Und am Anfang, da warst du... von abgemeldet (Sherlock Holmes and the Prisoners of Today (H/W)) ================================================================================ Kapitel 3: Register ------------------- „ Die nächsten Wochen kam ich bei Dr. Wilson und seiner Familie unter. Um Peter und seiner liebreizenden Frau Margret meinen Dank zu zollen, vertrat ich Mr. Wilson von Zeit zu Zeit im Krankenhaus. Mit seinem Vorgesetztem ging dies in Ordnung, schließlich hatte ich als Militärsarzt eine noch höhere Stellung inne als mein guter Freund. Die Arbeit lenkte mich ab und half mir gleichzeitig, mich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Es tat gut, den Menschen endlich wieder helfen zu können. In Afghanistan hatte meine Arbeit größtenteils daraus bestanden, den Todeszeitpunkt herauszuzögern oder in einem Kampf gegen die Zeit wieder und wieder zu verlieren. Zwar schmerzte meine Schulter noch immer und mein linkes Bein würde ich wohl nie mehr wieder so bewegen können wie früher, doch abgesehen davon ging es mir in diesen Wochen so gut wie noch nie. Ich war zu Gast bei einer herzlichen, netten Familie, hatte gute, ehrliche Arbeit und auch meine finanzielle Situation wurde stetig besser. Und dennoch fühlte ich mich, als würde etwas fehlen. Da war eine undefinierbare Leere in meinem Herzen, die augenscheinlich nichts zu füllen vermochte. Eines Tages aber, betrat ein Patient meine Sprechstunde, den ich unter hunderten, gar tausenden sofort herauserkannt hätte, obgleich er mir erst einmal zuvor begegnet war. „Sie haben sich sehr verändert, Doktor Watson. Es ist geradezu offensichtlich.“ War das erste, was Sherlock Holmes zu mir sprach, während er geschmeidig durch den Raum schritt und die Tür hinter sich elegant ins Schloss fallen ließ. „So, denken Sie,Mr. Holmes?“ Ohne mir die Hand zu geben ließ er sich fast ein bisschen zu gelassen in den Behandlungsstuhl gleiten, hob eine seiner charakteristischen Brauen und zündete sich dreist eine Zigarette an. „Also erinnern Sie sich an mich?“ Spöttisch musterte Sherlock mich. Langsam wurde ich wütend. „Natürlich tue ich das, Sir. Und nun würde ich Sie gerne bitten, ihre Zigarette auszumachen. Nicht jeder Patient möchte ihren Tabak hier riechen.“ Zwar drückte der fahlgesichtige Mann seine Zigarette aus, doch sein genervter Blick sprach Bände und ließ mich vor Genugtuung lächeln. Diesmal sollte er nicht die Chance bekommen mich bloßzustellen, Oh nein, diesmal nicht. „Nun gut“, ich wischte mir mein Lächeln aus dem Gesicht und setzte meinen beruflich-wissenschaftlichen Blick auf, musterte Holmes fachmännisch. „Was genau quält uns denn?“ Sherlocks Mundwinkel zuckten leicht ob dieser Art mit ihm zu sprechen, dennoch wollte er gerade Ansetzen, als ich ihm gekonnt das Wort abschnitt. „ rauhe, trockene Haut und früh ergrautes Haar sowie brüchige Fingernägel sind klare Anzeichen von Unterernährung. Sie sollten mehr auf sich acht geben.“ Erstaunt weiteten sich die eisgrauen Augen meines Patienten und scheinbar sehr interessiert lehnte er sich weiter zu mir vor, stützte dabei sein markantes Kinn auf seine rechte Hand. „So, so. Interessante Schlußfolgerung.Sie scheinen nun doch nicht ganz so beschränkt zu sein, wie ich annahm.