Und am Anfang, da warst du... von abgemeldet (Sherlock Holmes and the Prisoners of Today (H/W)) ================================================================================ Kapitel 9: Müde --------------- „ Die erste halbe Minute schwieg Holmes sich aus und versuchte, seine Unmut dadurch zu verbergen, dass er ungewöhnlich fest in den Hals seiner teuren Zederholzpfeife biss. Seine markanten Kieferknochen stachen hervor und seine hohe Stirn war in zornige Falten gelegt, während er mich glimpflich ignorierte um böse aus dem Fenster unserer Droschke zu starren. Er schwieg genau bis zu dem Zeitpunkt, in dem unser Gefährt in ein großes Schlagloch gelenkt wurde und Holmes´ Pfeife ihm aus der Hand und zu seinen Füßen hin fiel. Während er sich genervt nach ihr bückte, stieß er einen rüden Fluch aus und kaum saß er wieder aufrecht, begann er, ohne Punkt und Komma über unseren Informanten zu schimpfen. „Pah! Solchen Versagern gehört die Zulassung entzogen! Polizisten-Pack! Noch nie taugte auch nur einer von denen etwas! Stümpernder Narr! Man stelle sich vor dieser Mann stünde vor einem Fluß; was würde er nach Wasser schreien und schlußendlich verdursten!“ Ich empfand sein Geschimpfe als unflätig und keinesweges berechtigt, doch ich behielt einen kühlen Kopf und versuchte den Detektiven durch die Fragen, die mir auf der Zunge brannten, davon abzuhalten, sich in vollkommene Raserei zu reden. „Ich tappe in Dunkelheit, Holmes. Zwar passt die Beschreibung die Rance uns von dem Trunkenbold gab genau auf Ihre Mutmaßungen hinsichtlich des Täter – dennoch: Warum sollte ein Mörder an den Ort des Verbrechens zurückkehren – unmittelbar nach der Tat? Oder mag es daran gelegen haben, dass der Mann vollkommen schwachsinnig vor Rausch war?“ Holmes blinzelte mich zunächst ungläubig an, ehe sich seine Miene ein wenig aufhellte. Nur kurz lachte er über meine Theorie, ehe er mir Klarheit einschenken wollte. Immerhin etwas, dachte ich mir. „Nein, nein, Watson. Der Ring! Denken sie an den Trauring. Nur wegen ihm kam er zurück.“ Kaum hatte er das Schmuckstück erwähnt, hielt er es bereits wie ein Heiligtum zwischen seinen langen Fingern und sah es ehrfürchtig an. Ich fragte mich willkürlich, ob Holmes wohl schoneinmal verheiratet gewesen war? Ich wollte ihn später danach befragen. „Dieser Ring“, Holmes hielt ihn mir direkt vor mein Gesicht, „ist unser Köder; damit schnappen wir den Kerl. Ich kriege ihn, ich wette zwei zu eins darauf, dass ich ihn kriege.“ Für eine Sekunde sah ich ein solches Feuer in Holmes´ sonst so emotionsarmen Augen aufflammen, dass ich nicht anders konnte, als ihn für diesen Moment des Ehrgeizes die Hand zu schütteln und meine Unterstützung anzubieten. Holmes lachte und klopfte mir mit den Fingerkuppen leicht auf die Schulter. „Sehr gut, Watson. Einen Arzt an der Seite zu haben ist immer vom Vorteil. Außerdem muss ich mich bei Ihnen bedanken – ohne Sie hätte ich den Fall vielleicht nie angenommen und ich hätte die bisher schönste Studie meines Lebens wohl verpaßt. Eine ganz und gar schöne Studie, ja. Eine Studie in Scharlachrot, nicht wahr? Ausdrücke aus der bildenden Kunst eignen sich herrvoragend für solcherlei Dinge, nicht wahr? Da ist der scharlachrote Faden des Verbrechens, der sich durch die graue Strähne des Lebens spinnt – und meine – unsere! - Aufgabe ist es, ihn zu finden, aus dem Geflecht zu lösen und Zoll um Zoll aufzudecken. Aber jetzt erst einmal das Essen und dann zu Norman Neruda!“ Ich konnte nicht anders, als über diesen seltsamen Sinneswandel meines Gegenüber zu lächeln. Er erzählte mir viel über Norman Neruda, über ihre Bogenführung beim Violinenspiel, über ein Stück von Chopin, was sie ganz vorzüglich zu spielen schien, er sang es mir geradezu vor. Sein Redefluß stoppte nicht ein einziges mal und endete erst, als wir gemeinsam die Küche der Bakerstreet betraten, in der Mrs. Hudson bereits ihres Amtes waltete und wie ein Wirbelwind das Essen anrichtete. „Mr. Holmes, Mr. Watson! Sie beide sind genau rechtzeitig hier!