Der Begierde hilflos verfallen von -Harlekin- (TheGazettE x MUCC) ================================================================================ Kapitel 23: Die Ursache allen Übels ----------------------------------- „R…Reita?“ „Hier.“ Der Stimme folgend, drehe ich mich nach links. Automatisch muss ich auf seinen Oberkörper schauen, wobei ich sofort angewidert den Blick wieder abwenden muss. „Was ist, Kouyou? Gefalle ich dir nicht?“ Ich schlucke. „Sieh mich gefälligst an!“ Nein… Aufeinmal rennt Reita zornig auf mich zu. Ich versuche noch umzudrehen und wegzurennen, doch da hat er mich schon längst. Ich schreie vor Schmerz und Panik auf, als er brutal an meinem Haar zieht und mich zu Boden drückt. „Du willst doch nicht wirklich leugnen, dass ich dir so nicht gefalle?! Du bist nicht anders als er…Ihr Perversen seid doch alle gleich!“ Was...? Wie kann er so etwas nur sagen?? „D…das ist nicht wahr! Was Ruki dir antut, ist schrecklich!“ Grob zerrt er an meinen Haaren und packt mich schmerzhaft am Kinn, sodass ich auf keinen Fall wegsehen kann. Seine Augen sind so voller Hass, dass mir die Luft wegbleibt. So habe ich Reita noch nie gesehen... „Soso...Ruki hat also die Wahrheit gesagt. Du hast uns gesehen. Du...widerwärtiger Spanner!! Aber hey, was kann man auch von einem Perversen erwarten??“ Plötzlich drückt er meinen Kopf mit Wucht in den Teppich. „Es hat dir gefallen, nicht wahr??!!“ Reflexartig greife ich nach seinem Arm, ohne irgendwas bewerkstelligen zu können. „Verdammt, nein!! Wie kannst du das nur von mir denken??! Als ob diese kranke Scheiße irgendwem gefallen könnte! Außer...Ruki.“ Plötzlich lockert sich sein Griff. Ich setze mich auf und halte mir den Kopf. Mein Herz rast noch immer. Vorwurfsvoll blicke ich ihn an und erschrecke. Er hat sich leicht von mir abgewandt und fixiert irgendeinen Punkt auf den Boden. Geistesabwesend kaut er an einen Fingernagel. Was für ein abrupter Stimmungswechsel... Aber noch verwirrender sind seine Augen, die sich mit Tränen füllen. Das ist so...unnatürlich für ihn. Reita so zu sehen...ist wirklich seltsam. In diesem Augenblick...habe ich sogar Mitleid mit ihm. Wie kann Ruki ihm nur so etwas antun?? Dann muss ich an das Gespräch mit ihm zurückdenken... „Ruki denkt er wäre...verrückt. Und es sieht wohl so aus, als hätte er Recht. Er ist krank, Reita. Er braucht eine Therapie. Und dann...wird alles wieder gut. Alles wird wieder so wie es vorher war! Glaub mir...“ Und unsere Band wird bestehen bleiben. Ich greife nach seinem Arm. Er zeigt jedoch keine Reaktion. „Er wird dich nie mehr wieder anfassen...Das verspreche ich dir.“ Er schluckt kurz. Ich drücke seinen Arm etwas. „Aber du darfst mit dir auch nicht so umspringen lassen! Egal ob es nun Ruki ist oder nicht... Außerdem...weiß man nicht wie weit er in seinem derzeitigen Zustand gehen kann! Das könnte wirklich übel ausgehen...“ Besorgt sehe ich auf seine Wunden. „Ich meine...noch viel schlimmer als es eh schon ist.“ Sein Gesicht wird schmerzverzerrt. Dann verstehe ich, weshalb. Denn daran würde ich wohl auch denken. „…Dein Stolz ist unangetastet.