“ Ich ließ mich durch seine bodenlose Dreistigkeit nicht beirren, griff nach meinem Notizblock und sah mein Gegenüber streng an. „Ich wurde schon oft genug unterschätzt. Und nun, was kann ich für Sie tun? Sie müssen wissen, vor dieser Tür warten noch andere Patienten und ich würde heute gerne etwas eher gehen. Also?“ „Warum auf einmal so streng, Doktor? Man möchte meinen, ich habe Sie gekränkt. Wenn das so ist, möchte ich mich entschuldigen.“ Er sprach sehr aufrichtig, doch sein hämisches Lächeln verriet ihn. „Nun, Dr. Watson“, Holmes streckte mir überraschend offen seine linke Hand entgegen. „Was sagen Sie hierzu? Leider bin ich nicht wirklich in der Lage, mein Leiden selbst zu diagnostizieren, Ich bitte Sie also.“ Behutsam nahm ich Sherlocks mehr als große Hand in die meine und sofort überkam mich ein seltsames, recht unangenehmes Gefühl, als ich seine rauhe, trockene Haut fühlte. Holmes war wirklich ausserordentlich blass, wesegen die starke Rötung seines Handgelenkes jedem sofort ins Auge stechen musste. Leicht, fast unmerklich zuckte mein seltsamer Patient zusammen als ich meine Finger fachmännisch über die scheinbare Entzündung gleiten ließ. Sacht bewegte ich das Gelenk und vernahm fast augenblicklich das charakteristische Knirschen, welches meine diagnostischen Gedanken komplettierte. „ Sie sind Linkshänder?“ Fragte Ich Holmes ohne ihn anzusehen. „Geradezu großartig! Ja, es stimmt in der Tat, ich bin Linkshänder. Wer hätte gedacht, dass Sie in der Lage dazu sind, soetwas offensichtliches zu erkennen?“ Er schien hellauf Begeistert über meine simple Frage zu sein und langsam begann ich, mir Sorgen um seine Psyche zu machen. „Offensichtliche Dinge werden erfahrungsgemäß sehr schnell erkannt, Holmes. Sie schreiben sehr viel, nehme ich an?“ Holmes´ kaltes, trockenes Lacheln hallte kurz durch den kleinen, mehr oder minder sterilen Raum. „Ja und Nein. Ja, ich schreibe in der Tat sehr viel. So wie es aussieht, mehr als mir gut tut, nicht wahr Doktor? Und Nein, gerade das Offensichtliche ist es, was die Menschen meist vollkommen übersehen, das ist es , was meine große Erfahrung auf diesem Gebiete mir sagt.“ Der stechende, durchdringende Blick des Mannes fesselte mich von neuem. Lang und intensiv sahen wir uns in die Augen, während ich seine große, blasse Hand noch immer festhielt. Doch bevor ich mich vollkommen in diesen tiefen, mysteriösen Seen aus Feuer und Eis verlieren konnte, riß ich mich los, räusperte mich kurz und fuhr mit meiner Diagnose fort. „Mr. Holmes, ich fürchte, Sie werden die nächste Zeit nicht schreiben können. Was hier vorliegt ist eine weit fortgeschrittene Sehnenscheidenentzündung. Ich muss ihnen einen Verband anlegen, Sie dürfen ihre Hand nun eine Zeit lang nicht belasten.“ Missbilligend zischte Holmes und zog die Stirn kraus. „Es tut mir ja leid, Sie enttäuschen zu müssen, Doktor. Doch meine Berufung erlaubt es mir nicht, meine viel gebrauchte Hand nicht zu nutzen. Außerdem muss ich bis Morgen noch einen langen Aufsatz für eine renommierte Zeitung schreiben. Sie sehen also, ich bin nicht in der Lage, ihren Aufforderungen nachzugehen.“ Ich war seit jeher ein sehr einfühlsamer, verständnissvoller Mensch.Doch wenn es etwas gab, das mich regelrecht zur Weißglut treiben konnte, dann war es die Nichtachtung meiner ärztlichen Anweisungen. „Oh, doch, Holmes! Sie werden! Und wenn ich selbst dafür sorgen muss!