“ Und damit tischte mir unsere Haushälterin einen großen, üppig gefüllten Suppenteller auf, für den ich mich überschwänglich bedankte, schließlich hatte ich an diesem Tage noch so gut wie nichts zu mir genommen. Holmes, der soetwas wie ein Hungergefühl gar nicht erst zu verspüren schien, betrachtete argwöhnisch die Suppe und stocherte mit seinem Löffel lustlos darin herum. Mrs. Hudson saß ihm gegenüber und beobachtete sein kindliches Verhalten mit Argusaugen. Mir hatte sie ein paar Tage zuvor erzählt, sie mache sich schreckliche Sorgen um Holmes, da dieser zu wenig und zu unregelmäßig esse, was ich so unterschreiben konnte. Seine Hauptnahrungsmittel waren unweigerlich Tabak, Kaffee und gelegentlicher Alkohol. „Nun kommen Sie Holmes, ein wenig müssen Sie einfach essen. Schauen Sie, Mr. Watson nimmt sich nun schon zum dritten mal Nachschlag!“ Peinlich berührt registrierte ich Holmes´ musternde Blicke von der Seite und lief rot wie eine Tomate an. „Das sieht man.“ Sagte Holmes trocken. Er hatte in der Tat einen mehr als wunden Punkt getroffen und ich blaffte ihn gekränkt an. „Wenigstens sehe ICH nicht aus wie eine zu dünne Kalkwand mit brüchigen Fingernägeln und grauem Haar!“ Wütend verschränkte ich die Arme vor der Brust und erwartete das Schlimmste. Ich wußte, Holmes war eitel, sehr sogar. Während ich allmorgendlich noch im Bett lag und nichteinmal daran dachte, aufzustehen, stand der Detektiv bereits im Bad und bereitete sich darauf vor, mich vollkommen perfekt hergerichtet am Frühstückstisch zu begrüßen. Der erwartete Ausbruch kam nicht, stattdessen griff Holmes wortlos zu seinem Löffel und aß seinen Teller leer, bis auf den letzten Tropfen, ohne jegliche Widerworte. „Na also, geht doch.“ Lobte ich mich innerlich selbst. Mrs. Hudson strahlte mich geradezu an und fragte Holmes zuckersüß danach, ob er nicht vielleicht einen Nachschlag wünsche, welchen er dankend ablehnte. Ich musste schmunzeln darüber, wie mütterlich Elisabeth Hudson meinen Mitbewohner behandelte. Und noch viel erstaunlicher war, dass Holmes dies geradezu unkommentiert zuließ. Kopfschüttelnd reichte ich Mrs. Hudson meinen Teller und humpelte müde die Wendeltreppe zu unserem Wohnzimmer hinauf. In mein Schlafzimmer schaffte ich es nichtmehr, ich ließ mich ausgelaugt auf das große, schwarze Sofa neben dem Kamin fallen. Dieser Vormittag war unweigerlich der zermürbenste der sämtlichen letzten Monate gewesen, soviel stand fest. Noch immer spukten die Bilder des toten Drebbers vor meinem inneren Auge umher und ich versuchte krampfhaft, auf andere Gedanken zu kommen. Dass Holmes das Wohnzimmer betrat und sich eine Zigarette anzündete, bekam ich nur am Rande mit. Nach ein paar Minuten verfiel ich in einen albtraumgeplagten, ruhelosen Schlaf, aus dem ich schlußendlich schwer atmend und schweißgebadet erwachte. Ein desorientierter Blick zum Fenster sagte mir, es musste bereits spät am Abend sein. Mein Nacken war steif und mein Bein brannte wie Feuer. Stöhnend rieb ich mein Gesicht zwischen den verschwitzten Handflächen. „Hatten sie schlimme Albträume, Doktor?“ Erschrocken fuhr ich zusammen und realisierte, das Mrs.Hudson die gesamte Zeit über neben dem Sofa gesessen und mich beobachtet hatte. Ihr Gesicht wirkte warmherzig und mütterlich durch die dunklen, weichen Schatten, die das Kaminfeuer auf es legte. „Nunja, ich hatte schon schlimmere, alles in Ordnung.