Affection von NejiTen-Schreiber ([NejiTen]-Adventskalender 2oo9) ================================================================================ Kapitel 22: 23. Dezember ~ Distanzierte Innigkeit ------------------------------------------------- Sachte schwebten einzelne Schneeflocken gen Erde und bedeckten das kleine Dorf mit einer weißen Pracht. Auf dem Kirchplatz, der inzwischen von einer dicken Schneedecke bedeckt war, stand eine große Fichte, die allerdings noch ungeschmückt war. Ich kämpfte mich zusammen mit Neji durch den hohen Schnee, der einen Handkarren hinter sich her zog, der vollbepackt mit Kartons war. Der Schal um meinen Hals kratzte, doch das störte mich momentan wenig, da er genug Wärme spendete. Neji trug lediglich bloß eine Winterjacke und Handschuhe um sich vor der Kälte und die Splitter des Holzkarrens zu schützen. „Wir sollten den Karren und die Sachen erst mal draußen stehen lassen“, sagte ich und ging in schnellen Schritten vor um die große, schwere Kirchentür zu öffnen. „Wir sind wieder da“, brüllte ich in das Gotteshaus, doch es kam keine Reaktion. „Vater?“ Ich suchte das Gebäude rasch ab. Auf dem Altar standen angezündete Kerzen, doch das war nichts Ungewöhnliches. Sonst war alles dunkel. „Er ist sicher im Pfarrhaus“, sagte Neji und stellte den Karren neben die Mauer der Kirche. „Er schickt uns Besorgungen machen und selbst verbringt er den Vormittag im Warmen“, murmelte ich und schloss die Kirchentür. Wie vermutete war mein Vater wirklich im Pfarrhaus, saß am Tisch und kritzelte Notizen auf einen Block. Vermutlich bereitete er bereits die Predigt für die Weihnachtsmesse vor. „Tenten“, sagte er als er uns bemerkte und zog sein Pfarrerkragen zu Recht. „Du könntest en Vorplatz frei fegen. Wir wollen ja nicht, dass sich jemand auf dem Weg zur Kirche die Knochen bricht.“ „Wenn Gott dies aber will? Immerhin schneit es ausgerechnet heute.“ Ich setzte ein unschuldiges Gesicht auf, denn ich hatte keine Lust noch einmal in die Eiseskälte raus zu gehen und diese Ausrede half in den meisten Lebenslagen. „Bitte Tenten“, mahnte mein Vater mich. „Mir ist das ernst, immerhin ist das der letzte Gottesdienst vor der Christmesse.“ „Ich helfe dir“, sagte Neji mit einem Ton in der Stimme der keinen Wiederspruch duldete. Er war manchmal wirklich ein Sturkopf. „Wenn Neji dir hilft gehen es noch schneller und danach kannst du mir bei der Predig Formulierung helfen.“ Genervt verzog ich das Gesicht. Ich hasste es bei Predigten zuzuhören, aber noch mehr hasste ich es eine Predigt vorzubereiten, denn dies bedeutete jeden Satz, wenn es sein musste auch mehrmals, durchzugehen. „Was ist eigentlich mit dem Tannenbaum in der Kirche?“, fragte Neji. „Der ist noch ungeschmückt.“ Mein Vater nickte. „Ja, eigentlich wollte eine alte Dame die Tanne schmücken, aber sie erkrankte und nun suche ich jemand der diese Aufgabe gewissenhaft übernehmen könnte.“ „Wir könnten dies doch tun“, sagte ich schnell. „Wir schmücken die Tanne und den Schnee vom Vorplatz fort.“ Alles war besser als meinem Vater bei der Predigt helfen zu müssen. Gerüstet mit Schneeschaufel und Streusalz gingen wir zurück in die Kälte. Der Wind war stärker geworden, aber zum Glück hatte es aufgehört zu schneien. Neji wollte alleine den Schnee wegschaufeln. Ich wusste nicht, ob er mir diese Arbeit nicht zutraute oder ob er bloß Rücksicht nahm. Ich hatte nur die Aufgabe das Salz auf den freigeschaufelten Weg zu streuen, damit der Boden nicht glatt wurde. Ich beobachte Neji und verlor mich in meinen Gedanken. Dafür, dass es erst ein Jahr her war, das Neji seine Eltern bei einem Verkehrsunfall verlor, benahm er sich relativ normal. Er sprach nie über seine Gefühle, doch ich wusste, dass es ihn belastete. Bereits seit einem Jahr wohnte er bei uns, vergoss keine Träne, zeigte auch sonst kein Anzeichen von Trauer. Sein Herz hatte sich mittlerweile scheinbar zu einem Klumpen aus Eis geformt. Ich selbst war viel empfindlicher, ging kritischer mit dem Thema Tod um, da mir eine ganz andere Sichtweise gelehrt wurde. Ich sah den Tod als eine Art Symbol, ein Abschnitt, den jeder bestreiten muss. Meine Mutter starb aufgrund einer Krankheit. Ich begann damit zu leben, immerhin war mein Vater Pfarrer und fand eine Erklärung für ihren Verlust. ‚Gott wollte dies so‘, hatte er gesagt und ich akzeptierte es. Als Tochter des Pfarrers war es für mich nicht immer leicht. Die Kinder in meinem Alter sagten, ich würde von den Erwachsenen bevorzugt werden und die Erwachsenen bestätigen diese Aussage