“ Streng blaffte ich meinen Patienten an während ich seine verletzte Hand dick bandagierte. Selbiger lächelte mich überheblich an und blinzelte ungläubig. „Der Herr hat also ein Machtwort gesprochen. Und wie gedenken Sie mich aufzuhalten?“ Ich schnaubte verärgert und stemmte die Hände gebieterisch in die Hüfte. „Notfalls hindere ich Sie am schreiben, indem ich es selbst mache! Ich kann nicht verantworten, dass Sie diese Hand in den nächsten drei bis vier Wochen wieder beanspruchen. Die Folgen wären für Sie mehr als unschön.“ Unerwartet erhob sich mein Patient und schritt in seinem gewohnt eleganten Gang zur Tür, drehte sich um und grinste mich schelmisch an. „Ich nehme Sie beim Wort, Doktor! Heute Abend, 22 Uhr, Bakerstreet 221b. Wenn Sie nicht kommen, muss ich meine Hand wohl oder übel belasten – und das wollen wir doch vermeiden, nicht wahr..?“ Und noch bevor ich überhaupt den Mund aufbekam hatte der seltsame Mann die Tür hinter sich zugezogen. Erstaunt und dennoch auf gewisse Art und Weise belustigt behandelte ich meine wenigen restlichen Patienten und machte mich gegen 17 Uhr auf den Weg zur der Wohnung meines Freundes Peter Wilson, der den Tag dank meiner Hilfe sehr entspannt bei seiner Familie verbringen konnte. Gut gelaunt, nach dem Parfüm seiner Frau riechend und mit seiner jüngsten Tochter Elisabeth auf dem Arm kam mein Wirt auf mich zu. „Ah, schon wieder zurück ,Watson? Na, wie läuft das Geschäft? Simuliert der alte McFadden immer noch?“ Doch Peters Begrüßung wurde unterbrochen von der glockenhellen Stimme des kleinen Engels in seinen Armen. „Onkel John! Onkel John! Spielst du jetzt mit mir, du hast es mir versprochen?“ Verzückt nahm ich die kleine Elli in meine Arme, hatte sie doch fast augenblicklich ihre kleinen, zarten Fingerchen nach mir ausgestreckt, kaum das sie mich sah. Anstatt meinem Freund zu antworten, ließ ich mich also von Elisabeth dazu kommandieren, mit ihr und ihrer Stoffpuppe Momo Kuchen zu essen. Peter lächelte mich herzlich an, als ich mich zu seinen Kindern setzte, als sei es dass selbstverständlichste der Welt. Margret kam währenddessen mit einem Tablett Kekse und heißem Pfefferminztee in die warme, hell erleuchtete Stube und begrüßte mich herzlichst. „Oh, Dr. Watson, Sie müssen das wirklich nicht tun. Kinder, spielt doch lieber alleine, lasst Onkel John wenigstens Heute einmal zur Ruhe kommen.“ „Aber, aber, Margret. Ich tu das doch gern. Du und Peter, ihr habt mich so herzlichst aufgenommen, ich wüßte nicht, wie ich euch das jemals danken sollte. Dies ist das Mindeste, was ich tun kann und ich tu es recht gerne.“ Das stimmte in der Tat. Ich war schon immer versessen auf Kinder gewesen und wünschte mir nichts sehnlicher, als eines Tages eigene zu besitzen. Meine Jungdogge Caspar durfte ich wie selbstverständlich mit in die Wohnung der Wilsons nehmen und der ausgesprochen friedfertige Hund war alsbald der Liebling der Kinder geworden. Gerade als ich von Elisabeth das zweite Stück ihres „Kuchens“ auf meinen Holzteller geschaufelt bekam, bemerkte mich mein treuer Begleiter und stürtzte freudig auf mich zu. Als es bald schon nahe 21 Uhr ging, schrak ich regelrecht auf: Ich hatte meine Verabredung in der Bakerstreet beinahe vergessen! „Peter,“ fahrig hetzte ich zum Kleiderständer im Flur und warf mir meinen Mantel über, setzte mir meinen alten Hut auf und drehte mich noch einmal zu meinem Freund um. „ich muss nocheinmal fort. Ich weiß nicht, wie spät es wird, erwartet mich also nicht vor Früh zurück.