Amnesia von kiyahotep (Verlorene Erinnerung) ================================================================================ Kapitel 1: Führungslos ---------------------- Kapitel 1: Führungslos „Teiou, Teiou, komm schnell!“ „Klammer dich nicht so an mich, Ashray! Lass mich los.“ Die Stimmen drangen von ganz weit weg zu ihm. Vor ihm tauchten langsam verschwommene Schatten und Schemen auf, die sich bewegten. Erst nach und nach wurde alles deutlicher: Der blaue Himmel, das grüne Laub der Bäume, zwei dunkle Gesichter, die sich über ihn beugten … Mehr nahm er nicht wahr, sein Kopf schmerzte zu sehr. „Tia, was machst du denn für Sachen? Fällst einfach vom Baum.“ Der neben ihm hockende dunkelhaarige Junge schüttelte verständnislos den Kopf, wobei ihm einige dunkle Strähnen ins Gesicht fielen. „Wozu kannst du denn bitte fliegen?“ Der Kleinere der beiden hatte immer noch einen sehr verschreckten Gesichtsausdruck und bisher reglos auf seiner anderen Seite gekniet. Nur langsam regte er sich wieder. „Fahr ihn nicht so an, Teiou!“ In seiner Stimme schwangen jede Menge Vorwürfe mit. „Ja ja“, der Größere winkte ab und betrachtete ihn dann wieder mit leicht schräg gelegtem Kopf. „Er scheint sich ja nichts Ernstes getan zu haben. Aber Tia, sag mal: Warum fällst du einfach von Bäumen?“ Ja, warum fiel er eigentlich von Bäumen? „Ich war müde und … bin wohl eingeschlafen“, nuschelte er leise. Seine Lider flatterten und die Gesichter vor seinen Augen verschwammen, um dann erneut aufzutauchen. Sie hatten sich verändert. Es waren nicht mehr die Gesichter von achtjährigen Jungen, sondern von erwachsenen jungen Männern. Der eine schwarz-, der andere rothaarig. „Eingeschlafen?“ Der Dunkelhaarige zog fragend eine Augenbraue hoch. „Da gibt’s nun wirklich nettere Stellen im Garten um einzuschlafen. Zum Beispiel eine schöne Wiese mit einem Baum. Sie haben dich aber zwischen ein paar ziemlich stachligen Pflanzen gefunden.“ „Das waren Brombeersträucher, Teiou.“ Eine dritte Person musste im Raum sein. Die angenehm klingende Stimme kam von weiter weg und der Rothaarige hatte den Mund nicht geöffnet. Er sah ihn nur schweigend mit undeutbarem Gesichtsausdruck an. Teiou … hatte einer der Jungen in seinem Traum nicht auch so geheißen? Er schloss die Augen kurz, um sich darauf zu besinnen, aber die beiden Kindergestalten und das Geschehen seines Traumes waren schon zu weit weg, glichen nur noch blassen grauen Schemen. „Wo bin ich hier?“ Er suchte den Blick eines der beiden Männer, die neben ihm saßen, in der Hoffnung eine Antwort zu erhalten. „In deinem Zimmer, auf deinem Bett!“ Der Rothaarige war schneller als der, den die unbekannte Stimme mit Teiou angesprochen hatte. Seine Stimme klang ein wenig schroff und kühl, aber sein Blick wirkte doch besorgt, oder bildete er sich das nur ein? „Tia, was hast du da draußen alleine gemacht? Du weißt, dass du nicht alleine raus gehen sollst!“ Diesmal schwangen deutlich Sorge und Vorwürfe in der Stimme des Rothaarigen mit. „Tia … wer ist Tia?“, fragend sah er zu den beiden Männern auf, die nun seltsam, verwirrte Gesichtsausdrücke bekamen. Der mit dem Namen Teiou drehte sich um und sah in Richtung Tür, von wo nun Schritte zu hören waren, die sich nährten. „Du bist Tia, wer sonst?“ Der Rothaarige hatte seine Verwirrung überwunden und seine Stimme klang nun fast ein wenig hysterisch. „Du bist Tiarandear Fei Gi Emeroad! Der Shugo Shuten!