bloß. Die Lehrer zum Beispiel gaben mir unbegründet gute Noten, mit dem Kommentar ich sollte meinem Vater einen schönen Gruß ausrichten. Ich hatte nie von jemand verlangt, dass er mich besser als andere behandeln sollte, sie taten es einfach. Vielleicht hofften sie, dass durch die Gunst meines Vaters auch Gottes Gunst sie in einem besseren Licht stehen lassen würde und dadurch ein Platz im Himmelreich für sie frei wäre. Neji war mein Beschützer, der mir seit einem Jahr mit Rat und Tat zur Seite stand. Er war eine Art großer Bruder geworden, obwohl ich älter als er war. Obwohl wir keine Blutsverwandten waren, benahmen wir uns dennoch so. Manchmal vergaßen die Menschen sogar, dass wir keine Geschwister waren. Neji schaufelte weiter den Schnee, bemerkte nicht das ich ihn beobachtete. Immer noch gedankenverloren streute ich das Salz auf den inzwischen leergeräumten schmalen Pfad durch den Schnee. „Ich denke, das sollte reichen“, sagte Neji. „Es wäre zu viel Arbeit den ganzen Platz zu räumen.“ „Ja“, stimmte ich zu und lächelte. „Der Weg reicht vollkommen.“ Neji lehnte die Schneeschaufel an das Mauerwerk der Kirche und wir gingen zusammen ins Innere. Das Schmücken des Baumes stellte sich als schwerer heraus als anfangs gedacht, doch innerhalb einer Stunde bewerkstelligten wir dieses auch. Wir waren alleine in der Kirche, die Messer würde erst in ein paar Stunden begingen. Der Baum sah wunderschön aus und das Kerzenlicht auf dem Altar brach sich in den roten Kugeln. Neji saß auf dem Boden, da er den Unterenteil der Tanne schmückte und ich setzte mich neben ihn auf dem kalten Marmorboden. Das Laternenlicht das vom Schnee reflektiert wurde schien durch die großen Kirchenfenster und Nejis Gesicht wurde von einem matten Licht bedeckt. Eine einzelne Träne floss über seine Wange und er wusch sie fort. „Verzeih, Tenten“, sagte er. Seine Stimme klang gebrochen. „Es ist nur, weil Weihnachten ist.“ „Ist es wegen deinen Eltern“, flüsterte ich, auch wenn ich nicht genau wusste weswegen ich leise sprach, immerhin war niemand hier. „Es ist nicht mal ein Jahr her“, sagte er genauso leise wie ich zuvor. „Wir haben Weihnachten immer gemeinsam gefeiert und nun sind sie nicht mehr da.“ „Ich versteh dich“, sagte ich. „Das erste Weihnachten ohne meine Mutter war auch schwer.“ „Wie bist du damit zu Recht gekommen.“ Ich zögerte, sah hinauf zum riesigen Kirchfenster hinter dem Altar. „Ich glaube, durch die Liebe meines Vaters.“ Ich sah wieder zu ihm und lächelte. „Du dachtest sicher, dass meine Antwort wäre, dass ich es mit Gottes Hilfe geschafft hätte.“ „Nein“, sagte er ernst. Neji wusste, dass ich nicht sonderlich gläubig war, doch viele erwarteten, dass die Tochter des Pfarrers ebenfalls an die Macht und die Güte des allmächtigen Vaters glaubte. „Ich glaube an Gott“, sprach ich weiter. „Aber ich glaube nicht daran, dass er etwas an Situationen ändern könnte. Er ist eher ein stiller Beobachter.“ „Glaubst du auch daran, dass ich nicht ohne Grund bei euch bin?“ „Ich denke es war Schicksal, dass du nun bei uns wohnst“, sagte ich, denn ich wusste, dass er sehr an das Schicksal glaubte. Er sah mir in die Augen und ich verlor mich in seinen. Es war ein unglaublich gefühlvoller Moment, aber bei weitem nicht so kitschig wie man ihn in Liebesfilmen sah. Wir küssten uns. Kein freundschaftlicher Kuss wie Kinder es taten und auch kein Kuss unter Geschwister, die wir inzwischen gefühlt waren. Es war ein Kuss wie es Liebende taten. Ich wusste nicht, ob er bereits zuvor jemand geküsst hatte, doch für mich war es der erste Kuss. Er war warm, zärtlich und fühlte sich toll an. Ich wollte mehr, traute mich aber nicht es offen zu sagen oder zu zeigen, da ich mir unsicher war, ob Neji dies überhaupt wollte. Wir sahen uns zuerst nicht an, doch dann hob er mein Kinn hoch, sah in meine Augen und ein sachtes Lächeln umspielte seine Lippen. In diesem Moment war ich das erste Mal in meinem Leben wirklich glücklich. Ich will nicht sagen, dass ich der einzige Grund dafür war, dass Neji sich veränderte, doch in diesem Augenblick merkte ich, dass auch in Nejis Herz aus Frost ein wenig Wärme steckte. Ich sah aus dem Kirchenfenster hinter dem Altar und stellte fest, dass draußen dieselbe Veränderung geschah wie in der Kapelle. Der Schnee auf dem Vorplatz und das Eis in Nejis Herzen begannen langsam zu schmelzen… -Ende- --------------------------------------------- Ich wünsche euch ein ruhiges und besinnliches Weihnachtsfest Liebe Grüße eure Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)