“ Er fängt an apathisch an eine seiner Wunden zu kratzen. Ich lege eine Hand auf seine, damit er aufhört. Traurig sehe ich ihn an. Ruki…hätte ihm das nicht antun sollen… Ich glaube…dadurch…hat er Reita kaputt gemacht. Reita…der so stolze Macho, der selbsternannte Frauenflachleger. Es wundert mich eigentlich nicht…dass er es nicht verkraftet. „He…“ Überrascht blicke ich Reita an. Ich dachte erst, er wollte mir irgendwas sagen. Doch es ist ein Glucksen, das schnell zu einem übertriebenen, schon beinahe wahnsinnigen Kichern mutiert. Er hat genauso wie Ruki…den Verstand verloren. Anders kann ich mir das nicht erklären… „Du…du verstehst doch gar nichts! Es liegt nicht an ihm…es liegt an dir!“ Irritiert blicke ich in sein plötzlich wutverzerrtes Gesicht. „An mir?? Was soll das heißen?? Ruki ist krank…dafür kann niemand was!“ Unerwartet preschen Reitas Hände hervor und packen meinen Hals. „Du bist an allem Schuld!!“ Panisch zerre ich an seinen Unterarmen, während ich verzweifelt versuche an Luft zu kommen. Seine Augen trotzen vor Entschlossenheit... Mir schießen die Tränen in die Augen, als ich mir der Ausweglosigkeit bewusst werde. Reita ist viel zu stark für mich und er wird garantiert nicht ablassen. Panik...Angst...Verzweifelung...Überlebenswille...Aber das letzte Gefühl, dass ich verspüre ist Traurigkeit. Ha, wer hätte das gedacht…? So werde ich also sterben… Erwürgt von einem Kerl, den ich als meinen besten Freund bezeichnet habe. Die Welt um mich herum…scheint alle seine Farben zu verlieren…und beginnt ganz schwarz zu werden…als sich der Griff plötzlich löst. Stark hustend drehe ich mich zur Seite und fasse an meinen schmerzenden Hals. Hat Reita…im letzten Augenblick etwa wieder die Vernunft gepackt? Als ich wieder einigermaßen Luft bekomme, bemerke ich im Augenwinkel einen großen Schatten. Sofort setze ich mich halb auf, um Reita zu erblicken…doch anstatt ihn…sehe ich Aoi vor mir stehen. Überrascht schaue ich hoch…in sein erleichtertes und zugleich wehleidiges Gesicht. Doch es wirkt auch schockiert. „Aoi...“ Schnell versucht er sich vollkommen zu fassen…Überspielt alles mit einem ironischen Kommentar. „Mist…Diese Vase war teuer gewesen.“ Erst jetzt bemerke ich die ganzen Scherben, die auf mir und um mich liegen. Und Reita…der regungslos neben mir liegt. Ich sehe wieder zu Aoi, als dieser mir eine Hand entgegenstreckt. Dankbar nehme ich sie an und stehe auf. Ein paar herab fallende Scherben klirren. Meine Augen fangen wieder an zu brennen… Ohne…das ich es verhindern könnte…lege ich schluchzend meine Arme um ihn. Erwidernd spüre ich seinen Arm auf meinen Rücken, der mich an ihn drückt. Ein tiefes Seufzen seinerseits, in dem leise mein Name mitschwingt. Eigentlich…ist das total dämlich. Wie die Gefühle…einen übermannen…wenn man dem Tode nahe gewesen ist. Ist man so glücklich? Nur…weil man noch lebt? Spürt…man erst so richtig das Leben…wenn man kurz davor gewesen war, dieses zu verlieren…? „Dieses Schwein…Der ist vollkommen durchgedreht!