Der Begierde hilflos verfallen von -Harlekin- (TheGazettE x MUCC) ================================================================================ Kapitel 18: Liebe oder Hass? ---------------------------- „Mist!“ Fluchend trete ich gegen den Aufzug, der seine stählernen Türen einfach nicht öffnen will. Dann beiße ich die Zähne zusammen, als mein Fuß nach dieser Aktion vor Schmerz aufschreit. „Außer Betrieb. Steht doch dort.“ Ein hagerer Mitarbeiter deutet auf den Zettel, der an den Türen hängt und geht dann ausdruckslos die Treppen hoch. Ich rolle mit den Augen. Natürlich habe ich den Zettel gesehen…aber unser Hauptquartier befindet sich im 5. Stock!! Und Treppensteigen…ist nichts für mich. Ich habe schließlich eine Raucherlunge. Verstohlen sehe ich mich um. Vielleicht kann mich ja auch jemand tragen?? Ich grinse. Ein Vampir wäre jetzt nicht schlecht gewesen… „Tatsuro…“ Sofort flammen meine Wangen auf, als ich an gestern denke. An…seine Worte. Um ehrlich zu sein…ich kann es immer noch nicht glauben. Doch andererseits…gibt es keinen Grund dafür, dass ich fröhlich sein sollte. Immerhin…weiß ich, dass nur mein Blut…der Grund dafür ist, dass er sich an mich bindet. Mehr und nicht weniger. Ich bin für ihn nur eine wandelnde Droge…die er sich jederzeit nicht mehr entziehen könnte. Eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit… Irgendwie…grenzt das schon an Masochismus. „Morgen!“ Ein weiterer Mitarbeiter geht an mir vorbei. Das bringt mich wieder ins Hier und Jetzt. Seufzend blicke ich die Treppen hoch. Daran führt jetzt wohl kein Weg vorbei… Mit all erdenklichen Schimpfwörtern vor mir herflüsternd nehme ich die erste Treppenstufe. „Puh…“ Ich habe jetzt schon keine Lust mehr… „Woah!“ Jemand stößt mich und ich wäre fast nach vorne gekippt. „Gomen nasai!“ Entschuldigend dreht sich ein anderer mir Unbekannter kurz um und verbeugt sich schnell mehrmals, bevor er weiter die Treppen hoch rast. Mein Gott…ich komme auch noch zu spät, wenn ich mich nicht langsam in Gang setze! Ich seufze abermals auf…und begebe mich schließlich auf den qualvollen Weg nach oben. Schon etwas außer Puste steige ich trotzdem jede Stufe weiter… In diesem Augenblick verfluche ich das Rauchen…aber wenn diese Eskapade erstmal überstanden ist, werde ich wieder ganz anders darüber denken. Ein Leben ohne Zigaretten ist für mich nämlich nicht drin. Dann im 3. Stock brauche ich eine kleine Pause…aber nicht nur deswegen halte ich an. Vor mir steht nur ein paar Meter entfernt... …Aoi. Rauchend lehnt er am offenen Fenster und blickt nachdenklich hinaus. Das ist das erste Mal das ich ihn wiedersehe…seit gestern, als ich…ihn abweisen musste. Ich weiß nicht, wie ich auf mich aufmerksam gemacht habe…vielleicht mein anhaltender Atem…vielleicht meine aufkommenden Bedenken…oder vielleicht auch das Schuldbewusstsein, das er in mir auslöst. So als würde er meine stumme Anwesenheit einfach gespürt haben, dreht er sich um…doch seine Augen weiten sich leicht, als er mich erblickt. Als hätte er…seinem Instinkt keinen Glauben geschenkt. Doch für nur einen kurzen Moment…zieren diese altbekannten leicht belustigten Gesichtszüge sein Antlitz. Diese Unbeschwertheit…die ich so sehr an ihn schätze. „Scheiß Raucherlunge, was?“ Ich huste leise, als ich wieder anfange zu atmen. „Tja…Wir wussten ja, auf was wir uns da einlassen.“ Eine Augenbraue von mir zuckt kurz auf, als mir bewusst wird, wie zweideutig diese Aussage gerade klang. Aois Miene hingegen hat sich kein Stückchen verändert, worüber ich sehr erleichtert bin. Gut, dass er den Zusammenhang nicht gesehen hat. …Hoffe ich zumindest. Stattdessen dreht er sich wieder zu dem weißgrauen Himmel um. Einladend hebt er eine Zigarettenschachtel hoch und rückt etwas zur Seite. „Na dann, genießen wir doch unser selbstzerstörerisches Raucherdasein.