“ Irritiert musterte mich Wilson, sich am sehnigen Kinn kratzend. „Wo willst du hin, noch zu dieser Uhrzeit?“ „In die Bakerstreet. Ich erkläre es dir wenn ich zurück bin, das kostet mich jetzt zuviel Zeit. Bis Morgen Früh!“ Und noch bevor Peter auch nur im Ansatz protestieren konnte, war ich auch schon aus der Tür. Die Nacht war zu meinem Erstaunen bitterkalt und um diese Uhrzeit in den Wohngebieten noch einen seriösen Kutscher zu finden gestaltete sich als schwieriges Unterfangen. Zumindest normalerweise. Denn diese Nacht schien irgendjemand es recht gut mit mir zu meinen, hielt doch fast direkt vor meiner frierenden Nase eine schöne, teuer aussehende Kutsche. „Zwar keine geschloßene Droschke“, dachte ich ,schon beim Gedanken an den beißenden Fahrtwind zitternd, „aber besser als nichts!“ Der Kutscher, ein großer, sehr alter Mann mit krummen Rücken und starken Runzeln im Gesicht entließ seinen Fahrgast, einen sehr dicken, wichtig aussehenden Mann mit schwarzen Haaren, und musterte mich eingehend. „Wohin soll denn die Reise gehen, mein Herr?“ „Ähm“ frierend trat ich näher an den Greis heran. Seine scharfen, wachen Augen kamen mir solcherart vertrauenswürdig vor, dass ich beschloß, bei ihm zu fahren. „Ich würde gerne in die Bakerstreet, Hausnummer 221b.“ Absolut freundlich lächelte der Alte und wies mich mit einer Hand an, ich solle in die Kutsche steigen. Die ersten Minuten der langen Fahrt vergingen geradezu ereignisslos, bis der alte Kutscher unvermittelt begann zu sprechen. „Und was genau wollen Sie in der Bakerstreet, wenn ich fragen dürfte? Wenn es wegen der letzten freien Wohnung ist – da werde ich Sie enttäuschen müssen, die wurde schon vor zwei Wochen – oder auch etwas mehr, verzeihen Sie, das Alter - von einem komischen Kauz besetzt, habe ich mir von der Haushälterin sagen lassen!“ Erstaunt musste ich lachen. „Nein, nein, ich besuche einen Patienten von mir.“ „Oh“, der alte Mann lächelte schief, „Sie müssen ein sehr umsorgender Arzt sein, der seinen Patienten um diese Uhrzeit noch Hausbesuche abstattet.“ Diese schelmische, recht zweideutige Art zu sprechen trieb mir die buchstäbliche Schamesröte in die Wangen. Verdutzt konnte ich nur stammeln: „S-So ist es nicht! E-Ein Patient von mir hat eine kranke Hand, die er unmöglich belasten darf! Ich gehe nur zu ihm um nach dem Rechten zu sehen, n-nichts weiter!“ Leicht verärgert schwieg ich mich über den Rest der Fahrt aus, den Alten schien jedoch nichts so leicht aus der Ruhe zu bringen. Mit freundlicher Stimme lud er mich in vollkommener Dunkelheit vor einer schönen Häuserreihe ab und schickte sich gerade, weiter zu fahren, als mir etwas wesentliches einfiel: „Halt! So warten Sie doch!“ Rief ich dem Kutscher hinterher, „was ist mit der Bezahlung?!“ Der Senior mit dem weißen Haar lächelte mich keck an und winkte lässig ab. „Für Sie wurde bereits gezahlt. Ein gewisser Holmes hat die Rechnung übernommen, bedanken Sie sich bei dem.