“ Nach dem Schock. Wut. Erschütternder Zorn. Doch ich spüre keinen Zorn. Nur tiefe Enttäuschung. Verrat. Einen…starken Bruch. Eine…Freundschaft…eine eigentlich so feste Freundschaft…die nun nicht mehr existiert. Sie ist in dem einen Moment…in dem Moment, wo ich dem Tode so nah war…in dem Moment, wo der Andere sich meinen Tod so sehr gewünscht hat…endgültig gerissen. Wie könnte man das…jemals wieder flicken? Ich denke, gar nicht. Vielleicht…ist das der Hauptgrund, weshalb ich weine. Ich weine nicht, weil ich fast gestorben wäre. Ich weine…weil ein festes Band, wovon ich gedacht hätte…es würde niemals reißen…doch gerissen ist. „Uruha?“ Sanft reißt er mich aus meinen Gedanken und streicht mir mit einer Hand die Träne von der Wange. Ich hole tief Luft und sehe kurz auf den bewusstlosen Körper auf den Boden. „Was…sollen wir jetzt nur tun?“ Am liebsten würde ich ihn einfach dort liegenlassen und von hier schnellstmöglich verschwinden… Alles…hinter mir lassen. „Wir müssen die Polizei rufen.“ Die Polizei? Ja…das wäre wohl vernünftig. Seufzend blicke ich Aoi an und erwidere seinen Blick…der auf einmal so erschöpft wirkt. „Es ist unglaublich…wie weit es schon gekommen ist…“ Er blickt zur Seite und streicht sich durch die verschwitzten Haare. „Ich verstehe es auch nicht.“ Ich stecke meine Hände in die Hosentasche, die sich als leer herausstellt. „Mist. Ich habe mein Handy im Auto vergessen. Gib mir bitte deines. Ich werde den Anruf machen.“ Aoi befühlt auch seine Hosentasche. Seltsamerweise auf beiden Seiten mit derselben Hand. Wieso so umständlich? „Ach…ich weiß nicht, wo meines ist. Benutzen wir einfach mein Haustelefon.“ Überrascht registriere ich erst jetzt, wie Aoi einen Arm hinter seinem Rücken versteckt. „Hey, versteckst du da irgendwas vor mir?“ Sofort weiten sich seine Augen. Er konnte schon immer schlecht lügen… „Ähm…nein.“ „Was hast du da??“ Auffordernd versuche ich hinter ihn zu kommen und seinen Arm zu packen, doch er schubst mich energisch weg. Fast wäre ich über Reita gestolpert… Aufbrausend gestikuliere ich wild mit den Armen. „Aoi! Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für so ein Theater! Wir müssen jetzt zusammenhalten!“ Nach ein paar Sekunden unter meinen auffordernden Blick verharrend, seufzt er und nickt mir schließlich doch widerwillig zu. „Na gut…aber nicht anfassen.“ Verwundert hebe ich eine Augenbraue. „Äh, ok…“ Schlagartig presse ich eine Hand vor meinen Mund, als Aoi beleidigt seinen Arm hervorzieht. „Oh mein Gott…“ Also erstmal bin ich froh, dass der Arm noch dran ist. Aber… „Ist schon ok, Uruha…“ Wütend balle ich die Hände zusammen und spüre die aufkommende Hitze hoch in meine Wangen schießen. Beinahe schon hysterisch zeige ich auf Reita. „Nichts ist ok!! Dieser…dieser Wichser hat dir den Arm gebrochen!!“ Beruhigend hebt er eine Hand. „Uruha…“ Plötzlich verschwimmen die Bilder vor meinen Augen. Besorgt berühre ich seine nasse Stirn. Aoi klappt fast der Mund auf. „Oh mann…Du hast starke Schmerzen oder?“ Zähneknirschend nimmt er meine Hand. „Es geht schon…Ich bewege den Arm einfach nicht. Mach dir keine Sorgen.“ Kopfschüttelnd schaue ich zur Decke. „Wieso…wieso tut er nur so was?