“ Beschwichtigend drückte ich die zarte, runzlige Hand, die Mrs. Hudson auf mein Knie gelegt hatte. Sie lächelte sanft und reichte mir eine Tasse starken, süßen Tee . „Wissen Sie, Mr. Holmes machte sich Sorgen um ihr Befinden. Deshalb bat er mich, ein wenig über sie zu wachen, während sie schlafen. Doch das hätte er mir nicht sagen müssen, hätte ich ohnehin getan.“ Ich schlürfte vorsichtig das heiße Getränk und blinzelte die Greisin ungläubig an. „Sorgen machte er sich? Das kann ich mir schlecht vorstellen, um die Wahrheit zu sprechen.“ Mrs. Hudson lachte leise und stand auf, schickte sich, zu gehen. In der Tür noch drehte sie sich zu mir um. „Er mag es vielleicht nicht sagen, aber ich spüre, dass er sich sorgt. Holmes erscheint mir manchmal ein wenig wie mein Sohn, vielleicht habe ich ihn deshalb so gern hier.“ Und damit schloß Elisabeth Hudson die leichte Tür hinter sich und überließ mich meinen Gedanken. Ich kratzte mich ungläubig am Kopf und stand auf um mir die Müdigkeit aus den Beinen zu laufen. Am Abend war unser Wohnzimmer in der Tat sehr heimelig und ruhig, weshalb wir uns zu später Stunde fast außschließlich hier aufhielten. Humpelnd schritt ich zu dem Schreibtisch am hinterem Ende des Raumes, um mich in meinen gemütlichen Ledersessel fallen zu lassen. Pure Gewohnheit. Die große Wanduhr hinter mir schlug die zehnte Stunde und langam begann ich mich zu fragen, wo Holmes steckte. Fast wie aufs Stichwort bemerkte ich den Zettel auf dem – ungewöhnlich sauberen – Tisch und griff ungeniert danach, stand doch mein Name darauf. Tatsächlich war es eine an mich gerichtete Notiz von Holmes, in seiner ihm typischen, krakeligen Schrift gehalten. „Lieber Doktor“, schrieb er. „Ich habe Sie schlafen lassen und bin alleine zu Norman Neruda. Es könnte spät werden, räumen Sie doch bitte die Akten zurück in den Schrank. Holmes“ Kopfschüttelnd tat ich wie mir geheißen und stopfte unter Kraftanstrengung den unordentlichen Ordner voller Akten zurück in den haltlos überfüllten Schrank. Ich würde nocheinmal mit Holmes über seinen Sinn für Ordnung sprechen müssen. Während ich die Glastüren des klobigen Aktenschrankes wieder schloß, fiel mir ein Gegenstand auf dem Regalbrett des Schrankes ins Auge. Es war ohne Zweifel der Ring eines Mannes. Er schien Holmes zu gehören, schließlich liebte dieser extravagante Dinge und seine Vorlieben machten auch nicht vor Schmuck halt. Ohne auf mein beißendes Gewissen zu achten, hob ich das schwere Stück vorsichtig zwischen zwei Fingern näher zu meinen Augen und besah es genau. Es war ein silbener, klobiger Siegelring, der eindeutig schon einiges durchlebt hatte. Das – einst wohl sehr wertvolle – Silber war ein wenig speckig und die Farbe des Siegels blätterte ein wenig ab. Es war ein ,in einen Kreis gefaßtes ,großes „H“, welches umrandet war von einer dunkelgrünen und einer blutroten Kreishälfte, den Rand des Kreises bildete der eingravierte Satz: „ per crucem ad lucem“ „Durch das Kreuz ans Licht..“ flüsterte ich. Was mochte dieser Ring bedeuten. War er etwa-? „Ein Familienwappen, ganz genau.“ Mein schwaches Herz setzte für einen Moment aus , als ich mich ruckartig zu Holmes umdrehte. Vor Schreck ließ ich den Ring auf den Boden fallen, direkt vor Holmes´ Füße. Ertappt stammelte ich Entschuldigungen und Erklärungsversuche vor mich hin, mein Gesicht – einmal wieder – vor Scham gerötet. Holmes bückte sich langsam und hob den Ring weniger vorsichtig auf, als ich es mit einem Wappenring meiner Familie je getan hätte. Unachtsam warf Holmes das Erbstück auf das Regal zurück und sah mich emotionslos an. „Das muss ihnen nicht peinlich sein, Doktor. Es währe wesentlich schlimmer gewesen, hätten sie ohne meine Befugniss die Akten durchblättert. Der Ring ist mir nichts wert, weshalb ich ihn auch nicht trage.