“ Und fort war er. Recht verdattert und mit vor Kälte glühenden Wangen stand ich nun dort in der Dunkelheit und versuchte auf geringe Entfernung die Hausnummernschilder an den schönen Fassaden erkennen zu können. „220a, 220b, 221a....oh! Da muss es sein!“ Und schon stand ich vor dem Ziel meiner kleinen Reise. Dieses Haus strahle, obwohl ich andere Häuser dieses Straßensaumes als eindeutig schöner empfunden hatte, eine unglaubliche Aura aus. Ich wußte nicht wieso, doch dieses nicht gerade schlicht gehaltene, alte Gemäuer übte einen solchen Reiz auf mich aus, als hätte es nie ein schöneres gegeben. Plötzlich, ich war gerade drauf und dran, den kleinen Vorgarten zu betreten, entflammte im obersten Stockwerk; es waren zwei an der Zahl; ein dämmeriges, gelbes Licht, welches das Fenster und den Raum dahinter erstrahlen ließ und lange, scharfe Schatten über den Pflastersteinboden der Straße warf. Am Fenster konnte ich eine Sillouette ausmachen, deren Blick augenscheinlich genau auf mich geheftet war. Die Schattenfigur war groß und sehr gut gebaut, mit breiten Schultern und markanten Zügen. Der Schattenmann öffnete das große, blitzblank geputzte Fenster und lehnte sich heraus. „Hey, Watson! Was stehen Sie dort herum? Ich habe nicht ewig Zeit, wenn Sie verstehen. Kommen Sie rein und gehen Sie die Treppe hoch – aber bitte recht leise, die Haushälterin schläft.“ Und ohne das ich auch nur eine Silbe erwidern konnte, schloß Holmes das Fenster wieder und entfernte sich weiter in den Raum herein. Leise etwas über „Unhöflichkeit“ und „Abgefertigt sein“ meckernd öffnete ich die schwere, dunkle Eingangstür und fand mich abermals in kompletter Dunkelheit wieder. Das Licht einer Lampe flutete die kleine, enge Wendeltreppe mir gegenüber. Behutsam stieg ich die wenigen Stufen hinauf und sparte mir das Klopfen, öffnete ohne Umschweife die leichte Holztür mit einem Glaseinsatz in deren Mitte. Der Raum den ich betrat hätte etwas sehr wohnliches, familiäres haben können, mit der gemächlich tickenden Wanduhr und diesem großen Kamin, doch seine Kargheit und das Fehlen von persönlichen Stücken machte ihn ungemein kalt und trostlos. Einzig ein sehr großer, klobiger Schreibtisch stand in der hinteren linken Ecke, genau neben einer weiteren Tür. Ein scheinbar sehr neuer, nobel aussehender Ledersessel stand dort, wohl anstelle eines Schreibtischstuhles, und ein sehr unbequem anmutender Bastsessel mit verschlissener Polsterung leistete ihm Gesellschaft. Bis auf die zwei Sessel, dem Schreibtisch und einem sehr teuer aussehendem, doch in meinen Augen eher geschmacklosen Teppich war der Raum gänzlich leer. Und im selben Augenblick, wie ich die Türe hinter mir schloß, drehte sich der Mann zu mir um, der dieser Räumlichkeit wohl seine unwiderstehliche Aura aufgedrückt hatte. Holmes stand erhaben und sein gewohnt schiefes Lächeln lächelnd da, stützte sich schwer auf seinen großen Schreibtisch. Das Licht des Kamines und der warm leuchtenden Öllampe über unseren Köpfen warfen delikate Schatten auf seine fast unwirkliche Gestalt. Er war, im Gegensatz zu unseren ersten beiden Treffen, perfekt rasiert, seine Kleidung ohne eine Falte, sein Hemd von blütenreiner Weißheit. Holmes´ makellose, schneeweiße Zähne blitzten mich frech an, seine grauen Augen funkelten wie eisiges Feuer. In diesem Moment kam ich mir vor wie der Eindringling in ein fremdes, gigantisches Reich, der bezwungen und erschüttert vor dem vor Schönheit und Macht strahlendem König im Staub kriecht. Ich war von meinem Gegenüber das erste mal solcherart überwältigt, das ich, ohne den Blickkontankt abzubrechen, nervös und unsicher meine Hände aneinanderrieb. „Schön, Sie sind nun da.