“ „Ich habe es zugelassen, dass es soweit kommt…“ Voller Reue schaut er auf den Boden. „…Er kam hier an. Ich habe mir nichts Großes dabei gedacht, als er einfach so an mir vorbei in meine Wohnung gegangen ist…und mir schließlich die halbvolle Sakeflasche aus der Hand geschlagen hat. Auch nicht, als er mich einen Trinker und Versager genannt hat…Nichtmal…als er mir eine verpasst hat…“ Er legt automatisch eine Hand auf seine Wange. „Doch…als er mich zum Telefon gezerrt…und gesagt hat, ich solle dich anrufen und zu mir einladen…habe ich angefangen mich zu wehren. Erst dann…habe ich verstanden, dass er dir irgendwas antun will. Ich war noch sehr beschwipst…so konnte er mich leicht überwältigen und zwingen, indem er mir schließlich den Arm gebrochen hat.“ Empört keuche ich auf. „Aber…ich hätte viel mehr Folter ertragen müssen. Das…ist einfach nur unakzeptabel. Ich habe dich in die Höhle des Löwen geführt!“ Verzweifelt versteckt er sein Gesicht hinter seiner Hand. „Nein, Aoi! Du kannst nichts dafür. Reita ist völlig wahnsinnig! Ich werde jetzt die Polizei rufen und einen Krankenwagen. Wobei…für diesen Irren wäre die Irrenanstalt wohl angemessener!“ Ich eile aus dem Zimmer. Wie kann ich Reita nun nicht hassen...? Aber...ist es nicht eigentlich mein Verdienst, dass Aoi verletzt wurde...? Immerhin will er doch anscheinend mich... Eines ist sicher…Reita will mich tot sehen und dafür würde er so einiges in Kauf nehmen. Ich kann nicht mehr zulassen, dass meinetwegen jemand verletzt wird! Besonders Aoi... Energisch packe ich den Telefonhörer und will die Nummer wählen, als ich sehe, dass die Telefonschnur lose herunterhängt. „Scheiße!!“ War das Reita gewesen?? Ich habe Aoi schon zigmal gesagt, dass er sich endlich mal ein Funktelefon zulegen soll…aber er meinte immer, dass es ihm schon reicht von seinem Handy verstrahlt zu werden. Krach! Erschrocken zucke ich mit den Schultern. Was war das?? Kam das nicht aus dem Wohnzimmer?? Ängstlich bleibe ich auf der Stelle und lausche…doch es ist wieder Totenstille. Ich schließe kurz die Augen und schlucke die Angst herunter. Ich muss nachsehen, was das war… „A…Aoi?? Was war das für ein Krach?“ Keine Antwort. Trotzdem eile ich zurück ins Wohnzimmer. „Aoi!“ Mein erster Blick fällt auf Reitas Rücken, der wieder wach mitten im Raum steht. Desinteressiert, so als würde ihn das alles gar nichts angehen und so als würde er mich nicht bemerken, geht er langsam zu einem der Regale, die an der Wand stehen. Wie eingefroren schaue ich dann auf meinen verbleibenden Freund, der auf allen Vieren auf den Boden gesackt ist und sich stöhnend den Kopf hält. Neben ihm sind die Einzelteile eines Holzstuhls. Der Stuhl gehörte zum kleinen Tisch, wo Aoi gelegentlich mal seinen Laptop hingestellt hat. „Aoi!“ Reita ignorierend, eile ich auf ihn zu und beiße mir panisch auf die Unterlippe als ich Blut auf seinem Kopf erkenne. Doch bevor ich was sagen kann, hebt er seine Hand und sieht zu mir hoch. „Ist schon ok, Uruha…Nur ein kleiner Kratzer…“ Besorgt blicke ich auf sein müdes Gesicht. Blut tropft über sein rechtes Auge. Erschöpft kippt er plötzlich ganz um. „Aoi!!