“ Ich zögere. „…Wir kommen zu spät.“ Er schüttelt beschwichtigend mit der Zigarettenschachtel. „Ach, hat dich das etwa jemals aufgehalten? Die paar Minuten.“ Ich wäre…am liebsten weiter die Treppe hochgegangen…doch andererseits…wäre es besser so zu tun als wäre nichts gewesen…als hätte ich ihn nie abgewiesen. Als wäre…alles in Ordnung. So gehe ich zu ihm, nehme mir eine Zigarette und zünde diese an. Entspannt puste ich den Qualm in die Luft und lehne mich neben Aoi an den Fenstersims. Bereuen kann ich es so oder so nicht. Doch dann muss ich kurz stocken…als ich einen leichten alkoholischen Geruch vernehme. Verstohlen blicke ich zu ihm rüber. „Es gibt doch wirklich nichts Besseres als eine Kippe.“ Ich versuche dieses unbehagliche Gefühl in der Magengegend zu ignorieren. Immerhin…scheint er nüchtern. Wenn er es nicht wäre, würde er sehr aufbrausend und laut sein. Und wie ich weiß, nach kurzer Zeit auf den Boden liegen. „Ja, da hast du Recht.“ Ich versuche mich zu entspannen und blicke in den Himmel. Interessiert beobachte ich einen Vogelschwarm, der über die Hochhäuser fliegt. Manchmal wünsche ich mir nichts sehnlicher, als mitfliegen zu können. Vielleicht irgendwohin...zu einem Ort, an dem es schön ist und es keine Probleme gibt. Aber…einfach nur den Wind unter den Flügeln spüren…das wäre schon ein großes Geschenk. Was für ein Gefühl das wohl sein muss… „An was denkst du gerade?“ Ich blicke zu Aoi. „Hast du dir…schon mal vorgestellt wie es ist zu fliegen?“ Auf sein Gesicht bildet sich nun ein schmunzelndes Grinsen. „Was? Fliegen? Du redest ja wie eine sentimentale Tusse.“ Enttäuscht lasse ich den nächsten Zug aus der Nase qualmen, während Aoi anfangen muss wegen etwas Anderem zu lachen. „Weißt du was? Gestern haben mich mal wieder so fanatische Fangirlies gestalkt. Und als ich aber angehalten bin und gesagt habe, dass sie damit aufhören sollen, sind die total rot angelaufen und haben rumgekichert wie die Hühner. Sie sind dann gegangen, außer einer. Die ist geblieben und hat mich mit leuchtenden Augen angestarrt wie sonst was….ja wie so ein Gott könnte man meinen. Und willst du wissen, was sie mir gesagt hat??“ Besorgt ziehe ich an der Zigarette und blicke Aoi kurz von der Seite her an. Sein Gesicht hat wirklich Wiedererkennungswert, deswegen wird er auf der Straße von Fans ziemlich häufig und schnell erkannt. Doch das stört ihn nicht im Geringsten. Im Gegenteil…es scheint ihm richtig Spaß zu machen. Ganz anders bei Reita. Er hat von Anfang an gesagt, dass er bei steigendem Bekanntheitsgrad der Band, in seiner Freizeit dennoch seine Ruhe haben will. Ungestört und frei will er sich durch die Straßen bewegen. Da kam ihm das Nasenband gerade recht. „Hey, hörst du mich??“ Er stupst mich wartend an der Schulter. Eigentlich…will ich es aber nicht wissen. Ihm egal. „Sie meinte, sie wäre voll der große Fan von mir und ach ich würde auch in echt so toll aussehen. Aber hey, der Hammer kommt noch!“ Ich schaue ihn nun direkt an und beiße mir ahnungsvoll auf die Unterlippe. „Sie sagte, dass sie mich liebt! Ja wirklich! Als ob sie in ihrem Alter wissen würde, was Liebe überhaupt ist!“ Er muss belustigt schmunzeln, doch mir bleibt das Lachen im Halse stecken. Er ist wohl doch betrunken… „Aoi…“ „Nein warte! Ich habe sie noch mit zu mir nach Hause genommen. Und weißt du von was sie aber wenigstens eine Ahnung hatte??