“ Auf der anderen Seite sprach Teiou leiser mit dem Unbekannten, der nun auch neben dem Bett stand. „Keika. Er erinnert sich nicht an seinen Namen. Was …“ Ein Schrei unterbrach das Gespräch und der Dunkelhaarige hatte sich erschrocken wieder ihm zugewandt. Es dauerte einen Moment, bis er bemerkte, dass er es war, der schrie. Er saß plötzlich aufrecht im Bett, drängte sich so nah wie möglich an die Wand hinter sich und starrte den Unbekannten an, der am Fußende stand und mit dem Teiou gerade noch leise gesprochen hatte. Erst hatte er nur auf die Stimmen der beiden geachtet, dann hatte er nach und nach die Gestalt gemustert, die ein wenig im Zwielicht der einbrechenden Dämmerung stand. Seine Kleidung war hell und sah der, die die beiden anderen trugen, ähnlich, aber als sein Blick höher gewandert war und er das Gesicht des Fremden genauer betrachtet hatte, war es ihm eiskalt den Rücken runtergelaufen: Ein Dämon! Direkt vor ihm! Keine drei Meter entfernt! Er schrie immer noch, warf mit einem Kissen nach dem Dämon, der sich duckte und daher von dem Geschoss verfehlt wurde. Eine Vase schepperte stattdessen und ging zu Bruch. Von draußen drangen laute Schritte herein. Teiou flüsterte „Wachen“ und etwas von einem Arzt und Murju. Er verstand kaum etwas. Der Rothaarige versuchte ihn zu beruhigen, aber auch von seinen Worten nahm er nur Bruchstücke wahr: … „nur Keika“ … „Teious Anhängsel“ … Endlich entfernte sich der Dämon mit einem kurzen Nicken in Teious Richtung und das war das Einzige, was für ihn zählte. Der Dämon verschwand! Langsam beruhigte er sich wieder. Sein Atem und Herzschlag gingen noch schneller als normal, aber er wurde ruhiger. Der Rothaarige saß nun neben ihm und hatte einen Arm um seine Schultern gelegt. An ihn lehnte er sich, während er versuchte wieder ruhig zu atmen. Teiou war unterdessen aufgestanden, stand mit verschränkten Armen neben dem Bett und musterte ihn nachdenklich. Sie schwiegen alle drei. Als er den Dämon soweit wie möglich aus seinen Gedanken verbannt hatte, fiel ihm seine Frage wieder ein, die er gehabt hatte. Wer war er? Er war Tia, das hatten ihm die beiden Fremden versichert, und er war Shugo Shuten. Aber was war ein Shugo Shuten? Er richtete die Frage leise an den Rothaarigen, dessen Augen nun sehr groß wurden und dessen Blick hilfesuchend zu Teiou glitt, der immer noch beinahe reglos dastand. „Ein Shugo Shuten“, fing dieser zögernd an, „ist der oberste Herr des Himmels. Ein göttlicher Herrscher, der von den Göttern hergeschickt wird und das Geschick des Himmels und der Menschenwelt bestimmt. Verdammt, Tia, das ist doch lächerlich! Du bist ein Shuten. Das musst du doch wissen. So schwer kannst du gar nicht mit dem Kopf aufgeschlagen sein, dass du das nicht mehr weißt!“ Ein Klopfen an der Tür unterbrach Teiou in seiner Rede und ein junger Mann trat ein, nachdem Teiou ihm den Eintritt gewährt hatte. „Ihr habt nach mir rufen lassen, Teiou-sama?“ Der Neuankömmling verbeugte sich leicht, bevor er ans Bett herantrat und ihn, Tia, flüchtig musterte, bevor er sich zu Teiou wand. Dieser schien von dem Auftritt belustigt zu sein, jedenfalls grinste er leicht, bevor er dem anderen eine Hand auf die Schulter legte. „Das ist Murju, einer der besten Heiler im ganzen Himmelreich. Er wird sich dich mal ansehen Tia.“ Er musterte Murju, der ein wenig kühl und unnahbar wirkte. Der Heiler trug ein dunkelgrünes Obergewand, das ihm ein wenig zu groß war, weswegen er sich wohl mehrfach den Gürtel um die Taille geschlungen hatte. Oben ragte der Kragen eines hellen Hemdes heraus. Sein Gesicht wirkte sehr streng, was die schulterlangen schwarzen Haare nur noch untermalten. Sie ließen ihn auch extrem blass wirken und seinen Blick noch strenger. „Darf ich mich Euch nähern, Shuten-sama?