“ Aufschreiend knie ich mich über ihn. Er hat die Augen geschlossen, wie als würde er schlafen, scheint aber dennoch noch wach zu sein. „Lass mich…nur etwas ausruhen…“ Vor Wut zitternd drehe ich mich zu Reita um, der gerade vor einem Bild steht und es mit schiefgelegenen Kopf betrachtet. So als wäre ihm alles völlig egal und so als hätte er alle Zeit der Welt. „Du…verdammter...Mistkerl…“ Auf meine Worte hin, wendet er sich mir zu und lächelt zufrieden. Am liebsten würde ich ihm jetzt das freche Lächeln aus dem Gesicht schlagen… Angewidert blicke ich auf seinen Oberkörper, auf dem sich anscheinend ein paar Wunden wieder geöffnet haben. Als könne er meine Gedanken lesen streicht er mit einem Finger über eine blutende Stelle und leckt diesen gedankenverloren ab. Ich kann bei diesem Anblick nur das Gesicht verziehen. Wie in Trance geht er aufeinmal hinter das Sofa und hebt etwas auf. Eine Scherbe von der Vase, die Aoi gegen ihn eingesetzt hatte. Verdutzt sehe ich ihm dabei zu, wie er die Scherbe an seinem eigenen Bauch ansetzt und einen langsamen langen Schnitt wagt. In dem Moment kann ich nichts anderes denken als: Tiefer!! Grinsend fixiert er mich dabei. Ebenfalls grinsend erwidere ich seinen Blick. „Das ist nicht tief genug, du Irrer! Das durchschneidet nicht mal ansatzweise deine Gedärme!“ Aufglucksend schmeißt er die Scherbe in die Ecke. „Es gefällt mir, wenn du so heißblütig bist.“ Aufbrausend und provozierend zeige ich auf ihn. „Sag mal…wie viele von diesen wunderschönen Schnitten auf deinen Körper gehen eigentlich auf deine Kosten??“ Schulternzuckend lehnt er sich lässig gegen das Sofa. „Och, nicht viele. Die meisten sind immernoch von Ruki.“ Besorgt muss ich wieder zu Aoi schielen, der die Augen halboffen hat. Ich glaube nicht, dass er gerade hier ist. Er hat bestimmt eine Gehirnerschütterung oder so was bekommen…Der Holzstuhl war leider nicht aus Billigholz. Ich hoffe nichts Schlimmeres... Plötzlich klatscht Reita einmal laut in die Hände. Zufrieden lächelt er mich an. „So...jetzt da wir endlich ungestört sind, können wir ja weitermachen...“ Schnell greife ich mir ein abgebrochenes Holzbein, das gefährlich spitz zuläuft und halte es Reita aus sicherer Entfernung entgegen. „Komm mir nicht zu nahe!“ Reita muss amüsiert auflachen. „Uruha...Du denkst doch nicht wirklich, dass du mich töten könntest? Mich...oder sonst irgendjemand auf dieser beschissenen Welt. Das kannst du nicht...Sowas liegt dir nicht.“ Ich verfestige meinen Griff um das Holzbein. „Dasselbe...habe ich auch mal von dir gedacht...“ Trauer lässt meine Wut in den Hintergrund rücken. Was tue ich hier nur?? „Verdammt, Reita...Das...das hier muss doch nicht sein! Wir müssen nicht so weit gehen! Das...darf nicht so enden...“ Ich fühle mich wie in einem nie enden wollenden Albtraum...Ein Albtraum, der nicht real sein kann. Enttäuscht schüttelt mein Gegenüber leicht den Kopf. „Du...verstehst es also immer noch nicht?“ Ich schlucke. „Was verstehe ich nicht? Erkläre es mir doch endlich!“ Warum das Ganze? Wieso ist es schon soweit gekommen? Kriege ich jetzt endlich die Antworten? Antworten, die ich verstehe? Anstatt zu antworten, geht Reita auf mich zu. Panisch halte ich das Holzstück fest, das noch immer auf ihn gerichtet ist. Doch Reita beachtet dieses nicht und denkt erst garnicht dran, stehen zu bleiben. Ein Schweißtropfen fließt an mein rechtes Auge vorbei, als die Spitze des Holzbeins seine nackte Brust berührt. Ich will schon aufschreien und sehe das Holz schon in meiner Vorstellung sein Herz durchbohren, als er zum Glück im letzten Moment doch noch innehält. Von dem Schreck langsam wieder erholend, fange ich wieder zu atmen an. Ein einzelner Blutstropfen fließt von der Stelle seinen Bauch hinab. Unbeeindruckt steckt er seine Hände in die Hosentaschen. „Na, sag ich doch. Du kannst es nicht.