“ Mir fällt die Zigarette schwungvoll aus der Hand. Früher war es uns nicht unbekannt gewesen, dass Aoi gerne mit seinen minderjährigen Fangirlies geflirtet hat…doch einmal ging er zu weit…viel zu weit. Wir hatten mitbekommen, wie er sich an eines der Mädchen vergriffen hatte. Vorher hätten wir niemals vermutet, dass er so was tun könnte und jemals so eine Vorliebe auch nur im Entferntesten besitzen könnte. Doch er hat uns geschworen so was nie mehr wieder zu tun…das es ein Unfall war…dass er sich selber so schlecht gefühlt hatte…und wir haben ihm vertraut. Vertraut. „Sag mir…dass das nicht wahr ist…“ Doch er behält sein perverses Grinsen. Unbeherrscht muss ich ihn dann anschreien. „Wie konntest du das nur tun??! Wie alt war sie, du Arschloch!!“ Er ergötzt sich über meine Wut und sein Grinsen wird nur noch breiter, egal wie laut ich auch schreie. „Süße 14.“ Er schmeißt die Zigarette achtlos aus dem Fenster und gluckst auf. „Sie war Jungfrau.“ Diese letzten Sätze waren wie schmerzvolle Stiche… Enttäuschung. Vertrauensbruch. Empörung. Alles zusammen. Ich halte das nicht mehr aus und packe ihn am Kragen. Er grinst immer noch. „Na, was jetzt Baby? Willst du mich schlagen?“ Eine Hand setze ich zum Schlag aus, während seine Augen aufleuchten. „Nur zu!“ Ich will wirklich zuschlagen… …doch…ich lasse meine Hand reglos fallen. Ich kann das nicht. Aus gutem Grund. Ich gehe wieder die Schritte zurück und lasse ihn los. Das Leuchten in seinen Augen brennt noch…die Erwartung. Er will es, aber ich gebe ihm nicht das was er will. Ich mache bei seinem kranken Spiel nicht mit. Verwahrend stecke ich meine Hände in die Hosentaschen, um nicht doch noch zu zuschlagen. „Du bluffst doch nur. Du willst, dass ich sauer werde. Aber Aoi, das…ist es mir nicht wert. Darauf lasse ich mich nicht ein.“ Plötzlich spiegelt sich Zorn in seinen Augen wider. Zorn…weil ich nicht mitspiele. Da…stürzt er sich schon auf mich. Er ist stärker und schwerer als ich, so kann ich nicht viel machen als er sich mit seinem Gewicht gegen mich stemmt und wir zu Boden fallen. „Aoi!!“ Ich will ihn von mir runter drücken, doch plötzlich pinnt er meine Hände auf den Boden fest. „Wehr dich!“ Mit größter Mühe beherrschend blicke ich ihn an. „Nein. Ich mach da nicht mit, hab ich gesagt.“ Seine Augen funkeln wieder, doch diesmal sind es mehrere Gefühle auf einmal. Zorn, Enttäuschung, Begehren vielleicht mit einer Prise Wahnsinn…ein wirres Durcheinander. „Also…willst du wirklich wehrlos zulassen…wie ich…das hier mache??“ Was das ist, zeigt er mir schon in der nächsten Sekunde. Brutal presst er seine Lippen auf meine. Doch lange kann er sich nicht verstellen. Sein Kuss wird schnell sanft und sehnsüchtig. Hilflos verharre ich unter seinem Gewicht und warte bis er sich ausgetobt hat. Und wieder…schaffe ich es nicht nachzugeben. Schaffe es nicht…freiwillig zu verlieren. Mich zu wehren…und den Kuss nicht zu zulassen. Und trotzdem kommt es mir so vor…als hätte Aoi den Machtkampf gewonnen. Doch es scheint aufeinmal…nicht mehr relevant. Alles…scheint nicht mehr relevant. Meine Augen wandern ziellos durch die verstummte blasse Umgebung…verharren schließlich beim Fenster. Beim weißgrauen hellen Himmel. Es ist so hell…dass es blendet. Dann fliegt ein dunkler Umriss an das Fenster vorbei. Ein Vogel. Hm…versucht er seinen Schwarm einzuholen? Ich hoffe, er erreicht sie noch. Nach Luft schnappend lässt Aoi plötzlich von meinen Lippen ab und blickt mich mit feuchten Augen an. Sein Gesicht ist so schmerzverzerrt…dass mir kurz schwindelig wird. Ich will auch das ausblenden. Ich will…wieder zum Fenster blicken. Ich will wieder…dass alles verstummt. Alles um mich herum…unecht wirkt. Sein Gesicht…darf nicht real sein. „Wie konntest du mich nur abweisen??! Du weißt doch, dass ich dich liebe!! Keiner liebt dich so sehr, wie ich es tue!!