“ Ich nickte eingeschüchtert. „Oh, warum auf einmal so unterwürfig, mein Freund? Ich werde Sie schon nicht fressen. Kommen Sie, setzen Sie sich.“ Erleichtert lachte ich und schollt mich innerlich selbst für meine Torheit. Kaum hatte ich mich in den Ledersessel fallen lassen, den Holmes mir großzügig anbot, fiel mir allerdings etwas auf: „Moment mal! Wo ist Ihr Verband?!“ Leicht genervt schnaubte Holmes und blies die Nüstern auf. „Der war nur hinderlich. Ein Ding mehr, das es zu beseitigen gab, nicht mehr und nicht weniger. Vollkommen überflüßig.“ Ich versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren und rieb stark genervt meine Stirn zwischen Daumen und Zeigefinger. „Also schön..“ ich seufzte, „was soll ich für Sie schreiben? Einen Bericht, wenn ich mich recht entsinne, nicht wahr? Meine leichteste Übung.“ „Beim Militär gab es für Sie als Militärsarzt sicher genug Schreibarbeit, was?“ „Oh, hören Sie mir auf damit! Ich kann keine Registerkarten mehr sehen, einfach furchtbar!“ Während ich mit dieser Aussage ursprünglich die angespannte Situation aufzulockern versuchte, sah mich mein Gegenüber durchdringend an und zog emotionslos an der Zigarre, die er sich kurz zuvor entzündet hatte. „So? Nun, ich glaube Ihnen gerne, dass es für Sie schönere Beschäftigungen gab als die Totenregister zu führen, nicht wahr?“ Ich musste hart schlucken. Ich wollte nicht daran erinnert werden, wie es für mich war, kalt und unpersönlich die toten Soldaten in kleine Karteikärtchen einzutragen. Durch mich waren sie zu Massenware verkommen, zu stummen, nichtssagenden Zahlen, zu leblosen Objekten, deren Angehörige durch allgemein formulierte, starre Briefe von ihrem Ableben informiert wurden. All diese Soldaten, all die Kameraden und Freunde. Auch Strengton. Die nächsten Minuten saßen Holmes und ich uns vollkommen still gegenüber. Er musterte mich eingehend und ich versuchte unangenehme Erinnerungen zu verdrängen. Bis Holmes mir urplötzlich einen Notizblock und einen sehr schönen, grünen Füller zuwarf, aufstand, zum Fenster schritt und mit tonloser Stimme zu mir zu sprechen begann. „Hören Sie, Watson... Ich weiß, ihre Zeit beim Militär nimmt Sie schwer mit, allein ihre Körperlichen Narben sind nur schwer zu übersehen, dennoch - reißen Sie sich bitte zusammen, schließlich sind Sie hier um mir zu assistieren.“ Obwohl Holmes unglaublich distanziert und kalt wirkte, seine Tonart stets zwischen anteilnahmslos und giftig pendelte und seine Wortwahl jeder Höflichkeit spottete, schaffte dieser Mann es, mich aufzumuntern. Mich auf andere Gedanken zu bringen, mich aus meiner Vergangenheit zu reißen. Ich nickte. Ich lächelte. Und während dieser rätselhafte Mann mir seinen Aufsatz diktierte, war ich mir bereits im Klaren darüber, das ich mich so schnell nicht von ihm lossagen konnte.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)