“ Er hat wirklich keine Angst...und auch keine Zweifel. Seinen selbstsicheren Blick kann ich kaum standhalten... „W...wieso? Wieso willst du mich umbringen?“ „Weil du wie schon gesagt...an allem Schuld bist. Und solange du lebst...solange wird es nicht enden.“ Ich blicke in seine leer wirkenden Augen. „Wenn ich es nicht tue...dann wird es nie aufhören.“ Redet er wirr? Oder meint er es ernst...? Kurz muss ich wieder zu Aoi blicken, der wieder die Augen geschlossen hat. „Es geht also nur um mich, richtig?? Dann...lass Aoi da aus dem Spiel! Rühre ihn nicht mehr an...“ Er nickt nur. „Keine Sorge. Ich will nur dich.“ Ich beiße mir auf die Zähne... „Er...braucht einen Krankenwagen, hörst du?“ Er zieht einen übertriebenen Schmollmund. „Tja...nur blöd, dass wir keine Telefone hier haben. Dein Schatzilein muss jetzt wohl einfach ohne Pflasterchen auskommen.“ Empört sehe ich ihn etwas aus seiner Hosentasche rausziehen. Ein Handy. Aois Handy. Ich schreie auf, als er es achtlos fallen lässt und mit Wucht drauftritt. Das darauffolgende Lächeln ist boshaft und grausam. „Ups...Ich meinte natürlich, dass wir jetzt keine Telefone mehr hier haben.“ Mir entgleisen alle Gesichtszüge. „Was...was ist nur in dich gefahren??!! Aoi hat doch damit rein garnichts zu tun oder?? Ich bin doch angeblich an allem Schuld! Nicht er!“ Desinteressiert blickt sich Reita im Raum um. Eigentlich war es zu erwarten, dass ich nicht so bei ihm durchdringen kann. Ich zwinge mich zur Selbstbeherrschung. „Ok...Also...Also wieso willst du mich umbringen?? Du schuldest mir Erklärungen! Oder soll ich einfach so unwissend sterben?“ Empört verzieht Reita das Gesicht. „Auf keinen Fall!“ Ich atme tief ein. Vielleicht kann ich so Zeit gewinnen... Vielleicht kann ich dieser Situation noch irgendwie entkommen... Entkommen und Hilfe holen. Aber wie nur? Es scheint hoffnungslos... Ich zeige noch immer mit dem Holzbein auf ihn. Eigentlich...müsste ich nur etwas nach vorne hechten und einmal kräftig zustoßen...und dann wäre der Albtraum vorbei. Aber...das kann ich nicht. Er hat Recht. Ich...bin kein Mörder. Meine Augen wandern zurück zu seinen. „Na gut...Ich höre.“ Es kommt mir so vor, als würde Reita erst nach Stunden antworten. Als würde er sich endlich fassen können. Plötzlich wirkt er nicht mehr so selbstsicher. Eher zerbrechlich...erschöpft...vollkommen kaputt. Gedankenverloren streicht er sich durch die Haare und blickt an mir vorbei, als sich endlich sein Mund öffnet. Doch bevor er etwas sagt, atmet er laut aus. Wieso...fällt es ihm so schwer, es mir zu sagen? Ich weiß, dass es nur etwas Schlimmes sein kann...aber so schlimm, dass es selbst Reita fast die Sprache verschlägt? Was...was könnte ich denn so derartig Schlimmes getan haben, dass er mich umbringen will?? „Ruki...“ Völlig perplex blicke ich auf Reitas Augen, die sich allmählich mit Wasser füllen. Was...hat das alles nur zu bedeuten? „Ihm...geht es seit längerem nicht so gut…Mir ist sofort aufgefallen, dass etwas nicht stimmt.