“ Seine Anschuldigungen machen alles nur noch schlimmer…macht es schwieriger…ihn auszublenden. Nein. Sie machen es unmöglich. Denn…dieser letzte Satz von ihm. Dieser letzte sich einbrennende Satz…ist mit größter Wahrscheinlichkeit die Wahrheit. Dieser Satz ist wahr. Real. Richtig real. Zu real. Stark gegen die Tränen ankämpfend blicke ich in sein zittriges Gesicht. Der Satz…sich wiederholend hallend in meinem Kopf. Keiner liebt mich so sehr…wie er. Er geht von mir abrupt runter, sodass ich mich erstmal auf die Seite drehen und nach Atem ringen muss. Obwohl ich nichts gemacht habe…war es dennoch kraftraubend. Diese ganze Situation an sich. Ich blicke mich nach Aoi um, der nun erschöpft mit dem Kopf gegen die Wand lehnt. Mühsam ziehe ich mich an dem Treppengeländer hoch, dabei Aoi nicht aus den Augen verlierend. Wenn ich daran denke, was er getan hatte…kommt in mir Hass hoch. Ich hoffe nur, ich habe mit meiner Vermutung Recht…Recht damit, dass er nur gelogen hat, um mich zu reizen. „Falls es wirklich kein Bluff war: Wenn du nur noch einmal mit einer Minderjährigen schläfst, gehe ich persönlich zur Polizei und zeige dich an.“ Seine Hände ballen sich zu festen Fäusten. „Wenn du dich auf mich eingelassen hättest…wäre das doch erst gar nicht passiert!“ Was soll das bedeuten?? Will er etwa mir die Schuld in die Schuhe schieben? Bin ich etwa Schuld, wenn er sich nicht unter Kontrolle hat?? Ohne Worte scheint er selbst zu verstehen. Was für einen Unsinn, er da gesagt hat. „…ich…“ „Du brauchst mir nichts zu erklären.“ Ja, ich flüchte. So setze ich den nächsten Schritt auf die gegenüberliegende Treppe…mit dem Rücken zu Aoi. „Bitte warte!“ Ich brauche auf dieses Rufen nicht zu hören. Ich könnte einfach weitergehen. Ihn nicht beachten. „Uruha!“ Aber…es geht nicht. Wenn ich jetzt nicht stehen bleibe…wird dieser Ruf in mir immer wieder nachhallen. Der Ruf und der Satz zusammen sich immer wiederholend. Also bleibe ich stehen und höre zu. „Ich…habe mit keinem Fangirlie geschlafen…Zwar stimmt es, dass mich eine kleine Gruppe gefolgt hat…aber als ich mich umgedreht habe, sind sie kichernd weggelaufen. Ich hab das nur erzählt, weil…“ Problemlos beende ich seinen Satz. „Weil du meine Aufmerksamkeit wolltest.“ Dabei ist es für ihn am Ende egal…ob es nun eine positive oder negative Aufmerksamkeit ist. Ob ich ihn liebe oder hasse. Hauptsache ich beachte ihn. Hauptsache ich gehe ihm nicht aus dem Weg. Sein Verstummen ist zugleich eine Bestätigung. Ist…es wirklich schon so schlimm? So schlimm…dass es ihn scheißegal wäre, wenn ich ihn hasse? Würde er denn wirklich…alles tun? Das Unbehagen...hat sich längst zu einem schmerzhaften festen Knoten gebildet. Er weiß nicht was er jetzt noch sagen soll…und auch ich weiß es nicht. Doch mir fällt noch etwas ein. Etwas, was ich dem noch hinzufügen will. „Aoi, ich weiß, dass du mich liebst. Aber zugleich weißt du auch, dass ich jemand Anderes liebe. Also bitte…beherrsch dich und unterlass solche Aktionen. Sie bringen keinem was. Außer…Schmerzen.“ Schmerzen, an denen ich mich wohl nie gewöhnen kann… Ich höre ein weiteres Seufzen. „Ich wünsche mir gerade im Moment nichts sehnlicher als zu sterben.“ Wieder ein Stich. Traurig muss ich lächeln, während ich die nächste Treppenstufe nehme. Ein Lächeln, dass Aoi nicht sehen kann. Auch nicht für ihn bestimmt ist. Er würde es nicht verstehen. Den schwarzen Humor. „Vielleicht tröstet es dich ein wenig, wenn ich dir sage, dass meine Liebe auch nicht erwidert wird.“ Ein Lächeln…das allein mir gewidmet ist. Das ironische Lächeln eines Verzweifelten. Im Leben muss man sich damit abfinden…dass man nicht immer das bekommt, was man sich am meisten wünscht…wonach man sich am meisten sehnt. Es ist unfair. Doch das Leben ist nun mal nicht fair. Genau wie die Liebe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)