dich, das weißt du. Sie haben im Moment nur Schwierigkeiten, dir das zu zeigen. Bleiben kannst du trotzdem nicht. Du gibst dir einen Ruck und stehst vom Bett auf, schnappst dir den nächstbesten Pullover und ziehst ihn dir über. Dich am Zimmer deiner Mutter vorbei zu schleichen, wird kein Problem sein. Sie erwartet nicht, dass ihr Silvester zusammen feiert. Sie weiß, dass es schwierig ist. Du schiebst den Mp3-Player in deine Hosentasche und die Kopfhörer in deine Ohren, stellst die Musik schon an, bevor du überhaupt das Haus verlässt. Schließlich trittst du vor die Tür, der Klang deines Lieblingslieds beruhigt dich allmählich, du schiebst die Hände in die Taschen deines Wintermantels. Die Nacht ist mild. Der Schnee für dieses Jahr ist längst gefallen und geschmolzen, du siehst ein paar Sterne. Es sind höchstens zwei Grad unter null; du wirst nicht frieren. Das ist gut. Denn du hast nicht vor, in diesem Jahr noch ein Haus zu betreten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)