“ Ich halte die Luft an. „Als ich ihn besucht habe…saß er im Dunkeln auf dem Boden…zitternd…weinend…Ein anderes Mal lag er auf dem Bett…und hat sich apathisch zusammengerollt und seltsame Dinge gemurmelt…Einmal hat er…mich sogar angeschrien, als er mich gesehen hat und sich im Schrank versteckt…Er kam dort wohl erst wieder heraus, als ich gegangen war.“ Oh Gott… Ist das die Wahrheit? Entsetzt lege ich eine Hand auf meinen Mund. „Das…das…habe ich nicht gewusst…“ Wenn das wahr ist…wieso…wieso habe ich davon dann nichts gewusst?? „Er sagte mir…dass ich euch von seinen Phasen…nichts erzählen darf. Ihr dürftet keinesfalls davon erfahren…davon…wie er allmählich seinen Verstand verliert. Er hat sich sogar eine Menge Tabletten geholt...Beruhigungsmittel glaub ich. Nur damit ihr auf der Arbeit nichts bemerkt. Niemand...etwas bemerkt.“ Beruhigungsmittel... „Ich…habe ihn gefragt, was mit ihm los ist…was ihn so sehr zusetzt…Ich habe ihm gesagt, dass er nicht alles in sich hineinfressen und es mir erzählen soll! Ich wollte ihm helfen!…Aber er hat sich geweigert. Er wollte nicht, dass ich ihn dauernd besuchen komme…er hat mich jedes Mal sofort wieder wegschicken wollen…“ Mir ist so kalt, dass ich leicht zittere. „...doch schon bald wollte ich nicht mehr gehen. Ich bin einfach geblieben. Ich...wollte und konnte ihn in seiner Pein nicht allein lassen. Und dann gab es diese Momente, wo er nicht mehr er selbst war und mir...Dinge angetan hat...Dinge, die ich zugelassen habe, nur damit er nicht noch mehr kaputt geht. Dinge...die ihn vielleicht für einen Augenblick seine Pein vergessen ließen und glücklich machten.“ Ein eiskalter Schauer läuft mir über den Rücken. Wehrlos muss ich das Holzstück sinken lassen. „Mein Gott...du hättest sofort zu einem Therapeuten mit ihm gehen müssen.“ Er wischt sich die Tränen von den Wangen. Die Traurigkeit scheint aus seinen Augen verschwunden, als er mich nun wieder direkt anblickt. Hasserfüllt. Vorwurfsvoll. Gnadenlos. Seine Stimme kalt und tief. „Wie hätte ihm das denn helfen können? Solange die Ursache nicht beseitigt ist...wird sich sein Zustand nie verbessern!“ Ich beiße mir auf die Lippe. „Was ist denn die Ursache??“ Seine Augen verengen sich. „Du.“ Ich?? „Das ist nicht wahr! Ich habe nichts getan...“ Er legt den Kopf in den Nacken und lacht laut auf. Es klingt hysterisch und vollkommen wahnsinnig. Ohne Vorwarnung schießt dann plötzlich seine Hand vor, packt mich am Kragen und zieht mich wuchtvoll zu ihm. Stolpernd falle ich fast auf ihn. Doch anstatt dies auszunutzen und mich anzugreifen, umarmt er mich überraschend sanft und legt seinen Kopf auf meiner Schulter ab. Fast schon liebevoll streichen seine Hände über meinen erstarrten Rücken. Verunsichert und völlig perplex lasse ich das Holzstück los. Eigentlich...ist Reita viel zu Macho für so eine Geste. „Das fühlt sich schön an, nicht wahr...?“ Verlegen spüre ich Hitze in meine Wangen emporsteigen. Doch Reita hat keine Antwort meinerseits erwartet und spricht weiter. „Am Anfang...habe ich das so bei Ruki gemacht. Ihn einfach in den Arm genommen...und nicht mehr losgelassen. Ein paar Mal hat es sogar geholfen, ihn zu beruhigen. Doch schnell...hat es nicht mehr ausgereicht. Es war ihm wohl einfach zu wenig...