“ Wieder verneigte Murju sich leicht. „Sag Tia …“, murmelte er leise. „Ich bin kein Shuten. Ich weiß nicht mal so genau, was das ist.“ Überrascht sah Murju erst ihn, dann Teiou an, der nur die Schultern zuckte. Der Rothaarige war unterdessen ein wenig widerwillig aufgestanden, um Murju Platz zu machen. Er stand nun neben Teiou und verfolgte jede einzelne Bewegung des Heilers mit misstrauischen Blicken. Erst jetzt, wo die feingliedrigen Finger des Heilers seinen Arm vorsichtig anhoben, fiel ihm auf, dass seine Kleider völlig zerschlissen waren. Überall waren Risse drin. Hatten sie nicht eben gesagt, dass man ihn zwischen Brombeersträuchern gefunden hatte? Murju schob den Ärmel des kaputten Gewandes hoch und betrachtete die vielen feinen Kratzer auf der hellen Haut. Anscheinend hatte er selber auch genug von den Dornen der Brombeerranken abbekommen und nicht nur seine Kleidung. „Wollt Ihr das selber heilen, Shu… ich meine Tia?“ „Heilen?“, verwirrt sah er Murju an, der ihn mit seinen dunklen, tiefgründigen Augen kurz ansah, bevor er sich kopfschüttelnd wieder den Kratzern zuwandte. „Wie soll ich heilen?“ Diesmal sah er die beiden anderen Männer an, die noch immer nebeneinander standen. „Vergiss es Tia, Murju heilt die Kratzer und wir reden mal übers Heilen, wenn du dich ein bisschen ausgeruht hast.“ Es war Teiou, der sprach und der kleinere Rothaarige wollte anscheinend ebenfalls etwas erwidern, aber Teiou legte einen Arm um ihn und zog ihn näher zu sich. „Nicht wahr Ashray? Wir lassen ihn sich erstmal ein bisschen ausruhen. Bevor wir ihm das erklären.“ Und leiser fügte er noch hinzu: „Das Heilen und einiges andere auch.“ Ashray … der kleine Rothaarige hieß also Ashray. Der Name kam ihm irgendwie bekannt vor. Teiou, Murju und Ashray… im Stillen wiederholte er die drei Namen. Für ihn gehörten sie drei Fremden, denen er aber vertraut zu sein schien. Sie würden ihm sicher noch vieles erklären müssen. Er atmete tief durch und ließ dann die Behandlung des Heilers über sich ergehen. Ungeduldig ging Ashray in einem der Nachbarzimmer auf und ab, die noch zu den Gemächern des Shuten gehörten. Teiou saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Sofa und spielte mit einem Apfel, den er immer wieder in die Luft warf und auffing. Draußen war es längst dunkel, aber der Raum wurde vom Licht sämtlicher Kerzen erhellt, die Ashray gefunden hatte. Um sich abzulenken hatte er sie alle angezündet und jetzt lief er wie ein eingesperrtes Raubtier durch den Raum. „Wenn dein toller Heiler da nicht gleich raus kommt, geh ich wieder rein!“ Der Prinz des Südens blieb vor der Tür stehen, hinter der sich das Zimmer des Shutens verbarg. „Jetzt gib ihm doch mal ein bisschen Zeit. Als Unbeteiligter kann Murju sicherlich einiges besser in Erfahrung bringen und verstehen, als wir beide es je könnten.“ Wieder warf Teiou den Apfel hoch, biss aber diesmal herzhaft hinein, als er ihn wieder in der Hand hielt. „Murju? Glaub mir Teiou, ich weiß ganz genau, wer dieser Murju da drin ist.“ Er warf seinem Freund einen vielsagenden Blick zu, der nun ein wenig schuldbewusst den Kopf zur Seite drehte. „Keiner außer deinem Dämon riecht so extrem nach Kräutern und niemand kann so schnell einen Arzt aus dem Osten herzitieren. Du hattest nur Keika im Schlepptau, als du hier aufgetaucht bist. Also: Keika ist Murju. So blöd, dass ich eins und eins nicht zusammenzählen kann, bin ich nicht!