“ Ich hatte mich indessen wieder einigermaßen beruhigt und saß nun wieder in meinem Sessel. Mir war diese Situation recht unangenehm. Holmes schien ungewöhnlich fröhlich zu sein, geradezu ausgelassen. Sein Kragen war locker aufgeknöpft und seine weiße Satin-Fliege hing ihm Locker um den Nacken. Er ließ sich auf der anderen Seite des Schreibtisches sinken und zündete sich – wie gewohnt – eine seiner Pfeifen an. „Das Konzert war großartig, ein wahres Meisterstück.“ Paffte er, die alte Pfeife zwischen den Lippen. „ Vielleicht ist es doch so, wie Darwin sagte: Er behauptet, dass die Fähigkeit, Musik hervorzubringen und Gefallen an ihr zu finden, bei der Spezies Mensch längst vorhanden war, bevor die Fähigkeit zur Sprache erreicht wurde. Interessanter Gedanke, meine ich. Interessant und einleuchtend. Vielleicht werden wir deshalb von ihr so tief im Unterbewußtsein beeinflusst. Als wären dort in unseren Seelen undeutliche Erinnerungen an Melodien, die die Luft erfüllten, als unsere Welt noch in ihren Anfängen war. So oder so ähnlich.“ Holmes sah mich nach dieser – für ihn überraschend emotionalen – Rede stillschweigend an und sog den Tabakrauch genüsslich in sich ein. Ich registrierte einen süßlichen Geruch um ihn herum, den ich so noch nie wahrgenommen hatte, doch ich fragte nicht danach. „Ein..ein recht weitreichender Gedanke.“ durchbrach ich die seltsam unangenehme Stille. „Die Gedanken, die man hat, müssen so weit reichen wie die Natur, wenn man sie die Natur deuten sollen.“ Antwortete Holmes nicht weniger rätselhaft. Dann blinzelte er mich seltsam an. „Sie sehen immer noch sehr unerholt aus. Setzt ihnen das Ganze wirklich solcherart zu?“ Ich nickte bedrückt. „Verstehen Sie das nicht falsch, Holmes. Ich wünsche nichts mehr als ihnen bei diesem Fall helfen zu können, doch ich muss gestehen, das alles nimmt mich wirklich ziemlich mit.“ Mein nervöses Lachen hallte durch die gemütliche Stille unserer Wohnung. „Dabei müsste ich abgehärteter sein. Ich habe gesehen, wie meine Kameraden und Freunde zerfetzt wurden oder unter meinen Händen wegstarben – und ich habe dennoch nicht den Verstand verloren.“ Holmes seufzte wissend und klopfte mit dem Pfeifenkopf auf den hölzernen Schreibtisch. „An dieser Studie ist etwas rätselhaftes, etwas, das sie zum phantasieren bringt. Das ist vollkommen logisch und menschlich. Dort wo wo es nichts zum phantasieren gibt, gibt es auch kein Grausen.“ Das leuchtete mir ein und ich nickte zustimmend. Holmes lächelte kurz; das hieß, er zog einen Mundwinkel in die Höhe. Dann stand er auf, schritt zum Fenster und blickte auf die leere, finstere Bakerstreet. Sein Rücken strahlte eine ungeheure Energie aus und ich konnte diese eigentümliche, süße Duftnote bis zu mir wahrnehmen. Irgendwie machte sie mich noch schläfriger. „Legen Sie sich auf das Sofa, Watson.“ Ich sah auf. „Was? Wozu?“ Holmes blickte mich feixend über seine Schulter hinweg an. „Selbst ein Blinder könnte sehen, wie müde Sie sind. Legen Sie sich hin, ich spiele ihnen etwas vor.“ Etwas verdutzt fügte ich mich seinem Willen und ließ mich einmal mehr auf das – eigentlich sehr bequeme – Sofa nieder. Kaum hatte ich mich gelegt und meine braunen Augen geschloßen, ertönte auch schon der Klang von Holmes´ Violine und erfüllte den gesamten Raum. Er spielte eine langsame, einschläfernde Melodie, welche ich noch nie gehört hatte, doch sie war wunderschön. Ich wußte, dass Holmes ein Virtuos des Geigenspiels war, also improvisierte er höchstwahrscheinlich. Der emotionale, langsame Gesang der Violine vermischte sich mit dem gemächlichen Ticken unserer großen Wanduhr und ließ mich zunehmend benommener werden. Nach einiger Zeit, in der Holmes unablässlich für mich gespielt hatte, glitt ich endlich in einen tiefen, festen Schlaf. Und diese Nacht plagten mich keine Albträume. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)