“ Ich schlucke, als seine Lippen beim letzten Wort mein rechtes Ohr berühren. „Weißt du...ich konnte nie wirklich genau verstehen…was er so vor sich hingemurmelt hat…als die Angst ihn erfasste und quälte…Doch…ein Wort war immer präsent. Die Ursache seiner Qualen.“ Ich kneife die Augen zusammen. Warte auf dieses Wort...das nicht kommt. „Sag es...“ Ich kann sein Grinsen spüren. „Ach...Uruha. Du weißt es doch schon längst...nicht wahr?“ Verstehend reiße ich die Augen auf und entreiße mich seiner erbarmungslosen Umarmung. Wie erwartet liegt ein breites Grinsen auf seinen Lippen. Ich verschränke die Arme vor meinen Körper, der immernoch leicht zittert. „Du...bist hierher gekommen, um die Ursache zu beseitigen. Und...“ Sein Grinsen scheint breiter zu werden. Er nickt mir aufmunternd zu. „Weiter.“ Ich blicke zu Boden und bemerke dabei, dass mein Hemd mittig einen rötlichen Fleck hat. Die Wunde, die sich Reita vorhin selbst zugefügt hat, blutet noch. „Und...naja...Du willst mich töten. Also...“ Aufgeregt wuchtelt er nun mit den Händen. Kann meine Schlussfolgerung kaum erwarten... „Jaaa?“ Ich balle meine Hände zu Fäusten. „Also...bin ich die Ursache und...das Wort, das Ruki immer erwähnt hat...ist somit...mein Name.“ Dreimal klatscht Reita langsam in die Hände. „Kouyou...Kouyou...Kouyou.“ Seine Augen funkeln dabei. „Na siehst du? So schwer war es doch garnicht.“ Jetzt bin ich derjenige, der laut auflachen muss. Zum ersten Mal schaut Reita überrascht drein. Ich muss so heftig lachen, dass ich mir sogar den Bauch halten muss. Es fühlt sich so zwanghaft an...Vielleicht...kann ich nie mehr wieder aufhören... Doch zum Glück gibt es abrupt nach und ich kann wieder sprechen. Reitas Blick ist nun neugierig. „Verzeih...aber...“ Ein kleines Glucksen entkommt mir noch. „...aber...du denkst doch nicht wirklich...also erwartest doch nicht wirklich von mir, dass ich diesen Bullshit glaube oder??“ Seine Kinnlade fliegt herunter. „Ich meine...das ergibt doch alles keinen Sinn! Du kommst hierher und versuchst mir die ganze Zeit weiß zu machen, dass ich irgendwas mit Rukis Zustand zu tun hätte! Du tust gerade so, als ob ich dich so zugerichtet hätte! Als ob ich an dem Ganzen Schuld wäre! Aber...wieso? Wieso sollte ich denn die Ursache von seinem Leid sein?? Das ist völlig absurd!“ Ich stemme mir die Fäuste an die Hüften. „Ich habe nichts getan, was Ruki derartig zusetzen würde!“ Reita hat seinen kurzzeitigen Schock überstanden und nickt kurz. „Ehrlich gesagt...habe ich es am Anfang auch nicht verstanden. Doch dann...war es glasklar. Seine Phasen haben nämlich erst angefangen, als du dich mit Tatsurou getroffen hast.“ Tatsurou? Ich schüttele aufbrausend den Kopf. „Was…soll denn Tatsurou damit zu tun haben?!“ Er sucht meinen Blick und findet ihn. „Verstehst du es denn immer noch nicht...?“ Angewidert, so als wäre ich der letzte Dreck, sieht er mich an. So...als würde er seinen ganzen Hass...in diesen einen Blick fokussieren. „Ruki...dieser arme Dummkopf...Er liebt dich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)