“ Teiou grinste ihn an und biss noch mal von seinem Apfel ab. „Ich werd’s mir merken“, antwortete er noch kauend. Das leise Klicken der Tür ließ sie beide aufmerken. Der in grün gewandete Heiler trat leise aus Tias Zimmer und schloss die Tür kaum hörbar hinter sich. „Murju“, rief Teiou erfreut. „Keika“, sagte Ashray kühl und musterte den jungen Mann, der gerade eingetreten war. „Er schläft jetzt. Aber anscheinend hab ich hier ja was verpasst: Wie war das mit dem Geheimnis, Teiou?“ Murju warf Teiou einen vernichtenden Blick zu, der nur entschuldigend die Schultern zuckte. „Ich bin von alleine drauf gekommen, Keika. Also: Was ist jetzt mit Tia? Du warst lang genug mit ihm alleine und hast uns warten lassen.“ Er stemmte die Arme in die Seiten und sah den anderen düster an, der sich nun neben Teiou setzte. „Die Kratzer sind alle harmlos, aber er leidet unter einer retrograden Amnesie. Das bedeutet“, er sah kurz in die Runde und fuhr ein wenig lauter fort, als Ashray gerade ansetzen wollte etwas einzuwerfen, „das bedeutet, dass er sich an nichts mehr erinnert, was vor dem Ereignis liegt, das ihm im Garten widerfahren ist. Was auch immer das war. Allerdings muss ich von einer sehr schweren Form der Amnesie ausgehen, da er sich auch nicht an seinen Namen erinnern konnte. Eine Prognose, wann seine Erinnerungen zurückkommen, kann ich euch leider nicht geben. Vielleicht passiert es morgen, vielleicht nächste Woche oder erst in einem Jahr. Aber es ist bei einer solchen … nennen wir es Erkrankung, immer recht hilfreich, wenn Personen aus dem nahen Umfeld sich um den Patienten kümmern und seinen Erinnerungen ein wenig auf die Sprünge helfen.“ Eine Weile herrschte Schweigen in dem vom Kerzenlicht erhellten Raum. Die beiden anderen schienen das Gehörte erstmal verarbeiten zu müssen. „Was kann so etwas auslösen?“, fragte Teiou leise. Dabei strich er Keika, der immer noch in seiner Menschengestalt dasaß, eine dunkle Strähne aus dem Gesicht. „Traumatische Erlebnisse, Stress, ein Schlag auf den Kopf“, er zuckte mit den Schultern und lehnte sich an Teiou, „vieles kann der Auslöser sein. Eine Kopfverletzung war es beim Shuten-sama jedoch nicht, die hätte ich bemerkt.“ „Ich hab mich vor ein paar Tagen ziemlich heftig mit ihm gestritten.“ Ashray klang bei dem Eingeständnis sehr kleinlaut, was bei seinem aufbrausenden Charakter sehr selten vorkam. „Oh ja, ein sehr traumatisches Erlebnis. Ein Streit mit dir. Da hatte er nun schon wirklich genug von in all den Jahren und bisher hat ihn das nur mal ein bisschen aus der Bahn geworfen, aber nicht gleich alle seine Erinnerungen gekostet.“ Teiou verschränkte die Arme hinterm Kopf, während er mit stark sarkastischem Unterton sprach, und die Decke anscheinend sehr interessiert betrachtete. „Es muss was anderes sein. Ich werde das schon herausfinden“, murmelte er und Ashray nickte zustimmend. „Viel wichtiger ist, dass ihr eure Erinnerungen mit ihm teilt. Die Ursache ist da erstmal zweitrangig.“ Keika gähnte leise Er war müde und es war bestimmt schon nach Mitternacht. „Ihr solltet beide ein paar Tage hier bleiben, dann sehen wir weiter, auch wenn ich hoffe, dass sich das Problem bis dahin erübrigt.“ Die beiden Himmelsprinzen nickten schweigend. Endlich waren sie sich mal einig und endlich hörten sie mal auf ihn, Keika. Wie lange hatte er auf so einen Moment warten müssen? Er wusste es nicht. Vermutlich zu lange. Mit diesen Gedanken schloss er die Augen und schlief nach einer Weile an Teiou gelehnt ein Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)